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Full text of "Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts"

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DEÜT^aiHLANUS 


GESOHICHTSüüELLEN 


IM  MITTELALTER 


BIS  ZIiR  MITTE  DES  DREIZEHNTEN  JAHRHUNDERTS 


VON 


W}  WATT E N B AC  H 


ERSTER  BAND 

SIEBENTE  VON  ERNST  DÜMMLPIR  UMGEARBEITETE  AUFLAGE 


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1 


STUTTGART  UND  BERLIN  1904 
J.  G.  COTTA'SCHE  BUCHHANDLUNG  NACHFOLGER 

G.  in.  b.  H. 


Alle   Rechte  vorbehalten. 


DP 


10 


FRAU 

MARIE  WATTENBACH 

GEB.  VON  HENNINGS 


GEWIDMET. 


Vorwort  zur  siebenten  Auflage. 


Es  war  zu  Weihnachten  1856,  als  sich  in  dem  Hause  des 
Unterzeichneten  zu  Halle,  Schimnielstrafse  7,  die  Freunde 
Wilhelm  Wattenbach  und  Emil  Röfsler  zur  festlichen  Feier 
mit  ihm  zusammenfanden.  Während  die  Gäste  mit  der  Haus- 
frau sich  emsig  und  kunstfertig  dem  Aufputze  des  Christ- 
baums widmeten,  blätterte  der  Hausherr  in  einem  stattlichen 
Manuskripte  von  722  Folioseiten  und  unterbrach  ihre  Thätig- 
keit  durch  allerlei  kritische  Bemerkungen  über  das,  was  er 
darin  anerkannte  oder  vermifste.  Dies  Manuskript  war  der 
Keim  des  gegenwärtigen  Buches,  die  von  der  Göttinger  Ge- 
sellschaft der  Wissenschaften  im  vorhergehenden  Herbste  ge- 
krönte Preisschrift  Wattenbachs,  für  welche  „eine  kritische  Ge- 
schichte der  Historiographie  bei  den  Deutschen  bis  zur  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts"  gefordert  worden  war.  Dafs  die  Lösung, 
früheren  Vorlesungen  des  Verfassers  entsprechend,  eine  etwas 
andere,  wenn  man  will  reichhaltigere  war,  wurde  getadelt, 
doch  in  den  Kauf  genommen. 

Die  erste  Ausgabe  von  Deutschlands  Geschichtsquellen  er- 
schien, damals  noch  in  einem  Bande  von  477  Seiten,  im  Jahre 
1858  und  die  Widmung  an  die  beiden  Freunde  rief  die  Er- 
innerung an  jenes  gemeinsame  Weihnachtsfest,  sowie  an  eine 
zweite  haUische  Zusammenkunft  zu  Ostern  1858  zurück.  Leider 
mufste  jene  sich  später  auf  den  einen,  auf  mich,  beschränken, 
da  Röfsler  bereits  am  5.  Dezember  1863  ein  Leben  voller 
Enttäuschungen  verlassen  hatte.  Der  Ehre  aber  der  wieder- 
holten Zueignung  in  den  folgenden  Auflagen  von  1866,  1873, 


YI  N'orwort  zur  siebenten  Auflage. 

1877,  1885,  endlich  1893  suchte  ich  mich  durch  kleine  Nach- 
träge und  Berichtigungen  aus  meinen  Studien  würdig  zu  er- 
weisen, die  stets  mit  einer  gewissen  Ueberschätzung  ihres 
Wertes  geneigte  Aufnahme  fanden.  Das  Buch  bürgerte  sich 
indessen  bei  allen  des  Mittelalters  Beflissenen  als  ein  unent- 
behrliches Hilfsmittel,  ein  zuverlässiger  Wegweiser,  ein.  Bis 
an  sein  Ende  war  der  Verfasser  eifrig  bemüht,  der  unüber- 
sehbar anschwellenden  Litteratur  gegenüber  es  durch  stete 
Erweiterung  und  Vervollständigung  auf  seiner  Höhe  zu  er- 
halten. Durch  die  vielen  Flicken,  die  zuweilen  in  Eile  und 
nicht  immer  gleich  an  der  richtigen  Stelle  aufgesetzt  wurden, 
litt  ein  wenig  die  ursprüngliche  Geschlossenheit  der  Darstellung 
und  die  strenge  zeitliche  und  örtliche  Ordnung,  es  fehlte  nicht 
ganz  an  Widersprüchen  und  eine  etwas  gründlichere  Um- 
arbeitung erschien  hie  und  da  notwendig. 

Als  am  20.  September  1897  der  Tod  den  auf  der  Reise 
befindhchen  Verfasser  in  Frankfurt  a.  M.  hinweggei-afl't  hatte, 
durfte  ich  mich  nach  allem  vorangehenden  trotz  meines  Alters 
und  anderweitiger  Beschäftigungen  der  Aufgabe  nicht  ent- 
ziehen, mich  meines  gleichsam  verwaisten  Patenkindes  anzu- 
nehmen. Allerdings  unmittelbar  nur  des  ersten  Bandes, 
während  für  den  zweiten  in  der  Person  unseres  Mitarbeiters 
0.  Holder-Egger  ein  in  den  späteren  Partien  des  Mittelalters 
viel  besser  bewanderter  Forscher  eintreten  wird.  Die  Aus- 
führung meines  Entschlusses  aber  wurde  mir  dadurch  erleich- 
tert, dafs  einerseits  Wattenbach  selbst  in  den  vier  Jahren, 
um  welche  er  das  Erscheinen  der  6.  Auflage  dieses  Bandes 
noch  überlebte,  fleifsig  gesammelt  und  wenigstens  in  kurzen 
Andeutungen  auf  mancherlei  Nachträge  hingewiesen  hatte, 
andererseits  mein  Freund  L.  Traube  in  München  mir  bei  der 
Durchsicht  der  einzelnen  Bogen  die  Hilfe  seiner,  nach  der 
paläographischen  wie  nach  der  litterarhistorischen  Seite  gleich 
umfassenden,   Gelehrsamkeit   freiwillig   zur  Verfügung   stellte. 

Der  Plan  des  Werkes  ist  auch  in  dieser  neuen  Auflage 
unverändert  geblieben :  es  beschränkt  sich  wesentlich  auf  die 
Geschichtsquellen  in  lateinischer  Sprache  und  schliefst  deshalb 
die,  für  die  älteste  Zeit  namentlich  so  wichtigen,  Byzantiner 
aus.     In    dem   Zeiträume    der  Karolinger   habe   ich   den   über 


^'orwol•t  zur  siebenten  Auflagt*.  V'Il 

Paulus  Diaconus  handelnden  Abschnitt  dem  über  Alcvin  voran- 
gestellt, weil  jener  unzweifelhaft  der  ältere  von  beiden  war 
und  weiter  zurückreicht.  Ferner  liefs  ich  auf  Schwal)en  und 
Bayern  als  die  älteren  Kulturländer  erst  Sachsen  folgen  und 
Lothi'ingen,  das  damals  gesonderte  Königreich,  Frankreich 
unmittelbar  vorangehen,  zu  welchem  es  ja  in  mancher  Hin- 
sicht den  Uebergang  bildet.  In  dem  Zeitalter  der  Ottonen  ist 
nur  ein,  wenn  auch  etwas  dürftiger  Abschnitt  über  Mainz, 
Hessen  und  Franken  eingeschoben  worden,  ohne  im  übrigen 
die  Anordnung  zu  ändern.  Im  einzelnen  sind  manche  kleinere 
Umstellungen,  bisweilen  auch  zwischen  den  beiden  Bänden, 
erfolgt,  Kürzungen  haben  wenige  stattgefunden,  um  so  mehr 
Zusätze,  von  denen  nicht  wenige  der  wichtigsten  auf  Traubes 
Rechnung  kommen.  Als  Autorität  für  die  Entscheidung 
schwebender  Streitfragen  betrachtet  zu  werden,  lehnte  Watten- 
bach stets  von  sich  ab,  er  wollte  darüber  nur  unparteiisch 
berichten.  Ohne  mich  zu  einer  gründlicheren  Umar])eitung 
befugt  oder  veranlafst  zu  fühlen,  habe  ich  manche  nicht  allzu 
eingreifende  stilistische  Aenderungen  vorgenommen,  für  welche 
ich  aus  meiner  langjährigen  innigen  Vertrautheit  mit  dem 
Geiste  des  Verfassers  die  Berechtigung  schöpfte. 

Nicht,  lange  nach  Wattenbach  starb  der  demselben  einst 
nahe  befreundete  Verleger  Wilhelm  Hertz,  und  das  Buch  ist 
daher  mit  der  gleichen  Ausstattung  in  einen  andern  ange- 
sehenen Verlag  übergegangen.  Die  Beigabe  eines  demselben 
zu  verdankenden  Bildes  aus  den  letzten  Lebensjahren  des 
Verfassers  wird  gewifs  vielen  seiner  Verehrer  willkommen  sein. 

Berlin  1902. 

Ernst  Dümmler. 

Bald  nachdem  er  diese  Worte  aufgezeichnet  hatte,  starb 
Ernst  Dümmler.  am  11.  September  1902.  Er  hinterliefs  das 
Werk,  dem  er  sich  bis  zuletzt  gewidmet  hatte,  im  wesent- 
lichen abgeschlossen.  Die  ersten  23  Bogen  lagen  ini  Rein- 
drucke vor,  von  da  an  stand  alles  bis  auf  das  Register  im 
Satze.  Man  hätte  sich  in  seinem  Sinne  mit  einer  sorgfältigen 
Korrektur  begnügen  können.  Doch  schien  es  dem  Unterzeich- 
neten richtiger,  das  im  Drucke  noch  nicht  abgeschlossene  Viertel 


YJII  Vorwort  zur  siebenten  Auflage. 

des  Bandes  noch  einmal  durchzuarbeiten  und  dabei  auch  von 
durchgreifenden  Umgestaltungen  nicht  abzusehen.  Ist  ihm  das 
Richtige  zu  treffen  hierbei  einigermal'sen  gelungen,  so  verdankt 
er  es  der  selbstlosen  Mithilfe  von  H.  Bloch,  H.  Brefslau, 
S.  Hellmann  und  P.  v.  Winterfeld. 

Besonders  Blochs  und  Brefslaus  Ratschläge  und  Nachträge 
förderten  die  unter  so  schwierigen  Verhältnissen  auf  mich  ge- 
kommene Arbeit.  Zwar  hatte  mir  Dümmler  am  16.  Juni  1902 
geschrieben:  ^Der  Verleger  hätte  gern  eine  Zusicherung  für 
künftige  Auflagen  gehabt,  die  ich  bei  meinem  Alter  für  den 
l.  Band  natürlich  nicht  geben  kann.  Ich  verwies  indessen  vor- 
läufig auf  Sie  und  hoffe,  Sie  werden  sich  in  dieser  Hinsicht 
als  meinen  Erben  betrachten.''  Aber  ich  war  nicht  darauf  ge- 
fafst,  schon  nach  so  kurzer  Frist  und  unter  dem  traurigsten 
Zwange  mich  den  „Geschichtsquellen"  widmen  zu  müssen.  Es 
war  mir  klar  gewesen,  daJs  nur  ein  jahrelanges  Vorbereiten 
dazu  befähigen  könne,  diesem  Werke  seinen  hohen  Wert  zu 
erhalten.  Einst  war  es  auf  dem  Gebiete  der  mittelalterlichen 
Quellenforschung  und  Textedition  als  der  kundigste  Führer  er- 
schienen, der  aber  in  anmutiger  und  oft  behaglicher  Sprache 
die  Schwierigkeiten  und  Gefahren  der  Wanderung  mehr  verbarg 
als  darlegte.  Dann  hemmte  den  leichten  Schritt  dieses  Führers 
immer  mehr  die  gelehrte  Kleinarbeit,  die  er  zum  gröfsten  Teile 
selbst  hervorrief  und  deren  Funde  er  bei  jedem  neuen  Gange, 
den  er  durch  die  Gunst  des  Publikums  antrat,  von  neuem  sich 
aufbürden  mufste ;  und  immer  weiter  wurde  er  in  eine  Rich- 
tung hinübergezogen,  die,  wenn  auch  Wattenbachs  gleich- 
raäfsig  ausgebreitetem  Wissen,  doch  nicht  seinen  Absichten  ent- 
sprach. Diese  gingen  nach  wie  vor  mehr  dahin,  ein  lesbares 
und  anregendes  Buch  einem  gröfseren  Kreise  zu  übergeben, 
als  ein  feingeschliffenes  Werkzeug  in  die  Hand  der  Arbeiter 
zu  legen.  So  wuchs  der  innere  Widerspruch  von  Auflage  zu 
Auflage.  Eine  Auflösung,  eine  Umkehr  war  nicht  mehr  mög- 
lich; es  galt  mit  Ueberlegung  da  zu  enden,  wohin  die  natür- 
liche Entwickelung  drängte,  und  mit  Verzicht  auf  allen  Schmuck 
und  Reiz,  der  nicht  in  den  Dingen  selbst  liegt,  nur  den 
dreifachen  Panzer  der  Bündigkeit,  Thatsächlichkeit  und  Voll- 
ständigkeit  anzulegen,    gerade    das   also   auf  sich  zu  nehmen^ 


Vorwort  zur  siebenten  Auflage.  IX 

was  Wattenbach  in  (Um  Vorworte  der  ersten  Auflage  aus- 
drücklich abgelehnt  hatte.  Er  sagte  damals:  ,Die  Rücksicht 
,auf"  das  praktische  Bedürfnis  der  Zuhörer  war  bei  den  Vor- 
.,tr'ägen  niafsgebend  gewesen,  und  sie  ist  es  auch  bei  der  Aus- 
., arbeitung  dieses  Buches  geblieben.  Es  kam  darauf  an,  eine 
»Uebersicht  zu  geben  und  die  Wege  zu  weiterer  eigener 
„Forschung  zu  weisen.  Bibliographische  Vollständigkeit  lag 
.,  nie  in  meinem  Plan ;  ich  beschränkte  mich  auf  die  wirklich 
, brauchbaren  Ausgaben,  denn  die  älteren  Ausgaben  dieser 
„Autoren  sind  in  der  Regel  so  mangelhaft,  dafs  ihr  Gebrauch 
„unvermeidlich  zu  Fehlern  und  Irrtümern  führt.  Aber  auch  auf 
„den  Nachweis  der  Handschriften  und  andere  Einzelheiten  bin  ich 
„nur  selten  eingegangen,  teils  um  dem  Buche  einen  mäfsigen 
„Umfang  zu  bewahren,  teils  aus  einer  anderen  Rücksicht.  Es 
„ist  nämlich  für  die  Redaktion  der  Monumenta  Germaniae  von 
«Anfang  an  ein  sogenanntes  Direktorium  angelegt,  welches 
,ein  Verzeichnis  aller  bekannt  gewordenen  Quellenschriften 
„im  weitesten  Umfange  enthält,  verbunden  mit  vollständigem 
, litterarischen  Nachweis  über  die  Ausgaben  und  Handschriften 
„nicht  allein,  sondern  auch  über  die  Quellen,  die  ein  jeder 
„Autor  benutzt  hat,  und  die  späteren  Schriften,  in  denen  wieder 
„auf  ihn  Rücksicht  genommen  ist.  Auf  eine  Publikation  dieser 
„unschätzbaren  Sammlung  ist  Hoffnung  gemacht,  und  es  wäre 
., wahrlich  eine  Verschwendung  von  Zeit  und  Mühe,  unabhängig 
„von  derselben  ein  ähnliches  Werk  zu  unternehmen.  Der  von 
.,mir  verfolgte  Plan  ist  ein  völlig  verschiedener;  er  ist  weniger 
.nach  dem  Bedürfnis  der  speziellen  Fachgenossen  bemessen, 
„wird  aber,  Avie  ich  hoffe,  anderen  Wünschen  entgegenkommen. 
_So  viel  zur  Verhütung  von  Mifsverständnissen  und  unbilligen 
„Anforderungen. " 

Das  Direktorium  der  Monumenta  Germaniae  ist  bekanntlich 
nie  erschienen  und  wohl  kaum  auch  ernstlich  weitergeführt 
worden.  Gerade,  dafs  Wattenbach  auf  den  Plan  trat,  mufste 
den  Fortsfanjx  hemmen.  Und  so  haben  wahrscheinlich  beide 
Unternehmungen  sich  gegenseitig  geschädigt.  Wattenbach 
verzichtete  der  Monumenta  wegen  auf  die  Aktenmälsigkeit 
eines  Direktoriums,  die  Monumenta  Wattenbachs  wegen  auf 
die  Pflege  und  Herausgabe  ihres  eigenen  Hilfsmittels. 


\  Vorwort  zur  siebenten  Auflage. 

Inzwischen  ist  nun  aber  ein  solches  Direktorium  für  die 
Monumenta  Gernianiae  und  ihre  Mitarbeiter  und  für  alle  ihnen 
verbündeten  Forscher  wieder  dringend  nötig  geworden  ^).  Neben 
der  Zeitschrift,  deren  eine,  bisher  so  musterhaft  erfüllte,  Auf- 
gabe darin  besteht,  über  die  laufenden  Erscheinungen  unseres 
Gebietes  auf  das  pünktlichste  zu  unterrichten ,  brauchen  wir 
ein  festes  Grundbuch,  das  in  knappen  Paragraphen  und 
Anmerkungen  die  Geschichte  der  Monumenta  Germaniae,  die 
Denkmäler,  die  Handschriften,  die  Litteratur,  die  ergiebigen 
Quellenstellen  u.  s.  w.  zusammenfassend  vorführt  und,  mit  Hilfe 
vor  allem  der  Zeitschrift,  in  Zwischenräumen  von  etwa  zehn 
Jahren  ohne  zu  grofse  Schwierigkeit  &ich  verjüngen  läfst. 

Für  dieses  Grundbuch  gäbe  es  keine  bessere  Unterlage  als 
das  Wattenbachsche  Werk,  das  seinerseits  nur  fortleben  kann, 
wenn  seine  Bearbeiter  den  entscheidenden  Schritt  thun  und  es 

')  Potthasts  Bibliotheca  historica  inedii  aevl,  auf  die  Wattenbach  seit 
seiner  zweiten  Auflage  für  das  Bibliographische  verweist,  bietet  auch 
hierfür  keinerlei  Ersatz.  So  sehr  ein  solches  Register  an  und  für  sich 
selbst  neben  einem  Direktorium  nutzen  könnte,  so  wenig  kommt  es 
in  seiner  heutigen  Fassung  in  Betracht,  die  ihrerseits  gar  zu  oft  auf 
Wattenbach  beruht  und  mit  ihm  auch  die  Irrtümer  teilt.  Z.  B.  sub- 
notierte  Wattenbach  von  der  ersten  bis  in  die  sechste  Auflage  zur  Trans- 
latio  sanguinis  Domini  (l.Aufl.  S.  196  Anm.  1,  6.  Aufl.  I  S.  397  Anm.  2): 
,  Später  wiederholt  überarbeitet,  auch  in  deutschen  Reimen,  von  Albert, 
herausgegeben  von  Schmeller,  München  1844".  Zar  selben  Schrift  be- 
merkt Potthast  (2.  Aufl.  S.  1070):  ^in  deutschen  Reimen  von  Albert;  her- 
ausgegeben von  Schmeller,  München  1844''.  Gemeint  kann  nichts  anderes 
sein  als  „St.  Ulrichs  Leben,  lateinisch  beschrieben  durch  Berno  von 
Reichenau  u.  um  das  Jahr  1200  in  deutsche  Reime  gebracht  von  Albertus. 
Herausgegeben  von  Job.  Andr.  Schmeller,  München  1844",  ein  den  Ger- 
manisten wohl  bekanntes  Denkmal ,  das  übrigens  bei  Wattenbach  und 
Potthast  auch  noch  einmal  und  richtig  zu  Bernos  Vita  S.  Udalrici  an- 
geführt wird. 

Ein  unschätzbares  Hilfsmittel  ist  dagegen  für  uns  die  Bibliotheca 
hagiogiaphicn  latina  der  Bollandisten  (vgl.  unten  S,  12).  Moliniers 
Manuel  (vgl.  unten  S.  40)  nähert  sich  dem  Gedanken  des  Direktoriums. 
Haften  der  ersten  Auflage  auch  noch ,  wie  mir  übrigens  scheint ,  ganz 
unvermeidliche  Fehler  an,  so  hätten  sie  bei  uns  nicht  so  herb  getadelt 
werden  sollen,  sondern  die  Anlage  des  Werkes,  das  gewifs  eine  ehren- 
volle Zukunft  hat,  hätte  gerade  auch  im  Hinblick  auf  die  ,Geschichts- 
quellen"  eher  Lob  und  Beachtung  verdient. 


\'orwoi'l   zur  siflx'uti'ii   Auflauf.  XI 

völlisT  in  ein  wissenschaftliches  Nachschlajirebuch  verwanflehi. 
Eine  Geschichte  der  deutschen  Historiographie  im  Mittelalter 
kann  auf  den  verwischten  Spuren  und  den  übereinander  ge- 
häuften Trümmern  der  ersten  Auflage  der  „Geschichtsquellen'' 
dagegen  durchaus  nicht  mehr  errichtet  werden ;  diese  Ge- 
schichte,  die  uns  nicht  weniger  notthut  als  das  Direktorium,  ist 
von  Grund  auf  neu  zu  schaffen. 

Die  eben  ausgesprochenen  Wünsche  sind  gewil's  aucli  im 
Sinne  Dümmlers,  mit  dem  ich  öfters  über  die  Zukunft  der 
„Geschichtsquellen''  schreiben  und  sprechen  durfte.  Dem  ver- 
ehrten Mann  ist  es  zu  danken,  dafs  im  Jahre  1901  eine  Art 
von  Zusammenhang  zwischen  der  Zentraldirektion  der  Monu- 
mentu  Germaniae  und  dem  Wattenbachschen  Werke  schon 
hergestellt  wurde.  Aber  bei  seiner  Umwandlung  entschieden 
und  entscheidend  selbst  Hand  anzulegen,  dazu  mochte  er  sich 
nicht  mehr  entschliefsen.  Das  bleibt,  wenigstens  für  den 
ersten  Band,  einer  achten  Auflage  vorbehalten.  Er  trug  im 
wesentlichen  wieder  nur  nach,  und  seinem  Beispiele  mufste  ich 
folgen,  was  ja  für  uns  beide  ein  sachgemäfseres  Anordnen 
innerhalb  der  Anmerkungen,  und  wohl  auch  des  Textes,  und 
überall  zahlreiche  einzelne  Aenderungen  nicht  ausschlol's  ^). 

Aus  Dümmlers  Vorwort  habe  ich  gewagt,  folgenden  dort 
erst  nachträglich  von  ihm  eingeschobenen  Satz  wieder  aus- 
zuscheiden: „Am  meisten  Anspruch  auf  Nachsicht  hinsichtlich 
-  der  Vollständigkeit  werden  vielleicht  die  so  schwer  zu  über- 
„  sehenden  Totenbücher  am  Schlüsse  erheben,  deren  planmäfsige 
„Sammlung  und  Herausgabe,  ebenso  wie  die  der  mittelalter- 
..lichen  Bibliothekskataloge  und  Schatzverzeichnisse,  täglich 
-mehr  ein  Bedürfnis  wird.'"  Denn  wie  beherzigenswert  auch 
seine  Mahnung  ist,  die  Nekrologien  und  die  Bücher-  und 
Schatzverzeichnisse  zu  sammeln,  so  habe  ich  die  von  ihm  an- 
gekündigte Uebersicht   über  die  Totenbücher,    die  erst  in  der 

^)  Hier  möchte  ich  noch  auf  einen  kleinen  Mifsstand  hinweisen : 
Dümmler  hat  oft,  aber  keineswegs  immer,  an  den  Stellen,  wo  Watten- 
bach in  der  ersten  Person  von  sich  sprach,  den  Eigennamen  eingesetzt; 
daneben  redet  er  gelegentlich  von  sich  selbst  in  erster  Person.  So  kann 
man  ohne  Zuhilfenahme  der  6.  Auflage  manchmal  schwanken?  ob  eine 
Bemerkung  vom  Verfasser  oder  vom  Bearbeiter  kommt. 


XII  Vorwort  zur  siebenten  Auflage. 

6.  Auflage  dem  ersten  Bande  beigegeben  wurde  und  vordem 
am  Schlüsse  des  Werkes  stand,  doch  geglaubt  weglassen  zu 
müssen.  Vielleicht  könnte  dafür  weiter  gesammelt  und  ein  voll- 
ständigeres Verzeichnis  wieder  dem  zweiten  Bande  angehängt 
werden.  An  den  Schlufs  des  zweiten  Bandes  gehören  auch, 
wie  bisher,  die  Nachträge  für  den  ersten  Band.  Besonders  zu 
bedauern  ist,  dafs  der  Druck  zu  Aveit  vorgeschritten  war,  um 
noch  einzelne  Arbeiten  an  Ort  und  Stelle  anzuführen,  die  uns 
ganz  neue  Quellen  erschliefsen  (wie  K.  A.  Kehrs  Aufsatz  über 
ein  verschollenes  karolingisches  Annalenwerk,  NA.  XXVIII, 
323 — 335,  und  A.  Poncelets  Ausgabe  von  Idos  Translatio 
S,  Liborii  und  der  ältesten  Vita  S.  Richarii,  Analecta  Bollan- 
diana  XXII,  146—194). 

Bei  der  Korrektur  half  mir  treulich  Herr  Gymnasiallehrer 
H.  SchreibmüUer  in  Kaiserslautern.  Das  Register  wird  Herrn 
Dr.  J.  Völler  in  München  verdankt,  es  ist  reicher  als  die 
früheren . 

München.  September  1903. 

L.  Traube. 


Vorwort  zur  sechsten  Aufläse. 


Im  Jahre  1858  erschien  die  erste  Ausgabe  dieses  Hand- 
buches, veranlafst  durch  eine  von  der  Göttinger  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  gestellte  Preisfrage;  sie  ist  einem  dringend 
empfundenen  Bedürfnisse  entgegen  gekommen  und  hat  eine 
sehr  günstige  Aufnahme  gefunden.  Die  Mängel,  welche  bei 
einem  ersten  Versuch  kaum  zu  vermeiden  waren,  wurden  mit 
freundlicher  Nachsicht  beurteilt.  In  den  neuen  Ausgaben 
sind  sie,  so  weit  es  mir  möglich  war,  beseitigt  worden: 
manche  früher  übersehene  Quellenschrift  ist  nachgetragen. 
Vorzüglich  aber  ist  die  sehr  lebhafte  litterarische  Thätigkeit 
der  Zwischenzeit  auf  diesem  Gebiete  sorgfältig  berücksichtigt. 
Dagegen  ist  an  dem  Plane  und  Charakter  des  Buches  nichts 
geändert;  es  soU  kein  gelehrtes  Repei-torium  zum  Nachschlagen 
sein,  sondern  durch  zusammenhängende  Darstellung  zum 
eigenen  Studium  der  Quellen  anleiten,  diesen  in  Beziehung  zu 
den  geschichtlichen  Vorgängen  der  einzelnen  Abschnitte  ihren 
Platz  anweisen.  Bibliographische  Vollständigkeit  anzustreben. 
war  um  so  weniger  nötig,  da  seitdem  Potthasts  Werk  er- 
schienen ist,  welches  diese  Aufgabe  verfolgt;  hier  genügte  es, 
die  zunächst  brauchbaren  Ausgaben  anzuführen,  und  Schriften, 
in  welchen  weitere  Nachweise  zu  finden  sind. 

Ein  grofses  Verdienst  um  die  neuen  Bearbeitungen  hat 
sich,  wie  schon  um  das  ursprüngliche  Werk,  Ernst  Dümmler 
erworben,  Avelcher  nie  ermüdete,  mich  mit  Berichtigungen  und 
wertvollen  Nachweisuugen  zu  versehen,  von  denen  nur  wenige 
ausdrücklich  erwähnt  werden  konnten.    Vorzüglich  auf  seinen 


XIV  Vorwort  zur  sechsten  Auflage. 

Wunsch  sind  auch  mancherlei  Umstände  und  Nachrichten  an- 
geführt und  verwertet,  welche  mehr  kulturgeschichtlicher  Art 
sind  und  den  eigentlichen  Geschichtsquellen  etwas  ferner 
stehen.  Nicht  ganz  ohne  Besorgnis,  dadurch  der  Uebersicht- 
lichkeit  zu  schaden,  habe  ich  mich  doch  von  der  Ueberlegung 
leiten  lassen,  dafs  die  richtige  Würdigung  der  Persönlich- 
keiten und  ihrer  Werke  dadurch  befördert  wird.  Eine  gleich- 
mäfsige  Durchforschung  aller  Schulen,  auch  solcher,  welche 
geschichtlicher  Arbeit  fern  geblieben  sind,  eine  Darstellung 
der  litterarischen  Thätigkeit  auf  allen  Gebieten  ist  eine  so 
schwierige  Aufgabe,  dafs  ihre  Lösung  so  bald  wohl  nicht 
zu  hoffen  ist,  und  ich  habe  deshalb  nach  dieser  Seite  hin 
lieber  etwas  zu  viel  als  zu  Avenig  thun  wollen.  Die  von  der 
Münchener  historischen  Kommission  gekrönte  Preisschrift  des 
Dr.  Specht  über  die  Geschichte  des  Unterrichtswesens  in 
Deutschland  während  desselben  Zeitraums  berührt  sich  viel- 
fach mit  meinem  Buche  und  ergänzt  es  in  gewisser  Hinsicht. 
Auch  anderen  Freunden  habe  ich  wiederum  für  ihre  rege 
Teilnahme  an  dieser  Arbeit  zu  danken.  Ganz  besonders 
förderlich  waren  mir  auch  die  zahlreichen  Zusendungen  von 
Dissertationen,  Programmen  und  einzelnen  Aufsätzen,  welche 
das  hier  vorliegende  Gebiet  berühren ;  je  leichter  gerade  solche 
Schriften  der  Aufmerksamkeit  entgehen,  um  so  dankenswerter 
ist  die  Zusendung  derselben,  und  indem  ich  für  diese  sehr 
wesentliche  Erleichterung  meiner  Arbeit  den  lebhaftesten 
Dank  ausspreche,  erneuere  ich  die  Bitte,  mich  auch  fernerhin 
in  gleicher  Weise  unterstützen  zu  wollen  bei  der  Bestrebung, 
die  Fortschritte  der  Forschung  auf  diesem  Gebiete  für  eine 
spätere  neue  Bearbeitung  zu  verwerten. 

Berlin,  den  7.  August  1892. 

W.  Wattenbach. 


A'  e  r  z  e  i  c  li  ii  i  s 

einiger  Werke,  die  häufiger  abgekürzt  angeführt  werden. 


d'Acheiy,  Lucas,  Spicüegium  veterum  aliquot  Scriptoiuui ,  Paris 
1655—1677.  13  T.  4.  Gewöhnlich  nach  der  2.  Ausg.  in  3  Fol.  1724 
angeführt. 

Acta  SS.  Acta  Sanctorum,  Antw.  1643  ff.  fol.  Nov.  mens.  tom.  II,  1, 
Brüssel  1894  und  Propyl.  Nov.  1902.     Vgl.  unten  S.  10  ff. 

Allg.  D.  Biogr.  Allgemeine  Deutsche  Biographie.  1—47  (in  den  beiden 
letzten  Bänden  beginnen  die  Nachträge).     1875 — 1903. 

Analecta  BoUaudiana.     Bruxellis  1882—1902,  t.  1—21. 

Anz.  d.  Germ.  Mus.  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit,  Organ 
des  Germanischen  Museums.     1—30.     Nürnb.  1853 — 1883,  4. 

Archiv.  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichtskunde. 
Bd.  1—8  von  Büchler  und  Dümge,  Frankf.  1820.  1821.  Bd.  4  von 
Fichard,  ib.  1822.     Bd.  5—12  von  Pertz,  Kann.  1824—1874. 

Archiv  d.W.  A.  Archiv  für  Kunde  österr.  Geschichtsquellen  (dann  für 
österr.  Geschichte),  herausgeg.  von  der  zur  Pflege  vaterländischer 
Geschichte  aufgestellten  Kommission  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften,  Bd.  1—92.  Wien  1848—1902.  Dazu  als  Beilage  das 
Notizenblatt,  1851—1859. 

Baehr,  Die  christlichen  Dichter  und  Geschichtschreiber  Roms  (Karlsr. 
1836).    Zweite  Ausg.  1872  als  4.  Band  der  Gesch.  der  röm.  Litteratur. 

—  Geschichte  der  römischen  Litteratur  im  karolingischen  Zeitalter.  1840 
als  3.  Supplement-Band  der  Gesch.  der  röm.  Litteratur. 

Balzani,  Le  cronache  italiane  nel  medio  evo,  2.  Aufl.    Milano  1900. 

Berliner  SB.    Die  Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie. 

Bibliotheca  s.  Jaffe. 

Bibliotheca  hagiograph.  lat.  ant.  et  med.  aetat.  edd.  socii  BoUan- 
diani.    Bruxellis  1898—1901. 

Bielowski,  Monumenta  Poloniae  historica,  1 — 4.    Lemb.  1864 — 1884,  4. 

Boehmer,  Fontes  Rerum  Germanicai'um,  1 — 4.     Stuttg.  1843 — 1868. 

Bouquet,  Recueil  des  historiens  des  Gaules  et  de  la  France,  von  An- 
deren fortgesetzt,  23  T.     Paris  1738—1876.     Vgl.  unten  S.  13. 

Canis.  Henr.  Canisii  Lectiones  Antiquae,  6  Tomi,  Ingolstadt  1601  bis 
1604,  4.     Neue  Ausgabe  von  Jac.  Basnage,  Antw.  1725  f. 

Chevalier,  Ul. ,  Repertoire  des  sources  historiques  du  moyen  äge, 
bio-bibliographie,  Paris  1877—1883,  mit  einem  Supplement  1888. 

— ,  — ,  topo-bibliographie.  :\Iontb«''linrd  1894—1903. 


XVI  Verzeicbnis  abgekürzt  angeführter  Werke. 

Dobner.  Monumenta  historita  Boemiae.     6  T.     Prag   1764 — 1786,  4. 

Du  Chesne,  Historiae  Francorum  Scriptores  coaetanei.  5  T.  Paris  1636 
bis  1649  f. 

Dum  ml  er,  Ostfr. ,  Geschichte  des  ostfränk.  Reichs,  von  E.  Dümmler, 
2.  Aufl.  3  Bde.,  in  den  Jahrbüchern  der  deutschen  Geschichte. 
Berlin  1887.  1888. 

Du  Meril,  Edelestand,  Poesies  populaires  latines  anterieures  au  douzieme 
siecle,  Paris  1843.  Poesies  pop.  lat.  du  moyen  iige,  1847.  Ohne  Bei- 
fügung der  Jahreszahl  ist  die  erste  Sammlung  gemeint. 

Ebert,  Allgemeine  Geschichte  der  Litteratur  des  Mittelalters  im  Abend- 
lande. 1—3.  Leipzig  1874.  1880.  1887.  Der  3.  Band  reicht  bis  zum 
Ausgange  der  Ottouen.     2.  Aufl.  des  1.  Bandes  1889. 

Eccard,  Corpus  Historicorum  Medii  Aevi,  Lips.   1723  f.    2  T. 

Endlicher,  Rerum  Hungaricarum  Monumenta  Arpadiana.  Sangalli  1848 
bis  1849. 

Fabr.  Bibl.  Jo.  Alb.  Fabricii  Bibliotheca  Latina  Mediae  et  Infimae 
Aetatis,  T.  1—5.  Hamb.  1734—1736.  T.  VI.  cur.  Christ.  Schoettgenio 
1746.     Ed.  IL  cur.  Jo.  Dom.  Mansi,   Patavii  1754,  4. 

Fontes  s.  Böhmer. 

Fontes  Rerum  Bohemicarum,  1 — 4.     Prag  1871  ff.  4. 

Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte,  1 — 26.   Göttingen  1802—1886. 

Preher,  M.,  Corpus  Francicae  Historiae,  1613  f.  Rerum  Germanicarum 
Scriptores  aliquot  insignes,  Francf.  1600 — 1611:  ed.  III.  cur.  Struvio 
1717.    3  T.  fol. 

G  G  A.  Göttinger  Gelehrte  Anzeigen,  verbunden  mit  den  Nachrichten  von 
der  Georg  Augustus-Universität  und  der  k.  Ges,  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.     Die  letzteren  werden   als   Gott.  Nachr.  angeführt. 

Giesebrecht,  Ludwig,  Wendische  Gesch.  780—1182.  3  Bde.  Berlin  1843. 

Giesebrecht,  Wilhelm,  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit,  1.  2.  Band 
5.  Ausg.  1881.  1885.  3.  Band  4.  Ausg.  1877.  4.  Band  1875.  2.  Ausg. 
1877.     S.Band  1880. 

Hauck.  Alb.,  Kirchengeschichte  Deutschlands.  I.  1887,  2.  Aufl.  1898. 
IL  1890,  2.  Aufl.  1900.     III.  1896.     IV,  1.  1902. 

Histoire  Litterair e  de  la  France,  ouvrage  commence  par  des 
Religieux  Benedictins  de  la  Congregation  de  St.  Maur  et  continue 
par  des  Membres  de  l'Institut.  1733—1763.  1814—1856.  23  Vol. 
bis  ans  Ende  des  13.  Jahrhunderts.  Der  24.  Band  (1862)  eiöffnet 
das  14.  Jahrhundert. 

Historische  Zeitschrift  (auch  HZ.) ,  herausgeg.  von  Heinrich  von 
Sybel.  jetzt  von  Friedr.  Meinecke.     München  1859—1902.     1—89. 

Historisches  Jahrbuch  der  Goerres-Gesellsehaft.  1 — 23.  Münster 
1880—1902. 

Jaffe,  Bibliotheca  Rerum  Germanicarum.  I.  Monumenta  Corbeiensia,  1864. 
II.  Monumenta  Gregoriana,  1865.  III.  Monumenta  Moguntina,  1866. 
IV.  Monumenta  Carolina,  1867.  Y.  Monumenta  Bambergensia,  1869. 
A'I.  Monumenta  Alcuiniana,  1873.     Auch  als  Bibl.  angeführt. 


Verzeichnis  abgekürzt  an<,'eführter  Werke.  XVII 

Lanf^ebek,  Scrii)tores  Rerum  Danicarum  Medii  Aevi.  fortges.  v.  Suhm. 
7  T.  Hafn.  1772—1792  W  T.  V[n  v.  Engelstoft  u.  Werlauff.  1S34. 
T.  IX    Jndices.  1878. 

Leibniz,  Accessiones  historicae.  2  T.  Lips.  1698,  4.  Scriptores  Rerum 
Brunsvicensium.  3  T.  Hanov.  1707  —  1711  f.  Annales  Imperii  Occi- 
dentis  ed.  G.  H.  Pertz,  3  T.     1843—1846. 

Mabillon,  Acta  Sanctorum  Ordinis  S.  Benedicti,  aus  den  Sammlungen 
von  d'Achery,  später  unterstützt  von  Germain  und  Rninart,  9  T. 
Paris  1668—1701  f.  Nachdruck  Ven.  1733—1740.  In  der  Regel  ist 
die  Pariser  Ausgabe  zitiert.  Unter  Mab.  ohne  Zusatz  ist  immer  dieses 
Werk  zu  verstehen. 

— ,  Veterum  Analectorum  T.  1—4,  167.5—1685,  8.  Ed.  II.  1723  fol.  in 
1  Bande. 

Manitius,  Max,  Geschichte  der  christlich-lat.  Poesie  bis  zur  Mitte  des 
8.  Jahrhunderts.     Stuttg.  1891. 

Martene  et  Durand,  Thesaurus  Novus  Anecdotorum.   .5  T.   Paris  1717  f. 

,  Veterum  Scriptoruni  Amplissima  Collectio.   9  T.   Paris  1724 — 1733  f. 

M  B.  s.  Monumenta  Boica. 

Mencken,  Scriptores  Rerum  Germanicarum  praecipue  Saxonicarum. 
3  T.    Lips.  1728.  1730  f. 

Migne,  Patrologiae  Cuvsus  completus.  Paris  1844  S.  gr.  8.  Meistens 
nur  inkorrekte  und  nachlässige  Abdrücke  alter  Ausgaben,  und  des- 
halb nicht  immer  angeführt.  Kurzes  Inhaltsverzeichnis  bei  Potthast 
I,  S.  XCIII — CI,  ausführlich  bei  L.  de  Mas  Latrie,  Tresor  de  Chro- 
nologie, Paris  1889,  S.  916 — 1034,  und  in  den  eigenen  Bänden  der 
Patrologie,  T.  218—222. 

Mitteilungen  des  Instituts  für  Oesterreich.  Geschichtsforschung, 
begründet  von  Sickel,  red.  von  E.  Mühlbacher.  1 — 23.  Innsbruck 
1880—1902,  dazu  Ergänzungsband  1—6. 

Mone,  Quellensammlung  für  die  badische  Landesgeschichte,  3  Bände. 
Karlsruhe  1848—1863.  4. 

Monumenta  Boica,  angef.  als  MB.,  1 — 47,  von  28  an  Doppelbände. 
Mon.  1763  ff.,  4.  Vgl.  Böhmers  Einleitung  zu  den  Wittelsbachischen 
Regesten.     Stuttg.  1854,  4. 

Monumenta  Germaniae  historica  inde  ab  a.  C.  500  usque  ad  a.  1500, 
ed.  G.  H.  Pertz.  Zitiert  als  MG.  SS..  Legg.,  Epp.  etc.  Ein  vortreff- 
liches Hilfsmittel  zum  Auffinden  gewähren  die  Indices  von  0.  Holder- 
Egger  und  K.  Zeumer,  1890. 

Müllenhoff  und  Seh  er  er,  Denkmäler  deutscher  Poesie  und  Prosa 
aus  dem  8.-12.  Jahrhundert.  Berlin  1864.  2.  Aufl.  1873.  3.,  von 
E.  Steinmeyer,  in  2  Bänden,  1892. 

Münch.  SB.  Sitzungsberichte  der  philos.,  philol.  u.  bist.  Klasse  der  k.  B. 
Akad.  d.  Wissenschaften  zu  München.     Nach  Jahrg.  ohne  Bandzahl. 

Muratori,  Scriptores  Rerum  Italicarum.  28  T.  Med.  1723—1751  f. 
Neue  verbesserte  Ausg.  von  Carducci  seit  1900. 

NA.,  Neues  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichtskunde. 
Wattenbach,  Gescliiclitsquelleu.    I.    7.  Aufl.  II 


XVIII  \'erzeicbnis  abgekürzt  angeführter  Werke. 

1—28.   Hanu.  1876—1902,  bis  zum  13.  Bde.  redigiert  von  W.  Watten- 
bacb,  vom  14.  an  durch  H.  ßrefslau.     Angef.  als  NA. 

Oefele.  Rerum  Boicarum  Scriptores.     2  T.     Augustae  17G3  f. 

P  e  r  t  z ,  s.  Archiv  und  Monumenta. 

Pez.  B.,  Thesaurus  Anecdotorum  Novissimus.  6  T.  Aug.  1721 — 1729  f. 
Der  letzte  Band  bat  auch  den  Titel:  Codex  diplomatico-bistorico- 
epistolaris,  in  3  Teilen. 

Pez,  H.,  Scriptores  Rerum  Austriacarum.     3  T.     Lips.  1721 — 1745  f. 

Pistorii  Rerum  Germanicarum  Scrijjtores  aliquot  insignes,  ed.  III.  cur. 
Struvio.     3  T.     Rat.  1726  f. 

Potthast,  Bibliotheca  historica  Medii  Aevi,  Berlin  1862.  1868.  2.  Ausg. 
in  2  Bänden,  Berlin  1896. 

(Pusch  und  Froelich)  Diplomataria  Sacra  Styriae.  2  T.  Vienn.  1756,  4. 

Rettberg,  Kirchengeschichte  Deutschlands.  2  Bde.  Göttingen  1845 
bis  1848. 

R  6  üb  er,  Veterum  Scriptorum  .  .  .  tomus  unus.  1584.  Ed.  III.  cur. 
G.  Ch.  loannis.     Francf.  1726  f. 

Ro  n c a  11  i u s ,  Vetustiora Latinorum  Scriptorum  Chronica.  2  T.  Patav.  1787,  4. 

Schannat,  Vindemiae  Litterariae.     2  T.     Fuld.  1723  f. 

Schmidt,  W.  A.,  Zeitschr.  f.  Geschichtswiss.   9  Bde.   Berlin  1844—1848. 

Schöttgen  et  Kreysig,  Dij^lomataria  et  Scriptores  historiae  Germ, 
medii  aevi.     3  T.     1753—1760  f. 

S  t  ä  1  i  n ,  Wirtemberg.  Geschichte.     4  Bde.     Stuttg.  1841— 1873. 

Surius,  De  probatis  Sanctorum  Historiis,  1—6,  Col.  1570—1575.  Ed.  IT. 
(T.  VII.  von  Mosander  mit  Register  zu  beiden  Ausgaben,  Nachträgen 
u.  Martyrol.  Adonis)  1576—1581.  Ed.  III.  Col.  1618  f.  in  12  Bänden. 
Ed.  Taurin.  (Marietti)  1875—1880. 

Tengnagel.  Vetera  Monumenta  contra  Schismaticos,  Ingoist.  1612,  4. 
Wiederholt  in  Opp.  Gretseri  Vol.  VI,  429—601.     1735  f. 

Teuf  fei,  W.  S. ,  Geschichte  der  römischen  Litteratur,  1.  Aufl.  1871. 
5.  Aufl.  (von  L.  Schwabe)  1890.  Da  die  betreifenden  Paragraphen 
leicht  zu  finden  sind,  habe  ich  sie  nur  an  wenigen  Orten  nngeführt. 

Traube,  Ludwig,  Karolingische  Dichtungen,  untersucht  (Schriften  zur 
germ,  Philologie,  her.  von  M.  Roediger).     Berlin  1888. 

— ,  0  Roma  nobilis.  Philologische  Untersuchungen  aus  dem  Mittelalter. 
(Abhandl.  der  k.  Bayer.  Akad.  d.  Wiss.  I.  Kl.  19.  Bd.  II.  Abteil.) 
München  1891. 

— ,  Textgeschichte  der  Regula  S.  Benedicti.  (Abhandl.  der  k.  Bayer. 
Akad.  d.  Wiss.     III.  Kl.  21.  Bd.  III.  Abteil.)     München  1898. 

Ughelli,  Italia  Sacra.  9  T.  Romae  1644— 1662  f.  Sehr  vermehrte  Aus- 
gabe von  M.  Coleti.     10  T.     Ven.  1717—1722  f. 

Waitz-Aufsätze.  Historische  Aufsätze  dem  Andenken  an  Waitz  ge- 
widmet.    Hannover  1886. 

Watt  er  ich,  Pontificum  Romanorum  Vitae,  I.  II.     Leipzig  1862. 

Wiener  SB.     Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  Phil.-hist.  Klasse. 


Inhalt. 


Littcrarische  Einleitung-. 

Seite 

§     1.     Die  Ausgaben  des  16.  Jahrhunderts 1 

§    2.     Die  katholische  Kirche.     Die  Heiligenleben 9 

§     3.     Sammlungen  für  Landesgeschichte 12 

§    4.     Die  Monumenta  Germaniae  historica 18 

§     5.     Andere  Arbeiten  des  19.  Jahrhunderts 32 

I.  Die  Vorzeit. 

Von  den  ersten  Anfängen  bis  zur  Herrschaft  der  Karolinger. 

§     1.     Die  Römerzeit.     Legenden 41 

§    2.     Das  Leben  des  heiligen  Severin AO 

§     3.     Die  Anfänge  u.  Gattungen  der  christlichen  Geschichtschreibung  f)7 

§    4.     Die  Ostgoten.     Cassiodor 72 

§     5.       ,            „              Jordanis 80 

§    6.     Die  Westgoten.     Isidor       87 

§    7.     Die  Franken 9(j 

§     8.       ,           „         Gregor  von  Tours       103 

§    9.       ,           ,         Fredegar 114 

ij  10.       ,           ,         Die  Thaten  der  Frankenkönige 118 

§11.       ,           ,         Fränkische  Heiligenleben 124 

II.  Die  Karolinger. 
Vom  Anfang  des  8.  bis  zum  Anfang  des  10.  Jahrhunderts. 

§     1.     Neue  Anfänge  der  Geschichtschreibung.    Fredegars  Fortsetzer  141 

§     2.     Die  Angelsachsen 145 

§    3.    Die  Annalen 1.54 

§    4.     Karl  der  Grofse.     Allgemeines 167 


XX  Tnbiilt. 

Seite 

^     5.     Paulus  Diaconus 177 

§     6.     Alcvin 186 

J?     7.     Angilbert       191 

§    8.    Einhard 198 

§    9.    Die  Reichsannalen 210 

§  10.     Ludwigs  des  Frommen  Zeit 226 

§11.     Der  Streit  der  Söhne.     Nithard .  233 

s5  12.     Frecliulfs  Weltchronik  und  andere  Chroniken 237 

§  13.  Deutschland  unter  den  Karolingern.     Reichsannalen     .     .     .  241 

§  14.     Fulda,  Hersfeld.  Mainz 251 

§  15.    Schwaben 266 

§  16.     Bayern  und  Franken 287 

§  17.     Sachsen.     Münster,  Bremen,  Hamburg 293 

§  18.           „            Corvey,  Gandersheim 299 

§  19.     Lothringen 308 

§  20.     Frankreich 322 

§  21.     Italien 337 

III.  Die  Zeit  der  Ottonen. 

Von  Heinricli  I.  bis  zum  Tode  Heinrichs  H..  919—1024. 

§     1.     Allgemeines       350 

§     2.     Sachsen.     Corvey 363 

§     3.           „            Gandersheim,  Quedlinburg 369 

§    4.           „           Hildesheim 381 

§     5.           ,            Magdebui-g,  Merseburg 385 

§     6.     Miiinz,  Hessen  und  Franken 395 

§     7.     Lothringen.     Köln.  Trier,  Metz  . 401 

§    8.              ,             Lüttich 423 

§     9.     Alamannien       439 

ii  10.     Bayern      .     .^ 449 

§  11.     Frankreich.     Reims 456 

§  12.              ,              Cluny 472 

ij  13.     Italien.     Liudprand 474 

V?  14.          ,          Chroniken 483 

§  15.          „          Biographien 487 

Register 490 


Litterarisc]ie  Einleitimg. 


§  1.  Die  Ausgaben  des  16.  Jahrhunderts. 

Ungeachtet  des  grofsen  Unterschiedes  zwischen  den  Denkmälern 
des  klassischen  Altertums  und  des  ^Mittelalters  findet  sich  doch  auch 
in  ihnen  viel  Uebereinstimmendes,  haben  sie  oft  ähnliche  Schicksale 
geteilt.  Bis  gegen  den  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  las  man  in 
den  Schulen  noch  häufig  und  fleifsig  die  alten  Autoren,  und  hielt 
sich  für  die  Geschichte  der  näheren  Vergangenheit  an  echte  und 
unverfälschte  Quellen.  In  den  nächsten  Jahrhunderten  tritt  beides 
mehr  zurück.  Auch  die  ausgezeichnetsten  Geister  begnügen  sich  mit 
phantastischen  A^'orstellungen  von  der  Vorzeit,  ohne  deren  Richtig- 
keit zu  prüfen.  Die  alten  Schriftsteller  verschwinden  aus  dem 
Unterricht,  abgeschmackte  Fabeln  überwuchern  bei  den  Chronisten 
die  Geschichte,  und  die  einfachere,  wahrheitsliebende  Darstellung 
der  Zeitgenossen  findet  solchen  Entstellungen  gegenüber  keine  Be- 
achtung. Fast  gänzlich  scheint  der  Sinn  für  Kritik  verloren,  bis 
wir  im  15.  Jahrhundert  wieder  einzelne  Spuren  davon  wahrnehmen, 
worauf  dann  bald  die  Bestrebungen  der  Humanisten  für  die  Wieder- 
belebung der  klassischen  Studien  auch  der  Kunde  des  früheren 
Mittelalters  zu  gute  kommen. 

In  Italien  freilich  ist  es  das  römische  Altertum  fast  ausschliefs- 
lich,  welches  die  Geister  beschäftigt;  als  dazu  auch  die  Griechen- 
welt noch  hinzutrat,  wandte  man  sich  dieser  fernen  Vergangenheit 
völlig  zu,  und  die  platonische  Akademie  hat  mit  der  Gegenwart 
und  den  aus  dem  Christentum  erwachsenen  Zuständen  kaum  eine 
Berührung. 

Anders  in  Deutschland.    Hier  richtet  sich  die  Kritik  sogleich  auf 

Wat  t  e  nb  a  c  li ,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Autl.  1 


2  Einleitung  §  1. 

die  Urkunden  der  christlichen  Religion,  und  die  drückend  empfundene 
päpstliche  Herrschaft  veranlafst  zur  Prüfung  der  Ueberliet'erung. 
Da  werden  die  alten  lauteren  Quellen  der  Geschichte  wieder  ans 
Tageslicht  gezogen,  und  gefeierte  Humanisten  wenden  auch  diesem 
Felde  ihre  Thätigkeit  zu.  Das  lebhaft  erwachende  Volksbewufstsein 
konnte  ebenfalls  in  der  römischen  Vorzeit  nicht  Befriedigung  finden, 
wie  es  in  Italien  der  Fall  war,  und  wie  mit  den  reformatorischen 
Bestrebungen  diesseit  der  Alpen  überall  ein  kräftiger  Aufschwung 
der  Landessprache  zusammenfällt,  so  auch  ein  eifriges  Erforschen 
der  heimischen  Geschichte  ^).  Merkwürdigerweise  ist  es  der  italie- 
nische Humanist  Aeneas  Silvius  aus  Siena,  den  zuerst  seine 
Forschungen  über  österreichische  Geschichte  zur  Bekanntschaft  mit 
Otto  von  Freising  führten,  der  durch  eine  Goetweiher  Handschrift 
Jordanis  Gotengeschichte  kennen  lernte-).  Wenig  später  (1457) 
benutzte  Peter  Luder  mangelhafte  Quellen  zu  rhetorischer  Dar- 
stellung deutscher  Vorzeit  ^)  und  Hartmann  Schedel  sammelte 
neben  altrömischen  auch  deutsche  Inschriften  und  Chroniken  •*). 

Mehrere  unserer  besten  Geschichtsquellen  sind  uns  nur  in  Ab- 
schriften des  15.  Jahrhunderts  erhalten,  gerade  wie  so  manche 
Klassiker,  und  den  Handschriften  reihen  sich  bald  die  ersten  Drucke 
an.  Schon  in  diesem  Jahrhundert,  um  1472,  wurde  in  Nürnberg 
Honorius  De  imagine  mundi  gedruckt;  in  Ulm,  1473,  erschien  die 
deutsche  Uebersetzung  der  Flores  temporum  von  dem  ülmer  Arzt 
H.  Steinhöwel;  zwischen  1470  und  1474,  vermutlich  zu  Augs- 
burg^), die  Historia  Friderici  I,  welche  nichts  anderes  ist  als  ein 
Teil  der  ürsperger  Chronik.  Denn  nicht  als  Quellen  für  gelehrte 
Forschung  betrachtete  man  damals  diese  Schriften ;  noch  waren  sie 
unmittelbar  als  darstellende  Geschichtswerke  willkommen,  da  man 
in  der  Sprache  sowohl  wie  in  der  ganzen  Denkweise  jenen  Zeiten 
noch  nicht  so  fern  stand ,  dafs  es  eines  eigenen  Studiums  bedurft 
hätte,  um  sich  an  den  Schriften  des  Mittelalters  zu  erfreuen,  sie 
auch  nur  zu  verstehen. 

Zu  den  eifrigsten  Sammlern  und  Forschern  gehörte  der  gelehrte, 

')  S.  die  Darlegung  dieser  Richtung  der  humanistischen  Studien 
in  Deutschland  bei  R.  v.  Raumer,  Gesch.  d.  Genn.  Philologie  (1870)  am 
Anfang  und  bei  Wegele,  Gesch.  der  Deutschen  Historiographie  (1885), 
S.  44  flg. 

-)  G.  Voigt,  Enea  Silvio  II,  312.  314.  320;  Wegele  S.  36-88. 

')  Wattenbach  in  d.  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrh.  XXIII,  24.  Ders., 
AUg.  D.  Biogr.  XIX,  376. 

*)  Wattenbach,  Forsch.  XI,  373.     Allg.  D.  Biogr.  XXX,  661. 

•^)  O.Abel,  Archiv  XI,  81.  Giesebrecht,  SB.  d.  Münch.  Akad.  1881, 
I,  211.     Vgl.  Ph.  Strauch,  Allg.  D.  Biogr.  XXXV,  730. 


Die  Forschungen   dev  Humanisten.  3 

aber  phantastische  Abt  von  Sponlieim,  Johann  von  Trittenheini 
(Trithemius) ') ,  der  nur  leider  seine  in  der  That  bewunderungs- 
würdige Thätigkeit  und  Litteraturkenntnis  durch  kecke  Fälschungen 
selbst  um  den  Ruhm  gebracht  hat ,  welcher  ihr  sonst  gebühren 
würde.  In  seinem  Auftrage  durchforschte  der  Bosauer  Mönch  Paul 
Lang  1515  viele  Klöster  nach  Werken  über  die  deutsche  Ge- 
schichte^). 

Vor  allen  aber  war  es  Kaiser  Maximilian,  welcher  die  Er- 
forschung der  deutschen  Geschichte,  d.  h.  vornehmlich  der  Habs- 
burgischen Plausgeschichte,  auf  alle  Weise  beförderte  und  sogar 
selbst  dai'an  teilnahm.  Ueberall  liel's  er  nach  alten  Urkunden  und 
Chroniken  suchen  und  belohnte  jeden  Fund ;  sein  Historiograph 
Stabius  (t  1522)  sollte  daraus  ein  grolses  Geschichtswerk  zu- 
sammensetzen ^).  Die  bedeutendsten  Gelehrten  der  Zeit  wusste  er 
an  seinem  Hofe  zu  vereinigen,  und  die  Wiener  Universität  erreichte 
unter  ihm  ihre  höchste  Blüte;  sie  soll  damals  an  7000  Studenten 
gezählt  haben ,  und  viele  der  angesehensten  Humanisten  fanden 
dort  begeisterte  Schüler^).  Auf  sein  Geheifs  bereiste  von  1498  bis 
1505  Ladislaus  Suntheim  aus  Ravensburg  (f  1513)  das  süd- 
westliche Deutschland,  um  die  Materialien  zu  einer  genealogischen 
Geschichte  des  habsburgischen  und  anderer  deutscher  Füi'stenhäuser 
zusammenzubringen^).  Seinem  gelehrten  Arzte  Johann  Spiefshaymer, 
der  sich  Cuspinian  nannte''),  gab  Maximilian  1508  den  Auftrag, 

^)  Monographie  über  ihn  von  Silbernagel,  2.  Aufl.  1885 ;  Schneegans, 
Abt  Johannes  Trithemius,  1882. 

^)  Horawitz  in  d.  Allg.  D.  Biogr.  XVII,  614.  Nachrichten  über  Paul 
Lang  in  „Das  Chronicon  Citizense  des  Benediktinermönches  Paul  Lang 
im  Kloster  Bosau  und  die  in  demselben  enthaltenen  •.Juellen".  Von 
K.  E.  Hermann  Müller  im  Neuen  Archiv  für  Sachs.  Gesch.  XIII  (1892), 
S.  279 — 314.  Ausser  den  Auszügen  aus  Lamberts  Hersfelder  Geschichte 
ohne  Bedeutung  für  die  ältere  Zeit. 

^)  üeber  ihn  Aschbach,  Gesch.  d.  kais.  Univ.  zu  Wien  II,  363 — 873. 
Von  den  Belohnungen  spricht  Beatns  Rhenanus,  Rer.  Genn.  libri.  III, 
p.  113,  ed.  1651;  p.  202.  203,  ed.  1610.  Vgl.  besonders  Simon  Laschitzer, 
Die  Genealogie  des  Kaisers  Maximilian  I.  in  dem  (Wiener)  Jahrbuch  der 
kunsthistor.  Sammlungen  VII,  1 — 46. 

•*)  Khautz .  Versuch  einer  Geschichte  der  Oesterr.  Gelehrten  (1755), 
S.  121—125.  Vgl.  Kink,  Gesch.  der  kais.  Univ.  zu  Wien  I.  226.  Aschbach, 
Gesch.  ders.  Univ.  I,  200  ff.  Zweiter  Band  1877  u.  d.  Titel :  Die  Wiener 
Universität  und  ihre  Humanisten  im  Zeitalter  Maximilians  I. 

•')  Franz  Pfeiffer.  Das  Donauthal  von  Ladislaus  Suntheim,  im  Jahr- 
buch für  vaterl.  Geschichte  (Wien  1861),  S.  273—297.  Ueber  ihn  Asch- 
bach II,  377—381.  S.  878  die  Instruktion  von  1505;  Wegele  S.  105—110; 
Heyd,  Allg.  D.  Biogr.  XXXVII,  161. 

«)  Ueber  ihn  Aschbach  II,  284—309;  Horawitz,  Allg.  D.  Biogr.  IV, 
662— 664;  G.  Schepss  im  Archiv  f.  Unterfranken.  1884. 


4  Einleitung  §  1. 

Bücher  aus  allen  Teilen  des  Reichs  zu  sammeln ,  und  einen  ähn- 
lichen Auftrag  hatte  auch  Dr.  Jacob  Mennel  aus  Bregenz  (Manlius) 
erhalten  '),  von  welchem  der  Kaiser  sich  nachts,  wenn  er  an  Schlaf- 
losigkeit litt,  aus  den  alten  Schriften  vorlesen  liefs').  Auch  der 
talentvolle,  aber  unstäte  Dichter  Konrad  Celtis  (Pickel),  welchen 
Maximilian  im  Jahre  1497  nach  Wien  berufen  hatte,  erhielt  im 
folgenden  Jahre  vom  Kaiser  die  Mittel  zu  seiner  letzten  grofsen 
Reise  in  den  fernen  Norden,  deren  Frucht  die  Germania  iUustrata 
sein  sollte,  Celtis'  lange  versprochenes  Hauptwerk,  für  welches  er  aber 
bei  seinem  Tode  1508  nur  Vorarbeiten  hinterlassen  hat '").  Doch  sind 
seine  eifrigen  Forschungen  nicht  ohne  bedeutende  Frucht  geblieben. 
Im  Kloster  St.  Emmeram  zu  Regensburg  entdeckte  er  die  Werke 
der  Nonne  Hrotsvit,  welche  er  1501  herausgab.  Im  fränkischen 
Kloster  Ebrach  fand  er  den  Ligurinus,  über  den  er  selbst  in  Wien, 
seine  Freunde  in  Freiburg,  Tübingen,  Leipzig  Vorlesungen  hielten ; 
1507  besorgten  seine  Augsburger  Freunde  den  Druck.  Ihm  danken 
wir  auch  die  Entdeckung  der  Tabula  Pcutingeriana ,  jener  merk- 
würdigen römischen  Strafsenkarte  des  2.  Jahrhunderts,  mit  späteren 
Zusätzen  erhalten  in  einer  Kopie  des  13.  Jahrhunderts,  welche  sich 
ietzt  in  der  Wiener  Hofbibliothek  befindet'*).  Ihren  Namen  führt 
sie  davon,  dafs  Celtis  sie  in  seinem  Testamente  dem  gelehrten  Augs- 
burger Patrizier  Konrad  Peu tinger-')  vermachte.     Dieser,    der 

^)  Der  Rat  von  Freiburg  im  Breisgau  meldet  1509  K.  Max,  der  be- 
stellte Dr.  Jakob  Mennel  könne  mit  den  Chroniken  nicht  auf  den  Reichs- 
tag nach  Worms  kommen,  weil  er  nach  Oesterreich  verreist  sei.  Zeitschr. 
f.  Gesch.  d.  Oberrh.  XVII,  254.  Am  31.  März  1510  beauftragte  M.  ihn  mit 
geschichtlichen  Forschungen  über  die  Häuser  Oesterreich  und  Burgund. 
X"gl.  auch  Th.  Gottlieb,  Büchersamml.  Kaiser  Maximil.  I.,  Leipz.  1900,  S.  49  ff. 

-)  M.  Freheri  SS.  ed.  Struv.  II,  707.  Ueber  seine  eigenen  sehr  mangel- 
haften Leistungen  Horawitz,  Allg.  D.  Biogr.  XXI,  358—362.  Vgl.  Ph.  Lud- 
wig, Die  Konstanzer  Geschichtschreibung  (1894),  S.  38  ff. 

^)  Engelb.  Klüpfel  de  vita  et  scriptis  Conradi  Celtis  Protucii,  Frib. 
1827.  Erhard ,  Geschichte  des  Wiederaufblühens  wissenschaftlicher  Bil- 
dung (1830),  II,  1 — 146  und  in  der  Encyklop.  von  Ersch  und  Gruber  21. 
135.  Kink  a.a.O.  S.  201  f.  Aschbach  II,  189-270.  Job.  Huemer  in 
d.  Allg.  D.  Biogr.  IV,  82—88.  Bursian,  Gesch.  d.  klass.  Phil,  S.  109—117. 
Ueber  die  Angriffe  auf  die  Echtheit  der  von  ihm  entdeckten  Werke  s. 
unten  bei  Hrotsvit  und  Ligurinus. 

■*)  Die  ältere  Ansicht,  Avelche  sie  dem  Verfasser  der  Annalen  von 
Kolmar  zuschrieb,  bekämpft  Jaffe,  MG.  SS.  XVII,  187.  Vgl.  Frid.  Philippi 
de  tab.  Peuting.  Diss.  Bonn  1876.  Die  neue  Pariser  Ausgabe  von  Des 
Jardins  ist  unvollendet  geblieben.  Konr.  Miller,  Die  Weltkarte  des  Ca- 
storius,  gen.  die  Peut.  Tafel.  In  den  Farben  des  Orig.  und  mit  einleit. 
Text  (mangelh.).  Ravensburg  1888.  Rec.  v.  G.  Hirschfeld,  Berl.  philol. 
Wochenscbr.  VIII,  20,  der  sich  hier  besonders  gegen  die  Heranziehung 
des  Namens  Castoriua  wendet. 

'')  Ueber  ihn  s.  Th.  Herberger,  Konrad  Peutinger  in  seinem  Verhält- 


Die  Forschungen  der  Humanisten.  5 

ebenfalls  von  Maximilian  zu  seinem  Rat  erhoben  war  und  fort- 
während für  künstlerische  und  gelehrte  Zwecke  in  Anspruch  ge- 
nommen wurde,  war  150G  beim  Kaiser  in  Klosterneuburg,  um  die 
alten  Briefe  des  Hauses  Oesterreich  zu  besichtigen,  und  erhielt  ein 
eigen  Gemach  in  der  Wiener  Burg,  wohin  „S.  Mt.  von  allen  orten 
Cronica  und  historien  bringen  lassen".  Er  selbst  besafs  in  seiner 
reichhaltigen  Bibliothek  die  wertvollsten  deutschen  Geschichtsquellen, 
und  wir  verdanken  ihm  mehrere  vortreffliche  Ausgaben,  die  aber 
Peutingers  Namen  nicht  auf  dem  Titel  tragen.  Nachdem  er  1507 
bei  der  Herausgabe  des  Ligurinus  geholfen,  erschien  1515  aus  der 
in  seinem  Besitze  befindlichen  Abschrift  die  erste  Ausgabe  des 
Chronicon  Urspergense,  besorgt  von  Joh.  Mader  ') ;  gleichzeitig  er- 
schienen, von  Peutinger  bearbeitet,  Jordanis  de  Rebus  Geticis  und 
Pauli  Diaconi  historia  Langobardorum  ^),  eine  sehr  gute  Ausgabe, 
gegen  welche  die  1514  zu  Paris  von  Guillaume  Petit  besorgte 
Ausgabe  des  Paulus  weit  zurücksteht.  Doch  verdienen  auch  die 
Bestrebungen  dieses  Buchhändlers,  bei  welchem  1512  Gregor  von 
Tours,  1513  Sigebert,  1514  aufser  Paulus  noch  Liudprand  und 
Aimoin  erschienen,  unsere  Anerkennung. 

Ebenfalls  im  Jahre  1515  besorgte  der  schon  erwähnte  Cuspinian, 
zusammen  mit  dem  kaiserlichen  Historiographen  Stabius,  in  Strafs- 
burg eine  vortreflFliche  Ausgabe  des  Otto  von  Freising  mit  der  Fort- 
setzung des  Ragewin.  Ebenda  waren  bereits  im  Jahre  1508  von 
dem  Breisgauer  Gervasius  Soupher  die  Gesta  Heinrici  IV.  heraus- 
gegeben, mit  einem  Vorwort,  welches  von  stolzem  Selbstgefühl  den 
Franzosen  gegenüber  erfüllt  ist.  Von  ähnlicher  Denkungsart  zur 
Ehrenrettung  dieses  vielgeschmähten  Kaisers  getrieben,  gab  Aventin 
(Joh.  Turmair)  1518  in  Augsburg  die  schöne  prosaische  Lebens- 
beschreibung desselben  heraus;  er  war  ein  Schüler  von  Celtis  und 
hatte  sich  nach  dessen  Vorbild  der  deutschen  Geschichte  schon  früh 
eifrig  zugewandt '').     Für  seine  Annales  Boiorum   sammelte   er   ein 

nisse  zum  Kaiser  Maximilian.  Augsburg  1851.  4.  H.  A.  Lier,  Allg.  D. 
Biogr.  XXY,  561—568;  Wegele,  Historiogr.  S.  110—116.  Verzeichnisse 
seiner  Bibliothek  in  den  Münchener  Hss.  4021  b.  c.  d. 

')  0.  Abel  im  Archiv  XI,  77.  79,  berichtigt  von  Giesebrecht  in  d.  SB. 
d.  Münch.  Akad.  1881,  I,  208-210. 

-)  Archiv  YII,  314. 

')  Ueber  Aventin  s.  Wegele,  Allg.  D.  Biogr.  I,  700—704,  Historiogr. 
S.  261  —  277.  u.  Bayer.  Bibl.  X  (1890).  Krit.  Ausgabe  seiner  Werke  durch 
die  bayer.  Akad.  1881—1886,  darin  die  Annalen  (II.  III.)  von  Riezler, 
die  Chronik  (IV.  V.)  von  Lexer.  Vgl.  W.  Meyer,  Philol.  Bemerkungen 
zu  Aventins  Annalen,  u.  Aventins  Lobgedicht  auf  Albrecht  IV.  von  1507, 
Abh.  d.  Münch.  Akad.  I.  Cl.  XVII.  3.  Abt.  1886.  Riezlers  Entgegnung  ebend. 
III.  Cl.  XVII.  Ueber  seine  geplante  Berufung  nach  Strassburg  (1531)  M.  Lenz, 


g  Einleitung  §  1. 

überaus  reiches  Material,  zumal  auch  an  Urkunden,  und  einzelne 
seiner  Quellen  sind  nur  durch  ihn  ei-halten  worden.  So  traten 
nacheinander  die  vorzüglichsten  Geschichtschreiber  des  deutschen 
Mittelalters  ans  Licht;  1521  erschienen  in  Köln  auch  die  Werke 
Einhards,  herausgegeben  von  dem  Grafen  Hermann  von  Nuenar'); 
in  Mainz  die  Chronik  des  Regino  von  Sebastian  von  Rotenhan"). 
Besonders  eifrig  aber  nahmen  die  Protestanten,  denen  auch 
Aventin  zuneigte,  diese  Bestrebungen  auf;  sie  fanden  bald  auch 
unter  diesen  Schriften  Waffen  gegen  die  päpstlichen  Ansprüche,  und 
die  Streitschriften  des  11.  Jahrhunderts  erschienen  selbst  für  den 
veränderten  Standpunkt  des  16.  noch  verwendbar.  Hatte  man  doch 
schon  lange  im  Einklänge  mit  der  wachsenden  Erbitterung  gegen 
den  entarteten  Klerus  die  scharfen  Satiren  des  früheren  Mittelalters 
hervorgezogen,  so  in  Köln  bald  nach  14-70  und  mehrmals  wieder- 
holt den  Pseudo- Ovidius  de  Vetula  mit  seinen  Ausfällen  gegen  sitten- 
lose Prälaten,  und  den  Brunellus  mit  der  schonungslosen  Verspottung 
der  Mönche.  Die  Schrift  des  Spaniers  Alvarus  Pelagius  Be  planctu 
ecclesiae,  in  welcher  er  unter  dem  Eindruck  seiner  Erfahrungen  an 
der  Kurie  in  Avignon  den  verderbten  Zustand  der  Kirche  beklagt, 
1340  in  Portugal  zuletzt  überarbeitet,  erschien  schon  1474  in  Ulm 
bei  Johann  Zainer  von  Reutlingen,  und  wurde  1517  in  Lyon  wieder- 
holt. Lupolds  von  Bebenburg  Schrift  Germanoram  principum  zelus 
in  christianam  religionem  erschien  1497  in  Basel.  Die  Epistola 
Luciferi  ad  malos  principes  ecciesiasticos,  eine  sehr  bittere  Satire, 
welche  1351  in  Avignon  zum  Vorschein  kam  und  in  vielen  Ab- 
schriften verbreitet  war,  wurde  nach  einer  nicht  mehr  bekannten 
Pariser  Ausgabe  1507  in  Strafsburg  gedruckt,  um  1530  in  einem 
Einzeldruck  o.  J.  wiederholt  und  1549  in  Magdeburg  von  Flacius 
Illyricus  herausgegeben^).  Derselbe  wiederholte  1550  die  deutsche 
Uebersetzung  des  Briefes,  welche  schon  1521  o.  0.  erschienen  war*). 
Ulrich  von  Hütten  gab  1520  die  Walram  von  Naumburg  fälsch- 
lich zugeschriebene  Schrift  gegen  Gregor  VII.,  De  unitate  ecclesiae 
conservanda,  heraus,  welcher  bald  noch  mehrere  Schriften  verwandten 

Zeitschr.  f.  d.  Gesch.  des  Oberrheins,  N.  F.  IX,  629—637,  vgl.  Geschicht- 
schreibung im  Elsass  (1895),  Schriften  des  Vereins  für  Ref.  Gesch.  49. 

*)  UeVjer  den  Codex  Steinveldensis  (jetzt  Brit.  Mus.  21109),  durch 
dessen  Auffindung  Nuenar  gegen  den  Vorwurf  willkürlicher  Aenderungen 
gerechtfertigt  ist,  s.  Archiv  VII,  364. 

2j  üeber  ihn  s.  Wegele,  Allg.  D.  Biogr.  XXIX,  299. 

*)  Anz.  d.  Germ.  Mus.  XVI  (1869),  Sp.  9.  Lieber  diesen  u.  andere 
Teufelsbriefe  s.  Wattenbach,  SB.  d.  Berl.  Ak.    Febr.  1892. 

■•)  E.  Weller,  Die  ersten  deutschen  Zeitungen,  S.  90. 


Ausgaben  der  Protestanten.  7 

Geistes  aus  der  Zeit  des  Schisma  und  der  Reformbewegung  des  1-i.  und 
15.  Jahrhunderts  folgten')-  So  erschien  1-">21  in  Wittenberg  der  dem 
Bischof  Ulrich  von  Augsburg  untergeschobene  Brief  unter  dem  Titel : 
Hulderichi  Aiifj.cp.einstoJa  advcrsus  consfUiifioncm  de  clcri  corlihnlu. 
Der  Kölner  Humanist  Jakob  Sobius  gab  1521  in  Basel  die  Kommen- 
tare des  Aeneas  Silvius  nebst  anderen  Stücken  von  verwandtem  Inhalt 
(darunter  Beno)  heraus,  eine  Sammlung,  welche  1535  in  Köln  mit 
neuen  Zuthaten  von  Ortwinus  Gratius  wiederholt  wurde,  dessen 
Standpunkt  in  seinem  späteren  Leben  ein  von  dem  früheren  sehr 
verschiedener  wurde").  Im  Jahre  1529  wurden  zu  Hagenau  die 
ersten  Briefe  Peters  de  Vinea  gedruckt,  weil  sie  auch  für  die  Gegen- 
wart zutreffend  zu  sein  schienen.  Unbefangener  liefs  Mel an chthon 
es  sich  angelegen  sein ,  den  Schulunterricht  in  der  Geschichte  zu 
fördern.  Sehr  nachdrücklich  spricht  er  sich  über  den  hohen  Wert 
der  Geschichte  aus  in  der  an  Sigismund  von  Brandenburg,  Erz- 
bischof von  Magdeburg,  gerichteten  Widmung  des  von  ihm  1558 
für  die  Schulen  bearbeiteten  Chronicon  Carionis  ^).  Schon  1525  gab 
Kaspar  Churrer  in  Tübingen  die  Chronik  Lamberts  nach  einer 
Abschrift  heraus,  welche  Melanchthon  ihm  geschickt  hatte,  und 
1556  begleitete  dieser  Siegmund  Schorkels  Ausgabe  des  Helmold 
mit  einem  Brief  an  den  Herzog  von  Stettin. 

In  Basel,  wo  schon  1529  Joh.  Sichardus,  dem  wir  auch  die 
ersten  Ausgaben  von  deutschen  Volksrechten  verdanken,  die  Chro- 
niken des  Hieronymus,  Prosper,  Cassiodor,  Hermannus  Contractus 
mit  einer  Widmung  an  den  Kardinal  Albrecht  von  Brandenburg 
herausgegeben  hatte,  besorgten  die  Buchhändler  Heer  wagen,  die 
auch  Melanchthons  Verleger  waren,  1531  eine  Sammlung,  welche 
den   Prokop ,    Agathias   übersetzt   und   Jordanis    (die  Romana  zum 

')  Straufs,  Ulrich  von  Hütten  II,  47.  55.  166.  3-20.  358. 

^)  David  Clement,  Bibliotheque  curieuse  (1759)  VIII,  241  weist  die 
Autorschaft  des  Jakobus  Sobius  nach,  S.  243  die  des  Ortw.  Gratius, 
welcher  sie  nie  geleugnet  hat.  S.  auch  Ennen,  Gesch.  d.  Stadt  Köln, 
IV,  87—92;  L.  Geiger,  Allg.  D.  Biogr.  IX,  600—602.  Reichling,  Ortwin 
Gratius.  Heiligenstadt  1884. 

^)  Zuletzt  bei  Bretschneider ,  Corpus  Reformatorum  XII.  707.  Vgl. 
G.  D.  Hoffmann,  Abhandlung  von  Philipp  Melanchthons  Verdiensten  um 
die  teutsche  Reichs-  und  Staatsgeschichte,  Tübingen  1760.  Schon  1532 
schreibt  er:  Mi.sit  Carion  ad  ine  farvaginem  quiindam  negliyentiu^  coacer- 
vatam,  qune  n  me  disposita  est.  Ueber  Carion.s  Leben  und  Schriften 
Strobels  Miscell.  Lit.  Inhalt,  6.  Samml.  S.  139  ff.  A.  Stern  in  d.  Allg.  D. 
Biogr.  III,  781.  Dafs  Melanchthon  auch  die  Ausgabe  des  Nauclerus  1516 
besorgt  habe,  bestreiten  Herrn.  Müller,  Forsch.  XXIII,  595,  u.  M.  Spiefs 
ib.  XXVI,  138 — 140.  Winsheira  vei-wechselte  in  seiner  Gedächtnisrede 
Carion  u.  Nauclerus.     Vgl.  Lier,  Allg.  D.  Biogr.  XXIII,  296—298. 


8  Einleitung  §  1. 

erstenmal)  enthält,  mit  einer  Vorrede  von  Beatus  Rhenanus 
aus  Schlettstadt.  Dieser  hatte  auch  zum  Otto  von  Freising  das 
Titelblatt  entworfen  und  ist  dadurch  zu  dem  unverdienten  Ruhme 
gekommen,  als  ob  er  der  erste  Herausgeber  deutscher  Geschichts- 
quellen gewesen  wäre.  Die  Handschriften  aber  zu  jener  Sammlung 
hatte  Konrad  Peutinger  aus  Augsburg  geschickt^). 

Im  Jahre  1532  erschien  in  demselben  Verlage  eine  zweite  Samm- 
lung, welche  den  Widukind,  Einhard,  Liudprand  und  das  Leben 
Heinrichs  IV.  enthält,  herausgegeben  von  dem  Professor  Martin 
Fr  echt  zu  Tübingen. 

Es  würde  uns  zu  weit  führen,  wenn  wir  fortfahren  wollten,  die 
Ausgaben  des  16.  Jahrhunderts  aufzuzählen ,  denn  ihre  Zahl  ist 
nicht  gering;  besonders  die  We  che  Ische  Buchhandlung  in  Frank- 
furt verlegte  eine  ganze  Reihe  von  Sammlungen  dieser  Art  ^). 
Unsere  Absicht  war  nur,  zu  zeigen,  mit  welchem  Eifer  man  damals 
bestrebt  war,  die  echten  Quellen  der  Geschichte  wieder  ans  Licht 
zu  ziehen ;  mit  richtiger  Auswahl  wurden  die  besten  derselben  zuerst 
herausgegeben  und  mit  derselben  Sorgfalt  behandelt,  welche  die 
ersten  Ausgaben  der  alten  Klassiker  auszeichnet.  Es  war  ein  treff- 
licher Anfang  gemacht,  hinter  dem  der  gröfste  Teil  der  späteren 
Leistungen  weit  zurückblieb,  und  an  die  Ausgaben  schlofs  sich  so- 
gleich auch  die  geschichtliche  Verwertung,  getragen  von  demselben 
Geiste  wahrheitsuchender  Kritik,  die  sich  vorzüglich  der  Prüfung 
der  kirchlichen  Ueberlieferung  zuwandte.  Hervoi'zuheben  ist  unter 
diesen  Werken  die  nach  Jahrhunderten  eingeteilte  Kirchengeschichte 
der  sogenannten  Magdeburger  Centuriatoren,  Mathias  Flacius, 
Wigand  u.  a.  (Basil.  1559—1574,  13  Voll,  fol.),  weil  sie  für  ihre 
Zeit  durch  scharfe  Kritik  und  umfassende  Forschung  geradezu 
epochemachend  wirkte,  und  durch  Mitteilungen  aus  einem  reichen 
handschriftlichen  Material  noch  jetzt  schätzbar  ist  ^).    Eine  wichtige 

1)  Ueber  B.  Rhenanus  s.  A.  Horawitz  in  d.  Wiener  SB.  LXX,  189—244. 
LXXI,  643—690.  LXXII,  323—376.  LXXVIIl,  313—340.  Horawitz  u. 
Hartfelder .  Briefwechsel  des  B.  Rh.  Leipzig  1886.  Geny  u.  Knod ,  Die 
Stadtbibl.  zu  Schlettstadt,  1889. 

^)  S.  SteifF  Wechel,  Allg.  D.  Biogr.  XLT,  364—368. 

2)  Vgl.  Rinck  in  Pertz  Archiv  III,  52—56.  W.  Preger,  M.  Fl.  HI.  u. 
seine  Zeit,  2  Bde.  Erl.  1859—1861;  Allg.  D.  Biogr.  VII,  95.  W.  Schulte, 
Beitr.  z.  Entstehungsgesch.  d.  Magdeb.  Cent.  Neisse  1877.  S.  seinen  Brief- 
wechsel mit  dem  kai.s.  Rate  Kasp.  v.  Nidbruck  in  dem  Jahrb.  d.  Gesellsch. 
für  Gesch.  des  Protestantism.  in  Oesterr.  XVII,  1—24.  XVIII,  201—238. 
XIX,  96—110.  XX,  83—116,  und  Bibl,  Nidbruck  u.  Tanner  im  Arch.  der 
W.  A.  LXXXV,  379 — 430.  Flacius  gab  auch  nach  dem  Vorgange  des 
Engländers  Bale  und  von  ihm  unterstützt  die  Satiren  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  gegen  Papst  und  Klerus  heraus  unter  dem  Titel:   Gar- 


Protestantische  und  katholische  Forschung.  9 

Ergänzung  dazu  bildete  der  CaUtlogus  testium  reriUdh,  erste  Aus- 
gabe 155(5,  zweite  vermehrte  1562  und  oft  wiederholt. 

Freilich  waren  nicht  alle  gleich  bereit,  die  geschichtliche  Wahr- 
heit anzunehmen ,  und  unter  die  Ausgaben  der  echten  Quellen 
mischten  sich  bald  auch  falsche.  Schon  1498  erschien  in  Rom  der 
nachgemachte  Berosus  und  anderes  Machwerk  des  berüchtigten  (von 
Aventin  benutzten)  Annius  von  Viterbo.  Nicht  ganz  so  plump 
erfunden  waren  die  Megenfrid,  Benno  und  andere  Schriftsteller,  auf 
welche  Trithemius  sich  in  seiner  Hirschauer  Chronik  (1514) 
berief,  und  seine  Angaben  führen  deshalb  noch  jetzt  nicht  selten 
irre;  hat  doch  sogar  sein  Hunibald,  dessen  lächerliche  Larve  schon 
der  Graf  von  Nuenar  durchschaute,  noch  im  19.  Jahrhundert  Ver- 
teidiger gefunden !  Zum  ärgsten  Unfug  dieser  Art  aber  gehört  das 
1530  erschienene  Turnierbuch  von  Georg  Rüxner'),  dessen 
freche  Lügen  von  den  ahnensüchtigen  Herren  begierig  aufgenommen 
wurden  und  noch  heutigestags  hin  und  wieder  gespensterhaft 
erscheinen. 

!^  2.     Die  katholische  Kirche.     Die  Heiligenleben. 

Während  einerseits  die  neu  erwachende  kritische  Richtung  will- 
kommene Waflfen  in  der  Litteratur  des  früheren  Mittelalters  fand, 
bot  sich  andererseits  hierin  auch  der  katholischen  Kirche  ein  schöner 
Schatz  ascetischer  Schriften  dar,  und  die  Briefe  der  alten  Päpste, 
wie  die  alten  Vorkämpfer  ihrer  Ansprüche,  waren  noch  immer  zu 
brauchen.  So  finden  wir  denn,  nachdem  die  katholische  Kirche  sich 
wieder  ermannt  und  auch  wissenschaftlich  neue  Kraft  gewonnen 
hatte,  auch  von  dieser  Seite  viele  Publikationen;  der  Kardinal  Cäsar 
Baronius  setzte  den  Magdeburger  Centuriatoren  seine  Annales 
ecciesiastici  entgegen ,  welchen  die  aus  dem  Vatikanischen  Archiv 
und  anderen  Quellen  mitgeteilten  Aktenstücke  hohen  und  bleiben- 
den Wert  verleihen  ^).     Durch   gute  Ausgaben    wichtiger   neu  ent- 

mina  vetusta  ante  trecentos  annos  scripta ,  quae  deplorant  inscitiam 
evangelii  etc.  Viteb.  1548,  vermehrt  1557  als:  Varia  doctorum  piorumque 
virorum  de  corrupto  ecclesiae  statu  poemata. 

M  S.  darüber  Waitz ,  Heinrich  I.,  3.  Ausg.,  S.  265—272.  Ein  Teil 
der  Fabeln  ist  älteren  Ursprungs,  schon  1518  in  Bayern  ein  Werk  der 
Art  entstanden,  aber  Rüxnern  bleibt  doch  eine  ansehnliche  Vermehrung 
derselben. 

2)  Bis  1198  in  12  Folianten  1588—1607  erschienen.  Die  Fortsetzung 
von  Raynaldus  in  9  Folianten  bis  1565  erschien  von  1646—1677.  Aus- 
gabe von  Mansi  m.  Pagis  Kritik,  Lacae  1738 — 1759,  neuer  Abdruck  von 
Ausr.  Theiner  seit  1864. 


IQ  Einleitung  §  2. 

decktet  Quellen  machten  sich  besonders  Heinrich  Canisius')^ 
Brouwcr"),  Sirmond,  Tengnagel,  Gretser^)  verdient.  Auf 
einzelnes  einzugehen ,  würde  hier  zu  weit  fühi-en ;  nur  einen  be- 
sonderen Zweig  der  Litteratur  scheint  es  erforderlich  hier  näher  zu 
betrachten. 

Aus  den  einzeln  überlieferten  Heiligenleben  hatte  man  früh  be- 
gonnen ,  gröfsere  Sammlungen  zu  formen.  Aus  den  Handschriften 
übertrugen  sich  solche  in  die  ältesten  Inkunabeln ,  doch  waren 
sie  nur  zur  Erbauung  bestimmt.  Hin  und  wieder  bieten  sie  ein 
brauchbares  Körnchen  dar;  im  ganzen  aber  erscheinen  die  Legenden 
in  solcher  Weise  überai'beitet,  dafs  das  Triviale,  allen  Gemein- 
same, überhand  genommen  hat,  das  Geschichtliche  oft  ganz  ver- 
schwunden oder  doch  verdunkelt  ist.  Die  zahlreichen  Wunder,  die 
vielen  Fabeln  und  Albernheiten  machten  diese  Litteratur  gerade 
ganz  besonders  zum  Gegenstande  lebhafter  Angriffe ,  und  bald 
empfand  man,  dafs  sie  allen  Wert  und  Nutzen  verlieren  werde, 
wenn  man  sich  nicht  zu  einer  Sichtung  des  überkommenen  Stoffes 
entschliefsen  wolle.  Nachdem  schon  der  Mailänder  Boninus 
Mombritius  auf  alte  Handschriften  zurückgegangen  war,  die  er 
mühsam  aufsuchte,  und  durch  deren  unveränderten  Abdruck'*)  er 
sich  verdient  gemacht  hatte,  ohne  Nachfolger  zu  finden,  erschien 
ein  Jahrhundert  später  die  Sammlung  des  Kölner  Karthäusers  Laur. 
Surius  (t  1578):  Vitae  Prohatormn  Sanctorum,  die  viel  brauch- 
baren geschichtlichen  Stoff  zuerst  ans  Licht  brachte,  und  wenn  auch 
der  lateinische  Stil  etwas  überarbeitet  ist,  so  berührt  das  doch 
kaum  den  Inhalt'').  Von  Kritik  aber  ist  in  diesem  Werke  keine 
Rede,  und  die  herrschende  Meinung  der  Gebildeten  verwarf  alle 
diese  Mönchsgeschichten  als  leere  Fabeln. 

Diesen  Angriffen  gegenüber  fafste  nun  der  Jesuit  Heribert 
van  Rosweyd  (f  1629)  den  Plan,  durch  strenge  Sichtung  des  ganzen 
vorhandenen  Materials  und  Aufopferung  des  falschen  das  echte  zu 
retten  und  zu  sichern.  Er  selbst  gab  u.  a.  das  Martyrologium 
Romanum   heraus;    besonders   aber    veranlafste    er    seinen    Ordens- 


M  Neffe  des  berühmteren  Petrus,  s.  v.  Schulte  in  d.  AUg.  D.  Biogr. 
III,  749. 

')  Kraus  in  d.  Allg.  D.  Biogr.  III,  368. 

^)  Werner  in  d.  Allg.  D.  Biogr.  IX,  «45. 

*)  Sanctuarium ,  in  2  grofsen  Folianten  o.  J.  (um  1475).  Vgl.  Tira- 
boschi,  Tomo  VI,  1.  II,  c.  32.  Von  demselben  rührt  die  erste  Ausgabe 
des  Prosper  her,  welche  Holder-Egger  im  NA.  I,  22  erwähnt,  s.  Auct. 
ant.  IX,  371. 

"j  Reusch,  Allg.  D.  Biogr.  XXXVII,  166. 


Ausgaben  fliT  Hcilij^enleben.  H 

bruder  Johann  Bolland  in  Antwerpen  zu  dem  grol'sartigen  Unter- 
nehmen der  Acta  Sancforum,  wovon  1G43  der  erste  Band  erschien, 
Noch  5  Bände  gab  Bolland  selbst  heraus;  dann  liinterliels  er  die 
Fortsetzung  Daniel  Papebroch  (Papenbroeck)  und  Gottfried 
Henschen,  von  welchen  der  gediegenste  Teil  des  Werkes  gearbeitet 
ist.  Sie  gewannen  bei  ihrer  Arbeit  eine  solche  Sicherheit  der 
historischen  Kritik  und  verfuhren  mit  so  wenig  Schonung,  daCs  sie 
bald  vielfache  Angriffe  erfuhren  und  die  spanische  Inquisition  sogar 
im  Jahre  1G95  die  bis  dahin  erschienenen  14  Bände  verbot.  Man 
versuchte  auch  den  Papst  zu  einem  Verbote  desselben  zu  bewegen, 
aber  vergeblich ;  nur  Papebrochs  Chronologia  Pontificum  Romanorum 
wurde  wirklich  verboten  ^).  Mit  dem  unermüdlichsten,  mühsamsten 
Fleifse  setzten  auch  später  die  Antwerpener  Jesuiten,  welche  man 
gewöhnlich  als  Bolland isten  bezeichnet ,  das  begonnene  Werk 
fort;  ihre  Abhandlungen  wurden  immer  weitschichtiger  und  ver- 
loren an  innerem  Werte ,  während  das  Ganze  immer  langsamer 
vorrückte.  Doch  sind  noch  viele  sehr  tüchtige  Arbeiten  und  un- 
ermefsliches  historisches  Material  darin.  Durch  die  Aufhebung  des 
Ordens  wurde  das  Unternehmen  gestört;  andere  führten  es  weiter, 
dann  aber  machte  ihm  die  Occupation  Belgiens  durch  die  Franzosen 
ein  Ende.  In  neuerer  Zeit  hat  man  es  seit  1845  von  Brüssel  aus 
durch  eine  Erneuerung  der  Societe  des  Bollandistes  (zur  Zeit  be- 
stehend aus  de  Smedt,  de  Backer,  van  Ortroy,  van  den  Gheyn, 
Delehaye,  Poncelet)  wieder  aufgenommen.  Bis  jetzt  sind  mehr  als 
60  Folianten  erschienen,  welche  bis  zum  (4.)  November  reichen,  denn 
das  ganze  Werk  folgt  der  Ordnung  des  Kalenders.  Neben  der  Fort- 
setzung des  Hauptwerkes  gehen  seit  1881  Analecta  BoUandiana  ein- 
her, mit  sehr  wertvollen  Ergänzungen  durch  neue  Funde,  kritischen 
Untersuchungen,  litterarischen  Besprechungen  u.  s.  w. '^).  Die  Auf- 
findung eines  bestimmten  Heiligen  war  früher  nicht  leicht;  man 
bedurfte  dazu  der  Kenntnis  seines  Tages,  wozu  das  Heiligenlexikon 
(von  Schmaufs),  Gott.  1719,  8,  brauchbar  ist,  welches  zugleich 
zur  vorläufigen  Orientierung  dienen  kann.  Gegenwärtig  aber  bietet 
Potthasts  Bibliothcca  historica,  2.  Ausg.,  in  dem  Artikel  7?Ya  II, 

^)  S.  Rettberg,  Art.  Papebroch  in  der  Encyklopädie  von  Ersch  und 
Gruber.  A.  Schaler,  Zur  Ge,.schichte  des  Werkes  Acta  Sanctorum ,  Sera- 
peumVII,  305  ff.  Pitra.  Etudes  sur  la  coUection  des  actes  des  saints 
par  les  Bollandistes,  Paris  1850.  Potthast,  Bibl.  historica,  I,  S.  XXXIl 
bis  XXXIV.     Vgl.  Aehelis,  Die  Martyrologien  S.  239—244. 

^)  Ein  wichtiges  Hilfsmittel  für  diese  Studien"  ist  auch  der  Catalog. 
codicum  hagiographicor.  bibl.  Bruxellensis  1,  1886 — 1889;  in  bibl.  Paris, 
nat.  1—4,  1889—1893. 


12  Einleitung  §  2.  3. 

1120 — 1646,  ein  nicht  allein  auf  den  Umfang  des  Mittelalters  be- 
schränktes Repertorium  sämtlicher  von  den  Bollandisten  besproche- 
ner Personen,  dem  ein  Register  der  übrigen  in  jenem  Riesenwerke 
enthaltenen  Abhandlungen  beigefügt  ist.  Aufserdem  aber  enthält 
ein  Supplementband  der  Acta  Sanctorum  zum  Oktober  General- 
register über  das  ganze  Werk  von  Rigollot.  Das  bei  weitem  beste 
Hilfsmittel,  umfassender  und  zuverlässiger  als  Potthast,  bietet  jetzt 
die  Bihliotheca  liagiographlca  lafiiia  antiquae  et  mcdiae  aetatis  der 
Bollandisten,  2  Bände,  Brüssel  1899—1901. 

Neben  den  Jesuiten  begannen  auch  die  französischen  Bene- 
diktiner ein  ähnliches  Werk,  nachdem  ihr  Orden  in  der  Con- 
gregation  de  Saint-Maur,  die  ihren  Sitz  in  St.  Germain-des-Pres 
hatte,  einen  neuen,  aulserordentlich  kräftigen  Aufschwung  genommen 
hatte  ^).  Die  Erforschung  der  Geschichte  ihres  Ordens  wurde  bald 
ein  Hauptgesichtspunkt  der  Kongregation  und  ihr  Bibliothekar  Dom 
Luc  d'Achery  sammelte  dafür  viele  Jahre  mit  Unterstützung  der 
ganzen  Genossenschaft  unschätzbares  Material.  Zur  Bearbeitung 
desselben  wurde  ihm  1664  Dom  Jean  Mabillon  beigegeben,  den 
dann  wieder  Germain  und  Ruinart  unterstützten.  Von  ihnen 
erschienen  1668 — 1701  die  Acta  Sanctorum  Ordinis  S.  Benedictt  in 
9  Folianten,  welche  bis  zum  Jahre  1100  reichen  und  vom  gröfsten 
Werte  für  die  Geschichte  sind.  Abweichend  von  der  Anordnung 
der  Bollandisten  ist  diese  SammJung  nach  der  Zeitfolge  geordnet; 
sie  beginnt  natürlicherweise  erst  mit  der  Entstehung  des  Ordens 
der  Benediktiner,  den  ersten  Jahrhunderten  der  Kirche  aber  gilt 
Ruinarts  treffliche  Ausgabe  der  Acta  primorum  martyrum  sincera^ 
1689,  4. 


S  ^• 


Sammlungen  für  Landesgeschichte. 


In  viele  einzelne  Staaten  zerspalten  schien  Italien  weniger 
als  andere  Länder  berufen,  ein  Vorbild  für  eine  umfassende  Samm- 
lung von  Geschichtsquellen  zu  geben.  Auch  ging  hier  der  Patrio- 
tismus gerne  gleich  über  die  Zeiten  des  Mittelalters  hinaus  in 
die  antike  Welt  hinüber.  Die  römische  Kirche  aber  konnte 
vom  Mittelalter  nicht  lassen,  wir  brauchen  hier  nur  an  das  schon 
erwähnte  Riesenwerk  des  Kardinals  Baronius  zu  erinnern.  Viele 
Geschichtsquellen    Italiens   zog   Ferd.  Ughelli    zuerst    ans  Licht 

')  Vgl.  Wattenbach,  Das  Schriftwesen  im  Mittelalter,  3.  Ausg.  S.  IS 
bis  20. 


Heiligenleben.     Landesgeschichte.  ]  3 

in  dem  grofsen  Werk  der  Ifalht  Sacra,  welches  später  von  Coleti 
umgearbeitet  und  sehr  vermehrt  wurde  ').  Gleichzeitig  mit  Coleti 
wirkte  Mansi,  der  Sammler  der  Concilien,  und  vor  allem  Lud- 
wig Anton  Muratori,  Bibliothekar  in  Modena  (f  1750),  der  mit 
der  umfassendsten  Gelehrsamkeit,  rastlosem  Fleilse  und  unermüd- 
licher Thatkraft  die  Grundlagen  der  italienischen  Geschichte  legte, 
auf  denen  noch  heute  fortgebaut  wird.  Seine  Scrijjforcs  Herum 
Italkarum  in  28  Folianten,  1723 — 1751  (ergänzt  durch  die  Anfi- 
quifates  Itulicac  in  6  Folianten,  1738 — 1742),  sind  die  erste  um- 
fassende, planmäfsig  angelegte  Sammlung  der  Geschichtsquellen 
eines  ganzen  Landes,  und  bis  jetzt  die  einzige,  welche  ihre  Voll- 
endung erreicht  hat;  das  grofse  Verdienst,  durch  eifrige  Unter- 
stützung der  Sache,  auch  durch  wissenschaftliche  Mitwii'kung  die 
Ausführung  möglich  gemacht  zu  haben,  gebührt  den  bescheiden  im 
Hintergrund  gebliebenen  Socii  Palatini  -).  Eine  neue  verbesserte 
Ausgabe  der  Scriptores  hat  unter  der  Leitung  von  G.  Carducci  1900 
begonnen  ^). 

Erstrebt  war  freilich  schon  früher  ähnliches  in  Frankreich 
durch  die  Sammlung  von  Duchesne  in  5  Folianten  (1G36 — 1649), 
doch  genügte  diese  nicht,  so  wertvoll  auch  ihr  Inhalt  ist.  Colbert 
fafste  bereits  1676  den  Plan  einer  neuen  umfassenderen  Sammlung, 
der  jedoch  erst  später  zur  Ausführung  kam,  als  die  Kongregation 
der  Mauriner  auch  diese  Aufgabe  übernommen  hatte.  Nachdem 
diese  fleilsigen  und  gelehrten  Mönche  bereits  für  die  Geschichte 
ihres  Ordens  und  der  Kirche  das  Aufserordentlichste  geleistet,  und 
in  verschiedenen  Sammlungen  unendliches  Material  zugänglich  ge- 
macht hatten,  erschien  von  1738  an  der  Becueil  des  Historicns  des 
Gaules  et  de  lu  France  von  Dom  Martin  Bouquet  und  seinen 
Nachfolgern,  eine  Sammlung,  deren  Fortführung  in  neuester  Zeit 
wieder  aufgenommen  ist,  und  die  bis  jetzt  aus  23  Folianten  be- 
steht. Eine  neue  Reihe  in  Quart  befindet  sich  im  Druck.  Während 
Muratori  nur  Geschichtschreiber  und  zum  Teil  Gesetze  aufgenom- 
men hatte,  erweiterten  die  Mauriner  nach  Duchesnes  Vorbild  den 
Plan  durch  Ausdehnung  auf  LTrkunden,  Synodalakten  (im  Auszuge), 
Briefe,  Gedichte  u.  s.  w.,  doch  ohne  jede  Unterscheidung  abgeleiteter 
Quellen. 

')  Ughelli,  Italia  Sacra,  9  Bände  f.  1644—1662.  Neue  Ausg.  v.  Coleti 
in  10  Bänden,  1717— 172L 

-)  S.  über  diese  L.  Vischi  im  Arch.  stör.  Lombarde  1880,  S.  391-566. 

'j  Eine  Darstellung  der  italienischen  Chronistik  ist  das  zuerst  in  eng- 
lischer Sprache  erschienene  Buch  von  Ugo  Balzani,  Le  cronache  Italiane 
nel  medio  evo.  2.  Ausg.,  Mail.  1900. 


14  Einleitimg  §  3. 

In  Deutschland  waren  die  vielversprechenden  Anfänge  des 
16.  Jahrhunderts  durch  die  inneren  Spaltungen  gehemmt  und  end- 
lich durch  den  Dreifsigjährigen  Krieg  fast  gänzlich  erstickt  worden. 
Die  folgende  Zeit  des  Reichtums  und  der  fürstlichen  Stellung  der 
Geistlichkeit  brachte  wohl  einige  Stiftshistorien'),  aber  nichts,  das 
sich  mit  dem  Wirken  der  Mauriner  in  Frankreich  irgendwie  ver- 
gleichen liefse.  Wohl  reizte  das  Beispiel  zur  Nachahmung ,  aber 
alle  Versuche  scheiterten  teils  an  der  Trägheit  der  in  Reichtum  und 
üeppigkeit  versunkenen  Stifter,  teils  an  der  Eifersucht  der  Landes- 
fürsten, welchen  es  bedenklich  erschien,  die  Geistlichkeit  ihrer  Terri- 
torien in  nähere  Verbindung  mit  den  Ordensbrüdern  anderer  Ge- 
biete treten  zu  lassen.  Und  geradezu  unmöglich  war  es  für  die 
Reichsabteien,  selbst  wenn  sie  es  gewollt  hätten,  sich  einer  gemein- 
samen Leitung  und  wechselnden  Aebten  unterzuordnen.  Das  er- 
fuhren namentlich  die  treflflichen  Gebrüder  Bernhard  und  Hierony- 
mus  Pez')  in  Melk  (f  1735.  1762)  bei  ihren  Bemühungen,  neues 
Leben  in  den  alten  Orden  der  Benediktiner  zu  bringen ;  und  die 
Stiftung  einer  Kongregation,  welche  es  möglich  gemacht  hätte,  die 
vorhandenen  Kräfte  zu  vereinigen  und ,  wie  in  Frankreich ,  plan- 
mäfsig  für  gemeinsame  Zwecke  zu  verwenden,  scheiterte  an  solchen 
Hindernissen. 

Sonst  ward  Material  freilich  in  groisen  Massen  zu  Tage  gefördert, 
aber  ohne  Auswahl,  ohne  Kritik;  die  neuen  Publikationen  fügten  nur 
immer  mehr  rohe  Masse  hinzu,  in  noch  mangelhafterer  Weise,  und 
niemand  verstand  es,  den  Stoff  zu  bearbeiten.  Ln  17.  Jahrhundert 
erschienen  bei  dem  Uebergewicht  des  Partikularismus  fast  nur  noch 
Sammlungen  für  die  Geschichte  einzelner  Reichslande.  Eine  neue 
Epoche  beginnt  dann  mit  Leibniz,  dem  Zeitgenossen  Muratoris, 
und  in  noch  viel  höherem  Grade  würde  dies  der  Fall  gewesen  sein, 
wenn  nicht  seine  Forschungen  unvollendet  und  grofsenteils  unbe- 
kannt geblieben  wären.  Wie  Muratori  von  der  Geschichte  des 
Hauses  Este,  so  ging  Leibniz  von  den  Weifen  aus,  und  wie  Muratori 
wurde  er  durch  diese  Untersuchungen  immer  weiter  geführt  zu 
den  ausgedehntesten  Quellenforschungen ,  welche  die  ganze  Reichs- 
geschichte umfafsten ,  Forschungen ,  die  sich  andererseits  an  seine 
philosophischen  sowohl  wie  an  seine  staatsrechtlichen  Studien  an- 
schlössen.     Er    durchsuchte     alle    ihm    zugänglichen    Archive    und 

')  F.  L.  Baumami,  Der  bayer.  Geschichtschreiber  Karl  Meichelbeck 
1669—1734,  Akad.  Pestrede,  München  1897. 

^)  S.  Krones,  Allg.  D.  Biogr.  XXV,  569—575;  KatscMhaler,  Ueber 
B.  Pez  und  dessen  Briefnachlass,  Melk  1889. 


Leibniz  und  seine  Naclifolf,'er.  15 

Bibliotheken ,  und  ergriff  mit  dem  lebhaftesten  Eifer  den  Plan 
einer  systematischen  Sammlung  und  Ausgabe  aller  vorhandenen 
Quellen  für  die  politische  und  die  Eechts-  und  Kirchengeschichte, 
auf  deren  Wichtigkeit  und  die  Notwendigkeit  ihrer  gründlichen 
Erforschung  zuerst  Herrn.  Conring  (f  1081)  energisch  hinge- 
wiesen hatte. 

Wohl  einsehend,  dal's  die  Aufgabe  die  Kräfte  eines  einzelnen 
übersteige,  versuchte  man  wiederholt,  Gesellschaften  zu  diesem 
Zwecke  zusammenzubringen.  Schon  Johann  Christian  von 
Boineburg,  der  Ratgeber  des  Kurfürsten  Johann  Philipp  von 
Mainz,  der  Freund  Conrings,  Leibnizens  und  Forsters,  entwarf  den 
Plan ,  ein  Collegium  universale  Eruditoriim  in  Lvperio  liomano 
mit  vorzüglicher  Rücksicht  auf  Geschichte  zu  stiften ,  und  teilte 
denselben  1670  mehreren  Gelehrten  mit.  Mainz,  wo  das  Reichs- 
archiv sich  befand,  war  zum  Sitz  desselben  bestimmt,  allein  es  blieb 
bei  diesen  Anfängen  und  hatte  keinen  weiteren  Erfolg.  Neue  An- 
regungen zu  Versuchen  dieser  Art  gab  bald  darauf  die  kräftige 
Entwickelung  der  schon  1651  gestifteten,  1677  vom  Kaiser  privi- 
legierten Academia  Leopoldina  Naturae  Curiosorum.  Paullini  in 
Eisen  ach,  wegen  seiner  jetzt  immer  mehr  aufgedeckten  Fälschungen 
ein  bedenklicher  Genosse,  fafste  die  Idee  einer  ähnlichen  historischen 
Gesellschaft;  er  liefs  1687  eine  Delineatio  CoUegii  Imperialis  Mstorict 
gloriose  et  felicifer  fundandi  drucken  und  verteilen.  Mit  vorzüg- 
lichem Eifer  gingen  Hiob  Ludolf  und  T e n t z e  1  auf  diesen  Ge- 
danken ein  :  Ludolf  teilte  Paullini  seine  unmafsgeblichen  Bedenken 
mit  und  von  ihm  ging  die  förmliche  Aufforderung  zur  Teilnahme 
aus ,  welche  1688  versandt  wurde.  Er  war  der  Präses  der  neuen 
Gesellschaft,  welcher  mehrere  namhafte  Gelehrte  sich  anschlössen. 
Vor  allem  aber  bedurfte  man  materieller  Unterstützung,  ohne  die 
sich  wenig  ausrichten  liefs ;  man  wünschte  den  Kaiser,  den  Reichs- 
tag dafür  zu  gewinnen,  man  suchte  nach  vornehmen  Patronen,  aber 
man  fand,  wie  Ludolf  1695  an  Leibniz  schrieb,  keinen  einzigen, 
welcher  einen  Pfennig  daran  wenden  wollte  ').  Nur  der  Herzog  von 
Württemberg  gewährte  Pregitzer  die  Kosten  zu  einer  Reise  durch 
Schwaben,  die  Schweiz,  Burgund  und  Frankreich,  um  die  Archive 
zu  durchforschen ;  seine  Reiseberichte  befinden  sich  auf  der  Göttinger 
Bibliothek.     Erfolg   hatte   also   auch  dieser  Versuch  nicht,    und  er 

')  De  CoUec/io  iwstrohistorico  qnod  dicam  vix  habeo,  adeo  omnia  frir/ent. 
Scilicet  nemo  de  magnatibus  nostris  est  pii  urgent,  niiilto  minus  qiii  oboluiti 
impendat.  Qui  ad  niitum  alienum  laborare  debeiit  sine  magno  aiitore,  sine 
praemio.  sunt  difficillimi.     1695,   Dec.  9. 


16  Einleitung  §  3. 

konnte  kaum  Erfolg  haben  zu  einer  Zeit,  wo  die  höheren  Stände 
ganz  der  französischen  Bildung  hingegeben  und  die  Gelehrten 
gröfstenteils  von  geistloser  Pedanterie  erfüllt  waren ,  wo  lebhafte 
Teilnahme  für  die  Erforschung  der  vaterländischen  Geschichte  eben- 
so selten  zu  finden  war  wie  die  Fähigkeit  zum  richtigen  Ver- 
ständnis der  Quellen. 

Leibniz  hatte  diesen  Bestrebungen  von  Anfang  an  grofsen  An- 
teil zugewandt ;  er  wies  vornehmlich  auf  den  unveränderten  Ab- 
druck der  reinen  Quellenschriften  hin ,  während  Ludolf  mehr  eine 
Bearbeitung  der  Reichsgeschichte  ins  Auge  falste.  Leibnizen  da- 
gegen war  um  fremde  Darstellungen  wenig  zu  thun ;  er  wufste 
wohl ,  dals  Urkunden ,  in  denen  ein  anderer  nichts  finden  konnte, 
ihm  die  bedeutendsten  Aufschlüsse  gewährten,  und  riet  deshalb 
ernstlich,  dals  man  sich  nicht  bemühen  solle,  um  eine  Geschichte 
stylo  florido  et  eleganti  zu  schreiben,  sondern  man  solle  die  Docu- 
menta und  Urkunden  geben,  ut  praesens  aetas  thesaurum  quendam 
relinquat.  Er  zuerst  erhob  sich  über  den  Dilettantismus  und  die 
Vielwisserei  und  verband  die  ausgebreitetsten  Kenntnisse  mit  staats- 
männischem Blick  und  historischer  Einsicht.  Und  so  leistete  denn 
dieser  aufserordentliche  Mann  allein  einen  grofsen  Teil  desjenigen, 
was  jene  gutgemeinten  Unternehmungen  bezweckt  hatten,  ohne  zur 
Ausführung  kommen  zu  können. 

Schon  1693  gab  Leibniz  seinen  Codex  juris  gentium  heraus,  dem 
1700  die  2  Folianten  der  Mantissa  Documentoriini  folgten.  Von 
1707 — 1711  erschienen  dann  die  Scriptores  Herum  JBrunsvicensium. 
welche  teils  die  niedersächsische  Landesgeschichte,  teils  die  weifische 
Hausgeschichte  erläutern  sollten,  und  durch  die  grofsartige  Stellung 
des  weifischen  Hauses ,  durch  die  Verflechtung  desselben  in  alle 
wichtigsten  Angelegenheiten  des  Reiches  einen  universellen  Charakter 
erhielten,  der  sie  von  allen  anderen  Sammlungen  für  spezielle  Landes- 
geschichte unterscheidet.  Eine  Anzahl  anderer  wichtiger  Schrift- 
steller war  schon  1698  in  den  Accessiones  historicae  zuerst  ans 
Licht  gebracht.  Aber  von  den  überreichen  Sammlungen  Leibnizens 
war  dadurch  nur  ein  kleiner  Teil  erschöpft;  nachdem  er  selbst  vom 
Schauplatze  abgetreten  war,  brachten  seine  Nachfolger  Eckhart, 
S.  Fr.  Hahn,  Jung,  Gruber,  Scheidt  aus  seinem  Nachlafs  das  grofs- 
artige Werk  der  Origines  Guelficae  zu  stände,  welches  noch  jetzt 
einen  ehrenvollen  Namen  behauptet,  in  Form  und  Inhalt  aber  ganz 
auf  den  Vorarbeiten  von  Leibniz  ruht  ')• 

')  Die  vorstehenden  Angaben  sind  aus  den  Mitteilungen  unseres  1863 
verstorbenen  Freundes  Rölsler  entnommen,  welcher  sie  aus  dem  in  Göt- 


Leibniz  und  seine  Nachfolger.  17 

Aber  Leibniz  hinterliefs  auch  noch  ein  anderes  Werk ,  welches 
allein  ausgereicht  hätte,  um  einen  gewöhnlichen  Menschen  berühmt 
zu  machen,  die  Annalen  des  abendländischen  Reiches,  zu  welchen 
ihn  seine  Forschungen  über  die  Weifen  ebenso  hinführten ,  wie 
Muratori  die  Geschichte  des  Hauses  Este  zur  Verfassung  der  An- 
nalen Italiens  veranlalste.  Dieses  Werk,  welches  Leibniz  viele  Jahre 
lang  vorzüglich  beschäftigte,  reicht  von  768 — 1005,  denn  weiter 
ist  er  leider  nicht  damit  gekommen.  Es  ist  durchaus  ein  Meister- 
werk, welches  alle  früheren  Leistungen  weit  hinter  sich  läfst;  auch 
hegten  die  Zeitgenossen  grofse  Erwartungen  davon,  und  lange  war 
von  dem  Drucke  desselben  die  Rede,  der  aber  dennoch  zum  groCsen 
Schaden  der  Wissenschaft  unterblieb,  bis  in  neuester  Zeit  Pertz  das 
fast  schon  in  Vergessenheit  geratene  Werk  herausgab ') ,  nachdem 
ein  grofser  Teil  der  darin  enthaltenen  Forschungen  von  neuem  ge- 
macht worden  war.  Aber  noch  immer  ist  das  Werk  sehr  brauch- 
bar, da  es  mit  der  vollständigen  Uebersicht  und  Benutzung  des  bis 
dahin  bekannt  gewordenen  Stoffes  gearbeitet  ist.  während  die  sichere 
Methode,  der  durchdringende  Scharfsinn  und  die  geistvolle  Behand- 
lung des  grofsen  Verfassers  den  Leser  durchgehends  fesseln  und 
zur  Bewunderung  fortreifsen. 

Die  Fehler  der  früheren  Sammlungen ,  von  denen  auch  die 
Leibnizsche  nicht  ganz  frei  ist,  den  Mangel  an  kritischer  Sichtung 
des  Stoffes,  an  systematischer  Auswahl  und  Zusammenstellung,  die 
UnZuverlässigkeit  der  Abdrücke,  schilderte  niemand  schärfer  und 
eindringlicher  als  Job.  G.  Eckhart-),    Leibnizens   Gehilfe,    dann 

tingen  und  Hannover  verwahrten  handschriftlichen  Materiale  geschöpft 
hatte,  mit  Benutzung  der  Nachrichten  über  Paullinis  Briefwechsel  im 
Serapeum  1856,  S.  B5.  367.  der  Schriften  Guhrauers  u.  a.  Vgl.  auch 
Lucä.  Der  Chronist  Friedr.  Lucä  (Frankfurt  1854),  S.  279—344;  PBeiderer, 
Leibniz  als  Patriot  etc.,  S.  682  ff.  Mit  Benutzung  von  Paullinis  Nachlafs 
in  Jena  ist  der  Aufsatz  von  Wegele  gearbeitet :  Das  historische  Reichs- 
kolleg, Im  neuen  Reich  1881,  N.  25;  Historiogr.,  S.  597— 609.  Ueber 
Leibniz'  Reise  nach  Wien  1708  s.  Wilh.  Guerrier,  Leibniz  in  seinen  Be- 
ziehungen zu  Rufsland  (1873),  S.  67. 

^)  G.  W.  Leibuitii  Annales  Imperii  Occidentis  Brunsvicenses ,  ed.  G. 
H.  Pertz.  3  Tomi.  Hannov.  1843—1846.  Mit  einer  sehr  lehrreichen  Vor- 
rede des  Herausgebers.  Vgl.  Giesebrecht  I,  798.  Viele  Nachrichten  über 
die  Geschichte  dieses  Werkes ,  über  die  schlechte  Behandlung ,  welche 
Leibniz  zu  erfahren  hatte ,  und  die  Intriguen  Eckharts ,  welche  dieselbe 
hauptsächlich  veranlafsten ,  enthält :  Leibnizens  Briefwechsel  mit  dem 
Minister  v.  Bernstorff  etc.  von  R.  Doebner.  Hannover  1882,  und  in  der 
Zeitschr.  d.  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen  1881. 

^)  Wegele  in  d.  Allg.  D.  Biogr.  V,  627—631;  zu  ergänzen  aus  der 
eben  erwähnten  Publikation  v.  Doebner,  vgl.  Wegele,  Historiogr.,  S.  637  ff. 
687  ff. 

Wat  teil  ba  ch,  Geschichtsquellen.    I.     7.  Aufl.  2 


18  Einleitung  §  3.  4. 

Konvertit  und  fürstlich  Würzburgiscber  Rat.  Dennoch  vermied  er 
in  seiner  eigenen  Sammlung,  dem  Corpus  historicorum  medii  aevi 
(1723),  keinen  jener  Fehler,  vermehrte  aber  das  vorhandene  Material 
durch  sehr  wertvolle  Beiträge. 

J.  B.  Mencke  veröifentlichte  1728  und  1730  noch  eine  sehr 
schätzbare  Sammlung,  B,  G.  Struve  gab  1717  und  1720  die  älteren 
Sammlungen  von  Pistorius  und  Freher  neu  heraus ;  immer  mehr 
wuchs  die  Masse  des  gröfstenteils  rohen,  ungeordneten,  ungesichteten 
Materials;  immer  schwieriger  wurde  es,  eine  Uebersicht  über  das- 
selbe zu  gewinnen.  Dieser  Uebelstand  veranlafste  das  Erscheinen 
von  Schriften,  die  als  Wegweiser  dienen  sollten:  J.  P.  Finckes 
Index  in  Collectiones  Scripforuni  Berum  Germanicarum .  Lips. 
1737,  4  und  das  vielgebrauchte  Diredorium  von  Freher,  zuletzt 
1772  von  Harn  berger  neu  herausgegeben.  Desselben  Hambergers 
Nachrichten  von  den  vornehmsten  Schriftstellern,  Bd.  3.  4.  1760, 
sind  von  geringer  Brauchbarkeit,  dagegen  des  trefflichen  Joh.  Alb. 
Fabricius  BihUotlicca  Media e  et  Infimae  Latinitatis  1734 — 1746,  8, 
und  ed.  Mansi  1754,  4  noch  jetzt  unentbehrlich  und  von  grofsem 
Nutzen.  Eine  neue  vermehrte  Ausgabe  derselben  mit  Berücksichti- 
gung der  seitdem  erschienenen  Sammlungen  und  Ausgaben  wäre 
sehr  wünschenswert  und  würde  einem  dringenden  Bedürfnis  ent- 
gegenkommen. 

Zurechtfinden  können  wir  uns  jetzt  auch  in  der  älteren  histori- 
schen Litteratur  des  Mittelalters  mit  grofser  Leichtigkeit,  seitdem 
Potthasts  BibUotheca  historica  medii  aevi  (Berlin  1862,  1868, 
2.  Ausg.  1896)  erschienen  ist,  ein  höchst  dankenswertes  Werk,  das 
Produkt  des  mühsamsten  Sammelfleifses,  welches,  obschon  keines- 
wegs frei  von  manchen  Schwächen  und  Mängeln,  doch  als  ein  nütz- 
liches Hilfsmittel  allgemeine  Verbreitung  und  Anerkennung  gefunden 
hat.  Sehr  brauchbar  als  zuverlässiges  Nachschlagebuch  ist  daneben 
Ul.  Chevalier,  Bepertolrc  des  sources  histor.  du  moyen  dge  mit 
Supplement,  Paris  1883—1888. 

§  4.     Die  Monumenta  Germaniae  historica. 

Immer  lebhafter  empfand  man  in  Deutschland  während  des 
18.  Jahrhunderts  das  Bedürfnis  einer  planmäfsig  geordneten,  kriti- 
schen Sammlung  der  echten  und  ursprünglichen  Geschichtsquellen ; 
das  Beispiel  von  Muratori  in  Italien  und  den  Maurinern  in  Frank- 
reich reizte  zur  Nachfolge,  aber  alle  Wünsche  und  Versuche  schei- 
terten, wie  jene  eben  erwähnten  ersten  Anfänge,  an  der  Zerstücke- 


Aelteve  Sammlungen,  Monumenta  Germaniao.  19 

lung  Deutschlands,  an  der  Unmüglichkeit,  ein  Zusammenwirken 
vieler  Gelehrten  herbeizuführen,  an  dem  Mangel  ausreichender  Geld- 
mittel. Die  Nachrichten  über  diese  Bestrebungen  findet  man  ge- 
sammelt im  ersten  Bande  des  Archivs  der  Gesellschaft  für  ältere 
deutsche  Geschichtskunde.  Namentlich  hatte  der  Hallische  Theologe 
Semler  einen  solchen  Plan,  und  bezeichnet  in  seinem  „Versuch  den 
Gebrauch  der  Quellen  in  der  Staats-  und  Kirchengesehichte  der 
mittleren  Zeiten  zu  erleichtern"  (17G1)  scharf  und  treffend  die 
Mängel  der  vorhandenen  Sammlungen,  die  Notwendigkeit,  Original- 
quellen von  Ausschreibern  zu  sondern,  mit  Sorgfalt  und  gesunder 
Kritik  eine  Reihe  der  bedeutendsten  Autoren  durchnehmend.  Aehn- 
liche  Absichten  verfolgte,  ohne  sie  durchzuführen,  der  Göttinger 
Universalhistoriker  Job.  Christ.  Gatter  er.  Durch  Semler  angeregt, 
gab  1797  sein  Kollege  Krause  den  Lambert  heraus  als  Anfang 
und  Probe  einer  solchen  Sammlung;  aber  er  starb  bald  nachher 
und  es  blieb  bei  diesem  ersten  Bande.  Im  folgenden  Jahre  1798 
gab  Rösler  in  Tübingen  eine  kritische  Bearbeitung  der  ältesten 
Chroniken  des  Mittelalters,  allein  die  Aufgabe  einer  umfassenden 
Sammlung  war  für  die  Kräfte  einzelner  Männer  viel  zu  grols,  als 
dafs  etwas  Genügendes  hätte  zu  stände  kommen  können. 

Die  lange  Fremdherrschaft  in  Deutschland  und  die  Befreiung 
davon  durch  die  vereinten  Anstrengungen  des  ganzen  Volkes  weckten 
endlich  in  höherem  Grade  das  Bewufstsein  eines  gemeinschaftlichen 
Vaterlandes.  Mit  neuer  Liebe  wandte  man  sich  der  Erforschung  der 
Vorzeit  zu;  E.  M.  Arndt,  die  Gebrüder  Grimm  bestärkten  in 
dieser  Richtung  durch  die  kräftigste  Anregung.  Eifrig  und  dringend 
wies  Johannes  von  Müller  auf  die  Notwendigkeit  des  Quellen- 
studiums hin.  Auch  der  Freiherr  vom  Stein  empfand  das  leb- 
hafte Bedürfnis,  eine  genügende  Anschauung  der  deutschen  Ge- 
schichte sich  zu  verschaffen.  Die  voi'handenen  Darstellungen  reichten 
dazu  nicht  aus ;  er  suchte  die  Kenntnis  aus  den  Quellen  selbst  zu 
schöpfen ,  stiefs  aber  dabei  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten 
wegen  des  verwahrlosten  Zustandes  derselben.  Es  war  nicht  seine 
Art,  wegen  solcher  Hindernisse  einen  Gedanken  aufzugeben,  und 
seine  Entfernung  von  den  Staatsgeschäften  trug  dazu  bei,  dafs  er 
ihn  um  so  entschiedener  festhielt  und  verfolgte.  Der  Gedanke  an 
sich  selbst,  seinen  eigenen  Vorteil  und  Genuls,  trat  dabei  bald 
völlig  zurück ;  er  hatte  nur  noch  sein  Volk  im  Auge,  der  Wunsch 
erfüllte  ihn,  ,,den  Geschmack  an  deutscher  Geschichte  zu  beleben, 
ihr  gründliches  Studium  zu  erleichtern  und  hierdurch  zur  Erhaltung 
der  Liebe  zum  gemeinsamen  Vaterland  und  dem  Gedächtnis  unserer 


20  Einleitung  §  4. 

grol'sen  Vortahren  beizutragen".  Mit  der  ganzen  Energie  seines  ge- 
waltigen Geistes  fafste  er  den  Plan,  eine  umfassende  und  kritisch 
bearbeitete  Sammlung  der  deutschen  Geschichtsquellen  zu  veran- 
stalten, und  er  liefs  nicht  ab,  bis  er  denselben  zur  Ausführung  ge- 
bracht hatte').  Im  Februar  1818  brachte  er  ihn  zuerst  zur  Sprache; 
es  gelang  ihm,  mehrere  seiner  westfälischen  Freunde  zu  bedeuten- 
den Geldbeiträgen  zu  bewegen;  er  selbst  hat  nach  und  nach  an 
10,000  Fl.  darauf  verwandt.  Mehrere  der  damaligen  Bundestags- 
gesandten gingen  auf  Steins  Vorschläge  ein,  und  am  20.  Januar  1819 
trat  zu  Frankfurt  die  Geseilschaft  für  ältere  deutsche  Ge- 
schichtskunde zusammen.  Der  badische  Legationsrat  Büchler 
wurde  zum  Sekretär,  der  Archivrat  Dümge  zum  Redakteur  be- 
stimmt; beide  begannen  sogleich  die  Herausgabe  der  Zeitschrift, 
welche  vom  wesentlichsten  Nutzen  für  das  Unternehmen  gewesen 
ist.  Sie  heilst  das  Archiv  der  Gesellschaft  und  führte  mit  Recht 
diesen  Namen,  weil  darin  alle  Vorarbeiten  für  das  grofse  Unter- 
nehmen, Nachrichten  über  Handschriften,  Untersuchungen  über  die 
einzelnen  Quellenschriften  niedergelegt  wurden  ^). 

Der  ungeheuere  Umfang  des  Unternehmens,  die  Notwendigkeit 
vieler  und  ausgedehnter  Reisen,  zeigten  sich  erst  wähi-end  der  Ar- 
beit in  zunehmendem  Mafse;  bald  sah  man,  dafs  Privatmittel,  so 
bedeutend  auch  die  Beiträge  der  Gründer  waren,  doch  nicht  weit 
genug  reichten.  Die  Bundesversammlung  war  gleich  anfangs  um 
Unterstützung  ersucht  worden  und  hatte  in  Ermangelung  eigener 
Geldmittel  zu  solchem  Zwecke  das  Werk  den  einzelnen  Regierungen 
zur  Förderung  empfohlen,  allein  fast  ohne  Erfolg.  Man  befürchtete 
von  der  einen  Seite  Mifsbrauch  des  Unternehmens  für  revolutionäre 
Zwecke  —  denn  die  Geschichte  könne  ebenso  gut  zum  Umstui'z  der 
Monarchie,  wie  zu  ihrer  Erhaltung  verwertet  werden  ■ —  von  anderer 
witterte  man  etwas  Serviles  darin,  und  der  alte  Vofs  sah  darin  eine 
grofse  Verschwörung,  die  Geschichte  für  oligarchische  und  katho- 
lische Zwecke  auszubeuten  ^).    In  Oesterreich  galt  das  Unternehmen 

')  Vgl.  Archiv  I.  VI,  294.  MG.  SS.  I,  Praefatio.  Stein  und  die  Monu- 
menta  Germaniae.  Antrittsrede  von  Pertz  6.  Aug.  (rect.  6.  Juli)  1843,  gedr. 
in  d.  Allg.  Preufs.  Zeitung  1843  N,  53  vom  22.  August.  Steins  Leben 
von  Pertz  V,  57.  264  ff.  u.  s.  w.  an  vielen  Stellen.  E.  Dümmler,  Ueber  die 
Entstehung  der  MG.  Im  neuen  Reich  1876,  II,  201  ff.  Alfred  Stern,  Briefe 
des  Freih.  vom  Stein  an  N.  F.  von  Mülinen,  NA.  IX,  257—268.  Harnack, 
Gesch.  der  Akad.  zu  Berlin  I,  678—680  und  daselbst  das  Gutachten  von 
Wilken  TI,  410-416.    S.  auch  Schüddekopf  im  Goethejahrb.  XXI,  52—85. 

^)  Eine  sehr  nützliche  Arbeit  ist  das  Register  über  alle  darin  be- 
sprochenen Bibliotheken  von  Dr.  H.  Kohl  im  NA.  II,  629—634. 

')  A.  Stern  im  NA.  IX,  265. 


Anfänge  der  Monumenta  Germaniae.  J,  \ 

als  revolutionär,  und  nachdem  eine  anfänglich  beabsichtigte  be- 
sondere Direktion  für  Oesterreich  fallen  gelassen  war,  blieb  für 
die  einheimischen  Gelehrten  eine  förmliche  Beteiligung  an  der  Ge- 
sellschaft unmöglich').  1828  hatte  man  sogar  Bedenken,  den  fertig 
gewordenen  ersten  Band  der  Bundesversammlung  zu  überreichen  -). 
Der  König  von  Bayern  hatte  noch  1829  gar  nichts  dafür  gethan^), 
während  doch  Baden  die  Dienste  des  Archivrats  Dümge  gleich  an- 
fangs auf  einige  Jahre  der  Gesellschaft  überliefs,  und  der  König  von 
Preufsen  von  1821  an  einigemal  einen  Beitrag  von  1000  Thalern 
bewilligte"*).  Mit  Bitterkeit  dachte  Stein  daran,  dafs  er  schon  im 
Herbst  1818  eine  vom  russischen  Kaiser  angebotene  Unterstützung 
abgelehnt  hatte''),  und  erst  nach  des  Stifters  Tode  (29.  Juni  1831) 
und  nachdem  auf  einer  Ministerkonferenz  in  Wien  1834  der  Fürst 
Metternich  sich  dem  Unternehmen  günstig  erwiesen  hatte ,  ent- 
schlossen die  verschiedenen  Regierungen  sich  nach  und  nach,  nament- 
lich seit  1845  in  gesteigertem  Mafse ,  zu  festen  Beiträgen ,  welche 
den  Bestand  der  Sache  sicherten. 

In  den  gelehrten  Kreisen  fand  das  Unternehmen  gleich  anfangs 
lebhafte  Teilnahme,  aber  lange  dauerte  es,  bis  ein  ausführbarer 
Plan  zu  stände  kam.  Ein  Vorschlag  nach  dem  andern  wurde  im 
Archiv  veröffentlicht ;  während  man  sich  zu  orientieren  suchte,  fing 
man  erst  an,  den  Umfang  der  Arbeit,  den  man  zuerst  auf  20  Quart- 
bände veranschlagt  hatte,  zu  übersehen,  die  Masse  des  Stoffes,  die 
Schwierigkeit  ihn  zu  bearbeiten,  namentlich  wegen  der  in  so  vielen 
Bibliotheken  und  Archiven  zerstreuten  Handschriften  und  Urkunden, 
welche  sich  noch  viel  zahlreicher  erwiesen,  als  man  anfänglich  ge- 
ahnt hatte. 

Nach  dem  ursprünglichen  Plane  verteilte  man  die  einzelnen 
Schriftsteller  an  verschiedene  Gelehrte  zur  Bearbeitung,  aber  es 
zeigte  sich  bald ,  dafs  auf  diese  Weise  weder  Einheit  in  Plan  und 
Methode,  noch  ein  rascher  Fortschritt  in  der  Ausführung  zu  er- 
reichen war.  Die  ersten  Bände  des  Archivs  sind  voll  von  Ver- 
sprechungen und  Anerbietungen,  von  denen  aber  die  meisten  er- 
folglos blieben. 

Von  entscheidender  Bedeutung  für  die  ganze  Zukunft  des  Unter- 
nehmens war  deshalb  der  Zutritt  des  Mannes,  unter  dessen  Leitung 
es  bald  den  kräftigsten  Aufschwung  nehmen  sollte.  G.  H.  Pertz 
aus  Hannover  hatte  im  Jahre  1818  in  Göttingen  seine  Stadien  voll- 

1)  Steins  Leben  V,  580  ff.     Vgl.  Anz.  d.  Germ.  Mus.  XXII  (1875),  S.  31. 

-)  VI,  499.  ■^)  VI,  751. 

')  V,  567.  790.     VI,  954.  '^)  VI,  779. 


22  Einleitung  §  4. 

endet  und  1S19  die  Geschichte  der  Merowingischen  Hausmeier  mit 
einer  Vorrede  und  lebhaften  Empfehlung  seines  Lehrers  Heeren 
vom  4.  September  1818  veröffentlicht.  Eine  Aufforderung  Büchlers 
zur  Teilnahme  an  den  Arbeiten  der  Gesellschaft  erwiderte  er  am 
5.  Juli  1819  mit  freudiger  Zustimmung  und  dem  Erbieten  zur 
Bearbeitung  der  wichtigsten  Quellenschriften  aus  der  karolingischen 
Periode  '),  Auf  Büchlers  Mitteilung  nahm  Stein  dieses  Anerbieten 
bereitwillig  an,  und  forderte  am  21.  Dezember  Pertz  nicht  nur  zur 
Uebernahme  der  Schriftsteller  aus  der  karolingischen  Periode,  son- 
dern auch  zu  einer  Reise  nach  Wien  auf,  weil  die  Benutzung  der 
auf  der  Hofbibliothek  befindlichen  Handschriften  zunächst  notwendig 
war^).  Diese  Reise,  welche  den  reichsten  Ertrag  gewährte,  wurde 
nicht  blofs  auf  andere  österreichische  Bibliotheken,  sondern  auch 
auf  Italien  ausgedehnt.  Hier  war  der  Freiherr  vom  Stein  bereits 
selbst  gewesen,  hatte  von  den  Schätzen  des  Vatikan  vorläufige  Kunde 
verschafft  und  Mitarbeiter  zu  gewinnen  gesucht,  auf  deren  Unter- 
stützung damals  noch  stark  gerechnet  wurde.  Diese  Teilnahme  der 
Italiener  erwies  sich  indessen  später  als  gänzlich  trügerisch ,  und 
nicht  viel  mehr  Ei'folg  hatten  die  Zusagen,  welche  Pertz  in  Oester- 
reich  gemacht  wurden.  Seine  Reise  aber  gewährte  die  erste  feste 
Grundlage  für  das  Unternehmen;  allein  aus  den  päpstlichen  Regesten 
gewann  er  1800  ungedruckte  Briefe ').  Seine  Reiseberichte  zeigten 
so  entschieden  eine  meisterhafte  Handhabung  der  Kritik  in  scharfem 
Gegensatze  zu  den  vielen  dilettantischen  Beiträgen  anderer,  dals 
ihm  nach  seiner  Rückkehr  die  Redaktion  sowohl  des  Hauptwerks 
als  auch  der  Zeitschrift  übertragen  wurde,  da  Büchler  und  Dümge 
beide  von  ihrem  Grofsherzog  abberufen  waren  ^). 

Im  Jahre  1824  wurde  der  endgültige  Plan  des  Werkes  ver- 
öffentlicht (Arch.  V,  788 — 798),  und  1826  erschien  der  erste  Band 
desselben.     Aus  5  Abteilungen   soll   die  ganze  Sammlung  bestehen, 


*)  Steins  Leben  V,  364.  Vgl.  über  Pertz :  W.  Arndt,  Im  neuen  Reich 
1876,  II,  651-657.  G.  Waitz  im  N.  Archiv  II,  454-473,  vorzüglich  zur 
Charakteristik  seiner  Thätigkeit  als  Herausgeber,  Nekrolog  von  Giese- 
brecht,  Münch.  SB.  1877.  S.  65—74.  Wattenbach,  Allg.  D.  ßiogr.  XXV, 
406 — 410.  Harnack,  Gesch.  d.  Akademie  zu  Berlin  I,  922—924;  Leonor 
Pertz,  Autobiography  and  lettres  of  G.  H.  Pertz  (ohne  Jahr). 

2)  Steins  Leben  V,  412.  416.  478—483. 

^)  Archiv  V,  352,  erst  von  Rodenberg  seit  1883  bearbeitet. 

*)  Eine  aulserordentlich  warme  und  lebhafte  Darstellung  von  Pertzens 
Verdiensten  um  das  Unternehmen  findet  sich  in  einem  Briefe  Boehmers 
an  Gfroerer  bei  Janssen,  Boehmers  Briefe,  450.  Nach  dem  Nekrolog  des 
Rats  Schlosser  ib.  11,  480,  war  dieser  Mitstifter  und  bewirkte  durch  seinen 
Einflufs  vorzüglich,  dafs  Pertz  bei  der  Ausführung  an  die  Spitze  kam. 


Pertz.     Monumenta  Germani;io.  23 

nämlich  I.  Schi-iftsteller,  II.  Gesetze,  III.  Kaiserurkunclen,  IV.  Briefe, 
V.  Antiquitäten.  Die  Privaturkunden  bleiben  ausgeschlossen.  Für 
alle  sind  bedeutende  Vorarbeiten  gemacht  worden,  wirklich  be- 
gonnen aber  wurden  unter  Pertz  nur  die  beiden  ersten  Ab- 
teilungen und  in  ungenügender  Weise  die  dritte. 

Eigentlich  hätten  die  ältesten  Annalen  dos  Mittelalters  und  die 
Geschichtschreiber  der  Goten ,  Merowinger  und  Langobarden  das 
Werk  eröffnen  sollen;  die  Vorarbeiten  dazu  waren  aber  so  schwierig, 
und  die  Benutzung  so  unentbehrlicher  Handschriften  noch  nachzu- 
holen, dal's  diese  ganze  Abteilung  einstweilen  übergangen  wurde, 
um  nicht  zu  lange  mit  dem  wirklichen  Beginn  der  Publikationen 
zögern  zu  müssen.  Jetzt  erst,  nach  wiederholten  Reisen  durch 
Frankreich,  Belgien,  England,  Spanien,  Italien,  Kulsland,  sind  die 
Vorbereitungen  zur  Vollendung  gediehen,  und  die  Herausgabe  dieser 
sehnlich  erwarteten  Quellen  ist  endlich  gröfstenteils  erfolgt. 

Den  Anfang  machten  also  aus  diesen  Gründen  die  karo- 
lingischen  Annalen'),  welche  mit  ihren  Anfängen  noch  in  die 
merowingische  Zeit  hinaufreichen  und  mit  den  Fortsetzungen  zum 
Teil  durch  das  ganze  Mittelalter  sich  erstrecken.  Nur  wer  die  Ver- 
wirrung, den  verwahrlosten  Zustand  kennt,  in  welchem  sich  früher 
diese  Annalen  befanden,  an  verschiedenen  Orten  und  meist  in  sehr 
fehlerhafter  Gestalt  gedruckt,  ohne  Unterscheidung  ihres  echten, 
gleichzeitig  niedergeschriebenen  Gebaltes  und  der  späteren  Zusätze, 
nur  der  kann  sich  eine  richtige  Vorstellung  machen  von  dem  aufser- 
ordentlichen  Gewinn ,  welcher  der  Geschichtsforschung  daraus  er- 
wuchs, dafs  nun  alle  jene  Annalen  in  einem  Bande  vereinigt,  kritisch 
gesichtet  und  durch  neue  Entdeckungen  bereichert,  zur  ungehin- 
derten Benutzung  bereitet  vorlagen.  Dafs  eben  hierdurch  auch  die 
Möglichkeit  gegeben  wurde,  über  die  ursprüngliche  Arbeit  hinaus- 
zugehen und  die  Kritik  weiter  zu  führen ,  liegt  in  der  Natur  der 
Dinge,  und  auch  an  Nachträgen  hat  es  nicht  ganz  gefehlt. 

Nach  einer  neuen  Reise  des  Herausgebers  nach  den  Nieder- 
landen, Paris  und  England  erschien  1829  der  zweite  Band-),  welcher 
die  Chroniken  und  Biographieen  der  karolingischen  Periode  enthält. 
Den  Anfang  aber  bilden  die  Geschichtsquellen  des  Klosters  St.  Gallen, 

')  S.  darüber  Archiv  VI,  251 — 373.  Ausführliche  Rezension  der  bei- 
den ersten  Bände,  von  Waitz,  in  den  Jahrbüchern  f.  wiss.  Kritik  1837, 
S.  694-731. 

^)  S.  Archiv  VI,  274 — 294.  Der  Plan  des  Unternehmens  war  in  dieser 
Zeit  noch  nicht  so  ausgedehnt  wie  später,  weshalb  hier  noch  sehr  wichtige 
Stücke,  wie  die  V.  Eigilis,  fehlen.  Diese  sind  jetzt  in  den  Ergänzungs- 
bänden nachgetragen. 


24  Einleitung  §  4. 

bearbeitet  von  Ildefons  von  Arx '),  welche  mit  dem  alten  Leben 
des  Stifters  beginnen  und  bis  zum  Jahre  1233  unzerteilt  beisammen 
gelassen  wurden.  Das  Leben  des  heiligen  Ansgar  bearbeitete  für 
diesen  Band  Dahlmann,  der  sich  rasch  wieder  zurückzogt). 

Einen  neuen  sehr  bedeutenden  Fortschritt  brachten  die  beiden 
Bände  Leg  es  1835  und  1837.  Auch  hier  wurden  einstweilen  die 
alten  Volksrechte  noch  beiseite  gelassen;  erst  1863  erschien  der 
dritte  Band,  welcher  die  Gesetze  der  Alamannen  und  Bayern  von 
Joh.  Merkel,  der  Burgunden  von  B 1  u  h  m  e ,  der  Friesen  von 
Richthofen  bearbeitet  enthält;  1868  im  vierten  Band  das  von 
Fr.  Bluhme  und  Alfred  Boretius  bearbeitete  Recht  der  Lango- 
barden ;  von  diesen  Volksrechten  aber  erscheinen  jetzt  neue  Bear- 
beitungen in  der  Quartausgabe.  Die  jüngeren  Rechtsbücher  blieben 
der  Thätigkeit  der  Rechtshistoriker  überlassen,  während  die  Reichs- 
tagsakten seit  König  Wenzels  Wahl  von  der  Münchner  historischen 
Kommission  übernommen  sind.  Von  jenen  beiden  Bänden  aber  um- 
fafst  der  erste  die  Kapitularien  bis  921,  der  zweite  aufser  neu  auf- 
gefundenen Supplementen  Reichsgesetze,  kaiserliche  Verordnungen, 
Rechtsprüche,  Verträge  und  andere  wichtige  Urkunden  bis  1313; 
hier  ist  namentlich  aus  den  Vatikanischen  Regesten  viel  Neues  von 
erheblicher  Bedeutung  mitgeteilt.  Ein  Anhang  enthält  in  völlig 
prinziploser  Mischung  unechte  Kapitularien,  Synodalbeschlüsse  und 
einige  päpstliche  Bullen.  Die  verfälschte  Kapitulariensammlung  des 
sogenannten  Benedictus  levita  ist  hier  von  dem  leider  zu  früh 
der  Wissenschaft  entrissenen  Dr.  Knust  herausgegeben ,  welcher 
auf  der  Heimkehr  aus  Spanien  in  Paris  am  9.  Oktober  1841  ver- 
starb^). Seine  Leistung  wird  ihren  kritischen  Wert  behaupten,  aber 
die  in  der  vorausgeschickten  Abhandlung  niedergelegten  Unter- 
suchungen sind  von  Paul  Hinschius  in  seiner  Ausgabe  der 
Decretales  Pseudo-Isidorianae  (1863)  zum  Teil  widerlegt  und  be- 
richtigt. Diese  beiden  ersten  Bände  der  Leges  sind  längst  vergriffen 
und  eine  neue  Ausgabe  war  um  so  notwendiger,  da  die  ursprüng- 
liche Arbeit  in  hohem  Grrade  durch  Flüchtigkeitsfehler  entstellt  ist, 
wie  dies  Alfred  Boretius  in  seiner  Schrift:  Die  Kapitularien  im 
Langobardenreich  (Halle  1864)  nachwies'*). 

')  Vgl.  (Gerold  Meyer  von  Knonau)  P.  Ildefons  von  Arx ,  St.  Gallen 
1874,  4,  u.  dess.  Art.  in  d.  Allg.  D.  Biogr.  I,  615. 

2)  S.  Ant.  Springer,  Dahlmann  I,  174—183. 

^)  Seine  sehr  reichhaltigen  und  anziehenden  Reisebriefe  sind  im  Archiv 
VIIl,  102 — 252,  gedruckt.  Eine  neue  Ausgabe  Benedikts  wird  von  Seckel 
vorbereitet,  s.  NA.  XXVI,  37—72. 

')  \g\.  über  seine  Ansichten  die  beachtenswerte  Schrift  von  G.  Seeliger, 


Fortgang  der  Monumenta  Germaniae.  25 

In  besserer  Weise  wurde  mit  Benutzung  tüchtiger  jüngerer 
Kräfte  die  Reibe  der  Scriptores  fortgeführt;  in  rascher  Folge  er- 
schienen 1839  und  1841  der  dritte  und  vierte  Band,  welche  die 
Periode  der  sächsischen  Kaiser  enthalten.  Bei  diesen  trat 
1836  G.  Waitz  als  Mitarbeiter  ein  '),  während  Lappenberg,  der 
seit  1838  die  Geschiehtsquellen  der  niederelbischen  Lande  über- 
nommen hatte,  hier  als  Erstling  den  Thietmar  von  Merseburg  be- 
arbeitete ,  dem  später  Adam  von  Bremen  u.  a.  folgten  '^).  Für 
die  Zeit  der  Karolinger  hatten  zwei  Bände  genügt  und  ebenso 
noch  für  die  Zeit  der  Ottonen  zwei  von  etwas  stärkerem  Um- 
fange; die  Salier  dagegen,  mit  Lothar,  erforderten  acht  Bände, 
die  von  1844 — 1856  erschienen;  so  sehr  wächst  um  diese  Zeit 
die  Masse  des  Stoffes.  Neben  Waitz  finden  wir  hier  auch  seit 
1839  C.  L.  Bethmann  thätigO,  der  schon  längere  Zeit  an  den 
Vorarbeiten  teilgenommen  und  namentlich  in  den  Bibliotheken 
Frankreichs  und  Belgiens  gearbeitet  hatte;  es  gelang  ihm  u.  a. 
die  Urschrift  der  Chronik  des  Sigebert  zu  entdecken,  welche  mit 
allen  ihren  Fortsetzungen  im  sechsten  Bande  erschien.  Sehr  wich- 
tig sind  seine  erst  1874  gedruckten  italienischen  Reiseberichte  aus 
dem  Jahre  1854.  W.  Wattenbach  eröffnete  seine  durch  philo- 
logische Kritik  ausgezeichneten  Arbeiten  im  siebenten  Bande  mit 
der  Chronik  von  Montecassino.  Auf  einer  Reise  nach  Oesterreich 
1847 — 1849  sammelte  er  besonders  das  Material  für  die  umfassende 
Ausgabe  der  Annales  Austriae  im  neunten  Bande.  Eine  längere 
Reihe  jüngerer  Mitarbeiter  hatte  sich  den  schon  genannten  ange- 
schlossen, so  namentlich  R.  Köpke-*)  (1842),  Wilmanns  (1845), 
Jaffe,  endlich  W.  Arndt,  Pabst,  Weiland,  Scheffer- 
Boichorst,  in  den  letzten  Jahren  häufiger  wechselnd;  von  der 
ersten  Generation  blieb  fast  nur  G.  Waitz  fortwährend  noch  als 
Herausgeber  einzelner  Werke  beteiligt. 

So  erspriefslich  nun  auch  für  die  rasche  Ausführung  des  Unter- 
nehmens sich  die  thatsächlich  durchaus  monarchische  Leitung  an- 
fänglich erwiesen  hatte,  so  zeigte  sich  im  Verlaufe  desselben  immer 
deutlicher ,    dals  seine  grofse  Ausdehnung  die  Kräfte  eines  Mannes 

Die  Kapitularien  der  Karolinger,  München  1893,  u.  Volksreoht  u.  Königs- 
recht in  der  Histor.  Vierteljahrsschr.  I. 

^)  Die  Akten  über  seine  erste  Einführung  bei  Pertz  sind  von  E.  Dümm- 
1er  mitgeteilt,  NA.  XIX,  2G9— 282. 

^)  E.  H.  Meyer,  Joh.  Mart.  Lappenberg,  Hamburg  1867. 

^)  V.  Heinemann,  Allg.  D.  Biogr.  JI,  573. 

•»)  S.  Rud.  Köpkes  Kleine  Schriften,  Berlin  1872.  W.  v.  Giesebrecht, 
Erinnerungen  an  Rud.  Köpke,  Hist.  Taschenb.,  5.  Folge.  II.  S.  247—328. 


26  Einleitung  §  4. 

überstieg  ') ,  wie  denn  auch  die  ursprünglichen  Statuten  eine  ganz 
andere  Form  vorgeschrieben  hatten.  Nachdem  schon  am  Bundes- 
tage nach  dem  Referate  Roberts  von  Mohl  eine  Aenderung  der 
Leitung  in  Angriff  genommen  war,  nahm  nach  den  Kriegsjahren 
der  neue  Bundesrat  sich  der  Sache  an,  und  im  Januar  1875  ist 
unter  der  Vermittelung  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften 
eine  neue  Organisation  ins  Leben  gerufen  ^).  Die  Leitung  des 
ganzen  Unternehmens  hat  jetzt  eine  Zentraldirektion,  deren  Vor- 
sitzender bis  an  seinen  Tod  G.  Waitz  war  (f  25.  Mai  1886),  dann 
zeitweilig  Wattenbach,  jetzt  (seit  Mai  1888)  E.  Düramler;  die 
einzelnen  Abteilungen  sind  besonderen  Leitern  selbständig  übergeben. 
Waitz  selbst  übernahm  die  Scriptores  und  vorläufig  die  Leges,  die 
später  auf  Brunner  und  Zeumer  übergingen,  während  die  Fort- 
führung der  Hauptreihe  der  Scriptores  Holder-Egger  zufiel, 
Th.  Mommsen  die  „Auetores  antiquissimi"  der  Uebergangszeit  als 
eigene  Abteilung*),  Sickel  die  Diplomata,  worin  ihm  Brefslau  und 
Mühlbacher  folgten,  Wattenbach  (nach  ihm  Dümmler)  die  Briefe, 
Dum  ml  er  (und  nach  ihm  Traube)  die  Antiquitates.  Als  be- 
schlossen war,  auch  die  Konzilien  der  Merowingerzeit  aufzunehmen, 
fielMaafsen  die  Vorbereitung  der  Ausgabe  zu,  denen  sich  die  von 
Werminghoff  bearbeiteten  karolingischen  anschliefsen  werden'*). 
Für  solche  Serien ,  welche  neu  begonnen  werden ,  wurde  ein  be- 
quemeres Quartformat  eingeführt,  welches  vom  31.  Bande  an  auch 
auf  die  Scriptores  ausgedehnt  wird,  so  dafs  die  Folioausgabe  mit 
dem  noch  unvollendeten  30.  Bande  schliefst.  Als  Fortsetzung  des 
Archivs  der  Gesellschaft  erscheint  das  Neue  Archiv,  von 
welchem  jährlich  ein  Band  ausgegeben  wird,  bis  zum  14.  Bande  von 
Wattenbach,  seitdem  von  Brefslau  redigiert;  dasselbe  beginnt 
mit  einem  Bericht  über  die  Neugestaltung  der  Direktion  und  bringt 
regelmäfsig  Berichte  über  die  jährlichen  Versammlungen  der  Zentral- 
direktion in  Berlin  und  den  Stand  der  Arbeiten,  es  bildet  eine  für 
die  Monumenta  unentbehrliche  Ergänzung. 

Von  dem  Deutschen  Reiche  und  Oesterreich  sind  bedeutende 
(seit  1892  erhöhte)  Geldmittel  bewilligt,  welche  eine  gesteigerte 
Betreibung  der  Arbeiten  durch  zahlreiche  Gelehrte  möglich  machen. 

')  Vgl.  darüber  die  Anzeige  von  SS.  XXIII.  und  Archiv  Xli.  von 
L.  Weiland,  GftA.  1877,  S.  769—796. 

^)  S.  Harnack,  Gesch.  der  Akad.  zu  Berlin  I.  995—997,  die  Satzungen 
daselbst  II,  597—600,  NA.  XVII,  624—627. 

')  S.  seinen  Schlussbericht  NA.  XXIV,  9—12,  doch  folgt  noch  ein 
Ergänzungsband  von  Traube  und  Vollmer  nach. 

"}  S.  NA.  XXIV,  457—502.   XXVI,  607—678. 


Neue  Orffanisation  der  Monuraenta  Germaniae. 


'J.i 


Das  Ergebnis  aller  dieser  Anstrengungen  eines  mehr  als  achtzig- 
jährigen Zeitraums  stellt  sich  nun  in  der  Weise  dar,  dals  die  Ge- 
schichtschreiber von  dem  Ausgange  des  römischen  Reiches  bis  in 
das  13.  Jahrhundert  hinein  fertig  vorliegen,  abgesehen  von  einem 
Teile  der  merowingischen  Heiligenleben,  deren  Vollendung  wir  von 
B.  Krusch  zu  erwarten  haben,  einem  erheblichen  Teile  der  stau- 
fischen Quellen,  den  späteren  Papstleben  und  einzelnen  Nachträgen. 
Manche  darunter,  wie  namentlich  die  karolingischen  Quellen,  sind 
jetzt  schon  wieder  sehr  veraltet.  Den  lateinischen  Geschichtschrei- 
bern haben  sich  die  deutschen  Chroniken  des  12. — 13.  Jahrhunderts 
in  4'|2  Bänden  angeschlossen  und  als  Nebenpartie  die  Schritten  über 
den  Investiturstreit.  Von  den  Leges  besitzen  wir  sämtliche  Volks- 
rechte, mit  Ausnahme  der  Salica ,  zum  Teil  in  zweiten  Ausgaben. 
Eine  überaus  wertvolle  Ergänzung  bildet  die  Sammlung  der  For- 
meln von  K.  Z  e  u  m  e  r.  Die  Eeichsgesetze  reichen  in  der  ersten 
Ausgabe  bis  1313,  in  der  neuen  Bearbeitung,  welche  bis  zum  Ende 
der  Karolinger  Boretius  und  Krause  (f  1896),  von  da  an 
Weiland  (f  1895)  und  Schwalm  unternahmen,  von  den  Mero- 
wingern  bis  zum  Zwischenreiche.  Sie  werden  durch  die  merowingi- 
schen Synoden  ergänzt.  Von  den  Diplomata  sind  aul'ser  dem  Ab- 
druck der  Merowinger  von  K.  Pertz  die  Urkunden  Karls  des 
Grofsen  vollendet  und  die  des  Deutschen  Reiches  von  Konrad  I. 
bis  auf  Heinrich  II.  Die  Abteilung  der  Briefe  begann  mit  dem 
Registrum  Gregorii,  welches  nach  dem  frühen  Tode  P.  Ewalds 
(t  1887)  L.  Hartmann  zum  Abschlufs  gebracht  hat^),  es  folgen 
die  merowingischen  von  Gundlach  und  die  karolingischen  bis  in 
die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts,  daneben  in  3  Bänden  die  von  Roden- 
berg  aus  den  päpstlichen  Registern  des  13.  Jahrhunderts  ausge- 
wählten Stücke.  Von  den  Antiquitates  wurden  bisher  3'/2  Bände 
Gedichte  der  karolingischen  Zeit  veröffentlicht,  zudem  2  Bände 
Necrologia  Germaniae  und  einer  mit  Verbrüderungsbüchern.  Mit 
Ausschlufs  der  Kaiserurkunden  und  Deutschen  Chroniken  ist  die 
lateinische  Sprache  für  alle  diese  Publikationen  beibehalten  worden. 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  Art  der  Ausführung,  so 
treten  uns  besonders  zwei  Hauptprinzipien  entgegen,  welche  im  Ver- 
gleich mit  den  älteren  Sammlungen  einen  bedeutenden  Fortschritt 
bezeugen:  die  genaue  philologische  Wortkritik  und  die  strenge 
Sichtung  des  Inhalts  mit  Bezug  auf  Herkunft  und  Glaubwürdigkeit 
der  Nachrichten. 

^)  Vgl.  NA.  XV,  527 — 549  und  die  Rezensionen  Seckels  in  Sybels 
Hist.  Zeitschr.  LXXVI,  111.   LXXIX,  90.   LXXXVII,  293. 


28  Einleitung  §  4. 

Zum  erstenmal  sind  hier  die  mittelalterlichen  Schriftsteller  mit 
einer  Genauigkeit  behandelt,  wie  sie  früher  nur  klassischen  Autoren 
zugewandt  wurde.  Von  Anfang  an  wurde  der  Grundsatz  aufgestellt 
und  in  der  Regel  auch  befolgt,  für  jeden  Schriftsteller  alle  erreich- 
baren handschriftlichen  Hilfsmittel  zusammenzubringen,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Fehler  früherer  Drucke  nur  die  beste  Handschrift  zu 
Grunde  zu  legen,  und  durch  Vergleichung  der  übrigen  die  mög- 
lichste Reinheit  und  Sicherheit  des  Textes  zu  erzielen. 

Wenn  auch  durch  frühere  Sorglosigkeit,  durch  die  Verwüstungen 
der  Bauernkriege  und  die  stürmischen  Zeiten  am  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts viel  zu  Grunde  gegangen  ist,  so  hat  sich  doch,  wie  die 
unternommenen  Reisen  nach  und  nach  ergaben,  mehr  erhalten,  als 
man  irgend  erwartet  hatte.  Und  wenn  auch  jetzt  so  manche  Hand- 
schi'ift  vermifst  wird,  welche  den  Maurinern  noch  vorlag,  so  bietet 
dagegen  unsere  Zeit  den  Vorteil,  dafs  fast  alle  Bibliotheken  und 
Archive  der  wissenschaftlichen  Forschung  zugänglich  sind,  während 
jene  noch  häufig  über  die  eifersüchtige  Verweigerung  des  Eintritts 
Klage  führten.  Hat  doch  selbst  Mabillon  in  Salzburg,  so  festlich 
er  auch  dort  empfangen  wurde,  keine  Handschrift  zu  sehen  be- 
kommen ^).  Auch  durch  die  in  neuerer  Zeit  zahlreich  gedruckten 
Handschriftenkataloge,  ebenso  wie  durch  die  immer  allgemeiner 
werdende  Versendung  von  Handschriften ,  sind  diese  Forschungen 
ungemein  erleichtert  worden. 

Von  nicht  geringerer  Wichtigkeit  als  die  Korrektheit  der  Texte 
ist  aber  zweitens  die  genaue  kritische  Analyse  der  Quellen.  Nicht 
nur  sind  dadurch  mehrere  früher  allgemein  benutzte  Schriften  als 
untergeschoben  gänzlich  ausgeschieden  worden ,  sondern  auch  die 
echten  Chronisten  werden  erst  dadurch  dem  Geschichtsforscher  recht 
brauchbar,  dafs  ihm  auf  den  ersten  Blick  entgegentritt,  was  jedem 
eigentümlich,  was  von  anderen  entlehnt  ist,  und  woher  er  es  ent- 
nommen hat.  Zuerst  in  der  Ausgabe  des  Regino ,  und  seit  dem 
vierten  Bande  der  Scriptores  in  folgerechter  Durchführung,  wird 
alles  von  anderen  unmittelbar  Entlehnte  auch  durch  kleinen  Druck 
kenntlich  gemacht,  was  die  Benutzung  ungemein  erleichtert.  Das 
wird  jeder  zu  würdigen  wissen,  welcher  irgend  Gelegenheit  gehabt 
hat,  andere  Sammlungen  und  Ausgaben  zu  benutzen,  wo  der  ge- 
wissenhafte Forscher  diese  Arbeit  stets  von  neuem  vornehmen  mufs, 
während  freilich  viele  es  sich  leichter  machen  und  ohne  Unter- 
scheidung gleichzeitige,  spätere  und  abgeleitete  Nachrichten  benutzen.. 

')  Vgl.  darüber  B.  Pez,  Thes.  I.  Diss.  Isagog.  p.  V. 


Die  Monumenta  Gemianiae.  29 

Die  Reihenfolge  der  Quellen  ist  im  ganzen  chronologisch, 
und  zwar  in  zwiefacher  Weise,  zuerst  nach  den  angegebenen  gröfseren 
Perioden  und  dann  wieder  innerhalb  der  kleineren  Abteilungen.  In 
einer  solchen  Periode  werden  nämlich  zuerst  die  Annalen  gegeben, 
streng  nach  Jahren  geordnete,  oft  gleichzeitige,  in  der  Regel  kurze 
Aufzeichnungen  ').  Darauf  folgen  die  Chroniken  und  Geschichten, 
welche  zum  Teil  noch  die  annalistische  Form  beibehalten,  doch  nur 
als  äufseres  Gerüst,  denn  sie  sind  meistens  nicht  gleichzeitig  und 
unterbrochen,  sondern  zusammenhängend,  im  Rückblick  auf  einen 
gröfseren  Zeitraum  aufgezeichnet,  und  versuchen,  über  die  blol'se 
Aufzeichnung  der  Thatsachen  hinausgehend,  deren  pragmatische  Ver- 
bindung und  innere  Entwicklung  nachzuweisen.  Den  allgemeineren 
Werken  dieser  Art  schliefsen  sich  die  Lokalchroniken  an,  deren  wir 
aus  der  älteren  Zeit  manche  von  Klöstern  und  Bistümern  besitzen, 
während  später  die  Chroniken  der  Länder  und  Städte  beginnen,  und 
allmählich  ganz  das  Uebergewicht  gewinnen.  Den  Schlufs  bilden 
die  Biographieen  und  kleineren  Erzählungen  verschiedener  Art, 
welche  nebst  den  Lokalchroniken  in  das  lebendige  Treiben  der  Zeit 
einführen,  und  denen  wir  gröfstenteils  das  Fleisch  und  Blut  zu  dem 
dürren  Gerippe  der  Annalen  verdanken. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  diese  Gattungen  durch  keine 
scharfen  Grenzen  gesondert  sind,  und  manches  Stück  so  sehr  in  der 
Mitte  steht,  dafs  es  nur  nach  zufälligen  Umständen  hier  oder  dort 
seine  Stelle  findet. 

Innerhalb  dieser  Kategorieen  ist  die  Anordnung  wiederum  chro- 
nologisch, nach  dem  Endjahr,  doch  wird  dieser  Grundsatz  nicht 
pedantisch  durchgeführt,  sondern  durch  mancherlei  Rücksichten  be- 
einträchtigt. Nicht  nur  wird  nachträglich  mitgeteilt,  was  während 
der  Arbeit  neu  entdeckt  wird,  sondern  es  bleibt  auch  oft  das 
Gleichartige  zusammen.  Namentlich  wird  die  Fortsetzung  nicht 
vom  Hauptwerk  getrennt,  wenn  sie  nicht  ganz  selbständiger  Art 
ist.  So  sind  die  Casus  S.  Galli  bis  1233  beisammen  geblieben,  und 
Sigebert  mit  seinen  Fortsetzern,  so  auch  Cosmas  und  die  öster- 
reichischen wie  die  schwäbischen  Annalen. 

Dom  Bouquet  und  seine  ersten  Fortsetzer  haben  das  entgegen- 
gesetzte Prinzip  verfolgt.  Sie  gaben  zu  jeder  Periode  alles  darauf 
Bezügliche  aus  allen  Schriftstellern ,  wodurch  scheinbar  ein  grofser 
Vorteil    für    den    Geschichtschreiber    erreicht    wird,    da    er    seinen 

*)  In  den  späteren  Bänden  unter  der  Leitung  von  Pertz  ist  der  Be- 
griff der  Annalen  immer  weiter  und,  wie  mir  scheint,  übermäfsig  aus- 
gedehnt, z.  B.  auf  Albert  von  Stade.  Vincenz  von  Prag. 


30  Einleitung  §  4. 

ganzen  Stoff  übersichtlich  vor  Augen  hat.  Dagegen  aber  wird  es 
ihm  aufserordentlich  schwer,  ja  unmöglich,  ein  kritisches  Urteil 
über  die  Quellen  zu  gewinnen,  weil  er  sie  nirgends  vollständig  bei- 
sammen hat;  und  doch  kommt  bei  der  geschichtlichen  Forschung 
gerade  darauf  so  viel  an :  es  ist  wenig  damit  gewonnen ,  die  aus 
dem  Zusammenhange  gerissenen  Worte  einer  historischen  Nachricht 
zu  haben,  wenn  man  nicht  weifs,  wie  viel  Glauben  der  Schriftsteller 
verdient,  und  wie  die  ganze  Art  und  Weise  seiner  Auffassung  und 
Darstellung  beschaffen  ist. 

Während  nun  bei  Bouquet  z.  B.  der  Sigebert  in  viele  Bände 
verteilt  ist,  bleibt  in  den  Mon.  Germ,  jeder  Schriftsteller  so  viel 
wie  möglich  in  seiner  Ganzheit;  man  hat  auch  nicht,  wie  Stenzel 
früher  vorschlug,  dasjenige  weggelassen,  was  der  Verfasser  nur  aus 
anderen  bekannten  Quellen  entlehnt  hat;  sondern  man  hat  es  we- 
nigstens bei  den  bedeutenderen  Schriftstellern  vorgezogen ,  diese 
Teile  nur  durch  kleineren  Druck  kenntlich  zu  machen,  weil  es  für 
uns  auch  von  Wichtigkeit  ist  zu  wissen,  wie  die  Schriftsteller  der 
Zeit  die  Vergangenheit  behandelten,  aus  welchen  abgeleiteten  Quellen 
die  Folgezeit  ihre  Kenntnis  schöpfte,  und  wie  auf  diese  Weise  die 
Kunde  der  Geschichte  allmählich  verengt  und  entstellt  wurde.  So 
hat  z.  B.  die  Chronik  des  Martin  von  Troppau  fast  gar  keinen 
selbständigen  Wert,  aber  sein  Compendium  der  Papst-  und  Kaiser- 
geschichte ist  nichtsdestoweniger  sehr  wichtig,  weil  es  jahrhunderte- 
lang die  Hauptquelle  der  Geschichtskenntnis  blieb. 

In  manchen  Fällen  jedoch  war  es  nicht  ratsam  oder  thunlich, 
die  ganzen  Werke  aufzunehmen,  und  dann  hat  man  sich  auf  Aus- 
züge notgedrungen  beschränkt;  wenn  nämlich  die  Hauptmasse  der 
deutschen  Geschichte  fern  liegt ,  fremde  Länder  oder  zu  entlegene 
Zeiten  betrifft,  wenn  zwischen  theologischen  und  anderen  Betrach- 
tungen sich  nur  vereinzelt  geschichtliche  Nachrichten  finden ,  oder 
wenn  eine  wüste  Kompilation  vorlag,  welche  keinen  Anspruch 
darauf  machen  kann ,  als  litterarisches  Erzeugnis  behandelt  zu 
werden.  Deutsche  Hauptschriftsteller  dagegen ,  welche  durch  ihre 
ganze  Persönlichkeit  bedeutend  sind,  haben  ein  wohlbegründetes 
Recht  darauf,  in  ihrer  ganzen  Eigenart  aufgefafst  zu  werden,  und 
Männern  wie  Otto  von  Freising  darf  man  ihre  Werke  nicht  ver- 
stümmeln '). 

')  Sehr  verständig  äufsert  sich  darüber  am  21.  Jan.  IS'Jl  Herr  von 
Buchholz  in  Wien,  der  mit  lebhafter  Teilnahme  dem  Unternehmen  zuge- 
wandt war,  Archiv  III,  327,  und  schon  früher  E.  M.  Arndt  in  Steins  Leben 
VI,  2.  129;  vgl.  V,  273.  366.    Ebenso  auch  Niebuhr,  Arch.  V,  729. 


Die  Monumenta  Germaniae.  31 

Von  auswärtigen  Geschichtsquellen  sind  von  Anfang  an  nicht 
selten  Auszüge  mitgeteilt;  in  der  Periode  der  Staufer  haben  diese 
einen  weiten  Umfang  gewonnen.  Es  bedarf  zu  ihrer  Bearbeitung 
einer  sehr  grofsen  Mühe  voll  Selbstverleugnung,  da  gewöhnlich 
zur  Gewinnung  der  Auszüge  das  ganze  Werk  kritisch  untersucht 
werden  mufste.  Für  die  Benutzung  aber  ist  bei  der  oft  schwierigen 
Zugänglichkeit  der  Ausgaben  diese  Zusammenstellung  eine  grofse 
Wohlthat,  und  ein  gegen  dieses  ganze  Verfahren  gerichteter  An- 
griff hat  deshalb  von  vielen  Seiten  eine  scharfe  Zurückweisung 
hervorgerufen;  es  genügt  hier,  auf  die  Schrift  von  0.  Holder- 
Egger  zu  verweisen:  „Die  I\lonumenta  Germaniae  und  ihr  neuester 
Kritiker"   (Hann.   1888)'). 

Von  manchen  der  bedeutenderen  Quellen  sind  nun  neben  der 
grofsen  Sammlung  auch  Oktav  ausgaben  erschienen,  ursprüng- 
lich ohne  den  kritischen  Apparat,  jetzt  aber  mit  demselben.  Auch 
werden  in  dieser  Form  neue  verbessei'te  Ausgaben  veranstaltet  und 
einzelne  ferner  liegende  Quellen  vorläufig  mitgeteilt. 

lieber  diesen  ganzen  reichhaltigen ,  aber  wegen  verschiedener 
Umstände  nicht  systematisch  geordneten  und  schwer  zu  übersehen- 
den Inhalt  gewährt  bis  1890  ein  ungemein  dankenswertes  Reper- 
torium  die  vortrefflichste  Uebersicht,  gemeinschaftlich  verfafst 
von  0.  Holder-Egger  und  K.  Zeumer-). 

Sehr  zu  raten  ist ,  die  wichtigeren ,  jetzt  so  leicht  zugänglich 
gemachten  Quellenschriften  auch  wirklich  durchzulesen ,  weil  das 
blofse  Nachschlagen  und  Benutzen  einzelner  Stellen  zu  so  vielen 
Irrtümern  und  Mifsverständnissen  Anlafs  gibt,  und  nur  das  Lesen 
im  Zusammenhange  die  richtige  Anschauung  gewährt;  erst  dadurch 
gewinnt  man  ein  lebendiges  Bild  von  den  einzelnen  Schriftstellern, 
wie  von  der  ganzen  Zeit  und  der  damals  herrschenden  Art  der 
Anschauung  und  Auffassung. 

Noch  leichter  wird  vielleicht  in  manchen  Fällen  dieser  Zweck 
erreicht  durch  die  schon  von  Stein  gewünschten ')  U  e  b  e  r- 
setzungen,  aus  denen  uns  der  Inhalt  der  Schriften  weit  reiner 
entgegentritt,  indem  der  Leser  hier  nicht  durch  die  einzelnen 
Schwierigkeiten    beschäftigt  wird ,   die   sonst  leicht   seine  Aufmerk- 


1)  Vgl.  Weiland  in  Sybels  bist.  Zeitschr.  LVIII,  310—335. 

')  Indices  eorum  quae  in  Monumentorum  Germaniae  historicorum 
tomis  huiusque  editis  continentur.     Hannov.  et  Berol.  1890.  4. 

^)  In  einem  Brief  an  Büehler  vom  23.  Juli  1827.  Steins  Leben  VI, 
1,  415  (vgl.  jedoch  V,  491).  Böhmer  legte  der  Zentraldirektion  den  Plan 
zu  einer  solchen  Sammlung  vor,  s.  Janssen,  Böhmers  Leben  S.  129. 


32  Einleitung  §  4.  5. 

samkeit  zerstreuen.  Auch  wird  man  durch  die  üebei'setzungen 
nicht  selten  auf  Stellen  aufmerksam  gemacht,  die  man  früher  über- 
sah, und  wenn  die  üebersetzung  gelungen  ist,  bietet  sie  kein  un- 
bedeutendes Hilfsmittel  dar  zum  richtigen  Verständnis  des  Textes, 
welches  häufig  gar  nicht  so  leicht  ist,  wie  der  erste  Anschein 
glauben  läfst.  Denn  das  mittelalterliche  Latein  hat  viel  Eigentüm- 
liches, und  nicht  nur  in  diese  Sprache  überhaupt,  auch  in  den 
Sprachgebrauch  der  einzelnen  Schriftsteller  mui's  man  sich  erst  mit 
Sorgfalt  hineinlesen,  um  ihn  ganz  zu  verstehen.  Man  hat  begonnen, 
die  Besonderheiten  dieses  Lateins,  welches  nicht  eine  Entartung, 
sondern  eine  selbständige  Weiterbildung  darstellt,  mit  philologischer 
Methode  zu  erforschen  und  dem  kunstvollen  Rhythmus  des  Satz- 
baus nachzugehen  '),  wodurch  der  Kritik  neue  Handhaben  gewonnen 
werden. 

Die  Wichtigkeit  der  seit  1847  unter  dem  Titel  der  Geschicht- 
schreiber der  deutschen  Vorzeit  erscheinenden  Sammlung 
von  Uebersetzungen  ist  unverkennbar,  aber  die  Ausführung  liefs 
viel  zu  wünschen  übrig.  Die  üngleichartigkeit  der  einzelnen  Ar- 
beiten liefs  den  Mangel  einer  eigentlichen  Leitung  sehr  empfinden, 
und  manche  üebersetzung  war  voll  von  Fehlern.  Von  den  auf  dem 
Titel  genannten  berühmten  Namen  hatte  nur  Pertz  sich  der  Sache 
wirklich  angenommen,  doch  begreiflicherweise  nur  als  einer  Neben- 
sache. Seit  1878  übernahm  Watten b ach  die  Führung,  setzte  die 
Sammlung  fort  und  liefs  eine  chronologisch  fortschreitende  neue 
Bearbeitung  erscheinen ,  deren  Uebersicht  man  bei  Potthast, 
2.  Aufl.,  I,  S.  LXXIV  f.  findet. 


§  5.     Andere  Arbeiten   des  19.  Jahrhunderts. 

In  weiten  Kreisen  hat  das  Unternehmen  der  Monumenta  Ger- 
maniae  anspornend  gewirkt,  es  hat  als  Vorbild  gedient  in  Turin  und 
in  England ;  aber  andererseits  wurde  es  auch  befördert  durch  man- 
cherlei Bestrebungen  verwandter  Art  und  durch  die  lebhafte  Auf- 
merksamkeit, welche  überhaupt  für  das  Mittelalter  einmal  erweckt 
war  und  bald  zu  den  gediegensten  Untersuchungen  führte.  Raumer, 
Ranke,  Stenzel  wirkten  in  anregendster  Weise  sowohl  mündlich 
wie  schriftlich.  Schon  1813  erschien  von  Fr.  v.  Raumer  das  Hand- 
buch merkwürdiger  Stellen  aus  den  lateinischen  Geschichtschreibern 

')  S.  A\'.  Meyer,  Die  rhythm.  lat.  Prosa  in  den  Götting.  Gel.  Anz. 
1893,  1  flf-.     V.  Winterfeld.  Rhein.  Museum  für  Philol.  LVIl,  167. 


Arbeiten  des  19.  Jahrhunderts.  33 

des  ^littelalters ,  und  die  Geschichte  der  Hohenstaufen  (1824)  gab 
das  Beispiel  einer  lebendigen  Benutzung  der  Quellen ,  einer  auf 
Leben,  Verfassung,  Sitte  eingehenden  Darstellung,  welche  nicht  für 
den  Gelehrten  allein  geschrieben  ist.  Ranke  stellte  in  seiner  Schrift 
Ztir  Krifik  neuerer  GescJncJitschrciher,  welche  1824  als  Beilage  zu 
seinen  Romanischen  und  Germaniseben  Geschichten  erschien,  das 
trefflichste  Muster  der  Quellenkritik  auf),  während  seine  prak- 
tischen Hebungen,  aus  denen  die  Jahrbücher  des  Deutschen  Reichs 
unter  den  sächsischen  Kaisern  hervorgegangen  sind,  die  Mehrzahl 
der  älteren  Mitarbeiter  an  den  Monumenten  ausgebildet  haben. 
Sein  wirksamster  Fortsetzer  war  in  dieser  Richtung  sein  Schüler 
Waitz,  dessen  historische  Hebungen  in  seiner  langjährigen  Göttinger 
Thätigkeit  eine  wahre  Brutstätte  für  kritische  Quellenuntersucbungen 
wurden '). 

Stenzel  gab  in  seiner  Geschichte  der  fränkischen  Kaiser  1828 
eine  rein  nach  Originalquellen  gearbeitete  Darstellung,  welche  um 
so  bewundernswerter  erscheint,  wenn  man  den  damaligen  Zustand 
der  Quellen  und  den  Mangel  an  guten  Hilfsmitteln  und  Vorarbeiten 
bedenkt.  Vorzüglich  aber  enthält  der  zweite  Band  treffliche  Unter- 
suchungen über  einzelne  Geschichtsquellen  dieser  Zeit,  und  eine 
ausgezeichnete  Abhandlung  über  die  bei  ihrer  Behandlung  festzu- 
haltenden Grundsätze. 

Seitdem  haben  sich  diese  Bestrebungen  in  immer  weiteren 
Kreisen  verbi*eitet;  aller  Orten  sind  historische  Vereine  thätig  für 
die  Bearbeitung  der  vorherrschend  landschaftlichen  Quellen.  Eine 
Zeitlang  war  man  vielfach  geneigt,  alles  von  den  Herausgebern  der 
Monumenta  zu  erwarten,  allein  bald  erkannte  man  doch,  dafs  diese 
die  späteren  Zeiten  noch  lange  nicht  erreichen  werden ,  und  dafs 
auch,  je  mehr  mit  der  Zeit  der  Stoff  anwächst  und  sich  zersplittert, 
desto  weniger  alles  ohne  Ausnahme  Aufnahme  finden  kann.  Sehr 
zweckmäfsig  ist  es  daher,  dafs  man  angefangen  hat,  die  Quellen 
einzelner  Gegenden  selbständig  herauszugeben ,  wobei  dann  auch 
das  spätere  Mittelalter  und  das  16.  Jahrhundert  mehr  Berücksich- 
tigung gefunden  haben.  So  erschienen  von  Mone  die  badischen 
Geschichtsquellen,  von  Grautoff  die  lübischen,  von  Lappenberg 
die  bremischen,  hamburgischen,  holsteinischen,  von  Stenzel  die 
schlesischen ,  von    der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Görlitz 

M  Neue  Ausgabe  1874:  Ges.  Werke  XXXIV.  Vgl.  G.  Waitz  in  den 
Nachrichten  von  der  G.  A.  Universität  1855,  N.  14. 

^)  S.  Die  Jubelfeier  der  histor.  Uebungen  zu  Göttingen  am  1.  Aug. 
1874,  Bericht  des  Festkomitees. 

Watt enb ach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  3 


34  Einleitung.     §  5. 

die  Lausitzer'),  von  Ficker,  Cornelius,  Janssen,  Diekamp 
die  münsterischen,  von  Endlicher  die  ungrischen,  Fontes  rerum 
Austriacarum  von  der  Wiener  Akademie  (53  Bände) ,  Quellen  zur 
Schweizerischen  Geschichte  von  der  allgemeinen  geschichtsforschenden 
Gesellschaft  der  Schweiz,  vielfach  sind  aufserdem  einzelne  Quellen- 
schriften abgesondert  herausgegeben.  In  Böhmen,  wo  schon  früher 
eine  rege  Thätigkeit  auf  diesem  Felde  entfaltet  war,  legte  Palacky 
durch  seine  Würdigung  der  böhmischen  Geschichtschreiber  den  Grund 
zu  einer  erneuten  kritischen  Beai'beitung,  und  1853  ei'schien  von 
M.  Toppen  die  Geschichte  der  preufsischen  Historiographie ,  als 
Vorläufer  und  Keim  der  ausgezeichneten  Sammlung  der  Scriptores 
Herum  Prussicarum,  welche  jetzt  in  fünf  Bänden  vollendet  vor- 
liegt. Fortgeführt  werden  diese  Bestrebungen  jetzt  vorzüglich  durch 
die  historischen  Kommissionen  für  einzelne  deutsche  Landschaften, 
so  für  die  Provinz  Sachsen  und  Anhalt,  die  älteste  seit  1876 
(39  Bände),  für  Rheinland,  Westfalen,  Hessen  -  Nassau ,  Baden, 
Württemberg,  das  Königreich  Sachsen  u.  s.  w. ,  höhere  Potenzen 
gleichsam  der  einzelnen  historischen  Vereine.  Die  Städtechro- 
niken, ein  ebenso  wichtiges  wie  schwieriges  Gebiet,  hat  die 
Münchener  historische  Kommission  unter  ihre  Aufgaben  aufgenom- 
men, und  unter  Karl  v.  Hegels  Leitung  (f  1901)  sind  bereits 
27  Bände  erschienen. 

üeber  das  viele  Material,  welches  in  periodischen  Schriften,  be- 
sonders in  den  Zeitschriften  der  historischen  Vereine  niedergelegt 
ist,  orientiert  für  die  ältere  Zeit  das  Repertorium  von  Walt  her 
1845  und  das  neuere  und  zugleich  umfassendere  von  Koner  (1856). 
Eine  weitere  Foi'tsetzung  fehlt  leider. 

Doch  noch  eines  Mannes  haben  wir  zu  gedenken ,  der  allein 
mehr  gewirkt  hat,  als  die  meisten  Vereine,  und  von  dem  sich  der 
anregendste  lebendigste  Einflufs  nach  allen  Seiten  verbreitete.  Joh. 
Fr.  Böhmer,  Bibliothekar  in  Frankfurt  a.  M.  und  mit  Pertz 
Direktor    der   Gesellschaft    für    ältere    deutsche    Geschichtskunde  ^), 


^)  Da  gegenwärtig  die  Schreibart  solcher  Fonnen  mit  kleinem  An- 
fangsbuchstaben durchaus  herrschend  ist,  so  scheint  es  nicht  überflüssig, 
auf  J.  Grimms  Kl.  Schriften  V,  380  zu  verweisen:  „Ein  grobes  versehn, 
dessen  sich  heutzutage  fast  alle  .  .  .  schuldig  machen,  ist  es  in  den  redens- 
arten  Pariser  vertrag,  Berliner  belagerungszustand  und  zahllosen  andern 
den  vorausgesetzten,  freilich  ungefühlten  gen.  pl.  für  ein  adjectiv  zu 
halten  ....  Wenn  doch  einmal  grosze  Buchstaben  gelten  sollen,  dürfen 
am  allerwenigsten  sie  solchen  appellativen  fehlen." 

^)  üeber  seinen  Anteil  s.  Janssen,  Böhmers  Leben  1,  122  ff.  Allg.  D. 
Biogr.  JII,  76—78,  von  Wattenbach. 


Johann  Friedrich  Böhmer.  35 

hatte  anfangs  die  Redaktion  der  Abteilung  der  Kaiserurkunden 
übernommen ,  diese  aber  später  wieder  aufgegeben ,  und  sich  auf 
die  ursprünglich  als  Vorarbeit  dafür  begonnenen  Regesten  beschrünkt. 
Diese  haben  in  den  neueren  Bearbeitungen  immer  weitere  Ausdeh- 
nung erhalten:  die  kurzen  Urkundenauszüge  sind  vollständiger  ge- 
worden und  durch  Auszüge  aus  den  Geschichtschreibern  und  Annalen 
in  Verbindung  gebracht;  das  ganze  historische  Material  einer  Periode 
wird  dem  Geschichtsforscher  geordnet  vor  Augen  gelegt  und  in  den 
Einleitungen  die  Quellen  besprochen  und  gewürdigt.  Der  zuerst 
erschienene  Teil,  von  !'19 — 1197,  bedurfte  begreiflicherweise  auch 
zuerst  der  Berichtigung  und  Ergänzung.  Diese  Aufgabe  stellte  sich 
K.  F.  Stumpf- Brentano  in  seinem  Werke:  „Die  Reichskanzler 
vornehmlich  des  10.,  11.  und  12.  Jahrhunderts",  dessen  Abschlufs 
J.  Ficker  nach  dem  frühen  Tode  des  Verfassers  (f  1882)  in  der  Weise 
besorgte,  dafs  durch  Aufnahme  von  Böhmers  Citaten  das  Buch 
selbständig  geworden  ist,  und  man  der  alten  Regesten  nicht  mehr 
bedarf.  Aufserdem  aber  ist  als  Vermächtnis  Böhmers  eine  Neu- 
bearbeitung des  ganzen  Regesten  Werkes  in  erweiterter  Form  in  An- 
griff genommen,  wovon  die  Regesten  der  Karolinger  von  E.  Mühl- 
bacher (I),  zum  Teil  schon  in  2.  Auflage,  und  die  der  Staufer 
von  1198 — 1272,  von  Ficker  und  Winkelmann  (V.  VI.)  und 
der  erste  Teil  des  sächsischen  Hauses  von  E.  v.  Ottenthai  (IL), 
ihrer  Vollendung  entgegengehen. 

Neben  dieser,  für  die  historischen  Studien  unendlich  frucht- 
reichen Arbeit  wurde  Böhmer  durch  die  Verwahrlosung  der 
späteren  Chroniken  und  den  Besitz  an  reichem,  aus  Handschriften 
gewonnenem  Stoff  veranlafst,  in  den  drei  Bänden  seiner  Fontes 
Beruw  Germanicaruni  auch  eine  eigene  handliche  Quellensammlung 
erscheinen  zu  lassen,  welche,  wenn  gleich  ohne  kritischen  Apparat, 
für  das  12. — 14.  Jahrhundert  von  ausgezeichnetem  Werte  ist.  Mit 
mannigfachen  Entwürfen  beschäftigt,  die  nicht  mehr  zur  Ausführung 
kamen,  ist  Böhmer  am  22.  Oktober  1863  in  Frankfurt  gestorben; 
in  seinem  letzten  Willen  hat  er  für  die  geeignete  Verwertung  seines 
handschriftlichen  Nachlasses  und  die  Fortführung  seiner  Arbeiten 
Fürsorge  getroffen.  Auch  wurde  bereits  durch  Alfons  Huber 
der  vierte  Band  der  Fontes  herausgegeben,  während  eine  grol'se 
Fülle  von  wertvollem,  urkundlichem  Material  durch  Julius  Ficker 
in  den  Acta  leperii  SeJecta  verwertet  ist.  Aufser  der  schon  er- 
wähnten Neubearbeitung  der  Kaiser-Regesten  aber  sind  von  A.  H  u  b  e  r 
die  Regesten  Karls  IV.,  von  C.  Will  in  2  Bänden  die  Regesten 
der   Mainzer   Erzbischöfe ,  jetzt   von    H  o  h  1  b  a  u  m    fortgesetzt ,    als 


36  Einleitung.     §  'j. 

Teile  dieses  grofsen  Corpus  erschienen.  Alt  mann  hat  sich  mit 
den  Regesten  Sigismunds  angeschlossen. 

Eine  umfassendere  Quellensammlung  von  strengerem  wissen- 
schaftlichem Charakter  und  mehr  methodischer  Art  verdanken  wir 
Philipp  Jaffe,  lange  Zeit  (1854 — 1863)  einem  der  vorzüglichsten 
Mitarbeiter  der  Monumenta').  Von  diesen  zurücktretend,  begann 
Jaffe  ein  selbständiges  Unternehmen  unter  dem  Titel  Bibliotheca 
Herum  Germanicarum.  Hinweisend  auf  den  langsamen  Fortgang 
der  Monumenta  Germaniae,  auf  die  nach  40  Jahren  noch  gänzlich 
fehlenden  drei  Abteilungen  der  Urkunden,  Briefe  und  Altertümer, 
gab  der  Herausgeber  als  seinen  Zweck  an ,  Quellen  verschiedener 
Art,  vorzüglich  solche,  welche  in  den  Monumenten  fehlen,  zu  ein- 
zelnen auch  in  sich  abgerundeten  Gruppen  zu  vereinigen,  so  dal's 
ein  Ort,  eine  bedeutende  Persönlichkeit  oder  ein  wichtiger  Zeitraum 
den  Mittelpunkt  bilde.  So  sind  zuerst  1864  Monumenfa  Corbeiensia 
erschienen,  welche  mit  einer  berichtigten  Ausgabe  der  Annalen  und 
anderer  kleinerer  Stücke  die  lange  begehrten  Briefe  Wibalds  ver- 
binden, und  schon  1865  folgten  Monumenta  Gregoriana,  die  erste 
kritische  Ausgabe  der  Briefe  Gregors  VII.  nebst  Bonithos  v.  Sutri 
liber  ad  amicum.  Trefflichkeit  der  Arbeit  mit  sauberer  Ausstattung 
und  handlichem  Format  verbindend ,  hat  dieses  neue  Unternehmen 
übei-all  freudige  Aufnahme  gefunden.  In  rascher  Folge  erschienen 
noch  drei  Bände,  welche  als  Hauptstücke  die  Bonifazische  Brief- 
sammlung, den  Codex  Carolinus  nebst  Einhards  Briefen  und  den 
Codex  Udalrici  brachten,  bis  ein  plötzlicher  Tod  am  3.  April  1870 
der  rastlosen  Arbeit  des  Herausgebers  ein  Ziel  setzte.  Wie  gewaltig 
diese  Arbeit  gewesen  war,  das  wissen  am  besten  diejenigen  zu 
schätzen,  welche  den  begonnenen  sechsten  Band  vollendet  haben, 
dessen  Hauptinhalt  die  Briefe  Alcvins  bilden. 

Nicht  unerwähnt  darf  hier  auch  Jaffes  älteres  Werk  bleiben,  die 
Begesta  Pontificum  Bomanorum  bis  zum  Jahr  1198.  Im  Jahr  1851 
erschienen ,  ist  es  seitdem  als  unentbehrliches  Hilfsmittel  überall 
verbreitet  und  in  seinem  hohen  Werte  anerkannt.  Was  bis  dahin 
wohl  lebhaft  gewünscht  war,  aber  nur  durch  gemeinschaftliche  Ar- 
beit einer  gelehrten  Körperschaft  erreichbar  schien,  gewährt  hier 
der  eiserne  Fleil's  und  die  umfassende  Gelehrsamkeit  des  einzelnen 
Mannes.  Für  den  uns  zunächst  vorliegenden  Zweck  ist  dieses  Werk 
insofern  von  Bedeutung,  als  es  wegen  der  Berücksichtigung  von 
Chronisten  und  Biographieen  auch  einen  Wegweiser  durch  die  Lit- 

')  S.  über  ihn  Allg.  D.  Biogr.  XIIT,  636—642  von  A.  Dove. 


Philipp  Jaffe.     Zur  Quellenkunde.  37 

teratur  der  Papstgeschichte  darbietet.  Diese  ist  in  neuerer  Zeit 
noch  durch  eine  umfassende  Sammlung  bereichert  worden ,  durch 
Watterichs  Ausgabe  der  Ponfificui)!  Ronianoruw  Vifac  von  872 
bis  1198;  der  versprochene  dritte  Band  bis  auf  Gregor  X.  fehlt. 
Nicht  eben  einverstanden  mit  •  der  Zusammenhäufung  abgerissener 
Bruchstücke,  verkennen  wir  doch  nicht  die  Verdienstlichkeit  dieser 
mühsamen  Arbeit  und  werden  sie  noch  öfter  zu  erwähnen  haben. 
Die  weitere  Fortführung  der  Regesten  bis  1304  verdanken  wir 
August  Potthast. 

Von  Jaffes  Regesten  aber  ist  unter  Wattenbachs  Leitung  in 
2  Bänden  1885 — 1888  eine  neue,  sehr  vermehrte  Ausgabe  er- 
schienen, von  welcher  der  erste  Teil  bis  590  von  F.  Kalte  n- 
brunner,  der  zweite  bis  882  von  P.  Ewald,  der  Hauptteil  von 
882  bis  1198  von  S.  Löwenfeld  bearbeitet  sind. 

Eine  ungemeine  Erweiterung  und  zugleich  kritische  Durch- 
forschung des  Stoffes  steht  diesem  Gebiete  durch  die  von  Paul 
Kehr  im  Auftrage  der  Göttinger  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
unternommene  Sammlung  der  Papsturkunden  bis  1198  bevor: 
von  seinen  bedeutenden  Erfolgen  in  Italien  geben  (seit  1896)  die 
Reiseberichte  in  den  Gott.  Gel.  Anz.  Zeugnis. 


Es  bleibt  noch  übrig,  einige  Worte  über  ältere  Arbeiten  auf 
dem  uns  vorliegenden  Gebiete  hinzuzufügen.  Das  Bedürfnis  einer 
Darstellung  der  historiographischen  Entwickelung  des  deutschen 
Mittelalters  machte  sich  seit  der  immer  wachsenden  Beschäftigung 
mit  diesem  Zeiträume  stets  dringender  geltend.  Ludwig  Wachlers 
kurze  Skizze  im  Eingange  seiner  „Geschichte  der  historischen  For- 
schung und  Kunst"  (Gott.  1812)  verdient  als  erster  Versuch  Er- 
wähnung, kann  aber  doch  jetzt  nur  noch  dazu  dienen,  die  seitdem 
gemachten  Fortschritte  recht  lebhaft  empfinden  zu  lassen,  während 
das  eigentliche  Hauptwerk  auch  jetzt  noch  brauchbar  ist.  Will- 
kommen als  übei-sichtliches  Hilfsmittel  war  Dahlmanns  „Quellen- 
kunde der  deutschen  Geschichte  nach  Folge  der  Begebenheiten", 
zuerst  1830,  dann  1838  in  zweiter  Ausgabe  erschienen;  1869  in 
dritter,  1875  in  vierter,  1883  in  fünfter  Ausgabe  durch  G.  Waitz, 
1896  durch  E.  Steindorff  neu  bearbeitet  und  bedeutend  vermehrt, 
ist  diese  Quellenkunde  als  eine  überaus  dankenswerte  Gabe  zu  be- 
trachten, aber  Darstellung  liegt  dem  Plane  des  Buches  fern  ')• 

')  Ein  Seitenstück  zu  diesem  Werke  für  Frankreich  lieferte  G.  M  o  n  o  d, 
Bibliographie  de  l'hist.  de  France,  Paris  1888. 


3g  Einleitung.     §  5. 

Recht  verdienstlich  war  es,  dafs  F.  Baehr,  seine  Geschichte 
der  römischen  Litteratur  über  die  gewöhnliche  Grenze  fortführend, 
1836  die  christlichen  Dichter  und  Geschichtschreiber  Roms,  1837 
die  theologische  Litteratur  hinzufügte,  1840  die  Geschichte  der 
römischen  Litteratur  im  karolingischen  Zeitalter,  hauptsächlich  nach 
der  Hist.  liter.  de  la  France,  folgen  liefs,  mit  derselben  Gelehrsamkeit 
und  Sorgfalt  gearbeitet,  welche  das  ganze  Werk  auszeichnet.  Die 
neue  Ausgabe  wurde  leider  durch  den  Tod  des  Verfassers  unter- 
brochen und  nur  die  erste  Abteilung  des  vierten  Bandes  (Die  christ- 
lichen Dichter  und  Geschichtschreiber  bis  auf  Paulus  Diaconus)  ist 
1872  in  zweiter  Ausgabe  erschienen.  Nicht  minder  umfassend  ist 
die  jetzt  schon  in  fünfter  Auflage  (1890)  vorliegende  ausgezeichnete 
Geschichte  der  römischen  Litteratur  -.on  W.  S.  Teuf  fei  (besorgt 
von  L.  Schwabe).  1837  erschienen  ,Die  Geschichtschreiber  der 
sächsischen  Kaiserzeit"  von  Contzen,  der  sich  durch  die  falschen 
Corveyer  Quellen  irre  führen  liefs;  was  sonst  etwa  für  jene  Zeit 
Brauchbares  in  der  Schrift  enthalten  war,  ist  durch  die  inzwischen 
erschienenen  neuen  Ausgaben  der  betreffenden  Schriftsteller  voll- 
kommen veraltet.  Auf  einen  anderen  Abweg  war  L.  Haeusser 
geraten,  indem  er  durch  die  von  Schlosser  ihm  mitgeteilten  Briefe 
des  Herrn  Galiffe  in  Genf)  sich  verleiten  liefs,  auf  dessen  wunder- 
liche Ideen  von  systematischer  Fälschung  der  Quellen  in  grofsem 
Umfange  einzugehen.  Freilich  bewahrte  ihn  sein  richtiger  kriti- 
scher Sinn  vor  völliger  Zustimmung,  doch  ist  er  noch  immer  ge- 
neigt, den  Behauptungen  Galiffes  zu  grofse  Bedeutung  beizulegen. 
Üebrigens  enthält  diese  Schrift  „Ueber  die  Teutschen  Geschicht- 
schreiber vom  Anfang  des  Frankenreichs  bis  auf  die  Hohenstaufen " 
(Heid.  1839)  manche  treffende  Bemerkung,  beruht  aber  auf  zu  un- 
genügenden Studien,  um  das  vorgesteckte  Ziel  erreichen  zu  können. 
Haeusser  war  damals  noch  Lehrer  in  Wertheim ;  er  hat  sich  später 
anderen  Gebieten  zugewandt  und  diesen  Gegenstand  nicht  wieder 
berührt. 

Noch  war  die  Lage  der  Dinge  so,  dafs  fast  nur  in  dem  Kreise 
der  Mitarbeiter  an  den  Monumenta  Germaniae  die  hinlängliche 
Vertrautheit  mit  dem  ganzen  Quellengebiet  erreichbar  war,  welche 
die  Lösung  der  vorliegenden  Aufgabe  möglich  machte.  Von  hier 
aus  trat  nun  G.  Waitz  mit  einer  Arbeit  auf,  welche  zuerst  ein 
bleibendes  Verdienst  in  Anspruch  nehmen  kann.    In  Kiel  gehaltene 

')  Diese  Briefe  sind  nur  autographiert  vorhanden;  vgl.  die  Lob- 
preisung: Notice  sur  la  vie  et  les  travaux  de  J.  A.  Galiffe  (Geneve  1856) 
S.  56. 


Bearbeitungen  der  Quellenkunde.  39 

Vorträge  weiter  ausführend,  gab  er  1844  und  1845  in  W.  A.  Schmidts 
Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft  11,  39— 58,97— 114,  IV,  97— 112 
„Ueber  die  Entwickelung  der  deutschen  Historiographie  im  Mittel- 
alter" eine  Darstellung,  welche  als  grundlegend  auf  diesem  Gebiete 
betrachtet  werden  mufs,  und  lange  Zeit  für  diese  Studien  das  vor- 
züglichste Hilfsmittel  blieb.  Die  Absicht,  den  Gegenstand  in  einem 
grölseren  Werke  eingehender  zu  behandeln ,  brachte  Waitz  jedoch 
nicht  zur  Ausführung  und  suchte  dagegen  durch  eine  1853  von 
der  Göttinger  Gesellschaft  der  Wissenschaften  gestellte  Preisfrage 
eine  Bearbeitung  von  andrer  Hand  hervorzurufen  ')•  Schon  früher 
mit  dem  Plane  eines  solchen  Werkes  beschäftigt,  nahm  Watten- 
bach hiervon  Veranlassung  zu  der  1858  erschienenen  ersten  Auflage 
des  vorliegenden  Buches,  welchem  1866  die  zweite,  1873  die  dritte, 
1877  die  vierte,  1885  die  fünfte,  1892  die  sechste  folgten.  Eine 
nützliche  und  willkommene  Ergänzung  desselben  gewähren  die  von 
W.  V.  Giesebrecht  in  seiner  „Geschichte  der  deutschen  Kaiser- 
zeit" mit  den  einzelnen  Abschnitten  verbundenen  Uebersichten  der 
Quellen  und  Hilfsmittel,  welche  von  anderem  Gesichtspunkt  aus- 
gehen und  über  manche  Quellenschriften  sehr  lehrreiche  Bemer- 
kungen enthalten.  Untersuchungen  über  einzelne  Geschichtsquellen 
sind  in  reicher  Fülle  erschienen ;  sie  werden  in  dieser  neuen  Aus- 
gabe berücksichtigt  werden ,  soweit  sie  in  den  betreffenden  Zeit- 
raum gehören.  Um  darüber  hinauszugehen,  würde  ein  Studium 
der  Quellen  allein  kaum  ausreichen ;  es  war  fast  unerläfslich,  dafs. 
wer  eine  solche  Aufgabe  lösen  wollte,  selbständig  innerhalb  dieses 
Zeitraums  gearbeitet  habe.  Sehr  erfreulich  war  es  daher,  dafs 
Ottokar  Lorenz,  der  Verfasser  der  freilich  leider  unvollendeten 
„Deutschen  Geschichte  im  13.  und  14.  Jahrhundert",  sich  entschlofs, 
diese  gerade  ihm  so  nahe  liegende  Arbeit  zu  unternehmen.  Zuerst 
1870  im  Anschlufs  an  dies  Werk  erschienen,  hat  auch  sein  Buch 
1876  eine  zweite  Auflage  erlebt,  in  welcher  es  durchgängig  ver- 
mehrt, verbessert  und  bis  zum  Ausgange  des  Mittelaltei's  fortgeführt 
ist.  1886  erschien  die  dritte  Auflage  in  Verbindung  mit  Dr.  Ar- 
thur Goldmann. 

Einen  populären  Ueberblick  ohne  gelehrte  Nachweisungen  be- 
absichtigt Vildhaut,  Handbuch  der  Quellenkunde  zur  Deutschen 
Geschichte  bis  zum  Ausgange  der  Staufer,  Arnsberg  1898,  fort- 
ofesetzt  in  einem  zweiten  Bändchen.   Hierher  gehört  auch  W.  Gund- 


^)  S.  das  Urteil   darüber  in  den  Gott.  Nachrichten  von  1856,   S.  268 
bis  295. 


40  Einleitung.     §  5. 

lach,  Heldenlieder  der  deutschen  Kaiserzeit  aus  dem  Lateinischen 
übersetzt,  an  zeitgenössischen  Berichten  erläutert  und  eingeleitet 
durch  Uebersiehten  über  die  Entwickelung  der  deutschen  Geschicht- 
schreibung im  10.,  11.  und  12.  Jahrhundert  zur  Ergänzung  der 
deutschen  Litteraturgeschichten  und  zur  Einführung  in  die  Ge- 
schichtswissenschaft. 1.  Hrotsvithas  Otto -Lied,  Innsbruck  1894. 
2.  Der  Sang  vom  Sachsenkriege,  1896.  3.  Barbarossalieder,  1899. 
Ein  übersichtliches  und  kurz  gefasstes  Nachschlagebuch,  welches 
auch  die  römische  Zeit  einschliefst,  lieferte  soeben  Aug.  Molinier 
in  den  Sources  de  l'histoire  de  France.  I  (Paris  1902).  Epoque 
primitive,  Merovingiens  et  Carolingiens  (also  bis  987  reichend). 
Wenn  auch  für  Frankreich  bestimmt,  deckt  es  sich  in  diesen  Ab- 
schnitten grofsenteils  mit  unseren  Geschichtsquellen.  Ein  verwandtes 
Werk  von  Balz  an  i  für  Italien  haben  wir  oben  (S.  13,  Anm.  3) 
schon  erwähnt '). 

')  Andrer  Art,  auch  die  Byzantiner,  die  Gesetze  und  Urkunden  um- 
fassend, ist  die  Schrift  von  ConstanzoRinaudo:  Le  fonti  della  storia 
d'Italia  della  caduta  dell'  impero  Romano  d'Occidente  all'  invasione  dei 
Longobardi  (476—568).     Torino  1883. 


I.  Die  Vorzeit. 

Von  den  ersten  Anfängen  bis  zur  Herrschaft  der  Karolinger. 


§  1.     Die  Rom  er  zeit.     Legenden. 

Tacitus  berichtet  uns,  dafs  noch  zu  seiner  Zeit  die  Germanen  in 
ihren  Liedern  die  Thaten  des  Arminius  feierten').  Nicht  unmög- 
lich ist,  dafs  noch  in  den  Dichtungen  der  deutschen  Heldensage, 
welche  Karl  der  Grofse  sammeln  und  aufschreiben  liefs  ^) ,  dieser 
uralten  Kämpfe  gedacht  wui'de:  was  uns  von  einheimischer  Sage 
erhalten  ist,  reicht  nicht  weit  über  die  Zeiten  Attilas  hinauf,  dessen 
gewaltige  Hand  mit  so  übermächtiger  Kraft  alles  zerschmetterte, 
was  ihm  entgegentrat,  dafs  auch  das  Gedächtnis  der  früheren  Zeit 
erlosch.  Von  den  Völkerschaften,  deren  Tacitus  gedenkt,  weifs  die 
Sage  nichts;  auch  die  gotischen  und  langobardischen  Heldenlieder, 
deren  Inhalt  uns  zvim  Teil  erhalten  ist,  sind  früh  verklungen.  Erman- 
rich  aber,  Etzel,  Dietrich  von  Bern  und  die  Könige  der  Burgunden 
lebten  fort  in  der  Erinnerung  des  Volks,  die  mit  der  Völkerwande- 
rung abschlofs;  wir  haben  die  Lieder,  welche  von  ihnen  reden, 
aber  wie  unbestimmt  und  nebelhaft  sind  ihre  Gestalten  geworden : 
kaum  erkennt  man  noch,  ob  es  Menschen  sind  oder  Götter.  Das 
ist  die  Natur  der  mündlichen  Ueberlieferung ,  in  der  es  nichts 
Festes  und  Stätiges  gibt,  und  schlimm  würde  es  um  unsere  Kenntnis 
der  Geschichte  stehen,  wenn  wir  auf  jene  allein  angewiesen  wären. 

')  Ann.  II,  88.  Vgl.  Wackernagel,  Geschichte  der  deutschen  Litte- 
ratur,  2.  Ausg.  von  Martin  I,  8  ff.;  W.  Grimm,  Deutsche  Heldensage, 
2.  Ausg.  (von  Müllenhoff),  Berlin  1867  (3.  Aufl.  von  Steig  1889).  Wolfg. 
Lazius  wollte  in  seinem  Buche:  De  gentium  aliquot  migrationibus  (Basel 
15-57)  das  Nibelungenlied  als  geschichtliche  Quelle  benutzen  und  noch 
Dümge  den  Waltharius  an  die  Spitze  der  Mon.  Germ,  stellen ! 

2)  Einh.  V.  Karoli  c.  29. 


42  I-  Vorzeit.     §  1.    Römerzeit. 

Kaiser  Ludwig  hatte  keine  Freude  an  den  Liedern  der  Heimat, 
welche  er  in  seiner  Kindheit  erlernt  hatte  ^) ;  mit  heidnischen  Vor- 
stellungen und  Anschauungen  durchwoben,  widerstrebten  sie  seinem 
kirchlichen  Sinne,  und  wie  dieser  Kaiser,  so  verhielt  sich  auch  die 
ganze  Kirche  feindlich  gegen  diese  Sagendichtung,  so  grofse  Freude 
auch  einzelne  ihrer  Diener  daran  haben  mochten.  Die  Kirche 
aber  führte  damals ,  und  bald  für  lange  Zeit  aussehliefslich  und 
allein,  den  Griffel  und  die  Feder,  welche  sie  nicht  entweihen  wollte 
durch  die  Aufzeichnungen  halb  heidnischer  Gesänge;  sie  strebte 
vielmehr  dahin ,  auch  auf  dem  Felde  der  Dichtkunst  das  Christen- 
tum zum  Siege  zu  führen.  Wir  gedenken  jetzt  mit  vergeblicher 
Sehnsucht  der  verlorenen  Sammlung  Karls  des  Grofsen ;  allein  die 
Kirche,  in  welcher  sich  jahrhundertelang  fast  das  ganze  geistige 
Leben  des  Volkes  uns  darstellt,  hat  für  diesen  Verlust  auch  reichen 
Ersatz  geboten,  indem  sie  die  wirkliche  Geschichte  der  Zeit  in 
fester,  zuverlässiger  Aufzeichnung  überlieferte,  freilich  sehr  ein- 
seitig ^),  oft  in  dürrer  und  reizloser  Form,  aber  um  so  treuer  und 
wahrhaftiger. 

Vor  der  Bekehrung  zum  Christentum  kann  daher  von  ein- 
heimischen Geschichtsquellen  nicht  die  Rede  sein ;  von  dem  Deutsch- 
land, welches  Arminius'  Heldenkampf  dem  römischen  Einflüsse  ent- 
zogen hat ,  bringen  uns  nur  die  Werke  der  Römer  und  Griechen 
spärliche  Kunde,  und  diese  zu  berühren,  liegt  aufserhalb  der  Grenzen 
unserer  Aufgabe.  Aber  auch  westlich  vom  Rheine,  südlich  von 
der  Donau  und  der  Teufelsmauer  (des  limes  transrhenanus) ,  liegt 
gegenwärtig  viel  deutsches  Land ,  wohnte  auch  unter  der  Römer- 
herrschaft manch  deutscher  Stamm,  und  nicht  ganz  ist  der  Faden 
zerrissen,  welcher  in  diese  Zeiten  hinüberführt.  Der  Boden  selber 
redet  zu  uns  in  vernehmlicher  Weise.  Noch  stehen  in  Trier  die 
gewaltigen  Bauten  der  Römer;  ihre  Türme  und  Wälle,  ihre  Land- 
strafsen  und  Gräber,  die  zahlreichen  Inschriften,  welche  die  ver- 
schiedensten Verhältnisse  des  Lebens  berühren,  entrollen  vor  un- 
seren Augen  ein  Bild  jener  Zeit,  da  das  weltbeherrschende  Volk 
sich  auch  hier  häuslich  niedergelassen  hatte  und  manche  blühende 
Stadt  ein  kleines  Abbild  der  ewigen  Roma  darbot.  Wir  erkennen 
noch  ihre  Kapitole,  ihre  Tempel,  Theater  und  Gerichtshallen,  ihre 
Bäder  und  Villen,  ihre  Fabriken,  deren  Stempel  auf  den  Trümmern 
der  Geräte   deutlich  zu  lesen  sind.     Allein  das  alles  liegt  wie  eine 

')  Thegani  V.  Lud.  c.  19. 

*)  Vgl.  hiezu  d.  treffenden  Bemerkungen  Varrentrapps,  „Zur  Geschichte 
der  Deutschen  Kaiserzeit''  in  Sybels  bist.  Zeitschr.  XLVII,  385—422. 


Lieder.    Das  römische  Deutschland.  43 

fremde  Welt  hinter  uns,  eine  gewaltige  Kluft  trennt  uns  von  jener 
Zeit,  erfüllt  von  allem  Greuel  der  Verwüstung  und  vernichtenden 
Kriegszügen.  Der  bebaute  Acker  birgt  Reste  von  Gebäuden,  die 
mit  der  sinnvollsten  Technik  dem  Klima  gemäls  zu  behaglicher 
Bewohnung  eingerichtet  und  mit  reichem  Schmuck  der  Kunst  aus- 
gestattet waren ;  aber  was  blieb  aul'ser  diesen  schwachen  Spuren 
übrig  von  dem  einst  so  volkreichen  und  betriebsamen  Virunum? 
In  Salzburg  fand  Sankt  Rupert  nur  waldbewachsene  Ruinen  des 
alten  Juvavum,  wilde  Tiere  hausten  in  den  Räumen  der  Pracht- 
gebäude. Andere  Städte,  wie  Regensburg  und  Augsburg,  wie  Trier, 
Köln  und  Mainz,  sind  bewohnt  geblieben,  ja  man  hat  geglaubt, 
dafs  ganze  römische  Stadtgemeinden  mit  ihrer  Verfassung  und  ihren 
Obrigkeiten  sich  hier  erhalten  hätten.  Eitler  Traum!  Zu  gründ- 
lich haben  unsere  Vorfahren  hier  aufgeräumt ;  wer  durch  Reichtum 
und  ansehnliche  Stellung  hervorragte,  fiel  als  Opfer  oder  entwich 
beizeiten  der  Gefahr :  einzelne  fanden  bei  den  germanischen  Fürsten 
als  Tischgenossen  des  Königs  Aufnahme ,  aber  nur  indem  sie  den 
alten  Verhältnissen  gänzlich  entsagten  und  sich  dem  Gefolge  des 
neuen  Herrschers  anschlössen.  Und  so  wurden  auch  die  übrigen 
Romanen ,  so  viele  ihrer  am  Leben  und  im  Lande  blieben ,  als 
Hörige,  einzelne  hin  und  wieder  auch  als  Volksgenossen,  in  die 
Gemeinschaft  der  Einwanderer  aufgenommen. 

In  den  Grenzlanden ,  welche  schon  durch  den  langen  Kampf 
verödet  waren,  welche  dann  die  ganze  Wucht  der  hereinbrechenden 
beutelustigen  Heerscharen  traf,  mag  kaum  ein  römisch  redender 
Bauer  übrig  geblieben  sein ;  die  Eroberer  stürmten  mit  ihren  Ge- 
fangenen weiter  und  liefsen  das  Land  verödet  hinter  sich.  Auch 
war  hier  schon  lange  die  Bevölkerung  grofsenteils  germanisch. 
Aber  in  den  Gebirgen  des  Südrandes  M  finden  wir  noch  nach  Jahr- 
hunderten wälsche  Bauern  (Walchen)  erwähnt;  wo  der  überflutende 
Strom  seine  Dämme  fand,  blieb  unter  der  Herrschaft  des  deutschen 
Kriegers  auch  die  gewonnene  Beute  der  unterworfenen  Bevölkerung. 
Sie  mufste  dem  neuen  Herrn  das  Feld  bauen  und  ihm  dienen  mit 
der  sehr  willkommenen  und  geschätzten  Arbeit  ihrer  kunstfertigen 
Hände  -). 

Aber  wo  der  Knecht  den  Herrn  an  geistiger  Bildung  übertrifft, 

')  Auch  in  der  Ortenau,  s.  Aloys  Schulte,  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrh. 
N.  F.  IV,  300—314. 

^j  Vgl.  Julius  Jung,  Römer  und  Romanen  in  den  Donauländem,  Inns- 
bruck 1877,  und  die  Ergebnisse  der  durch  Virchow  veranlafsten  Ermitte- 
luncren  über  Farbe  der  Haut  und  der  Auji^en. 


44  !•  Vorzeit.     §  1.     Römerzeit. 

da  bleibt  auch  die  Rückwirkung  nicht  aus,  dafs  dieser  von  seinem 
Diener  lernt  und  manches  von  ihm  annimmt.  In  Hauswirtschaft 
und  Ackerbau  wie  im  Handwerk  haben  sicher  die  Deutschen  viel 
von  den  Wälschen  gelernt,  wie  alte  Lehnworte  beweisen;  vorzüg- 
lich aber  zeigt  sich  die  Einwirkung  der  besiegten  Bevölkerung  in 
der  raschen  Annahme  des  Christentums  durch  die  Eroberer. 
In  den  Städten  des  Niederx-heins  und  Lothringens  scheint  die  Reihe 
der  Bischöfe  kaum  unterbrochen  zu  sein ,  obgleich  sich  von  der 
Fortdauer  römischer  Bevölkerung,  so  weit  noch  jetzt  die  Sprach- 
grenze reicht,  keine  Spur  nachweisen  läfst.  In  Noricuni  und  Pan- 
nonien  sind  die  alten  Bischofsitze  fast  gänzlich  von  der  Erde  ver- 
schwunden ;  dass  aber  die  Verehrung  eines  Märtyrers,  des  heiligen 
Florian,  durch  blofse  Tradition,  unmittelbar  an  der  alten  Grenze 
sich  erhalten  habe,  erscheint  nicht  glaubhaft,  weil  er  erst  seit  etwa 
800  nachweisbar  ist '). 

Denn  mit  den  römischen  Legionen  und  Handelsleuten  war  auch 
in  diese  Gegenden  schon  frühzeitig  das  Christentum  eingedrungen, 
und  als  das  alte  Reich  endlich  den  stets  wiederholten  Angriffen 
erlag,  hatte  die  christliche  Kirche  bereits  in  allen  Provinzen  die 
unbestrittene  Herrschaft  errungen.  Ueber  diese  frühesten  Zeiten 
der  Kirche  in  Deutschland,  über  ihre  Glaubensboten  und  Blut- 
zeugen ,  wufste  das  Mittelalter  gar  vieles  zu  erzählen ;  unmittelbar 
von  den  Aposteln  und  ihren  ersten  Schülern  sollte  die  Predigt 
und  die  Stiftung  der  Bistümer  am  Rhein  wie  in  den  Donaulanden 
ausgegangen  sein  ^).  Es  ist  darüber  eine  so  reiche  Litteratur  vor- 
handen, und  diese  Erzählungen  nehmen  in  den  Chroniken  des  Mittel- 
alters eine  so  bedeutende  Stelle  ein ,  dafs  wir  sie  hier  nicht  ganz 
übergehen  dürfen,  wenngleich  diese  kirchliche  Sage  in  noch  weit 
höherem  Grade  als  die  weltliche  jedes  festen  Bodens  entbehrt. 
Die  Phantasie  der  Geistlichkeit,  der  Heldensage  abgewandt,  ergriff 


^)  Stmadt  in  der  Archival.  Zeitschr.  N.  V.  YIII,  1  ff.  IX,  176  ff.  scheint 
mir  jedoch  zu  weit  zu  gehen,  wenn  er  den  h.  Florian  ursprünglich  im 
Sprengel  von  Aquileia  verehrt  werden  läfst. 

^)  Die  Kritik  der  gleichen  Nachrichten  in  Frankreich  und  Nachweis 
des  allmählichen  Auswachsens  der  Legenden,  in :  Origines  de  l'Eglise  de 
Tours,  par  M.  Tabbe  C.  Chevalier  (T.  XXI  des  Memoires  de  la\Societe 
archeologique  de  Touraine) ,  Tours  1871.  Vgl.  die  Anzeige  von  Monod, 
Revue  crit.  1872.  Tome  II,  p.  84—88.  Ferner  die  Kritik  von  Aube  über 
das  Buch  von  Dom  Chamard:  Les  eglises  du  monde  Romain.  Revue  bist. 
VII,  1.52 — 164,  und  jetzt  vorzüglich:  Memoire  sur  l'origine  des  dioceses 
episcopaux  dans  I'ancienne  Gaule,  par  M.  l'abbe  Duchesne,  Paris  1890 
(Mem.  de  la  Soc.  nat.  des  Antiquaires  de  France,  Tome  L),  vollständiger 
wiederholt  in  den  Fastes  episcopaux,  de  I'ancienne  Gaule  I,  Paris  1894. 


Kritik  der  Lcgendou.     Rettberg.  45 

mit  um  so  gröfserem  Eifer  die  kirchliche,  und  aus  den  unschein- 
barsten Anfängen  erwuchsen  da  die  wunderbarsten  Gebilde :  weit 
verzweigte,  mit  allen  Einzelheiten  ausgeführte  Geschichten,  welche 
sich  immer  üppiger  entwickelten  und  auf  die  ganze  Denkweise  der 
Menschen  den  gröfsten  Einfluls  gewannen.  Den  reichsten  Baum 
der  Dichtung  trieb  die  Legende  von  der  thebäischen  Legion ,  von 
deren  Führern  Gereon  in  Köln  mit  der  heiligen  Ursula  und  ihren 
11,000  Jungfrauen  zusammentrifft.  Köln  wird  nun  vorzugsweise 
die  heilige  Stadt  durch  die  Menge  der  Heiligenleiber,  welche  sie 
bewahrt,  aber  fast  jeder  Ort  im  Rheinthale  hat  seinen  Anteil  an 
dieser  Geschichte  und  erhält  dadurch  eine  geheimnisvolle  Weihe. 
In  anderen  Gegenden  sind  mehr  vereinzelte  Legenden  dieser  Art, 
doch  fehlen  sie  auf  dem  einst  römischen  Boden  nirgends. 

Der  leider  zu  früh  verstorbene  F.  W,  Rettberg  (f  1849)  hat 
das  grofse  Verdienst ,  zum  erstenmal  alle  diese  Erzählungen  einer 
zusammenhängenden ,  systematischen ,  strengen  Kritik  unterzogen 
zu  haben')-  Den  einzig  richtigen  Weg  einschlagend,  hat  er  das 
ganze  ungeheure  Material  kritisch  untersucht,  der  Herkunft  und 
Entstehung  jeder  einzelnen  Nachricht  nachgeforscht.  Wohl  hatte 
man  schon  früher  einzelnes  als  unhaltbar  aufgegeben,  aber  immer 
suchte  man  doch  wieder  historisches  Material  aus  dem  Wüste  der 
Fabeln  zu  gewinnen;  man  konnte  sich  nicht  entschliefsen  auf  das- 
jenige, dessen  späte  betrügliche  Entstehung  einmal  nachgewiesen 
war,  nun  auch  gänzlich  zu  verzichten,  und  auch  jetzt  noch  ist  für 
viele  dieser  Entschlufs  zu  schwer:  man  will  doch  nicht  alle  schein- 
bare Ausbeute  aufgeben  für  Zeiten  und  Gegenstände,  von  denen 
man  sonst  gar  nichts  weifs.  So  ist  es  nur  zu  gewöhnlich,  dafs 
man  das  gänzlich  Unhaltbare  fortwirft,  aber  dasjenige,  was  nicht 
in  sich  unmöglich  ist,  behält  —  ein  durchaus  unhistorisches  Ver- 
fahren -). 

Wenn  es  z.  B.  feststeht,  dafs  man  von  S.  Dysibod  im  zwölften 
Jahrhundert  noch  nichts  als  den  Namen  wufste,  dafs  dann  die 
Nonne  Hildegard  nach  angeblichen  Visionen  seine  Geschichte  schrieb, 

')  Kircliengeschichte  Deutschlands,  2  Bde.  8.  1848,  bis  zum  Tode 
Karls  des  Grofsen.  Vgl.  jetzt  auch  Hauck,  Kirchengesch.  Deutschlands  I. 
bis  Bonifaz,     2.  Ausg.  Leipzig  1898. 

2)  Vgl.  die  Worte  von  Waitz  in  den  Gott.  G.  A.  1855,  S.  274:  Es 
ist  hier  geschehen,  was  manchmal  geschieht  und  die  Leute  beruhigt:  man 
hat  zeitig  die  besonders  groben  und  anstöfsigen  Behauptungen  entfernt, 
und  dann  gemeint,  dafs  das,  was  allenfalls  wahr  sein  könnte,  nun  auch 
Anspruch  habe,  wirklich  dafür  zu  gelten,  während  die  wahre  Kritik  an- 
erkennt, dafs  ein  solches  Abhandeln  bei  Sage  und  Erdichtung  meist 
gerade  am  allerwenigsten  zur  historischen  Gewifsheit  führt. 


4(3  1-  Vorzeit.     §  1.     Römerzeit. 

die  von  chronologischen  Widersprüchen  strotzt,  so  sollte  man  doch 
denken ,  dal's  niemand  dieses  Märchen  ferner  als  Geschichtsquelle 
benutzen  werde.  Und  dennoch  machte  Remling  in  seiner  Geschichte 
der  Bischöfe  von  Speier  davon  Gebrauch,  obgleich  ihm  Rettbergs 
Werk  nicht  unbekannt  war.  Jedem  besonnenen  und  gewissenhaften 
Forscher  aber  gewährt  die  „Kirchengeschichte  Deutschlands"  eine 
feste  Grundlage  für  die  Beurteilung  dieser  Zeiten.  Das  Verfahren 
Rettbergs  besteht  darin ,  dafs  er  die  Entstehung  der  Legenden 
genau  untersucht  und  nachweist,  wie  sie  allmählich  gewachsen 
sind ,  wie  anfangs  nur  die  Namen  der  Heiligen  vorkommen ,  von 
denen  einige  wenige  auf  wirklich  alter  lokaler  Verehrung  beruhen ; 
wie  dann  zuerst  einige  Umstände,  dann  nach  und  nach  mehr  hin- 
zugesetzt wird,  bis  die  ganze  Geschichte  fertig  ist.  Die  Legenden 
selbst  sind  grofsenteils  ohne  Zeitangaben  über  ihx'e  Abfassung; 
einen  ganz  bestimmten  Anhalt  aber  gewähren  die  Martyrologien  '), 
deren  Verfasser  bekannt  sind,  und  die  uns  daher  das  allmähliche 
Anwachsen  der  Legenden  auf  das  deutlichste  und  bestimmteste  er- 
kennen lassen.  Dafs  aber  solche  spätei'e  Zusätze  nicht  etwa  auf 
wirklicher,  durch  mündliche  Ueberlieferung  bewahrter  Kenntnis 
beruhen ,  das  zeigt  uns ,  aufser  den  inneren  Widersprüchen ,  be- 
sonders die  Vergleichung  mit  den  späteren  echten  Legenden ,  mit 
den  Lebensbeschreibungen  der  Heiligen  aus  geschichtlich  bekannter 
Zeit,  welche  in  den  Legendarien  ebenfalls  fortwährend  sich  ver- 
ändern und  mit  allerlei  fabelhaften  Zuthaten  vermehrt  werden. 
-  Man  hat  freilich  Rettbergs  Verfahren  als  zu  negativ  angegriffen, 
und  es  wird  zuzugeben  sein,  dafs  er  in  einzelnen  Fällen  zu  weit 
gegangen  ist.  Auch  ist  hin  und  wieder  etwas  aufgefunden,  wo- 
durch auf  einzelne  Fragen  neues  Licht  fällt.  Es  war  deshalb  nicht 
ungerechtfertigt,  dafs  Pi*of.  J.  Friedrich  den  Vei'such  machte, 
jenem  Werke  eine  „Kirchengeschichte  Deutschlands"  (L  Die  Römer- 
zeit 1867,  IL  Die  Merovinger  1869)  von  mehr  konservativer  Rich- 
tung entgegen  zu  setzen.  Allein  es  fehlt  in  dieser  frühen  Arbeit 
Friedrichs  noch  an  jener  strengen  wissenschaftlichen  Methode,  durch 
welche  Rettberg  sich  so  sehr  auszeichnet,  und  infolge  übermäfsiger 
Ausdehnung  ist  von  der  Zeit  der  Merovinger  nur  der  Anfang  be- 
rührt.    Eine  weitere  Fortsetzung  ist  nicht  erschienen. 

Das  Ergebnis  von  Rettbergs  Kritik  aller  jener  Legenden  über 
die  Zeit  der  ersten  Einführung  des  Christentums  in  das  römische 
Deutschland  ist,  dafs  sie  alle  späteren  Ursprungs  sind,  dafs  für  die 

')  S.  über  diese  §  .3. 


Rettberg  und  Fiifdrich.     Afra  und  Florian.  47 

wirkliche  Geschichte  jener  Zeit  nichts  daraus  zu  lernen  ist.  Auch 
was  Friedrich  nachträglich  zu  retten  versucht,  ist  nur  sehr  wenig, 
und  es  trägt  für  diesen  Gegenstand  wenig  aus,  ob  in  der  auf  den 
Bischof  Eucherius  von  Lyon  (um  450)  zurückgehenden  Geschichte 
von  dem  Märtyrertode  der  Thebäer  in  Agaunum  ein  dürftiger 
historischer  Kern  sich  nachweisen  läfst '),  ob  das  Martyrium  einiger 
christlicher  Jungfrauen  zu  Köln  glaubhaft  bezeugt  ist^).  Etwas 
erheblicher  schien  die  Verteidigung  der  Legende  von  dem  Martyrium 
der  heil.  Afra  zu  Augsburg,  deren  Verehrung  Fortunatus  schon 
kannte,  allein  sie  stammt  erst  aus  karolingischer  Zeit,  und  ihren 
völligen  Unwert  hat  Krusch  gegen  Duchesne  siegreich  erwiesen '). 
Rettberg  fällte  ein  günstigeres  Urteil  nur  über  die  Leidensgeschichte 
des  heil.  Florian^).     Dieser,  ein  entlassener  Veteran,  soll  infolge 

')  S.  darüber  Franz  Stolle,  Das  Martyrium  der  thebaischen  Legion, 
Breslau  1891;  vgl.  NA.  XVIT,  223,  und  die  Ausgabe  von  Krusch,  SS.  rer. 
Meroving.  III,  20—41. 

^)  Ist  der  Einfall  0.  Schades  (Die  Sage  von  der  heiligen  Ursula,  1854), 
für  die  Ursulalegende  eine  mythologische  Begründung  nachzuweisen,  ohne 
Zweifel  verfehlt,  so  ist  dagegen  der  Versuch  Joh.  Hubert  Kessels  (S.  Ursula 
und  ihre  Gesellschaft,  Köln  1863),  durch  rationalistische  Deutung,  mit 
Verwerfung  der  abgeschmackten  Visionen,  die  ältere  Legende  zu  retten, 
nicht  minder  abzuweisen.  Sein  Verfahren  widerspricht  jeder  gesunden 
historischen  Kritik,  er  benutzt  allerlei  späte  Legenden  in  unzulässiger 
Weise  als  Quelle  für  die  Hunnenzeit;  seine  Hauptstütze  aber  ist  die 
Predigt  In  natali,  welche  er  ins  8.  Jahrhundert  setzt.  Diese  ist  von 
Klinkenberg  aus  einer  Hs.  saec.  XII.  herausg.  und  in  Karol.  Zeit  gesetzt 
(Kl.  u.  Düntzer  in  d.  Jahrbb.  d.  V.  v.  Alt.  im  Rheinland,  Heft  88.  89); 
er  setzt  seine  Untersuchungen  daselbst  fort,  Heft  93,  130  ff,  und  druckt 
S.  150  ff.  die  Passio  liegnante  doniino  ab.  Friedrich  gibt  die  Legende 
auf.  Vgl.  auch  Annalen  des  Niederrheins  1874,  Heft  26  u.  27,  S.  116—176, 
G.  Stein:  Ursula,  S.  177—196,  Flofs:  Die  Clematianische  Inschrift.  Facs. 
ders.  bei  F.  X.  Kraus:  Die  christl.  Inss.  d.  Rheinlande  (1890),  S.  143.  In 
den  Anal.  Bolland.  III,  1 — 20,  ist  die  Legende  Fuit  tempore  pervetmto,  her- 
ausgegeben mit  einer  früher  unbekannten  Widmung  an  p]rzb.  Gero,  wie 
es  scheint  die  älteste  Form,  die  hiernach  durch  einen  Grafen  Hoolf  vom 
Erzb.  Dunstan  von  Canterbury  stammte.  An  die  Thatsache  des  Mar- 
tyriums einiger  Christinnen  und  deren  Kult  hat  phantastische  Sage  sich 
angeschlossen,  welche  schon  Wandalbert  von  Prüm  bekannt  war,  in  jener 
alten  Legende  noch  in  einfacherer  Form  erscheint,  später  auch  absichtlich 
erweitert  ist. 

2)  Conversio  et  passio  S.  Afrae,  SS.  rer.  Meroving.  ed.  Krusch  III,  41 
bis  64,  vorher  bei  Friedrich  I,  427—430;  vgl.  Krusch,  Zur  Afralegende, 
NA.  XXIV,  289—294;  Mitt.  des  Inst.  XXI,  1—8. 

*)  I,  157.  Passio  S.  Floriani ,  SS.  rer.  Meroving.  III,  65—71,  vorher 
aus  einer  St.  Emmerammer  Handschrift  (clm.  14418)  saec.  IX,  bei  Pez, 
SS.  I,  36.  Der  längere  Text  ist  der  ursprüngliche.  Vgl.  gegen  Duchesne 
Krusch,  Zur  Florianslegende,  NA.  XXIV,  535—559  und  die  Arbeiten  von 
Strnadt  oben  S.  44.  Ueber  den  Grabstein  der  Valeria,  die  ihn  begrub, 
Kenner  im  Archiv  d.  W.  A.  XXXVIII,  174  und  (Münchener)  AUgem.  Zeit. 
1898,  Nr.  53  (7.  März),  Beil.  S.  7. 


48  T.  Vorzeit.     §  1.     Römerzeit. 

der  Verfolgungsedikte  von  Diocletian  und  Maximian  (304)  auf  Be- 
fehl des  Aquilinus,  Präses  von  Ufernoricum,  zu  Lorch  in  die  Enns 
gestürzt  sein,  ungeachtet  eines  schweren  Steins,  der  an  seinen 
Hals  gebunden  ist,  trägt  ihn  der  Flufs  auf  einen  hervorragenden 
Fels,  von  wo  eine  fromme  christliche  Frau  ihn  infolge  einer  Vision 
zur  Bestattung  abholt.  Diese  Erzählung  aber  ist  eine  deutliche 
Nachahmung  der  viel  älteren  Passio  des  heil.  Irenaeus  von  Sir- 
mium,  so  dafs  sich  die  absichtliche  Erdichtung  darin  kaum  ver- 
kennen läfst.  Denn  es  ist  eben  eine  Eigentümlichkeit  dieser  spä- 
teren Legendenfabrikation,  dafs  sich  in  benachbarten  Gegenden 
immer  dieselben  Todesarten  und  Wunder  wiederholen  ;  die  Phantasie 
des  Mittelalters  erscheint  darin  arm  und  dürftig.  Auch  finden  sich 
diese  Angaben  über  Sankt  Florians  Ende  erst  in  Martyrologien  des 
9.  Jahrhunderts,  die  Handschriften  der  Legende  reichen  nicht  höher 
hinauf),  und  nichts  weist  darauf  hin,  dafs  sie  etwa,  wie  das  Leben 
Severins,  in  Italien  aufbewahrt  und  von  dort  zurückgebracht  wäre, 
vielmehr  ist  Florian  als  ein  Vorläufer  der  auf  Lorch  bezüglichen 
Passauer  Fälschungen  zu  betrachten. 

Obgleich  dem  deutschen  Boden  nur  benachbart ,  verdient  eine 
andere  Legende,  die  Leidensgeschichte  der  heiligen  Vier 
Gekrönten,  hier  noch  Erwähnung,  welche  Rettberg  unbekannt 
geblieben  ist  -).  Sie  berichtet  uns  von  vier  christlichen  Arbeitern 
in  den  Steinbrüchen  Pannoniens,  welche  noch  einen  ihrer  Genossen 
bekehren ;  ihn  tauft  der  in  Ketten  dorthin  verbannte  Bischof  Cyrill 
von  Antiochien.  Das  ist  ein  merkwürdiger  Fingerzeig  für  die  Aus- 
breitung des  Christentums.  Rettberg,  der  nicht  nur  das  spätere 
Fabelwerk  mit  schonungsloser  Kritik  zerstört,  sondern  auch  den 
wirklichen  Verlauf  der  Bekehrung  dieser  Lande  mit  gröfster  Sorg- 
falt  aus   den    einzelnen  Anhaltspunkten   nachgewiesen   hat,    ist   zu 

^)  Eine  Handschrift  in  Lambach  (nicht  Linz)  wird  ins  9.  Jahrhundert 
gesetzt,  aber  der  Wiener  Cod.  650,  in  welchem  sich  die  zweite  Bear- 
beitung findet,  ist  nicht,  wie  Tabb.  I,  112  gesagt  ist,  saec.  IX,  sondern 
saec.  XII. 

^)  Passio  Sanctorum  Quatuor  Coronatorum,  herausgegeben  von  Watten- 
bach, mit  einem  Nachwort  von  Karajan,  in  den  Wiener  SB.  X,  115 — 137 
(auch  schon  in  dem  Sanctuarium  des  Mombritius  I,  fol.  160).  Neue  Aus- 
gabe in  Büdingers  Untersuchungen  zur  Rom.  Kaisergesch.  III,  321 — 338 
und  zum  dritten  Male  mit  Benutzung  der  ältesten  Pariser  Hs.  SB.  der 
Berl.  Akad.  1896 ,  S.  1288—1302.  Vgl.  dazu  NA.  V,  227.  VII ,  226.  XI, 
202.  XII,  426.  602.  —  J.  Jung  a.  a.  0.  hat  die  Legende  benutzt,  und  ver- 
weist auch  S.  132.  159  auf  die  Geschichte  der  Nonsberger  Märtyrer 
Sisinnius,  Martyrius  und  Alexander  (f  397)  Acta  SS.  Mai.  VII,  38-44.  Gar 
wenig  Inhalt  hat  die  chronologisch  ganz  unbestimmte  Vita  S.  Florini, 
aus  dem  Vintschgau,  Anal.  Boll.  III,  App.  p.  122—127. 


Die  vier  Gekrönten.  49 

der  Ansicht  gekommen  ,  dafs  für  dieselbe  nicht  sowohl  eigentliche 
Missionare  thätig  waren ,  als  vielmehr  die  christlichen  Soldaten  *), 
Handelsleute  und  Arbeiter ,  welche  hierher  kamen ,  während  die 
späteren  Legenden  durcbgehends  die  Gründung  der  Kirchen  durch 
die  Apostel  und  ihre  ersten  Schüler  behaupten.  Die  Verbannung 
gefangener  Christen  in  die  Steinbrüche  Pannoniens,  und  wohl  auch 
anderer  Lande,  wird  das  ihrige  dazu  beigetragen  haben.  Es  er- 
klärt sich  aber  aus  dieser  unmerklichen  und  unscheinbaren  Ver- 
breitung auch  zur  Genüge,  warum  keine  Schriftsteller  das  An- 
denken derselben  aufbewahrt  haben.  Jene  Arbeiter  nun  fielen  dem 
Neide  ihrer  Gesellen  durch  Diocletians  Spruch  zum  Opfer,  so  gerne 
dieser  auch  anfangs  seine  geschicktesten  Arbeiter  sich  erhalten 
wollte  (307?).  Die  Reliquien  der  fünf  Arbeiter  finden  sich  später 
zu  Rom  in  der  Kirche  der  heiligen  Vier  Gekrönten  -) ,  mit  denen 
sie  nur  hierdurch  in  zufällige  Verbindung  gebracht  sind,  und  dies 
hat  auch  eine  Verschmelzung  ihrer  Legenden  zur  Folge  gehabt. 
Vielleicht  erst  hierdurch  sind  auch  chronologische  Widersprüche 
hineingekommen,  aber  alt  ist  die  Legende  sicher,  geschrieben,  bevor 
Pannonien  von  den  Barbaren  überschwemmt  war,  und  das  Treiben 
in  den  Steinbrüchen  ist  mit  solcher  Anschaulichkeit  und  auch  mit 
so  durchgängiger  Beibehaltung  der  technischen  Ausdrücke  geschil- 
dert, dafs  der  Verfasser  selbst  noch  persönliche  Kunde  davon  ge- 
habt haben  muls.  Als  solchen  nennt  die  alte  Pariser  Handschrift 
den  Schatzungsbeamten  Porphyrius,  welchen  De  Rossi  auch  aus 
anderen  Erwähnungen  nachgewiesen  hat  ^).  Aber  nur  die  ursprüng- 
liche pannonische  Legende  können  wir  ihm  zuschreiben. 

Während  nun  also  diese  Legende  noch  die  ungestörte  Römer- 
herrscbaft  in  diesen  Gegenden  voraussetzt,  führt  uns  eine  andere  so 
recht  mitten  hinein  in  die  Stürme  der  Völkerwanderung,  und  wir 
können  es  uns  daher  nicht  versagen,  bei  dieser  etwas  länger  zu 
verweilen. 

')  Vgl.  die  Verschleppung  des  Dolichenoskults  durch  römische  Sol- 
daten; G.  Seidl  in  den  Wiener  Sitzungsberichten  XII,  4-90.  XIII,  233 
bis  260. 

-)  0.  Hirschfeld  (Archäolog.  u.  epigr.  Mitt.  aus  Oesterr.  IX,  21)  er- 
innert anläfslich  einer  Inschrift,  worin  von  capitella  columnarum  die  Rede 
ist,  welche  bei  Sirmium  für  die  Thermae  Licinianae  verfertigt  worden, 
an  unsere  Passio,  und  weist  dabei  den  Gebrauch  des  Ausdrucks  coronati 
für  höhere  Beamte  nächst  dem  Comicularius  nach. 

^)  Censualis  a   gleha   actuarius  nomine  Forfyreus  haue  gestain  scripsit. 


Wattenbach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl. 


50  I-  Vorzeit.     §  2.     S.  Severin. 


§  2.     Das  Leben  des  heiligen  Severin. 

Ausgabe  von  Welser  in  Augsburg  1595,  4  (Opera  p.  635)  aus  einer  HS.  des  11.  Jahr- 
hunderts in  St.  Emmeram  (clm.  14031).  Den  hier  fehlenden  Brief  Eugipp.s  an 
Paschasius  gab  Canisius,  Antiquae  Lect.  VI,  53,  I,  411.  Danach  vollständig  in 
der  2.  Ausgabe  des  Surius  und  Acta  SS.  Jan.  I,  484  mit  Kommentar  von  Bolland. 
Nach  den  ostr.  Handschriften  in  H.  Pez  SS.  I,  64,  und  daraus  bei  Muchar,  Das 
römische  Noricum,  II,  152—239,  mit  Kommentar.  Ausgabe  von  Ant.  Kersch- 
baumer,  Scaphus.  1862  nach  dem  alten  Lateran.  Codex,  aber  unkritisch  und 
wegen  vieler  Druckfehler  unzuverlässig;  Reo.  von  Sauppe,  Gott.  Gel.  Anz.  1862, 
S.  I.'i44— 1552.  Nach  Münchener  Handschriften  bei  Friedrich,  I,  431—489.  Ausg. 
von  Sauppe,  MG.  Auctt.  antt.  I,  2.  1877  (auf  Grund  besonders  des  Lateran.); 
vgl.  NA.  IV,  407,  Waitz,  GGA.  1879,  S.  581.  Gegen  Sauppes  krit.  Grundlage  u.  f. 
d.  Cod.  Taurin.  F.  Knöll,  Wiener  SB.  XCV,  445—498.  Ausg.  v.  Knöll  im  Wiener 
Corpus  SS.  eccl.  VIII,  2,  von  Mommsen,  Berl.  1898,  vgl.  dazu  Hermes  XXII,  454. 
XXIII,  460  (wieder  mehr  Sauppe  zuneigend,  aber  statt  einer  Hs.  die  betreffende 
ganze  Klasse  bevorzugend)  und  v.  Grienberger  in  der  Zeitschr.  f.  D.  Altert. 
XLV,  Anz.  S.  126—129.  Glossen  aus  österreichischen  Hss.  teilt  Wattenbach  mit 
NA.  IV.  407  ff.  üebers.  von  C.  Ritter,  Linz  1853,  von  K.  Rodenberg,  Berlin 
1878  (Urzeit  Bd.  4),  von  S.  Brunner,  Wien  i879.  —  Eugippii  opera,  Migne  62. 
—  Rinaudo  p.  14—19.  Vgl.  Rettberg  I,  226.  Eüdinger,  Oesterr.  Gesch.  I,  47  ff. 
Pallmann  II,  393—401.  J.  Jung,  Römer  u.  Romaneu  S.  132  und  an  vielen  Orten. 
Hauck  I,  349—352. 

Die  Lebensbeschreibung  des  heiligen  Severin,  von  seinem  Schüler 
Eugippius  verfafst,  ist  für  uns  von  ganz  unschätzbarem  Werte,  in- 
dem sie  einen  hellen  Lichtstrahl  wirft  in  Zeiten  und  Zustände,  von 
denen  wir  sonst  gar  nichts  wissen  würden,  wie  denn  auch  vorher 
und  nachher  tiefe  Finsternis  diese  Donauländer  bedeckt.  Keine 
andere  Quelle  gibt  uns  in  so  reichhaltiger  Weise  ein  Bild  des 
christlich  gewordenen  und  bereits  mit  vollständiger  kirchlicher 
Einrichtung  versehenen  Römerlandes  im  Süden  der  Donau;  un- 
mittelbar vor  der  Vernichtung  zeigt  ein  günstiges  Geschick  uns 
diese  Gegenden  und  ihre  Bevölkerung  in  scharfen  und  lebensvollen 
Umrissen. 

Attila  war  453  gestorben  und  die  frei  gewordenen  Völker 
wenden  nur  ihre  Waffen  gegeneinander  und  gegen  die  kläglichen 
üeberbleibsel  des  römischen  Reiches.  Alamannen  und  Thüringer 
hatten  den  Grenzwall  durchbrochen  und  drangen  in  Rätien  immer 
weiter  gegen  Süden  und  Osten  vor.  In  Noricum  hielt  sich  noch 
die  römische  Bevölkerung,  aber  in  welchem  Zustande!  Von  allen 
Seiten  wurde  sie  schwer  bedrängt  durch  die  vorrückenden  Bar- 
baren —  denn  so  nannten  damals  und  noch  lange  nachher  nicht 
nur  die  Römer,  sondern  auch  die  Deutschen  selbst  alle  Nichtrömer. 
Jenseits  der  Donau  schalteten  die  Rugier,  durch  häufige  Streifzüge 
das  Land  bedrängend  und  bald  auch  diesseits  festen  Fufs  fassend. 
Sie  sowohl  wie  die  Goten  in  Pannonien  waren  Arianer,  den  katholi- 
schen Romanen  fast  noch  verhafster  als  die  Heiden.  In  Comagena, 
einer  bald  darauf  völlig  verschwundenen  Römerstadt  unweit  Tuln, 


Leben  des  heiligen  Severin.  51 

hatten  bex'eits  Barbaren  sich  festgesetzt;  unfähig,  sie  zu  vertreiben, 
schlössen  die  Römer  ein  Bündnis  mit  ihnen,  und  die  Einwohner 
lebten  nun  wie  Gefangene  in  ihrer  eigenen  Stadt.  Da  tritt  plötz- 
lich ,  ungehindert  durch  die  Wachen ,  Severinus  unter  sie :  eben 
war,  wie  er  vorher  verkündigt  hatte,  die  benachbarte  Stadt  Astura 
gänzlich  zerstört  worden  ,  und  gläubig  horchte  man  nun  auf  seine 
Worte,  da  er  Rettung  verhiefs,  fastete  und  betete,  bis  plötzlich  in 
der  Nacht  ein  Erdbeben  die  Barbaren  in  Schrecken  setzt ;  voll 
Angst  eilen  sie  aus  den  Thoren  und  morden  sich  gegenseitig  in 
der  Finsternis  und  Verwirrung.  So  war  die  Stadt  von  ihren  Drän- 
gern befreit,  allein  was  war  damit  gewonnen ! 

Nur  von  den  Städten  aus  wurde  noch  das  Feld  gebaut,  und 
nur  zu  häufig  fielen  Ernte  und  Schnitter  in  die  Hände  der  Bar- 
baren;  Hunger  verwüstete  das  reiche  und  fruchtbare  Land,  wenn 
die  Zufuhr  auf  dem  Inn  ausblieb.  Die  Grenzsoldaten  erhielten 
aus  Italien  keinen  Sold  mehr,  und  infolge  davon  lösten  ihre  Scharen 
sich  auf;  nur  die  batavische  Cohorte  in  Passau  hielt  noch  zusammen, 
und  einige  von  ihren  Leuten  machen  sich  auf,  um  den  Sold  über  die 
Alpen  zu  holen,  werden  aber  unterwegs  erschlagen.  Vor  der  Donau- 
stadt Faviana,  zwischen  Passau  und  Wien,  erscheinen  plötzlich  Räuber 
und  führen  alles  hinweg,  was  sie  aufserhalb  der  Mauern  finden, 
Menschen  und  Vieh.  Der  Tribun  Mamertinus  hat  so  wenig  Mann- 
schaft, dafs  er  keinen  Ausfall  wagen  will,  bis  Severin  ihm  den  gött- 
lichen Beistand  verheifst ;  da  zieht  er  mutig  hinaus  und  gewinnt 
den  Sieg. 

Eine  der  wunderbarsten  Erscheinungen  ist  dieser  Severin.  Nie 
hat  er  sagen  wollen ,  wer  er  sei ,  woher  er  stamme ;  nur  dafs  er 
aus  dem  fernen  Osten  komme,  nahm  man  aus  seinen  Reden  ab, 
doch  erkannte  man  an  der  Sprache  den  geborenen  Lateiner.  Von 
vornehmer  Abkunft,  so  schien  es,  hatte  er  sich  in  die  Einsamkeit 
zu  den  heiligen  Vätern,  vermutlich  in  die  thebaische  Wüste,  zurück- 
gezogen ;  dann  aber  trieb  ihn  ,  wie  er  selber  andeutete ,  eine  gött- 
liche Stimme,  den  bedrängten  Bewohnern  des  Ufernoricum  Trost 
und  Hilfe  zu  bringen.  Seine  Enthaltsamkeit  erschien  übermensch- 
lich ;  bei  der  heftigsten  Kälte  ging  er  barfufs,  und  an  die  strengsten 
Fasten  gewöhnt,  schien  er  Hunger  und  Entbehrung  nur  in  der  Seele 
der  Notleidenden  zu  empfinden.  So  durchzog  er  das  ganze  Land, 
ermahnend,  Bufse  predigend,  tröstend,  vor  allem  aber  Hilfe  brin- 
gend, so  viel  er  vermochte.  Förmliche  Zehnten  forderte  er  ein, 
um  Gefangene  loszukaufen ,  Arme  zu  unterstützen.  Sein  Ansehen 
war   bald  grofs  im  Lande ;   unbedingte  Herrschaft  über  die  Natur 


52  I-  Vorzeit.    §  2.     S.  Severin. 

mafs  man  ihm  bei,  und  Gottes  Zorn  trcaf  jeden,  der  auf  sein  Wort 
nicht  achtete. 

Den  merkwürdigsten  Gegensatz  bildet  dieses  Land,  welches  in 
seiner  Bedrängnis  sich  willig  der  Leitung  eines  frommen,  gott- 
begeisterten Mönches  hingibt,  zu  den  sittenlosen  Grenzstädten  Gal- 
liens, über  deren  Verderbtheit  und  Leichtsinn  Salviau  vergeblich 
eiferte,  zu  Trier,  wo  „selbst  noch  bei  dem  Sturme  der  fränkischen 
Sieger  auf  die  Stadt  jung  und  alt  der  zügellosesten  Schlemmerei 
und  Ausschweifung  sich  ergibt,  mit  wahrer  Raserei  alles  dem  un- 
ausweichbaren  Untergang  trunken  und  prassend  entgegenstürzt *■  ^). 

Severins  Ansehen  beugten  sich  auch  die  Fürsten  der  Barbaren, 
selbst  jene  böse  Königin  Giso,  welche  rechtgläubige  Katholiken 
umtaufen  wollte;  halb  aus  Wohlwollen,  halb  aus  Furcht  erfüllten 
sie  seine  Bitten ,  achteten  sie  auf  seine  Ermahnungen ;  seinen  Rat- 
schlägen dankte  der  Rugierkönig  Flaccitheus  seine  friedliche  Regie- 
rung. Schützte  Severin  die  Römer  manchmal  durch  Ermutigung 
zu  kräftigem  Widerstand  und  durch  Vorhersagen  feindlicher  An- 
griffe, so  wandte  er  doch  häufiger  durch  seine  Fürbitten  Gefahren 
ab  und  erlangte  die  Freigebung  der  Gefangenen.  An  vielen  Orten 
hatte  er  Klöster  errichtet ,  die  nach  der  Weise  des  Morgenlandes 
aus  einer  Vereinigung  einzelner  Hütten  bestanden,  das  gröfste,  in 
welchem  er  sich  am  häufigsten  aufhielt,  bei  Faviana,  einem  jetzt 
spurlos  verschwundenen  Orte.  Hier  traten  einst  einige  Barbaren 
zu  ihm ,  die  nach  Italien  zogen  und  ihn  um  seinen  Segen  baten ; 
unter  ihnen  Odovacar,  damals  noch  ein  gemeiner  Krieger  und  mit 
schlechten  Tierfellen  notdürftig  bekleidet,  aber  so  hoch  gewachsen, 
dafs  er  sich  bücken  mufste,  um  nicht  die  Decke  der  Zelle  zu  be- 
rühren. Geh,  sagte  Severin  zu  ihm,  geh  nach  Italien;  jetzt  deckt 
dich  noch  ein  geringes  Gewand ,  aber  bald  wirst  du  vielem  Volke 
grofse  Gaben  auszuteilen  haben.  Als  König  gedachte  Odovacar 
dieser  Weissagung  und  forderte  Severin  auf,  sich  eine  Gnade  aus- 
zubitten,  worauf  dieser  sich  für  einen  Verbannten  verwendete. 

Severin  konnte  es  doch  nicht  hindern,  dals  Stadt  auf  Stadt  in 
die  Hände  der  Feinde  fiel.    Die  Rugier  bemächtigten  sich  der  Stadt 

^)  Rettberg  l,  25.  \'gl.  W.  Zschimmer,  Salvian  und  seine  Schriften, 
Halle  1875.  Ebert  I,  452-454.  Opera  ed.  C.  Halm,  MG.  Auett.  antt.  J, 
1.  1877;  ed.  Fr.  Pauly  im  Wiener  Corpus  VIII.  1883.  Uebersetzt  von 
Pet.  Gaffer,  Aachen  1858.  —  G.  Monod  meint  freilich  (Revue  crit.  1879, 
N,  24),  dafs  wir,  wenn  aus  den  Donauländern  Bufspredigten  erhalten 
wären,  darin  ähnliche  Anklagen  finden  würden.  Aber  Eugippius  würde 
doch  auch  dergleichen  nicht  unterlassen  haben,  wenn  er  Anlafs  dazu  ge- 
funden hätte. 


Leben  des  heiligen  Severin.  53 

Faviana  und  der  benachbarten  Orte;  ihre  Herrschaft  gewährte  wenig- 
stens Schutz  gegen  die  wilderen  Feinde,  welche  alle  weiter  aufwärts 
gelegenen  Burgen  und  Städte  zerstörten.  Die  geflüchteten  Ein- 
wohner führte  König  Feva  aus  Lorch  (Lauriacum),  wo  sie  sich 
gesammelt  hatten,  in  die  ihm  unterthänigen  Städte,  Joviacum  da- 
gegen wurde  von  den  Herulern  gänzlich  verheert,  während  Tiburnia 
(Teurnia)  in  Oberkärnten,  an  dessen  Namen  noch  Liburnia,  Lurna, 
Lurnfeld  erinnert '),  eine  Belagerung  der  Cloten  glücklich  überstand, 
Noch  im  6.  Jahrhundert  waren  hier  christliche  Bischöfe ;  dann  aber 
unterlag  auch  diese  uralte  Stiftung,  sowie  die  alte  Bischofstadt 
Pettau,  den  Slaven  und  Avaren. 

Am  8.  Januar  um  482  starb  Severin.  Fevas  Bruder  Ferderuchus 
plünderte  gleich  darauf  sein  Kloster;  innere  Kriege  unter  den  Ru- 
giern  und  Odovacars  Feldzug  gegen  sie  mehrten  die  Bedrängnis 
der  Römer,  bis  endlich  sechs  Jahre  nach  Severins  Tod  Odovacar 
die  ganze  römische  Bevölkerung  aus  Noricum  abrief  und  ihr  in 
Italien  Land  anwies.  Dadurch  erklärt  es  sich,  dafs  gerade  hier  von 
den  alten  und  einst  so  bedeutenden  Römerstädten  fast  jede  Spur  ver- 
schwand und  nur  schwache  Reste  einer  unterwürfigen  romanischen 
Bevölkerung  in  den  Gebirgen  zurückblieben.  Damals  scheint  auch 
der  heilige  Antonius  Noricum  verlassen  zu  haben;  er  war  aus 
Pannonien  zu  Severin  noch  kurz  vor  dessen  Tode  gekommen ,  wie 
Ennodius  in  der  Lebensbeschreibung  des  Antonius  berichtet  ^). 

Severins  Mönche  folgten  mit  Freuden  dem  Rufe,  welcher  sie 
aus  der  Knechtschaft  erlöste;  der  Anordnung  ihres  Meisters  ge- 
mäfs  führten  sie  dessen  Leiche  mit  sich  bis  nach  Neapel,  wo  sie 
endlich  Ruhe  fanden.  Hier  richtete  ihnen  eine  vornehme  Frau, 
Namens  Barbaria,  ein  Kloster  ein  im  Castellum  LucuUanum,  dessen 
Name  noch  das  Andenken  der  üppigen  Gärten  Luculis  bewahrte; 
ebenda  war  kurz  zuvor  auch  dem  letzten  römischen  Kaiser  sein 
Aufenthalt  angewiesen  worden  ^). 

In  diesem  Kloster  nun  war  Eugippius^)  Abt,  ein  Schüler 
Severins,  der  nach  Cassiodors  Zeugnis  von  weltlicher  Gelehrsamkeit 


')  Nach  Rieh.  Müller,  Debem  u.  Lurnfeld,  Carinthia  (1894).  S.  15—22, 
53—58. 

^)  Vita  S.  Antonii  Liritiensis ,  in  den  verschiedenen  Ausgaben  der 
Werke  des  Ennodius,  von  Fr.  Vogel  Auctt.  antt.  VII,  185—190. 

')  Nach  Caravita ,  I  codici  e  le  arti  a  Monte  Cassino  1 ,  14  auf  dem 
Pizzofalcone  bei,  jetzt  in  Neapel;  vgl.  Capasso,  Monum.  Neapolit.  ducat. 
n,  2,  171. 

■')  Andere  Formen ,  mit  guter  handschriftlicher  Beglaubigung  sind 
Eugipius  und  Eugepius;  vgl.  Mommsen  in  seiner  Ausg.  S.  I,  Anm.  1. 


54  I-  Vorzeit.     §  2.     S.  Severin. 

nicht  gar  viel  wufste ,  aber  in  den  heiligen  Schriften  wohl  belesen 
war '),  der  Verfasser  eines  Auszuges  aus  den  Schriften  des  heiligen 
Augustin  -).  Mit  bedeutenden  Kirchenschriftstellern  der  Zeit  stand 
er  im  Briefwechsel.  Diesen  Eugippius  nun  forderte  ein  ungenannter 
Laie  auf,  ihm  Materialien  zu  einer  Lebensbeschreibung  Severins  zu 
geben  ;  er  zeichnete  darauf  auch  wirklich  seine  Erinnerungen  auf, 
sandte  dieselben  aber  (511)  nicht  an  jenen  Laien,  denn  das  erschien 
ihm  unpassend,  sondern  an  den  gelehrten  Diakonus  der  römischen 
Kirche,  Paschasius,  mit  der  Bitte,  sie  zu  einer  förmlichen  Lebens- 
beschreibung zu  verarbeiten.  Zugleich  sandte  er  ihm  in  dem  Boten 
einen  Mann,  der  als  Augenzeuge  über  die  Wunder  berichten  sollte, 
welche  auf  dem  Zuge  durch  Italien  an  Severins  Sarg  geschehen 
waren.  Paschasius  aber  lehnte  jede  Aenderung  an  Eugipps  Auf- 
zeichnungen ab,  und  in  der  That  ist  ec  auch  sehr  zweifelhaft,  ob 
jene  Bitte  ernsthaft  gemeint  war,  da  uns  ähnliche  Aufforderungen, 
die  nichts  als  Redensart  sind,  so  häufig  begegnen.  Eugipps  Auf- 
zeichnungen sind  durchaus  nicht  unfertig,  nicht  nachlässig  und 
formlos,  und  gerade  aus  jenen  italischen  Wundern  hebt  er  einige 
als  die  wichtigsten  und  statt  aller  genügend,  sorgsam  hervor. 
Auch  gibt  er  als  den  wesentlichsten  Grund,  weshalb  er  den  Wunsch 
jenes  Laien,  von  dem  eine  andere  Biographie  ihm  bekannt  war, 
nicht  erfüllt,  die  Besorgnis  an,  er  möchte  durch  die  Anwendung 
der  rhetorischen  Kunst  den  Gegenstand  verhüllen  und  für  den  ein- 
fachen und  ungebildeten  Gläubigen  geradezu  unverständlich  machen. 
Er  war  also  kein  Freund  von  den  kunstgerechten  Büchern  jener 
Zeit,  welche,  wie  z.  B.  die  Schriften  des  Ennodius  und  manche  von 
Cassiodor,  durch  eine  Ueberfülle  gesuchter  Antithesen  und  wort- 
reichen Phrasenschwall  so  unerträglich  schwülstig  und  geziert  sind, 
dafs  man  oft  nur  mit  Mühe  den  Sinn  der  Worte  enträtselt.  Das 
galt  in  den  Rhetorenschulen  als  schöner  Stil. 

Eugipps  Aufzeichnungen  dagegen  sind  viel  einfacher  und  fast 
schmucklos,  ohne  strenge  Reihenfolge  und  Ordnung,  aber  um  so  mehr 
der  treue  Ausdruck  dessen-.,  was  ihm  in  seiner  Erinnerung  als  das 
Bemerkenswerteste  erschienen  war.  Gerade  darin  liegt  der  Haupt- 
yorzug   dieser  Lebensbeschreibung   vor   den    zahlreichen   Legenden, 


')  Divin.  Lectionum  c.  23:  quem  nos  quoque  vidimus,  virum  quidem 
non  usque  adeo  saecularibus  literis  eruditum,  sed  scripturarum  divinarum 
lectione  plenissimum.  V^l.  V.  Severini  ed.  Mommsen  p.  VIII ;  Büdinger, 
Eugipius,  Wiener  SB.  XCI,  793—814. 

^)  Sehr  gerühmt  von  Notker,  bei  Dümmler,  Fonnelbucli  Salomons 
III,  S.  65.     Ausg.  V.  KnöU  im  Wiener  Corpus  VIII,  1. 


Severins  Biograph  Eugippius.  55 

aus  deren  salbungsvollem  Wortreichtum  die  wenigen  geschichtlichen 
Nachrichten  mühsam  hervorgesucht  werden  müssen.  Er  selbst  hatte 
Severin  und  den  Schauplatz  seiner  Wirksamkeit  gekannt;  in  den 
letzten  Abschnitten  bezeichnet  er  sich  ausdrücklich  als  Augen- 
zeugen ,  aber  auch  nur  in  diesen ,  während  er  sich  übrigens  auf 
die  häufig  gehörten  Erzählungen,  zuweilen  auf  bestimmte  Gewährs- 
männer beruft. 

Das  Leben  Severins  finden  wir  schon  bald  nach  seiner  Ent- 
stehung bei  dem  sogenannten  Anonymus  Valesianus  '),  im  Anfange 
des  7.  Jahrhunderts  von  Isidor  erwähnt,  im  8.  von  Paulus  Diaconus 
benutzt;  um  dieselbe  Zeit  verfafste  man  zu  Neapel  einen  Hymnus, 
dem  dasselbe  zu  Grunde  liegt").  Bald  wurde  es  dann  auch  an  dem 
Schauplatz  seiner  Wirksamkeit  bekannt,  denn  schon  im  Jahre  903 
erwarb  die  Passauer  Kirche  eine  Handschrift  desselben  von  dem 
Landbischof  Madalwin  ^) ,  die  Grundlage  vielleicht  eines  Teiles  der 
bayerischen  und  österreichischen  Handschriften.  Eigentümlich  sind 
die  Wirkungen,  welche  hier  von  diesem  Werk  ausgingen.  Man  las 
darin  von  der  grofsen  alten  Stadt  Faviana,  die  man  nirgends  fand, 
und  da  man  nun  bei  Wien  alte  Römersteine  aufgrub,  so  zweifelte 
man  nicht  daran  ,  dafs  hier  einst  Faviana  gelegen  habe ;  Otto  von 
Freising  und  Herzog  Heinrich  von  Oesterreich  nahmen  diese  Mei- 
nung an ,  und  sie  hat  sich  bis  auf  die  neuesten  Zeiten  behauptet, 
bis  endlich  Blumberger  sie  siegreich  widerlegte'*). 

Schlimmere  Folgen  hatte  es  ,  dafs  man  in  Passau  nun  erfuhr, 
Lorch  habe  einst  Bischöfe  gehabt,  lange  bevor  Salzburg  den 
Krummstab  führte.  Es  lag  nahe,  sich  als  Erben  der  benachbarten 
Stadt  zu  betrachten,  welche  jetzt  zum  Passauer  Sprengel  gehörte; 

^)  Nachgewiesen  von  Glück,  Die  Bistümer  Noricums,  Wiener  SB. 
XVII,  77. 

^)  Canticum  laudis  Domino  canentes.  Ozanam,  Documents  inedits. 
p.  241,  besser  in  Eugipii  opera  ed.  KnöU  S.  71 — 73;  V.  Sever.  ed.  Mommsen 
p.  VIII — IX;  mit  Benutzung  einer  zweiten,  ganz  übereinstimmenden  Hs. 
bei  Dreves,  Anal.  hymn.  XIV,  a.  S.  41. 

3)  Mon.  Boica  XXVIII,  2.  201. 

■*)  Archiv  der  W.  A.  III,  355  (1849,  vor  der  Ausgabe  von  Böckings 
Kommentar).  Vgl.  Böcking,  Notitia  Dign.  Occ.  p.  747 — 750.  Glück,  Die 
Bistümer  Noricums  S.  76.  Aschbach,  Ueber  die  römischen  Militärstationen 
im  Üfer-Noricum  zwischen  Lauriacum  und  Vindobona,  nebst  einer  Unter- 
suchung über  die  Lage  der  norischen  Stadt  Faviana,  SB.  XXXV,  3 — 32 
für  Traismauer,  Tauschinski  SB.  XXXVIII,  31 — 46  wieder  für  die  Identität 
mit  Wien,  ohne  erhebliche  Gründe.  Kenner  in  d.  Blättern  d.  Vereins  f. 
Landesk.  v.  N.  Oesterr.,  N.  F.  XVI  (1882),  S.  3—53,  für  Mautern.  In 
Severins  Zeit  brauchte  man  den  Abi.  Favianis,  in  der  Notitia  Dign.  Occ. 
p.  100  (ed.  Seeck  p.  198)  steht  Fafianae  (Genetiv).  S.  CIL.  IH,  2,  687  und 
passim  zur  Erklärung  der  Ortsnamen. 


5(5  I.  Vorzeit.     §  2.     S.  Severin. 

aber  der  einmal  angefachte  Ehrgeiz  strebte  immer  weiter:  um  dem 
Vorrange  des  jüngeren  Salzburg  nachdrücklicher  entgegentreten  zu 
können,  wurde  ein  Erzbistum  Lorch  erdacht  und  bald  zu  fabelhafter 
Gröfse  ausgedehnt;  neu  angefertigte  Legenden  von  St.  Quirin  und 
Maximilian  mufsten  die  Beweise  dazu  hergeben,  untergeschobene 
Urkunden  das  Vorgehen  unterstützen,  und  mit  Hilfe  dieser  Waffen 
setzte  Passau  wirklich  bei  dem  in  geschichtlicher  Kritik  wenig  er- 
fahrenen Stuhle  Petri  seine  Ansprüche  durch,  und  wufste  sich  seit 
dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts  der  rechtmäfsigen  Salzburger  Metro- 
politangewalt  zu  entziehen.  Viel  gröfser  aber,  oder  doch  für  uns 
bedeutender,  ist  das  Unheil,  welches  diese  Fälschungen  in  der  Ge- 
schichtsforschung angerichtet  haben ;  noch  Rettbergs  Werk  trägt  be- 
deutende Spuren  davon,  und  es  wird  noch  eine  gute  Weile  dauern, 
bis  es  gelingt,  diesen  häfslichen  Spuk  gänzlich  aus  der  Geschichte 
zu  verbannen.  Aufgedeckt  aber  ist  die  ganze  Sache  namentlich  in 
E.  Dümmlers  Werk  über  Piligrim  von  Passau  und  das  Erzbistum 
Lorch ').  Nachdem  dann  die  Fälschung  wohl  zugegeben,  aber  ver- 
schiedene Versuche  gemacht  waren ,  Piligrim  von  dem  auf  ihm 
lastenden  Verdachte  zu  befreien ,  hat  neuerdings  Karl  Uhlirz  alle 
betreffenden  Urkunden  einer  genauen  Kritik  unterzogen  und  ist  zu 
dem  Ergebnis  gelangt,  dafs  als  Fälscher  sich  ein  Beamter  aus  der 
Kanzlei  Ottos  IL  nachweisen  läfst,  welcher  von  Piligrim  gewonnen 
sein  mufs. 

Severins  Leben  ist  der  letzte  Sonnenblick  vor  einer  Zeit  der 
äufsersten  Finsternis,  wie  der  Abendstrahl  durch  die  Grotte  des 
Posilipp.  Erst  viel  später,  und  von  der  anderen  Seite,  von  Gallien 
aus,  werden  wir  Deutschland  wieder  erreichen  können.  Von  dort 
wurde  ihm  aufs  neue  die  litterarische  Kultur  gebracht,  vermittelt 
durch  diejenigen  Stämme  des  deutschen  Volkes,  welche  auf  römi- 
schem Boden  sich  niedergelassen  hatten,  und  hier  die  Schüler  ihrer 
Feinde  geworden  waren.  Die  Geschichtschreibung,  welche  sich  im 
römischen  Reiche  während  der  letzten  Jahrhunderte  entwickelte, 
bildet  die  Grundlage  der  mittelalterlichen,  welche  mit  ihr  im  un- 
mittelbaren Zusammenhange  steht,  und  es  ist  deshalb  notwendig, 
dafs  wir  sie  auch  hier  etwas  ausführlicher  ins  Auge  fassen,  da  sonst 
die  Entwickelung  der  deutschen  Historiographie  nicht  verständlich 
sein  würde. 

')  Leipzig  1854.  Ueber  die  weitere  Litteratur  K.  ühlirz,  Die  Ur- 
kundenfälschung zu  Passau  im  10.  Jahrhundert.  Mitt.  d.  Wiener  Inst.  IIL 
177 — 228.  Dümmler,  Die  Entstehung  der  Lorcher  Fälschungen,  SB.  der 
Berl.  Akad.  1898,  S.  758—775. 


Anfänge  der  christlichen  Geschiehtsohreihung.  57 


§  3.     Die  Anfänge   und  Gattungen   der  christlichen 
Geschichtschreibung. 

Baehr,  Geschichte  der  römischen  Litteratur.  Supplementband.  Die  christlich-römische 
Litteratur.  1.  Abteilung.  Die  christlichen  Dicliter  und  Geschichtschreiber.  1836. 
In  der  zweiten  Ausgabe  1872  als  vierter  liand  bezeichnet.  Teuffei,  Gesell,  der 
röm.  Litt.  5.  Autl.  1890.  Adolf  Ebert,  Allg.  tiesch.  d.  Litt,  des  M.  A.  im  Abend- 
lande, 1.  Gesch.  d  christl.  lat.  Litt,  von  ihren  Anfängen  bis  zum  Zeitalter  Karls 
des  Grossen.    2.  Aufl.  1890. 

Das  Mittelalter  ist  durch  keine  bestimmte  Grenzlinie  vom  Alter- 
tum geschieden :  lange  Zeit  laufen  beide  gewissermafsen  parallel 
nebeneinander  her.  Das  unterscheidende  Element  ist  das  Christen- 
tum, welches  das  antike  Wesen  zersetzt,  und  teils  vernichtet,  teils 
umformt;  dann  das  Eintreten  ganz  neuer  Völker  in  die  Geschichte, 
welche  nach  und  nach  den  Schwerpunkt  ihrer  Entwickelung  zu  sich 
hinüberziehen.  Die  klassisch  -  heidnische  Litteratur  gehört  einem 
anderen  Gebiete  an,  und  liegt  unserer  Aufgabe  fern;  allmählich 
erstarb  in  ihr  das  Leben ,  und  auch  die  Geschichtschreibung  be- 
schränkte sich  immer  mehr  auf  Auszüge  aus  den  älteren  Werken. 
Hieran  konnte  sich  natürlich  keine  weitere  Entwickelung  anknüpfen. 
Den  vorhandenen  Stoff,  wie  ihn  besonders  Eutropius  zubereitet  hatte, 
fafste  zuletzt  noch  einmal  Paulus  Diaconus  in  seiner  römischen 
Geschichte  zusammen ,  und  machte  ihn  durch  Verschmelzung  mit 
der  Kirchengeschichte  für  seine  Zeit  brauchbarer.  So  ging  er  in  das 
Mittelalter  hinüber,  und  bildete  hier  die  Grundlage  aller  Kenntnis 
der  römischen  Welt.  Aber  ungeachtet  der  christlichen  Zusätze  und 
Fortsetzungen  blieb  doch  dieses  Werk  nur  eine  tote  Masse;  die 
lebendige  neue  Entwickelung  schlofs  sich  an  die  christliche  Ge- 
schichtschreibung, welche  sich  für  die  veränderte  Auffassung  und 
andere  Bedürfnisse  auch  neue  Formen  erschuf. 

Die  römische  Weltgeschichte  konnte  den  Christen  unmöglich 
genügen ,  die  eigene  Geschichte  der  römischen  Republik  sie  nur 
wenig  anziehen.  Ihnen  war  das  Wesentliche  in  der  Weltgeschichte 
die  Geschichte  des  Reiches  Gottes,  der  Mittelpunkt  lag  ihnen  in 
der  jüdischen  Geschichte,  und  davon  meldeten  die  Werke  der  Römer 
nichts.  Daher  fand  auch  des  Königs  Desiderius  Tochter  Adelperga 
den  Eutrop,  welchen  Paulus  Diaconus  ihr  zu  lesen  gegeben,  so  un- 
genügend, und  einige  Zusätze  konnten  hier  nichts  helfen;  es  mufste 
eine  ganz  neue  Weltgeschichte  aufgestellt  werden,  die  mit  dem  ver- 
änderten Standpunkte  im  Einklang  war,  die  namentlich  auch  das 
hohe  Alter  der  jüdischen  Kultur,  die  spätere  Entstehung  der  heid- 
nischen Staaten  nachwies.     Um  dieses  möglich  zu  machen,  kam  es 


58  T.  ^'orzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

vor  allem  darauf  an,  das  chronologische  Verhältnis  der  heiligen  und 
profanen  Geschichte  zu  bestimmen ,  um  dann  eine  Verschmelzung 
der  beiderseitigen  Nachrichten  vornehmen  zu  können.  Diese  Auf- 
gabe löste,  nach  dem  Vorgange  des  Sextus  Julius  Africanus,  welcher 
zuerst  den  Versuch  machte,  chronologisch  das  gesamte  Altertum 
mit  der  Bibel  zu  vereinigen  ^),  Eusebius  (364 — 340) ;  seine  zwei 
Bücher  Allgemeiner  Geschichte  enthielten  zuerst  in  darstellender 
Form  die  Chronogi'aphie ,  dann  tabellarisch  den  synchronistischen 
Kanon  bis  325.  Auf  diesem  grofsen  Werke  beruhen  alle  späteren 
Weltchroniken ,  der  Byzantiner  sowohl  wie  des  Abendlandes ,  wäh- 
rend zugleich  aus  seiner  Kirchengeschichte  das  Mittelalter  alle  seine 
Kenntnis  von  den  Anfängen  der  christlichen  Kirche  schöpfte.  Dieses 
letztere  Werk  hatte  für  die  Lateiner  Rufinus  bearbeitet^)  und 
(bis  395)  fortgesetzt,  die  Chronik  aber  Hieronymus  (geb.  346 
oder  347,  f  420),  welcher  sie  zugleich  bis  378  fortsetzte "). 

Diese  Chronik  des  Hieronymus  finden  wir  vollständig  oder  im 
Auszug  an  der  Spitze  aller  umfassenden  Chroniken  des  Mittelalters ; 
sie  war  ihre  Grundlage  und  ihr  Vorbild,  und  dadurch  war  die  knappe 
Form  der  annalistischen  Aufzeichnung  gegeben.  Darstellende  Werke 
aller  Art  hatten  daneben  freien  Raum,  aber  um  eine  übersichtliche 
Anschauung  von  dem  chronologischen  Zusammenhange  der  Welt- 
begebenheiten zu  erhalten,  war  diese  Form  unstreitig  die  angemes- 
senste, wie  man  ja  auch  heutzutage  der  Tabellen  zu  diesem  Zwecke 
nicht  entbehren  kann.  Sehr  dürftig  und  ungenügend  freilich  er- 
scheint uns  dieselbe,  wo  sie  fast  allein  und  ausschliefslich  zur 
Ueberlieferung  der  geschichtlichen  Ereignisse  verwandt  wird,  oder 
doch  anderes  uns  nicht  erhalten  ist,  wie  dies  in  den  nächsten  Jahr- 
hunderten nach  Hieronymus  der  Fall  war.  Diese  ersten  mageren 
Fortsetzungen  seiner  Chronik  sind  für  uns  ihres  Inhalts  wegen 
wichtig;    der  Geschichtschreiber  der  auf  römischem  Boden  angesie- 


')  Dr.  Konr.  Trieber,  Die  Chronologie  des  Julius  Africanus,  1879 ;  vgl. 
Gott.  Nachr.  1880,  Nr.  1.  H.  Geizer,  S.  Jul.  Afr.  u.  die  Byzant.  Chrono- 
logie, Leipzig  1880—1898. 

^)  Ausgabe  von  Mommsen  im  Anschluss  an  Eusebius  im  Drucke. 

*)  Opera  S.  Hier.  ed.  Vallarsius,  Tom.  VIII.  Baehr  S.  189—197.  Vgl. 
Bemays,  Scaliger  S.  92,  217.  Neue  kritische  Ausgabe  von  Alfred  Schoene 
in:  Eusebi  cbronicorum  canonum  quae  supersunt.  Vol.  II,  Berlin  1866. 
Nachträge  in  Vol.  I  (1875),  Eusebi  cbronicorum  libri  duo,  ergänzend 
Schöne,  Die  Weltchronik  des  Eusebius,  Berlin  1890.  Vgl.  Mommsen,  Die 
älteste  Hs.  der  Chronik  des  Hieronymus,  Hermes  XXIV.  Facs.  ders. 
Palaeogr.  Soc.  II,  129.  130.  lieber  die  Quellen  der  Chronik  des  Hiero- 
nymus handelt  Mommsen  im  Anhange  zu  seiner  Ausgabe  des  Chrono- 
graphen S,  669—693. 


Eusebius  und  Hieronymus.  59 

delten  deutschen  Stämme  ist  gröfstenteils  auf  diese  dürftigen  Quellen 
angewiesen,  für  die  Entwickelung  der  Historiographie  in  Deutsch- 
land aber  haben  sie  nur  insofern  Bedeutung,  als  durch  ihre  Ver- 
mittehing  die  unmittelbare  Anknüpfung  der  späteren  Chronisten 
an  Hieronymus  müglich  wurde '). 

Bemerkenswert  ist  aber  bei  diesen  Chronisten  der  allen  gemein- 
same römische  Standpunkt,  das  ängstliche  Festhalten  am  römischen 
Reich.  Uns  erscheint  gegenwärtig  der  Gedanke,  dals  in  den  neuen 
Bildungen ,  den  romanischen  Staaten ,  der  fruchtbare  Keim  einer 
neuen  Zukunft  enthalten  war,  als  natürlich  und  naheliegend:  da- 
mals aber  fiel  weit  mehr  die  Zerstörung  des  alten  Reiches  ins 
Auge;  man  sah  und  beklagte  überall  nur  den  Verfall,  und  wer 
die  Weltgeschichte  zu  betrachten  versuchte,  sah  fortwährend  nur 
in  dem  römischen  Weltreich  den  Träger  derselben.  Boten  doch 
die  Jahre  seiner  Kaiser  und  seiner  Konsulate  die  einzige  vorhandene 
Zeitrechnung,  denn  weder  die  von  Eusebius  eingeführte  Rechnung 
nach  Jahren  Abrahams  noch  auch  die  Jahre  von  Erbauung  der 
Stadt  Rom  erscheinen  im  Westreiche  je  im  praktischen  Gebrauch, 
und  Justinians  Siege  stellten  noch  einmal  die  Fortdauer  aller  der 
neu  entstandenen  Reiche  in  Frage.  Mochte  aber  auch  das  abend- 
ländische Römerreich  in  Trümmer  fallen,  das  morgenländische 
keinen  Schatten  von  Macht  über  den  Westen  besitzen,  für  die 
Chronisten  ist  und  bleibt  es  das  Weltreich,  der  Faden,  der  sie 
leitet.  Die  in  das  Reich  eindringenden  deutschen  Stämme  sind  und 
bleiben  Barbaren,  wenn  auch  der  Schreibende,  welcher  jedoch  immer 
der  Kirche  angehört,  selber  ihr  Landsmann  ist.  Diese  Auffassung 
beschränkt  sich  nicht  auf  diese  Zeit,  sie  bleibt  herrschend  durch 
das  ganze  Mittelalter,  denn  sie  war  bedingt  durch  die  auf  An- 
schauungen der  Alten  beruhende,  seit  Hieronymus  allgemein  an- 
genommene Erklärung  von  dem  Traume  des  Nebukadnezar  bei 
dem  Propheten  Daniel,  nach  welchem  das  römische  Reich,  das 
eiserne,  welches  die  früheren  zermalmt,  bleiben  soll  bis  zum  Ein- 
tritt des  himmlischen  Reiches  ^).  Die  Fortdauer  desselben  war 
daher  aufser  aller  Frage.  Demgemäfs  behandeln  auch  die  späteren 
Weltchroniken   die   deutsche   Geschichte   niemals   als   etwas  Neues, 

^)  Die  neue  Ausgabe  dieser  ältesten  Annalisten  für  die  MG.  ist  jetzt 
von  Th.  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX,  XI,  XIII  erschienen  mit  Indices  von 
Job.  Lucas  (Chronica  minora  I — III). 

2)  Dan.  c.  2.  Vgl.  Otto  Fris.  II,  13.  Büdinger  in  der  Hist.  Zeitschr. 
VII,  113.  Bernheim  in  der  Deutschen  Zeitschr.  f.  Geschichtsw.  I  (1889), 
S.  61.  Konr.  Trieber,  Die  Idee  der  4  Weltreiche  im  Hermes  XXVI,  321 
bis  344  über  den  antiken  Ursprung  dieser  Auffassung. 


60  1-  ^  orzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

Selbständiges,  sondern  nur  als  eine  Fortführung  des  römischen 
Reiches:  sie  führen  nach  dem  Untergange  des  westlichen  Reiches 
die  byzantinischen  Kaiser  fort  bis  auf  Karl  den  Grol'sen  und  be- 
wahren so  seine  scheinbare  Kontinuität,  wenn  sie  auch  dazwischen 
die  Volksgeschichten  episodisch  in  ihr  grofses  Fachwerk  einschalten, 
wie  Ekkehard. 

Neben  der  greisen  Chronik  des  Hieronymus  gab  es  nun  aber 
auch  noch  eine  andere,  sehr  dürftige  und  kompendiarische,  welche 
nur  einige  Anhaltspunkte  zur  chronologischen  Oinentierung  gewährte. 
Sie  läfst  sich  zurückführen  auf  ein  älteres  griechisches  Werk  des 
Hippolyt  von  Porto ,  das  bis  235  reichte ,  ein  Werk,  welches  auch 
dem  Liber  Generationis  des  sogenannten  Fredegar  zu  Grunde  liegt. 
Ueberarbeitet  und  bis  334  fortgesetzt,  bildet  es  einen  Teil  jenes 
merkwm-digen  römischen  Staatskalenders,  den  Th.  Mommsen 
in  seiner  Abhandlung  über  den  Chronographus  von  354  ausführlich 
behandelt  hat  *).  Er  hat  nachgewiesen ,  dafs  dieser  Kalender  mit 
den  nötigen  Veränderungen  von  Zeit  zu  Zeit  neu  herausgegeben 
wurde ;  doch  war  er  viel  zu  kostbar,  als  dafs  sich,  wer  ihn  einmal 
besafs,  immer  ein  neues  Exemplar  davon  angeschafft  hätte,  und  da 
die  ganze  Einrichtung  des  Werkes  zur  Eintragung  geschichtlicher 
Ereignisse  eine  sehr  passende  Gelegenheit  darbot,  so  ist  seine  Form 
nicht  ohne  Einflufs  auf  die  Gestaltung  der  verschiedenen  Gattungen 
geschichtlicher  Aufzeichnungen  geblieben.  Sein  Inhalt  mufs  folgen- 
den Stücken  entsprochen  haben,  welche  die  noch  erhaltene  Abschrift 
eines  Exemplars  vom  Jahre  354  uns  kennen  lehrt : 

1.  Der  eigentliche  Kalender  mit  Bildern,  die  noch  völlig  in 
heidnisch-antiker  Weise  gezeichnet  sind.  Der  Kalender  selbst 
ist  nicht  mehr  heidnisch,  aber  doch  auch  noch  nicht  christ- 
lich.   Die  öffentlichen  Spiele,  die  Senatstage  und  andere  sind 


^)  Abhandlungen  der  Kgl.  Sachs.  Ges.  der  Wissenschaften  in  Leipzig. 
I.  1850,  S.  547— 668.  Neue  Ausg.  des  Textes  Auctt.  antt.  IX,  13—196. 
Ein  mit  jener  Arbeit  verwandter,  von  Pallmann  zuerst  herausgegebener, 
ganz  kurzer  Abril's  der  Weltgeschichte  bis  452  Auctt.  antt.  IX,  149 — 153, 
Vgl.  auch  C.  Frick  im  Rh.  Mus.  f.  Philol.  XLVI,  106  ff.  Den  Liber  Ge- 
nerationis hat  C.  Frick,  Chronica  minora,  Lips.  1892,  I,  1—78,  neu  her- 
ausgegeben, vgl.  S.  CX— CXXV  über  die  Hss.  und  S.  I — LXVII  über  das 
Verhältnis  zu  seinen  Quellen,  den  Stromata  des  Clemens  Alexandrinus 
und  der  Chronik  des  Hippolitus.  —  Daselbst  S.  79 — 180,  vgl.  CXXV  bis 
CXXXr,  die  Chronik  bis  834,  S.  175—182,  vgl.  LXXVII— LXXXII  und 
CCVII,  die  Chronik  bis  452.  S.  die  Recens.  von  K.  J,  Neumann,  DLZ. 
1894,  S.  552  ff.,  von  Geizer  in  der  Berl.  philol.  Wochenschr.  1894. 
29.  Sept.,  Sp.  1255—1261. 


Römischer  Staatskai ondt-r.  61 

darin  verzeichnet  und  die  Geburtstage  der  Cäsaren  auch  noch 
abgesondert  auf  einem  verzierten  Blatt  vorangestellt  ')• 

2.  Konsular  fast  eil  bis  zum  Jahre  354. 

3.  Ostertafeln  auf  100  Jahre  von  ol2  an. 

4.  Ein  Verzeichnis  der  Stadtpriifekten  von  258 — 354. 

5.  Die  Todestage  (Depositiones)  der  römischen  Bischöfe 
und  der  Märtyrer '-'j. 

6.  Ein  Papstkatalog  bis  auf  Liberius. 

7.  Die  oben  erwähnte  Weltchronik  bis  334,  verbunden  mit 
einer  Stadtchronik  von  Rom  und  der  Regionenbeschrei- 
bung-'). 

In  diesen  Stücken  lälst  sich  mehr  als  ein  Keim  erkennen,  der 
später  zu  weiterer  Entfaltung  gelangt  ist.  Während  aus  dem  letzten 
Teile  jene  so  zahlreichen ,  immer  neu  aufgelegten  Beschreibungen 
von  Rom  entstanden,  hauptsächlich  zum  Wegweiser  für  die  Pilger 
bestimmt,  fox'derten  die  Konsular  fasten,  sowie  die  Ostertafeln 
von  selbst  dazu  auf,  bedeutende  Begebenheiten  bei  den  betreffenden 
Namen  und  Zahlen  einzutragen,  wie  es  z.  B.  Cassiodor  gethan  hat, 
und  in  vollständigerer  Weise  Prosper.  Ein  solches  Werk  ist  auch 
den  späteren  Exemplaren  jenes  Kalenders  eingefügt :  Fasten ,  die 
anfangs  nur  sehr  vereinzelte  Bemerkungen  enthalten,  für  das  fünfte 
Jahrhundert  aber  reichhaltiger  und  wegen  der  genauen  chrono- 
logischen Bezeichnung  wichtig  werden,  ohne  Zweifel,  abgesehen 
von  dem  früheren  Teil,  in  Ravenna  geschrieben'').  Und  zwar 
haben  sie  einen  durchaus  offiziellen  Charakter;  es  sind  bedeutende 
Vorfälle  in  betreff  der  kaiserlichen  Familie,  mit  denen  sie  sich  be- 
schäftigen ,  dazu  wichtige  staatliche  Begebenheiten  und  Natur- 
erscheinungen, mit  ausschliefslicher  Beschränkung  auf  Italien.  Mit 
den   Konsullisten   wurden    sie   von   Zeit    zu   Zeit    neu    ausgegeben. 


■"o^o^ 


^)  Ausg.  V.  Mommsen,  CIL.  T  (ed.  alt.),  254—279;  Ausg.  der  Bilder 
V.  Strzygowski,  Jahrb.  des  archäolog.  Inst.,  Ergänzungsh.  1  (Berl.  1838), 
über  die  metr.  Tituli  Schenkl  in  der  Festschr.  für  Benndorf  S.  29. 

^)  Nach  De  Rossi,  La  Roma  sotteranea  I,  11(5  eigentlich  ein  Fest- 
kalender, feriale,  und  deshalb  nicht  vollständig,  reicht  nicht  über  200 
zurück,  s.  Achelis,  Ueber  Gesch.  und  Wert  der  Martyrologien,  Abhandl. 
der  Gott.  Ges.,  N.  F.,  III,  6—18. 

')  S.  darüber  und  ül)er  die  im  12.  Jahrhundert  daraus  erwachsenen 
Mirabilia  Boiuae,  H.Jordan,  Topographie  der  Stadt  Rom  im  Altertum  II, 
1871.     Dess.  Forma  urbis  Romae  regionum  XIII.  1875. 

^)  Früher  als  Anonymus  oder  Chronicon  Cuspiniani  bekannt,  zuletzt 
gedr.  bei  Mommsen  a.  a.  0.  S.  656—668,  Auctt.  antt.  IX,  263  ff.  als  Fasti 
Vindohovenses ,  mit  d.  Anon.  Vales,  u.  a.  herausgegeben  als  Constilaria 
Italica,  auch  bei  Frick,  Chron.  minora  S.  371 — 418. 


62  I-  Vorzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

Durch  sehr  sorgfältige  und  eingehende  Untersuchungen  von  Pall- 
mann,  Waitz,  G.  Kaufmann,  Holder-Egger  ist  die  Benutzung  dieser 
Annalen  bei  immer  zahlreicheren  Schriftstellern  nachgewiesen ,  so 
dafs  Holder-Egger  sogar  den  Versuch  machen  konnte,  dieselben 
von  379 — 572  wieder  herzustellen  ').  Nach  dem  Ergebnis  seiner 
Untersuchung  (S.  344)  sind  diese  Fasti  consulares  für  uns  für  volle 
zwei  Jahrhunderte  in  chronologischer  Beziehung  eine  Quelle  von 
höchstem  Werte.  „Sie  haben,  so  heifst  es  bei  ihm,  ganz  aufser- 
ordentliche  Verbreitung  gefunden  :  fast  alle  weströmischen  und  ein 
oströmischer  -)  Chronist  des  5.  und  6.  Jahrhunderts  haben  sie  be- 
nutzt, sie  teilweise  zur  chronologischen  Gi'undlage  ihrer  Werke 
gemacht.  Zuletzt  sind  sie  noch  im  9.  Jahi'hundert  von  Theophanes, 
Agnellus  und  einem  Mönche  von  St.  Gallen  benutzt.  Sie  müssen 
mehrmals  redigiert  und  jedesmal  mit  neuer  Fortsetzung  heraus- 
gegeben sein.  Die  erste  Redaktion  fällt  vor  das  Jahr  445 ,  in 
welchem  Prosper  sie  bereits  für  die  erste  Ausgabe  seiner  Chronik 
benutzt  hat ;  dieselbe  Redaktion  wird  auch  dem  Chronicon  imperiale 
vorgelegen  haben.  Eine  zweite  schloTs ,  wie  wir  mit  ziemlicher 
Sicherheit  sagen  können,  mit  dem  Jahre  493 ;  sie  ist  von  Cassiodor 
und  Marcellin  benutzt.  Die  meisten  Chronisten  schöpften  aus  einer 
Vorlage,  welche  über  dieses  Jahr  noch  hinausreichte,  so  der  Anony- 
mus Valesianus  ^),  Marius,  der  langobardische  Chronist  (Cont.  Pro- 

')  Die  Ravennater  Annalen,  NA.  I,  215 — 368.  Eine  Berichtigung  von 
Usener  in  dem  Anecdoton  Holderi,  1877.  Benutzung  bei  Beda  nach 
L.  Schmidt,  NA.  IX,  197,  verworfen  v.  Mommsen  a.  a.  0.  S.  253. 

^)  Mareellinus  Com  es,  s.  Marcellini  V.  C.  Chronicon  ed.  Momm- 
sen, Auctt.  antt.  XI,  37—108  mit  ausführlicher  Einleitung  (vgl.  XIH,  725); 
s.  Holder-Egger,  NA.  II.  49 — 109.  Sein  Werk  reicht  im  Auschluls  an 
Hieronymus  von  379 — 518  und  ist  von  ihm  selbst  bis  534 ,  weiter  bis 
548  fortgesetzt.  Die  weitere  Fortsetzung  549 — 566  in  den  Ausgaben  (ed. 
Mommsen  p.  48)  ist  aus  Herrn.  Contr.  entlehnt,  wie  Waitz,  Gott.  Nachr. 
1857,  S.  38  nachgewiesen  hat.  Jordanis  hat  nach  Mommsen  (}).  58)  neben 
Marcellinus  dessen  Quellen  benutzt,  eine  ausführlichere  Recension  seiner 
Chronik  ist  nicht  wahrscheinlich. 

')  Anonymus  Yalesianus,  zuerst  von  H.  Valois  mit  Ammianus 
Marcellinus  herausgegebene  Hauptquelle  für  Odovacar  und  Theodorich. 
Neue  Ausgabe  mit  Benutzung  der  wiedergefundenen  Es.  hinter  Amm. 
Marc.  ed.  Y.  Gardthausen,  Lips.  1875;  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX.  3 — 11. 
259—262.  306—328.  XIII,  717.  720.  Ausführlich  über  den  An.  Val. 
handelt  C.  Cipolla  im  Bullettino  dell'  Istituto  stör.  (1892)  n.  2,  p.  7—98: 
er  sieht  in  ihm  eine  Reihe  lückenhafter  und  entstellter  Auszüge  aus  einer 
älteren  umfassenderen  Quelle.  Uebers.  v.  D.  Coste  bei  Procops  Goten- 
krieg. Benutzt  von  Sicard  von  Cremona,  s.  Holder-Egger,  NA.  XXVI, 
475  flg.  Vgl.  C.  Frick  über  d.  cod.  Pal.  927  in  d.  Comm.  Wolf  lin.  von 
Mommsen  zurückgewiesen.  Nach  Holder-Egger  im  NA.  J.  316—324 
schrieb  er  in  Ravenna  und  benutzte  die  verlorene  Chronik  des  Bischofs 
Maximian  (546—556);  SS.  Langob.  p.  273  stimmt  H.  E.  der  Ansicht  bei, 


Konsularfasten.  63 

speri  Havniensis),  wahrscheinlich  auch  der  Verfasser  der  Continuatio 
und  des  Auctarium  Prosperi ')  in  der  vatikanischen  Handschrift.  .  .  . 
Wie  weit  deren  Exemplare  reichten,  läfst  sich  nicht  bestimmen ;  doch 
ist  einiger  Grund  zu  der  Annahme  vorhanden  ,  dafs  im  Jahre  526 
eine  neue  Redaktion  abgeschlossen  ist.  Wahrscheinlich  ist  dann 
noch  eine  neue  Fortsetzung  etwa  bis  zum  Jahre  572  in  Ravenna 
hinzugefügt;  diese  letztere  hätte  dann  Agnellus,  möglicherweise 
auch  der  Mönch  von  St.  Gallen -)  benutzt." 

Leicht  möglich  ist  es,  dafs  Holder-Egger  in  seinen  Folgerungen 
zu  weit  gegangen  ist.  G.  Kaufmann  hat  dieselben  angegriffen  ^) ; 
er  bestreitet  die  Ableitung  mancher  Nachrichten  aus  dieser  Quelle, 
beschränkt  die  Ravennater  Fasten  auf  die  Zeit  von  455 — 493,  und 
bestreitet  ihren  amtlichen  Charakter.  Das  Gewicht  seiner  Gründe 
ist  nicht  zu  verkennen  ;  ohne  Zweifel  hat  es  damals  noch  vielerlei 
Aufzeichnungen  gegeben,  welche  sich  meistens  an  Konsullisten  an- 
geschlossen haben  werden.  Doch  von  allen  unterscheiden  sich  die 
Ravennater  durch  ihre  knappe  Auswahl  und  Fassung ,  und  durch 
die  genauen  Tagesdaten'*). 

Auch  von  einer  zweiten  Konsulliste  mit  stadtrömischen  Nach- 
richten lassen  sich  Spuren  nachweisen.  Ein  Exemplar  der  raven- 
natischen  aber  bis  etwa  456  ist  nach  Holder-Eggers  Vermutung 
nach  Arles  gekommen,  dort  überarbeitet,  mit  gallischen  Nach- 
richten verbunden  und  fortgesetzt  worden.  Diese  so  neu  entstan- 
denen Annalen  sind  von  Gregor  von  Tours  und  dem  sogenannten 
Severus  Sulpitius^)  benutzt. 

der  Anon.  sei  ein  Fragment  der  Chronik  Maximians,  nach  Mommsen 
S.  257 — 258  dagegen  hat  er  dieselbe  vielmehr  nur  abgekürzt  und  fort- 
gesetzt. 

^)  Nach  Br.  Knisch  in  NA.  IX,  103  nm-  eine  Kopie  des  Ostercyklus 
des  Victurius  mit  einigen  bist.  Zusätzen ;  die  doppelten  Osterdaten  hat 
Holder-Egger  irrtümlich  f.  bist.  Daten  gehalten. 

^)  Excerptum  ex  Chronica  Horosii ,  mit  gleichzeitiger  Notiz  über  das 
Erdbeben  vom  April  849,  gedr.  e  cod.  S.  Galli  878  von  De  Rossi,  Bullet- 
tino  di  Archeologia  crist.  1867,  S.  17 — 23.  Wiederholt  von  G.  Kaufmann, 
Die  Ravenn.  Fasten,  S.  484.  Auctt.  antt.  IX,  32,  n.  1.  Frick,  Chron. 
min.  S.  419. 

^)  Die  Fasten  v.  Konstantinopel  u.  Ravenna,  Philologus  XLII,  471—510. 

*)  Mommsen,  Praef.  Jord.  p.  XXXIX,  sagt  von  den  „Consularia 
Ravennatia" :  „tota  imbuta  spiritu  regni  Theodericiani,  sive  ea  publico 
consilio  edita  sunt,  sive,  quod  prudentiores  praef erent,  a  laudatore  aliquo 
Status  praesentis".  Auch  in  der  neuen  Ausgabe  verhält  er  sich  dagegen 
ablehnend,  p.  251. 

■'')  Holder-Egger ,  üeber  die  Weltchronik  des  sog.  Severus  Sulpi- 
tius  und  südgallische  Annalen  des  5.  Jahrhunderts.  Gott.  1875.  Neue 
Ausgabe  von  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX,  p.  626.  632 — 666  als  „Chronica 
ad  annum  511". 


(54  1.  Vorzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

Die  ursprünglich  in  Italien  zusammengestellten  und  fortgesetzten 
Fasten  kamen  unter  Constantin  auch  nach  Konstantinopel  und  wurden 
hier  fortgeführt;  ein  Exemplar,  welches  bis  zum  Tode  Theodosius'  I. 
reichte,  kam  nach  Spanien  und  ist  uns,  jedoch  nur  im  Auszuge, 
von  Hydatius  mit  seiner  Fortsetzung  und  in  engster  Verbindung 
mit  seiner  Chronik  bis  468  erhalten.  Reichlichere  Auszüge  aus 
dem  ursprünglichen  und  in  Konstantinopel  fortgeführten  Werk 
sind  im  Chronicon  paschale  bis  630  enthalten.  Aus  beiden  hat 
Mommsen  die  Consularia  Gonstantinopolitana  (bis  468)  zusammen- 
gestellt 0. 

In  gleicher  Weise,  wie  diese  Konsultafeln  zu  einem  chrono- 
logischen Anhalt  für  geschichtliche  Notizen  dienten ,  benutzte  man 
auch  die  Folge  der  Kaiser,  indem  man  entweder  nur  mit  jedem 
Namen  kurze  Bemerkungen  verband,  oder  auch  die  Regierungsjahre 
der  Kaiser  einzeln  unterschied  -).  Weit  zweckmäl'siger  für  kurze 
annalistische  Aufzeichnungen  waren  aber  nach  dem  Aufhören  der 
Konsularfasten  die  Oster  tafeln,  welche  sich  ebenfalls  in  jenem 
Kalender  fanden  und  auch  ohne  denselben  bald  in  jeder  bedeuten- 
deren Kirche  vorhanden  waren.  Im  Abendlande  fand  nach  manchen 
Versuchen,  unter  denen  die  Ostertafel  des  Aquitaniers  Victurius  eine 
gewisse  Rolle  spielt,  besonders  der  von  Dionysius  Exiguus  ange- 
nommene Kanon  des  Alexandrinischen  Bischofs  Cyrillus  eine  grol'se 
Verbreitung,  welche  noch  zunahm,  als  Beda  die  Tafeln  desselben 
über  die  Cyklen  von  1 — 532  und  von  da  bis  1063  in  sein  Werk 
De  rafione  tempormn  aufnahm  ^). 

Doch  hat  es  längere  Zeit  gedauert,  bis  man  von  der  einmal 
herkömmlichen  Rechnung  nach  Konsulaten  und  Jahren  der  Kaiser 
abging;  in  England  zuerst,  wo  man  aufserhalb  des  römischen  Her- 
kommens stand,  sind  Ostertafeln  zu  diesem  Zwecke  benutzt  und  von 

^)  MG.  Auctt.  antt.  IX,  197—247.  Gegen  Mommsens  Annahme  einer 
umfangreichen  latein.  Chronik  als  Original  zu  den  beiden  ersten  Ab- 
schnitten der  Fasti  Idatiani  und  der  Fastenchronik  des  Chronicon  paschale 
erklärt  sich  Karl  Frick,  Die  Fasti  Idatiani  und  das  Chronicon  paschale. 
Byzantin.  Zeitsch.  T,  283—292. 

^)  S.  hierüber  Bethmann  im  Archiv  X,  387  und  über  die  Ostertafeln 
S.  279;  vgl.  V,  102  und  Piper,  Karls  des  Grol'sen  Kalendarium  und  Oster- 
tafeln, Berlin  1858,  S.  100  ff.  —  Die  Echtheit  der  Briefe  von  Victurius 
und  Papst  Hilarus  vor  dem  Canon  paschalis  hat  Br.  Krusch  erwiesen, 
NA.  IV,  169—172.  IX,  102,  abgedruckt  bei  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX, 
677  flg. 

^)  S.  darüber  Br.  Krusch ,  Die  Einführung  des  griech.  Paschalritus 
im  Abendlande,  NA.  IX,  99 — 169,  vgl.  658.  —  Konsulliste  des  Victurius 
mit  Forts,  ib.  S.  269 — 281 ;  Victorii  Aquitani  Cursus  paschalis,  Auctt.  antt. 
IX,  667—785. 


Pontificale  Romanuin.  65 

dort  durch  die  Vermittelung  der  irischen  und  englischen  Missionare 
nach  Gallien  und  Deutschland  gekommen  ')• 

Schon  354  hatte  auch  der  römische  Staatskalender  ein  Ver- 
zeichnis der  römischen  Päpste  aufgenommen,  welches  seiner 
Anlage  nach  um  230  entstanden  ist.  Dieses  wurde  in  der  Folge 
nicht  allein  immer  weiter  fortgesetzt,  sondern  auch  durch  allerlei 
Zusätze  vermehrt.  Man  fügte  die  Amtsdauer  der  PUpste  hinzu, 
ihre  Bauten  und  andere  Verdienste  um  die  kirchliche  Verwaltung, 
die  von  ihnen  vorgenommenen  Weihen,  endlich  auch  geschichtliche 
Vorfälle,  und  so  entstand  das  Ponfificalc  Romanum,  welches  früher 
gewöhnlich  nach  dem  päpstlichen  Bibliothekar  Anastasius  benannt 
wurde.  Doch  zeigen  weit  ältere  Handschriften,  dafs  schon  im 
7,  Jahrhundert  der  Anfang  des  Werkes  vorhanden  war ") ,  welches 
in  erster  Ausgabe  nach  Mommsen  nicht  vor  dem  Tode  Theoderichs 
abschlofs,  in  zweiter  bis  auf  Conon  686 — 687  reichte;  Beda  und 
Paulus    Diakonus    haben    diese    Aufzeichnungen    bereits    benutzen 


^)  Es  kann  ja  auch  einmal  in  Italien  geschehen  sein,  vgl.  NA.  1,  283, 
aber  die  hier  früher  nach  Bethmann  im  Arch.  X,  820  angeführte  Hand- 
schrift aus  Sant  Andrea  della  Valle  enthält  keine  Annalen.  Es  ist  Christ. 
2077,  gedr.  Roncall.  I,  721  ;  vgl.  Mommsen  im  Hermes  1,  130,  Auctt.  antt. 
IX,  372  flg.,  NA.  1,  29  und  das  Facs.  bei  Zangemeister  u.  Wattenbach, 
Exempla  codicum  Latinorum  Tab.  IV. 

2)  S.  Pertz  im  Archiv  V,  70—74;  De  Rossi,  La  Roma  sott.  1,  122. 
Sorgfältige  Analyse  des  ganzen  Werkes  bei  Piper,  Einl.  in  die  monu- 
mentale Theologie  (Gotha  1867),  S.  315— 349,  der  auch  bereits  die  Be- 
nutzung durch  Beda  nachgewiesen  und  die  Wichtigkeit  dieses  Verhält- 
nisses für  die  Kritik  hervorgehoben  hat,  vgl.  S.  198.  202  Anm.  12.  — 
Ganz  neue  Ansichten  über  diesen  ältesten  Teil,  seine  Entstehung  und 
das  Verhältnis  der  Handschriften  entwickelte  L.  Duchesne,  Etüde  sur  le 
Liber  pontificalis,  Paris  1877  (Biblioth.  des  ecoles  Franp.  d'Athenes  et 
de  Rome,  1).  Ihm  entgegnete  Waitz,  NA.  IV,  215—237:  Ueber  die  ver- 
schiedenen Texte  des  Liber  pontificalis.  Ders.  V,  229  über  Lipsius :  Neue 
Studien  zur  Papstchronologie;  VIII,  405  über  eine  neue  Schrift  von 
Duchesne;  IX,  457—472  über  den  sog.  Catal.  Cononianus;  X,  453 — 465 
über  die  ital.  Hss.;  über  den  Catal.  Felicianus  XI,  217—229.  Vgl.  auch 
Krusch,  XII,  236.  Jetzt  ist  die  Ausgabe  von  Duchesne  Bd.  I.  1886,  II.  1892 
erschienen,  während  Waitz  dazu  nicht  mehr  gekommen  ist.  Rec.  v.  Grisar, 
Zeitschr.  f.  Kath.  Theol.  1887,  S.  417—446.  Ihm  folgte  Libri  pontificalis 
pars  prior  ed.  Mommsen,  Berlin  1898  (bis  auf  Konstantin  f  715),  als 
I.  Band  der  Gesta  pontific.  Romanor.  Vgl.  darüber  Duchesne  in  den  Me- 
langes  d'archeol.  et  d'hist.  XVIII,  381—417.  Gute  Uebersicht  gibt  Brack- 
mann, Lib.  pontificalis  in  der  Realencykl.  f.  protest.  Theol.  u.  Kirche, 
3.  Aufl.  —  Ein  merkwürd.  Elogium  Liherii  jjapae  (f  366)  hat  De  Rossi 
herausoregeben,  Bullettino  di  Archeologia  crist.  1883,  wiederholt  Inscript. 
Christ. ll,  83  u.  85.  Prof.  Funk  im  Hist.  Jahrb.  V,  424-436  u.  XII,  757  ff., 
bezieht  es  jedoch  auf  Martin  I  (f  055),  Friedrich,  Münch.  SB.  1891,  S.  87 
bis  127  auf  Johannes  I.,  De  Rossi  wieder  auf  Liberius  im  Bull.  1891. 
Mommsen  in  der  D.  Zeitschr.  für  Gesch.-Wiss.  1896/97  auf  Felix  II. 

Wattenbach,  Geschiclitsquellen.    I.    7.  Aufl.  5 


(36  T.  Vorzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

können.  Eine  ältere  Rezension  aus  dem  Anfange  des  0.  Jahrhunderts, 
die  mit  Felix  IV.  (f  530)  enden  sollte,  nahmen  Rossi  und  Duchesne 
an.  Eine  übersichtliche  Darstellung  der  Entstehung  dieses  Werkes 
und  seiner  Fortsetzungen  hat  Giesebrecht  gegeben  in  der  Allgemeinen 
Monatschrift  für  1852,  April.  Wie  in  Rom,  so  entstanden  ähnliche 
Aufzeichnungen  auch  an  anderen  Bischofsitzen  und  in  manchen 
Klöstern,  und  daraus  erwuchsen  später  die  ausführlichen  Geschichten 
der  Bistümer  und  Klöster,  welche  in  der  geschichtlichen  Litteratur 
des  Mittelalters  eine  so  bedeutende  Stelle  einnehmen. 

Endlich  aber  enthält  auch  der  Abschnitt  des  Kalenders ,  in 
welchem  die  Todestage  der  Märtyrer  und  Päpste  -verzeichnet  sind, 
den  Anfang  eines  ganz  eigentümlichen  Zweiges  der  Litteratur, 
nämlich  der  Martyrologien,  in  welchen  die  dort  verzeichneten 
Namen  sich  immer  als  die  ersten  wiederfinden  und  gewissermafsen 
den  Kern  der  immer  mehr  anwachsenden  Verzeichnisse  bilden, 
welche  zu  dem  blofsen  Namen  bald  auch  Nachrichten  über  Leiden 
und  Leben  der  Märtyrer  und  Bekenner  hinzufügen.  Wir  sahen 
schon ,  wie  lehrreich  diese  Martyrologien  in  Rettbergs  Händen  für 
die  Entstehungsgeschichte  der  kirchlichen  Sage  geworden  sind ; 
denn  da  die  Zeit  der  Verfasser  bekannt  ist,  so  läfst  sich  darin  die 
allmähliche  Erweiterung  der  Legenden  urkundlich  nachweisen  ').  Das 
älteste  trägt  den  Namen  des  Hieronymus  ^) ,  obwohl  mit  Unrecht ; 
es  hat  sich  nur  in  einer  gallischen  Redaktion  erhalten ,  die  auf 
Luxeuil  und  die  Jahre  627 — 628  zurückgeht,  wie  Krusch  gegen 
Duchesne,  der  sich  für  Auxerre  erklärte,  überzeugend  nachgewiesen 
hat.  Ueber  seine  Zusammensetzung  aus  älteren  Quellen  und  die  Kritik 
einzelner  Angaben,  namentlich  die  vielen  Verdoppelungen,  handelte 
Achelis  ^).  Besonders  geschätzt  ist  das  Martyrologium  Gellonense  '*). 
Die  gröfste  Verbreitung  fand ,  wie  alle  Schriften  B  e  d  a  s ,  auch 
dessen  Martyrologium ,    das   wir  jedoch   nicht    in  seiner  ursprüng- 

')  Ausführlicheres  darüber  mit  dem  Nachweise  der  Ausgaben  bei 
Rettberg  I,  76.  Vgl.  Potthast  I,  773—775.  Das  Hauptwerk  ist  die  Ab- 
handl.  von  J.  B.  Sollerius  vor  der  Ausg.  des  Martyrol.  Usuardi,  Acta  SS. 
Jun.  VI.     Vgl.  auch  die  oben  S.  47  angef.  Schrift  v.  Fr.  Stolle. 

^)  Mart.  Hieron.  ed.  Fiorentini,  Lucae  1668.  Nach  den  3  besten  Hss. 
ist  es  jetzt  herausgegeben,  Acta  SS.  Nov.  IT.  1  flg.  (1894)  von  De  Rossi 
u.  Duchesne,  s.  die  Kritik  von  Krusch  NA.  XX,  487—440,  ferner  XXIV, 
294—331.  XXVI;  349—389;  Mitt.  d.  Inst.  XXI,  9—97. 

=>)  Ueber  die  mittelalterl.  Martyrologien  S.  111—115.  213—239,  angez. 
von  Krusch,  D.  Litteraturzeit.   1901,  S.  133—187. 

*)  D'Acheiy  Spicil.  ed.  IL  II,  27.  Geschrieben  792—795,  vielleicht  in 
Rebais,  s.  Traube,  Reg.  S.  Bened.  S,  124.  Sickel  in  d.  Wiener  SB. 
XXXVIII,  161  macht  auf  das  noch  nicht  benutzte  Martyrologium  aus 
derselben  Zeit  im  Wiener  Cod.  387  aus  Salzburg  aufmerksam. 


Die  Maityrologien.  67 

liehen  Gestalt  besitzen,  sondern  nur  mit  den  Zusätzen  des  Florus, 
eines  Subdiakonus  zu  Lyon  im  9.  Jahrhundert ').  So  kam  also 
auch  dieser  Zweig  der  Litteratur  über  England  nach  Gallien ;  hier 
wurde  er  im  9.  Jahrhundert  mit  besonderer  Vorliebe  behandelt, 
und  aus  der  mündlich  sich  fortbildenden  Tradition  kamen  bei  jeder 
neuen  Ausgabe  stets  auch  neue  Zusätze  hinzu.  Ein  Reichenauer, 
welches  zwischen  837  und  842  entstanden  ist,  gab  A.  Holder 
heraus").  Eine  metrische  Bearbeitung  verfafste  um  H50  Wan- 
dalbert, Mönch  zu  Prüm  ■^),  andere  in  Prosa  Hraban*)  zwischen 
842  und  854,  Ado  von  Vienne"^)  (859-874),  und  auf  Befehl  Karls 
des  Kahlen  Husward*^)  (Usuardus)  im  Jahre  875;  am  Ende  des 
Jahrhunderts  schrieben  Notker  der  Stammler  (896)  auf  der  Basis 
des  von  Ado  870  den  Mönchen  von  St.  Gallen  geschenkten  Exem- 
plars seines  Martyrologium  ') ,  und  in  Versen  Erchempert,  der 
Mönch  von  Montecassino  ■ ) ;  noch  im  11.  Jahrhundert  verfafste 
Hermann    von    Reichenau    ein  Martyrologium*).     Damit    war 

1)  In  den  Werken  des  Beda  (ed.  Giles  IV,  1-5  ff.)  und  Acta  SS.  Mart.  II. 
Ueber  ein  ihm  zugeschriebenes  kurzes  Mart.  in  Hexametern  (ed.  Giles  I, 
50—53)  vgl.  Dümmler,  NA.  IV,  516;  Poet.  Carol.  III,  294. 

2)  Rom.  Quartalschr.  III,  204—251. 

^)  Erste  krit.  Ausgabe  von  Dümmler,  Poetae  Lat.  aevi  Carolini  II, 
569—603. 

*)  Canis.  VI,  687—758  =  II,  2,  313  (Hrabani  opp.  ed.  Colvener. 
VI,  179—201,  Migne  CX,  1121—1188).  Vgl.  E.  Dümmler,  Das  Martyrol. 
Notkers  u.  seine  Verwandten  (Forsch.  XXV,  S.  197 — 200),  mit  Ergänzung 
des  Textes. 

*)  Herausgeg.  von  Surius  im  Anhange  der  Vitae  probb.  SS.,  dann  von 
Heribert  van  Rosweyd  mit  dem  Martyrologium  Romanum ;  am  besten  ed. 
Domenico  Giorgi,  Romae  1745  (Migne  CXXIII,  145).  Vergleichung  eines 
cod.  Hamilton,  aus  Novalese  bei  Cipolla ,  Appunti  dal  cod.  Noval.  del 
M.  A.,  Memorie  dell'  Acc.  di  Torino  ser.  II,  t.  44,  1894.  lieber  das  vorher- 
gehende, von  Ado  in  Ravenna  abgeschriebene  Romano  piccolo  s.  De  Rossi, 
La  Roma  sott.  I,  125.     Vgl.  Dümmler  a.  a.  0.  S.  200. 

8)  Ed.  Sollerius,  Acta  SS.  Jun.  VI  u.  VII.  Migne  CXXIV,  1-860. 
A.  Longnon,  Notice  sur  le  plus  ancien  obituaire  de  l'abbaye  de  St.  Ger- 
main-des-pres  (Not.  et  Doc.  publ.  p.  la  Soc.  de  l'hist.  de  France  p.  19) 
hält  diese  Hs.  für  sein  Autograph. 

')  Canis.  VI,  759—932  =  II,  3,  89  (Migne  CXXXI,  1025-1164).  Vgl. 
Dümmler,  St.  Gall.  Denkmale,  S.  252.  Scherrer  S.  149  über  den  cod.  454. 
Dümmler,  Forsch.  XXV,  202  ff.  Es  ist  unvollständig  erhalten  (nur  bis 
zum  26.  Okt.). 

8)  NA.  IV,  544.  VI,  285.  Noch  ungedruckt.  Die  nach  der  Vorr.  zur 
Bezeichnung  seiner  Zusätze  gesetzten  obeli  finden  sieh  in  der  Hs.  nicht.  — 
Ein  metr.  Martyrologium  (Anf.  Jure  calendanim)  ist  aus  dem  angels.  Teil 
der  Hs.  Galba  A.  18,  die  K.  Aethelstans  Psalter  gewesen  sein  soll,  herausg. 
v.  Hampson,  Medii  Aevi  Calendarium  (1841),  S.  397—420.  Die  Hs.  ist  be- 
schrieben in  Thompsons  Catal.  of  anc.  mss.  Latin  (1884),  S.  12,  Fase.  pl.  28. 

*)  Darüber,  nebst  Zusätzen  einer  späteren  Bearbeitung,  Dümmler  ib. 
S.  208—214. 


68  I.  Vorzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

nun  aber  auch  dem  Verlangen  nach  Martyrologien  völlig  genügt; 
man  fragte  nicht  mehr  so  viel  nach  diesen  immer  noch  kurzen 
und  dürftigen  Aufzeichnungen,  da  man  bereits  eine  sehr  grofse  Zahl 
ausführlicher  Legenden  besafs,  teils  aus  der  Zeit  der  Merowinger, 
teils  aber  auch  über  eben  jene  alten  Märtyrer,  von  denen  die 
Martyrologien  so  v/enig  zu  sagen  wufsten.  Der  Wunsch  danach 
war  zu  dringend,  besonders  in  den  Klöstern,  vs^elche  Reliquien  von 
ihnen  besafsen ,  als  dafs  nicht  eine  reiche  Auswahl  nachgemachter 
Legenden  hätte  entstehen  sollen,  welche  leicht  genug  Glauben  fanden 
oder  doch  in  Ermangelung  anderer  benutzt  wurden ,  wie  z.  B.  die 
Legende  vom  Apostel  Thomas ,  deren  ünglaubwürdigkeit  wohl  be- 
kannt war  ^).  Bald  hatte  man  Legenden  für  jeden  Tag  im  Jahr, 
und  eine  Sammlung  derselben  veranstaltete  schon  im  Anfange  des 
10.  Jahrhunderts  Wolfhard,  Mönch  zu  Herrieden  ^).  Kleinere, 
unvollständige  Legendarien  hatte  man  schon  früher,  und  sie  finden 
sich  in  grofser  Zahl  in  den  folgenden  Jahrhunderten ,  bis  sie  end- 
lich wiederum  verdrängt  wurden  durch  die  in  zahllosen  Abschriften 
verbreitete  Goldene  Legende  des  Jacob  von  Genua ^),  welche 
dem  Gebrauch  für  das  Leben  und  für  die  praktische  Anwendung 
auf  der  Kanzel  am  meisten  entsprach  und  in  gedrängter  Kürze 
den  ganzen  Kreis  der  Heiligengeschichte  auf  den  Umfang  eines 
Bandes  beschränkte. 

Geschichtlich  ist  Jacobs  kompendiarische  Behandlung  der  Le- 
genden unbrauchbar;  die  ausführlichen  Lebensbeschreibungen  der 
Heiligen  aber  enthalten  für  manche  Zeiträume  die  wertvollsten 
Nachrichten.  Auch  diese  Aufzeichnungen  finden  ihre  Vorbilder 
schon  in  den  früheren  Jahrhunderten  der  römischen  Kaiserzeit. 
Die  christlichen  Gemeinden  teilten  sich  untereinander  die  Todes- 
tage der  Märtyrer  mit  nebst  den  Umständen  ihres  Leidens,  und 
solche  Mitteilungen  wurden  bei  ihren  Zusammenkünften  verlesen. 
Bald  fing  man  auch  an ,  das  Leben  anderer  frommen  Männer,  der 
Bekenner,  aufzuzeichnen.  Cassians  vielgelesenes  Werk  über  die  Ein- 
siedler der  Thebais,  das  Leben  des  Cyprian,  Ambrosius,  Augustin, 
und    ganz   besonders   das   um  400   von  Sulpicius  Severus   verfafste 

')  Ch.  Schmidt,  Histoire  du  Chapitre  de  Saint-Thomas  de  Strasbourg, 
p.  121.  Auch  in  Handschriften  des  Thomasklosters  zu  Vorau  fand  ich  die 
Klage  über  den  Mangel  an  authentischen  Nachrichten  bei  den  Legenden 
des  Heiligen,  die  man  aus  Not  benutzte. 

2)  Anon.  Haser.  MG.  SS.  VIF,  256.  Vgl.  Archiv  V,  565.  X,  645. 
Ueber  sein  Martyrologium  s.  Anal.  Bolland.  XVII,  5 — 23. 

^)  Jacobi  a  Voragine  Legenda  aurea,  vulgo  Historia  Lombardica  dicta, 
reo.  Th.  Grässe,  ed.  II,  Lips.  1850.  8. 


Martyrologien  und  Legenden.  09 

und  durch  ganz  Gallien  verbreitete  Leben  des  heiligen  Martin  von 
Tours  V)  von  Fortunatus  später  in  Verse  gebracht ,  regten  zu  ähn- 
licher Thätigkeit  an-).  Benedikt  von  Nursia,  der  eigentliche  Be- 
gründer des  abendländischen  Mönchtums,  fand  einen  Biographen 
in  dem  Papste  Gregor  dem  Grofsen,  und  dieses  Werk  fehlte  natür- 
lich in  keinem  Kloster  seines  Ordens ;  nebst  den  übrigen  Büchern 
der  Dialoge  bot  es  der  Wundersucht  des  Mittelalters  reichliche 
Nahrung  und  reizte  zur  Nachahmung.  Daran  also  schliefst  sich 
nun  eine  überaus  reiche  Litteratur,  und  wenn  auch  vielfach  der 
erbauliche  Ton  so  sehr  überwiegt,  dafs  der  geschichtliche  Wert 
nur  gering  ist,  so  ist  doch  keine  der  wirklich  echten  gleichzeitigen 
Biographieen  ganz  ohne  Frucht,  und  für  die  Zeiten,  wo  die  Heiligen 
zugleich  Staatsmänner  waren ,  gehören  ihre  Lebensbeschreibungen 
zu  den  wichtigsten  Quellen  der  Geschichte.  Mit  dem  13.  Jahr- 
hundert aber  verlieren  sie  fast  alle  Bedeutung. 

Ganz  vereinzelt  erscheint  daneben  die  weltliche  Biographie ;  nur 
einige  Kaiser  haben  Lebensbeschreiber  gefunden ,  und  wenn  Ein- 
hard  den  Sueton  zum  Vorbilde  nahm ,  so  ist  das  nur  eine  ver- 
einzelte Frucht  der  durch  Karl  den  Grofsen  erneuten  Einwirkung 
auch  der  heidnischen  Klassiker ;  eine  lebendige  Fortentwickelung 
knüpfte  sich  allein  an  die  kirchliche  Litteratur. 

Zu  erwähnen  bleibt  endlich  noch  eine  Art  der  Aufzeichnung, 
welche  den  Martyrologien  sehr  nahe  steht  und  häufig  damit  ver- 
bunden ist,  die  Nekrologien  nämlich,  in  welchen  die  Todestage 
(ohne  die  Jahre)  aller  derjenigen  verzeichnet  wurden ,  deren  Ge- 
dächtnis in  der  Kirche  oder  dem  Kloster,  dem  diese  Aufzeichnungen 
angehörten,  gefeiert  werden  sollte.  Da  jeder  angesehene  Mann  sich 
um  seiner  Seligkeit  willen  eine  solche  Gedächtnisfeier  zu  sichern 
pflegte,  erfahren  wir  hierdurch  ihre  Todestage,  deren  Kenntnis  für 
manche  Fragen  wichtig  werden  kann  ;  auch  für  die  verwandtschaft- 


^)  Vgl.  Reinkens,  Martin  v.  Tours  (1866),  S.  258—274.  Fast  unbeachtet 
dagegen  und  ohne  Nachwirkung  blieb  desselben  Sulpicius  Chronik  bis 
403,  welche,  die  jüdische  Geschichte  mit  der  profanen  verarbeitend ,  im 
Stile  sich  den  Werken  des  Sallust,  Veliejus,  Tacitus  anschlofs  und  dem 
Geschmacke  des  Mittelalters  nicht  zusagte;  s.  die  geistreiche  Würdigung 
dieses  Werkes  von  Jakob  Bernays:  üeber  die  Chronik  des  Sulpicius  Se- 
verus,  Berlin  1861,  4.  u.  in  d.  Sammlung  seiner  Kl.  Schriften.  Benutzung 
in  der  V.  Heinr.  I^'.  sucht  Gundlach  ohne  Erfolg  nachzuweisen,  NA.  XI, 
299 — 304.  Neue  Ausg.  von  C.  Halm:  Sulpicii  Severi  libri  qui  supersunt. 
Vindob.  1866,  und  von  A.  Lavertujon,  2  Bände,  Paris  1896—1899.  Ebert 
S.  327—336. 

^)  Wie  sehr  es  bis  ins  13.  Jahrb.  als  Vorbild  diente  und  ausgenutzt 
wurde,  zeigt  Manitius,  NA.  XIV,  165—170.    XV,  194—196. 


70  I-  Vorzeit.     §  3.     Anfänge  und  Gattungen. 

liehen  Verhältnisse  ist  manches  daraus  zu  entnehmen,  und  zuweilen 
sind  auch  einzelne  geschichtliche  Begebenheiten  anderer  Art,  z.  B. 
Schlachttage,  darin  verzeichnet.  Zur  geschichtlichen  Litteratur  kann 
man  diese  dürren  Namensverzeichnisse,  welche  freilich  einen  grofsen 
Wert  für  die  deutsche  Sprachforschung  haben,  nicht  rechnen,  und 
ich  beschränke  mich  daher  auf  diese  Erwähnung  und  auf  ein  Ver- 
zeichnis der  mir  bekannt  gewordenen  gedruckten  Nekrologien, 
welches  im  Anfange  zu  finden  ist. 

Eine  Zeitbestimmung  ist  nicht  hinzugefügt,  weil  auch  in  jüngere 
Nekrologien  einzelne  ältere  Angaben  herübergenommen  sind  und 
ältere  durch  die  fortgesetzten  Eintragungen  wertvoller  zu  werden 
pflegen.  Doch  ist  es  nicht  unwichtig,  die  Zeit  der  ersten  Anlage 
zu  erkennen;  bei  dem  lobenswerten  Versuche,  dahin  zu  gelangen, 
begegnet  aber  stets  wiederholt  ein  Fehler,  vor  dem  ich  deshalb 
ausdrücklich  warnen  möchte.  Die  Herausgeber  glauben  nämlich,  zu 
dieser  Bestimmung  die  Ansetzung  des  Osterfestes  benutzen  zu  können, 
und  lassen  sich  dabei  auch  durch  den  auffallenden  Umstand  nicht 
stören,  dafs  dieser  überall  derselbe  ist,  nämlich  der  27.  März;  auch 
nicht  dadurch ,  dafs  es  ja  gar  keinen  Sinn  haben  würde ,  das  zu- 
fällige Datum  eines  einzelnen  Jahres  einzutragen.  Es  ist  aber  dieser 
27.  März  ein  festes  Datum ,  welches  man  für  dasjenige  der  wirk- 
lichen Auferstehung  hielt. 

Den  vollen  Nutzen  für  geschichtliche  Forschung  werden  diese 
Nekrologien  erst  gewähren,  wenn  sie  systematisch  gesammelt,  durch- 
gearbeitet und  zusammengestellt  sind.  Das  ist  jetzt  geleistet  von 
Baumann  für  die  Sprengel  von  Augsburg,  Constanz  und  Chur  ^), 
von  Herzberg-Fränkel  für  Salzburg  ^) ,  und  wird  für  die  anderen 
bayerischen  Bistümer  vorbereitet. 

Geschichtlich  noch  wichtiger  sind  die  Toten- Annalen,  in 
welchen  Jahr  für  Jahr  die  Todesfälle  eingetragen  sind.  Solche  sind 
aus  Fulda  von  779 — 1065  erhalten  ^),  und  an  diese  sich  anschliefsend, 
aber  weit  weniger  reichhaltig,  aus  Prüm,  von  1039 — 1104''),  aus 
St.  Blasien  von  vor  1036— 1474 s). 

')  MG.  Necrologia  Germaniae  I.  1888;  vgl.  NA.  VII,  19—41.  VIII, 
425—447.     XIII,  409—429. 

^)  A^ol.  II,  1.  1880;  vgl.  NA.  XIII,  269-304. 

^)  Erste  vollständige  Ausg.  aus  den  verschiedenen  Hss.  v.  G.  Waitz : 
Annales  necrologici  Fuldense.'^,  MG.  SS.  XIII,  161—215. 

'•)  Annales  necrologici  Prüm.  ib.  p.  219 — 223  (mit  Benutzung  der 
Fulder). 

^)  Necrol.  I,  329—333.  Die  Weltenburger  1045—1109  (MB.  XIII,  473 
bis  493)  werden  auch  wohl  bei  den  Necrol.  gedruckt. 


Totenbücher  und  Verbrüderungsbücher.  71 

Eine  besondere  Erwähnung  verdienen  neben  jenen  die  alten 
Diptycha,  in  welche  Namen  ohne  Daten  eingetragen  wurden, 
um  sie  der  Fürbitte  teilhaftig  werden  zu  lassen,  wobei  auf  die 
Ordnung  nichts  ankam;  aus  Fulda,  Trier,  Novara  haben  sich  der- 
gleichen erhalten  ').  In  Ermangelung  anderer  Denkmäler  hat  man 
daraus  Bischofslisten  entnommen,  deren  Lücken  und  Umstellungen 
sich  aus  solchem  Ursprung  erklären. 

Hierher  gehört  auch  die  Sitte,  in  Evangelienbücher  Namen 
einzutragen ,  wovon  man  sich  gute  Folgen  für  das  Seelenheil  ver- 
sprach. So  schrieb  nach  einer  Mitteilung  von  K.  Lamprecht  in  der 
Westd.  Zeitschr.  IV,  156  in  einem  Evangeliar  des  Castorstifts  in  Kob- 
lenz der  Schreiber  selbst  hinzu:  „Waniggus  peccator  nomen  habeo. 
in  vitae  libro  mei  raemoriam  condo".  Darauf  folgen  andere  Namen. 
Beispiele  davon  kommen  auch  sonst  in  Sacramentarien  vor  -) ;  ge- 
schichtlich wichtig  sind  die  Eintragungen  im  Evangeliar  von  Aquileja 
(aus  Duino  bei  Triest  stammend)  für  die  Anfänge  des  Christentums 
unter  den  Bulgaren,  während  Theodelinde  und  andere  Namen 
später  trügerisch  zugesetzt  sind,  was  Bethmann  entdeckt  und  nach- 
gewiesen hat^). 

Auf  diesen  Grundlagen  beruhen  die  Verbrüderungsbücher 
(libri  vitae) ,  in  welche  Lebende  eingetragen  wurden ;  bei  weitem 
das  wichtigste  darunter  ist  das  von  Karajan,  jetzt  aber  mit  wesent- 
lichen Verbesserungen  von  Herzberg-Fränkel  herausgegebene  von 
Sankt  Peter  in  Salzburg^);  als  Anfang  einer  systematischen  Be- 
arbeitung sind  die  von  Sankt  Gallen,  Reichenau  und  Pfävers 
erschienen '").  Sie  geben  über  die  Verbindungen  der  Klöster  unter- 
einander Kunde  und  sind,    ebenso  wie  die  Totenbücher,    durch  die 


')  Das  älteste,  aus  dem  6.  bis  7.  Jahrhundert  stammend,  befindet  sich 
jetzt  im  Museum  du  Louvre  in  Paris,  s.  Omont  im  Journal  des  Savants 
1901,  S.  101-105. 

2)  L.  Delisle,  Bibl.  de  l'Ecole  des  eh.  1876,  S.  484.  Delisle,  Mem.  sur 
d'anciens  sacramentaires  p.  85.  96.  99.  125  etc. 

ä)  NA.  II,  112—128,  vgl.  Mitteil,  des  Inst.  X,  479. 

*)  Necrol.  II,  3—60;  vgl.  NA.  XII,  53—107,  über  die  Sprache  Zs.  f. 
D.  Altert.  XLIII.  1-45,  Anz.  S.  395. 

^)  MG.  Libri  Confraternitatum  S.  Galli,  Augiensis,  Fabariensis,  ed. 
P.  Piper  1884.  Das  Verbrüderungsbuch  von  St.  Gallen  ist,  nebst  dem 
Buche  der  Gelübde ,  auch  von  E.  Arbenz  herausgegeben  und  erläutert, 
Mitt.  z.  vaterl.  Gesch.  XIX.  St.  Gallen  1884.  Vgl.  auch  C.  Will,  Monum. 
Blidenstatensia ,  p.  XX — XXII.  A.  Ebner,  Die  klösterlichen  Gebetsver- 
brüderungen, Regensburg  1890.  Lib.  vitae  von  Remiremont,  NA.  XIX, 
47 — 83,  lehrreich  für  Einrichtung  der  alten  Toten-  und  Verbrüderungs- 
bücher. Ueber  das  Verbrüderungsbuch  des  Nonnenklosters  S.  Julia  in 
Brescia  s.  Mühlbacher  in  den  Mitteil,  des  Inst.  X,  469 — 479. 


72  ^-  Vorzeit.     §  4.     Die  Ostgoten. 

Fülle  alter  Eigennamen  für  die  Sprachforschung  von  Bedeutung. 
Auch  von  den  Rot  ein  späterer  Zeit,  durch  welche  man  von  den 
Todesfällen  verbundenen  Klöstern  Nachricht  gab,  und  welche  teils 
nur  mit  Empfangsbescheinigung,  teils  sogar  mit  längeren  Gedichten 
versehen  wurden,  hat  sich  namentlich  in  Frankreich  eine  grol'se 
Anzahl ,  wenn  auch  meistens  nur  fragmentarisch ,  erhalten ,  welche 
von  L.  Delisle  gesammelt  und  herausgegeben  ist  ')■  Ein  Liber  vitae 
ecclesiae  Dunelmensis  (jetzt  Cott.  Domit.  A.  VII)  aus  der  Mitte  des 
9,  Jahrhunderts  und  bis  in  späte  Zeit  fortgeführt,  lag  im  Pracht- 
band auf  dem  Altar-),  herausgegeben  von  Stevenson  1841. 

§  4.     Die  Ostgoten.     Cassiodor. 

Manso,  Geschichte  des  ostgotischen  Reiches  in  Italien,  Breslau  1824.  Aschbach, 
Geschichte  der  Westgoten,  Frankfurt  1827.  Waitz,  Ueber  das  Leben  und  die 
Lehre  des  Ulfila,  Hannover  1840.  4.  Bessell,  Ueber  das  Leben  des  Ulfilas  und 
die  Bekehrung  der  Goten  zum  Christentum,  Göttingen  1860.  Kautfmann,  Aus 
der  Schule  des  Wulfila,  Strassburg  1899.  Max  Müller,  Lectures  on  the  Science 
of  Language,  2.  ed.  1862,  p  179  ff.  Bessell,  Art.  Goten  in  der  Encyklopädie  von 
Ersch  und  Gruber  I,  75,  S.  98  242  (1862).  Raszraann,  Got.  Sprache  und  Litte- 
ratur,  ib.  294—348.  Wietersheim,  Geschichte  der  Völkerwanderung,  bes.  II,  137  ff. 
Pallmann,  Die  Geschichte  der  Völkerwanderung,  I,  Gotha  1863.  II,  Weimar  1864. 
F.  Dahn,  Die  Könige  der  Germanen,  Abt.  II,  1861.  Wackernagel,  Geschichte  der 
deutschen  Litteratur,  2.  Ausg.  1 ,  16—26.  A.  Thorbecke^  C.  Senator,  Progr.  des 
Heidelb.  Lyceums  1S«7.  Ad.  Franz,  C.  Senator,  Ein  Beitr.  z.  Gesch.  der  theol. 
Litt.,  Breslau  1872.  Teuffei  §  475.  Ebert  S.  498—542.  Balzani  p.  1—19.  Rinaudo 
p.  25— 31.  —  Ueber  Cassiodor  und  Jordanis:  Papencordt,  Geschichte  der  vandal. 
Herrschaft  in  Afrika  (1837),  S.  383—388.  Freudensprung,  De  Jornande  sive  Jor- 
dane  et  libellorum  eius  natalibus,  Monaci  1837.  H.  v.  Sybel,  De  fontibus  libri 
Jordanis  de  origine  actuque  Getarum,  Berol.  1838;  Entstehung  d.  D.  Königtums, 
2.  Ausg.  (1881),  8.134—218.  Waitz,  GGA.  1839,  S.  769— 781.  .loh.  Jordan,  Jordanes 
Leben  und  Schriften,  Progr  des  Gymnasiums  zu  Ansbach,  1843  J.  Grimm,  Ueber 
Jornandes.  Abh.  der  Berliner  Akademie,  1846  (Kleinere  Schriften  III,  171-2.15). 
Cassel,  Magyarische  Altertümer,  1818,  S.  293—310.  Stahlberg,  Jornandes,  Progr. 
der  höheren  Bürgerschule  zu  Mühlheim  a.  Rh.  1854.  C.  Schirren,  De  ratione 
quae  inter  Jordanem  et  Cassiodorium  intercedat  commentatio,  Dorp.  1858;  vgl. 
die  Recens.  v.  A.  v.  Gutschmid,  Kl.  Schriften  V,  293—336.  R.  Köpke ,  Deutsche 
Forschungen,  Berlin  1859.  Bessell,  Artikel  Goten,  S.  101-116,  rekapituliert  die 
ganze  Frage.  Waitz,  Gott.  Nachrichten  1865,  Nr.  4,  über  das  Verhältnis  zum 
Anon.  Cuspiniani.  Baehr  S.  247—262.  Mommsen,  Praef.  Jord.  p.  XL— XLIV.  — 
Cassiodori  Oper.  ed.  Garet,  Rothomagi  1679.  fol.  (Venet.  1729).  Cassiodori  Variae 
ed.  Mommsen,  Auctt.  antt.  XII  (1894);  Orationum  reliquiae  ed.  L.  Traube,  ebd. 
457—484.  H.  Usener,  Festschrift  zur  Philol.  Vers,  in  Wiesbaden  1877  (Anecdoton 
Holderi,  Excerpt  aus  der  früher  unbekannten  Schrift  C.'s  über  die  Schriftsteller 
in  seiner  Familie);  jetzt  bei  Mommsen  S.  V— VI;  vgl.  Schepss,  im  NA.  XI,  125—128. 

Das  ostgotische  Reich,  so  kurz  es  dauerte,  bildete  doch  ein  sehr 
wichtiges  Mittelglied  zwischen  der  antiken  Welt  und  dem  Mittel- 
alter, welche  sich  in  ihm  auf  merkwürdige  Weise  berühren. 


')  Des  monuments  paleographiques  concemant  Fusage  de  prier  pour 
les  morts,  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes,  IT,  3,  361 — 411,  und  die  Ausgabe: 
Rouleaux  des  morts  du  IX,  au  XV.  siecle,  1866.  Vgl.  Wattenbach,  Schrift- 
wesen (3.  Ausg.),  S.  165. 

*)  Genaue  Beschreibung  der  Hs.  v.  Thompson  im  Catalogue  of  ancient 
Latin  Mss.  p.  81 — 84. 


Die  Ostgoten.     Boethius.  73 

Der  gotische  Stamm  war  einer  der  begabtesten,  bildungsfähigsten 
deutschen  Stämme.  Er  allein,  nebst  den  Angelsachsen,  hat  von  An- 
fang an  auch  die  Muttersprache  ausgebildet,  nicht  nur  in  Lied  und 
Gesang,  sondern  auch  für  die  Rechtssatzungen  ')  und  zu  wissenschaft- 
lichem Gebrauch;  aulser  Vulfilas  Bibelübersetzung  haben  sich  auch 
Fragmente  einer  Evangelienbarmonie  erhalten.  Getrennt  von  der 
herrschenden  Kirche,  feierten  sie  den  Gottesdienst  in  ihrer  eigenen 
Sprache  ^),  und  deren  Gebrauch  war  dadurch  bei  ihnen,  wie  später 
bei  den  Slaven,  besser  gesichert  als  in  der  römischen  Kirche.  Den- 
noch hätten  auch  die  Ostgoten  ,  wäre  ihrem  Reiche  längere  Dauer 
beschieden  gewesen ,  sich  der  Uebermacht  römischer  Kultur  sicher 
ebenso  wenig  zu  erwehren  vermocht,  wie  die  Westgoten  in  Spanien 
und  später  die  Angelsachsen. 

Denn  mit  der  gröfsten  Empfänglichkeit  wandten  die  Goten  sich 
auch  der  antiken  Bildung  zu;  Theoderichs  Reich  ist  merkwürdig 
als  ein  Versuch,  die  neuen  Elemente  mit  den  alten  zu  vereinen 
und  die  Herrschaft  in  den  alten  Formen  fortzufübi-en ;  an  seinem 
Hofe  hörte  man  noch  die  alten  gotischen  Heldenlieder,  aber  es 
sammelten  sich  dort  auch  die  noch  übrigen  Träger  der  alten  Bil- 
dung; hier  entstanden  mehrere  der  Werke,  welche  die  Elemente 
der  alten  Kultur  dem  Mittelalter  überlieferten,  aus  denen  es  seine 
Kenntnis  des  Altertums  schöpfte  und  zugleich  den  gezierten  dunkeln 
Stil  lernte,  der  damals  in  den  Schulen  der  Rhetoren  und  Gram- 
matiker für  schön  galt. 

Den  Schriftstellern  des  4.  Jahrhunderts,  Donat,  Macrobius,  Mar- 
cianus  Capella,  reiht  sich  Priscianus  an,  Theoderichs  Zeitgenosse 
und  mit  Cassiodor  bekannt ;  doch  lebte  er  in  Konstantinopel.  Einer 
der  Haaptlehrer  des  Mittelalters  aber,  dem  es  zunächst  die  Kenntnis 
der  Aristotelischen  Philosophie  verdankte,  war  Boethius^),  der 
mit  seinem  gelehrten  Schwiegervater  Symmachus  am  Hofe  zu 
Ravenna  lebte.  Die  Familie  der  Symmacher,  die  domni  Symmachi, 
werden  uns  ganz  besondei's  genannt  unter  den  Männern,  welche  in 
genauer  Verbindung  mit  den  Schulen  der  Grammatiker  und  Rhe- 
toren noch  einmal  die  heidnische  Bildung  neu  zu  beleben  suchten, 
durch  Auffrischung  der  Mysterien,  der  Philosophie,  und  namentlich 
auch  durch  angelegentliche  Beschäftigung  mit  der  alten  Litteratur, 

^)  Ueber  die  gotischen  Belagines  s.  Zeumer  im  NA.  XXIII,  425. 

2)  Papencordt,  Geschichte  der  vandalischen  Herrschaft  in  Afrika, 
S.  295. 

^)  So  nach  der  Etymologie,  während  die  handschriftliche  Ueberliefe- 
rung  mehr  für  B  o  e  t  i  u  s  spricht. 


74  I-  Vorzeit.     §  4.     Die  Ostgoten. 

deren  Werke  sie  durch  sorgfältige  Verbesserung  der  verwahrlosten 
Handschriften  in  diejenige  Gestalt  brachten,  in  welcher  sie  uns 
jetzt  vorliegen  ').  Das  Christentum  war  nun  freilich  bereits  zum 
unbestrittenen  Siege  durchgedrungen ,  Boethius  selbst  ist  zugleich 
Theologe  und  der  erste ,  welcher  aristotelische  Methoden  auf  theo- 
logische Stofife  angewendet  hat.  Auch  Cassiodor  gehört  zu  diesen 
Vermittlern;  erst  in  seinem  Alter  gab  er  sich  immer  ausschliefslicher 
einer  kirchlich  frommen  Richtung  hin. 

Dieselbe  Mischung  römischer  und  deutscher,  heidnischer  und 
christlicher  Elemente,  wie  an  Theoderichs  Hofe,  finden  wir  nun 
auch  in  der  geschichtlichen  Litteratur ,  die  uns  leider  nur  unvoll- 
ständig erhalten  ist.  Was  es  für  eine  Bewandtnis  mit  den  gotischen 
Philosophen  habe ,  mit  Athanarit ,  Hildebald  und  Markomir ,  auf 
die  sich  der  Ravennatische  Geograph  beruft,  ob  sie  gelebt  haben 
oder  nicht,  ist  bis  jetzt  noch  dunkel^).  Deutlicher  tritt  der  von 
Jordanis  ^)  benutzte  und  gelobte  Ablavius,  der  „treffliche  Ge- 
schichtschreiber des  gotischen  Volks",  hervor.  Mommsen  vermutet, 
dafs  er  an  Theoderichs  Hofe  nicht  lange  vor  Cassiodor  geschrieben 
und,  der  gotischen  Sprache  kundig,  ihre  üeberlieferungen  und  Lieder 
mit  den  Nachrichten  des  Priscus  u.  a.  verbunden  habe.  Er  ist  ge- 
neigt, einen  sehr  wesentlichen  Teil  des  Cassiodorischen  Werkes  ihm 
zuzuschreiben,  wenn  auch  Schirren  sich  von  neuem  sehr  nachdrück- 
lich dagegen  erklärt  hat.     Der  Name  ist   in  jener  Zeit  häufig  und 

^)  0.  Jahn,  Ueber  die  Subskriptionen  in  den  Handschriften  römischer 
Klassiker.  Berichte  über  die  Verhandlungen  der  königl.  Sachs.  Ges.  der 
W.  Phil.  bist.  Klasse,  III,  327.  1851. 

^)  Th.  Mommsen,  Ueber  die  Ravennatische  Kosmographie,  SB.  der  k. 
Sachs.  Ges.  der  W.  Phil.  bist.  Klasse,  III,  80—117.  18-51.  Bock,  Lettre 
a  Mr.  Bethmann ,  Annuaire  de  la  Bibl.  Royale  de  Belgique ,  Vol.  XII. 
1851.  Rec.  vonWaitz,  GGA.  1851,  N.  121.  Ravennatis  Anonymi  Cosmo- 
graphia  et  Guidonis  Geographia.  Ex  libris  manuscriptis  edd.  M.  Pinder 
et  G.  Parthey,  Berol.  1860.  —  Guido  Pisanus  excerpiei"te  das  ältere 
Werk  des  7.  Jahrhunderts  um  1119.  Während  Mommsen  und  De  Rossi 
{Giomale  Arcadico  CXXIV,  p.  259—281.  1851)  samt  vielen  anderen 
seiner  Gewährsmänner  auch  die  gotischen  Philosophen  für  erfunden 
halten,  sehen  Bock  und  Pallmann,  I,  9 — 12.  II,  139,  in  ihnen  Zeitgenossen 
Theoderichs. 

^)  De  orig.  Gett.  c.  4.  14.  23.  Vgl.  Sybel,  De  fontibus  Jord.  p.  34—37. 
Schirren  S.  36—44.  Koepke  S.  80.  Gutschmid  S.  129.  130.  Sybel,  König- 
tum, S.  193.  Mommsen,  Praef.  Jord.  p.  XXXVII.  S.  besonders  jetzt  Var. 
X,  22  (ed.  Mommsen  312)  von  W.  Meyer  verbessert:  „Abiabi  vestri  historica 
monimenta  recolite."  —  Dafs  um  1200  jemand  Blavius  de  gestis  Gothorum 
aus  der  Bibliothek  des  Klosters  Tegernsee  verlangte  (Pez,  Thes.  VI,  2,  53), 
erklärt  sich  wohl  einfach  aus  der  Lektüre  des  Jordanis.  Die  Meinung 
von  P.  Buchholz ,  dafs  Flavius  Blondus  den  A.  gekannt  habe ,  widerlegt 
Mommsen  p.  XXXVII,  n.  70. 


Ablavius.     Cassiotlorus.  75 

lautet  richtiger  Abi  ab  ins,  doch  folge  ich  lieber  der  damals  üb- 
lichen, durch  Jordanis  bezeugten  Aussprache. 

Der  rechte  Vertreter  dieses  üebergangsreiches  ist  Flavius  Magnus 
Aurelius  Cassiodorus')  Senator,  ein  vornehmer  Rümer  von 
angesehener  Familie,  aus  Bruttien,  vielleicht  aus  Squillace  gebürtig 
(gegen  490).  Dem  Beispiele  seines  Vaters  folgend,  stellte  er  sich  der 
Herrschaft  der  Barbaren  nicht  feindselig  oder  schmollend  gegenüber, 
sondern  war  als  Staatsmann  und  als  Gelehrter  aufrichtig  und  un- 
ablässig bemüht,  die  widerstrebenden  Elemente  friedlich  zu  ver- 
binden und  auszugleichen  ;  als  Minister  Theoderichs  und  seiner  Nach- 
folger suchte  er  die  Regierung  in  den  alten  Formen  fortzuführen, 
und  als  Geschichtschreiber  verkündete  er  den  erstaunten  Römern, 
dafs  das  Volk  der  Goten  und  das  Königsgeschlecht  der  Amaler  ihnen 
an  Alter  und  Adel,  ja  sogar  an  uralter  Kultur  mindestens  eben- 
bürtig sei. 

Schon  die  Chronik  Cassiodors  ^)  dient  der  Verherrlichung 
Theoderichs  und  seines  Eidams  Eutharich,  dem  sie  in  seinem  Kon- 
sulatsjahre überreicht  wurde;  der  Schwall  der  Lobrede  belebt  496 
bis  519  das  dürftig  und  ungeschickt  zusammengestoppelte  chrono- 
logische Gerippe,  dessen  Mangelhaftigkeit  und  willkürlich  leicht- 
sinniges Machwerk  Th.  Mommsen  schonungslos  aufgedeckt  hat. 
Auch  die  wenigen  früheren  historischen  Notizen  zur  Konsular- 
tafel,  die  er  aus  Hieronymus,  Prosper,  Eutrop,  von  456 — 493  aus 
den  Ravennater  Fasten  schöpfte  ^) ,  hat  er  in  gotischem  Interesse 
verändert ■*).  Von  weit  gröfserem  Wert,  fleifsiger  gearbeitet  und 
der  schulmäfsigen  Gelehrsamkeit  jener  Zeit  entsprechend ,  waren 
Cassiodors  zwölf  Bücher  Gotischer  Geschichten  (zwischen  526 
und  533  entstanden) ,  ein  früh  verlorenes  Werk ,  über  welches  je- 
doch der  Auszug  des  Jordanis  ein  Urteil  gestattet,  denn  nach  den 
Untersuchungen  von  Schirren  und  Koepke  kann  man  es  jetzt  wohl 


^)  Die  Form  Cassiodorius  wollten  nach  dem  Veroneser  Cod.  saec.  VII. 
der  Complexiones  Maffei  und  Reifferscheid ,  SB.  XLTX,  49,  vorziehen. 
Mommsen  verwarf  sie,  Praef.  Varr.  p.  XII,  nachdem  auch  F.  Rühl,  Jahrb. 
f.  Philol.  1880,  S.  564,  sich  dagegen  erklärt. 

^)  Die  Chronik  des  Cassiodorus  Senator  vom  Jahre  519.  Nach  den 
Handschriften  herausgegeben  von  Th.  Mommsen.  Abhandl.  der  königl. 
Sachs.  Ges.  der  Wiss.  VIII.  1861;  Auctt.  antt.  XI,  109—161.  —  Zugesetzt 
sind  die  Konsuln  520 — 559.  Benutzt  ist  die  Chronik  nur  von  Hermannus 
Contractus  aus  der  Reichenauer,  von  Marian  und  den  Ann.  S.  Dysibodi 
aus  der  Mainzer  Handschrift. 

3)  Holder-Egger,  NA.  I,  247—250. 

"*)  Vgl.  Thorbecke  S.  43.  Ueber  ein  ähnliches  Verfahren  in  der  Goten- 
geschichte s.  G.  Kaufmann,  Forschungen  VI,  464. 


70  I-  Vorzeit.     §  4.     Die  Ostgoten. 

als  festgestellte  Thatsache  betrachten,  wie  es  denn  auch  von  Mommsen 
angenommen  ist,  dafs  der  ganze  wesentliche  Inhalt  dieses  Werkes 
mit  EinschluCs  des  gelehrten  Apparats  von  Cassiodor  selbst  her- 
rührt ')•  Aufserdem  finden  sich  in  der  Sammlung  seiner  Briefe 
mehrere  Aeufserungen ,  welche  sich  auf  sein  Geschichtswerk  be- 
ziehen ;  so  legt  er  gleich  in  der  Vorrede  einem  Freunde  die  Worte 
in  den  Mund"):  „Du  hast  in  zwölf  Büchern  die  Geschichte  der 
Goten  in  einer  Blütenlese  ihrer  glücklichen  Thaten  niedergelegt". 
Varr.  XII,  20  (p.  377)  wird  eine  Stelle  über  die  Einnahme  Roms 
durch  Alarich  daraus  angeführt,  welche  beweist,  dafs  auch  die  Ge- 
schichte der  Westgoten  darin  behandelt  war. 

Wichtiger  aber  und  lehrreicher  sind  die  Worte  des  Königs 
Athalarich  in  dem  Schreiben  (Varr.  IX,  25,  p.  291),  durch  welches 
er  dem  römischen  Senate  Cassiodors  Erhebung  zum  Praefectus  prae- 
torio  für  das  Jahr  534  anzeigt.  Nicht  damit  habe  er  sich  begnügt, 
heifst  es  da,  die  lebenden  Herren  zu  loben:  „auch  in  das  Altertum 
Unseres  Geschlechtes  ist  er  hinaufgestiegen  und  hat  durch  Lesen 
erkundet,  was  kaum  noch  in  dem  Gedächtnis  unserer  Altvorderen 
haftete.  Er  hat  die  Könige  der  Goten,  welche  lange  Vergessenheit 
barg,  aus  den  Schlupfwinkeln  der  Urzeit  hervorgezogen.  Er  hat  die 
Amaler  mit  dem  vollen  Ruhm  ihres  Geschlechtes  wieder  ans  Licht 
gestellt,  indem  er  klärlich  nachwies,  dafs  Wir  bis  in  die  17.  Gene- 
ration von  königlichem  Stamme  sind.  Er  hat  die  Herkunft  der 
Goten  zu  einer  römischen  Geschichte  gemacht,  und  die  Blüten- 
keime, welche  bis  dahin  auf  den  Gefilden  der  Bücher  hier  und 
dort  zerstreut  waren,  in  einen  einzigen  Kranz  gesammelt^).  Be- 
denkt,  welche  Liebe   zu   euch    er   durch  Unser  Lob   bewiesen  hat, 

^)  Auch  H.  V.  Sybel,  der  in  seiner  Abhandlung  die  entgegengesetzte 
Ansicht  durchgeführt  hatte,  gab  1858  in  der  Hist.  Zeitschr.  II,  515  die 
Wahrscheinlichkeit  der  Beweisführung  von  Schirren  und  Koepke  zu.  Ihm 
folgt  darin  auch  Bessell.  Nur  die  Benutzung  des  Orosius  hält  Mommsen 
p.  XLIV  für  Eigentum  des  Jordanis,  während  er  auf  die  von  H.  v.  Sybel 
(Königtum  S.  198)  aufgestellte  Behauptung,  dafs  J.  selbst  die  Reihe  der 
Gotenkönige  aus  Ammian  ei'gänzt  habe,  nicht  Rücksicht  nimmt.  —  Nach 
F.  Rühl  kannte  auch  Aethicus  das  Werk  Cassiodors  (ed.  Mommsen  p.  4). 

^)  „Duodeeim  libris  Gothorum  historiam  defloratis  prosperitatibus 
condidisti."  Vgl.  C.  Cipolla,  Considerazioni  sulle  Getica  di  Jordanes  e 
suUe  loro  relazioni  coUa  Hist.  Get.  di  Cassiod.,  Memoria  d.  R.  Accad.  d. 
Sc.  di  Torino  (1893)  ser.  II,  vol.  XLIII,  woselbst  S.  105—113  die  Chrono- 
logie der  Variae  behandelt  wird.  Bessells  Deutung  (Forschungen  I,  639 
bis  G43) ,  „mit  auserlesenem  Glück  geschrieben",  scheint  mir  unhaltbar, 
trotz  Thorbeckes  Zustimmung  (vgl.  Traubes  Index  zu  Mommsens  Ausgabe 
p.  633).^ 

')  Gutschmid  S.  140  bemerkt,  dafs  Cassiodor  in  diesen  Worten  Justins 
Vorrede  nachgeahmt  zu  haben  scheine. 


Cassiodors  Gotengescliichte.  77 

da  er  nachwies,  dals  eueres  Herrschers  Stamm  von  Uranfanf,'  her 
wunderbar  gewesen  ist,  so  dals,  wie  ihr  von  eueren  Vorfahren  her 
immer  für  edeler  Art  gegolten  habt,  so  nun  auch  ein  altes  Königs- 
haus über  euch  die  HeiTschaft  führt')."  Und  weiterhin  wird 
Cassiodor  gerühmt,  weil  er  gleich  den  Anfang  von  Athalarichs 
Herrschaft  gleichmäfsig  mit  den  Wafl'en  und  mit  gelehrter  Thätig- 
keit  (litteris)  gefördert  habe ;  von  der  tiefen  Ruhe  litterarischer 
Beschäftigung  aufgescheucht  ^) ,  habe  er  ohne  Zaudern  zu  den 
Waifen  gegriffen . 

Cassiodor  selbst  ist  es,  der  diesen  Brief  verfafst  hat,  und  klar 
genug  hat  er  darin  Zweck  und  Absicht  seines  Werkes  ausgesprochen. 
Der  übergrofse  Abstand  zwischen  dem  kräftigen,  aber  noch  den 
Römern  als  barbarisch  geltenden  Gotenvolke  und  den  auf  ihre 
Geschichte  und  Bildung  stolzen  Römern  sollte  ausgeglichen  werden, 
das  war  der  leitende  Gedanke  in  Cassiodors  ganzer  Thätigkeit.  Dazu 
mufste  ihm  nun  auch  seine  Gelehrsamkeit  dienen ;  dals  Goten  und 
Geten  dasselbe  Volk  wären,  war  eine  längst  geläufige  Annahme^), 
aber  noch  hatte  niemand  es  versucht,  den  Zusammenhang  nach- 
zuweisen. Cassiodor  that  es,  und  zwar,  wie  jetzt  durch  das  von 
Holder  entdeckte  Fragment  bekannt  geworden  ist,  im  Auftrag  des 
Königs  Theoderich,  doch  erst  nach  dem  Tode  desselben  gelang  ihm 
die  Vollendung'*).  Er  verflocht  zu  diesem  Zwecke,  was  er  über 
die  Goten  wufste  und  bei  Ablavius  las ,  mit  dem ,  was  er  bei  Rö- 
mern und  Griechen  über  die  Geten  vorfand,  und  da  diese  wie  jene 
von  den  Griechen  häufig  Skythen  genannt  wurden,  zog  er  auch  die 
ganze  Urgeschichte  der  Skythen  heran  und  machte  sogar  die  Ama- 
zonen  ohne   Bedenken   zu   gotischen    Weibern.     So    erschienen    die 

')  Tetendit  se  etiam  in  antiquam  prosapiem  nostram,  lectione  discens 
quod  vis  maiorum  notitia  cana  retinebat.  Iste  reges  Gothorum  longa  ob- 
livione  celatos  latibulo  vetustatis  eduxit.  Iste  Hamalos  cum  generis  sui 
claritate  restituit,  evidenter  ostendens  in  septimam  decimam  progeniem 
stirpem  nos  habere  regalem.  Originem  Gothicam  historiam  fecit  esse 
Romanam,  colligens  quasi  in  unam  coronam  germen  floridum,  quod  per 
librorum  campos  passim  fuerat  ante  dispersum.  Perpendite  quantum  vos 
in  nostra  laude  dilexerit,  qui  vestri  principis  nationem  doeuit  ab  anti- 
quitate  mirabilem ,  ut  sicut  fuistis  a  maioribus  vestris  semper  nobiles 
aestimati,  ita  vobis  antiqua  regum  progenies  inperaret. 

2)  A  litterarum  penetralibus  eiectus  (p.  292).  Bessell  S.  115  bemerkt 
richtig,  dafs  damit  seine  Thätigkeit  in  der  k.  Kanzlei  nicht  wohl  be- 
zeichnet sein  kann. 

3)  S.  Schirren  S.  54.  Koepke  S.  209.  Die  schon  von  Conring  abge- 
lehnte, von  Grimm  verteidigte  Identität  kann  als  überwunden  betrachtet 
werden;  ich  begnüge  mich,  auf  die  Anm.  y.  Waitz  zu  verweisen,  Ver- 
fassungsgesch.  II,  S.  XIII,  2.  u.  3.  Ausg.  1,  S.  5. 

^)  Mommsen,  Praef.  Jord.  p.  XLI. 


78  I-  Vorzeit.    §  4.     Die  Ostgoten. 

Amaler,  deren  Glanz  die  gotische  Sage  verkündete,  nun  als  un- 
mittelbare Nachfolger  des  Zamolxis  und  Sitalkes,  und  die  Römer 
konnten  darin  einen  Trost  finden  für  die  Bitterkeit  der  fremden 
Herrschaft ').  Es  war  das  ein  Gedanke ,  der  wohl  Anerkennung 
verdient,  wenn  auch  der  Zweck  unerreicht  blieb,  die  Grundlage 
irrig  war,  wenn  auch  zur  Verherrlichung  der  Amaler  er  ihren 
Stammbaum  selbst  mit  freier  Dichtung  über  alle  Gebühr  verherr- 
licht haben  mag^).  Ein  von  F.  Rühl  entdecktes  barbarisches  Bruch- 
stück ,  welches  über  Skythen  und  Amazonen  handelt  und  von  ihm 
für  einen  Auszug  aus  Cassiodors  Gotengeschichte  gehalten  wurde, 
hat  nach  Mommsen  nichts  damit  zu  thun,  sondern  besteht  aus  Fa- 
beleien, die  auf  Justin,  Orosius  und  andere  bekannte  Quellen  zurück- 
gehen ^). 

Als  Cassiodor  oder  Senator ,  denn  das  war  sein  eigentlicher 
Name,  alle  seine  Bestrebungen  vereitelt  sah,  als  das  Gotenreich 
dem  Angriff  der  Mächte,  mit  welchen  er  es  hatte  aussöhnen  wollen, 
unterlag,  da  zog  er  sich,  vermutlich  nach  Vitigis  Sturz  (um  540) 
vor  555  von  der  Welt  zurück  und  gründete  ein  Kloster  (mona- 
sterium  Vivariense)  in  Bruttien,  wo  er  das  Ende  seines  Lebens  in 
stiller  Beschaulichkeit  und  schriftstellerischer  Thätigkeit  als  hoch- 
betagter Greis  erwartete.  Hier  liefs  er  unter  seiner  Aufsicht  die 
im  Mittelalter  vielgelesene  Kirchengeschichte  *)  (aus  Theodoret, 
Sozomenos  und  Sokrates)  zusammenstellen  und  übersetzen ;  hier 
schrieb  er  in  seinem  93.  Jahre  eine  Abhandlung  über  die  Ortho- 
graphie, zum  Frommen  seiner  Mönche,  denen  er  die  Vervielfältigung 
der  Bücher   durch  Abschriften   ganz   besonders  zur  Pflicht  machte. 


')  Diesen  Gedanken  hat  R.  Koepke  lichtvoll  entwickelt.  Forsch.  S.  89  ff. 
Die  Art  der  Verknüpfung,  das  chronologische  System  von  Cassiodors 
Gotengeschichte  weist  Gutschmid  S.  141  ff.  nach,  nachdem  er  S.  133—140 
den  Stammbaum  der  Amaler  behandelt  hat.  Er  hält  mit  Schirren  den 
Eutharich  für  keinen  wirklichen  Amaler  und  sieht  in  dessen  Stammbaum 
einen  Hauptzweck  des  Werkes;  aber  weshalb  wurde  dann  Eutharich  aus 
Spanien  geholt,  wenn  nicht,  weil  er  ein  Amaler  war?  Dafür  auch  Thorb. 
S.  18—20.  —  Waitz,  Nachrichten  1865  S.  101  vermutet,  dafs  Cassiodors 
Geschichte  sich  auf  Theoderichs  Regierung  nicht  erstreckte.  Ihm  stimmt 
Thorb.  S.  45  bei. 

'^)  Das  hat  vorzüglich  H.  v.  Sybel  nachgewiesen  und  eben  deshalb 
angenommen,  dafs  die  nicht  als  Amaler  bezeichneten  Gotenkönige  erst 
von  Jordanis  eingeschoben  sind. 

^)  F.  Rühl,  Ein  Anecdoton  zur  got.  Urgesch.  im  Jahrb.  f.  klass.  Philol. 
1880,  S.  549—576;  Exordia  Scythica  ed.  Mommsen,  Auctt.  antt.  XI,  308 
bis  322.  Vgl.  auch  Cipolla,  Memorie  della  Accad.  di  Torino  ser.  II, 
t.  XLIII,  120  N.  1. 

■*)  Die  Historia  tripartita,  durch  Epiphanius.  Ueber  dieses  sehr  mangel- 
hafte Werk  s.  Ad.  Franz  S.  104  —  120. 


Cassiodors  Variae  und  andere  Werke.  79 

Er  zuerst  hat  die  wissenschaftliche  Arbeit  grundsätzlich  in  die 
Klöster  eingeführt  und  dadurch  einen  weitreichenden  segensreichen 
Anstofs  gegeben  ').  Ist  er,  wie  Mommsen  annimmt,  erst  gegen  583 
gestorben ,  so  erlebte  er  noch  die  neue  Verwüstung  Italiens  durch 
die  Langobarden,  sah  er,  wie  die  blutigen  Lorbeern  Justianus 
fruchtlos  hinwelkten. 

Von  vorzüglichem  Werte  für  uns  sind  unter  seinen  erhaltenen 
Werken^)  die  537 — 538  verfafsten  zwölf  Bücher  seiner  Briefe 
(Variae),  in  welchen  er  die  Kanzleiformen  der  Zeit  und  viele  auch 
durch  ihren  Inhalt  wichtige  Briefe  aus  der  königlichen  Kanzlei  der 
Goten  aufbewahrt  hat.  Das  Zureden  seiner  Freunde,  sagt  er  in 
der  Vorrede,  habe  ihn  zu  dieser  Sammlung  veranlafst,  welche  einen 
Vorrat  fertiger  Formeln  darbieten  und  zugleich  zur  Bildung  junger 
Staatsmänner  dienen  sollte,  während  sie  auch  das  Andenken  der 
von  ihm  gelobten  trefflichen  Männer  der  Nachwelt  erhalte.  Alles 
habe  er  hier  vereinigt,  was  er  aus  der  Zeit  seiner  Quästur,  seines 
Magisteriums  und  seiner  Präfektur  in  den  öffentlichen  Aktenstücken 
von  ihm  herrührend  habe  finden  können.  Doch  nicht  selten  sei 
es  ihm  begegnet,  dafs  er  wegen  übergrol'ser  Eile  bei  der  Erteilung 
von  Würden  und  Ehren  hastige  und  schmucklose  Schreiben  erlassen 
habe :  davor  wolle  er  nun  andere  bewahren ,  und  deshalb  habe  er 
die  im  sechsten  und  siebenten  Buche  enthaltenen  Formulare  für 
die  Verleihung  aller  Würden  nun  mit  Sorgfalt  überarbeitet^). 
Denn  reden  können  wir  alle  ohne  Unterschied ;  nur  der  Schmuck 
ist  es,  welcher  den  Gelehrten  vom  Ungelehrten  unterscheidet  ^). 

Das    war    der   Grundsatz   und    die    Richtschnur    der   damaligen 

')  Thorb.  S.  29—31.     Sehr  ausführlich  Franz  S.  85  ff. 

-)  Sehr  lehrreich  sind  auch  seine  Institutiones  divinarum  et  saecula- 
rium  litterarum  (zwischen  543  und  555):  I,  c.  17,  ed.  Mommsen,  Auctt. 
antt.  XI,  39—41.  lieber  die  verschiedenen  Texte  des  zweiten  Buches  s. 
Laubmann  in  d.  Münch.  SB.   1878,  II,  S.  71—96. 

^)  Diese  bestimmte  Angabe  macht  es  bedenklich,  Schirrens  Vennutung 
zu  folgen,  der  auch  in  den  übrigen  Büchern  eine  bedeutende  Ueber- 
arbeitung,  zum  Teil  neue  Abfassung  annimmt.  Er  hätte  ja  das  nicht 
nötig  gehabt  zu  verschweigen. 

'')  „Dictio  semper  agrestis  est,  quae  aut  sensibus  electis  per  moram 
non  comitur  aut  verborum  minime  proprietatibus  explicatur.  Loqui  nobis 
communiter  datum  est:  solus  ornatus  est  qui  discernit  indoctos."  Die 
Erlasse  in  seinem  eigenen  Namen,  als  Präfekt,  aus  den  Jahren  533  Mitte, 
535—537  finden  sich  im  elften  und  zwölften  Buche;  in  den  früheren 
schreibt  er  im  Namen  des  Königs.  Vgl.  über  die  Variae  Thorb.  S.  50—60. 
Horst  Kohl,  Zehn  Jahre  ostgot.  Gesch.  (526—536),  Leipzig  1877.  Hasen- 
stab, Studien  zur  Variensamnilung  des  C.  S.  Progr.  d.  Max.  Gymn.  zu 
München  1883.  Tanzi,  Cronologia  dei  libri  Var.,  Triest  1887.  Ueber  eine 
Abb.  V.  Gaudenzi  s.  Mommsen,  NA.  XIV,  437. 


80  J-  Vorzeit.     §  5.     Jordanis. 

Schulen  ,  und  demgeraäfs  hat  denn  auch  Cassiodor  den  oft  gering- 
fügigen Inhalt  seiner  Briefe  unter  einem  solchen  Wortschwall  und 
so  vielem  Zierat  der  gesuchtesten  Phrasen  verborgen,  dafs  es  häufig 
nicht  leicht  ist,  ihn  herauszufinden.  Bruchstücke  von  Lobreden 
haben  sich  erhalten  auf  Eutharich  aus  dem  Jahre  518  oder  519  und 
auf  Witigis  und  Mathasventha  aus  dem  Jahre  53G. 

Im  höchsten  Grade  trifft  der  Vorwurf  des  Schwulstes  auch  die 
Schriften  des  Ennodius,  Bischofs  von  Pavia^),  unter  denen  be- 
sonders sein  Panegyricus  auf  Theoderich  vom  Jahre  507  geschicht- 
lich wichtig  ist'). 

§  5.     Jordanis. 

Baelir  S.249— 260.  Teuffei  §  477,  Ebert  S.  556-f62.  Dalin  A.  D.  B.  XIV,  522— 526. 
Rinaudo  p.  31— 3ü.  Balzaiii  p.  19-21.  S.  d.  neuere  Litt,  zu  §  4.  Anstatt  der 
älteren  Ausgaben  genügt  es  jetzt,  die  Ausgabe  der  MG.  v.  Mommseu  zu  nennen, 
Berlin  1882,  4  (Auctt.  antt.  V,  1).  Reo.  von  Schirren,  Deutsche  LZ.  1882,  S  1420 
bis  1424,  von  L  Erhardt,  GGA.  1886,  S.  K69— 708.  Bemerkungen  von  Manitius, 
NA.  XIII,  212.  513.  B.  v.  Simson,  NA.  XXII,  741—747,  von  v.  Bachmann,  NA. 
XXIII,  175—176;  Wölfflin  zur  Latinität  des  Jordanes,  Archiv  für  latein.  Lexiko- 
graphie XI,  361—368.  Eine  kritische  Nachprüfung  über  Jordanis,  besonders  über 
sein  Verhältnis   zu  Cassiodor  und    den   sonst  von  ihm  benutzten  Quellen,  gibt 

C.  CipoUa  in  den  Mem.  della  R.  Accad.  di  Torino  ser  II,  t.  XLIII,  S.  116—132, 
am  meisten  mit  Schirren  übereinstimmend.  —  Ausg.  der  Getica  v.  Holder  1882, 
mit  selbständ.  Benutzung  d.  Heidelb.  Hs.  1882,  3.  Ausg.  v.  Closs  1889.  Emenda- 
tiouen  v.  Fröhner,  Philologus,  Suppl.  V,  55  (1884)  üebers.  v.  W.  Martens,  1884. 
Geschichtscbr.  5  (VI,  1).    Grienberger,  Die  nord.  Völker  bei  Jord.,   Zeitschr.  f. 

D.  Altert.  XLVI  (1902),  S.  128—168. 

An  jene  Vertreter  der  antiken  Bildung,  welche  Theoderich  an 
seinem  Hofe  versammelte,  reiht  sich  nun  der  erste  und  einzige 
gotische  Schriftsteller,  dessen  Werke  wir  besitzen,  Jordanis;  denn 
so  wird  sein  Name  in  den  besten  Handschriften  geschrieben ,  mit 
so  überwiegender  Autorität,  dafs  die  durch  Peutingers  Ausgabe 
von  1515  gebräuchlich  gewordene  Form  Jornandes  sich  dagegen 

^)  Ennodii  Opera  ed.  Sirmond,  Paris  1611,  Hartel  im  Wiener  Coi-pus 
VI,  1882.  Reo.  v.  Krusch,  HZ.  LI,  100-102.  MG.  Auctt.  antt.  VII  von 
Fr.  Vogel  1885.  Fertig,  Magnus  Felix  Ennodius  und  seine  Zeit.  1.  Abt. 
Passau  1855,  4.  Pallmann  II,  190—192.  Ebert  432—440.  Rinaudo  p.  19 
bis  24.  Zur  Chronologie  Hasenstab,  Progr.  d.  Münch.  Luitpoldgymnas. 
1889/90.  Tanzi^  s.  NA.  XV,  425.  Vogel ,  Chronolog.  Untersuchungen  zu 
Ennod.  NA.  XXUI,  51—74.  Auf  die  Bedeutung  seiner  Vita  Epifani  ep. 
Ticin.  weist  Binding  hin:  Das  Burgundisch-roman.  Kgr.  I,  97.  Seine 
Briefe  sind  kulturgeschichtlich  wichtig.  —  Ueber  die  schon  früh  sagen- 
haft entstellte  Geschichte  Theoderichs,  aus  welcher  geschichtliche  That- 
sachen  nicht  zu  entnehmen  sind,  findet  sich  eine  sorgfältige,  auf  Unter- 
suchung der  Handschriften  begründete  Abhandlung  bei  A.  Thorbecke : 
Ueber  Gef<ta  Theoderici,  Herbstpr.  des  Heidelb.  Gymn.  1875.  Ausg.  von 
Krusch,  SS.  Meroving.  II,  200—214. 

'^)  Dafür  H.  v.  Schubert:  Die  Unterwerfung  der  Alamannen  (Strassb. 
1874),  S.  67—89.  Er  wurde  nach  Cipolla  dem  Könige  schriftlich  zugesandt; 
s.  darüber  NA.  IX,  244.    XI\',  2U5, 


.Tordanis  Gotengeschichte.  81 

nicht  behaupten  kann.  Jakob  Grimm  freilich  hat  sie  sehr  nach- 
drücklich in  Schutz  genommen,  und  unmöglich  wäre  es  nicht,  dals 
in  der  entscheidenden  Stelle  (Kap.  50)  ursprünglich  gestanden  hat: 
Jordanis  sive  Jornandes.  Dann  wäre  nach  Grimms  Vermutung  der 
kriegerischer  lautende  gotische  Name  Jornandes,  d.  i.  Eberkühn, 
beim  Eintritt  in  den  geistlichen  Stand  mit  dem  griechisch-römischen 
Namen  Jordanis  vertauscht  worden  ')■  Wie  dem  nun  auch  sein 
möge,  sicher  gestellt  ist  allein  der  letztere,  durch  das  ganze  Mittel- 
alter gebräuchliche  Name,  den  wir  deshalb  auch  hier  vorziehen. 

Jordanis  rechnet  sich  selbst  zum  gotischen  Volke  •■').  Er  stammte 
aus  einem  sehr  angesehenen  Geschlechte,  das  mit  den  Amalern  ver- 
schwägert war;  sein  Grofsvater  war  Notar  oder  Kanzler  des  Alanen- 
königs Candac  in  Mösien ,  er  selbst  ebenfalls  Notar :  leider  wissen 
wir  nicht ,  wo  und  unter  welchen  Verhältnissen  ^) ;  später  ist  er 
in  den  geistlichen  Stand  eingetreten.  Seiner,  wie  es  scheint,  alani- 
schen Abkunft  entsprechend,  zeigt  er  für  dieses  Volk  eine  deutliche 
Vorliebe^),  während  er  die  Vandalen  nicht  leiden  kann''). 

Die  eigentliche  grammatische  Bildung  der  Schule  war  ihm  fremd, 
wie  er  selbst  sagt,  doch  konnte  es  ihm  nicht  schwer  fallen,  grie- 
chische und  lateinische  Schriftsteller  zu  lesen ,  und  damit  hat  er 
sich  denn  auch,  wohl  besonders  in  der  späteren  Zeit  seines  Lebens, 
eifrig  beschäftigt,  wenngleich  die  umfassende  Belesenheit,  welche 
seine  Gotengeschichte  zu  zeigen  scheint ,  nur  als  erborgtes  Gut 
gelten  kann. 

Seine  Schi-eibweise  ist  entstellt  durch  den  gesuchten ,  senten- 
tiösen  Charakter  der  Zeit,  doch  nur  da,  wo  er  seiner  cassiodorischen 
Vorlage   folgt;    er   selbst  drückt  sich  ungeschickt  und  unbehilflich 


^)  Für  Jemandes  kämpft  Dietrich,  Ueber  die  Aussprache  des  Goti- 
schen, Marburg  1862.  Mommsen  schreibt  Jordanes;  ich  folge  auch  hier 
der  überlieferten  Form,  welche  sich  der  Aussprache  anschliefst. 

^)  De  rebus  Get.  am  Schlufs  (p.  138):  „Nee  me  quis  in  favorem  gentis 
praedictae  quasi  ex  ipsa  trahenti  originem  aliqua  addidisse  credat." 

^)  Ib.  c.  .50  (p.  126):  ,Scyri  vero  et  Sadagarii  et  certi  Alanorum  cum 
duce  suo  nomine  Candac  Scythiam  minorem  infei-ioremque  Moesiam 
acceperunt.  Cuius  Candacis  Alanoviiamuthis  jjatris  mei  genitor  Paria, 
id  est  mens  avus,  notarius  quousque  Candac  ipse  viveret  fuit,  eiusque 
germanae  filio  Gunthicis  (1.  Gunthigis,  p.  1.50)  qui  et  Baza  dicebatur  mag. 
mil.  filio  Andages  fili  Andele,  de  prosapia  Amalorum  descendente ,  ego 
item  quamvis  agramatus  lordannis  ante  conversionem  meam  notarius  fui." 
Die  nach  dem  Hss.  hergestellte  Form  dieser  Stelle  macht  ihre  Bedeutung 
noch  unsicherer.  Ueber  die  Namen  Grienberger,  Germania  XXXIV,  406 
(NA.  XV,  615). 

*}  Mommsen,  Praef.  p.  X. 

s)  ibid.  p.  VII. 

Wat  tenb  ach  ,  Geschichtsiiuellcn.    I.    7.  .\utl.  6 


82  T.  Vorzeit.     §  5.     .lordanis. 

aus  und  klammert  sich  ängstlich  an  seine  Quellen ;  die  volle  Bar- 
barei der  damals  gewöhnlichen  Schreibweise  einer  Bevölkerung, 
welche  fast  alles  Gefühl  für  grammatische  Formen  verloren  hatte, 
bis  dahin  nur  aus  den  im  Original  uns  erhaltenen  Urkunden  be- 
kannt, ist  nun  auch  bei  ihm  nach  den  ältesten  und  besten  Hand- 
schriften hergestellt  ^). 

Die  Vorrede  seiner  Getica  hat  Jordanis  mit  geringen  Aenderungen 
wörtlich  von  Rufin  entlehnt  ^).  Natürlich  eignete  er  sich  auch  die 
römisch-christliche  Weltanschauung  an ;  dahin  fühi'te  ihn  sein  Stand, 
dahin  auch  die  ganze  Richtung  seines  Volkes.  Vollkommen  teilt 
er  die  Verehrung  des  Kaisertums,  und  wenn  er  es  unternahm,  die 
Folge  der  Weltreiche  in  gedrängter  üebersicht  darzustellen,  so 
konnte  ihm  doch  der  Gedanke  niemals  nahen ,  dafs  etwa  auch  das 
römische  Reich  sein  Ende  erreicht  habe  und  andere  an  seine  Stelle 
treten  würden.  Eben  war  er,  wie  er  uns  berichtet,  mit  der  Ab- 
fassung eines  solchen  Handbuches  beschäftigt,  als  sein  Freund  Ca- 
stalius  ihn  aufforderte,  Cassiodors  Geschichte  der  Goten  in 
einen  Auszug  zu  bringen^).  Diese  Aufgabe,  sagt  er,  sei  für  ihn 
um  so  schwieriger  gewesen ,  da  ihm  das  Werk  nicht  einmal  vor- 
liege, sondern  er  es  nur  einmal  in  früherer  Zeit  auf  drei  Tage  zum 
Lesen  erhalten  habe.  Doch  glaube  er  sich  des  wesentlichen  Inhalts 
noch  vollständig  zu  erinnern'').  Damit  habe  er  nun  verschiedenes 
aus  griechischen  und  lateinischen  Geschichten  verbunden,  den  An- 
fang und  das  Ende  aber,  wie  auch  mehreres  in  der  Mitte  von  seinem 
Eigenen  dazu  gethan.  Später,  im  Verlauf  der  Geschichte,  nennt  er 
den  Cassiodor  nie,  ebenso  wenig  aber  auch  den  gegen  das  Ende  be- 
nutzten Marcellinus.  Es  unterliegt  nun  wohl  kaum  noch  einem 
Zweifel,  dafs  er,  wie  schon  Cassel  angenommen  hatte,  bis  auf  wenige 
unbedeutende  Zusätze  eben  nur  den  Cassiodor  ausgezogen  hat,  was 
ihm  ja  auch  aufgetragen  war,  und  die  Ungenauigkeit  der  gelehrten 


')  Immerhin  gibt  es  zu  denken,  dafs  auch  bei  Orosius,  wenn  der 
cod.  Laurent,  nicht  erhalten  wäre,  aus  der  Donaueschinger  Hs.  dieselbe 
Barbarei  herzustellen  sein  würde. 

^)  Aus  Rufini  presb.  praefatio  in  explanationem  Origenis  super  ep. 
Pauli  ad  Romanos,  wie  H.  v.  Sybel  nachgewiesen,  in  Schmidts  Zeitschr. 
für  Gesch.  VII,  288.  Ueber  den  am  Eingang  seiner  Rom.  angeführten 
Jamblichus  s.  Mommsen,  NA.  VIII,  352. 

^)  Der  Titel  beider  Werke  scheint  gelautet  zu  haben :  De  origine 
actibusque  Getnrum. 

*)  „Ad  triduanam  lectionem  dispensatoris  eius  beneficio  libros  ipsos 
antehac  relegi ,  quorum  quamvis  verba  non  recolo ,  sensus  tarnen  et  res 
actas  Credo  me  integre  retinere."  —  Zu  den  drei  Tagen  bemerkt  Mommsen 
„si  credis". 


Jordanis  Gotengeschichte.  83 

Citate  bestätigt,  dafs  auch  sie  fast  alle  mit  herüber  genommen  sind  '). 
Man  muls  also  annehmen,  daCs  er  sich  schon  früher  schriftliche  Aus- 
züge gemacht  hatte,  die  er  jetzt,  ohne  das  Werk  selbst  wieder  ein- 
sehen zu  können,  verarbeitete,  eine  in  der  That  schwierige  Aufgabe, 
welche  wohl  von  einer  zu  harten  Beux-teilung  des  ungeschulten  Goten 
abhalten  sollte.  Doch  läfst  sich  freilich  nicht  leugnen ,  dal's  seine 
Benutzung  der  Annalen  des  gleichzeitigen  Marcellinus  Comes^l  nicht 
befriedigender  ausgefallen  ist.  Denn  nach  diesem  Führer  erzählt  er 
mit  auffallender  Kürze  von  den  Siegen  Belisars,  und  die  Vergleichung 
mit  den  knappen  ,  aber  genauen  und  zuverlässigen  Angaben  dieses 
Schriftstellers  fällt  nicht  günstig  für  unseren  Autor  aus ,  der  sich 
offenbar  mit  grölserer  Vorliebe  den  alten  Ueberlieferungen  zuwendet, 
und  wie  das  bei  den  Anfängen  einer  gelehrten  Geschichtschreibung  so 
häufig  ist,  gerne  eine  unverdaute  Gelehrsamkeit  auskramt,  von  der 
sorgsamen  Gewissenhaftigkeit  aber,  welche  die  Nachwelt  am  höchsten 
schätzt,  kaum  einen  Begriff  hat. 

Indem  er  nun  hierin  gegen  gleichzeitige  und  spätere  Annalen 
zurücksteht,  zeichnet  er  sich  dagegen  vor  den  einfachen  Chronisten 
aus  durch  das  Festhalten  eines  leitenden  Gedankens,  welcher  die  Dar- 
stellung beherrscht.  Man  hat  Jordanis  eine  gänzliche  Entfremdung 
von  seinem  Volke  zum  Vorwurf  gemacht.  Nicht  zum  Ruhme  der 
Goten,  sagt  er  schliefslich,  habe  er  dieses  geschrieben,  sondern  um 
den  Ruhm  des  Siegers  zu  erhöhen.  Allein  darauf  darf  man  nicht  zu 
viel  Gewicht  legen.  Die  Liebe  zu  seinem  Volke,  der  Stolz  auf  die 
Tapferkeit  der  Goten,  auf  die  Herrlichkeit  der  Amaler,  ti-eten  viel- 
mehr mit  grolser  Lebhaftigkeit  überall  hervor,  und  eben  deshalb 
hielt  Jordanis  es  für  nötig,  durch  eine  solche  Wendung  in  der  da- 
maligen Zeit  des  Krieges  dem  Argwohn  der  Herrscher  zu  begegnen. 
Denn  als  er  dieses  schrieb,  war  der  Krieg  noch  keineswegs  beendigt, 
sondern  vielmehr  mit  neuer  Wut  entbrannt.  Jordanis  aber  hatte 
allerdings  für  diesen  letzten  Todeskampf  der  Goten  keine  Teilnahme: 
dem  stand  in  ihm  teils  seine  politische  Ansicht,  teils  das  Blut  der 
Amaler  entgegen ,  welches  mächtiger  war  als  das  Volksbewulstein. 
Er  setzte  seine  Hoffnungen  auf  Germanus,  den  Gemahl  der  Matas- 

^)  G.  Kaufmann.  Krit.  Unters,  der  Quellen  z.  Gesch.  Ulfilas,  handelt 
von  den  Gothi  minores  (c.  51)  im  Gegensatz  zu  Bestell,  u.  bemerkt  S.  243, 
dafs,  wenn  auch  Jordanis  den  Orosius  selbständig  benutzt  habe,  doch  im 
Gap.  25  u.  26  die  Vermischung  seiner  Angaben  mit  Amm.  Marc.  31,  3  ihm 
von  Cassiodor  herzurühren  scheine.  Cipolla  (a.  a.  0.  S.  132)  will  aufser 
Orosius  auch  Mela,  Justin,  Aur.  Victor,  Hieronymus,  Symmachus,  Socrates 
und  Josephus  ihm  zugestehen  {?). 

^)  Oder  dessen  Vorlage,  s.  oben  S.  62,  Anm.  2. 


84  I.  Vorzeit.     §  5.     Jordanis. 

vinth,  dem  ja  auch  von  seinen  Landsleuten  so  viele  sich  zuwandten, 
und  nach  dessen  frühem  Tode  auf  den  letzten  Sprossen  der  Amaler, 
auf  das  Kind  Germanus :  der  sollte  sein  Volk  wieder  sammeln  und 
beherrschen,  im  engsten  Anschluss  an  das  Römerreich,  so  wie  einst 
Theoderich.  An  drei  Stellen  gedenkt  er  dieses  Kindes,  und  an  der 
letzten  spricht  er  ausdrücklich  die  Hoffnungen  aus,  welche  er  an 
diesen  Erben  der  vereinigten  Anicier  und  Amaler  knüpft. 

Denn  das  ist  eben,  wie  Sybel  nachgewiesen  und  Stahlberg  weiter 
ausgeführt  hat,  der  leitende  Gedanke  des  Jordanis,  dafs  er,  was  ja 
auch  richtig  war,  nur  in  der  friedlichen  Einfügung  des  Gotenvolkes 
in  das  römische  Reich  die  Möglichkeit  und  Hoffnung  einer  gedeih- 
lichen Zukunft  für  dasselbe  erkennt.  Ihm  konnte  es  nur  als  ein 
hoffnungsloses  und  frevelhaftes  Unternehmen  erscheinen,  wenn  die 
letzten  Gotenfürsten,  die  dem  Stamm  der  Amaler  fremd  waren, 
sich  dem  letzten  Weltreiche  gegenüber  feindlich  behaupten  wollten, 
um  so  mehr,  da  er  katholisch  war  und  dadurch  im  Gegensatze  zu 
seinen  arianischen  Volksgenossen  mit  der  Einheit  der  Kirche  auch 
die  Einheit  des  weltlichen  Reiches  erstreben  mufste.  Daher  legt 
er  überall  besonderes  Gewicht  auf  die  friedlichen  Beziehungen  der 
Goten  zum  Ostreiche,  und  seine  Teilnahme  und  Hoffnung  konnten 
sich  nur  dem  Germanus  zuwenden.  Dieser  Auffassung  konnte  sich 
damals  niemand  entziehen,  der  in  den  Bildungskreis  der  römischen 
Kirche  eingetreten  war,  und  sie  blieb  herrschend,  bis  die  Franken 
stark  genug  waren ,  um  sich  selbst  als  die  wahren  Träger  des  er- 
neuten römischen  Reiches  betrachten  zu  können.  Vollkommen  zu- 
treffend bezeichnet  daher  L.  v.  Ranke  *)  sein  Werk  als  eine  ,,zwar 
auf  historische  Vorstudien  basierte,  aber  zugleich  auf  den  Moment 
angelegte  politisch-historische  Arbeit  über  die  Geschichte  der  Goten". 
Auch  ist  es  richtig,  dafs  er  ganz  im  Sinne  Cassiodors  geschrieben 
hat,  aber  wenn  dann  die  Vermutung  hinzugefügt  wird,  dafs  Cassiodor 
selbst  als  der  intellektuelle  Urheber  des  Werkes  zu  betrachten  sei, 
so  läfst  sich  das  weder  mit  den  Verhältnissen  vereinigen ,  noch  ist 
zu  erklären ,  weshalb  Jordanis  das  so  sorgfältig  hätte  verbergen 
sollen. 

Von  grofser  Wichtigkeit  aber  ist  es,  festzustellen,  wo  und  unter 
welchen  Verhältnissen  Jordanis  sein  Werk  geschrieben  hat.  Da 
finden  wir  nun  bei  Mommsen ,  dem  sich  Cipolla  anschliesst,  die 
Behauptung,  dafs  er  als  Mönch  in  einem  mösischen  oder  thracischen 
Kloster  gelebt  und  geschrieben  habe.    Er  beruft  sich  auf  seine  be- 

1)  Weltgeschichte  1\',  2.  Abt.  S.  313—327. 


Jordanis  Gotengeschichte.  85 

sonders  genaue  Kenntnis  des  unteren  Donaulaufes  und  der  benach- 
barten Gegenden ,  und  dafs  er  bei  dem  Auszug  aus  Cassiodor  ge- 
rade, was  sich  auf  Mösien  und  Thracien  bezog,  bevorzugt  habe, 
was  sich  indessen  durch  die  Angaben  über  seine  Herkunft  leicht 
erklären  läfst.  Weit  wichtiger  ist  die  Frage,  ob  aus  den  Worten 
,ante  conversionem  naeam"  mit  Notwendigkeit  zu  schliel'sen  ist, 
dafs  er  Mönch  geworden  sei.  Das  wird  behauptet,  doch  nach  den 
von  B.  V.  Simson  gebrachten  Zeugnissen  kann  auch  der  Eintritt 
in  den  geistlichen  Stand  so  bezeichnet  werden.  Wir  haben  ja  aus 
späterer  Zeit  Mönche  genug,  welche  geschichtliche  Werke  geschrieben 
haben,  aber  aus  diesen  Jahrhunderten  ist  mir  keiner  bekannt.  Ihre 
Stellung  zur  Welt  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit,  und  vorzüglich  durch 
die  eigentümliche  Entwickelung  der  Kirche,  im  Abendlande  völlig 
verändert.  Wer  damals  in  ein  Kloster  eintrat,  zog  sich  in  vollem 
Ernst  aus  der  Welt  zurück  und  erfuhr,  wie  noch  jetzt  orientalische 
Mönche,  sehr  wenig  von  ihr.  Cassiodor  zuerst  scheint  seine  Mönche 
überhaupt  auf  litterarische  Beschäftigung  hingewiesen  zu  haben. 
Ich  halte  es  für  vollkommen  undenkbar,  dafs  ein  Mönch  in  einem 
Kloster  in  Mösien  ein  solches  Werk  hätte  zu  stände  bringen ,  dafs 
er  das  neueste  Annalenwerk  hätte  erhalten  und  über  die  politischen 
Angelegenheiten  der  Gegenwart  hätte  schreiben  können. 

Deshalb  halte  ich  fest  an  der  Entdeckung  Jakob  Grimms ,  der 
in  dem  Vigilius,  welchem  Jordanis  sein  zweites  Werk  gewidmet  hat, 
den  damaligen  römischen  Papst  erkannt  und  mit  überzeugenden 
Gründen  nachgewiesen  hat ').  Schon  früher  hatte  Cassel  auf  einen 
Jordanis,  Bischof  von  Kroton ,  aufmerksam  gemacht,  welcher  in 
einem  Schreiben  des  Papstes  Vigilius  erwähnt  wird;  seine  Ver- 
mutung, dafs  er  mit  unserem  Autor  identisch  sei,  fand  Zustimmung. 
Es  erklärt  sich  nun  dadurch  leicht,  dafs  er  von  dem  Verwalter  der 
unfern  gelegenen  Güter  Cassiodors  dessen  Werk  auf  kurze  Zeit  er- 
hielt ,  auch  dafs  er  sich  nicht  selbst  im  Gotenreiche  befand ,  als  er 
schrieb.  Schirren  freilich  hat  einen  anderen  Jordanis  vorgezogen, 
den  Papst  Pelagius  in  einem  Schreiben  vom  Jahre  556  als  Defensor 


^)  Ueber  Jomandes  S.  12.  Ebert  S.  .535  bekämpft  die  Annahme, 
weil  die  Sprache  des  Schreibers  nicht  hinlänglich  respektfoll  sei.  Mir 
scheint  das  bei  der  damaligen  Sachlage  und  der  durchaus  nicht  im- 
posanten Pei-sönlichkeit  des  Papstes  unerheblich.  Noch  weniger  kann 
ich  in  den  Worten:  „quatinus  diversiirum  gentium  calamitate  conperta 
ab  omni  erumna  liberum  te  fieri  cupias  et  ad  Deum  convertas,  qui  est 
vera  libertas"  eine  Aufforderung  sehen,  Mönch  zu  werden,  wie  sich  da- 
gegen auch  Schirren  erklärt.  —  In  der  2.  Ausg.  S.  501,  Anm.  3,  ist  Ebert 
dabei  sreblieben. 


35  I.  Vorzeit.     §  5.     Jordania. 

der  römischen  Kirche  erwähnt ;  allein  mit  Recht  hat  Bessell  hervor- 
gehoben, dal's  doch  nur  ein  Bischof  den  römischen  Papst  frafer  an- 
reden könne ,  und  dafs  auch  der  ganze  Inhalt  des  Trostschreibens 
nur  für  einen  Amtsbruder  angemessen  sei.  Auch  bezeichnen  ihn 
als  solchen  nicht  geringe  Handschriften  M.  Noch  erheblicher  aber 
ist  der  Umstand,  dafs  nach  jenem  Schreiben  des  Vigilius  Jordanis 
(von  Kroton)  sich  im  Jahre  551  mit  ihm  in  Konstantinopel  be- 
fand, dafs  er  also  zu  denjenigen  gehöi'te,  welche  ihn  in  seinem  Exil 
(547 — 554)  begleiteten.  Dasselbe  nimmt  auch  Schirren  von  dem 
Defensor  Jordanis  an,  und  hat  deshalb  die  Vermutung,  welche 
auch  Stahlberg  wahrscheinlich  fand,  ausführlich  begründet,  dals 
nämlich  Jordanis  seine  Gotengeschichte  551  in  Konstantinopel  ver- 
fafst  habe^):  darin  stimmen  Bessell  und  Gutschmid  mit  ihm  über- 
ein ,  und  in  der  That  ist  die  Wahrscheinlichkeit  dafür  so  grofs, 
dafs  sie  fast  zur  Gewifsheit  wird.  Nun  erklärt  es  sich  sehr  ein- 
fach, weshalb  Jordanis  sich  Cassiodors  Buch  nicht  wieder  ver- 
schaffen konnte,  während  Marcellins  Annalen  ihm  zugänglich  waren; 
man  begreift,  dafs  Vigilius  und  seine  Anhänger  eines  Buches  be- 
durften, welches  ihnen  die  gotische  Geschichte  kurz  und  übersicht- 
lich vorführte,  die  ältere  vorzüglich,  weil  die  Ereignisse  der  letzten 
Jahrzehnte  noch  in  frischem  Gedächtnis  waren.  Die  Worte  Jordanis, 
in  welchen  er  seinen  Freund  Castalius  als  Nachbar  der  Goten  (vicinus 
genti)  im  Gegensatz  zu  seiner  eigenen  Lage  bezeichnet,  sind  nun 
nicht  mehr  auffallend,  und  der  politische  Standpunkt,  die  ängst- 
liche Behutsamkeit  des  Verfassers,  seine  geringe  Kenntnis  der 
Kämpfe  in  Italien ,  der  Mangel  an  Teilnahme  für  die  neue  Er- 
hebung unter  Totila ,  die  lebhafte  Hoffnung ,  welche  er  an  den 
Spröfsling  der  Anicier  und  Amaler  knüpft,  sowie  die  Vertrautheit 
mit  den  in  Byzanz  getroffenen  Mafsregeln  und  erst  begonnenen 
Unternehmungen,  alles  das  tritt  in  ein  helleres  Licht,  so  dafs  an 
der  Richtigkeit  dieser  Annahme  kaum  zu  zweifeln  ist.  An  einen 
afrikanischen  Bischof  hat  neuerdings  B.  v.  Simson  gedacht,  ohne 
jedoch  einen  solchen  dieses  Namens  nachweisen  zu  können. 

Bald  nach  der  Vollendung  der  Gotengeschichte  konnte  Jordanis 
auch  dem  Vigilius  seine  Chronik  überreichen ,  die ,  wie  er  selbst 
sagt,    im    24.   Jahre    Justinians    (welches    am    1.    April    551    be- 

'j  „Episcopum  eum  dieit  librorum  ordo  primus  in  titulo  Romanorum. " 
Mommsen  p.  XIII.  In  dem  Chronic.  Vedastin.  (SS.  XIII,  678):  Ravennatae 
urbis  episcopus. 

^)  Oder  in  Chalcedon,  wohin  Vigilius  um  Weihnachten  550  flüchtete, 
und  wo  er  bis  zum  Frühjahr  .5.58  blieb. 


Jordanis  Chronik.     Die  Westgoten.  87 

gann)  M,  beendigt  war.  Die  erneuten  Kämpfe  der  Goten  sind  hier 
mit  sichtlicher  Abneigung  gegen  Totila  berührt,  die  letzte  Kata- 
strophe aber  war  noch  nicht  zur  Kenntnis  des  Verfassers  gekommen, 
üebrigens  ist  dieses  Werk ,  welches  gewöhnlich  J)r  rcgnorum  siic- 
cesslone  genannt  wird,  richtiger  (nach  Mommsen)  iJe  summa  fem- 
porum  vel  origine  acHbusque  genfis  Romanorum  heissen  sollte,  eine 
unbedeutende  und  ungeschickte  Kompilation ;  es  ist  grolsenteils  aus 
Florus  entlehnt,  so  wörtlich,  daCs  die  neuesten  Herausgeber  aus  Jor- 
danis  den  Text  des  Florus  bedeutend  berichtigen  konnten ;  später 
benutzt  er  den  Eutrop,  Orosius  und  andere,  welche  in  der  Ausgabe 
von  Mommsen  nachgewiesen  sind.  Wichtig  ist  diese  Schrift  fast  nur 
als  höchst  charakteristisch  für  den  Standpunkt  des  Verfassers,  denn 
die  Weltgeschichte  ist  ihm  eben  nur  die  römische,  angeknüpft  an 
die  aus  der  Chronik  des  Hieronynius  entlehnten  Generationen  des 
alten  Testaments  und  die  Regentenreihen  der  früheren  Weltreiche; 
er  beruft  sich  ausdrücklich  auf  die  Prophezeiung  des  Daniel,  dafs 
diesem  Reiche  die  Herrschaft  bis  ans  Ende  der  Welt  beschieden  sei. 

§  6.     Die  Westgoten.     Isidor. 

Aschbach,  Geschichte  der  Westgothen,  Frankf.  I8i7.  Lembke,  Geschichte  v.  Spanien, 
Hamb.  1831.  F.  Dahn,  Die  Könige  der  Germanen,  Abt.  V.  1870.  Teuft'el  §  487. 
Zeumer,  Gesch.  d.  westgoth.  Gesetzgebung,  NA.  XXIII,  419-516;  XXIV,  39—122; 
XXVI,  91—149.    Die  Chronologie  der  Westgothenkönige,  NA.  XXVII,  409. 

Spanien  gehörte ,  wie  Gallien ,  in  den  letzten  Zeiten  des  römi- 
schen Reiches  zu  den  blühendsten  Provinzen  und  war  von  der 
römischen  Bildung  der  damaligen  Zeit  vollkommen  durchdrungen. 
Unendlich  viel  ging  hier  zu  Grunde  in  den  verheerenden  Kriegen 
des  5.  Jahrhunderts,  wo  Spanien  unausgesetzt  der  Kampfplatz  ver- 
schiedener deutscher  Völkerschaften  war ;  die  Westgoten  aber,  welche 
allmählich  ihr  Reich  dort  befestigten ,  zeigten  sich  der  römischen 
Bildung  ebenso  wenig  abgeneigt  wie  die  Ostgoten,  und  während  sie 
die  unterworfenen  Romanen  mit  grofser  Milde  behandelten,  erhielt 
sich  auch  unter  ihnen  noch  ein  Nachklang  des  wissenschaftlichen 
Lebens  der  besseren  Zeit;  sie  selbst  jeiloch  haben  nicht  in  nam- 
hafter Weise  an  dieser  Thätigkeit  teilgenommen. 

Den  Anfang  der  barbarischen  Heimsuchung  Spaniens  erlebte 
noch  Orosius,  der  Augustins  Geschichte  des  Reiches  Gottes  auf 
dessen  Wunsch  die  Schilderung  des  Elendes  dieser  Welt  zur  Seite 
stellte.     Er  wollte  darin    nachweisen ,    dafs   nicht   das  Christentum, 

')  Mommsen  p.  XI\'. 


88  T-  Vorzeit.     §  6.     Die  Westgoten. 

wie   die   Heiden    behaupteten ,    das  Elend    über   die  Welt   gebracht 
habe,  sondern  dafs  es  zu  allen  Zeiten  viel  Trübsal  und  Leiden  ge- 
geben:    eine  Auffassung,    welche   in    den  Zeiten  des  Unglücks  und 
der  Verwirrung  überall  Anklang  fand  und  grolsen  Einflufs  auf  die 
Ansichten  der  mittelalterlichen  Geschichtschreiber  geübt  hat,   ganz 
besonders  auf  Otto  von  Preising,    dessen  Chronik  sich  unmittelbar 
an    Augustin   und    Orosius   anschliefst.     Für   uns   mindert   die   un- 
historische Auffassung  des  Orosius,  die  dadurch  bedingte  einseitige 
Benutzung  und  Entstellung  seiner  Quellen,  und  sein  ziemlich  leicht- 
fertiges Verfahren ,    den  Wert,  welchen  sein  Werk  sonst  durch  die 
Benutzung  jetzt  verlorener  Schriften,  namentlich  des  Livius,  haben 
würde.    Im  Anfange  legt  auch  er  den  Eusebius  in  der  Bearbeitung 
des  Hieronymus  und  des  Rufin  zu  Grunde,    schreibt  dann  vorzüg- 
lich den  Justin  aus  und  geht  endlich  zu  einer  ganz  überwiegenden 
Darstellung   der   römischen    Geschichte   über.     Das  römische  Reich 
ist  ihm  nach  der  erst   kurz   zuvor,    wenn    auch   nicht   zuerst,    von 
Hieronymus    aufgestellten  Deutung   die   vierte  Weltmonarchie;    als 
die  vorhergehenden    aber   sieht    er,    abweichend    von    den   späteren 
Chronisten,  das  babylonische,  macedonische  und  karthagische  Reich 
an.    Am  Schlüsse  seines  Werkes  gibt  Orosius  die  Geschichte  seiner 
Zeit  bis  417,  in  welchem  Jahre  er  endete,  und  dieser  Abschnitt  hat, 
obschon  dürftig   und   ganz  erfüllt  von  dem  engherzigen  Geiste  der 
pfäffischen  Hofpartei,  welcher   soeben  der  Sturz  des  grofsen  Stilico 
gelungen  war,  doch  selbständigen  Wert,  und  enthält  namentlich  gute 
Nachrichten  über  Spanien  und  die  Geschichte  der  Westgoten  ')• 

Unter  der  westgotischen  Herrschaft  entstanden  ferner  mehrei-e 
jener  wortkargen  annalistischen  Aufzeichnungen,  welche  sich  an  die 
Chronik  des  Hieronymus  anschlössen  und  in  den  späteren  W'elt- 
chroniken  regelmäfsig  den  Uebergang  vom  Hieronymus  zum  Beda 
bilden,  weshalb  eine  Zeit  lang  westgotische ,  später  angelsächsische 
Namen  vorherrschen.  Die  wichtigste  dieser  Chroniken,  für  viele 
Begebenheiten  unsere  einzige  Quelle,  ist  das  Werk  des  Aquitaniers 
Tiro  Prosper,    wie    er    an    einigen  Stellen   genannt   wird,    oder 


^)  Th.  de  Monier,  De  Orosii  vita  eiusque  Historiarum  libris  Mf  ad- 
versus  paganos.  Berol.  1844.  8.  Vgl.  Papencordt,  Geschichte  der  Vand. 
337—340.  365.  Büdinger  in  Sybels  Zeitschrift  VII,  113;  Denkschr.  der 
Wiener  Akad.  XLVI,  1,  13—18.  Pallmann  II,  236—245.  (Gegen  dessen 
Vermutung  einer  Fortsetzung  unter  dem  Titel  De  Placidia  et  moribns 
ejus,  Waitz,  Gott.  Nachr.  1865,  S.  113,  Zangemeister  in  der  klein.  Ausg. 
bei  Teubner  v.  1889  Praef.  p.  XXI.)  Ebert  S.  337—344.  Ausg.  v.  Zange- 
meister im  Wiener  Corpus  V,  1882.  Rec.  v.  Krusch,  HZ.  L.  472—476, 
darin  S.  475  über  das  Jahr  417,  nach  Orosius'  Rechnung  419. 


Orosius.     Chrunik  des  Prosper.  89 

kurzweg  Prosper,  wie  er  gewöhnlich  heifst ').  Um  390  ge- 
boren ,  hat  Prosper  sich  eine  für  jene  Zeit  hervorragende  Bildung 
erworben,  und  zwar  haben  ihn,  obgleich  er  Laie  war  und  blieb  ^), 
ganz  vorzüglich  theologische  Studien  beschäftigt.  Als  eifriger  Ver- 
ehrer und  Bewunderer  Augustins  kämpfte  er  wacker  gegen  Pela- 
gianer  und  andere  Ketzer,  und  erwarb  sich  als  Schriftsteller  einen 
angesehenen  Namen.  Im  Jahre  440  scheint  er  den  Papst  Leo  nach 
Rom,  das  er  schon  einmal  431  besucht  hatte,  begleitet  zu  haben; 
er  wird  als  Verfasser  von  Briefen  genannt,  welche  Leos  Namen 
tragen,  und  blieb  fortan,  vermutlich  als  Notar,  am  römischen  Hofe, 
wo  er  die  Angst  vor  Attila  und  den  Schrecken  der  vandalischen 
Eroberung  erlebte.  Hier,  wie  es  scheint,  hat  er  sein  CJironicon 
geschrieben,  oder  doch  vollendet,  welches  in  erster  Redaktion  bis 
445  reicht^),  in  zweiter  bis  455  fortgeführt  ist^).  Er  lebte  viel- 
leicht bis  4t)3.  Er  beginnt  mit  der  Erschaffung  der  Welt,  be- 
schränkt sich  aber  im  ersten  Teile  ganz  auf  einen  grundschlechten 
Auszug  aus  Hieronymus,  welcher  dessen  eigentümlichen  Vorzug, 
die  chronologische  Bestimmtheit  und  Uebersichtlichkeit ,  ganz  zer- 
stört. Von  Christi  Tod  an  beginnt  bei  ihm  das  Verzeichnis  der 
Konsuln,  welches  er  einem  Exemplare  der  Ravennatischen  Fasten 
entlehnte.  Auch  finden  sich  Zusätze,  welche  sich  vorzüglich  auf 
die  verschiedenen  Ketzereien  beziehen  und  auf  Augustins  Schriften 
beruhen.  Weiterhin  sind  auch  andere  Quellen  benutzt,  darunter 
die  Geschichte  des  ihm  geistesverwandten  Orosius.  Spätestens  von 
425  an  berichtet  er  als  Zeitgenosse,  und  zwar  über  einen  Zeit- 
raum, aus  welchem  andere  Quellen  fast  ganz  mangeln.  Flüchtig 
und   nachlässig,    in    dürftiger  Kürze   berichtet    er   auch  hier,    aber 

')  S.  über  ihn  die  Abhandlung  von  Holder-Egger  im  NA.  I,  13—90, 
welche  ich  hier  zu  Grunde  lege;  sehr  ausführlich  Valentin,  S.  Prosper 
d'Aquitaine,  Paris  1900,  vgl.  Moyen-äge  1901,  S.  113—120. 

'^)  Holder-Egger  S.  55,  bes.  auf  Gennadius  gestützt.  Mommsen  freilich 
nimmt  geistlichen  Stand  an,  weil  er  in  dem  Schreiben  an  Augustin  einen 
Diaconus  seinen  frater  nennt.  Das  ist  jedoch  schon  von  den  alten  geist- 
lichen Herausgebern  als  unerheblich  zurückgewiesen. 

3)  Chronicum  vulgatum  genannt,  weil  es  zuerst  als  Fortsetzung  des 
Hieronymus,  bekannt  wurde,  in  allen  Drucken  mit  Interpolationen.  Ueber 
die  älteste  Ausgabe  s.  oben  S.  10,  Anm.  4.  Erste  und  beste  kritische  von 
Pontacus:  Chronica  trium  illustrium  auctorum,  Burdigalae  1*304.  Mommsen 
nimmt  wegen  der  abschliefsenden  Berechnung  eine  erste  Ausgabe  bis  433 
an  (ebenso  Valentin),  «ine  zweite  bis  443,  an  welche  Victor  Tonnenensis 
(so  schreibt  M.)  sich  anschlol's. 

'')  Chronicum  integrum  ed.  Labbe,  Bibl.  nova  manuscriptorum ,  Pai-is 
1657,  I,  16 — 55.  Jetzt  allein  brauchbar  die  Ausgabe  von  Mommsen  u. 
d.  1.  Epitoma  chronicon,  Auctt.  antt.  IX,  .341—499  (vgl.  XIII,  721),  woran 
sich  verschiedene  Additamente  schliei'sen. 


90  T.  Vorzeit.    §  6.     Die  Westgoten. 

wertvoll  ist  in  hohem  Grade,  was  er  mitteilt.  Dem  Interesse  des 
römischen  Stuhles  zeigt  er  sich  überall  eifrig  ergeben  und  ver- 
ändert sogar  Nachrichten  des  Hieronymus  in  solcher  Tendenz,  die 
Kirche  liegt  ihm  viel  mehr  am  Herzen  als  der  Staat. 

Verständigerweise  hat  man  schon  früh  den  ersten  Teil  bis  378 
als  wertlos  fortgelassen  und  nur  den  zweiten  als  Fortsetzung  mit 
der  Chronik  des  Hieronymus  verbunden.  In  dieser  Gestalt  wurde 
die  Chronik  als  bequemstes  Handbuch  der  Weltgeschichte  schon 
sehr  früh  allgemein  benutzt  und  noch  im  16.  Jahrhundert  häufig 
gedruckt,  jedoch  mit  Zusätzen,  welche  den  ursprünglichen  Text 
verdunkeln.  Man  verband  damit  die  Fortsetzung  des  Matthaeus 
Palmerius  bis  1449,  die  weitere  des  Matthias  Palmerius  bis  1482, 
und  fügte  noch  eine  Fortführung  bis  zum  Druckjahre  hinzu ,  weil 
man  den  praktischen  Gebrauch  im  Auge  hatte. 

Eine  Ueberarbeitung  der  Chronik  des  Prosper  bis  445,  mit  einer 
römischen  Fortsetzung  bis  4-51 ,  die  noch  Verwandtschaft  mit  dem 
Texte  des  Prosper  zeigt,  ist  in  Afrika,  wahrscheinlich  in  Karthago, 
verfafst  und  bis  457  fortgeführt,  mit  Benutzung  der  Konsularfasten. 
Hinzugefügt  ist  eine  üebersicht  der  Geschichte  des  vandalischen 
Reiches  von  der  Einnahme  von  Karthago  bis  zum  Untergänge  des 
Reiches  533  ^). 

Irrtümlich  Prosper  zugeschrieben  ist  das  Chronicon  imperiale 
oder  Pithoeanum  (379 — 452),  welches  am  Anfang  und  am  Ende  mit 
Prosper  übereinstimmt,  übrigens  aber  in  Form  und  Inhalt  ganz  von 
ihm  verschieden  ist.  Als  Zeitrechnung  dienen  hier  die  Regierungs- 
jahre der  Kaiser.  Verfafst  ist  es  als  Fortsetzung  des  Hieronymus; 
wenigstens  findet  es  sich  nur  mit  diesem  verbunden.  Geschrieben 
ist  es  auf  Grundlage  der  Konsularfasten  mit  Benutzung  des  Rufinus 
und  anderer  unbekannter  Quellen  im  südlichen  Gallien,  vielleicht 
in  Marseille,  mit  besonderer  Verehrung  des  Klosters  Lerins.  In 
scharfem  Gegensatze  zu  Prosper  erscheint  der  Verfasser  zwar  auch 
von  lebhaftem  kirchlichen  Eifer  erfüllt,  aber  Augustin  abgeneigt 
und   semipelagianisch   gesinnt.     Holder -Egger   vermutet,    dafs    die 


')  Das  sog.  Chronicon  Canisianum,  auch  ülricianuui  und  Augustanum 
nach  dem  Fundort  der  HS.  in  St.  Ulrich  u.  Afra.  Diese  und  die  zweite 
Pariser  HS.  stammen  aus  der  Sammlung  des  Reichenauer  Reginbert.  Ausg. 
Canis.  I,  148—162  u.  306  ed.  II.  Bibl.  Max.  Patr.  Col.  V  pars  III.  Lugd. 
\'III.  Rone.  I,  677 — 704.  Bei  Mommsen  ist  es  zerrissen,  s.  Auctt.  antfc. 
IX,  488  ff.  XIII,  384.  456—460,  über  die  Hs.  Krusch.  NA.  VII,  278-282. 
8.  Holder-Egger  im  NA.  t,  24.  37—47.  278  und  S.  280-291  über  den 
vat.  Auszug  mit  Forts,  bis  466  u.  Auctarium  Proaperi  e  cod.  Vat.  Christ. 
2077,  ed.  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX,  491—493. 


Prospers  Fortset/er.     Hydatius.  91 

Chronik  vielleicht  unvollendet  blieb  und  von  anderer  Hand  aus 
Prosper  ergänzt  wurde,  um  den  Uebergang  zum  Marius  zu  bilden. 
Benutzt  ist  es  nur  von  dem  sogenannten  Severus  Sulpicius,  von 
Paulus  und  später  von  Sigebert,  durch  den  es  allgemein  bekannt 
und  verbreitet  wurde.  Es  ist  voll  von  chronologischen  Irrtümern, 
enthält  aber  wichtige  Nachrichten  über  die  Geschicke  der  germa- 
nischen Völker  in  Gallien  *). 

Von  erheblichem  Werte  und  nam(>ntlich  durch  gute  Nachrichten 
über  die  Sueven  und  Westgoten  sehr  schätzbar  ist  die  Chronik  des 
galicischen  Bischofs  Idatius,  richtiger  Hydatius  (gebürtig  aus 
Lemica  in  Galicien,  das  von  Lamego  verschieden  ist,  jetzt  Jinzo  de 
Lima,  daher  Lemicensis),  welcher  den  Hieronymus  fortsetzte,  und 
nach  seiner  eigenen  Angabe  bis  427,  in  welchem  Jahre  er  Bischof 
wurde ,  aus  Büchern  und  den  Berichten  der  Zeitgenossen  schöpfte, 
von  da  an  bis  468  aus  eigener  Erfahrung  von  den  Begebenheiten 
berichtete,  in  welchen  er  als  angesehener  Bischof  eine  nicht  unbe- 
deutende Rolle  spielte  ^). 

Eine  für  die  Zeitgeschichte  durch  ihren  überwiegend  kirchlichen 
Inhalt  wichtige  Chronik  schrieb  Victor,  Bischof  der  unbekannten 
Stadt  T  u  n  n  u  n  a  in  der  afrikanischen  Prokonsularprovinz.  Er 
scheint  von  der  Schöpfung  begonnen  zu  haben ,  aber  erhalten  ist 
sein  Werk  nur  als  Fortsetzung  des  Prosper  (444 — 566)-').  An  das- 
selbe schliefst  sich  die  Fortsetzung  eines  Goten ,  Johannes  von 
Biclaro,  der  aber  in  Konstantinopel  seine  Bildung  erhalten  hatte, 
bis  zum  Jahre  590.  Er  stiftete  586  das  Kloster  Biclaro  unbe- 
kannter Lage,  wo  er  auch  seine  Chronik  geschrieben  hat:  591  ist 
er  Bischof  von  Gerona  geworden^)  und  starb  nach  610. 

')  Holder-Egger  im  NA.  I,  91—120.  Ausg.  von  Pithou  1588  etc. 
Roncall.  I,  739—760;  Chronica  Gallica  a.  452,  Auctt.  antt.  IX,  617-66(j 
(Xin,  724),  vgl.  Frick  S.  175—182. 

^)  Rone,  ir,  1 — 54.  Sirinondi  opera  varia  II.  Ausg.  von  De  Ram, 
Brux.  1845.  Migne  LI.  Hydatii  Lemici  continuatio  chronicorum  Hiero- 
nvmi,  Auctt.  antt.  XI,  1-36.  Vgl.  Baehr  S.  208—212.  Papencordt, 
Gesch.  d.  Vandalen  S.  352—355.  Ebert  S.  443.  Krusch,  NA.  VH,  475—478. 
lieber  sein  Verhältnis  zu  den  Konsularfasten :  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX, 
201  (oben  S.  58).  Litter.-hist.  Studie  über  ihn  v.  F.  Görres  in  Theolog. 
Studien  u.  Kritiken  (1895)  LXVIII,  103—115. 

*)  Rone.  II,  387.  Migne  LXVIII.  Victoris  Tonnenensis  Chronica, 
Auctt.  antt.  XI,  178—206.  Vgl.  Baehr  S.  217.  Papeneordt  S.  359  —  365. 
Ebert  S.  586.  Holder-Egger  im  NA.  I,  298—300.  Scaliger  benutzte  die- 
selbe Abschrift  Schotts  aus  Toledo  wie  Canisius,  s.  darüber  C.  Frick, 
Rhein.  Mus.  f.  Philol.  N.  F.  XLIV,  369-373. 

*)  Ausg.  V.  Canisius  mit  Victor  Tonnenensis  1600  etc.  Auett.  antt. 
XI,  207 — 220.  Baehr  S.  218.  Ebert  S.  587.  Zu  warnen  ist  vor  den  von 
Papencordt  benutzten  und  durch  ihn  weiter  gelangten,  gefälschten  Frag- 


92  T.  Vorzeit.     §  6.     Die  Westgoten. 

Eine  Fortsetzung  des  Prosper  bis  581  schrieb  in  Burgund  der 
Bischof  Marius  von  Avenches,  auf  welchen  wir  noch  zurück- 
kommen. Eine  eigentümliche  Umgestaltung  des  Textes  mit  wert- 
vollen Zusätzen  und  Fortsetzung  bis  etwa  625  bietet  uns  der  Con- 
tinuator  Prosperi  Havniensis,so  genannt,  weil  die  Hand- 
schrift 1836  von  G.  Waitz  in  Kopenhagen  entdeckt  wurde.  Lange 
nur  durch  spärliche  Mitteilungen  bekannt,  wurde  sie  endlieh  von 
G.  Hille  abgeschrieben  und  1866  in  einer  Berliner  Dissertation  her- 
ausgegeben. Der  Verfasser  schrieb  um  625  unter  König  Ariwald 
im  Langobardenreiche,  vielleicht  in  Mailand  oder  Pavia,  gehörte 
aber  der  romanischen  Bevölkerung  an.  Er  versah  schon  den  Aus- 
zug aus  Hieronymus,  Prosper  und  den  Consularia  Italica,  welche 
er  vollständig  ausschrieb,  mit  Zusätzen  aus  Isidor  und  einem  Papst- 
katalog, auch  hat  er  gallische  Annalen  benutzt.  Der  Fortsetzung 
fehlen  die  Jahre  458 — 474.  Beim  Jahre  523  hört  die  Rechnung 
nach  Konsuln  auf,  und  die  Regierungen  der  Kaiser  treten  an  die 
Stelle,  wie  bei  Isidor,  welcher  von  nun  an  dem  Verfasser  als  Leit- 
faden dient  ^);  wir  verdanken  ihm  wertvolle  Nachrichten. 

Näher  auf  diese  Werke  einzugehen ,  deren  Wert  nur  in  ihrem 
materiellen  Inhalte  besteht,  würde  hier  nicht  am  Orte  sein:  sie 
durften  nicht  ganz  übergangen  werden,  weil  sie  den  üebergang  zu 
den  späteren  Chronisten  bildeten,  denen  vorzüglich  Prosper  und 
Hydatius  ganz  allgemein  als  Grundlage  für  diese  Zeiten  dienten  : 
die  weiteren  Quellen  der  westgotischen  Geschichte  aber  dürfen  wir 
hier    wohl    unbedenklich    beiseite    lassen ").      Nur  im  Vorbeigehen 


menten  des  angeblichen  Victor  Cartenensis.  —  Sehr  wertvoll,  aber 
die  Grenzen  dieser  Darstellung  überschreitend,  ist  dagegen  des  Bischofs 
Victor  V.  Vita  Hist.  persecut.  Africanae  prov.,  am  besten  herausgegeben 
von  Halm,  Auctt.  antt.  ITI,  1.  und  v.  Petschenig,  SS.  eccles.  lat.  VII. 

1)  Bethmann  im  Arch.  X,  380.  Waitz.  Nachr.  1865,  N.  4.  Holder- 
Egger  im  NA.  I,  259—268.  Geteilt  Auctt.  antt.  IX,  266—339  v.  Mommsen 
herausgegeben  (vgl.  XIII,  720). 

^)  Hervorzuheben  ist  noch  des  B.  Julian  von  Toledo  Historia 
Wambae  regis  über  den  Aufstand  des  Herzogs  Paulus  von  Narbonne  und 
den  Sieg  des  Königs  674.  Duchesne,  SS.  rer.  Franc.  1,  821  etc.  Migne 
XCVl.  Ebert  S.  604.  Ein  gefeierter  Schriftsteller,  Apostel  der  Sueven  in 
Gallicien,  war  der  Pannonier  Martin,  j  580  als  Bischof  vonBracara 
(Braga).  Seine  kulturhistorisch  wichtige  Schrift  De  correctione  rusticorum 
hat  188o  Caspari  mit  gründlicher  Einleitung  über  sein  Leben  heraus- 
gegeben. Vgl.  Krusch,  HZ.  LH,  128—130.  Die  Chronik  des  sog.  Isi- 
dorus  Pacensis,  vielmehr  eines  Klerikers  in  Toledo,  bis  754,  gab 
Mommsen  im  Anhange  zum  Isidor,  daneben  die  von  ihm  benutzte  etwas 
ältere  Chronik  eines  Alexandriners  (?)  bis  741,  beides  wichtige  Quellen  für 
Spanien  unter  den  Arabern,  Auctt.  antt.  XI,  323—369.  Vgl.  über  das 
Verhältnis  beider  die  Göttinger  Dissert.  von  Schwenkow  aus  dem  J.  1894: 


Prospers  Fortsetzer.     Isidor  von  Sevilla.  93 

sei  des  Königs  Sisebut  (612  —  620)  gedacht'),  dem  wir  auCser  einem 
Gedichte  über  den  Mond  nicht  uninteressante  Briefe  und  ein  Leben 
des  Bischofs  Desiderius  von  Vienne  in  schv?-ülstiger  Sprache  ver- 
danken ,  das  unter  die  merov?ingischen  Quellen  gehört.  Ein  sehr 
beliebter  Dichter  war  der  Erzbischof  Eugen ius  IL  von  Toledo 
(t  657) '^).  Dagegen  haben  wir  noch  eines  Mannes  zu  gedenken, 
der,  wie  jene  Vertreter  der  alten  grammatischen  Bildung  am  Hofe 
von  Ravenna,  alles  was  von  der  überlieferten  Schulbildung  noch 
übrig  war,  in  sich  aufgenommen  hatte,  und  durch  seine  Schriften 
einer  der  einflulsreichsten  Lehrer  des  Mittelalters  geworden  ist, 
nämlich  Isidor  von  Sevilla'). 

Isidor ,  etwa  560  geboren ,  war  der  Sohn  des  Severian ,  eines 
Provinzialen  aus  dem  Distrikt  von  Karthagena.  Er  folgte  seinem 
Bruder  Leander  auf  dem  bischöflichen  Stuhle  von  Sevilla  um  603, 
und  starb  636.  Aul'ser  vielen  anderen  Werken  brachte  er  die 
Summe  aller  Kenntnisse ,  welche  er  sich  vermittelst  der  damals 
noch  vorhandenen  Hilfsmittel  erworben  hatte,  in  ein  von  ihm  nicht 
ganz  vollendetes  Compendium,  die  20  Bücher  Originum  sive  Etymo- 
logiarum.  welche  eine  aufserordentliche  Verbreitung  erlangten  und 
allgemein  gelesen  und  benutzt  wurden  ^).  Heutzutage  ist  man  ge- 
neigt, diese  Bestrebungen  gei'ing  zu  schätzen ,  ja  ihnen  zu  zürnen, 
weil  dadurch  die  älteren  und  besseren  Werke  verdrängt  wurden. 
Allein  es  war  damals  schwer ,  sich  eine  Bibliothek  zu  sammeln ; 
nur  wenige  von  denen ,  welche  sich  mit  Wissenschaften  überhaupt 
beschäftigten,  konnten  sich  die  umfangreichen  Handschriften  der 
alten  Klassiker  verschaffen ,  und  deshalb  gewannen  die  leicht  zu- 
gänglichen Auszüge  eine  so  rasche  Verbreitung.  Es  ist  sehr  fraglich, 
ob  sich  die  reineren  Quellen  besser  erhalten  haben  würden ,  wenn 
auch  niemand  Auszüge  daraus  verfafst  hätte;  diese  dagegen  setzten 
auch  unbemittelte  Schüler  in  den  Stand,  wenigstens  etwas  zu  lernen. 

,,Die  latein.  geschrieb.  Quellen  z.  Gesch.  der  Eroberung  Spaniens  durch 
die  Araber ^  aus  dem  8.  Jahrb.  s.  P.  Ewald,  NA.  X,  604. 

')  Seine  Briefe  ed.  Gundlach ,  EE.  III,  658—690,  darunter  einer  an 
den  Langobardenkönig  Adalwald,  mit  anderen  westgotischen,  vgl.  über 
ihn  Krusch  in  den  SS.  rer.  Meroving.  III,  620—624. 

2)  S.  Vollmer  im  NA.  XXVI.  391—409. 

^)  Isidori  Hispalensis  Opera  ed.  Arevalo .  1790— 1S03.  7  Bände  in 
quarto.  Vol.  VII  enthält  die  historischen  Schriften.  Migne  LXXXI  bis 
LXXXIV.     Baehr.  S.  22L     Ebert  S.  588—602. 

*)  Ausg.  von  Arevalo.  Vol.  III.  l\ ,  von  Otto  in  Lindemanns  Corpus 
Grammatt.  Vol.  III.  1833.  Migne  LXXXII.  Ueber  die  Quellen  eine  Gott. 
Dissert.  von  Dressel,  1875.  Die  Benutzung  der  Prata  Suetons  (Suetonii 
Reliquiae  ed.  Reifferscheid  1860)  ist  stark  überschätzt.  Vgl.  L.  Traube 
im  Arch.  für  Stenographie  LIIl  (1901). 


94  I-  ^  orzeit.     §  6.     Die  Westgoten. 

In  jenem  umfassenden  Werke,  welches  freilich  auch  die  mäfsig- 
sten  Ansprüche  unbefriedigt  läfst,  ist  nun  auch  eine  kurze  Chronik 
bis  627  oder  chronologische  üebersicht  enthalten ,  ein  dürftiger 
Auszug  aus  der  zwölf  Jahre  früher  verfalsten  Chronik,  welche 
in  gedrängter  Kürze  eine  Üebersicht  der  Begebenheiten  von  der 
Erschaffung  der  Welt  bis  zum  fünften  Jahre  des  Heraklius,  dem 
vierten  des  Sisebut  (615)  gab'),  mit  Zusätzen  von  anderer  Hand 
bis  624  und  630,  von  denen  jene  nicht  unwichtig  für  die  fränkische 
Geschichte  sind.  Der  Stoff  ist  ganz  überwiegend  aus  bekannten 
Quellen  geschöpft.  Eigentümlich  ist  Isidor  die  Einteilung  nach  den 
sechs  Weltaltern,  entsprechend  den  sechs  Schöpfungstagen;  das 
letzte  beginnt  mit  Christi  Geburt  und  Augusti  Kaisertum.  Es  ist 
das  ein  bei  Augustin  wiederholt  vorkommender  Gedanke  ^),  welcher 
hier  zuer.st  chronistisch  verwertet  wurde  und  später  durch  Beda 
allgemeine  Verbreitung  fand. 

So  sehr  nun  auch  Isidor  von  der  kirchlichen  Auffassung  der 
Geschichte  erfüllt  war,  so  hatte  er  doch  auch  ein  lebhaftes  Gefühl 
für  sein  Land  und  für  das  Volk  der  Westgoten ,  von  deren  Milde 
und  Menschenfreundlichkeit  er  ein  schönes  Zeugnis  ablegt.  Denn 
nachdem  er  die  Einnahme  Roms  durch  Alarich  und  die  dabei  ge- 
übte Schonung  beschrieben  hat,  fügt  er  (nach  Orosius)  hinzu:  , Des- 
halb lieben  auch  bis  auf  den  heutigen  Tag  die  Römer,  welche  im 
Reiche  der  Goten  leben,  die  Herrschaft  derselben  so  sehr,  dafs  sie 
es  für  besser  halten,  mit  den  Goten  in  Armut  zu  leben,  als  unter 
den  Römern  mächtig  zu  sein  und  die  schwere  Last  der  Abgaben  zu 
tragen."  Das  steht  in  der  Volksgeschichte  der  Westgoten, 
welche  er  verfafst  hat,  kurz  zwar  und  dürftig  für  uns,  die  wir  nach 
eingehenderer  Darstellung  verlangen,  aber  doch  nicht  ohne  Geschick 
zusammengefalst  und  mit  Wärme  erzählt.  Kurze  Geschichten  der 
Vandalen  und  der  Sueben  schliefsen  sich  daran.  Vorangeschickt 
aber   ist  ein   überschwengliches  Lob  Spaniens,    das  jetzt   von   dem 

')  Bis  era  654.  Den  Ursprung  dieser  spanischen,  38  a.  C.  beginnenden 
Zeitrechnung  findet  Job.  Heller  in  dem  Anfangsjahre  der  Ostercyklen, 
Bist.  Zeitschr.  XXXI,  13—32.  Ueber  das  Wort  vgl.  Mommsen  im  NA. 
XVIIT,  271 — 273.  —  Isidori  iunioris  chronica  maiora  und  cbronicorum 
epitome  nebst  Anhängen  ed.  Mommsen,  Auett.  antt.  XI,  391 — 502,  vgl. 
über  die  fränkischen  Zusätze  Krusch  in  den  Mitteil.  d.  Inst.  XVIII,  362 
bis  365.     Kurze  Fortsetzung  bis  877  MG.  SS.  XIII,  725. 

^)  Gegen  Büdinger,  welcher  Isidor  für  den  Urheber  derselben  hielt 
(s.  auch  Denkschr,  d.  Wien.  Akad.  XLVI  [1900],  J,  39—42),  nachgewiesen 
von  P]bert  S.  233  u.  599 ,  und  von  H.  Hertzberg  in  seiner  Abb.  über  die 
Chroniken  des  Isidor,  Forsch.  XV,  289—360,  wo  auch  die  Quellen  der- 
selben aufgedeckt  sind. 


Isidor  von  Sevilla.  95 

blühenden  Volke  der  Goten  in  Reichtum  und  glücklicher  Sicherheit 
beherrscht  w^erde  ').  Von  der  Gotengeschichte  gibt  es  zwei  Rezen- 
sionen bis  619  und  624,  beide  gleichzeitig  unter  König  Svinthila 
verfal'st ,  jene  von  einem  Bearbeiter  verkürzt ,  diese  mit  manchen 
Zusätzen  versehen.  Die  Widmung  eines  Exemplars  an  König  Sise- 
nand  (631 — 636)  kann  von  Isidor  selbst,  aber  auch  von  einem 
Anderen  herrühren-). 

Aufserdem  aber  haben  wir  endlich  noch  ein  Werk  des  Isidor 
zu  erwähnen ,  welches  ebenfalls  grofse  Verbreitung  gefunden  und 
manchen  zur  Nachahmung  gereizt  hat.  Das  ist  sein  litterarhisto- 
risches  Buch  De  scriptorihus  ecclesiasticis.  Er  selbst  folgte  darin 
dem  Vorgange  des  Hieronymus  und  des  Gennadius,  eines  Marseiller 
Priesters  im  5.  Jahrhundert.  Ihm  schlofs  sich  dann  zunächst  II de- 
fons  von  Toledo  an  ^),  und  darauf  nach  langem  Zwischenräume 
im  12.  Jahrhundert  Sigebert,  Honorius,  Petrus  Diaconus 
und  der  ungenannte  Mönch,  welcher  nach  dem  Fundort  der  Hand- 
schrift von  Melk  (Anonymus  Mellicensis)  genannt  wird,  aber  dem 
Inhalt  nach  vielmehr  nach  Regensburg  gehört ■•),  alle  dürftig 
und  mager,  aber  schätzbar  dui'ch  einige  nur  von  ihnen  aufbewahx'te 
Nachrichten.  Im  13.  Jahrhundert  folgte  ihnen  Heinrich  von 
Gent'^),  und  endlich  am  Schlüsse  des  Mittelalters  der  vielbelesene, 
aber    unzuverlässige    Johann    von    Trittenheim'').     Denselben 

')  Auctt.  antt.  XI,  267—303,  vgl.  Hugo  Hertzberg,  Die  Historien  des 
Is.  (Gott.  Diss.  1874)  mit  genauer  Analyse  der  Quellen,  zu  welchen  vor- 
züglich auch  die  verlorene  Geschichte  des  Bischofs  Maximus  von 
Zaragoza  bis  c.  620  gehört,  aus  welcher  auch  die  Randglossen  zum 
Victor  Tonnenensis  stammen  (S.  65 — 72),  bei  Mommsen  als  Chronicorum 
Caesaraugustanorum  reliquiae ,  a.  a.  0.  p.  221 — 223.  Vgl.  NA.  IX  ,  244. 
Uebersetz.  der  Volksgeschichten  von  D.  Coste  1887,  Geschichtschr.  10 
(VII,  1). 

-)  Auctt.  antt.  XI,  804,  vgl.  2.54. 

^)  Ueber  Isidor  und  Ildefons  vgl.  Kirchengeschichtl.  Stud.  aus  Münster 
1898,  Heft  IV,  2,  vgl.  dazu  Traube,  D.  Litteraturzeit.  1899,  S.  1217. 

*)  Ueber  die  viel  bessere  gleichzeitige  Handschr.  in  Admunt  s.  NA. 
II,  421,  Ausg.  von  E.  Ettlinger,  Der  sog.  Anon.  Mellic. .  Strassb.  Diss. 
1896,  setzt  ihn  nach  Prüfling. 

^)  Der  Name  beruht  nur  auf  der  Ausgabe  von  Suffridus  Petri  1580. 
Sicher  ist  er  verschieden  von  dem  bekannten  Philosophen  des  Namens, 
s.  Haureau,  Mem.  de  l'Acad.  des  Inscriptions  XXX,  II,  349 — 357.  Notic. 
et  extr.  de  quelques  manuscr.  lat.  de  la  Bibl.  nat.  \\  (1893),  S.  162 — 178, 
wo  die  Hs.  Nouv.  acq.  314  mit  den  verschiedenen  Traktaten  de  viris  ill. 
beschrieben  und  überzeugend  nachgewiesen  wird,  dal's  Heinrich  v.  Gent 
nicht  der  berühmte  Philosoph  sein  kann. 

^)  Alle  zusammen  gedruckt  in  J.  A.  Fabricius  Bibliotheca  ecclesiastica 
1718,  Aub.  Miraeus  Bibl.  eccles.  16.39.  Eine  neue  Ausgabe  wäre  überaus 
erwünscht.  Vgl.  Baehr  S.  228 — 245.  Die  gänzlich  unzuverlässigen,  zum 
Teil  geradezu  ei'fundenen  Angaben  des  Trithemius  sind  lange  Zeit  ohne 


96  I-  Vorzeit.     §  fi.  7.     Die  Franken. 

Gegenstand  behandelte  im  12.  Jahrhundert  Konrad  von  Hir- 
sch au  in  seinem  Dialogus  super  aiictores  \) .  und  im  Jahre  1380 
Hugo  von  Trimberg,  Lehrer  zu  St.  Gangolf  in  Bamberg,  in 
Versen ,  in  seinem  Registrum  multorum  auctorum ,  dessen  nicht 
eben  reicher  Ertrag  von  M.  Haupt  geprüft  ist,  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Berliner  Akademie  1854,  S.  142  flp. ;  vollständig  heraus- 
gegeben von  Joh.  Huemer  ^). 


§  7.     Die  Franken. 

Histoire  Litteiairp  de  la  France,  1733  ff.  Guizot,  Histoire  de  la  Civilisatiou  en 
France  dejjuis  la  chute  de  l'Empire  Romain ,  zuerst  1830  erschienen.  Ampere, 
Histoire  Litteraire  de  la  France  avant  le  douzierae  siecle.  3  Vol.  1839.  1840. 
Aug.  Thierry,  Recits  des  temps  Merovingiens,  1840.  Löbell,  Gregor  von  Tours 
und  seine  Zeit,  1839.  Zweite  Ausg.  1869.  Ozanam,  Etudes  Germaniques.  1845, 
1849;  dritte  Ausg.  1861.  Vacandard,  La  scola  du  palais  Merovingien  (Revue  des 
quest.  liistor.  LXI,  490—502  (1897),  v.iderlegt  die  ,\nsicht  von  einer  (litter.)  Hof- 
schule unter  den  Merowingern  (vgl.  auch  Krusch,  SS.  Merov.  IV,  643).  .lunghans. 
Die  Gesch.  d.  Frank.  Könige  Ohilderich  u.  Chlodevech,  1857.  Diss.  traduite  par 
M.  Gabriel  Monod,  augmentöe  d'une  introduction  et  de  notes  nouvelles,  1879. 
G.  Monod,  Bibliographie  de  l'histoire  de  France,  1888.  Hauck,  Kirchengesch. 
Deutschi.  I  (2.  Ausg.),  89  ff. 

Die  Goten  waren  ohne  Zweifel  ein  wohlbegabter,  bildsamer 
Stamm  und  ihre  Anfänge  vielversprechend ;  aber  die  Westgoten 
zeigen  nach  Isidor  keine  fortschreitende  Entwickelung  in  der  Litte- 
ratur,  und  der  O.stgoten  Reich  war  in  vollster  Auflösung  begriffen, 
als  es  den  Feldherren  Justinians  erlag.    Keines  der  deutschen  Reiche, 


Prüfung  angenommen  und  werden  noch  jetzt  häufig  unvorsichtig  nach- 
geschrieben. Adolf  Helmsdörffer  in  seinen  Forschungen  zur  Geschichte 
Wilhelms  v.  Hirschau  (Gott.  1874) ,  S.  35  ff. ,  weist  sehr  gut  nach ,  wie 
Trithemius  in  seinen  eigenen  Schriften  sich  nicht  gleich  bleibt,  die  er- 
fundenen Schriftsteller  seiner  Annales  Hirsaug.  in  den  älteren  Verzeich- 
nissen selb.st  nicht  kennt.  (Vgl.  Traube,  0  Roma  nobilis  S.  313 — 316  u. 
Silbernagel,  Trith.  1885,  über  die  Zusätze  der  Würzburg.  Hs.  zu  seinem 
Catalogus  illustrium  virorum.)  Er  verweist  auf  ein  ungedrucktes  Werk 
des  Abts  Andreas  von  Michelsberg  (1483 — 1502)  Opus  canonimtuni 
de  Ordine  S.  Benedicti ,  welches  in  Verbindung  mit  ihm  steht  (s.  Arch. 
XI,  421 — 424).  Nicolaus  de  Siegen  in  Erfurt  in  seinem  um  1490 
verfal'sten  Chronicon  ecclefdasticum  (ed.  Wegele,  Thür.  Geschichtsquellen 
II,  1855)  scheint  ihn  schon  benutzt  zu  haben.  Ein  Congestus  virorum 
illustrium  Ordinis  S.  Benedicti  von  Petrus  Gallus  Wagner  1487  in 
St.  Ulrich  und  Afra  verfafst,  ist  noch  ungedruckt  und  scheint  unabhängig 
zu  sein.  Das  (wertlose)  von  Radulfus  de  Diceto  seiner  Chronik  vor- 
ausgeschickte Verzeichnis  seiner  Gewährsmänner  s.  in  der  Ausgabe  von 
W.  Stubbs,  Lond.  187(i,  NA.  111,  208. 

*)  P]ntdeckt  und  herausgegeben  von  G.  Schepss  im  Progr.  des  alten 
Gymn.  in  Würzburg  1889;  vgl.  Dreves,  Zeitschr.  für  die  kathol.  Theol. 
1901,  S.  546  if. 

2)  Wiener  SB.  CXVI,  145—190.  Ueber  eine  zweite  von  A.  Ebner  ge- 
fundene Hs.  Hist.  -Jahrb.  XI,  283  ff. 


Ausonius.     A2)olliiiaris  Sidoniiis.  97 

welche  auf  rüiniscliem  Boden  errichtet  wurden,  vermochte  die  innere 
Festigkeit  und  Ordnung  zu.  gewinnen,  welche  allein  die  Grundlage 
einer  dauernden  und  fortschreitenden  Geistesbildung  und  littera- 
rischen Entwickelung  darbieten  kann.  Einen  ganz  ähnlichen  Ver- 
lauf der  Dinge  sehen  wir  auch  bei  den  Franken :  auch  j^ie  finden 
einige  Reste  der  alten  Bildung  vor,  welche  sich  eine  Zeit  lang 
kümmerlich  erhalten ;  in  der  Kirche  regt  sich  dann  einige  littera- 
rische Thätigkeit,  aber  zuletzt  droht  doch  alles  in  der  allgemeinen 
Auflösung  und  Verwirrung  rettungslos  unterzugehen ,  und  es  be- 
darf einer  Neubelebung  der  fast  ganz  erstorbenen  Keime,  um  ein 
besseres  Zeitalter  herbeizuführen  auf  der  Grundlage  festerer  staat- 
licher Bildungen. 

Hochberühmt  waren  in  den  letzten  Jahrhunderten  der  Kaiser- 
herrschaft die  Schulen  der  Grammatiker  und  Rhetoren  in  Gallien, 
die  französischen  Schriftsteller  gefallen  sich  darin ,  das  Bild  dieser 
Zeiten  auszumalen ,  und  es  tritt  uns  in  den  Werken  von  Guizot 
und  Ampere  lebendig  entgegen.  Diese  Studien ,  welche  noch  in 
den  letzten  Jahrzehnten  des  Reiches  so  eifrig  betrieben  wurden, 
waren  aber,  wie  sich  das  bei  dem  Geiste  dieser  Zeiten  nicht  anders 
erwarten  lälst,  dem  wirklichen  Leben  gänzlich  entfremdet  und  be- 
wegten sich  nur  auf  dem  Boden  der  Schule.  Die  Prosa  war  bis 
auf  einen  unerträglichen  Grad  verkünstelt;  die  gesuchte,  kaum 
verständliche  Schreibart,  deren  wir  schon  bei  Ennodius  und  Cas- 
siodor  gedachten,  ist  hier  auf  die  Spitze  geti'ieben.  Die  Poesie 
war  vorherrschend  epigrammatisch  und  diente  fast  nur  dem  Zeit- 
vertreibe der  vornehmen  Welt:  durch  Gelegenheitsgedichte  suchten 
die  Poeten  die  Gunst  hoher  Gönner,  oder  diese  griffen  auch  selbst 
zur  Feder  und  bewiesen  ihre  feine  Bildung  durch  allerhand  poe- 
tisches Spielwerk,  wie  Ausonius  aus  Bordeaux,  der  nach  der 
Verwaltung  bedeutender  Staatsämter  in  Mul'se  der  Litteratur 
lebte  und  bald  nach  392  gestorben  ist  0-  Weniger  glücklich  als 
dieser  sah  sich  Apollina ris  Sidonius  schon  verdammt,  unter 
den  Barbaren  zu  leben,  und  deshalb  sind  seine  Gedichte  und  Briefe 
von  um  so  gröfserem  Werte  für  uns :  sie  zeigen  uns  nicht  nur  den 

*)  Neue  Ausg.  v.  C.  Schenk!,  MG.  Auctt.  antt.  V,  2.  1883;  von  Peiper 
1886,  Leipzig,  Teubner  188*^,  reo.  von  Seeck,  G.G.A.  1887  S.  497—520 
(vgl.  Peiper,  Die  handschriftl.  Ueberliefer.  des  Auson.,  Jahrb.  für  klass. 
l'hilol..  Suppl.  XT,  Leipzig  1879).  Mosella  mit  franz.  Uebers.  und  Anm. 
von  H.  de  la  Ville  de  Minnont.  Bordeaux  1889;  derselbe,  De  Ausonii 
Mosella.  Paris  1892,  rec.  von  Fr.  Marx,  Gott.  Gel.  Anz.  1896,  S.  79—83. 
Neue  kommentierte  Ausg.  durch  Hosius.  Manitius.  Gesch.  d.  christl.  lat. 
Poesie  (1891),  S.  105—111,  Phüologus  LVl,  535. 

Watten  back,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Auti.  7 


98  I-  Vorzeit.     §  7.     Die  Franken. 

damaligen  Zustand  der  Schulen  und  des  Lebens  in  Gallien,  sondern 
gewähren  auch  manche  Kunde  von  den  Burgunden  und  Westgoten, 
denen  er  mit  seiner  Kunst  dienen  muLste.  Innigst  verabscheut  er 
diese  Barbaren ,  und  bei  mancher  Gelegenheit  spricht  er  das  un- 
verhohlen aus,  aber  bewundern  und  feiern  liel's  er  sich  doch  recht 
gerne  von  ihnen.  Auch  das  grofse  Hochzeitsfest  der  Franken ,  bei 
welchem  diese  von  Aetius  überfallen  wurden ,  hat  Sidonius  zum 
Preise  des  Siegers  geschildert.  Zuletzt  wandte  er  sich  der  Kirche 
zu,  welche  allein  noch  einen  sicheren  Hafen  darbot,  wurde  471 
Bischof  von  Clermont  in  der  Auvergne  und  starb  bald  nach  484  ^). 

Ein  Verwandter  des  Sidonius  war  der  hochangesehene  Bischof 
(seit  490)  Alcimus  Ecdicius  Avitus,  geb.  um  460,  gest.  nach 
525 ,  einer  der  letzten  Vertreter  der  römischen  Bildung  in  Gallien 
und  eifrigster  Vorkämpfer  der  katholischen  Kirche  gegen  den  Aria- 
nismus.  Wenn  uns  auch  hier  weder  seine  Homilien  und  theologi- 
schen Schriften  berühren,  noch  seine  sehr  geschätzten  Dichtungen 
über  alttestam entliche  Stoffe,  so  bilden  doch  seine  Briefe  eine  wich- 
tige Quelle  für  die  Zeitgeschichte:  die  Bedeutung  der  Taufe  Chlo- 
dovechs  erkannte  er  mit  prophetischem  Blicke,  und  im  burgundi- 
schen  Königshause  gelang  es  ihm ,  den  Sohn  des  eifrigen  Arianers 
Gundobad,  Sigismund,  zum  katholischen  Glauben  zu  bekehren  -). 

Einst  hatte  Konstantin  die  fränkischen  Gefangenen  den  wilden 
Tieren  vorwerfen  lassen ,  weil  sie  ihm  zu  wild  und  treulos  er- 
schienen ,   um    sich    wie   andere  Barbaren    zum  Anbau   des  Landes, 


')  Teuffei  §  460.  Fertig ,  Apollinaris  Sidonius  und  seine  Zeit ,  in 
3  Würzburger  u.  Passauer  Programmen  1845.  46.  48.  Georg  Kaufmann, 
Die  Werke  des  C.  SoUius  Apollinaris  Sidonius,  Gott.  Diss.  1864.  Derselbe, 
Ueber  Leben  und  Charakter  des  Sidonius,  im  Neuen  Schweizer  Museum, 
1865.  Von  demselben:  Rhetorenschulen  und  Klosterschulen  oder  heid- 
nische u.  christliche  Kultur  in  Gallien  während  des  5.  u.  6.  Jahrhunderts, 
in  Raumers  histor.  Taschenbuch  IV,  10  (1869),  S.  1—94.  St.  Sidoine 
Apollinaire  et  son  siecle  par  l'abbe  Chaix,  1867 ;  besser  als  das  Buch  ist 
die  Rezension  von  G.  Kaufmann,  GGA.  1868,  S.  1001—1021.  Ebert  I, 
419  ff.  Manitius  a.  a.  0.  S.  218—224.  Mommsen,  S.  A.  am  westgot.  Hof, 
Berliner  SB.  1885,  S.  215-223.  Büdinger,  A.  S.  als  Politiker,  Wiener 
SB.  XCVII,  915—954.  Aufsatz  v.  Sandret  über  ihn  als  Historiker  in  d. 
Revue  des  questions  bist.  LXIII,  210  (Juli  1882).  Ueber  den  ihm  be- 
freundeten Narbonner  Gelehrten  Leo  s.  Zeumer  im  NA.  XXIV,  119  flg. 
Ausg.  von  Gregoire  und  Collombet  in  3  Bänden,  Lyon  1836;  Migne 
LVIII;  V.  Baret,  Paris  1879;  v.  Luetjohann  MG.  Auett.  antt.  YWl;  v.  Mohr. 
Leipzig  1895,  vgl.  Engelbrecht,  Wiener  Stud.  XX,  293-308.  E.  Chatelain 
über  den  cod.  Vat.  3421,  Melanges  Graux,  S.  321—327.  Max  Müller,  De 
Apollin.  Sidonii  latinitate,  Diss.   Leipzig  1888. 

")  Ale.  Ecd.  Aviti  Viennens.  episc.  opp.  ed.  Peiper,  Auett.  antt.  VT,  2 
(1883),  vgl.  Ebert  I,  393—402. 


Die  Franken.     Lex  Salica.  99 

zum  Kriegsdienst  oder  als  Sklaven  verwenden  zu  lassen  :  nur  der 
Schrecken,  meinte  er,  vermöge  sie  zu  bändigen.  Aber  die  viel- 
fache, wenn  auch  feindliche  Berührung  mit  den  Römern  milderte 
allmählich  ihre  Wildheit;  bald  finden  wir  Franken  in  ansehnlichen 
Aemtern  bei  den  Römern,  und  schon  am  Ende  des  4.  Jahrhunderts 
war  der  Franke  Arbogast  Befehlshaber  der  Heeresmacht  im  west- 
lichen Reiche.  In  der  Mitte  des  5.  Jahrhunderts  sind  die  salischen 
Franken  von  den  Römern  abhängig,  sie  führen  ihre  Kriege  und 
schlagen  ihre  Schlachten.  Mit  den  Römern  verbündet,  durchzieht 
der  König  Cbilderich  ganz  Gallien  nach  allen  Seiten ;  er  besiegt 
mit  ihnen  die  ketzerischen  Westgoten,  die  britischen  und  sächsi- 
schen Seeräuber,  die  plündernden  Alamannen.  Obgleich  noch  Heide, 
ist  Childerich  mit  seinen  Franken  doch  bereits  dem  ganzen  Lande 
wohlbekannt,  aber  nicht  mehr  als  der  wildeste  aller  Feinde,  son- 
dern als  Retter  und  Beschützer.  Man  freute  sich  des  alten  Hünen, 
wo  man  ihn  sah,  hoch  zu  Rofs,  in  reicher  und  prächtiger  Rüstung : 
der  Königsmantel,  in  welchem  seine  Getreuen  ihn  zu  Tournay  be- 
stattet haben ,  bestand  aus  purpurner ,  golddurchwirkter  Seide, 
wahrscheinlich  besetzt  mit  den  goldenen  Bienen ,  die  man  in  so 
grofser  Zahl  in  seinem  Grabe  fand ,  und  die  Napoleon  von  ihm 
entlehnt  hat.  Natürlich  war  das  alles  von  römischer  Arbeit,  auch 
sein  Siegelring  führte  die  lateinische  Inschrift :  CHILDIRICI 
REGIS  0. 

Da  ist  es  denn  nicht  zu  verwvindern ,  dafs  auch  daheim  im 
Salierlande  scton  Römer  wohnen  konnten ,  als  Gäste  und  Haus- 
genossen des  Königs ,  ja  dafs  auch  die  Salier  selbst  ihr  eigenes 
Volksrecht  in  lateinischer  Sprache  aufzeichneten  —  denn  noch 
wagte  oder  verstand  man  es  nicht,  die  fränkische  zur  Schrift- 
sprache zu  machen ,  und  erst  an  eben  dieses  Rechtsbuch  lehnten 
die  ersten  noch  unbeholfenen  Versuche  sich  an  -)  —  und  anderer- 
seits erklärt  es  sich  auch,  wie  bald  darauf  die  Vermischung  der 
Franken  mit  den  schon  halb  barbarisch  gewordenen  Provinzialen 
so  leicht  und  rasch  von  statten  gehen  konnte ;  war  man  doch  beider- 
seitig schon  längst  daran  gewöhnt,  miteinander  zu  leben  und  zu 
verkehren. 

In  lateinischer  Sprache  ist  auch  das  älteste  uns  erhaltene  Denk- 

^)  J.  J.  Chifflet,  Anastasis  Childerici  I  illustr.,  Antv.  1655,  4.  L'abbe 
Cochet,  Le  Tombeau  de  Childeric  I,  Paris  1859. 

^)  Ungeachtet  anderer  entgegengesetzter  Ansichten  scheint  mir  diese 
Auffassung  dem  ganzen  Bildungsgange  der  Franken  nicht  nur,  sondern 
auch  anderer  Völker  in  gleicher  Lage  besser  zu  entsprechen. 


100  I-  Vorzeit.     §  7.     Die  Franken. 

mal  einheimischer  Poesie  der  Franken  verfafst,  der  Prolog  zum 
Volks  recht  der  Salier,  wo  das  Volk  der  Franken  hoch  ge- 
priesen wird,  das  schöne,  kluge,  tapfere  und  treue,  das  jetzt  auch 
den  katholischen  Glauben  empfangen  habe  und  von  jeder  Ketzerei 
rein  sei.  Die  frühere  Abhängigkeit  von  den  Römern  erschien  ihnen 
in  der  Erinnerung  als  die  härteste  Knechtschaft,  deren  Joch  sie 
mit  ihrer  gewaltigen  Kraft  abgeworfen  hätten,  und  voll  Stolzes 
rühmen  sie  sich  der  reichen  Gaben  an  die  Kirchen  der  heiligen 
Märtyrer,  gegen  welche  die  Römer  einst  mit  Feuer  und  Schwert 
gewütet  hätten. 

Dieser  letzte  Satz,  welcher  erst  lange  nach  der  Bekehrung  ge- 
schrieben sein  kann,  hat  aber  nicht  mehr  die  rhythmische  Form, 
welche  für  den  Anfang  dieses  Prologs  zuerst  v.  Bethmann-Hollweg 
nachgewiesen  hat^),  und  dieser  erste  Teil,  in  welchem  die  neulich 
geschehene  Bekehrung  des  Volkes  erwähnt  wird,  scheint  älterer 
Zeit  anzugehören.  Doch  ist  das  sehr  unsicher  und  die  genauere 
Zeitbestimmung  des  Prologs  viel  umstritten. 

So  wie  die  Franken  das  Christentum  sogleich  mit  dem  ortho- 
doxen Eifer  ergriffen,  welcher  sich  in  jenen  Worten  ausspricht,  so 
waren  sie  auch  der  übrigen  römischen  Bildung  durchaus  nicht 
feind ;  ja  Chlodovechs  Enkel  Chilperich,  der  auch  für  byzantinischen 
Hofstaat  und  römische  Staatseinrichtung  grofse  Vorliebe  zeigte,  ver- 
suchte sogar  das  lateinische  Alphabet  durch  Erfindung  neuer  Buch- 
staben zu  verbessern  und  machte  selbst  lateinische  Verse  nach  dem 
Vorbilde  des  Sedulius,  aber  wie  Gregor  von  Tours  berichtet,  wollte 
es  ihm  mit  der  Metrik  nicht  recht  gelingen  '^). 

Höchst  charakteristisch  für  diese  erste  Zeit  der  Vermischung 
des  Alten  und  Neuen  ist  die  Persönlichkeit  des  Venantius  For- 
tunatus^).     Noch   in  den   alten  Rhetorenschulen   gebildet,   ist   er 


')  Schmidts  Zeitschr.  f.  Geschichte  IX,  49.  Vgl.  Waitz,  Das  alte  Recht 
der  salischen  Franken ,  S.  36  ff.  und  jetzt  ausführlicher  in  der  3.  Aufl. 
d.  Verfassungsgesch.  II,  1,  122  ff.  Der  Schluss  des  Prol.  aus  d.  Pariser 
Hs.  Lat.  2294  bei  L.  Delisle,  Sacramentaires  p.  187. 

^)  S.  darüber  Gregor  v.  Tours  V,  45,  u.  die  Uebersetzung  Giesebrechts 
I,  287.  Das  ihm  zugeschriebene  Epitaphium  S.  Germani  bei  Aimoin  III, 
Iß  scheint  nicht  wirklich  von  ihm  zu  sein,  dagegen  ein  Rhythmus  auf 
den  heil.  Medardus.  s.  NA.  XXV.  407. 

')  Baehr  S.  145—161.  Teuffei  §  483.  Ebert  I,  518  ff.  Manitius 
S.  438 — 470.  Vgl.  über  ihn  besonders  die  Werke  von  Guizot  u.  Ampere. 
Opera  poetica  ed.  Fr.  Leo,  MG.  Auctt.  antt.  IV,  1.  1881;  Opp.  pedestria 
ed.  Krusch  ib.  2.  1886;  einige  Gedichte  auch  bei  Hagen,  Carm.  med. 
aevi  p.  80 — 84.  Vgl.  auch  Böcking,  Moselgedichte  des  Ausonius  u.  Ven. 
Fortimatus,   Bonn  1845   (Jahrbuch   der  Altertumsfreunde   im  Rheinland. 


Lex  Salica.     Venantius  Fortunatus.  101 

einer  der  letzten  Vertreter  jener  verkünstelten  Schulgelehrsamkeit. 
Er  stammte  aus  Italien  und  kam  um  das  Jahr  565  nach  Gallien, 
an  König  Sigiberts  Hof,  wo  man  viel  Gefallen  an  dieser  Poesie 
fand.  Ueberall  bei  den  fränkischen  wie  bei  den  römischen  vor- 
nehmen Herren  und  Bischöfen  war  er  ein  gern  gesehener  Gast 
und  auf  ein  Lobgedicht  voii  ihm  legte  man  den  gröfsten  Wert. 
Aber  mehr  als  alles  dieses  fesselte  ihn  (seit  567)  die  Freundschaft 
der  heiligen  Radegunde,  die  ihn  zuletzt  bewog,  in  den  geistlichen 
Stand  einzutreten  und  sich  ganz  nach  Poitiers  zurückzuziehen. 
Hierhin  hatte  Radegunde,  aller  Herrlichkeit  der  Welt  entsagend, 
sich  begeben,  um  ihr  Leben  in  dem  von  ihr  gestifteten  Kloster 
bei  den  Werken  der  Frömmigkeit  und  Demut  zu  beschlielsen ,  sie, 
einst  die  Gemahlin  Chlothars,  den  sie  aber  nach  der  Ermordung 
ihres  Bruders,  des  letzten  Sprossen  der  thüringischen  Königsfamilie, 
verlassen  hatte.  Nur  ein  Vetter  von  ihr  war  noch  übrig,  der  in 
Konstantinopel  lebte ,  Amalafrid ,  und  an  diesen  schrieb  nun  For- 
tunat  in  ihrem  Namen  eine  wahrhaft  schöne  poetische  Epistel,  in 
welcher  er  den  Untergang  des  thüringischen  Reiches  in  ergreifender 
Weise  schildert.  Ebenso  schön  ist  ein  zweites  langes  Gedicht  über 
das  traurige  Geschick  der  Geleswintha,  Tochter  des  Westgoten- 
königs Athanagild  ,  der  Schwester  der  Königin  Brunhilde,  die  mit 
König  Chilperich  vermählt,  aber  bald  nach  der  Hochzeit  auf  An- 
stiften der  Fredegunde  ermordet  wurde  '). 

Wo  Fortunat  in  solcher  Weise  einen  bedeiitenden  Gegenstand 
aus  dem  wirklichen  Leben  zu  behandeln  unternimmt ,  zeigt  er 
wahres  Gefühl  und  ungewöhnliches  Talent.  Aber  bei  weitem  die 
Mehrzahl  seiner  Gedichte  bewegt  sich  ganz  in  der  spielenden  Weise 
seiner  Zeit;  er  besingt  jede  gute  Mahlzeit,  die  Radegunde  ihm  zu- 
kommen läfst,  und  widmet  jedem  kleinen  Vorfall  ein  Epigramm. 
Doch  ist  er  im  Ausdrvick  sehr  selbständig  und  dichtet  nur.  wenn 
eine  greifbare  Wirklichkeit  ihn  dazu  veranlafst.  Die  ersten  acht 
Bücher  seiner  Gedichte  gab  er,  wie  W.  Meyer  gezeigt  hat  (576  oder 
bald  nachher),    selbst  heraus,   ebenso  noch  (nach  584)  das  neunte, 


Band  VII).  Fr.  Leo,  V.  F.  der  letzte  röm.  Dichter,  Deutsche  Rundschau 
XXXII,  414—426.  W.  Meyer,  Der  Gelegenheitsdichter  Venant.  Fortun. 
in  den  Abhandl.  d.  Gott.  Ges.  d.  W..  N.  F.,  IV,  5;  Dostal,  Ueber  Identität 
und  Zeit  von  Personen  bei  Ven.  Fort. ,  Programm  v.  Wiener-Neustadt 
1900.  Sehr  häufige  Benutzung  im  MA.  hat  Manitius  nachgewiesen,  NA. 
XII,  591—592;  XIII,  631—635. 

^)  Beide  Gedichte  schreibt  Ch.  Nisard  der  Radegunde,  Fortun.  nur 
Retouche  zu,  hat  aber  nur  Widerspruch  gefunden,  s.  NA.  XIV,  437. 
W.  Lippert,  Zeitschr.  f.  Thür.  Gesch.,  N.  F.  VII,  16—38. 


1(32  I-  Vorzeit.     §  7.    Die  Franken. 

das  zehnte  und  eilfte  aber  sind  von  anderen  als  Ergänzung  ver- 
öffentlicht. Vollends  unerträglich  ist  seine  Prosa,  schwülstig,  ge- 
ziert, kaum  verständlich ;  nur  in  den  von  ihm  verfafsten  Heiligen- 
leben redet  er  einfach  und  natürlich.  Das  findet  sich  überhaupt 
fast  durehgehends ,  nur  wenige  derselben  sind  in  dem  gesuchten 
Stile  der  Schule  geschrieben,  und  zwar  aus  dem  einfachen  Grunde, 
weil  sie  zur  Erbauung,  zum  Vorlesen  bestimmt  waren  und  deshalb 
allgemein  verständlich  sein  mufsten.  Den  heiligen  Martin  verherr- 
lichte er  in  Versen  (zwischen  573  und  576)  in  vier  Büchern  ganz 
nach  Sulpicius  Severus. 

In  den  Heiligenleben,  die  Fortunat  verfafste,  darunter  das  des 
heiligen  Kemedius,  herrscht  übrigens  der  moralisch-theologische 
Zweck  und  Standpunkt  zu  sehr  vor,  als  dafs  sie  einen  bedeutenden 
historiseben  Wert  haben  könnten;  am  anziehendsten  und  am  lehr- 
reichsten ist  das  Leben  der  Radegunde  (f  13.  August  587), 
worin  das  Klosterwesen  der  damaligen  Zeit  anschaulich  geschildert 
wird,  doch  waren  auch  hier  so  bedeutende  und  für  das  Kloster 
wichtige  geschichtliche  Vorgänge  ganz  übei'gangen,  dafs  schon  von 
der  damaligen  Aebtissin  Dedimia  der  Nonne  Baudonivia  die 
Abfassung  einer  zweiten  Biographie  aufgetragen  wurde,  was  sie 
gewissenhaft,  wenn  auch  in  ungeschickter  Weise,  bald  nach  600 
ausgeführt  hat  *). 

Wie  nun  die  Legenden  sich  schon  durch  ihre  einfache  Sprache 
als  dem  Leben  näherstehend  bewähren ,  so  zeigt  es  sich  überhaupt 
bald,  dafs  die  kirchliche  Litteratur  die  einzige  wahrhaft  lebens- 
fähige war.  In  die  Kirche  flüchteten  sich  alle,  welche  noch  Sinn 
und  Neigung  für  litterarische  Bildung  hatten,  die  in  dem  wilden 
Getümmel  des  weltlichen  Lebens  keine  Stätte  mehr  fand.  Das 
sahen  wir  an  Ennodius,  der  auch  im  südlichen  Gallien  geboren 
und  in  den  dortigen  Rhetorenschulen  gebildet  war,  an  Cassiodor, 
Jordanis,  Apollinaris  Sidonius,  und  auch  Fortunat  wurde  in  seinem 
hohen  Alter  (um  600)  noch  Bischof  von  Poitiers,  wo  er  zu  An- 
fang des  7.  Jahrhunderts  gestorben  ist. 

Jene  innerlich  leblose,  gekünstelte  Litteratur  der  Grammatiker 
starb  mit  ihren  letzten,  von  den  Franken  noch  vorgefundenen  Ver- 


')  De  vita  S.  Radegundis  libri  II,  ed.  Krusch,  Auctt.  antt.  IV,  2. 
XVI--XIX,  38— .39;  SS.  Meroving.  II,  358-395.  Ein  Schreiben  der 
Aebtissin  Caesaria  v.  Arles  an  sie,  Epp.  III,  450 — 453.  Vgl.  Dümmler, 
Radegunde  v.  Thüringen  (Im  neuen  Reich  1871,  S.  641—656).  Die  Kehr- 
seite zeigen  die  höchst  ärgerlichen  und  anstöfsigen  Zustände  im  Kloster 
gleich  nach  Radegundens  Tod,  Greg.  Tur.  IX,  39—43.   X,  1.5—17. 


Fortunatus.     Die  gallische  Kirche.  103 

tretern  ab,  und  nur  die  Kirche  bewahrte  von  nun  an  die  Keime 
des  geistigen  Lebens,  welche  sie  naturgemäfs  für  ihren  Dienst  ver- 
wandte. Freilich  konnte  auch  sie  dem  Drucke  dieser  Zeiten  nicht 
unversehrt  widerstehen ;  die  früher  in  Gallien  sehr  bedeutende 
spekulativ-theologische  Thätigkeit  hörte  gänzlich  auf,  da  man  zu 
gewaltsam  vom  Drange  des  praktischen  Lebens  ergriffen  wurde ; 
aber  in  diesem  bewahrte  die  Kirche  eine  bedeutende  Stellung. 
Politisch  war  die  Macht  der  Bischöfe  im  fränkischen  Reiche  bald 
gröfser,  als  sie  je  gewesen  war,  und  wenn  sie  auch  von  der  immer 
mehr  überhandnehmenden  Verwilderung  stark  ergriffen  wurden,  so 
ging  der  tiefere  sittliche  Gehalt  in  der  Kirche  doch  niemals  völlig 
verloren .  und  mitten  in  dem  allgemeinen  Verderben  erschienen 
immer  aufs  neue  einzelne  Männer,  welche  durch  Reinheit  der  Ge- 
sinnung und  durch  rückhaltlose  Hingabe  ihrer  eigenen  Person  für 
die  Gebote  des  Evangeliums  die  Verehrung  ihrer  Zeitgenossen  und 
die  Bewunderung  der  Nachwelt  erzwangen.  Zu  keiner  Zeit  nach 
den  ei'sten  Jahrhunderten  der  christlichen  Kirche  finden  wir  eine 
gröfsere  Zahl  von  Heiligen  als  gerade  damals,  Männer  und  Frauen, 
grofsenteils  von  hervorragender  äufserer  Stellung,  die  dm*ch  Ent- 
sagungen aller  Art,  durch  aufopfernde  Wohlthätigkeit ,  durch  un- 
erschrockenes Auftreten  gegen  die  Verbrechen  der  Grofsen  und 
Mächtigen,  sich  die  dankbare  Verehrung  des  Volkes  erwarben.  Das 
äufsere  Leben  nahm  gebieterisch  alle  ihre  Kräfte  in  Anspruch ;  für 
wissenschaftliche  Bestrebungen  war  kein  Raum  in  dieser  Zeit,  und 
die  geringe,  litterarische  Thätigkeit,  welche  noch  stattfindet,  be- 
schränkt sich  auf  Predigten ,  moralische  Schriften  und  Legenden, 
die  ebenfalls  als  Vorbilder  zum  Zweck  der  unmittelbaren  Einwirkung 
auf  die  Zeitgenossen  verfafst  wurden. 

Auf  diesem  Felde  schlofs  sich  an  Sulpicius  Severus  eine  reiche 
Litteratur  an,  und  auch  der  Mann,  mit  dem  wir  uns  zunächst  zu 
beschäftigen  haben,  der  bedeutendste  Schriftsteller  der  merowin- 
gischen  Zeit,  Gregor  von  Tours,  wandte  der  Legende  seine  Thätig- 
keit hauptsächlich  zu. 

§  8.     Gregor  von  Tours. 

Opera  ed.  Ruinart,  Paris  1699,  fol.  Migne  LXXI.  SS.  Meroving.  I,  1885  (Hist.  Fr.  ed. 
W.  Arndt,  De  miraculis  S.  Andreae  ed.  M.  ßonnet,  die  übrigen  Schriften  von 
Br.  Krusch).  Rec.  v.  Bonnet,  Revue  crit.  188.5,  N.  9  (vgl.  NA.  X.  603),  1886,  N.  8 
(vgl.  NA.  XI,  632).  Differenzen  zwischen  Krusch  u.  Bonnet,  NA.  XII,  309—314. 
XVI,  432.  XVII,  189—203.  Krusch,  Ohlod.  Sieg  über  die  Alamannen,  gegen  Vogel. 
NA.  XII,  239—302;  zu  Greg,  de  cursu  stell.  NA.  XII,  303—314.  Krusch,  Ueber  die 
handsehriftl.  Grundlage  von  Gregors  Miracula,  NA.  XIX,  25 — 45,  widerlegt  die 
Vorwürfe  von  Bonnet  und  gibt  einige  nachträgliche  Berichtigungen.  —  Einen 
Nachtrag  zu  der  Ausg.  bildet  die  Passio  VII.  Dormientium,  von  Krusch  entdeckt 


1()4  1-  Vorzeit.     !^  8.     Gregor  von  Tours. 

u.  herausgeg.  Anal.  Bollaml.  XII  (1893),  S.  y71— 387,  ein  nach  Gregors  Bericht 
durch  einen  Sju-er  aus  dem  Griechischen  übersetzter  Text. 

In  Not.  et  Düc.  piibl.  p.  la  Soc.  de  l'hist.  de  France  (1881)  gibt  H.  Oniont  S.  1—18 
Nachricht  von  einem  durch  L.  Delisle  in  Kopenhagen  entdeckten  Fragment  e. 
Hs.  (l.  Hist.  in  Uncialen  u.  einer  zweiten  saec.  IX.  Auch  sind  die  Leid.  u.  Vat. 
Fi-agniente  (A2  bei  Arndt)  abgedruclit,  weil  sie  vielleicht  ders.  alten  Hs.  laus 
Orleans)  entstammen.  —  L.  I— VI  e  cod.  Corb.  mit  d.  Zusätzen  d.  2.  Ausg.  von 
H.  Omont  1886.  Album  pal.  pl.  12  codd.  Belvac.  Corb.  pl.  13  Camerac.  mit  von 
Bethmann  übersehenen  Korrekturen.  Ueber  den  wieder  gefundenen  Cod.  Bel- 
vac. des  lib.  Mirac.  Delisle  in  den  Mel.  Jul.  Havet  (189.5),  p.  1—8  mit  Facsim. 
—  Livres  VII  ä  X,  Texte  du  ms.  de  Bruxelles  (B2)  public,  par  Gasten  CoUon, 
Paris  lS'.r.i. 

üebersetzung  der  Gesch.  mit  vortreif lieber  Einleitung  von  W.  Giesebrecht,  Berlin 
18.il,  2.  Aufl.  1878  (Geschichtschr.  8.  9.  VI,  4.  5).  Kries,  De  Greg.  Tur.  vita  et 
scriptis,  Vratisl.  1838.  Löbell,  Gregor  von  Tours  und  seine  Zeit,  Leipzig  l8o9, 
18ü9.  Haeusser  S.  8— 17.  R.  Koepke  in  der  Allgem.  Monatsschrift,  18.52  Sept  , 
S.  775-800.  Kl.  Sehr.  S.  289  ff.  Waitz  in  den  Gott.  Gel.  Anz.  1839,  8.  781-793, 
in  Schmidts  Zeitschrift  für  Geschichte  II,  44.  Dazu  jetzt  die  vortreft'l.  Mono- 
graphie von  G.  Monod,  Etudes  critiques  sur  les  sources  de  Thist.  Merovingienne 
(Bibl.  del'Ecole  des  hautes  etudes,  8  Fase.  1872)  p.  21—146  (vgl.  seine  oben  S  44 
angeführte  Rezension),  rec.  v.  Dümmler.  Lit.  Centr.  1872,  819;  v.  Waitz,  GGA. 
1872,  903—909;  von  W.  Arndt,  Hist.  Zeitschr.  23,  415-422.  Ebert  S.  56G— 579. 
Alfred  .lacobs,  Geographie  de  Gregoire  de  Tours  et  de  Fredegaire,  Paris  1861. 
n.  bei  der  Ausg.  von  (juizots  Üebersetzung.  Longnon.  Geographie  de  la  Gaule 
ä  l'epoque  de  Gr.  de  T.  1878.  Le  Mire,  Etur'es  archeolog.  sur  Gr.  de  T.  Lons- 
le  Saulnier  1879.  Bonnet,  Le  Latin  de  Gr.  dt  T..  Paris  1890  (auch  über  die  Be- 
nutzung früherer  Schriftsteller  und  der  von  ihm  herangezogenen  Bibelüber- 
setzung). 

Gregor  von  Tours  stammte  aus  einer  sehr  vornehmen  römischen 
Familie,  der  fast  alle  Bischöfe  von  Tours  und  viele  Heilige  ange- 
hörten. Um  das  Jahr  540  in  Clermont-Ferrand  (Arverni)  geboren, 
erhielt  er  nach  seinem  Vater  und  seinem  Grofsvater  die  Namen 
Georgius  Florentius;  Gregor  hat  er  sich  erst  später  genannt,  nach 
seinem  mütterlichen  Ahnherrn,  dem  heiligen  Gregorius,  Bischof  von 
Langres.  Seinen  Vater  scheint  er  früh  verloren  zu  haben ;  erzogen 
wurde  er  an  seinem  Geburtsorte  von  seinem  Oheim,  dem  heiligen 
Bischof  Gallus,  u.nd  nach  dessen  Tode  von  dem  Priester  Avitus,  der 
im  Jahre  571  ebenfalls  Bischof  von  Clermont  wurde.  Er  selbst  nennt 
nur  diesen ,  der  ihn  nicht  in  weltlicher ,  sondern  in  kirchlicher 
Wissenschaft  unterwiesen  habe.  Doch  hat  er  natüx'lich  in  der  Schule 
einige  Kenntnis  des  Vergil  und  Sallust  bekommen,  weifs  auch  von 
A.  Geilius  und  Marcianus  Capella  und  liebt  die  christlichen  Dichter, 
aber  wenn  auch  seine  Citate  sieh  sehr  beschränken,  so  ist  doch  der 
von  G.  Kurth  daraus  gezogene  Schlufs  irrig,  dafs  Gregor  nur  ein 
Excerptenschulbuch  benutzt  habe  '). 

Im  Jahre  573  erhielt  Gregor  von  König  Sigebert  das  Bistum 
Tours,  und  Fortunat  versäumte  nicht,  sein  Gedicht  dazu  zu  machen; 
Gregor ,  der  ihm  nahe  befreundet  war ,  hat  ihn  später  sogar  mit 
einem  Landgütchen  beschenkt. 

')  Godefroy  Kurth,  Saint  Gregoire  de  Tours  et  les  etudes  classiques 
au  VI.  siecle.  Revue  des  questions  historiques,  XXIV,  592,  Oktober  1878, 
dagegen  Manitius,  Zur  Frankengeschichte  Gregors  v.  Tours,  NA.  XXI 
549—557. 


Gregor  von  Tours.  105 

Der  Bischof  von  Tours,  der  Nachfolger  des  heiligen  Martin, 
war  eine  der  ansehnlichsten  Personen  im  fränkischen  Reiche,  ein 
Kirchenfürst  von  bedeutender  Macht,  und  mehr  noch  wegen  der 
ungemeinen  Verehrung  des  heiligen  Martin  ein  Mann,  auf  den  die 
Blicke  vieler  ^lenschen  gerichtet  waren  und  dessen  Stimme  bei  allen 
Staatshändeln  von  Gewicht  war.  In  Tours,  dem  wichtigsten  reli- 
giösen ^littelpunkte  des  Reiches,  liefen  die  Fäden  von  allen  Seiten 
zusammen.  Bei  den  inneren  Kriegen  unter  den  Merowingern  konnte 
es  daher  nicht  fehlen ,  dafs  Gregor  sehr  bald  in  schwierige  Ver- 
wickelungen hineingezogen  wurde,  und  gleich  anfangs  sah  er  sich 
in  sehr  gefährdeter  Lage,  als  Chilperich  die  Stadt  Tours  seiner 
Herrschaft  unterwarf.  Er  benahm  sich  aber  stets  mit  Klugheit 
und  Festigkeit,  und  wuCste  sich  selbst  gegen  erbitterte  und  mäch- 
tige Feinde  zu  behaupten.  Nach  Chilperichs  Tode  (584)  stieg 
sein  Ansehen,  und  von  nun  an  war  er  einer  der  einflufsreichsten 
Männer  im  Reiche.  Allgemein  geachtet  starb  er  am  17.  Nov.  594, 
und  hinterliefs  ein  dankbares  Andenken  in  seinem  Sprengel,  für 
den  er  in  jeder  Beziehung  mit  unermüdlichem  Eifer  thätig  gewesen 
war;  man  verehrte  ihn  sogar  als  einen  Heiligen.  Seine  im  10.  Jahr- 
hundert in  Tours  verfafste  Biographie  hebt  nur  diese  Seite  hervor 
und  gewährt  fast  keine  neue  Belehrung  über  ihn  '). 

Vieles  hatte  Gregor  erlebt  und  gesehen,  von  seiner  Kindheit  an, 
wo  die  Auvergne  der  Schauplatz  des  Kampfes  zwischen  Chlothar 
und  Childebert  war,  bis  zu  dem  blutigen  Streite  der  Königinnen 
Brunbilde  und  Fredegunde;  seitdem  er  zu  den  Bischöfen  des  Reiches 
gehörte,  konnte  kein  bedeutendes  Ereignis  eintreten,  ohne  ihn  un- 
mittelbar zu  berühren ;  von  allem  erfuhr  er ,  und  an  vielen  wich- 
tigen Staatsgeschäften  nahm  er  persönlich  teil ;  einen  grofsen  Teil 
des  Reiches  kannte  er  aus  persönlicher  Anschauving.  Da  erwachte 
in  ihm  der  Wunsch ,  die  Kunde  dieser  Dinge  auch  der  Nachwelt 
zu  überliefern ,  und  während  er  das  Leben  der  Heiligen  beschrieb 
und  reiche  Sammlungen  von  Wundergeschichten  verzeichnete ,  ar- 
beitete er  zugleich  unablässig  an  dem  Geschichtswerke,  welchem 
wir  fast  allein  unsere  Kenntnis  von  dem  Reiche  der  Merowinger 
verdanken.  Noch  trägt  es  die  Spuren  seiner  allmählichen  Ent- 
stehung ,  man  erkennt  spätere  Nachträge ,  und  es  fehlt  ihm  die 
letzte  Feile.     Um   so   gröfser   ist    deshalb  die  Glaubwürdigkeit  der 


^)  Die  darin  von  ihm  erzählte  Reise  nach  Rom  ist  erfunden,  s.  Monod 
p.  37.  Als  Verfasser  ist  von  Ruinart  ohne  Grund  der  Abt  Odo  von  Cluny 
genannt,  ib.  p.  25. 


106  I-  Vorzeit.     §  8.     Gregor  von  Tours. 

letzten  Bücher,  in  welche  er  den  Ereignissen  gleichzeitig  die  Zeit- 
geschichte eintrug. 

Häufig  nennt  man  dieses  Werk  die  Kirchengeschichte  der  Fran- 
ken, und  in  manchen  Handschiüften  trägt  es  nach  dem  Vorbilde  des 
Beda  diesen  Titel  (Historia  ecclesiastica  Francorum).  Allein  so  sehr 
auch  dem  Charakter  der  Zeit  entsprechend  das  kirchliche  Element 
vorwiegt,  der  Inhalt  zeigt  doch,  dafs  jene  Ueberschrift  den  Grund- 
gedanken des  Werkes  nicht  ausdrückt  und  also  nicht  von  Gregor 
herrühren  kann.  Richtiger  nennt  man  es:  Zehn  Bücher  fränkischer 
Geschichten. 

Gregor  hatte  bereits  Vorgänger  gehabt;  er  selbst,  und  nur  er 
allein,  hat  uns  (II,  8.  9)  Namen  und  Bruchstücke  von  zwei  ver- 
lorenen Historikern  aufbewahrt,  von  Renatus  Profuturus  Fri- 
geridus^,  dessen  zwölftes  Buch  dei  Geschichten  er  anführt,  und 
Sulpicius  Alexander.  Aber  diese  scheinen  beide  noch  den 
Zeiten  der  letzten  Kaiser  angehört  zu  haben,  und  niemand  ver- 
suchte mehr  das  Andenken  dieser  trüben  Zeiten  aufzuzeichnen.  Mit 
der  Klage  darüber  beginnt  Gregor  sein  Werk.  Jetzt,  da  die  Pflege 
der  schönen  Wissenschaften  in  den  Städten  Galliens  vernachlässigt, 
ja  sogar  gänzlich  in  Verfall  geraten  sei^),  so  lauten  die  inhalts- 
schweren Worte,  jetzt  finde  sich  kein  Gelehrter,  dem  die  Kunst  der 
Rede  zu  Gebote  stände^),  der  in  Prosa  oder  Versen  die  Begeben- 
heiten der  Gegenwart  der  Nachwelt  aufbewahre.  Laut  klage  das 
Volk :  Wehe  über  unsere  Tage,  dafs  die  Pflege  der  Wissenschaften 
bei  uns  untergegangen  ist  und  niemand  sich  findet,  der,  was  zu 
unseren  Zeiten  geschehen,  berichten  könnte !  Deshalb  also,  weil  kein 
anderer  auftrete,  habe  er  es  auf  sich  genommen,  das  Gedächtnis 
dieser  Tage  den  Nachkommen  zu  überliefern. 

Die  Geschichte  seiner  Zeit  also  ist  sein  Gegenstand ;  aber  um 
dafür  eine  chronologische  Grundlage  zu  gewinnen,  schickt  er  im 
ersten  Buche  eine  Uebersicht  der  Weltgeschichte,  hauptsächlich  der 
biblischen ,  seit  der  Schöpfung  voran  ') ;  die  Ei-zählung  von  der 
Stiftung  der  gallischen  Kirchen,   zuletzt  von  seinem  Schutzheiligen 


')  J.  Grimm,  Ueber  Jornandes  S.  17,  erklärt  den  letzten  Namen  für 
gotisch.  Beide  Namen  kommen  bei  Ammian  XXXI ,  7  vor.  Schirren, 
De  Jord.  p.  7,  vermutet  in  dem  Profuturus  ep.  Braccarensis,  an  welchen 
Papst  Vigilius  538  schreibt  (Jaffe,  Reg.  n.  907),  den  Autor. 

^)  Decedente  atque  immo  potius  pereunte  ab  urbibus  Gallicanis  libe- 
ralium  cultura  litterarum. 

')  Peritus  dialectica  in  arte  grammaticus. 

■*)  Libuit  etiam  animo,  ut  pro  suppotatione  annorum  ab  ipso  mundi 
principio  libri  primi  poneretur  initium. 


Gregors  Frankengeschichte.  107 

Martin .  gibt  dann  den  Uebergang  zur  fränkischen  Geschichte. 
Allein  er  führt  doch  auch  noch  einen  anderen  Grund  an  für  die 
Berechnungen,  mit  denen  er  sein  Werk  beschliefst,  nämlich  damit 
diejenigen,  welche  wegen  des  herannahenden  Endes  der  Welt  in 
Sorgen  sind,  genau  wissen  möchten,  wie  viele  Jahre  seit  der  Er- 
schaffung der  Welt  verflossen  wären.  Denn  diese  Vorstellung  be- 
herrschte auch  ihn,  sowie  alle,  die  auf  das  untergehende  römische 
Reich,  das  letzte  AVeltreich  ,  ihre  Blicke  gerichtet  hatten.  Und  in 
der  That  bot  diese  Zeit  kaum  etwas  anderes  dar,  als  Zeichen  des 
Verfalles  und  des  Unterganges;  Keime  neuen  Lebens  mufsten  dem 
Frankenreiche  in  Gallien  erst  von  aufsen  wieder  zugetragen  werden, 
für  die  Neugestaltung  des  Staates  von  Austrasien ,  für  die  Kirche 
von  den  britischen  Inseln. 

Vor  allem  findet  nun  Gregor  es  durchaus  notwendig,  sein 
Glaubensbekenntnis  an  die  Spitze  des  Buches  zu  stellen,  damit  kein 
Leser  an  seiner  Rechtgläubigkeit  zweifeln  könne ;  denn  ein  Haupt- 
gegenstand seines  Werkes  würden  die  Kämpfe  der  Kirche  mit  den 
Ketzern  sein.  Höchst  charakteristisch  ist  dies  für  eine  Zeit,  die 
seit  Jahrhunderten  von  dem  Gegensatze  der  Katholiken  und  Arianer 
erfüllt  war,  wo  der  Name  des  Orthodoxen  der  höchste  Ehrentitel 
der  Fürsten  war.  und  die  Franken  ihren  gröfsten  Stolz  darin  fan- 
den, von  jeder  Ketzerei  frei  zu  sein.  Das  gesteht  ihnen  auch  der 
Mönch  Jonas  im  Leben  des  Columban  zu;  den  katholischen  Glauben 
finde  man  bei  ihnen,  nur  leider  von  den  Werken  auch  gar  keine 
Spur. 

Es  ist  aber  dieser  Standpunkt  für  die  Beurteilung  von  Gregors 
Werk  sehr  wichtig;  seine  ganze  Auffassung  Chlodovechs  beruht 
darauf.  Nicht  nach  schriftlichen  Aufzeichnungen  schildert  ihn  Gre- 
gor ;  für  die  ersten  Zeiten  hat  er  wohl  die  schon  erwähnten  Autoren 
und  den  Orosius  benutzt,  auch  einzelne  annalistische  Notizen  und 
Heiligenleben ,  vorzüglich  das  Leben  des  Remigius ,  nebst  Briefen 
und  Aktenstücken  0 ;    aber   seine  Hauptquelle  für  die  Urgeschichte 

')  S.  Monod  S.  81  ff.  und  über  die  Vita  Aniani  ep.  Aurelian.  die  Aus- 
gabe von  Krusch,  SS.  rer.  Meroving.  III,  104—117:  sie  ist  Gregor  gegen- 
über ohne  selbständigen  Wert.  Dazu  jetzt  die  Vorrede  von  Arndt. 
G.  Kurth,  Revue  des  Questions  bist.  XXIII,  S.  385  ff.  untersucht  seine 
Quellen  für  die  Gesch.  Chlodwigs,  nimmt  Ann.  Turone^ises  an  und  eine 
verlorene  Vita  Remigi'..  Letzteres  bekämpft  mit  Recht  Hans  v.  Schubert: 
Die  Unterwerfung  der  Alamannen  unter  die  Franken  (Strassb.  1884)  und 
macht  dagegen  aus  einer  freilich  fehlervollen  Hs.  in  Montpellier  eine 
Vita  Vedastis  bekannt,  welche  in  Betreff  der  Bekehrung  Chlodwigs 
Gregor  benutzt  haben  soll.  Diese  hat  Krusch  mit  Benutzung  einer 
besseren  Hs.  untersucht,   Mitteil,  des   Inst.  XIV,   427 — 448,  und  heraus- 


108  I-  Vorzeit.     §  8.     Gregor  von  Tours. 

der  Franken,  und  bald  seine  einzige,  ist  doch  die  lebendige  Ueber- 
lieferung,  und  die  Darstellung  Chlodovechs  sowie  seiner  nächsten 
Nachfolger  ist  darum  schon  dm-chaus  sagenhaft;  in  diesem  Ab- 
schnitte hat  man  sich  sehr  davor  zu  hüten,  Gregors  Zeugnis  zu  über- 
schätzen '). 

Chlodovech  ist  ihm  der  Streiter  der  Kirche,  ihr  Vorkämpfer 
gegen  die  Arianer ;  als  solchen  fafst  er  ihn  vorzugsweise  auf,  und 
deshalb  kann  er  auch  (II,  40)  von  ihm  sagen:  „Gott  aber  warf  Tag 
für  Tag  seine  Feinde  vor  ihm  zu  Boden  und  vermehrte  sein  Reich, 
darum,  dafs  er  rechten  Herzens  vor  ihm  wandelte,  und  that,  was 
seinen  Augen  wohlgefällig  war." 

Unmittelbar  vorher  hat  Gregor  erzählt,  wie  sich  Chlodovech 
durch  Mord  und  Verrat  des  ripuarischen  Reiches  bemächtigte,  und 
man  hat  ihm  daher  jenen  Ausspruch  sehr  zum  Vorwurfe  gemacht. 
Diese  Worte  fassen  aber  den  Inhalt  nicht  des  einen  Kapitels  allein, 
sondern  auch  der  vorhei'gehenden  zusammen .  in  welchen  die  Be- 
kämpfung der  arianischen  Westgoten  erzählt  ist,  der  Kreuzzug, 
welchen  die  Kirche  als  Chlodovechs  gröfstes  Verdienst  betrachtete. 
Ein  feines  Gefühl  für  Recht  und  Unrecht  darf  man  freilich  bei  den 
Schriftstellern  dieser  Zeit  nicht  suchen  ;  wie  bei  den  Italienern  des 
15,  Jahi'hunderts  war  durch  die  täglich  sich  wiederholenden  Greuel- 
thaten  das  Gefühl  dafür  abgestumpft  worden.    Mord  und  Hinterlist 


gegeben  SS.  rer.  Meroving.  ITI,  399 — 413;  er  erklärt  sie  nach  genauer 
Vergleichung  des  Sprachgebrauches  für  ein  Werk  des  Abtes  Jonas  oder 
eines  Nachahmers,  verfafst  nach  örtlicher  Tradition  mit  Benutzung  Gre- 
gors (um  640),  ihren  Wert  verteidigt  Hauck  I,  119.  —  Die  von  Gr.  be- 
nutzte, später  von  Hinkmar  interpolierte,  Yen.  Fort,  mit  Unrecht  zu- 
geschriebene, sehr  magere  Vita  liemeäii  (=:  Remigii) ,  Auctt.  antt.  VF, 
2,  64—67. 

')  Seine  Nachrichten  sind  in  diesem  Sinne  geprüft  von  Junghans,  Die 
Geschichte  der  fränkischen  Könige  Childerich  und  Chlodovech  kritisch 
untersucht,  Göttingen  1857,  und  in  der  Bearbeitung  von  Monod  (eine 
ganz  abweichende  Ansicht  über  die  Taufe  Chlodovechs .  die  er  nach 
Tours  in  das  Jahr  -508  verlegen  will ,  entwickelt  Krusch  in  den  Mitteil, 
des  Inst.  XIV.  441 — 44S,  vgl.  dagegen  Hauck  I,  579 — 588)  und  von 
Ad.  Gloel,  Zur  Geschichte  der  alten  Thüringer,  Forsch.  IV,  195  —  240; 
dagegen  L.  Hoffmann,  Zur  Gesch.  des  alten  Thüringerreiches,  im  Jahres- 
ber.  d.  höh.  Bürgerschule  zu  Rathenow  1(S72,  4.  —  Die  Vita  Basini  regis, 
ed.  Guil.  C'uper,  Acta  SS.  Jul.  111,  701,  des  Gründers  von  Trunchinium 
oder  Dronghen  bei  Gent  (vgl.  Herrn.  Müller,  Lex  Salica,  S.  12s.  Holtz- 
mann,  Ueber  das  Verhältnis  der  Malb.  Glosse,  S.  22)  ist  geschichtlich 
ganz  unbrauchbar;  erst  sehr  spät  ist  von  ihm,  u.  als  König  noch  später 
die  Rede,  s.  H.  W.  Lippert,  Beiträge  zur  ältesten  Gesch.  d.  Thüringer, 
Zeitschr.  d.  Vereins  f.  thür.  (resch.  Xl,  S.  292—802.  Xll,  91—96.  Gegen 
die  linksrheinischen  Thüringer  und  für  Dispargum  =  Duisburg  Konrad 
Plath  im  Jahrb.  der  Altertumsfr.  im  Rheinl.  XCV,  121  ff. 


Gregors  Frankengeschichte.  109 

waren  so  gewöhnliche  Werkzeuge  geworden ,  dafs  wer  sie  nicht 
selber  anwandte,  ihnen  zum  Opfer  fiel;  es  kam  daher  für  die  Be- 
urteilung nur  noch  darauf  an,  ob  sich  ein  lobenswerter  Zweck  damit 
verband,  oder  ob  sie  blofs  der  Selbstsucht  und  anderen  schlechten 
Leidenschaften  dienten.  So  erzählt  denn  auch  Gregor  zahlreiche 
Geschichten  derart  mit  einer  Kälte,  die  uns  unheimlich  berührt, 
ohne  irgend  etwas  von  dem  Abscheu  zu  üulsern,  welcher  den 
heutigen  Leser  dabei  ergreift.  Eben  dadurch  aber  gewinnt  er  um 
so  mehr  an  Glaubwürdigkeit;  ganz  in  seiner  Zeit  stehend,  gewährt 
er  uns  das  treueste  Bild  derselben,  und  indem  er  nur  einfach  be- 
richtet, was  geschehen  war,  verdient  er  ohne  Zweifel  vollen  Glauben, 
soweit  seine  eigene  Kenntnis  der  Begebenheiten  reicht,  und  soweit 
nicht  etwa  leidenschaftliche  Erregung,  soweit  nicht  seine  eifrig 
kirchliche  Denkungsart,  sein  Hals  gegen  die  Ketzer,  sein  Urteil 
trüben,  oder  seine  übergrofse  Leichtgläubigkeit  ihn  irre  fühi't.  Sehr 
mit  Unrecht  hat  man  ihm  absichtliche  Entstellung  schuld  geben 
wollen;  von  Flüchtigkeit  und  Ungenauigkeit  dagegen  ist  er  im 
ersten  Teile  seines  Werkes  nicht  frei,  und  daran  wird  es  auch  wohl 
in  den  späteren  Abschnitten,  wo  er  unsere  einzige  Quelle  ist,  nicht 
fehlen. 

Die  Darstellung  Gregors  ist  einfach  und  kunstlos ;  er  selbst 
bittet  um  Entschuldigung  deshalb:  ,Ich  bitte  die  Leser  vorher  um 
Verzeihung,"  sagt  er,  „wenn  ich  im  grofsen  oder  geringen  gegen 
die  Grammatik  fehlen  sollte,  denn  ich  bin  nicht  recht  bewandert 
in  dieser  Wissenschaft."  Die  Schulgelehrsamkeit  der  Zeit  mangelte 
ihm .  und  das  ist  ein  Glück  für  uns ,  ebenso  wie  bei  Eugippius. 
Gregor  selbst  sagt  darüber  nicht  ohne  Ironie,  dafs  er  sich  zu  dieser 
Arbeit  entschlossen  habe,  weil  kein  Gelehrter  sie  auf  sich  nehme, 
und  weil  er  häufig  verwundei't  habe  vernehmen  müssen,  dafs  einen 
Schriftsteller  von  gelehrter  Bildung  nur  wenige  verständen ,  des 
schlichten  Mannes  Rede  aber  viele')-  Einige  Stellen  seines  Werkes, 
wo  er  sich  in  dieser  Schreibart  versucht  hat,  zeigen  uns  die  Gefahr, 
vor  welcher  sein  Mangel  an  Schulbildung  uns  bewahrt  hat.  In  der 
Regel  aber  ist  seine  Schreibart  diejenige,  welche  sich  damals  für 
die  Legende  ausgebildet  hatte,  und  nach  und  nach  allgemein  herr- 
schend   wurde;   schlicht   und    einfach,    weil  sie  allgemein  verständ- 


')  ..IJuia  pbilosophantem  rhetorem  intellegunt  pauci.  loquentem  rusti- 
cum  multi."  Auch  bei  den  Griechen  war  eine  rhetorische  Kunstsprache 
üblich ;  im  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  drang  die  vulgärgriechische  Um- 
gangsprache durch  kirchlichen  Einfluls  in  die  Litteratur  ein.  Geizer, 
HZ.  LXl.  9. 


110  I.  Vorzeit.     §  8.     Gregor  von  Tours. 

lieh  sein  mufste,  und  erfüllt  von  biblischen  Ausdrücken  und  An- 
spielungen, dem  Standpunkte  der  Verfasser  und  dem  Zweck  ihrer 
Werke  angemessen,  da  sie  ja  sämtlich  Geistliche  sind  und  auch  in  der 
Darstellung  der  Geschichte  die  kirchliche  Bedeutung  derselben  fast 
überall  vorherrscht;  dabei  dem  verfallenen  Zustande  der  damaligen 
ümgangsprache  entsprechend,  erfüllt  von  den  ärgsten  grammatischen 
Verstöfsen ;  das  Gefühl  für  die  Bedeutung  der  Flexionsendungen 
hatte  sich  fast  ganz  verloren  '). 

Die  kunstlose,  einfache  Sprache  Gregors,  seine  behagliche,  me- 
moirenartige Erzählung,  welche  Geschichten  aller  Art,  die  gröfsten 
Staatsbegebenheiten  und  unbedeutende  Vorfälle  des  gewöhnlichen 
Lebens  bunt  durcheinander  mischt,  das  ist  es  eben,  was  seinem 
Werke  einen  so  groCsen  Reiz  verleiht,  und  es  zu  einem  so  treuen 
Spiegel  seiner  Zeit  macht,  dafs  ihm  in  dieser  Hinsicht  kein  zweites 
zu  vergleichen  ist. 

Vorzüglich  zeigt  uns  Gregors  Werk  auch,  wie  besonders  Loebell 
schlagend  nachgewiesen  hat,  die  völlige  Verschmelzung  der  fränki- 
schen und  der  romanischen  Bevölkerung:  von  einem  feindlichen 
Gegensatze  beider  Elemente  ist  nichts  darin  wahrzunehmen ,  und 
die  römische  Abkunft  des  Verfassers  hat  durchaus  keinen  Einflufs 
auf  seine  Darstellung  ausgeübt. 

Was  er  hörte,  was  er  sah,  das  erzählte  er,  ohne  weiteren  Zweck, 
als  das  Andenken  der  Dinge  zu  erhalten;  er  dachte  keineswegs  ge- 
ring von  dieser  Avifgabe  und  dem  Werte  derselben,  denn  ausdrück- 
lich beschwört  er  am  Ende  des  letzten  Buches  seine  Nachfolger  auf 
dem  Stuhle  des  heiligen  Martin,  sie  unverkürzt  und  unversehrt  der 
Nachwelt  aufzubewahren,  und  nichts  daran  zu  ändern.  Und  wenn 
auch  nicht  durch  ihr  Verdienst ,  so  ist  uns  doch  wirklich  Gregors 
Werk  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  überliefert  worden,  und  seit 
Jahrhunderten  hat  man  diese  ungeschminkte  Dai'stellung  einer  fernen 
Zeit  hoch  geschätzt  und  in  Ehren  gehalten.  Wir  können  ihm  keine 
hohe   Stelle   unter   den    Geschichtschreibern    einräumen ,    denn   ihm 


')  Ueber  seine  Bildung  und  Sprache  vgl.  Monod  S.  HO  ff.  u.  Bonnet. 
Die  neue  Ausgabe  von  W.  Arndt  läfst  mit  gröfserer  Sicherheit  seine 
Sprache  erkennen,  obgleich  leider  die  ältesten  Hs.  nicht  vollständig  sind. 
Diese  zeigen  einen  hohen  Grad  von  Barbarei ,  welche  sowohl  alte  Ab- 
schreiber als  neuere  Herausgeber  bei  Gregor  und  in  den  Heiligenleben 
fortwährend  abgeglättet  haben.  Es  mag  noch  in  Betracht  kommen,  dal's 
der  Frankengeschichte  die  letzte  Hand  fehlt;  doch  bleibt  es  andererseits 
auch  immer  noch  zweifelhaft,  was  gerade  die  ältesten  Abschreiber  schon 
angerichtet  haben  mögen.  Vgl.  gegen  W.  Meyers  Einwendungen  Kruscli 
im  NA.  XXVII,  321. 


Gregors  Frankengeschichte.  111 

fehlen  die  wesentlichsten  Eigenschaften,  welche  dazu  gehören,  die 
Beherrschung  des  Stoffes,  das  tiefere  Eindringen  in  den  Zusammen- 
hang der  Dinge;  aber  um  so  dankbarer  ist  es  anzuerkennen,  dafs 
er  nicht  versucht  hat,  was  ihm  nicht  gelingen  konnte,  sondern  sich 
in  Bescheidenheit  begnügte,  eine  reiche  Fülle  des  mannigfaltigen 
Stoffes  in  seinen  Werken  zusammenzufassen.  Von  vorzüglichstem 
Werte  ist  darunter  für  uns  seine  Geschichte  der  Franken ,  doch 
enthalten  auch  seine  Wundergeschichten  und  Heiligenleben  viele 
für  die  Charakteristik  der  Zeit  wichtige  Züge. 

In  seinen  letzten  Jahren,  als  die  blutigen  Stürme,  die  das  Fran- 
kenreich zerrissen  hatten ,  eine  Weile  ruhten ,  als  Childebert  und 
König  Gunthram  den  Frieden  aufrecht  hielten,  hat  Gregor  seine 
Erzählung  fortgeführt  bis  zum  Jahre  591;  am  Ende  fügte  er  noch 
eine  kurze  Geschichte  der  Bischöfe  von  Tours  ^),  und  zuletzt  einen 
Abrifs  seines  eigenen  Lebens  hinzu:  ein  Schlufswort,  welches  Monod 
als  Epilog  zu  allen  seinen  Wei'ken,  nicht  zur  Geschichte  allein  be- 
trachtet. Dann  begann  er,  wie  es  scheint,  sein  Werk  noch  einmal 
zu  übei'arbeiten ;  die  sechs  ersten  Bücher  enthalten  Einschiebungen, 
welche  um  diese  Zeit  geschrieben  sind,  und  diese  sechs  Bücher  sind 
denn  auch,  so  scheint  es,  zuerst  allein  bekannt  geworden;  nur  sie 
finden  sich  in  der  ältesten  Handschrift,  und  sie  allein  wurden  später 
in  einen  Auszug  gebracht. 

Bei  weitem  nicht  mehr  in  dem  Grade  wie  Isidor,  hatte  Gregor 
in  sich  aufgenommen,  was  von  der  alten  Bildung  noch  übrig  war; 
doch  war  si&  auch  auf  ihn  nicht  ohne  Einflufs  geblieben ;  hoch 
überragt  er  die  nun  folgende  Zeit  der  tiefsten  Barbarei,  wo  kaum 
noch  einzelne  Funken  litterarischen  Lebens  zu  finden  sind ,  wo  die 
aus  der  alten  Welt  herübergenommene  Bildung  fast  vollständig 
abstarb ,  während  zugleich  politisch  die  ärgste  Verwilderung  und 
Auflösung  eintrat:  im  7.  Jahrhundert,  sagt  0.  Abel,  nach  Brun- 
hilde  und  Fredegunde  verliert  im  merowingischen  Königshause  auch 
das  Laster  seine  Gröfse,  in  wachsender  Jämmerlichkeit  schleppt  sich 
das  entartete  Geschlecht  noch  anderthalb  Jahrhunderte  durch  die 
Geschichte. 

Erwähnt  habe  ich  vorher  (S.  107),  dafs  Gregor  auch  annalistische 
Notizen  benutzt  habe,  welche  im  Anfang  seiner  Geschichte  sehr 
deutlich   zu   erkennen   sind.     Mit   diesen   hat  man  sich  neuerdings 


')  Die  Grabschrift  eines  sonst  unbekannten  „Ebracharius  heros",  der 
zur  Zeit  des  etwas  späteren  Bischofs  Chrodobertus  4  Klöster  stiftete,  bei 
De  Rossi,  Inscriptt.  urbis  Romae  christ.  II,  1,  69. 


W-2  1.  Vorzeit.     §  8.     Gregor  von  Tours. 

sehr  eingehend  beschäftigt').  Schon  oben  S.  63  ist  der  Annalen 
von  Arles  gedacht  worden,  welche  mit  Kon sularf asten  verbunden 
sind.  Holder-Egger  hat  ihre  Benutzung  nachgewiesen  in  einer  Welt- 
chronik, welche  fälschlich  den  Namen  des  Severus  Sulpicius 
trägt'-),  und  bis  511  reicht;  nicht  unwichtig  für  die  westgotische 
Geschichte  von  450 — 500.  Er  findet  aufserdem  ihre  Spuren  bei 
Isidor,  Marius,  Jordanis,  und  in  Verbindung  mit  den  Ravennater 
Fasten  bei  Gregor  ^)  und  in  der  Fortsetzung  des  Prosper  bis  641. 
Gregor  hat  aufserdem  noch  Annalen  benutzt,  welche  wahrscheinlich 
aus  Angers  stammen,  und  burgundische,  welche  auch  Marius 
hatte,  und  deren  Verwertung  bei  beiden  ihre  Uebereinstimmung 
erklärt,  wie  W.  Arndt  nachgewiesen,  und  Monod,  welcher  früher 
Benutzung  des  Marius  bei  Gregor  angenommen  hatte,  ihm  zu- 
gegeben hat. 

Der  Bischof  Marius  von  Avenches,  ein  Zeitgenosse  Gregors, 
ist  zu  erwähnen  als  Verfasser  einer  Fortsetzung  des  Prosper,  oder 
vielmehr  des  Chronicon  imperiale  (oben  S.  92)  bis  581.  Marius 
scheint  ein  vortrefflicher  Mann  und  exemplarischer  Bischof  gewesen 
zu  sein ,  dazu  ein  geschickter  Goldschmied ,  welcher  kunstreiche 
Geräte  für  seine  Kirche  selbst  verfertigte.  Im  Jahre  530  oder  531 
aus  edlem  Geschlecht  im  Sprengel  von  Autun  geboren ,  wurde  er 
574  Bischof  der  alten  Römerstadt  Avenches ,  welche  sich  von  der 
Zerstörung  durch  die  Alamannen  niemals  recht  erholt  hatte,  und 
deshalb  verlegte  er  den  Sitz  des  Bischofs  nach  Lausanne,  wo  er 
am  31.  Dezember  594  gestorben  ist^). 

In  seiner  Schulbildung  stand  er  nicht  höher  als  Gregor.  Es 
verdient  Anerkennung,  dafs  er  in  dieser  Zeit  den  Versuch  machte, 
die  Weltchronik  fortzusetzen,  aber  dürftig  genug  ist  der  Versuch 
ausgefallen.  Er  besafs  ein  Exemplar  der  Ravennater  Fasten,  mit 
aiinalistischen  Notizen  aus  Arles  vermehrt,  und  benutzt,  ihnen  folgend, 


1)  W.  Arndt,  HZ.  XXVIII.  0.  Holder-Egger  in  der  S.  63  angeführten 
Schrift.  Reo.  von  J.  J.  M.  im  Litter.  Centralbl.  1875,  Sp.  1380,  von 
AV.  Arndt,  Jen.  LZ.  1875,  N.  48.  Arndts  Vorr.  S.  22,  wo  auch  noch 
annalistische  Notizen  aus  der  Auvergne  u.  aus  Poitiers  vermutet  werden, 
üeber  Annalen  von  Tours  s.  oben  S.  107. 

2)  Florez,  Esp.  sagr.  IV,  430—457;  vom  Jahre  379  an  wieder  abge- 
druckt bei  Holder-Egger;   ed.  Mommsen,  Auctt.  antt.  IX,  626 — 666. 

3)  Vgl.  Holder-Egger  im  NA.  I,  276—278. 

*)  W.  Arndt,  Bischof  Marius  v.  Aventicum.  Sein  Leben  und  seine 
Chronik.  Nebst  einem  Anhang  über  die  Konsulreihe  der  Chronik.  Leipz. 
Habilitationsschrift  1875,  nach  der  einzigen  HS.,  einst  in  St.  Trond,  jetzt 
Brit.  Mus.  16974.  Faks.  in  Arndts  Schrifttafeln  16.  Ausg.  v.  Mommsen. 
Auctt.  antt.  XI,  225—239. 


Marias  Aventicensis.     Legenden.  113 

die  Konsulreihe,  zu  welcher  er  die  Indiktionen  hinzufügt,  später  die 
Jahre  p.  c.  Basilii  und  die  Kegierungsjahre  Justins  II  und  Tiberius  II, 
als  einzige  brauchbare  Chronologie;  inmitten  der  vorübergehenden 
und  durch  innere  Kriege  erschütterten  neuen  Reiche  ist  ihm  die 
„res  publica"  das  einzig  bleibende,  und  ganz  aufserhalb  ihres  Be- 
reiches, scheint  er  doch  die  Kaiser  als  die  wahren  Herren  der 
Christenheit  zu  betrachten.  Uebrigens  berichtet  er  vorzüglich  die 
ihn  näher  berührenden  Vorgänge  des  burgundischen  und  des  frän- 
kischen Reiches,  und  was  er  mitteilt,  hat  für  uns  grofsen  Wert. 
Bis  467  lassen  sich  bei  ihm  (nach  W.  Arndt)  die  Annalen  von  Ai'les, 
bis  526  die  Ravennater  verfolgen.  Vom  Jahre  5U0  an  schöpft  er 
aus  burgundisch-fränkischen  Annalen,  vielleicht  bis  570  oder  571. 
Endlich  nimmt  Arndt  noch  „byzantinische,  wohl  in  Mailand  ver- 
fafste  Annalen"  an,  welche  bis  568  nachweisbar  wären,  und  auch 
von  Marcellin  benutzt. 

Verbunden  mit  diesen  Annalen  ist  ein  Anhang  von  581 — 624, 
von  Mommsen  hinter  Isidor  herausgegeben  (Auctt.  antt.  XI,  489 — 490), 
welcher  mit  Unrecht  von  Brosien  verdächtigt  ^) ,  von  G.  Monod  in 
Schutz  genommen  ist'),  in  Uebereinstimmung  mit  G.  Kaufmann^) 
und  H.  Hertzberg  ^).  Nach  letzterem  ist  der  erste  Teil  desselben  aus 
Isidor  entnommen ;  der  zweite  ist  selbständig,  erzählt  in  fliefsender 
Darstellung,  und  geht  bald  völlig  in  die  fränkische  Geschichte  über. 
Dieser  Anhang  ist  benutzt  in  der  Fortsetzung  des  Isidor  bis  636 
im  Cod.  Urbinas,  und  diese  wieder  in  der  Fortsetzung  des  Prosper 
bis  625.  Vollständig  aufgenommen  ist  er  in  der  Fortsetzung  des 
Isidor  von  1017  (MG.  SS.  XIII,  261). 

Im  burgundischen  Reiche  ist  angeblich  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  die  Vita  sanctorum  abbatum  Acau- 
nensium  (von  St.  Maurice  im  Wallis)  geschrieben,  welche  zuerst 
W.  Arndt  nach  einer  Abschrift  des  Jesuiten  P.  Fr.  Chifflet  heraus- 
gegeben hat  ^) ,  allein  Krusch  hat  gezeigt ,  dafs  es  sich  um  ein  Er- 
zeugnis des  9.  Jahrhunderts  handelt,  mehrere  Grabschriften  sind 
angehängt ,   namentlich   eine   in  rhythmischen  Versen  des  Priesters 

')  Krit.  Untersuchung  der  Quellen  zur  Geschichte  Dagoberts  T  (Gott. 
1868),  S.  5. 

2)  Revue  Critique  1873,  N.  42. 

^)  Forsch.  XIII,  418-424. 

")  Forsch.  XV,  317—324.     Vgl.  das  Fase,  bei  Arndt,  Schriftt.  16. 

*)  Kleine  Denkmäler  aus  der  Merowingerzeit ,  Hann.  1874.  Acta  SS. 
Nov.  I,  552 — 554,  mit  neuen  Hilfsmitteln  verbesserte  Ausg.  v.  De  Smedt, 
auch  mit  der  vorher  noch  fehlenden  Chronologica  Serien,  vgl.  Krusch, 
HZ.  LXIII,  102.     A.  Jahn,  Gesch.  der  Burgundionen  (1874)  II,  504—512, 

Wattenbach,  Gescliichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  8 


114  I-  Vorzeit.     §  9.     Fredegar. 

Pragmatius  auf  Probus').  Ein  ebenso  ungünstiges  Urteil  fällt  Kru  seh 
über  das  Leben  der  Stifter  von  Condate  (St.  Claude)  im  Jura  und 
zweier  anderer  Klöster,  Romanus,  Lupicinus  und  Eugendus,  angeb- 
lich von  einem  Schüler  des  letzteren  verfasst,  indem  er  es  aus  dem 
6.  in  den  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  versetzte,  doch  ist  dieser 
Annahme  von  Poupai'din  und  Duchesne  widersprochen  worden^). 
Dem  6.  Jahrhundert  gehört  das  Leben  eines  Einsiedlers  an ,  des 
Hostianus,  welcher  ein  Verwandter  des  Königs  Sigismund  war; 
geschichtliche  Thatsachen  sind  aber  nicht  daraus  zu  entnehmen  ^). 
Nach  Gregor  versiegt  im  Frankenreiche  die  geschichtliche  Auf- 
zeichnung der  Begebenheiten  fast  völlig,  und  nur  in  Burgund  ent- 
stehen noch  Schriften,  welche  uns  über  die  folgenden  Zeiten  dürftige 
Kunde  gewähren^). 

§  9.     Fredegar. 

Ausgabe  v.  Br.  Kruscli,  MG.  SS.  Her.  Merov.  II,  1888,  vgl.  Br.  Krusch,  Die  Chronicae 
fies  sog.  Fredegar,  NA.  Yll,  247— aöl.  421—516.  Auszug  des  fünften  Buclies  in 
Giesebrechts  Uebersetzung  des  Gregor.  II,  26ö— 281.  Die  Chronik  Fredegars 
(Buch  6)  und  der  Frankenkönige  übersetzt  von  Otto  Abel,  Berlin  1.S49.  1876. 
1888  mit  d.  Forts.  (Geschichtschr.  11.  VII,  2).  Schnürer,  Die  Verfasser  der  sog. 
Fi-edegarchronik,  Collectanea  Friburgensia  IX,  1900,  vgl.  NA.  XXVI.  266,  Sybels 
Hist.  Zeitschr.  LXXXVII,  295—299.  Ebert  S.  606.  Palacky,  Ueber  d.  Chronisten 
Fi-edegar  und  seine  Nachrichten  von  Samo,  .Jahrb.  des  Böhm.  Museums  I,  387 
bis  413.  Herm.  Brosien,  Kritische  Untersuchung  der  Quellen  zur  Gesch.  Dago- 
berts I,  Gott.  1868.  Alfr.  Jacobs,  Geographie  de  Fredegaire,  de  ses  Continuateurs 
et  des  Gesta  Francorum,  Paris  1859.  G.  Monod,  Revue  crit.  1873.  N.  42.  Ders., 
Du  lieu  d'origine  de  la  chronique  dite  de  P'redegaire,  im  3.  Bd.  d.  Jahrb.  f. 
Schweiz.  Gesch.  1878.  Ders.,  Sur  un  texte  de  la  compilation  dite  de  Fr.  relatif 
ä  l'fetablissement  des  Burgundions  dans  Tempire  Romain,  in:  Melanges  publies 
par  TEcole  des  hautes  etudes,  1878  (NA.  IV,  418).  Abdr.  des  cod.  10910,  von 
Monod  besorgt,  Bibl.  de  TEcole  des  hautes  etudes,  fasc.  63,  Paris  1885.  Faks.  v. 
Harl.  5251  im  Catal.  of  anc.  Mss.  pl.  52;  des  cod.  Ciarom.  im  Album  pal.  pl.  13, 
wo  H.  Omont  678  berechnet. 

Das  einzige  Geschichtswerk,  welches  uns  aus  dem  7.  Jahrhundert 
aufbewahrt  ist,  trägt  den  Namen  des  Scholasticus  Fredegar; 
aber  dieser  Name  findet  sich  nur  bei  J.  Scaliger  im  Jahre  1598  und 

gibt  den  ältesten  Text  der  ebenfalls  in  Agaunum  im  Anf.  des  8.  Jahr- 
hunderts geschriebenen  Passio  Sigismundi  regis  und  erweist  S.  513 — 518 
den  Unwert  der  von  Lütolf,  Glaubensboten  der  Schweiz  S.  172,  mitge- 
teilten Passio  SS.  Victoris  et  Ursi  nebst  der  Translatio.  Die  Passio 
Sigism.,  welche  einige  Umstände  aus  der  Tradition  u.  die  Translations- 
gesch.  bietet,  ed.  Kruscli,  SS.  Meroving.  II,  329—340. 

^)  S.  Krusch  in  Mel.  Jul.  Havet  p.  47—51  u.  die  Ausg.  SS.  Meroving. 
III,  171 — 183.  (ianz  wertlos  ist  das  Leben  des  Abtes  Severin  v.  Agaunum, 
eines  angeblichen  Zeitgenossen  Chlodovechs,  SS.  Meroving.  III,  166 — 170. 

^)  SS.  Meroving.  III,  125 — 166:  Vita  patrum  lurensium,  vgl.  Poupardin, 
Moyen  äge  XI  (1898),  S.  31— 48;  Melanges  d'archeol.  et  d'hist.  t.  XVIII. 
■     ^)  Analecta  Bolland.  II,  355—358;    vgl.  NA.  IX.  444. 

■•)  Völlig  unbekannt  sind  die  „regnorum  libri  diversarum  gentium, 
quos  pretiosissimo  dictamine  et  in  luculento  sermone  insignis  historio- 
graphus  edidit  Roter ius",   angeführt   in  der  Vita  Severi  Agath.   (Acta 


Die  Fredegarisclie  Chronik.  115 

in  den  Antiquites  Gauloises  et  Fran(;oises  von  Claude  Fauchet  1599, 
in  den  uns  erhaltenen  Handschriften  dagegen  nirgends  ').  Doch  ist 
es  zweckmäfsig  ihn  beizubehalten,  wie  ja  auch  allgemein  üblich  ist. 
Allein  durch  die  scharfsinnigsten  Untersuchungen  hat  Bruno  Krusch, 
gestützt  auf  die  früher  noch  nicht  bekannt  gewordenen  Kapitel  des 
Liber  generationum,  der  ganzen  Untersuchung  über  den  rätselhaften 
Schulmeister  —  den  Monod  für  einen  Mönch  in  St.  Marcel  zu  Chalon 
an  der  Saöne  hielt  —  eine  neue  Wendung  gegeben ,  und  unter 
seinem  kritischen  Messer  hat  das  scheinbar  einheitliche  Werk  sich 
in  ganz  verschiedene  Bestandteile,  in  die  Arbeiten  von  drei  Ver- 
fassern, aufgelöst.  Seine  Forschungen  sind  in  einigen  Funkten  von 
Schnürer  weitergeführt  worden. 

Zunächst  treten  uns  Annalen  entgegen,  die  in  Burgund,  im 
„pagus  Ultrajoranus",  vielleicht  in  Avenches,  von  wo  Marius  nach 
Lausanne  fortgezogen  war,  bis  in  den  Anfang  des  7.  Jahrhunderts 
fortgeführt  wurden,  und  deutlich  zu  erkennen  sind  in  der  Com- 
pilation  eines  Burgunders,  welcher  vielleicht  auch  auf  Grund  einer 
älteren  verloren  gegangenen  Quelle  die  Geschichte  bis  auf  seine  Zeit 
fortsetzte^),  und  um  den  Zusammenhang  der  Weltgeschichte  zu  ge- 
winnen, den  im  Jahre  235  von  Hippolyt  verfafsten  Liber  genera- 
tionis^)  und  einen  Auszug  aus  Hieronymus,  Isidor  und  Hydatius 
voranstellte*).  Auf  ihn  ist  auch  (nach  Schnürer)  das  dritte  Buch 
zurückzuführen,  ein  Auszug  aus  den  ihm  allein  bekannt  gewordenen 
sechs  ersten  Büchern  Gregors  von  Tours  ^).  Er  ist  der  Königin 
Brunichilde  überaus  feindlich  gesinnt.  Seine  nach  624  verfafste 
Arbeit  reicht  bis  zum  39.  Kapitel  (nach  Schnürer  bis  zum  42.)  des 


SS.  Aug.  25).  Er  soll  zu  Zeiten  K.  Reccareds,  also  gegen  600,  geschrieben 
und  über  die  Verheerung  gallischer  Städte,  bes.  Agde,  durch  Attila  be- 
richtet haben. 

1)  Vgl.  über  den  Namen  G.  Monod,  Etudes  crit.  p.  256;  Schnürer 
S.  237-259. 

^)  Dieser  ist  nach  Krusch  der  im  Prolog  als  quidam  sapiens  bezeich- 
nete, doch  ist  darunter  mit  Mommsen  (Auctt.  antt.  TX,  84  n.  3)  vielmehr 
der  liber  genealog.  als  Quelle  zu  verstehen. 

3)  Darüber  s.  Krusch,  NA.  Vif,  456;  vgl.  oben  8.60. 

•*)  G.  Kurth,  welcher  in  der  Revue  des  Questions  bist.  1890,  S.  60  ff. 
die  Geschichte  Chlodwigs  nach  Fredegar  behandelt,  weist  den  Teil  der 
Chronik  von  Chilperichs  Tod  bis  613  dem  zweiten  Compilator  zu,  indem 
er  bestreitet,  dafs  der  erste  überhaupt  etwas  Originales  geschrieben  habe 
(NA.  XV,  615). 

'")  Die  auch  abgesondert  vorkommende  sog.  Historia  epitomata  in 
93  Kapiteln.  Gegen  L.  v.  Rankes  Ansicht  (Weltgesch.IV,  2,  328-368), 
dafs  sie  nicht  als  Auszug  aus  Gregor  zu  betrachten  sei,  hat  sich  Waitz 
sehr  entschieden  erklärt.     Praef.  Greg.  Tur.  p.  VIII,  NA.  IX,  650. 


WQ  1.  Vorzeit.     §  9.     Fredegar. 

vierten  Buches  des  sogenannten  Fredegar,  und  dieser  Anfang  ge- 
winnt also  durch  diese  Entdeckung  bedeutend  an  Gewicht.  Der 
Fortsetzer  aber,  von  welchem  man  bisher  allgemein  annahm,  dafs 
er  vor  dem  Jahre  660  nicht  geschrieben  haben  könne,  nahm,  wie 
Krusch  jetzt  ganz  überzeugend  nachgewiesen  hat,  im  Jahre  642, 
bis  wohin  er  seine  Arbeit  geführt  hat,  das  ältere  Werk  vor;  er 
war  im  Süden  der  Loire  heimisch.  Er  versah  die  ersten  Bücher  mit 
Zusätzen,  nicht  ohne  Einmischung  von  allerlei  Fabeln,  namentlich 
im  dritten  Buche  nach  dem  wirklichen  Hydatius  jene  über  die 
Vorzeit  der  Franken,  von  welchen  Gregor  noch  frei  ist,  die  uns 
aber  von  nun  an  allei'orten  begegnen,  und  bald  weiter  ausgesponnen 
wurden:  Erzeugnisse  einer  kindischen  Gelehrsamkeit  und  kecker 
Erfindung,  echter  Sage  völlig  fremd,  die  aber  nach  und  nach  bei 
Halbgelehrten  und  Ungelehrten  Eingang  fanden  ^). 

Dasselbe  nun ,  was  die  ersten  Bearbeiter ,  für  ihre  Zeit  und 
Bildung  gut  genug,  geleistet  hatten,  vei'suchte  um  658  ein  dritter, 
ein  Austrasier ,  den  Krusch  vermutungsweise  nach  Metz  setzt;  er 
ergänzte  das  Werk  durch  einen  Auszug  der  Vita  Columbani,  der 
auf  nähere  Beziehungen  zu  Luxeuil  hinweist,  und  fügte  verschiedene 
Ergänzungen  über  austrasische,  westgotische,  oströmische  Geschichte, 
auch  über  Samo  hinzu;  von  ihm  mufs  auch  der  Absatz  vom  Schluss 
des  Kapitels  84 — 88  mit  entschieden  austrasischem  Charakter  her- 
rühren. Seine  Zuthaten  sind  es,  welche  früher  zu  der  Annahme 
führten ,  das  ganze  Werk  könne  nicht  vor  660  geschrieben  sein. 
Eine  weitere  Fortsetzung  aber  hat  er  nicht  zu  stände  gebracht. 
Man  hat  ihn  und  seine  Vorgänger  unter  den  Hofbeamten  gesucht, 
weil  sie  namentlich  mit  den  Hausmeiern  in  engen  Beziehungen  stan- 
den,    bestimmte  Personen   aber  lassen    sich   nicht  namhaft  machen. 

Wie  nun  später  die  Sammlung  fortgesetzt,  vermehrt  und  um- 
gestaltet ist,  werden  wir  noch  zu  betrachten  haben.     Unbehilflich, 

')  Vgl.  hierüber  Zarncke,  üeber  die  Trojanersage  der  Franken,  in 
den  Berichten  der  k.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1866,  S.  2.57 — 285,  nebst  dessen 
Anzeige  der  Schrift  v.  Wormstall ,  Die  Herkunft  der  Franken  von  Troja, 
Münster  1869,  im  Litt.  Centr.  1869,  381,  u.  G.  Waitz  zu  Jord.  Osnabrug. 
S.  13.  A.  Dederich,  Der  Frankenbund.  Hann.  1873.  A.  Thorbecke,  Ueber 
Gesta  Theoderici  (1875),  S.  9 — 13.  Lüthgen,  Die  Quellen  und  der  bist. 
Wert  der  fränkischen  Trojasage,  Diss.,  Bonn  1875.  Die  Entstehung  der 
Fabelei  ist  jetzt  lichtvoll  nachgewiesen  von  Krusch,  NA.  VII,  473.  Weitere 
Litteratur:  G.  Heeger,  Ueber  die  Trojanersage  der  Franken  und  Nor- 
mannen, Landau  1890.  0.  Dijjpe,  Die  fränk.  Trojanersagen,  Wandsbeck 
1896.  Tb.  Birt  im  Rhein.  Mus.  für  Philol.  LI  (1896),  506-528.  Die  in 
den  mit  Fortsetzungen  versehenen  Hss.  eingeschobene  HistoHa  Daretis 
Frigii  de  origine  Fruncorum  ist  nach  Fred.  S.  194 — 200  von  Krusch  her- 
ausgegeben. 


Fredegar  und  seine  Sprache.  117 

trocken  und  dürftig  war  diese  Schriftstellerei,  aber  es  kommt  auch 
Fredegar  gar  nicht  in  den  Sinn ,  grol'se  Ansprüche  zu  machen  ;  er 
empfindet  lebhaft  den  traurigen  Zustand  der  Zeit,  und  sieht  nach 
der  damals  herrschenden  Vorstellung  das  Ende  der  Welt  als  nahe 
bevorstehend  an.  „Wir  stehen  jetzt  im  Greisenalter  der  Welt,  sagt 
er ;  darum  hat  die  Schärfe  des  Geistes  nachgelassen ,  und  niemand 
vermag  es  in  dieser  Zeit  den  früheren  Schriftstellern  gleichzu- 
kommen." Sich  selbst  legte  er  nur  einen  bäurischen  und  ganz  be- 
schränkten Sinn  bei ') ,  und  diese  rührende  Bescheidenheit  sollte 
wohl  den  Spott  über  den  ehrlichen  Mann  entwaffnen ,  welcher  mit 
aller  Anstrengung  geleistet  hat ,  was  er  vermochte .  und  der  sich 
dadurch  um  die  Nachwelt  ein  unsterbliches  Verdienst  erworben  hat. 
Merkwürdig  wäre  es  allerdings ,  wenn  Fredegar  wirklich  einer 
Schule  vorgestanden  hätte;  denn  seine  und  seiner  Genossen  Kenntnis 
des  Lateinischen  war  unglaublich  gering,  seine  Sprache  ist  über  die 
Mafsen  barbarisch ,  aber  freilich  nicht  verschieden  von  derjenigen, 
welche  wir  auch  in  den  Urkunden  der  Zeit,  und  in  Italien  bis  ins 
11.  Jahrhundert  finden.  Entschieden  falsch  ist  es,  wenn  man  diese 
Sprache  als  die  des  romanischen  Volkes  bezeichnet,  sie  kann  nie 
gesprochen  worden  sein.  Alle  Flexionsendungen  sind  nämlich  darin 
vorhanden ,  sie  werden  aber  nur  noch  aus  Konvenienz  gebraucht, 
da  das  Gefühl  für  ihre  Bedeutung  sich  fast  ganz  verloren  hat  ^). 
Das  Volk  wirft  in  solchem  Falle  die  Endungen  ab,  und  bildet  sich 
neue;  nur  wer  gelehrt  scheinen  will,  braucht  sie  noch,  ohne  aber 
ihre  Bedeutung  recht  zu  kennen.  Treffend  vergleicht  einmal  Kausler 
diese  Schreibart  mit  schriftlichen  Aufsätzen,  die  einer  aus  der  nie- 
deren Klasse  in  der  Sprache  der  Gebildeten,  welcher  er  nicht  recht 
mächtig  ist,  niedergeschrieben  hat.  Wir  finden  sie  deshalb  nur  da, 
wo  die  Volksprache  der  lateinischen  noch  nahe  genug  stand ,  dafs 
man  lateinisch    schreiben    konnte,    ohne   es   schulgemäfs   erlernt  zu 


^)  Rusticitas  et  extremitas  sensus  mei. 

'^j  Krusch  hat  die  Eigentümlichkeiten  dieser  Sprache  sorgfältig  zu- 
sammengestellt, S.  486 — 494.  Vgl.  besonders  auch  0.  Haag,  Ueber  die 
Latinität  Fredegars  in  Vollmöllers  Roman.  Forschungen  X  (1899),  835 
bis  932.  Ganz  ungrammatisch  sind  auch  die  Reliquienverzeichnisse,  vgl. 
L.  Delisle,  Authentiques  de  Reliques  de  l'Epoque  Merov.  (Melanges  d'arch. 
et  d'hist.  IV,  1 — 8).  Welches  entsetzliche  Latein  man  noch  754  schrieb, 
zeigt  die  Unterschrift  des  Gundohin ,  Bibl.  de  l'Ecole  des  Chartes  VI, 
4,  217.  Vgl.  auch  Sickel,  Urkk.  der  Karolinger  I,  137  ff.,  dem  ich  aber 
darin  nicht  beistimmen  kann,  wenn  er  dieses  Kauderwelsch  als  sermo 
plebejus  bezeichnet.  Eine  ähnliche  Erscheinung  bietet  das  ausgehende 
15.  Jahrhundert  in  dem  Diarium  Nepesinum,  Arch.  della  See.  Rom.  di 
Storia  patria,  Vol.  VII. 


118  I.  Vorzeit.     §  9.    Fredegar.     §  10.    Gesta  Francorum. 

haben ,  besonders  in  Italien ,  wo  sich  ein  solches  Kauderwelsch  bei 
den  Notai'en  am  längsten  erhielt.  Dort  zeigt  es  sich  auch  deutlich, 
dals  die  Schreiber  weit  davon  entfernt  waren,  in  der  Volksprache 
schreiben  zu  wollen ,  denn  mitten  in  solchen  Urkunden  kommen 
Zeugenaussagen  in  ausgebildetem  Italienisch  vor. 

Fredegar  stand  übrigens  mit  seinem  Latein  durchaus  nicht 
allein  unter  der  fränkischen  Geistlichkeit  des  7.  Jahrhunderts;  das 
zeigt  uns  das  Leben  des  um  668  verstorbenen  Wandregisil,  des 
Stifters  von  Fontanelle  (St.  Wandrille),  welches  W.  Arndt  genau 
nach  der  schönen  Uncialhandschrift  hat  abdrucken  lassen ,  die  der 
etwa  ein  Menschenalter  nach  dem  Tode  desselben  anzusetzenden 
Abfassung  sehr  nahe  stehen  mufs  und  gewifs  mit  aller  Sorgfalt 
geschrieben  ist  0-  Jordanis  und  Gregor  von  Tours  scheinen  eben- 
falls schon  auf  diesen  Weg  geführt  zu  haben. 

Wiederum  verging  nach  Fredegar  mehr  als  ein  halbes  Jahr- 
hundert, in  dem,  aufser  einigen  Heiligenleben ,  unter  denen  jedoch 
mehrere  nicht  gering  anzuschlagen  sind,  das  ganze  Frankenreich 
keine  Spur  von  Geschichtschreibung  darbietet.  Erst,  in  den  letzten 
Zeiten  der  Merowinger,  als  in  Austrasien  schon  die  ganze  littera- 
rische Thätigkeit  dem  aufstrebenden  Geschlecht  der  Hausmeier  sich 
zugewandt  hatte,  wurde  in  Neustrien  ein  Werk  verfafst,  welches 
.sich  Gregor  und  Fredegar  anschliefst,  und  in  seiner  Armseligkeit 
dem  Zustande  des  absterbenden  Reiches  vollkommen  entspricht. 
Es  ist  daher  auch  kaum  möglich ,  bei  den  darin  Kapitel  44  an- 
geführten scrlptores .  wie  Krusch  S.  217  annimmt,  an  wii'kliche 
Geschichtschreiber  zu  denken;  mit  Recht  hebt  Kurth  hervor,  dafs 
mit  dem  ganz  unbedeutenden  Chlodwig  II  sich  nicht  mehrere  Ge- 
schichtschreiber beschäftigt  haben  werden ,  dagegen  in  Saint-Denis, 
wo  er  ihrem  Heiligen  einen  Arm  genommen  hatte,  verschiedentlich 
über  ihn  gesehrieben  sein  mag. 


§  10.     Die   T baten   der   Frankenkönige. 

Gesta  Francorum,  Boiniuet  11,  580.  Migne  XCVI ,  1421  aus  Duchesne.  Neue  Ausg. 
unter  dem  Titel  Liher  historiae  Francorum  von  L?r.  Krusch,  SS.  Merov.  II,  215 
bis  328.  Vgl.  f'auer,  De  Karolo  Martello.  Herol.  1841,  p.  11—28.  Brosien  p.  41 
bis  44^.  Breysig,  Karl  Martell  S.  112.  G.  Monod,  Les  Origines  de  riiistoriographie 
ä  Pai-is  (Mfemoires  de  la  Sociötfe  de  l'hi.stoire  de  Paris  et  de  l'Ile  de  France, 
Tome  III,   p.  219-240).    G.  Kurth,   Etüde  crit.  sur  les  Gesta  Rerum  Francorum, 

')  Kleine  Denkmäler  aus  der  Merowingerzeit,  Hann.  1874.  Abbildung 
bei  Silvestre  pl.  120.  Ueber  die  Wertlosigkeit  der  weiteren  daran  sich 
schliel'senden  Lebensbeschreibmigen  aus  der  Zeit  Karls  des  Gr.  s.  Levison 
im  NA.  XXV,  .59.8—607;   XXVI,  571—572. 


Die  Gesta  Francoruni.  119 

Bull,  de  l'Acatl  r.  de  Belg.  .'S  si-r.  t.  XVllI  il889),  p.  2(;i— 291.  Auszugsweise 
Uebersetzung  des  eisten  Teils  von  \V.  Giese1»iecht,  hinter  Gregor  von  Tours  ü, 
282-302.    Vollständig  von  639  an,  von  Abel,  hinter  Fredegar,  s.  oben  8.  114. 

Die  Anfänge,  die  Heikunft  und  die  Thaten  des  Frankenvolkes 
und  seiner  Könige  will  ich  erzählen  —  so  beginnt  nicht  ohne  Kühn- 
heit der  Verfasser  sein  Werk,  aber  genannt  hat  er  sich  nicht,  und 
obgleich  er  für  seine  Zeit  Aufserordentliches  leistete  und  im  ganzen 
Mittelalter  sein  Buch  viel  gelesen  wurde,  so  hat  doch  niemand  seinen 
Namen  uns  überliefert.  Ohne  Zweifel  war  er  ein  Neustrier.  E.  Cauer 
glaubte,  wegen  der  besonderen  Verehrung,  mit  welcher  er  des  heiligen 
Bischofs  Audoenus  gedenkt,  dafs  er  der  Kirche  zu  Rouen  angehört 
habe'),  und  dieser  Ansicht  hat  auch  Krusch  sich  angeschlossen,  und 
einige  Stellen  für  seinen  Aufenthalt  in  dieser  Gegend  geltend  ge- 
macht. Die  von  G.  Monod  aufgestellte  Vermutung,  dafs  der  Verfasser 
ein  aus  Spanien  geflüchteter  westgotischer  Mönch  in  Paris  gewesen 
sei,  kann  wohl  als  ausreichend  widerlegt  betrachtet  werden,  aber 
seine  Beziehungen  zu  Paris  sind  auch  von  Kurth  wieder  schärfer 
betont;  er  hält  ihn  für  einen  Mönch  von  Saint-Denis.  Seine  Heimat 
vermutet  er  in  der  Gegend  von  Laon  und  Soissons ,  von  wo  er 
allerlei  zu  berichten  und  Oertlichkeiten  zu  nennen  weifs. 

Neustrien  ist  das  Land,  von  dem  der  Verfasser  des  liher  historiae 
berichtet;  Austrasien  erwähnt  er  nur  gelegentlich,  er  liebt  es  nicht, 
und  von  dem  Neuen,  was  sich  dort  bildet,  ist  er  unberührt;  wäh- 
rend man  in  Austrasien  wenig  mehr  von  den  Merowingern  weifs, 
sie  in  den  Annalen  kaum  noch  nennt,  stehen  sie  bei  ihm  überall  im 
Vordergrunde.  Er  gehört  ganz  der  alten  Zeit  an,  und  bezeichnet 
durch  seine  den  Fredegar  weit  übertreffende  Dürftigkeit  und  Armut 
den  fortgehenden  Verfall,  wenn  auch  sein  Latein  weniger  barbarisch 
ist.  Dafür  aber  fehlt  ihm  auch  die  gelehrte  Belesenheit  Fredegars. 
Er  hat  für  die  alte  Zeit ,  aufser  dem  Prologus  legis  Salicae  -) ,  nur 
eine  Quelle,  die  ersten  sechs  Bücher  Gregors,  und  hierauf  gestützt 
unternahm  er  es  im  sechsten  Jahre  Theuderichs  IV  d,  i.  im  Jahre 
727^),  die  Geschichte  seines  Volkes  zu  schreiben.  Mit  mageren 
Auszügen  aus  Gregor  verbindet  er  wie  Fredegar  die  halb  volks- 
tümlichen ,  halb  gelehrten  Sagen  über  die  Anfänge  der  Franken ; 
dann  fährt  er  selbständig  fort,  nicht  Jahr  für  Jahr  berichtend,  son- 

')  1.  c.  p.  14. 

^)  Was  Kurth,  der  vielmehr  den  Prolog  für  jünger  hält,  m.  E.  ohne 
Grund  bekämpft.  Aufserdem  hat  Monod  in  c.  38  u.  40  eine  Verwandfe- 
sehaft mit  dem  Anhange  zu  Marius  Avent.  nachgewiesen. 

^)  Nicht  725,  wie  man  früher  annahm,  s.  Br.  Krusch,  NA.  X,  94,  wo 
die  Chronologie  der  letzten  Merowinger  berichtigt  ist,  und  Levison,  NA. 
XXVII,  359. 


120  I-  Vorzeit.     §  10.     Die  Thaten  der  Frankenkönige. 

dem  in  kurzen  Umrissen ,  wie  sie  sich  allenfalls  durch  mündliche 
üeberlieferung  erhalten  konnten.  Fredegars  Chronik  war  ihm  nicht 
bekannt,  und  soweit  diese  reicht,  ist  sein  Werk  kaum  zu  benutzen ; 
dann  aber  ist  es  für  lange  Zeit  die  einzige  zusammenhängende  Er- 
zählung, welche  wir  besitzen,  und  wie  er  seiner  eigenen  Zeit  näher 
kommt,  wird  seine  Darstellung,  wenn  sie  gleich  immer  dürftig  bleibt, 
doch  zuverlässig.  Die  besseren  Heiligenleben,  aus  denen  einzelne 
Abschnitte  sich  ergänzen  lassen,  bestätigen  seine  Angaben. 

Wenige  Jahre  nachher,  noch  bei  Lebzeiten  Theuderichs  IV,  der 
737  gestorben  ist,  hat  ein  Austrasier  eine  neue  Bearbeitung  dieses 
Buches  (B)  unternommen ,  welches  er  für  ein  Werk  Gregors  von 
Tours  hielt  und  dem  er  daher  den  Titel  gab  „Liber  sancti  Gregorii 
Toronis  episcopi  gesta  regum  Francorum".  Daher  der  gewöhnliche 
Titel,  an  welchem  man  als  an  einem  gewohnten  und  allgemein  ver- 
ständlichen wohl  auch  ferner  festhalten  wird.  Der  Verfasser  ergänzte 
einiges  aus  Gregors  Geschichte,  auch  aus  Isidor:  schon  736  wurde 
dazu  eine  Fortsetzung  geschrieben,  welche  wir  nur  in  überarbeiteter 
Gestalt  als  erste  Fortsetzung  des  Fredegar  kennen. 

Damit  ist  nun  die  Zahl  der  merowingischen  Historiker  erschöpft. 
Die  Thaten  Dagoberts^),  eine  von  einem  Mönche  zu  Saint-Denis 
verfafste  Kompilation,  um  das  Kloster  und  seinen  Stifter  zu  ver- 
herrlichen, zum  Teil  auf  mündlicher  Tradition  beruhend,  sind  von 
einigem  Wert  dui'ch  die  Benutzung  der  damals  noch  vorhandenen 
Urkunden ,  unter  welchen  schon  falsche  sich  befanden.  Hat  man 
früher  sie  in  das  Ende  des  9.  Jahrhunderts  gesetzt^),  so  weist  da- 
gegen Krusch  (S.  396)  nach ,  dafs  sie  835  schon  vorhanden  waren. 
Entschiedener  hat  Julien  Havet  ihre  Glaubwürdigkeit  in  Schutz  ge- 
nommen, natürlich  abgesehen  von  den  nur  wiedererzählten  Fabeln, 
vorzüglich  in  Bezug  auf  die  Thatsache,  dafs  wirklich  Dagobert  I., 
wenn  auch  bei  Lebzeiten  seines  Vaters,  das  Kloster  gestiftet  hat, 
während  Mabillon  eine  viel  frühere  Stiftung  annahm  ^). 

^)  Gesta  Dagoherti,  Ausg.  Bouquet  II,  580.  Migne  XCVI ,  1395  aus 
Duchesne.  Krusch,  SS.  Merov.  II,  396—425,  vgl.  Forsch.  XXVI,  161  —  191, 
ergänzt  durch  eine  scharfsinnige  Untersuchung  Levisons  im  NA.  XXVII, 
333 — 356,  der  das  darin  enthaltene  Testament  Dagoberts  zu  retten  sucht. 
Ueber  Hss.  dieses  Werkes  s.  Luchaire,  Bibl.  de  la  fac.  des  lettr.  XIII, 
3—5. 

2)  So  Monod ,  Rev.  crit.  1873 ,  II ,  S.  258 ,  welcher  die  Vermutung 
ausspricht,  dafs  die  Flucht  der  Mönche  vor  den  Normannen  nach  Reims, 
die  wahrscheinlich  mit  dem  Verluste  von  Urkunden  verbunden  war,  nach 
ihrer  Rückkehr  888  zu  dieser  trügerischen  Arbeit  den  Anlafs  gegeben  habe. 

')  Quest.  Merov.  V.  Les  origines  de  Saint-Denis  (Jul.  Havet,  Oeuvres 
I  [1896],  S.  191— 246).     Derselben  Zeit   schreibt   Havet   S.  223—225  die 


Gesta  Dagoberti.     Aimoin.     Briefe.  121 

Der  so  viel  benutzte  und  oft  angeführte  Aimoin  aber  ist  gar 
erst  aus  dem  Anfange  des  11.  Jahrhunderts  und  ohne  allen  eigenen 
Wert.  Es  war  die  Rohheit  der  Form,  welche  zur  neuen  Bearbeitung 
trieb,  wie  Aimoin  ausdrücklich  sagt,  und  aus  demselben  Grunde 
zog  man  später  diese  Bearbeitungen  vor.  Für  geschichtliche  Unter- 
suchungen aber  darf  man  sich  auf  Aimoin  so  wenig  wie  auf  den 
noch  späteren  Rorico  berufen'). 

Aktenstücke,  Gesetzbücher  und  Formeln^)  liegen  unserer  Auf- 
gabe fern ,  aber  gedenken  müssen  wir  doch  der  Briefe,  welche 
teils  einzeln  und  ihrer  besonderen  Wichtigkeit  wegen,  teils,  und 
vorzüglich,  in  Sammlungen,  die  als  Muster  gebraucht  wurden,  sich 
erhalten  haben.  Für  diesen  Zeitraum  schliefsen  sie  sich  an  die  be- 
rühmten Namen  der  Bischöfe  Avitus  von  Vienne,  dessen  wir  oben 
(S.98)  gedachten,  Remigius  von  Reims,  Desiderius  vonCahors^).  Von 
besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Sammlung  der  F.pistolde  Äustrasicae, 
welche,  mit  einigen  Schreiben  des  Remigius  beginnend,  in  grofser 
Zahl  amtliche  Korrespondenzen  der  Könige  Sigebert  und  Childe- 
bert  II  (bis  585)  enthält,  und  zwar  nach  Konzepten,  so  dafs  die 
Entstehung   notwendig   in    der   königlichen  Kanzlei   zu   suchen   ist. 


Passio  SS.  Dionijsii,  Rustici  et  FAeuthern  zu,  die  aber  nach  seiner  Ansicht 
in  Aquitanien  geschrieben  ist.  Sie  ist  gedr.  Auctt.  antt.  IV,  2,  101 — 105, 
als  fälschlich  Venantius  Fortunatus  zugeschrieben. 

')  Aimoin ,  von  dem  noch  unter  III ,  §  1 1  die  Rede  sein  wird ,  war 
Mönch  von  Fleury  und  widmete  sein  Werk  dem  Abt  Abbo  (f  1004).  Er 
wollte  die  Geschichte  bis  auf  Karls  des  Grotsen  Vater  Pippin  beschreiben, 
sein  Werk  reicht  aber  nur  bis  653.  Rorico  schrieb  in  sehr  geziertem 
Stil  und  reicht  bis  511.  Ueber  seine  Person  ist  nichts  bekannt,  nur 
weisen  einige  Umstände  nach  Amiens ;  mit  Unrecht  hat  man  aus  der 
idyllischen  Einkleidung  geschlossen,  dafs  er  die  Schafe  gehütet  habe. 
Vgl.  A.  Thorbecke  über  Gesta  Theodorici  (Heidelb.  Progr.  1875)  S.  13 
bis  18.  In  der  Chronikensammlung  von  St.  Denis,  welche  man  der  Ver- 
anlassung Sugers  zuschreibt,  wurde  Aimoin  mit  den  Gesta  Dagoberti, 
Gesta  Francorum ,  den  Fortsetzern  des  Fredegar  etc.  verbunden .  später 
die  Chronik  amtlich  fortgeführt  und  im  13.  Jahrhundert  alles  ins  Fran- 
zösische übersetzt.  Ausgabe  bei  Bouquet  III.  Die  darin  benutzte  Forts, 
aus  Saint-Germain-des-Pres  1125—1167  (=  Hist.  Lud.  VII)  teilweise  MG. 
SS.  XXVI,  151.  —  Den  Anfang  einer  eigentümlichen  Ueberarbeitung  der 
Gesta  Francorum.  welchen  Ekkehard  benutzt  hat,  teilt  Waitz  aus  einer 
Bamberger  Handschrift  mit,  Forsch.  III,  145 — 147:  vgl.  607. 

^)  Ueber  diese  genügt  es,  auf  die  Abhh.  v.  Zeumer.  NA.  VI,  9—115, 
XI,  811—358,  und  die  Ausg.  MG.  Legum  Sectio  V  zu  verweisen.  Den 
Bischof  Landerich ,  welcher  Marculfs  Sammlung  veranlalste .  hält  Z.  für 
den  Bischof  von  Meaux  um  700 ,  K.  Pfister  (Rev.  hist.  L ,  53)  für  einen 
Bischof  von  Metz  um  650,  was  Z.  längst  widerlegt  hat. 

^)  Die  letzteren  gab  Arndt  heraus,  Epp.  III,  191  —  214,  Verbesserungen 
dazu  von  Krusch,  SS.  Merov.  IV,  553  n.  1 ,  s.  aufserdem  Epistolae  aevi 
Merov.  collectae  ed.  Gundlach,  ib.  434 — 468. 


122  '•  Vorzeit.     §  10.     Die  Thaten  der  Frankenkönige. 

Hier  hatte  der  von  Fortunat  (L.  VII,  1  —  4)  besungene  Gogo  ge- 
wirkt, gefeiei't  als  ein  neuer  Cicero  wegen  seiner  Beredsamkeit,  Vor- 
steher der  Hofschule  und  aus  weiter  Ferne  aufgesuchter  Lehrer; 
zweimal  wird  er  als  Konzipient  genannt.  In  der  kritisch  gereinigten 
Ausgabe  von  Gundlach,  der  ersten  seit  F.reher,  sind  diese  Briefe  erst 
recht  benutzbar '),  doch  bleibt  der  Text  oft  schwierig  und  dunkel. 
Sehr  eigentümlicher  Art  ist  die  Korrespondenz  zwischen  einem 
Bischof  Frodebert,  vermutlich  Chrodebert  II  von  Tours,  und  Im- 
portunus  von  Paris  (um  666)^  welcher  jenem  u.  a.  vorwirft,  dafs 
er  des  Hausmeiers  Grimoald  Frau  entführt  habe.  In  höchst  bar- 
barischem Latein  verfafst,  aber  durchgehends  gereimt,  können 
diese  Schmähschriften  unmöglich  als  wirkliche  Briefe  betrachtet 
werden ,  sind  aber  um  so  merkwürdiger  als  ein  boshaftes  Pasquill 
des  7.  Jahrhunderts^).  Den  um  630  geschriebenen  Brief  eines 
Venerandus,  Stifters  von  Altaripa,  an  den  Bischof  Constantius  von 
Albi  hat  Traube^)  aus  einer  jungen  Handschrift  herausgegeben. 

Von  jenen  halb  verklungenen ,  halb  durch  Zuthaten  der  Schul- 
gelehrsamkeit entstellten  Stammsagen  der  Franken  finden  sich  Spuren 
auch  in  dem  schon  früher  (S.  100)  erwähnten  Prologe  des  Salischen 
Gesetzes,  und  an  diesen  erinnert  ein  seltsames  Werk  des  7.  Jahr- 
hunderts, die  poetische  Weltbeschreibung  eines  ungenannten 
Verfassers,  der  in  ganz  ähnlicher  Sprache  und  Weise  einige  Kapitel 
des  Isidor  in  Verse  brachte,  und  nur  über  die  Franken  einige  selb- 
ständige Zusätze  anbrachte,  in  denen  sich  das  stolze  Selbstgefühl 
jenes  Prologs  wieder  erkennen  läfsf).    Es  sind  dreizeilige  Strophen 

')  Gundlach,  NA.  XIII,  365—387;  Epp.  III,  110—153. 

^)  S.  Zeumer  im  NA.  VI,  75  u.  die  Ausg.  Formulae  p.  220—226. 

»)  Textgesch.  der  Reg.  S.  Bened.  S.  690—691. 

'')  Versus  de  rota  mundi,  ed.  Pertz ;  lieber  eine  fränkische  Kosmo- 
graphie  des  7.  .Jahrhunderts,  Abb.  der  Berl.  Ak.  1845,  S.  253.  Wright, 
Anecd.  p.  101 — 104  aus  Clm.  903.  Dazu  kommen  noch  die  Handschriften 
Cod.  S.  Galli  213  u.  Vat.  Pal  1357,  Arch.  XII,  854.  Vgl.  Huemer,  Unter- 
suchungen über  die  ältesten  lat.  christl.  Rhythmen  (Wien  1879)  S.  63 — 65. 
Manitius,  Gesch.  d.  christl.  lat.  Poesie  S.  474.  —  Ueber  eine  alte  f  rank. 
Völkertafel,  die  er  um  520  ansetzt,  Müllenhoff.  Abb.  d.  Berl.  Akad. 
1863,  S.  520.  Für  erheblich  jüngeren  Ursi^rung  Ad.  Bachmann ,  Wiener 
SB.  XCl,  864.  In  welche  Zeit  und  Verbindung  die  fabelhafte  Kosmo- 
graphic  des  Aethicus  gehört,  welche  bei  der  Trojanersage  eine  Rolle 
spielt,  ist  noch  dunkel;  Krusch  bemerkt  (vgl.  SS.  Merov.  II,  220),  „dafs 
darin  die  Fassung  der  Gesta  Francorum  von  736  benutzt  und  er  also 
erheblich  jünger  ist,  als  man  ihn  gewöhnlich  ansetzt.  Auf  die  erste 
Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  weist  auch  seine  Verwandtschaft  mit  der  Hist. 
Daretis,  welche  der  erste  Fortsetzer  des  Fredegar  in  den  Hieronymus  ein- 
schob :  beide  haben  die  Fabel  von  Francus  u.  Vassus,  beide  gleichen  sich 


Fonuelu.  Briefe  und  Verse.  123 

mit  sebr  ungenauen  Endreimen ,  rhythmische  Langzeilen  von  fünf- 
zehn Silben  mit  einer  Cäsur  nach  der  achten  Silbe,  eine  in  jener 
Zeit  häufige  Form.  Für  den  Verfasser  dieses  Kunstwerkes  hält 
Dümmler  denselben  Theodofridus,  welcher  ein  anderes,  nicht 
minder  rohes  Gedicht  über  die  sechs  Weltalter  verfafst  hat;  beide 
sind  von  demselben  Winitharius  abgeschrieben ;  auch  einen  dritten, 
chronologischen  Rhythmus  vom  Jahre  718  fügt  er  hinzu.  In 
Theodofrid  aber  erkennt  er  den  ersten,  bald  nach  657  aus  Luxeuil 
gekommenen  Abt  von  Corbie ,  welcher  um  681  Bischof  wurde, 
wahi'scheinlich  von  Amiens  ')• 

Höchst  eigentümlich  ist  eine  andere  Dichtung,  die  vielleicht 
ebenfalls  noch  dem  7.  Jahrhundert  angehört,  nämlich  ein  Lied, 
welches  sich  auf  Chlothars  II  Sieg  über  die  Sachsen  im 
Jahre  622  (?)  bezog,  wovon  uns  aber  leider  nur  ein  kleines  Bruch- 
stück erhalten  ist.  Es  bestand  ebenfalls  aus  je  drei  gereimten 
Zeilen,  die  aber  iambischen  Rhythmus  haben  und  je  vier  Hebungen 
enthalten.  Der  eigentliche  Held  des  Liedes  ist  der  heilige  Faro, 
Bischof  von  Meaux,  welcher  die  Gesandten  der  Sachsen  gegen  die 
beabsichtigte  Ermordung  von  selten  des  Königs  beschützt  hatte, 
und  ihm  zu  Ehren  wurde  nach  dem  Zeugnis  des  Biographen  des 
heiligen  Faro ,  Bischof  Hildegars ,  der  zu  Karls  des  Kahlen  Zeit 
schrieb ,  dieses  Lied  allgemein  von  Männern  und  Frauen  zum 
Tanze  gesungen ,  doch  hält  Krusch  dasselbe  für  eine  Fälschung 
Hildegars  ■). 

Ein  anderes,  noch  weit  merkwürdigeres  Lied  glaubte  Lenormant 
entdeckt  zu  haben''),  ein  historisches  Volkslied  des  6.  Jahr- 
hunderts zur  Feier  von  Childeberts  I  Feldzug  gegen  Sara- 
gossa im  Jahre  542.  Dieses  sollte  nämlich  paraphrasiert  sein  in 
dem  Leben  des  heiligen  Droctoveus,  ersten  Abtes  von  St.  Germain- 
des-Pres,    einer   Stiftung  jenes    Childebert,    und   sich    daraus   zum 


im  Stil  (z.  B.  gignarus  für  gnarus)."  Das  Gegenteil  behauptet  freilich 
K.  Plath,  Die  Königspfalzeu  (Berl.  Diss.  1892),  These  '2,  I,  10,  wonach 
Isidor  u.  die  Gesta  Franc,  aus  ihm  schöpfen.  A.  v.  Gutschmid  (Kl.  Sehr. 
V,  418—425)  setzte  ihn  vor  Fredegar  zwischen  630  u.  (540. 

')  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XXII,  423.  XXIII,  280,  Manitius  S.  476. 
Zustimmend  v.  Winterfeld,  NA.  XXV,  390,  A.  1. 

-)  Mab.  Acta  SS,  O.  S.  B.  II,  617.  Hildegar  war  aus  dem  Kloster 
St.  Denis.  Brosien  S.  58  schlägt  die  Glaubwürdigkeit  dieser  Vita  sehr 
gering  an.  Manitius,  S.  474,  hält  das  Lied  für  Uebersetzung  eines  frän- 
kischen, dagegen  Krusch  im  NA.  XX,  240.  XXI,  318,  der  die  Annahme 
Suchiers  von  einem  Volksepos  in  Gröbers  Zeitschr.  f.  Roman.  Phil.  1894. 
S.  175—194  bekämpft. 

^)  Bibl.  de  l'Ecole  des  Chartes  I.  1,  321. 


124  I-  Vorzeit.     §  11-     Fränkische  Heiligenleben. 

Teil  wieder  herstellen  lassen.  In  der  That  erinnern  Ausdrücke 
darin,  wie  torrens  pulchritiidinis  ^) ,  an  jene  alte  fränkische  Poesie, 
und  es  ist  nicht  unmöglich ,  dafs  wirklich  die  Spur  eines  alten 
Liedes  darin  zu  erkennen  ist;  im  übrigen  aber  ist  die  Erzählung 
von  der  angeblichen  Erwerbung  der  Stola  des  heiligen  Vincenz  auf 
jenem  Feldzuge  ganz  den  „Thaten  der  Franken"  entnommen,  und 
deshalb  die  Herstellung  jenes  Liedes  aus  den  Worten  der  Lebens- 
beschreibung ein  verfehltes  Unternehmen. 

§  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

C.  A.  Bernoulli.  Die  Heiligen  der  Merowiuger,  Tübingen  1900.  A.  Marignan,  Le  culte 
des  saints  sous  les  Merovingiens  (Etudes  sur  la  civilisat.  frang.  11,  Paris  1900). 
ilolinier.  Les  soiirces  de  l'hist.  de  Fr.  S.  9i — 165. 

Aufser  den  bis  jetzt  erwähnten  Geschichtswerken  ist  uns  aus  der 
Zeit  der  Merowinger  noch  eine  bedeutende  Menge  von  geschicht- 
lichem Material  erhalten  in  den  Legenden  der  Heiligen,  deren  Zahl 
in  diesen  Zeiten  aufserordentlich  grofs  ist.  Die  meisten  von  ihnen 
sind  kirchliche  Würdenträger  und  dadurch  auch  in  die  weltlichen 
Händel  verflochten  ;  ihre  Lebensbeschreibungen  würden  unschätzbar 
sein,  wenn  sie  nicht  erstlich  zu  ausschliefslich  blofse  Lobreden 
wären,  und  namentlich  die  weltlichen  Beziehungen  der  Heiligen  nur 
ganz  oberflächlich  berührten ,  zweitens  auch  zum  grössten  Teile  in 
späterer  Zeit  verfafst  wären  ^).  Auch  wo  vielleicht  eine  wirklich 
gleichzeitige  Aufzeichnung  vorhanden  war,  besitzen  wir  doch  häufig 
nur  eine  spätere  Ueberarbeitung;  noch  weit  häufiger  aber  hat  man 
das  Leben  des  Heiligen  erst  später  nach  unsicherer  Ueberlieferung 
beschrieben,  wenige  bekannte  Züge  nach  beliebten  Mustern  zu  einer 
ausführlichen  Geschichte  ausgemalt  und  Wunder  angehängt.  Na- 
türlich wurden  dann  die  Vorstellungen  der  späteren  Zeit  auf  diese 
schon  weit  entlegene  Vergangenheit  übertragen,  und  die  unkritische 
Benutzung  solcher  Quellen  trägt  einen  grofsen  Teil  der  Schuld  an 
den  falschen  Ansichten,  welche  bis  auf  die  jüngste  Zeit  über  die 
Zeit  der  Merowinger  herrschend  waren. 

Der  5.  Ausgabe  dieses  Buches  war  ein  alphabetisches  Verzeichnis 
aller  dieser  Legenden  mit  möglichst  vollständigem  Nachweise  der 
Litteratur ,  von  Br.  Krusch ,  beigegeben :  schon  ein  Blick  darauf 
genügt,  um  zu  zeigen,  wie  fern  die  grofse  Mehrzahl  unserem  Zwecke 

')  Vgl,  V.  Eligii  I,  14  (SS.  Merov.  IV,  680):  rex  Dagobertus  torrens 
pulcher  et  inclytus. 

^)  Vgl.  Brosien,  Quellen  Dagoberts  S.  47  ff. 


Fränkische  Heiligenleben.  125 

liegt,  während  allerdings  für  vollständige  Durchforschung  der  Mero- 
wingerzeit  alle  wenigstens  geprüft  werden  müssen.  Auch  für  die 
M.  6.  kann  nur  eine,  wenn  auch  sehr  weit  ausgedehnte,  Auswahl 
in  Betracht  kommen,  und  jede  Berührung  zeigt,  wie  viel  hier  noch 
für  die  Kritik  zu  thun  ist.  Br.  Krusch  hat  zuerst  die  von  Venan- 
tius  Fortunatus  herrührenden  Legenden  herausgegeben  und  die 
ihm  fälschlich  zugeschriebenen  damit  verbunden ;  SS.  Meroving.  II 
blieb  noch  Raum  für  die  Heiligen,  welche  der  königlichen  Familie 
angehören.  Von  der  aufserordentlich  grol'sen  und  mühsamen  syste- 
matischen Durcharbeitung  des  übrigen  Vorrats,  in  der  er  jetzt  von 
W.  Levison  unterstützt  wird,  liegen  uns  bereits  die  Ergebnisse  teil- 
weise in  dem  III.  und  dem  seiner  Vollendung  entgegen  gehenden 
IV.  Bande  der  SS.  Merov.  vor.  deren  Fortsetzung  dem  V.  und  VI. 
vorbehalten  bleibt.  Diese  Ausgaben,  durch  welche  alle  älteren  Vor- 
arbeiten auf  diesem  Gebiete  weit  überholt  sind,  müssen  jeder  ferneren 
Untersuchung  zu  Grunde  gelegt  werden. 

Die  Vifa  Vedastis  (f  540),  die  man  früher  für  eine  der  ge- 
schichtlich wichtigeren  hielt,  ist  schon  oben  S.  107  erwähnt;  das 
Leben  von  Chlodwigs  Gemahlin  Chrothildis^)  (f  548),  aus  den 
Gestis  Francorum  geschöpft,  ist  kaum  vor  dem  10.  Jahrhundert 
geschrieben  und  geschichtlich  unbrauchbar.  Von  Chlodovald 
(Saint  Cloud,  f  um  550).  einem  Sohne  Chlodomirs.  den  seine  Grofs- 
mutter  vor  dem  Schicksal  seiner  gemordeten  Brüder  bewahrte  und 
der  dann  ein  frommer  Priester  wurde,  gibt  es  eine  ganz  aus  Gregor 
entnommene  Lebensbeschreibung;  eine  zweite,  im  10.  Jahrhundert 
in  St.  Cloud  verfafste-)  ist  wertlos.  Nicht  so  inhaltlos,  wenn  auch 
hauptsächlich  Wundergeschichten  berichtend,  ist  das  von  Fortun at 
beschriebene  Leben  des  Bischofs  Germanus  von  Paris^)  (f  576). 
Des  Lebens  der  heiligen  Radegunde  (f  587)  wurde  schon  oben 
S.  102  gedacht.  Von  der  Passio  des  Bischofs  Desiderius  von 
Vienne  (f  606 — 607),  der  trotz  seines  unheiligen  Wandels  und 
seiner  dadui'ch  veranlafsten  Absetzung  wegen  seines  gewaltsamen 
Endes  als  Heiliger  verehrt  wurde,  verdanken  wir  die  älteste  Fassung 
dem  westgotischen  Könige  Sisebut,  während  eine  andere  jüngst 
bekannt  gewordene  und  spätere  Bearbeitungen  keinen  selbständigen 
Quellen  wert  besitzen'').  Durch  ziemlich  gleichzeitige  Entstehung 
und    noch    unverfälschte    üeberlieferung   ausgezeichnet   ist   die  erst 

1)  SS.  Meroving.  II,  341—348. 
•-)  ib.  849-357. 
^)  Auctt.  antt.  IV,  2,  11—27. 
")  SS.  Meroving.  III,  620—648. 


126  1-  Vorzeit.     §  11.     Fränkische  Heiligenleben, 

kürzlich  ^Yiedel•  aufgefundene  älteste  Lebensbeschreibung  des  Bischofs 
Gaugerich  von  Cambrai  (f  zw.  (323  und  626),  welche  manche 
kulturgeschichtlich  wichtige  Züge  und  auch  geschichtlich  brauchbare 
Nachrichten  bietet*).  Arnulf  und  Gertrud  werden  weiter  unten 
noch  zu  erwähnen  sein.  Zu  den  geschichtlich  wichtigsten  gehört 
wegen  der  darin  aufgenommenen  Aktenstücke  und  der  hervorragen- 
den Bedeutung  des  Mannes,  obgleich  es  frühestens  am,  Ende  des 
8.  Jahrhunderts  verfafst  ist,  das  Leben  des  Bischofs  Desiderius 
von  Gabors  (seit  630)^). 

Von  ausgezeichnetem  Wert  könnten  die  Lebensbeschreibungen 
der  Männer  sein,  welche  in  der  zweiten  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts 
zugleich  kirchlich  und  politisch  bedeutend  hervortreten,  vor  allem 
des  heiligen  Eligius  (St.  Eloi,  f  zw.  659  und  665),  zuletzt  Bischofs 
von  Noyon,  der,  hervorragend  als  kunstreicher  Goldschmied,  und 
deshalb  auch  Schutzpatron  dieser  Künstler^),  vorher  königlicher 
Schatzmeister ,  sich  besonders  durch  seine  Kirchenbauten  einen 
bleibenden  Namen  schuf,  doch  ist  auch  diese  Vita  erst  karolingischen 
Ursprunges.  Ein  gleichzeitiges  Werk  des  Audoen,  welches  er  dem 
Bischof  Chrodobert  von  Tours  übersandt  hatte,  ist  zwar  darin 
von  einem  Mönche  in  St.  Eloi  zu  Noyon  benutzt,  aber  dadurch 
nur  teilweise  erhalten  und  verfälscht.  Aebnlich  steht  es  mit  dem 
in  die  politischen  Händel  seiner  Zeit  tief  verstrickten  Bischof 
Leodegar  (St.  Leger)  von  Autun  (f  679) ,  dem  Gegner  des 
Maiordomus  Ebroin*).  Von  einer  seinem  Nachfolger  Hermenar  vor 
693  gewidmeten  gleichzeitigen  Vita  entdeckte  und  veröffentlichte 
Krusch  ein  bedeutendes  Bruchstück,  daneben  erscheint  ein  angeb- 
licher Zeitgenosse  Ursinus  als  ein  Fälscher  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  8.  Jahrhunderts  im  Interesse  der  Abtei  St.  Maixent,  welche 
ohne  sonstige  Beziehung  zu  ihm  den  Leib  Leodegars  besals.  Diese 
beiden  Biographien  sind  dann  in  einer  anonymen  Kompilation  ver- 


1)  Analecta  Bolland.  VII,  388—398;  vgl.  Krusch,  NA.  XVI,  225—234. 
SS.  Meroving.  III,  649—658. 

2)  Labbe,  Bibl.  nova  I,  699  u.  App.  vgl.  Krusch,  Forsch.  XXII,  466. 
SS.  Meroväng.  IV,  547—602,  vorher  von  R.  Poupardin,  La  vie  de  St.  Didier 
ev.  de  Gabors,  Paris  1900,  vgl.  NA.  XXV,  831. 

2)  D'Achery  Spicil.  V,  156.  Hall.  Diss.  v.  0.  Reich,  1872  (verfehlt). 
Uebers.  im  Auszug  Geschichtschr.  XI  (VII,  2),  S.  160—173.  Neue  Aus- 
gabe SS.  Meroving.  IV,  634—741. 

*)  Ueber  das  Bruchstück  einer  gleichzeitigen  Vita,  die  Fälschungen 
des  Ursinus,  die  Kompilation  des  Anonymus  aus  beiden,  Krusch,  NA.  XVI. 
563—596.  Die  Vita  metrica  (nicht  von  Walahfrid)  Poet.  Lat.  III,  1—37 
aus  St.  Maixent.  Uebers.  des  Anon.  Geschichtschr.  XI  (VII,  2),  S.  141 
bis  156.     Vgl.  0.  Läger  (Progr.),  Nordhausen  1892. 


Fränkische  Heiligenleben.  127 

arbeitet  worden,  deren  Wert  darin  besteht,  dafs  sie  uns  von  der 
ersteren  Vita  gröl'sere  Teile  allein  erhalten  hat.  Eine  sehr  wert- 
volle Ergänzung  zum  heiligen  Leodegar  bildet  die  von  einem  Zeit- 
genossen verfal'ste,  sehr  glaubwürdige  Vita  des  Bischofs  Praeiectus 
von  Clermont,  als  deren  Verfasser  Krusch ,  der  ihren  Prolog  und 
Schluss  zum  erstenmal  herausgegeben  hat  (NA.  XVIII,  629 — 649), 
keinen  geringeren  als  Jonas  vermutet.  Von  dem  heiligen  Audoinus 
(Audoenus)  oder  Dado  (St.  Ouen) ,  seit  dem  13.  Mai  641  Bischof 
von  Rouen,  vorher  Referendar  am  Hofe  Dagoberts  und  Freund  des 
heiligen  Eligius  (f  687),  besitzen  wir  drei  Biographien,  von  denen  nur 
die  älteste  sehr  dürftige,  zu  Anfang  des  8.  Jahrhunderts  verfalst, 
einen  eigentlichen  Quellenwert  beanspruchen  kann').  Die  zweite, 
gegen  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  in  Rouen  verfalst,  vermehrt 
den  Stoff  fast  nur  aus  uns  bekannten  Quellen,  noch  wertloser  ist 
die  dritte,  eine  Ueberarbeitung  beider. 

Zu  den  nicht  gering  zu  schätzenden  Leistungen  des  7,  Jahr- 
hunderts gehört  auch  noch  das  Leben  der  Balthildis,  der  Ge- 
mahlin Chlodwigs  II.  ^)  (t  um  680),  der  Stifterin  von  Corbie  an  der 
Somme  und  von  Chelles,  wo  wahrscheinlich  diese  Schrift  zur  Feier 
ihres  Andenkens  verfalst  ist.  Wie  elend  dagegen  das  in  viel  späterer 
Zeit  im  Kloster  Stenay  geschriebene  Leben  Dagoberts  III.') 
(t  716),  den  aber  der  Verfasser  für  den  Zweiten  hält ,  ausgefallen 
ist,  das  möge  man  in  dem  Vorworte  von  Krusch  nachlesen.  Es 
hat  nur  dadurch  eine  relative  Bedeutung,  dafs  es  von  Theofrid 
von  Echternach  und  von  Albrich  als  Quelle  benutzt  worden  ist. 
In  Betreff  des  Lebens  der  heiligen  Odilia  (f  um  720)  ist  nur  zu 
warnen  vor  den  als  Reste  eines  angeblich  ältesten  Lebens  veröffent- 
lichten Bruchstücken,  welche  eine  Fälschung  Vigniers  sind,  während 
die  echte  Vita  doch  auch  nicht  älter  als  das  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts ist  und  geringen  Wert  haf).  Von  den  Lütticher  Heiligen 
Hubert  (f  um  727)  und  Lambert  wird  weiter  unten  die  Rede  sein.  Zur 
Zeit  des  ersteren  unter  Karl  Mai'tel  fand  eine  Erhebung  der  Gebeine 
des  heiligen  Servatius  statt ,  der  vim  die  Mitte  des  4.  Jahrhundei'ts 


')  Acta  SS.  Aug.  IV,  805—809,  vgl.  NA.  XII,  603.  Verse  zu  seinem 
Lobe  von  seinem  Nachfolger  Ansibert  NA.  XIV,  171  .  ed.  Vacandard, 
St.  Ouen  mit  Facsim.  1901,  Krusch  im  Anhange. 

2)  SS.  Meroving.   il,   475—508.     Auszug  Geschichtschr.  XI    (VIT,  2), 

g      IK'? 1KQ 

3)  ib.  S.  509-524.  Vgl.  B.  Simson  NA.  XV,  557  über  das  Verhältnis 
der  V.  Dagoberti  TII  zum  Texte  der  Ann.  Mett. 

•»)  Vgl.  NA.  XVIT,  223.  628.  Herausgeg.  v.  Chr.  Pfister,  Anal.  Bolland. 
XIII,  1-32. 


128  ^-  ^  orzeit.     §  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

dem  später  nach  Mastricht  verlegten  Bistum  Tongern  vorstand. 
Als  man  dann  auch  eine  Lebensbeschreibung  desselben  haben  wollte, 
wurden  die  Nachrichten,  welche  Gregor  von  Tours  über  den  um 
100  Jahre  jüngeren  Bischof  Aravatius  hat,  einfach  auf  seinen  älteren 
bis  auf  den  Namen  verschollenen  Vorgänger  übertragen'). 

Zunächst  aber  wollen  wir  uns  hier  noch  einer  Betrachtung  der- 
jenigen Legenden  zuwenden ,  welche  eine  nähere  Beziehung  auf 
Deutschland  haben  und  die  erneute  Pflanzung  des  Christentums  auf 
deutschem  Boden  berühren. 

Die  Franken  haben  sich  damit  nicht  viel  befafst;  es  kümmerte 
sie  wenig,  da(s  so  viele  ihrer  Landsleute  noch  Heiden  waren;  im 
alten  Frankenlande  an  der  Scheide  fand  noch  im  7.  Jahrhundert 
der  Aquitanier  Amandus  viel  Heidentum  auszurotten^).  Er  pre- 
digte auch  den  Slaven  (in  Kärnten)  und  den  Basken ,  das  Bistum 
Mastricht  (647 — 649)  legte  er  nach  kurzer  Zeit  wieder  nieder  und 
endete  sein  vielbewegtes  Leben  in  dem  später  nach  ihm  benannten 
Kloster  zu  Elno,  das  er  ebenso  wie  Blandigny  und  die  Petersabtei 
zu  Gent  gestiftet  hatte.  Sein  Biograph,  der  Mönch  Baudemund, 
scheint  nicht  mehr  zu  seinen  eigentlichen  Zeitgenossen  gehört  zu 
haben,  doch  zeigt  er  sich  wohl  unterrichtet  und  zuverlässig.  Sein 
Werk  wurde  in  karolingischer  Zeit  von  Milo  in  Hexameter  um- 
gedichtet. War  doch  bei  den  christlichen  Franken  selbst  nicht  viel 
mehr  als  die  äulsere  Form  der  Rechtgläubigkeit  übrig  geblieben; 
fromme  Männer  fanden  zu  Hause  Spielraum  genug  für  ihre  Thätig- 
keit.  Die  Mission  finden  wir  daher  in  diesen  -Jahrhunderten  fast 
ausschliefslich  in  den  Händen  Schottischer,  d.  h.  nach  dem 
Sprachgebrauch  des  früheren  Mittelalters  Irländischer  Mönche^), 
welche  damals  alle  Länder  durchzogen.  In  dieser  Insel,  welche 
allein    ihre    keltische  Bevölkerung    ungemischt    bewahrt  hatte,    die 

^)  Vita  Servatii  vel  potius  Aravatii  ep.  Tungrensis  ed.  Krusch,  SS. 
Meroving.  III,  87 — 89,  vorher  Kurth,  Deux  biographies  inedites  de  St. 
Servais,  Liege  1881,  der  eine  ältere  Quelle  als  Gregor  v.  Tours  bestritt, 
dagegen  Anal.  BoUand.  I,  89  ff.  Vgl.  auch  Kurth,  Nouvelles  recherches 
sur  St.  Servais,  Liege  1884,  gegen  V.  de  Smedt,  wo  irrig  die  Benutzung 
eines  älteren  Epitaphs  angenommen  und  Fortunatus  als  Vei-fasser  der 
ältesten  Vita  vermutet  wird. 

^)  Ueber  ihn  und  seine  Biographen  Baudemund  (Mabillon  Acta  SS. 
II,  710 — 719,  Ausgabe  von  Krusch  bevorstehend)  und  Milo  (ed.  Traube, 
Poet.  Carol.  III,  567—600)  s.  Rettberg  I,  5.54.  Brosien  S.  49.  Hauck 
I,  311 — 315,  an  spätere  Einschiebsel  ist  jedoch  nach  Krusch  nicht  zu 
denken. 

3)  Vgl.  Isidor.  Etymol.  XIV,  6,  6 ;  Beda  Hist.  Angl.  I  c.  1 ;  II,  4  p.  8. 
70  ed.  Holder;  Ratramn.  contra  Graecor.  oppos.  1.  IV  c.  3  bei  Dachery 
Spicil.  11,  119. 


Schotlenmönche.  129 

allen  fremden  Welthändeln  ferne  lag,  war  das  Christentum  mit  dem 
hingehendsten  Eifer  aufgenommen  worden,  und  hier  war  bald  nicht 
nur  die  strengste,  mönchische  Frömmigkeit,  sondern  auch  eine 
ernstliche  wissenschaftliche  Thätigkeit  zu  Hause ;  während  im  ganzen 
Abendlande  die  gelehrte  Bildung  unterzugehen  und  zu  verschwinden 
drohte,  fand  sie  hier  sorgsame  Pflege^),  freilich  nur  im  Dienste  der 
Kirche.  Man  schrieb  die  heiligen  Schriften  ab,  man  lernte,  um  sie 
zu  verstehen,  lateinisch  und  griechisch,  man  beobachtete  die  Sterne, 
um  die  kirchlichen  Feste  berechnen  zu  können,  man  übte  die  Musik 
für  den  Gottesdienst,  baute  Kircben  und  Glockentürme,  man 
schmückte  die  Bücher  der  Kirchen  mit  kunstreicher  Malerei  und 
ihre  Altäre  mit  köstlichen  GefäCsen.  Doch  auch  die  profanen  Schrift- 
steller erschienen  hier  nicht,  wie  in  Italien,  gefährlich;  die  Echtheit 
der  Columban  zugeschriebenen  Gedichte,  worin  die  alten  Dichter 
viel  benutzt  und  angeführt  werden,  hat  man  ohne  triftigen  Grund 
bezweifelt.  Vorzugsweise  aber  äulserte  sich  die  Frömmigkeit  dieser 
Mönche  in  weiten  Pilgerfahrten,  in  dem  Verlassen  der  Heimat,  um 
in  entlegener  Fremde  als  Einsiedler  zu  leben  oder  Klöster  zu  gründen, 
um  unter  Christen  und  Heiden  das  Evangelium  zu  predigen^).  Das 
Frankenreich  war  erfüllt  von  ihnen  :  was  gäben  wir  darum ,  wenn 
sie  aufgeschrieben  hätten ,  was  sie  sahen ;  wenn  sie  uns  über  ihre 
Thätigkeit  und  ihre  Schicksale  zuverlässige  Berichte  hinterlassen 
hätten  !     Allein  das  lag  ihnen  ferne ;  sie,  die  Meister  im  Schreiben, 


^)  Eine  seltsam  sagenhafte  Aufzeichnung  in  einem  Leidener  Cod.  s.  XII 
läfst  die  römische  Lehrer  vor  den  Hunnen  und  anderen  Barbaren  nach 
Irland  flüchten,  mitgeteilt  von  Luc.  Müller,  Neue  Jahrbücher  für  Philol. 
XCIII,  389. 

^)  Vgl.  Fr.  Keller,  Bilder  u.  Schriftzüge  in  den  irischen  Manuscripten 
der  schweizerischen  Bibliotheken  (Mitteilungen  der  Antiquarischen  Gesell- 
schaft in  Zürich  VII,  3)  1851.  Wattenbach,  Die  Congregation  d.  Schotten- 
klöster in  Deutschland ,  in  der  Archäologischen  Zeitschr.  von  Otte  und 
von  Quast,  Heft  1  und  2.  Haureau,  Ecoles  d'Irlande,  Singularites  bist. 
(1861)  p.  1—36.  Arbois  de  Jubainville,  Introduction  ä  l'etude  de  la  litt. 
Celtique.  Die  seltsamen  Ansichten  Ebrards  über  die  Culdeer  in  der  Zeit- 
schrift f.  bist.  Theol.  XXXII  u.  XXXIII  (Die  Irische  Missionskirche  1873. 
Bonifatius,  der  Zerstörer  des  Columbanischen  Kirchenthums  auf  dem 
Festlande,  1882)  kann  ich  nur  erwähnen,  um  davor  zu  warnen.  Hier  ist 
Friedrichs  Polemik  durchaus  zutreffend.  Auch  0.  Reicli  bekämpft  sie. 
Jetzt  kann  verwiesen  werden  auf  Loofs,  Antiquae  Britonum  Scotorumque 
ecclesiae  quales  fuerint  mores  etc.,  Lips.  1882.  Vor  allem  H.  Zimmer, 
Keltische  Kirche  in  Britannien  und  Irland,  Protestant.  Realencyklopädie 
3.  Aufl.  X,  204—243.  Keledei,  verheiratete  Anachoreten,  kommen  erst 
im  8.  Jahrhundert  auf,  nach  R.  Paulis  Anz.  von  Skene,  Celtic  Scotland 
II,  GGA.  1878,  S.  1015  ff.  VgL  Krusch,  NA.  IX,  141—167  den  Streit 
über  die  Osterfeier. 

Watt enb ach,  Geschichtsquellen.    1.    7.  .\ufl.  9 


130  '•  Vorzeit.    §  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

hatten  für  geschichtliehe  Aufzeichnungen  keinen  rechten  Sinn,  und 
nur  wo  sie  so  bedeutend  wirkten ,  dafs  dauernde  Gründungen  ihr 
Gedächtnis  bewahrten  ,  hat  ihr  Andenken  sich  erhalten.  Aber  in 
völlig  nebelhaften  Umrissen  würde  ihr  Bild  uns  verschwimmen, 
wenn  nicht  glücklicherweise  einer  von  ihnen ,  und  zwar  von  allen 
der  hervorragendste ,  in  Italien  einen  Biographen  gefunden  hätte. 
Das  ist  S.  C  0 1  u  m  b  a  oder  Columbanus ,  der  Stifter  von  Bobio '), 
von  dem  älteren  Columba  (f  598),  dem  Stifter  von  Jona,  zu  unter- 
scheiden. 

Nach  der  Gewohnheit  dieser  Schottenmönche  zog  Columban,  ge- 
bürtig gegen  530  aus  Leinster,  gegen  das  Ende  des  6.  Jahrhunderts") 
mit  zwölf  Gefährten  aus  von  dem  Kloster  Benchuir  oder  Bangor; 
staunend  und  tief  ergriffen  lauschte  das  Volk  im  Frankenreiche 
ihrer  feurigen  Beredsamkeit,  die  entartete  Geistlichkeit  aber  scheute 
die  strengen  Bufsprediger  und  fürchtete  ihren  Einflufs  auf  die  Menge. 
Die  Könige  dagegen  nahmen  sie  willig  auf,  ihr  Eifern  gegen  die 
ganz  verfallene  Kirchenzucht  war  ihnen  willkommen  und  auf  Chil- 
deberts  Wunsch  liefs  Columban  sich  mit  seinen  Begleitern  in  dem 
Wasgau  nieder;  zahlreiche  Schüler  strömten  ihnen  zu,  und  bald 
entstanden  Klöster  in  der  Wildnis,  im  Jahre  591  zuerst  Annegray, 
dann  vor  allem  Luxeuil.  Es  waren  dies  nicht  grofsartige  Gebäude, 
wie  in  der  späteren  Zeit,  sondern  wie  einst  Severins  Ansiedelungen 


1)  Vgl.  Rettberg  II,  35.  G.  Hertel,  Ueber  des  h.  Columba  Leben  u. 
Schriften,  bes.  über  seine  Klosterregel,  Zeitschr.  f.  bist.  Theol.  1875,  III, 
396—454.  Hauck  I,  251—274.  325—326.  583—585.  Vita  S.  Columbani 
auct.  Jona  abb.  Bobiensi ,  Mab.  Actt.  II,  5.  Im  Ausz.  übers,  von  Abel, 
hinter  Fredegar.  Daran  schliefst  sich  als  zweites  Buch  die  T'.  ÄthaJae 
abb.  Bob.  (Mab.  II,  123)  und  Eustasii  (S.  116);  die  Vita  Burgundofarae 
oder  Gesta  in  coenobio  Ebroicen^i  (S.  439)  und  F.  Bertulfi  abb.  Bob. 
(S.  160),  das  ganze  Werk  des  Jonas  jetzt  bei  Krusch,  SS.  Meroving.  IV, 
1 — 152:  die  erste  kritische  Ausgabe.  Ueber  die  aus  der  Vita  Eustasii 
schöi^fenden  Biographen  des  Agilus  und  der  Salaberga  s.  Büdinger,  SB. 
der  Wiener  Akad.  XXIII,  372—383.  Brosien  S.  51.  —  Versus  de  Bobuleno 
abbate,  einen  alphabetischen  Rhythmus  auf  Bertulfs  Nachfolger  in  Bobio, 
nicht  gleichzeitig  und  ohne  viel  Inhalt ,  hat  Dümmler  herausgegeben, 
NA.  X,  334  und  Krusch,  SS.  Meroving.  IV,  153—156. 

2)  Im  Jahre  590  nach  G.  Hertel,  Anm.  zur  Gesch.  Columbas,  Zeitschr. 
f.  Kirchengesch.  III,  145—150.  —  C.  Briefe  ed.  Gundlach,  Epp.  III,  154 
bis  190  (vgl.  SS.  Meroving.  IV,  20)  s.  Krusch,  NA.  X,  84—88;  Gundlach 
ib.  XV,  497—526;  0.  Seebass  ib.  XVII,  243—259  u.  Entgegnung  v.  Gund- 
lach S.  425—429.  Seebass  hält  in  der  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  XIV, 
93  ff.  gegen  Gundlach  seine  Meinung  aufrecht,  dafs  der  Brief  Epp.  III, 
177  nicht  von  Columba  sei.  Er  beginnt  daselbst  die  Ausgabe  seiner 
Schriften  mit  Ausnahme  der  Briefe,  fortgesetzt  XV,  366  ff.  XVII,  215  ff. 
XVIIT,  58  ff.,  vgl.  dazu  NA.  XXI,  739—746.  —  E.  Dümmler,  NA.  VI,  190 
gab  das  Ruderlied  En  silvis  caem  heraus. 


Sankt  Columbanus.  131 

Haufen  unscheinbarer  Hütten,  in  deren  Mitte  eine  kleine  Kirche  sich 
erhob;  neben  ihr  der  runde  Turm,  der  die  Glocken  trug,  und  im 
unteren  Geschofs,  von  der  Erde  nur  auf  Leitern  zugänglich,  eine 
Zuflucht  in  Zeiten  der  Gefahr  darbot. 

Aber  Columbans  Feuereifer  schonte  auch  die  Könige  nicht; 
keine  menschliche  Rücksicht  konnte  ihn,  eine  heftige  und  leiden- 
schaftliche Natur,  bestimmen,  zu  dem  sittenlosen  Treiben  des  bur- 
gundischen  Hofes  zu  schweigen,  und  furchtlos  trat  er  den  Aus- 
schweifungen Theuderichs  entgegen.  Den  Bischöfen  war  er  längst 
zuwider ;  schon  die  blofse  Anwesenheit  dieser  Mönche  im  Lande  vex'- 
anlafste  zu  Vergleichungen  ihres  asketisch  strengen  Lebens  mit  dem 
lockeren  Wandel  der  merowingischen  Prälaten.  Die  Abweichung 
der  irischen  Kirchengewohnheiten  von  den  gallischen,  zumal  in  der 
Osterfeier,  und  die  Unabhängigkeit  der  Klöster  von  bischöflicher 
Aufsicht,  welche  nach  irischer  Weise  in  Anspruch  genommen  wurde, 
boten  eine  Waffe  dar;  man  erklärte  sie  für  ketzerisch,  und  so  ver- 
trieb denn  endlich  um  610  Brunichilde,  deren  Zorn  er  verachtet 
hatte,  den  Columban  samt  seinen  Genossen.  Ueber  Nantes  sollten 
sie  nach  Irland  geschafft  werden,  aber  ein  Sturm  warf  sie  wieder 
an  die  Küste  zurück;  Chlothar  II.  und  Theudebert  nahmen  sie 
ehrfurchtsvoll  auf;  Columban  zog  den  Rhein  aufwärts  und  wählte 
sodann  zu  seinem  Aufenthalte  Bregenz  in  Alamannien ,  wo  unge- 
achtet der  Frankenherrschaft  und  der  Bestimmungen  des  Volks- 
rechts doch  das  Heidentum  noch  stark  war. 

Zwei  Jahre  lang  blieb  er  daselbst  zur  Bekämpfung  desselben. 
Hierauf  aber  verliefs  er  das  Frankenland  gänzlich  und  wanderte  612 
in  das  Langobardenreich,  wo  Theudelinde,  die  Freundin  Gregors 
des  Grofsen ,  ihn  mit  Freuden  aufnahm.  Hier  stiftete  Columban 
nun  das  Kloster  Bobio  zur  Vertilgung  der  Reste  arianischer  Ketzerei, 
und  noch  jetzt  zeigen  die  zerstreuten  Handschriften  dieses  Klosters 
die  alten  irischen  Schriftzüge  und  Erinnerungen  an  die  Heimat,  wie 
die  VersicuU  famüiae  Benchuir^).  Mit  vollem  Eifer  überliefsen  sie 
sich  hier  ihrer  Lieblingsneigung  zum  Schreiben,  die  unverständlich 


0  In  dem  Antiphonarium  monasterii  Benchorensis ,  ed.  Muratori, 
Anecdota  Bibl.  Ambros.  IV,  121 — 159  (Verbesserungen  von  A.  Peyron, 
Ciceronis  Orationum  Fragmenta,  1824,  Anhang  S.  224— 226) ;  The  Anti- 
pbonary  of  Bangor  ed.  by  F.  E.  Warren ,  London  1893—1895,  2  Bde. 
(Bradshaw  Society).  Bei  Muratori  Antt.  III ,  817  der  wichtige  Katalog 
der  Bob.  Bibliothek  saec.  X.  Sacramentarium  Gallicanum  aus  Bobio  in 
Halbuncialschr.  saec.  VIT,  ed.  Mabillon,  Mus,  Ital.  I,  2.  273—397.  Von 
Luxeuil  aus  ist  um  657  Corbie  durch  die  Königin  Balthilde  gestiftet, 
daher  Notizen  von  dort  im  C'alend.  Corbeiense,  gedr.  NA.  X,  91. 


132  '•  Vorzeit.     §  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

gewordenen  Ueberbleibsel  der  gotischen  Litteratur  und  Fragmente 
von  alten  Prachthandschriften  der  Klassiker  benutzten  sie,  um  auf 
das  reingewaschene  Pergament  die  Werke  der  rechtgläubigen  Kirchen- 
väter zu  schreiben').  Sie  retteten  jene  Pergamentblätter  dadurch 
vom  Untergang,  und  es  war  auch  nicht  etwa  ein  fanatischer  Hafs 
gegen  die  heidnischen  Schriftsteller,  welcher  sie  zur  Vertilgung  der- 
selben antrieb.  An  Handschriften  derselben  war  damals  noch  kein 
Mangel,  und  sie  selber  benutzten  dergleichen  zur  Erlernung  der 
Sprache;  finden  wir  doch  unter  den  Schulbüchern  zu  Bobio  auch 
den  Ovid. 

Am  23.  November  im  Jahre  615  ist  Columban  gestorben.  Drei 
Jahre  nach  seinem  Tode  kam  Jonas  aus  Susa  in  das  Kloster  Bobio, 
von  wo  er  628  den  Abt  Bertulf  auf  einer  Reise  nach  Rom  be- 
gleitete. Er  verliefs  aber  Bobio,  vielleicht  um  nach  Luxeuil  zu 
gehen,  noch  vor  dem  Tode  Bertulfs,  den  er  um  639  noch  einmal 
besuchte.  In  Gallien  beschrieb  er  zuerst,  noch  auf  Veranlassung 
des  Abtes  Bertulf,  das  Leben  des  Columban,  welchem  er  als  zweites 
Buch  etwas  später  das  Leben  seiner  Schüler  Eustasius  (f  629) 
und  Athala  (f  um  627),  die  ebenfalls  als  Missionare  bei  den 
Waraskern  und  Baiern  von  Luxeuil  ausgingen,  folgen  liefs;  dann 
des  Bertulf,  Abtes  von  Bobio  (f  um  640),  und  der  Burgundo- 
fara  (Fara),  welche  Columban  zur  Nonne  geweiht  hatte,  Aebtissin 
des  nach  ihr  benannten  Klosters  Faremoutiers.  Die  Vita  Columbans 
ist  spätestens  641  verfafst,  v/eil  sie  schon  von  dem  sogenannten 
Fredegar  benutzt  wird.  Sie  ist  den  Aebten  Waidebert  von  Luxeuil 
(629 — 670)  und  Bobolenus  von  Bobio  (nach  etwa  640)  gewidmet. 
Im  Frankenreiche  nahm  Jonas  drei  Jahre  hindurch  unter  Amandus 
an  der  Bekämpfung  des  Heidentums  in  der  Gegend  von  Arras 
teil  und  verfafste  hier  wahrscheinlich  das  Leben  des  heiligen  Ve- 
dastes.  Jonas  verrät  seine  italische  Herkunft  und  den  Unterricht 
der  Grammatiker  durch  seine  unerträglich  schwülstige,  auf  das  Ab- 
sonderliche gerichtete  Schreibart,   aber  er  hat  uns   aufserordentlich 


')  Möglich,  dafs  Columban  selbst  noch  die  ai-ianischen  Schriften  sam- 
melte ,  um  sie  zu  widerlegen ,  wie  Krafft ,  De  fontibus  Ulfilae  Arianismi 
p.  18 — 20  annimmt,  weil  alle  gotischen  Reste  von  da  stammen.  Ob  man 
sie  aber  damals  noch  verstand  ?  Nicht  lange  nachher  begann  man  sicher 
zu  reskribieren.  Ebrard  in  d.  Zeitschr.  f.  bist.  Theol.  XXXII,  403  gibt 
die  merkwürdige  Inschrift  des  Cod.  Erlang,  v.  Hieron.  de  viris  ill.  (mit 
dem  üblichen  Lesefehler  quum  statt  quoniam),  wonach  es  scheint,  als  sei 
unser  Text  durch  Columban  aus  einer  beschädigten  Handschrift  auszugs- 
weise hergestellt;  vgl.  0.  v.  Gebhardt  u.  Harnack,  Texte  u.  Untersuch. 
XIV,  1  b,  p.  XXVI II  ff. 


Jonas  von  Bobio.     Der  heilige  Gallus.  133 

schätzbare  Nachrichten  aufbewahrt,  welche  grofsenteils  auf  Augen- 
zeugen zurückgehen.  Auf  den  Wunsch  der  Königin  Balthilde  ist 
er,  der  inzwischen  Abt  geworden  war,  auch  nach  Chalon-sur-Saone 
gekommen,  und  hat  im  November  659  im  Kloster  Moutiers-Saint- 
Jean  nach  den  ihm  gemachten  Mitteilungen  auf  Verlangen  des  Abts 
das  Leben  des  nicht  vor  544  gestorbenen  Gründers  des  Klosters 
Johannes  beschrieben').  Der  Text  reicht  bis  zur  ersten  Ueber- 
tragung  (um  580?). 

Einer  von  jenen  ursprünglichen  zwölf  Gefährten,  die  mit  Co- 
lumban  von  Bangor  auszogen,  war  Gallus,  in  älterer  Form  Gallo, 
Gallunus,  der  in  Alamannien  zurückblieb,  als  sein  Meister  über  die 
Alpen  zog,  und  zuerst  die  Bekämpfung  des  Heidentums  am  Boden- 
see fortsetzte ,  später  aber  als  Einsiedler  in  das  wildeste  Gebirge 
sich  zurückzog,  wo  er  um  die  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  gestorben 
ist.  Als  dann  nach  seinem  Tode  das  Grab  des  Heiligen  immer 
häufiger  von  irischen  Pilgern  aufgesucht  wurde  und  immer  mehrere 
von  ihnen,  sowie  auch  von  den  Alamannen,  sich  hier  niederliefsen, 
erwuchs  aus  dem  unscheinbarsten  Anfange  das  Kloster  St.  Gallen,  und 
so  wie  die  kleine  Zelle  des  Gottesmannes  der  Kern  und  Anfang 
dieser  reichen  Stiftung  ist,  so  schlofs  sich  in  gleicher  Weise  an  die 
Lebensbeschreibung  des  Stifters")  die  später  so  bedeutende  Litteratur 
von  St.  Gallen.  In  ihrer  ui'sprünglichen  Form  ist  uns  diese  aber 
nicht  ganz  erhalten ;  sie  war  nach  einer  alten  Aufzeichnung  a  Scotis 
semilatinis  corruptkis  scripta,  und  enthielt  nach  Walahfrids  Zeug- 
nis häufig  die  Form  Altimanula^).  Die  neuerdings  von  E.  Egli  in 
Zürich  entdeckten  und  zum  erstenmal  herausgegebenen  Bruchstücke 
scheinen  dieser  ältesten  Form  anzugehören,  die  am  Ende  des  8.  Jahr- 
hunderts entstanden  war.  Der  Verfasser  der  zweiten  Biographie 
war  ein  Alamanne,  welcher  die  alte  barbarisch  geschriebene  fast  nur 
formell  überarbeitet  hat;  sein  Name  ist  uns  aber  erst  dadurch  be- 


')  Vita  S.  Johannis  Reomensis,  SS.  Meroving.  III,  502 — 517.  s.  Wiener 
Mitteil.  XIV,  385—427. 

-)  MG.  SS.  II,  1 — 21  von  Ild.  v.  Ars  nach  der  von  ihm  wieder  auf- 
gefundenen Handsclirift  zuerst  herausgegeben.  Daraus  Acta  SS.  Oct.  VII, 
869.  Vgl.  Stalins  Wirt.  Gesch.  II,  167 ;  Rettberg  II,  40.  Uebersetzung  v. 
Potthast,  Geschichtschr.  12  (VIII,  1)  1888,  übers,  v.  Götzinger,  St.  Gallen 
1896.  Neue  Ausg.  v.  G.  Meyer  v.  Knonau,  in  den  Mitteil.  z.  vaterl.  Gesch. 
(St.  Gallen  1870)  XII,  1 — 61.  Nach  einem  älteren  Irrtum  von  Arx  ist 
S.  16  die  Feldflasche  ascopn  mit  der  Reliquienkapsel  verwechselt.  Ausg. 
V.  Krusch,  SS.  Meroving.  IV,  256—280. 

=*)  S.  Weidmann,  Gesch.  d.  Stiftsbibl.  S.  485.  Gust.  Scherer,  Ver- 
zeichnis der  Handschriften  S.  172— 175.  S.  jetzt  NA.  XXI,  359—371; 
SS.  Meroving.  IV,  251—256. 


J34  I-  Vorzeit.     §  11.    Fränkische  Heiligenleben. 

kannt  geworden^),  dafs  Fr.  Bücheier  in  dem  unglaublich  barbarischen 
metrischen  Prolog  das  Acrostichon  erkannte :  Cozherto  patri  Wetti- 
nus  verba  salutis  (Poet.  Carol.  II,  701).  Wetti  also  ist  es,  der 
824  nach  seiner  bekannten  Vision  gestorben  ist  und  dem  Abte 
Gozbert  (816 — 837)  sein  Werk  widmete.  Es  ist  daher  noch  be- 
deutend jünger  als  man  früher  annahm.  Mancher  merkwürdige, 
namentlich  kulturgeschichtlich  bedeutende  Zug  ist  darin  aufbewahrt, 
aber  erst  fast  zwei  Jahrhunderte  nach  dem  Tode  ihres  Helden  ge- 
schrieben, darf  diese  Biographie  ebenso  wie  ihre  ältere  Grundlage 
doch  nur  mit  Vorsicht  benutzt  werden.  Vorzüglich  auf  die  Wunder, 
überhaupt  aber  auf  Verherrlichung  des  Stifters  ist  das  Bestreben 
des  Verfassers  gerichtet;  ganz  besonders  darauf,  jede  Abhängigkeit 
von  Constanz,  wie  sie  ursprünglich  bestanden  hat,  abzuleugnen,  ja 
umgekehrt,  den  Constanzer  Bischof  vielmehr  als  einen  Schützling 
des  heiligen  Gallus  hinzustellen;  im  Anfange  benutzt  er  das  Leben 
Columbans,  später  nur  die  Tradition  nicht  ohne  starke  chronologische 
Verstölse.  Seine  Sprache  zeigt  gegen  die  frühere  Zeit  einen  er- 
heblichen Fortschritt,  doch  ist  sie  für  karolingische  Zeit  noch 
recht  roh  und  fehlerhaft ;  hin  und  wieder  fällt  rhythmischer  Klang 
mit  Reimen  auf 

Von  Columbans  Stiftung  Luxeuil  ging  auch  unter  dem  Abte 
Waidebert  das  Kloster  Granval  oder  Granfelden  im  Basler  Sprengel 
aus,  und  das  Leben  des  ersten  aus  Trier  stammenden  Abtes  Ger- 
manus^),  der  um  die  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  erschlagen  ist, 
wurde  bald  nachher  in  einer  kurzen,  aber  sehr  wertvollen  Biographie 
von  Bobolenus  beschrieben.  Ebenfalls  mit  Luxeuil  hängt  die  Stif- 
tung des  Nonnenklosters  Rimelsburg  oder  Remiremont  im  Was- 
gau  zusammen,  die  auf  Romarich  und  Amatus  unter  Mitwirkung 
des  Abtes  Eustasius  zurückgeht^);  es  war  zuerst  ein  Doppelkloster. 
Luxeuil  übte  als  eines  der  ersten  Klöster  Frankreichs  überhaupt 
einen  vorbildlichen  und  weitreichenden  Einfiufs*). 

Noch  andere  Klöster  Alamanniens  und  des  Elsasses  führten  ihren 
Ursprung  auf  irische  Mönche  zurück'^)  und  haben  es  auch  nicht  an 

')  Schon  Jodocus  Metzler  vermutete  ihn,  doch  ohne  einen  Beweis 
dafür  zu  geben ;  ebenso  Mab.  Anal.  IV,  640  (ed.  2  p.  20)  u.  Goldast. 

2)  Mabillon,  Acta  SS.  II,  511  aus  Acta  SS.  Feb.  III,  263. 

')  Krusch  hat  die  Nachrichten  über  die  Stiftung  geprüft,  SS.  Merov. 
IV,  200  ff.,  und  die  Wertlosigkeit  der  von  ihm  herausgegebenen  Vitae 
Amati  Romarici  Adelphii  abbat.  Habendens.  (p.  210—228)  aus  karoling. 
Zeit  dargethan. 

*)  Vgl.  Hauck  I,  277—286. 

*)  So  stiftete  Columbans  Schüler,  der  Ire  Deicolus,  Lutra  (Lure,  Lüders. 
Saint-Diey),  doch  stammt  seine  Vita  erst  aus  dem  10.  Jahrhundert. 


Schottenmönche  in  Schwaben  und  Bayern.  135 

Lebensbeschreibungen  ihrer  Stifter  fehlen  lassen,  die  aber  erst  später 
entstanden  und  völlig  unbrauchbar  sind.  Merkwürdig  ist,  dals  man 
in  späterer  Zeit  in  diesen  Gegenden  so  gewohnt  war,  die  Begründer 
der  Klöster  aus  der  merowingischen  Zeit  als  Schotten  zu  betrachten, 
dal's  man  sie  in  den  Legenden  unbedenklich  dafür  ausgab,  wenn 
auch  gar  kein  Grund  dazu  vorhanden  war;  auch  Franken,  wie 
Arbogast^),  Trudpert  und  Landelin^),  erscheinen  da  als 
Schotten,  und  sogar  S.  Rupert,  der  angebliche  Apostel  der  Bayern, 
wird  ihnen  zugesellt. 

Freilich  sind  in  Bayern  ebenfalls  Schotten  thätig  gewesen,  —  so 
unternahm  Columbans  Jünger  Eustasius  dorthin  eine  Missionsreise  — 
obwohl  hier  die  namhaftesten  Missionare  Franken  waren.  Die 
Kirehengründungen    aber    entstanden    nach   irischer   Weise    in    der 

^)  Eine  geschichtlich  wertlose  Biogr.  Arbogasts  wird  seinem  Nach- 
folger Utho  im  11.  Jahrhundert  zugeschrieben,  Acta  SS.  Jul.  V,  177  ff., 
Rettberg  II,  63.  Hauck  III,  325  A.  5.  Mit  Arbogast,  Theodat  u.  Hildulf 
soll  Florentius  zu  Dagoberts  Zeit  aus  Irland  gekommen  und  Bischof 
von  Strafsburg  geworden  sein ,  das  Kloster  Haslach  gegründet  haben. 
Die  Namen  sind  nichts  weniger  als  irisch ,  die  Legende ,  deren  Wunder 
von  anderen  bekannten  kopiert  sind,  sehr  jung  und  völlig  unbrauchbar. 
Neue  Ausgabe  der  Vita  Florentii  bei  Ch.  Schmidt,  Histoire  du  Chapitre 
de  Saint-Thomas  de  Strasbourg  (1860),  p.  283.  Vgl.  Rettberg  II,  65.  — 
Ueber  das  ganz  unbrauchbare  Leben  Trudperts  s.  Anm.  4  auf  S.  136. 

^)  Ich  rechnete  hierhin  früher  auch  Fridolin,  glaube  aber  jetzt, 
dafs  dies  ein  fränkisch  umgemodelter  Schottenname  ist,  da  es  von 
Columban  Verse  an  einen  Fedolius  gibt,  und  auch  Petrus  Damiani 
Opp.  II,  9  den  Fredelinus  in  Poitiers  als  Schotten  bezeichnet.  Die 
Legende  (Hone,  Quellens.  I,  1 — 16,  alte  Uebers.  99 — 111;  SS.  Meroving. 
III,  350—369)  aus  dem  Anfange  des  11.  Jahrb.  aber  gewinnt  dadurch 
wenig,  sie  soll  v.  Balther,  einem  Seckinger  Mönch  in  dem  angeblichen 
Kloster  Helera  ad  Musellam  (Eller),  auch  einer  Stiftung  Fridolins  zu 
Ehren  des  h.  Hilarius,  entdeckt  und  wegen  Mangels  an  Pergament  und 
Dinte  auswendig  gelernt,  dann  in  Seckingen  aufgeschrieben  und  mit 
einem  zweiten  Teil  aus  örtlicher  Tradition  versehen  sein  Ich  kann  darin 
nur  eine  Erfindung  sehen,  wie  sie  ähnlich  auch  sonst  zur  Einführung  er- 
dichteter Legenden  vorkommen,  doch  wird  man  Balthers  Namen  und  die 
Widmung  an  einen  Notker  (Labeo)  gelten  lassen  können.  Vgl.  Rettberg 
II,  29.  Stalin  I,  166.  Hauck  I,  328.  —  Von  den  Versuchen,  die  Legende 
ganz  oder  teilweise  zu  retten,  erwähne  ich  Lütolf:  Die  Glaubensboten 
der  Schweiz  vor  Gallus  (Luc.  1871),  S.  267  ff.  Die  Erwähnung  einer 
VitaFredelini  in  Poitiers  bei  Petrus  Dam.  Opp.  II,  9,  worauf  hier 
Gewicht  gelegt  wird,  ist  merkwürdig ;  aber  was  von  diesem  gesagt  wird, 
stimmt  wenig  zu  unserer  Legende.  Seine  Existenz  und  Herkunft  sind 
allerdings  jetzt  besser  festgestellt.  Gegen  G.  Heer,  der  einen  bist.  Kern 
retten  will  (NA.  XIV,  627),  G.  Meyer  v.  Knonau  im  Anz.  f.  Schw.  Gesch. 
1889,  S.  377.  Nach  AI.  Schulte  (Jahrb.  f.  Schweiz.  Gesch.  XVIII,  134 
bis  152)  bestand  ein  Zusammenhang  Seckingens  mit  Poitiers,  von  wo  es 
Reliquien  empfing.  Ueber  ein  späteres,  auf  Glarus  bezügliches  Ein- 
schiebsel des  13.  Jahrhunderts  (in  c.  29)  handelt  Caro  in  dem  Anz.  für 
Schweiz.  Gesch.  1901,  S.  444—449. 


136  f-   Vorzeit.     §  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

Form  von  Klöstern,  deren  Aebte  auch  zugleich  das  bischöfliche  Amt 
verwalteten.  So  war  es  in  Salzburg,  Regensburg  und  Freising,  und 
die  Eifersucht  zwischen  den  Bischöfen  und  den  Klöstern  von  Sankt 
Emmeram  und  St.  Peter  zieht  sich  fort  bis  in  die  neueste  Zeit. 

Das  Christentum  war  zwar  äufserlich  durch  die  Franken- 
könige eingeführt,  aber  wenig  ins  Volk  eingedrungen  und  nach 
der  Lockerung  des  staatlichen  Bandes  völlig  verfallen,  die  Herzogs- 
familie selbst,  heifst  es,  ungetauft^).  Da  berief  der  Herzog  Theodo 
im  Jahre  696  den  vornehmen  Bischof  Rupert  von  Worms  zu  sich, 
nicht  als  Heidenbekehrer,  sondern  um  das  kirchliche  Wesen  einzu- 
richten^). Er  wurde  einer  der  wirksamsten  Begründer  des  nun 
fest  und  bleibend  gepflanzten  Christentums  in  Bayern,  der  Stifter 
des  Klosters  St.  Peter  in  Salzburg,  von  wo  sein  Nachfolger  Virgil 
(743  als  Abt,  als  Bischof  767  bis  784),  ein  Ire,  das  Evangelium 
auch  zu  den  karantanischen  Slaven  trug"). 

Auch  ein  fränkischer  Bischof,  Emmeram  (eigentlich  Haini- 
hrammus),  angeblich  von  Poitiers,  vielleicht  eher  ein  Wanderbischof, 
verliefs,  vermutlich  im  Anfang  des  8.  Jahrhunderts,  seine  Heimat, 
um  auf  diesem  Felde  zu  wirken;  sein  Martyrium  in  Helfendorf 
wegen  vermeintlicher  Unzucht  mit  der  Herzogstochter  wurde  der 
Ausgangspunkt  seiner  Verehrung  und  sein  Grab  der  Grundstein 
der  Regensburger  Kirche ;  Corbinian,  ebenfalls  ein  Franke,  legte 
den  Grund  zu  der  Freisinger  Kirche. 

Unsere  Nachrichten  über  diese  Begebenheiten  sind  aber  leider 
sehr  unzulänglich;  für  den  zuverlässigsten  galt  der  kurze  Bericht 
über  S.  Rupert,  welcher  den  Eingang  der  Schrift  über  die  Bekehrung 
der  Bayern  bildet,  ihm  schienen  alte  Aufzeichnungen  zu  Grunde  zu 
liegen^).     Und   diese,    nämlich   die   ursprüngliche   Form   der   Vita, 

^)  Vgl.  S.  Riezler.  Ueber  die  Entstehungszeit  der  Lex  Bajuwariorum. 
Forsch.  XVI,  409—446. 

^)  Vgl.  die  Abhandlung  von  ßlumberger,  Ueber  die  Frage  vom  Zeit- 
alter des  heiligen  Rupert,  im  Arch.  d.  W.  Ak.  X,  329—368.  Clegen  die 
immer  wiederholten  Bemühungen,  Rupert  dem  6.  Jahrhundert  zuzuweisen, 
habe  ich  mich  in  den  Heidelb.  Jahrbb.  1870  S.  24  ausgesprochen;  mir 
zustimmend  Riezler  a.  a.  0.  S.  418;  auch  Zillner,  Streifzüge,  in  den  Mit- 
teil, d.  Ges.  f.  Salzb.  Landeskunde  1878.  Vgl.  auch  Hauck  I,  358—362. 
S.  B.  Sepp ,  Die  Berechnungen  des  Todesjahres  des  heiligen  Rupert, 
München  1896,  mit  Abdruck  der  Computationes  (Oberbayer.  Arch.  XLIX, 
408—431). 

•^)  Die  Nachricht  aus  irl.  Annalen  von  einem  Fergil  oder  Feirgil,  ge- 
nannt der  Geometer,  der  Abt  von  Aghaboe  gewesen  war,  und  im  30.  Jahre 
seiner  Bischofswürde  in  Deutschland  789  gestorben,  ist  ungenau.  Zimmer, 
NA.  XYU,  211. 

*)  MG.  SS.  XI,  4.  .5.     Doch  konnte  ich  dem  v.  Büdinger,  Gest.  Gesch. 


Rupert,  Emmeram  und  Corbinian.  137 

glaubte  Franz  Martin  ]^layer  in  einer  Grazer,  ursprünglich  Salz- 
burger, Hs.  aus  der  Mitte  des  !>.  Jahrhunderts  gefunden  zu  haben, 
worin  freilich  von  Sprache  und  Stil  des  8.  Jahrhunderts  nicht  viel 
zu  spüren  ist').  Hiergegen  aber  hat  sich  J.  Friedrich  erhoben^) 
und  aus  alten  Salzburger  liturgischen  Büchern  nachzuweisen  ge- 
sucht, dafs  man  noch  lange  im  9.  Jahrhundert  kein  Leben  Ruperts 
besafs  und  dafs  man  den  24.  September  als  seinen  Todestag  feierte^). 
Nur  durch  ein  Mifsverständnis  hielt  man  später  den  Sonntag,  an 
welchem  er  gestorben,  für  den  Auferstehungstag.  Die  Grazer  Vita 
erklärt  Friedrich  für  die  aus  der  Conversio  entnommenen  Lektionen, 
beiden  aber  spricht  er  allen  historischen  Wert  ab,  allein  mit  Un- 
recht, denn  es  ist  von  Sepp  und  Hauck  hinlänglich  dargethan 
worden ,  dals  die  Gesta  S.  Hrodberti  in  der  That  die  Quelle  der 
Conversio  sind ,  deren  Aenderungen  keinen  Glauben  verdienen, 
während  jene,  vor  800  verfafst,  in  der  Hauptsache  als  zuverlässig 
gelten  könne. 

Die  Legenden  von  Emmeram^)  und  Corbinian^),  dessen  Tod  in 


I,  101  geltend  gemachten  Grunde  für  die  Abfassung  des  ersten  Teils 
unter  Virgil  nicht  beistimmen.  Auch  hat  Blumberger,  Ueber  die  Frage, 
ob  der  heilige  Rupert  das  Apostelamt  in  Bayern  bis  an  sein  Lebensende 
geführt  habe,  im  Arch.  d.  Wiener  Akad.  XVI,  225 — 238,  mich  nicht  von 
Ruperts  Rückkehr  nach  Worms  überzeugt,  da  es  mir  unglaublich  ist, 
dafs  die  Translation  der  Gebeine  vergessen  oder  unerwähnt  geblieben  sein 
könnte.  Andere  Gründe  dagegen  bei  AI.  Huber ,  Das  Grab  des  heiligen 
Rupert,  Arch.  d.  W.  A.  XL,  275 — 321.  —  Unbrauchbar  ist  die  nach  der 
Elevation  von  816  geschriebene  Passio  Trudperts,  den  man  wohl 
nur  wegen  der  Aehnlichkeit  des  Namens  zu  einem  Bruder  Ruperts  machte, 
bei  Mone,  Quellens.  I,  19.  SS.  Meroving.  IV,  352-363.  Vgl.  Stalin  I, 
167.  Rettberg  II,  48.  Hauck  I,  829.  Facs.  aus  den  Actis  bei  Herrgott, 
Geneal.  I,  p.  XVIII. 

')  Die  Vita  S.  Hrodberti  in  älterer  Gestalt.  Arch.  d.  W.  Ak.  LXIII, 
595 — 608.  Zweite  Ausg.  von  B.  Sepp  im  Progr.  des  Regensb.  Lyceums 
1890/91.  Hauck  II,  417  für  Veranlassung  dieser  Vita  durch  Virgil  im 
Anschlufs  an  Büdinger. 

2)  Münch.  SB.  1883,  S.  509-547. 

^)  So  auch  in  dem  aus  Regensburg  stammenden  Veroneser  Sacra- 
mentar  (Saltisburgo).     Delisle,  Sacram.  p.  194. 

■*)  Acta  SS.  Sept.  VI,  474.  Neue  Ausg.  von  B.  Sepp,  Anal.  BoUand. 
VIII,  211—240  und  Sep.-Ausg.  1890;  von  Krusch,  SS.  Meroving.  IV,  452 
bis  524,  woselbst  der  ursprüngliche  Text  in  seiner  Rohheit  und  die  glät- 
tende Ueberarbeitung  gegeben  wird.  Vgl.  Rettberg  II,  189.  Hauck  1,  363. 
Nach  Hugo  Graf  Walderdorff,  Regensburg  (4.  Aufl.).  S.  297,  ist  die  ur- 
sprüngliche Form  in  einem  Kalend.  saec.  VIIL  Kinhram.  Vgl.  Riezler, 
Forsch.  XVIII,  528,  über  den  Ort  seines  Todes. 

5)  Meichelbeck,  Hist.  Fris.  I,  2  p.  3.  Acta  SS.  Sept.  III,  281.  Vgl. 
Rettberg  II,  213;  Hauck  I,  366,  und  über  beide  M.  Büdinger,  Zur  Kritik 
altbaier.  Geschichte ,  Wiener  SB.  XXIII.  Darin  wird  auch  die  früher 
herrschende  Ansicht  von   der  Anwesenheit  des  Eustasius   und  Agilus  in 


138  I-  Vorzeit.     §  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

das  Jahr  725  gesetzt  wird,  sind  zuerst  vom  Bischof  Aribo  von 
Freising')  (764 — 783),  letztere  auf  Ansuchen  des  Bischofs  Virgil 
von  Salzburg,  nach  der  mündlichen  Ueberlieferung  verfafst  und  von 
zweifelhaftem  Werte.  Ein  anstöfsiger  umstand  darin  ist  die  Reise 
der  beiden  Missionare  nach  Rom;  denn  erst  die  Angelsachsen  hielten 
es  für  notwendig,  sich  von  dort  die  Vollmacht  zur  Missionsthätig- 
keit  zu  holen,  während  vorher  den  Franken  wie  den  Iren  ein  solcher 
Gedanke  ganz  fern  lag,  ja  selbst  Bonifaz  noch  zu  seiner  ersten 
Mission  unter  den  Friesen  eine  solche  Vollmacht  nicht  eingeholt 
hat.  Später  aber  galt  diese  Erlaubnis  für  so  unerläfslich,  dafs  die 
Legendenschreiber  sie  auch  für  die  ältere  Zeit  ganz  unbedenklich 
als  selbstverständlich  annahmen.  Sie  erzählen  daher  eine  solche 
Reise  als  Thatsache,  und  nennen  den  Papst,  der  nach  ihrer  Be- 
rechnung der  Zeitverhältnisse  damals  regiert  hatte.  Die  neueren 
Gelehrten  haben  dann  wieder  umgekehrt  nach  dem  Namen  des 
Papstes  die  Zeit  des  Heiligen  bestimmt  und  dadurch  die  Verwirrung 
vollständig  gemacht ;  ein  Fehler,  von  dem  auch  Rettberg  nicht  frei 
ist.  Dafs  die  Sache  sich  aber  wirklich  so  verhielt,  zeigt  sich  deutlich 
an  den  Legenden,  die  in  ihrer  älteren  noch  erhaltenen  Form  nichts 
von  einer  solchen  Reise  nach  Rom  wissen ,  während  sie  in  den 
späteren  Bearbeitungen  eingeschoben  ist.  Das  ist  der  Fall  bei  dem 
heiligen  Patricius,  bei  S.  Rupert ;  auch  Gregor  von  Tours  läl'st  sein 
späterer  Biograph  nach  Rom  reisen. 

Denselben    Umstand    finden    wir    auch    im   Leben    des    heiligen 
Kilian^),  des  ersten   bekannten  Missionars    unter   den  Ostfranken. 


Bayern  bekämpft,  welche  mit  Recht  G.  Waitz,  Gott.  Nachr.  1869  S.  136 ; 
Friedrich,  Münch.  SB.  1874,  I,  358;  Riezler,  Forsch.  XVI,  417;  Hauck  I, 
356,  wieder  in  Schutz  nehmen.  Büd. ,  Oest.  Gesch.  1 ,  85.  94,  und  über 
Aribo  S.  141.  Vgl.  M.  Fastlinger,  Das  Todesjahr  des  heiligen  Korbinian 
in  Deutingers  Beitr.  zur  Gesch.  des  Erzbistums  München  u.  Freising  VII 
(1901)  1—16.  Aelteste  Fonn  der  V.  Corbiniani  im  Cod.  Mus.  Brit.  11880 
(auch  in  einer  Karlsruher  Hs.) ,  her.  von  Riezler,  Abh.  d.  Münch.  Akad. 
III.  Cl.  XVIII,  1  (1888).  Die  Bearbeitung  ist  nach  ihm  wahrscheinlich 
von  H  rotrohe,  einem  Mönche  von  Tegernsee,  dem  eine  V.  Corb.  zuge- 
schrieben wird,  saec.  IX.  X.  Vgl.  auch  Dr.  David  Schönherr,  Ueber  die 
Lage  der  angeblich  verschütteten  Römerstadt  Maja,  Innsbr.  1873.  Corpus 
Inscr.  Lat.  III,  707.  V,  543. 

')  Er  nennt  sich  auch  Cyrinus  nach  der  Deutung  des  Namens  Cyrus 
als  haeres  bei  Hieronymus  de  nominibus  Hebraeorum. 

2)  Canis.  III,  1.  180.  Mab.  II,  991.  Acta  SS.  Jul.  II,  612.  Emmerich, 
Der  heilige  Kilian,  Regionarbischof  u.  Mäi-tyrer,  Würzb.  1896,  gibt  S.  3 
bis  25  den  Text  beider  Passionen  und  will  die  ältere  in  die  Mitte  des 
8.  Jahrhunderts  setzen.  Vgl.  Stalin  I,  167.  Rettberg  II,  303.  Hauck  I, 
370 — 371.  Das  älteste  Zeugnis  für  Kilians  Martyrium  ist  im  Necrolog. 
Wirzib.   s.  IX   bei   Eckhardt,  Comm.  de    or.  Francia  I,  831.     Dümmler, 


Aribo  von  Freising.     Sankt  Kilian.  139 

Auch  er  war  gegen  das  Ende  des  7.  Jahrhunderts  mit  zwei  Beglei- 
tern aus  Irland  gekommen  und  um  seines  Glaubens  willen  getötet 
worden,  seine  Wirksamkeit  ist  bezeugt  durch  die  hohe  Verehrung 
seines  Namens ;  wie  an  S.  Gallus'  Grabe,  so  scheinen  sich  auch  in 
Würzburg  seine  Landsleute  zahlreich  eingefunden  zu  haben,  und  noch 
jetzt  finden  wir  ihre  Spuren  in  den  irischen  Schriftzügen  der  dortigen 
Handschriften.  Die  beiden  Passionen  ,  eine  kürzere  und  eine  aus- 
führlichere, sind  erst  im  9.  Jahrhundert  verfal'st  und  von  geringem 
Werte,  wenn  man  sie  auch  früher  irrig  erst  in  das  10.  Jahrhundert 
setzen  wollte. 

Diese  irischen  und  fränkischen  Missionare  bereiteten  den  Boden 
vor  für  die  Angelsachsen,  mit  deren  Auftreten  ihr  Stern  erlischt. 
Ihre  Pflanzungen  waren  zu  vereinzelt,  um  sich  erhalten  zu  können, 
es  fehlte  ihnen  die  feste  Organisation,  durch  welche  jene  so  stark 
waren,  und  die  vereinzelten  Mönche  konnten  sich  vor  Entartung 
und  Verwilderung  nicht  freihalten.  Ihre  Eigentümlichkeiten  in 
Lehre  und  Gebräuchen  brachten  sie  bald  in  Streit  mit  den  Angel- 
sachsen ,  und  es  ist  ferner  nicht  mehr  die  Rede  von  ihnen.  Nur 
als  Pilger  erscheinen  sie  noch,  viel  geschätzt  wegen  ihrer  strengen 
Entsagung ,  wegen  ihrer  Fertigkeit  im  Schreiben ,  und  häufig  auch 
noch  wegen  ihrer  Gelehrsamkeit,  zumal  ihrer  Kenntnis  der  griechi- 
schen Sprache ;  aber  als  Missionare  finden  wir  sie  nur  zur  Zeit  der 
Merowinger  genannt. 

Geschichtliche  Nachrichten  aus  dieser  Zeit  haben  sie  selbst  uns 
durchaus  nicht  überliefert ;  man  sollte  meinen,  dafs  ihnen  der  Sinn 
für  historische  Aufzeichnung  der  Begebenheiten  gänzlich  fehlte.  In 
der  Heimat  aber  verfafsten  sie  doch  Jahrbücher,  deren  Anfänge 
sehr  alten  Zeiten  zugeschrieben  werden,  und  sie  mögen  wohl  nicht 
ganz  ohne  Einflufs  auf  die  Entstehung  der  jetzt  im  Frankenreiche 
aufkommenden  Klosterannalen  gewesen  sein,  da  wir  an  der  Spitze 
derselben  hin  und  wieder  irische  Namen  finden,  doch  ist  eine  irgend 
erhebliche  Beteiligung  von  Schottenmönchen  an  den  weiteren  Auf- 
zeichnungen nicht  nachweisbar.  Andere  Annalen  gehen  auf  Lindis- 
farne  zurück ,  eine  britische  Stiftung  in  England ;    aber   diese   sind 


Forsch.  VI,  116.  118.  Piper,  Karls  d.  Gr.  Kalend.  S.  26.  Ueber  die  in 
Kilians  Grab  gefundene  Bibel  in  Uncialschrift  Eckhardt,  Franc.  Or.  I,  451 ; 
Schepss,  Die  ältesten  Evangelienhss.  der  Üniv.-Bibl.  (1887),  S.  6.  Facsim. 
bei  Zangemeister  u.  Wattenbach,  Exempla  tab.  LVIII  und  bei  Emmerich. 
Irische  Handschriften  in  Würzburg:  Archiv  VII,  106;  Catalogue  of 
Manuscripts  in  the  British  Museum,  New  Series  I,  1843  fol.  Tab.  1,  3; 
Zeufs,  Grammatica  Celtica,  p.  XX. 


140  '•  Vorzeit.     §  11.     Fränkische  Heiligenleben. 

nicht  unmittelbar,  sondern  über  Canterbury  ins  Frankenreich  ge- 
kommen, wie  denn  überhaupt  diese  Annalen  von  den  Angelsachsen, 
nicht  von  den  Iren  ihren  Anfang  nehmen. 

Die  Schotten  stehen  in  der  genauesten  Beziehung  zu  der  alten 
fränkischen  Kirche  ,  und  gehören  mit  dieser  wesentlich  der  mero- 
wingischen  Periode  an ;  sie  haben  manche  Keime  gelegt  und  an- 
regend gewirkt,  aber  eine  neue  frische  Entwickelung  war  im  mero- 
wingischen  Reiche  und  auf  dem  alten  Boden  nicht  mehr  möglich ; 
schon  in  den  letzten  Zeiten  der  Merowinger  knüpft  sich  alles  wirklich 
lebensfähige  an  das  neue  Geschlecht  der  Arnulfinger,  und  wir  be- 
ginnen deshalb  mit  seinem  Auftreten  einen  neuen  Zeitraum. 


IL  Die  Karolinger. 

Vom  Anfang'  des   8.  bis  zum  Anfang  des  10.  Jahrhunderts. 


§  1.     Neue    Anfänge   der    Geschichtseh reibung. 
Fredegars   Fortsetzer. 

Ausgaben  mit  Fredegars  Chronik.  Uebersetzung  von  0.  Abel  ebend.  und  von  7;i5 
an  bei  Kinhards  Aunalen;  vereinigt  und  nach  der  neuen  Ausg.  von  Krusch  be- 
richtigt 1888.  —  Cauer,  De  Carolo  Martello,  Berl.  1846.  Breysig,  De  continuato 
Fredegarii  scholastici  chronico,  Berl.  1849.  Oelsner,  De  Pippino  rege,  Vratisl. 
1853,  p.  24—34.  De  Chronico  Fredegarii  continuato.  Breysig,  Karl  Martell  S.  112. 
Hahn,  Einige  Bemerkungen  über  Fredegar,  Arch.  XI,  805—840.  G.  Monod,  Eevue 
erit.  1873,  I,  153.  Br.  Krusch,  NA.  VIII,  .495— 515.  Bonnell,  Die  Anfänge  des 
karoling.  Hauses,  Berl.  1866.  G.  Monod,  Etudes  crit.  sur  les  sources  de  l'hist. 
Carolingienne,  Paris  1898. 

Das  Haus  der  Karolinger  bewies  von  Anfang  an  seine  Berechti- 
gung zur  Herrschaft  dadurch,  dafs  es  allein  im  stände  war,  das 
Reich  herzustellen ,  dem  weit  vorgeschi'ittenen  Verfall  Einhalt  zu 
thun  und  auf  neuen  Grundlagen  ein  neues  Zeitalter  zu  begründen. 
Auch  das  Wiedererwachen  der  Geschichtschreibung  knüpft  sich  an 
sein  Auftreten :  mit  dem  Jahre  687,  mit  dem  entscheidenden  Siege 
Pippins,  beginnen  die  Annalen  von  St.  Amand. 

Fredegars  Chronik  war  in  Burgund,  das  Buch  von  den  Thaten 
der  Franken  in  Neustrien  geschrieben,  in  Austrasien  fanden  beide 
ihre  letzte  Bearbeitung  und  Fortsetzung.  Viel  ist  über  die  Be- 
schaffenheit dieser,  über  die  Arbeit  der  verschiedenen  dabei  thätigen 
Personen  geschrieben  worden  ;  ich  halte  mich  jetzt  an  die  auch  von 
Monod  geteilten  Ergebnisse  von  Br.  Krusch,  welcher  genauer,  als 
zuvor  geschehen  war,  namentlich  auch  in  Bezug  auf  die  Sprache,  die 
Prüfung  dnrchgeführt  hat. 

Als  unter  Pippin  das  Frankenreich  in  seiner  neuen  Gestaltung 
glänzend  befestigt  war,  unternahm  es  sein  Oheim  Childebrand, 
auch   für   das    dauernde  Andenken    dieser    merkwürdigen  Begeben- 


142  II-  I^iß  Karolinger.     §  1.     Neue  Anfänge. 

heiten  zu  sorgen.  Er  liefs  ein  Exemplar  der  alten  Chronik  des 
Fredegar  sorgfältig  abschreiben,  aber  er  oder  der  von  ihm  Beauf- 
tragte begnügte  sich  nicht  mit  einfacher  Abschrift:  er  liefs  den 
Liber  generationis  weg,  und  setzte  an  dessen  Stelle  den  Hilarianus 
de  cursu  temporum  ein,  welchen  er  in  seiner  Vorlage  an  anderem 
Orte  fand,  und  erweiterte  die  Stammsage  im  Hieronymus  durch  ein 
Excerpt  aus  Dares  Phrygius.  An  den  Fredegar  knüpfte  er  einen 
Auszug  von  cap.  43  bis  52  der  Gesta  Francorum  nebst  ihrer  736 
geschriebenen  Fortsetzung ;  recht  mangelhaft  gearbeitet  und  voll 
chronologischer  Verwirrung ,  aber  bereichert  mit  Zusätzen ,  welche 
das  Haus  der  Arnulfinger  hervoi*heben ,  während  er  manches  weg- 
liefs,  was  das  Haus  der  Merowinger  betraf,  das  ihn  nicht  mehr 
kümmei'te ;  anfangs  dürftig ,  dann  von  erheblichem  Werte.  Das 
ist  die  sogenannte  erste  Fortsetzung  (cd,p.  1 — 17)  bis  zur  Mitte  von 
cap.  109,  an  welche  bis  cap.  117  einschlielsl.  die  zweite  (cap.  18 — 33) 
sich  reiht,  innerhalb  welcher  stilistische  Gründe  einen  Wechsel  des 
Schreibers  (nach  cap.  109)  annehmen  lassen.  So  weit,  bis  752,  war 
unter  Childebrands  Leitung  das  Werk  geführt,  da  übernahm  dessen 
Sohn  Nibelung')  die  weitere  Fortsetzung  (cap.  34 — 54),  welche 
uns  in  noch  schlechterem  Latein  einen  schon  ausführlicheren,  nach 
Jahren  genau  geordneten  und  wohl  teilweise  gleichzeitig  aufgezeich- 
neten Bericht  über  die  königliche  Herrschaft  Pippins  darbietet. 

Als  vereinzelte  sehr  schätzbare  Notiz  reiht  sich  an  diese  Fort- 
setzer des  Fredegar  eine  Aufzeichnung  aus  Saint  Denis  über  die 
Königsweihe  Pippins  vind  seiner  Söhne  (754)  durch  Papst  Stephan  IL^), 
welche  sich  am  Schlufs  einer  Handschrift  von  Werken  Gregors  von 
Tours  befindet,  von  anderer  Hand  mit  blasserer  Dinte  geschrieben 
und  offenbar  aus  einer  älteren  Handschrift  herübergenommen,  und 
Clausula  de  Fippino  genannt  wird^). 

^)  Cap.  117  (34):  ^Usque  nunc  inluster  vir  Childebrandus  comes, 
avunculus  praedicto  rege  Pippino ,  hanc  historiam  vel  gesta  Francorum 
diligentissime  scribere  procuravit.  Abhinc  ab  inlustre  viro  Nibelungo, 
filium  ipsius  Childebrando  itemque  comite,  succedat  auctoritas. " 

")  Auf  dessen  Reise  „Roma  salvanda"  starb  m.  Dec.  ind.  VII  (758) 
der  primicerius  notariorum  Ambrosius  in  Saint-Maurice ;  er  wurde  nach 
6  Jahren  in  St.  Peter  bestattet  mit  einem  rühmenden  rhythmischen  Epi- 
taph. Rossi,  L'inscription  du  tombeau  d'Hadr.  I.,  Mel.  d'Archeol.  et  d'hist. 
VIII,  495. 

ä)  Mab.  Dipl.  p.  384.  SS.  Meroving.  1 ,  465  mit  Schriftprobe.  MG. 
SS.  XV,  1  (vgl.  p.  574  a)  als  De  unctione  Fippmi  regis  nota.  Diese  Nach- 
richt wurde  später  mit  der  fabelhaften  Ilevelatio  facta  S.  Stephano  jMjJue 
verbunden,  mit  welcher  sie  von  Regino  abgeschrieben,  und  bei  Sur.  V, 
p.  658  (740  ed.  II)  zuerst  gedruckt  ist.  Hierdurch  habe  ich  mich  früher 
verleiten   lassen,   die  Chiusula   als   unglaubwürdig  zu  bezeichnen.     Vgl. 


Fredegars  Fortsetzer.     Ann.  Mettenses.  143 

So  wie  das  ganze  Reich  von  den  Merowingern  an  die  Karolinger 
überging,  so  wurde  auch  die  einzige  Chronik  der  Franken  zu  einer 
Familienchronik  des  karolingischen  Hauses.  Sie  gewinnt  dadurch 
gewissermafsen  einen  offiziellen  Charakter  und  damit  eine  gewisse 
Glaubwürdigkeit ;  andererseits  leidet  sie  aber  auch  an  den  Mängeln 
solcher  amtlicher  Aufzeichnungen.  Je  näher  die  Verfasser  den  Ka- 
rolingern standen ,  je  besser  sie  unterrichtet  waren ,  um  so  mehr 
hüteten  sie  sich  auch ,  etwas  aufzunehmen ,  was  den  Machthabern 
unangenehm  war.  Es  genügt,  in  dieser  Beziehung  den  einen  Umstand 
hervorzuheben,  dafs  die  bedeutenden  und  gefährlichen  Unruhen, 
welche  Grifo,  Karl  M arteis  Sohn  von  der  Swanhilde,  nach  des  Vaters 
Tode  erregte,  und  welche  dem  Verfasser  doch  unmöglich  unbekannt 
geblieben  sein  konnten ,  hier  mit  gänzlichem  Stillschweigen  über- 
gangen werden.  Ebensowenig  ist  andererseits  von  der  ganzen  Wirk- 
samkeit des  Bonifatius  und  überhaupt  von  den  kirchlichen  An- 
gelegenheiten die  Rede.  Eine  vollständige  und  unparteiische  Ueber- 
sicht  der  Begebenheiten  darf  man  daher  bei  diesen  Fortsetzern  des 
Fredegar  nicht  suchen  ')• 

Ebensowenig  unparteiisch ,  zur  Verherrlichung  der  Arnulfinger 
geschrieben  und  namentlich  in  den  ältesten  Teilen  irreführend, 
übrigens  aber  aus  guten  Quellen  fliefsend,  ist  die  Geschichte  von 
687 — 692,  welche  den  Anfang  der  Ännales  Mettenses  bildet^),  wo 
bis  768  eine  Kompilation  aus  Fredegar  u.  a.  Annalen  sich  anschliefst. 
Früher  gering  geschätzt,  ist  sie  von  L.  Ranke,  trotz  der  sagenhaften 

Oelsner,  K.  Pippin  S.  155.  Das  Schreiben  Stephans  IL,  welches  B.  Simson, 
Forsch.  XIX.  180,  als  die  Quelle  betrachtet,  ist  in  der  neuen  Ausg.  von 
Jaffes  Reg.  Pont.  n.  2316  von  P.  Ewald  mit  Recht  als  unecht  bezeichnet. 
Ebenso  in  der  Ausg.  jenes,  von  Hilduin  seinen  Acta  Dionysii  angehängten 
Stückes  von  Waitz ,  SS.  XV,  2.  —  Benutzt  ist  die  Clausula  in  einem 
(unechten?)  Breve  Clemens  11.  für  Romainmötier,  NA.  XI,  590. 

^)  Zu  vergleichen  ist  für  diese  Zeit  noch  der  Libellus  de  Majorihu^ 
domiis,  Bouq.  II,  699  aus  Du  Chesne  SS.  II,  1,  der  nicht  vor  dem  9.  Jahr- 
himdert  geschrieben  ist,  wie  B.  Simson  bemerkt,  nahe  verwandt  dem 
Chron.  Adonis,  vielleicht  ein  Auszug.  Ferner  das  von  Wilthem  excei'pierte 
Fragmentum  historicum  ex  libro  aureo  Epternacensi  über  die  Jahre  714  u. 
715,  aus  unbekannter  Quelle,  herausgegeben  von  Reiffenberg  im  Bulletin 
de  l'Academie  de  Bruxelles  (1843)  X,  2.  264,  u.  Monuments  de  Namur  etc. 
VII,  209;  jetzt  MG.  SS.  XXIII,  59.  Rätselhaft  ist  Aex  Dionij^ius,  welchen 
Gobelinus  Person  als  Chronisten  von  Prosper  bis  Einhard  (455 — 741)  an- 
führt, vgl.  Hagemann,  üeber  die  Quellen  des  G.  P.  (Diss.  Hai.  1874)  S.  32. 
Cosmidromius  ed.  Jansen  p.  XLV.  Er  ist  aber  nicht  zusammenzubringen 
mit  der  Erwähnung  der  Cyclen  des  Dionysius  Exiguus  bei  Regino  z.  J. 
741 ,  wo  er  nur  von  der  Incongruenz  der  verschiedenen  Berechnungen 
spricht;  allerdings  scheint  er  in  seinem  Exemplar  eine  annalistische  Be- 
merkung zu  741  gehabt  zu  haben. 

2)  MG.  SS.  I,  316—321. 


144  II.  Die  Karolinger.     §  1.    Fredegars  Fortsetzer. 

Färbung  der  ältesten  Pai'tien,  nachdrücklich  in  Schutz  genommen  und 
ihr  Wert  ins  Licht  gestellt^).  Es  kommt  hinzu,  dafs  das  Fragmentum 
de  Pij}jnno  duce"^),  welches  Bonnell  für  ein  schlechtes  Excerpt  aus 
den  Mettenser  Annalen  erklärt  hatte,  in  dem  Cod.  Arundel.  375 
saec.  XI  des  Brit.  Museum  aufgefunden  ist^)  und,  da  es  nun  als 
Quelle  anerkannt  ist,  ein  höheres  Alter  dieser  Darstellung  verbürgt. 

Die  Würdigung  dieser  Quelle  ist  dadurch  zum  Teil  eine  andere 
geworden ,  dafs  Hampe  in  einer  Handschrift  der  Kathedrale  von 
Durham  des  11.  Jahrhunderts  eine  bis  830  reichende  Kompilation 
auffand,  in  welcher  wir  die  unmittelbare  Quelle  der  sogenannten 
Ann.  Mett.  zu  erkennen  haben.  Obgleich  die  Handschrift  fehlerhaft 
ist,  bietet  sie  doch  manche  sachliche  Verbesserungen  und  läfst 
namentlich  die  in  ihr  benutzten  Quellen  deutlicher  erkennen,  ihre 
Entstehung  aber  wird  man  gleichfalls  nach  St.  Arnulf  in  Metz  ver- 
legen müssen'*). 

Natürlich  ist  es,  dafs  man  bei  fortschreitender  litterarischer 
Bildung  bald  sowohl  an  der  rohen  Form  des  Fredegar  und  seiner 
Fortsetzer,  als  auch  an  dem  dürftigen  Inhalte  dieser  Aufzeichnungen 
Anstofs  nahm.  Zu  Karls  d.  Gr.  Zeit  entstand  eine  Kompilation,  in 
welcher  die  Chronik  des  Beda  verbunden  ist  mit  Zusätzen  aus 
Hieronymus,  Orosius,  Fredegar  und  seinen  Fortsetzern,  den  Gestis 
Francorum  und  Jahrbüchern,  die  mit  den  Lorscher  grofse  Aehnlich- 
keit  haben,  bis  741.  Wir  werden  auf  dieses,  sowie  auf  andere  ähn- 
liche Arbeiten  zurückzukommen  haben. 

Mit  dem  kriegerischen  Ruhme  vereinigte  das  karolingische  Haus, 
wie  es  zu  einer  hervorragenden  Stellung  damals  fast  unerläfslich 
war,  auch  den  kirchlichen.  Klosterstiftungen  und  klösterlich  frommer 
Lebenswandel  schmücken  ihren  Stammbaum  mit  Heiligen,  wie  Ger- 
trud und  Begga,  und  auch  dem  Ahnherrn,  Bischof  Arnulf  von 
Metz,  wurde  mit  gutem  Recht  die  dankbare  Verehrung  der  Nach- 
kommen zu  teil.  Sein  Leben  ist  auch  von  einem  Zeitgenossen  be- 
schrieben worden,  und  was  hier  über  ihn  berichtet  wird,  ist  wert- 
voll, aber  dem  Verfasser^),  einem  der  Mönche,  welche  den  heiligen 


1)  Weltgesch.  Y,  2,  S.  294  ff. 

2)  Freher,  Corpus  SS.  Franc,  p.  168 — 170;    am  Sclilufs  unvollständig, 
ä)  Arch.  VIII,  759,  vgl.  Simson,  NA.  XXV,  177. 

'')  S.  B.  V.  Simson,  Die  wieder  aufgefundene  Vorlage  der  Ann.  Mett. 
und  Nachtrag  dazu,  NA.  XXIV,  399-424;  XXV,  177—183. 

^)  Ueber  die  4  angeblich  von  ihm  verfafsten  Vitae  s.  die  Diss.  von 
Dony  in  den  von  G.  Kurth  1888  herausgeg.  Dissert.  aeademiques.  Krusch 
hat  nachgewiesen  (s.  oben  S.  134  A.  2) ,  dafs  der  viel  jüngere  Verf.  des 
Lebens  der  Stifter  von  Remiremont  vielmehr  die  V.  Amulfi  benutzt  hat. 


Heiligenleben.     Die  Angelsachsen.  145 

Romarich  nach  Metz  begleiteten,  als  er  den  weltmüden  Bischof  629 
nach  seiner  Einsiedelei  in  Remiremont  abholte,  hatte  begreiflicher- 
weise wesentlich  den  Zweck  und  Gesichtspunkt,  seine  kirchlichen 
Tugenden  zu  preisen')- 

Als  Werk  eines  Zeitgenossen  und  Augenzeugen  schätzbar  ist 
auch  das  Leben  der  heiligen  Gertrud,  Pippins  I.  Tochter,  der 
Stifterin  des  Klosters  Nivelle,  wo  sie  am  17.  März  659  starb.  Ganz 
ohne  Grund  von  Bonneil  verdächtigt,  ist  ihre  Lebensbeschreibung 
von  Friedrich  in  ihrem  Wert  erkannt  und  von  Krusch  nach  einer 
Handschrift  des  8.  Jahrhunderts  herausgegeben-). 

Einige  gute  Nachrichten  enthält  auch  das  noch  zu  König  Pippins 
Lebzeiten  geschriebene  Leben  des  Stifters  des  Klosters  Laubach 
oder  Lobbes,  Ermino  (f  737)  vom  Abt  Anso^).  Die  schon  für 
diese  Zeit  nicht  unwichtige  Lütticher  Litteratur  werden  wir  später 
noch  zu  berühren  Anlafs  haben. 

Ganz  unverändert  werden  uns  aufser  diesen  sehr  wenige  Legenden 
erhalten  sein ;  dafür  ist  ihre  Form  zu  glatt,  zu  abweichend  von  den 
authentischen  Denkmälern.  Zum  Vorlesen  bestimmt  und  gebraucht, 
mufsten  sie  der  zunehmenden  Bildung  angepafst  werden,  und  leicht 
verbanden  sich  damit  Zusätze  und  Aenderungen,  welche  auch  den 
Inhalt  berührten. 

§  2.     Die  Angelsachsen. 

Die  zahlreichen  Missionen  der  irischen  Mönche  vermochten  doch 
nichts  dauerndes  zu  schaffen,  und  auch  in  der  Heimat  konnte  diese 
alte  vereinzelte  Kirche  sich  der  römisch-englischen  Uebermacht  nicht 
erweh^-en.  Sie  unterlag  überall,  aber  nicht  etwa  der  äufseren  Ueber- 
macht allein ;  in  jeder  Weise  wurden  die  Angelsachsen  ihrer  alten 
Lehrer  Meister.  In  den  grofsen  Weltchroniken  des  Mittelalters 
finden  wir  kaum  eine  Erwähnung  von  Irland ;  die  Reiche  der  Angel- 
sachsen aber  treten  auffallend  in  den  Vordergrund  für  lange  Zeit. 
Das  ist  der  Einflufs  des  Beda  (geb.  673,  f  735  oder  742?),  dessen 

')  Neue  Ausg.  v.  Krusch,  SS.  Merov.  II,  426—446.  Die  Hs.  schrieb 
Karl  Martels  9jähriger  Sohn  Hieronymus  ab;  vo-1.  Poet.  Car.  I,  89  n.  L 
Uebers.  Geschichtschr.  XI  (VII,  2),  S.  131— 140,  nach  Fredegar.  Der 
angebliche  Name  des  Verf.  der  wertlosen  2.  Vita  Umno  ist  ein  Lese- 
fehler: „Exhortatione  plurimorum  commonitus  Umno  Dei  gratia  prae- 
ventus'  statt  immo. 

^)  Vitn  S.  Geretrudi!< ,  SS.  Meroving.  II,  447 — 474  mit  den  noch  im 
8.  Jahrhundert  hinzugefügten  Wundern. 

2)  Mab.  III,  1,  564. 

Wattenbach,  Greschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  10 


146  II'  Karolinger.     §  2.    Angelsachsen. 

Schriften  diese  Angaben  entnommen  wurden^).  Einen  Mann  wie 
diesen  Beda  hat  die  gesamte  irische  Kirche  nicht  hervorgebracht; 
er  war  der  Lehrer  des  ganzen  Mittelalters-).  Durch  mathematisches 
Wissen  haben  gerade  die  Schottenmönche  sich  augezeichnet,  auf 
ihren  Unterricht  mag  ein  bedeutender  Teil  der  Gelehrsamkeit  Bedas 
sich,  wenn  auch  nur  mittelbar,  zurückführen  lassen,  ihm  aber  war 
es  vorbehalten,  durch  die  Gediegenheit  und  Fafslichkeit  seiner  Lehr- 
bücher für  Jahrhunderte  in  jedem  Kloster  die  Anleitung  zu  den 
nötigen  astronomischen  Kenntnissen  zu  geben ;  wo  man  es  ver- 
schmähte, tiefer  einzudringen,  benutzte  man  wenigstens  seine  Oster- 
tafeln  als  unentbehrliches  Hilfsmittel  der  kirchlichen  Zeitrechnung, 
in  welcher  durch  ihn  die  für  leicht  übersichtliche  Chronologie  so 
förderliche  dionysische  Aera  üblich  wurde.  Sein  Martyrologium  ist 
die  Grundlage  aller  späteren  Umarbeitangen ;  seine  kleine  Chronik 
von  den  sechs  Weltaltern  (bis  726),  welche  seinem  Buche  De  tem- 
poribus  (c.  66 — 71)  einverleibt  ist,  war  überall  bekannt,  und  die 
Kirchengeschichte  Englands  (bis  731)  wurde  um  so  eifriger  gelesen, 
als  man  hierin  den  Ursprung  der  eigenen  Kirche  erkannte,  sowie 
sie  andererseits  das  Bewufstsein  dieser  Verbindung  wach  erhielt. 
Hatten  die  irischen  Missionare  nicht  durch  Frömmigkeit  allein, 
sondern  auch  durch  mancherlei  Kenntnisse  und  Gelehrsamkeit  die 
Bewunderung  der  Franken  erregt,  so  überragten  doch  nun  die 
Angelsachsen  noch  in  weit  höherem  Mafse  alles ,  was  man  bis  da- 
hin gekannt  hatte. 

Ein   älterer  Zeitgenosse   des  Beda,    ein  Northumbrier   aus   dem 

^)  Von  den  durch  Mommsen  im  13.  Bande  der  Auctt.  antt.  heraus- 
gegebenen britischen  Geschichtschreibern  Gildas  und  Nennius  sehen  wir 
hier  ab,  weil  sie  Deutschland  völlig  fremd  sind. 

^)  Ueber  die  Schreibart  Baeda  (die  eben  damals  veraltende)  s.  H. 
Zimmer,  NA.  XVI,  599—601.  Vgl.  über  ihn  Ebert  S.  634—650.  Karl 
Werner,  Beda  der  Ehrwürdige  u.  seine  Zeit,  Wien  1875.  Cantor,  Gesch.  d. 
Mathem.  I,  707 — 712.  Scholl  u.  Seebafs  in  Herzogs  Realencyclopädie.  — 
Opera  ed.  Giles,  London  1843  ff.  12  Bände.  Bd.  1 — 4  die  historischen 
Schriften.  Chron.  VI,  270  als  c.  66.  67,  von  De  temporum  ratione.  Opera 
historica  ed.  Stevenson,  1841,  2  Bände;  cura  R.  Hussey,  Ox.  1846.  Mon. 
bist.  Brit.  (1848)  p.  83—102  (Sexta  aetas),  p.  103—289  (Bist.  eccl.).  Migne 
XC— XCV.  Eist.  eccl.  ed.  Holder  1882.  Hist.  eccl.  Hist.  abb.  Wirem. 
ad  Ecgbertum  cum  hist.  abb.  auct.  anonymo  ed.  Ch.  Plummer,  Oxford 
1896,  2  Bde.  (nach  den  4  ältesten  Hss.).  Auszüge,  Geschichtschr.  VII,  1 
bei  Isidor,  von  Coste.  Bedae  Chronica  minora  et  maiora  nebst  Anhängen 
ed.  Mommsen,  Auctt.  antt.  XIII,  223—334.  G.  Wetzel,  Die  Chroniken 
des  Beda  (über  seine  Quellen  und  die  Art  ihrer  Benutzung),  Diss.  Hai. 
1878.  Büdinger  in  den  Denkschr.  der  phil.  hist.  Cl.  der  Wiener  Akad. 
XLVI,  II,  1 — 9.  Ueber  die  Continuatio  Bedae  von  781 — 766,  H.  Hahn, 
Forsch.  XX,  553—569.  Die  Annales  chronographi  vetusti,  SS.  XIII,  716, 
schreibt  Krusch  ihm  zu,  NA.  XI,  633. 


Vita  Gregorii  I.     Angelsächsische  Mission.  147 

Kloster  Streoneshalch  (Wbitby),  an  Bildung  und  Wissen  ihm  weit 
nachstehend,  hat  seiner  Verehrung  für  den  Begründer  des  Christen- 
tums in  England,  Papst  Gregor  den  Grofsen,  ein  Denkmal  ge- 
stiftet, indem  er,  so  gut  er  es  vermochte,  eine  Lebensbeschreibung 
desselben  verfafste,  mit  nicht  unwichtigen  Nachrichten  über  die 
Bekehrung  seiner  Heimat  Wundergeschichten  und  den  Preis  der 
Werke  Gregors  verbindend.  Dieses  merkwürdige  Werkchen  ist  erst 
durch  P.  Ewald  in  einer  alten  Sanktgaller  Handschrift  entdeckt, 
der  wesentliche  Inhalt  mitgeteilt,  und  mit  grofsem  Scharfsinne  nach- 
gewiesen, dafs  dieses  die  von  Beda,  Paulus  und  Johannes  Diaconus 
benutzte  angelsächsische  Legende  istO- 

Schon  vor  Beda  hatte  auch  die  angelsächsische  Mission  begonnen, 
welche  sich  hauptsächlich  den  stammverwandten  Sachsen  und  Friesen 
zuwandte.  Ein  charakteristischer  Unterschied  dieser  Mission  von 
der  irischen  liegt  in  ihrem  Verhältnis  zum  römischen  Stuhl :  seitdem 
S.  Augustin,  von  Gregor  dem  Grofsen  gesendet,  die  englische  Kirche 
begründet  hatte,  war  diese  in  der  engsten  Verbindung  mit  Rom 
geblieben,  und  von  da  aus  geleitet,  wurde  die  Kirchen  Verfassung  fest 
und  sicher  organisiert.  Dadurch  gewann  diese  Mission  einen  ganz 
anderen  Boden ,  und  war  nicht  der  Vereinzelung  und  der  daraus 
folgenden  Verwilderung  ausgesetzt,  welche  den  Erfolg  der  Schotten- 
predigt auf  einzelne  Klosterstiftungen  beschränkte. 

An  zuverlässigen  Lebensbeschreibungen  der  älteren  unter  diesen 
Glaubensboten  fehlt  es  freilich  auch,  und  ihre  Wirksamkeit  würde 
uns  in  nicht  minder  zweifelhaftem  Dämmerlichte  erscheinen,  als  die 
der  Schottenmönche,  wenn  nicht  die  englische  Kirche,  von  der  sie 
ausgingen,  in  helleren  Umrissen  vor  uns  stände,  und  vor  allem 
Beda  uns  so  manche  sichere  Nachricht  aufbewahrt  hätte. 

Augustin,  der  erste  Erzbischof  von  Canterbuiy,  starb  um  das 
Jahr  604.  Schon  sein  Schüler  Livin  soll  in  Friesland  gepredigt  haben, 
seine  Lebensbeschreibung  aber  ist  ein  späteres  betrügliches  Mach- 
werk. Da  sie  fälschlich  dem  Bonifatius  zugeschrieben  wird,  findet 
sie  sich  in  der  Sammlung  seiner  Schriften^). 

Auch  Wilfrid,    Erzbischof  von  York,    der   im  Jahre   709    ge- 

^)  P.  Ewald,  Die  älteste  Biographie  Gregors  L  Eist.  Aufsätze  dem 
Andenken  an  G.  Waitz  gewidmet  (1886),  S.  17 — 54. 

-)  Vgl.  Rettberg  II,  509.  Die  Unecbtheit  der  ihm  zugeschriebenen 
Verse  an  den  Genter  Abt  Florbertus  mit  dem  Epitaphium  S.  Bavonis, 
mit  Anklängen  an  Boethius  (die  an  sich  nicht  gegen  die  Echtheit  sprechen 
würden) ,  hat  Holder-Egger  nachgewiesen ,  Waitz-Aufsätze  S.  623 — 665. 
NA.  XVI,  623.  E.  Norden  (Ant.  Kunstprosa  S.  667  A.  2)  hat  sie  arglos 
benutzt. 


148  II-  Karolinger.    §  2.    Angelsachsen. 

sterben  ist,  hat  unter  den  Friesen  gepredigt,  als  er  auf  einer  Reise 
nach  Rom  678  an  ihrer  Küste  landete,  um  den  Nachstellungen  des 
Hausmeiers  Ebroin  zu  entgehen  0-  Besonderes  Verdienst  um  die 
Mission  erwarb  sich  aber  Ecgberct,  der  Abt  des  Klosters  Hy,  in 
welchem  er  die  bis  dahin  dort  herrschende  ix'ische  Weise  durch  die 
siegreiche  römisch-englische  verdrängte.  Er  entsandte  686|87  noch 
von  Irland  aus ,  bevor  er  es  verlassen  hatte ,  zum  Friesenfürsten 
Radbod  den  Wictberct^),  und  nach  dessen  Heimkehr  im  Jahi*e 
690  Willibrord  mit  elf  Gefährten.  Dieser,  zu  Ripon  erzogen,  695 
in  Rom  unter  dem  Namen  Clemens  zum  Erzbischof  geweiht,  be- 
gründete 698  das  Kloster  Echternach,  aber  nicht  allein  als  Stätte 
eines  stillen  beschaulichen  Lebens,  sondern  als  Ausgangspunkt  für 
seine  Thätigkeit,  und  mit  Karl  Martels  Hilfe  gelang  ihm  sodann 
auch  die  Stiftung  des  Bistums  Utrecht,  wo  er  im  Jahre  739  als 
erster  Bischof  verstorben  ist.  Sein  Leben  ist  erst  lange  nach  seinem 
Tode  von  Ale  vi  n  aus  fast  ausschliefslich  erbaulichem  Gesichtspunkte 
beschrieben  und  dem  Abte  Beornrad  von  Echternach,  einem  Ver- 
wandten Will  ibrords,  gewidmet  worden^);  die  ältere  Lebensbeschrei- 
bung, welcher  er  gewifs  wesentlich  folgte,  von  einem  Schottenmönche 


^)  Rettberg  II,  511.  Dafs  jedoch  Wilfrid  nicht  wider  Willen  an  diese 
Küste  verschlagen  wurde ,  bezeugt  sein  Schüler  und  Biograph  A  e  d  d  e, 
genannt  Stephanus,  bei  Mab.  IV,  1,  671.  Wenn  aber  Alberdingk 
Thijm,  H.  Willibrordus  S.  84  (deutsch  S.  57)  auch  in  der  Missionspredigt 
unter  den  Friesen  einen  tief  angelegten  Plan  sieht,  so  findet  das  in  den 
Quellen  keine  Bestätigung.  Dagegen  auch  Moll,  Kerkgeschiedenis  van 
Nederland  I,  87. 

2)  Rettberg  IT,  513. 

*)  Alcvini  Vita  S.  WiUibrordi  ed.  Wattenbach ,  nach  Jaffes  Vorarbeit 
den  älteren ,  früher  nicht  benutzten  Handschriften  folgend ,  Bibl.  VI,  32 
bis  79.  Das  metr.  2.  Buch  auch  bei  Dümmler,  Poet.  Carol.  I,  207—220, 
wo  eine  AVürzburger  Hs.  Theol.  f.  34  unbenutzt  geblieben  ist.  Die  Wid- 
mung auch  Epp.  IV,  174.  Ebert  II,  25  behauptet,  dafs  das  hexametr. 
Gedicht  über  Willibrord  schon  früher  verfafst  war,  jedoch  mit  Unrecht, 
s.  Traube,  Karoling.  Dichtungen  S.  17.  Die  eigenhändige  Aufzeichnung 
Willibrords  vom  J.  728  über  seine  Weihe  (ib.  p.  46)  ist  im  Pariser  cod. 
Lat.  10887  (Suppl.  1680).  NA.  II,  293.  Facs.  einer  Schriftseite  des  Mar- 
tyrol.  Acta  SS.  Apr.  II,  Propyl.  Tab.  II,  vgl.  Delisle,  Gab.  d.  Mss.  pl.  XIX. 
Auch  das  Evangeliar,  Paris  9889  (Suppl.  lat.  693)  soll  von  ihm  mitge- 
bracht sein ,  Waagen,  Kunstwerke  in  Paris  S.  241 ,  Facs.  Hist.  de  l'Im- 
primerie  (Livre  d'or  des  metiers)  p.  12  u.  bei  Delisle.  Alberdingk  Thijm, 
H.  Willibrordus ,  Apostel  der  Nederlanden,  Amsterd.  und  Brüssel  1861 
(Deutsch  mit  Zusätzen  von  Dr.  Trofs  in  Hamm ,  Münster  1863)  sucht 
einen  Gegensatz  zwischen  Willibrord  als  Vorkämpfer  der  auf  Errichtung 
einer  unabhängigen  deutschen  Kirche  gerichteten  Politik  der  Päpste,  und 
den  egoistischen  fränkischen  Missionsbestrebungen  nachzuweisen  im  An- 
schlufs  an  Gfrörer,  wofür  ich  in  den  Quellen  keine  Begründung  finden 
kann.     Vgl.  Moll  I,  95—118.     Hauck  I,  417—431,  vgl.  290. 


Angelsächsische  Mission.  149 

nisHco  sWo  verfafst,  ist  leider  verloren,  aber  sie  wurde  noch  be- 
nutzt von  Tbiofrid,  Abte  von  Echternach  (1083 — 1110),  dessen 
Werk  deshalb  nicht  ohne  Wert  ist'). 

Gleichzeitig  mit  ihm  predigte  auch  Suitbert,  der  Stifter  von 
Kaiserswerth,  von  Wilfrid  692j93  zum  Bischof  geweiht,  f  März  713, 
von  dem  jedoch  nur  wenig  bekannt  ist.  Als  das  merkwürdigste 
Andenken,  welches  er  uns  hinterlassen  hat,  sehr  bezeichnend  für  die 
höhere  und  feinere  Bildung,  welche  diese  Angelsachsen  in  der  Heimat 
pflegten  und  von  da  ins  Frankenreich  verpflanzten,  galt  bisher  die 
schöne  Handschrift  des  Livius,  welche  er  mitgebracht  haben  sollte, 
und  die  jetzt  zu  den  kostbarsten  Schätzen  der  Wiener  Hofbibliothek 
gehört.  Doch  wird  die  Inschrift  jetzt  richtiger  anders  gelesen,  die 
Bedeutung  der  Handschrift  aber  ist  nicht  geringer,  wenn  sie  aus 
der  Utrechter  Schule  stammt^).  Suitberts  Biographie  dagegen,  an- 
geblich von  Liudgers  Genossen  Marchelm  oder  Marcellinus  verfafst, 
ist  ein  grober  Beti'Ug  späterer  Zeit^).  In  diese  Zeit  gehört  auch 
noch  das  Leben  eines  angelsächsischen  Einsiedlers  Philipp,  der  zur 
Zeit  des  Königs  Pippin  eine  Zelle  im  Nahegau  gründete,  geschrieben 
etwa  um  850  von  einem  Mönche  eines  benachbarten  Klosters.  Der 
Inhalt  ist  sehr  dürftig^). 

Unter  den  Sachsen  predigten  der  weifse  und  der  schwarze  Ewald, 
deren  Lebensbeschreibung  aus  Beda  entnommen,  aber  völlig  sagen- 
haft ist^).  Später  folgte  ihnen  Liafwin,  jedoch  erst  um  770, 
nachdem  vielleicht  schon  mancher  Glaubensbote  vergeblich,  und 
ohne  das  Andenken  seines  Namens  zu  hinterlassen,  versucht  hatte, 
das  starre  Heidentum  der  alten  Sachsen  zu  überwinden.  Das  Leben 
Liafwins,  von  Hucbald  von  St.  Amand,  ist  nicht  ganz  ohne  Wert, 
aber  doch  erst  in  viel  späterer  Zeit,  im  10.  Jahrhundert  verfafsf'). 

')  MG.  SS.  XXIII,  23—30,  Auszüge  aus  dem  prächtigen,  dem  Erzb. 
Bruno  von  Trier  (1102 — 1124)  gewidmeten  Codex,  jetzt  in  Gotha  (diese 
Stelle  S.  11).  Die  metr.  Bearbeitung  ist  von  R.  Decker  im  Progr.  d.  k. 
Gymn.  zu  Trier  1880/1,  u.  mit  Benutzung  d.  Goth.  Hs.  von  K.  Rofsberg, 
L.  83  herausgegeben. 

^)  Mommsen  et  Studemund,  Analecta  Liviana  (1873)  p.  4  et  tab.  IV. 
Gitlbauer  de  cod.  Liv.  Vindobonensi,  Vind.  1876. 

3)  S.  Rettberg  II,  396;  Hauck  I,  421;  II,  367.  Bouterwek,  Swidbert 
der  Apostel  des  Bergischen  Landes,  Elberf.  1859. 

*)  Acta  SS.  Mail  I,  423 — 426.  üeber  einen  abweichenden  alten  Druck 
s.  Falk,  NA.  XXIII,  557  ff. 

5)  Rettberg  II,  397.  Ueber  den  Ort  des  Todes  Dr.  Trofs  bei  Alber- 
dingk  Thijm,  S.  217 — 223.  Lohoff,  Krit.  Untersuchungen  der  Geschichte 
der  beiden  Ewalde  unter  bes.  Berücksichtigung  d.  Aplenbecker  Tradition 
(Beiträge  z.  Gesch.  Dortmunds  I,  1875).     Hauck  II,  368. 

«)  Rettberg  II,  405.     Hauck  II,  348—349;  vgl.  unten  §  17,  III,  §  11. 


150  11-  Karolinger.     §  2.    Angelsachsen. 

In  Franken  finden  wir  Burchard,  den  Bonifaz  zum  ersten 
Bischof  von  Würzburg  weihte,  woselbst  Kilian  mit  seinen  Genossen 
den  Boden  bereitet  hatte.  Auch  seine  Lebensbeschreibung  aber  ist 
erst  im  9.  Jahrhundert  von  einem  Würzburger  Kleriker  verfafst 
und  völlig  wertlos ;  die  wenigen  Thatsachen,  welche  darin  berichtet 
werden,  sind  teils  entstellt,  teils  mit  oder  ohne  Absicht  erfunden'). 

Die  erste  wirklich  gleichzeitige  Lebensbeschreibung  besitzen  wir 
von  Wynfrith,  dem  Stifter  der  neuen  fränkischen  Kirche,  der 
alle  die  einzelnen  Pflanzungen  seiner  Vorgänger  zusammenfalste  in 
eine  mächtige  Organisation,  und  ihnen  dadurch  die  Kraft  zum 
dauernden  Bestehen  gab,  der  zugleich  die  alte  verfallene  fränkische 
Landeskirche  im  engsten  Anschlul's  an  Rom  emporrichtete,  und  so 
im  Vereine  mit  den  karolingischen  Herrschern  das  gewaltige  Ge- 
bäude aufführte,  in  dem  die  neu  hervorspriefsende  geistige  Bildung 
für  viele  Jahrhunderte  eine  gesicherte  Stätte  finden  sollte,  mitten 
unter  allen  Stürmen  und  Drangsalen  der  kampferfüllten  Zeiten. 
Allein  die  Schilderung  seines  Lebens  und  seiner  Wirksamkeit  liegt 
unserer  Aufgabe  fern;  wir  müssen  uns  hier  begnügen,  auf  die  aus- 
führlichen Darstellungen  Rettbergs  I,  331  S.  und  Haucks  zu  ver- 
weisen, wo  auch  genauere  Nachweisungen  über  seine  Biographen 
zu  finden  sind^). 

Sein  kirchlicher  Name  war  Bonifatius,  ohne  Zweifel  von  ho- 
num  fatum  abzuleiten ,  aber  nach  einer  richtigen  Bemerkung  von 
Loofs  scheinen  die  Zeitgenossen  den  Namen  vielmehr  von  hormm 
fari     hergeleitet  zu  haben  ^).     Er  besafs   eine  für  jene  Zeit  hervor- 

1)  Rettberg  II,  314.  _  Ausg.  Mab.  III,  1.  700.  Acta  SS.  Oct.  VI,  .573. 
MG.  SS.  XV,  43 — 50  mit  Auszügen  aus  der  jüngeren  Vita,  von  Hokler- 
Egger.     Hauck  I,  473. 

'^)  Dazu  kommen  nun  u.  a.  die  Jahrbücher  des  fränk.  Reiches  unter 
Pippin  von  Hahn  u.  Oelsner,  Vgl.  C.  Will,  Regesten  d.  Mainz.  Erzbb.  I. 
Ebert  S.  650— 659.  Hauck  I,  432—578.  Die  schöne  Charakteristik  bei 
Moll  I,  141  berührt  wohlthuend,  gegenüber  den  zur  Mode  gewordenen 
unwürdigen  und  unhistorischen  AngriflPen  auf  ihn.  —  Opera  ed.  Giles, 
Lond.  1844,  2  Bde.  Külb,  Sämtl.  Schriften  übers,  u.  erl.  1859,  2  Bde. 
Nürnberger,  Zur  handschr.  Ueberlieferung  d.  Werke,  NA.  VIII,  299—325. 
Aus  der  litt.  Hinterlassenschaft  des  h.  Bon.  u.  des  h.  Burchard.  24.  Ber. 
d.  Philomathie  in  Neisse,  1888.  Beitr.  zu  d.  Schriften  des  h.  Bon.  Rom. 
Quartalschr.  V,  28  ff.  Die  Glossen  zur  Ep.  Jacobi  im  Cod.  Fuld.  ed. 
E.  Ranke  1868  (vgl.  dess.  Specimen  Cod.  Fuld.  zum  Berlin.  Jubil.  1860, 
Facs.  der  Glossen)  sind  von  irischer  Hand,  s.  Traube  in  den  Münch.  SB. 
phil.  bist.  Cl.  1900  S.  492  Dagegen  ist  die  fuldische  Hs.  der  Evang.  von 
seinem  Genossen  Vidrung  (Wintrung)  geschrieben.  Gegen  die  Echtheit 
der  Sermones  Scherer,  Denkmäler  (1864)  S.  144.  H.  Hahn,  Forsch. 
XXIV,  583—625;  für  dieselbe  Nürnberger.  NA.  XIV,  109—134,  dagegen 
Hauck  I,  462  ff.     Steinmeyer,  3.  Ausg.  II,  328,  f.  d.  Unechtheit. 

=")  C.  Will,  Hist.  pol.  Bl.  LXXVIIl,  Heft  4.   Regesten  S.  V.   W.  Schmitz, 


Bonifatius  (WjTifritli).  151 

ragende  Bildung,  und  wir  besitzen  noch  von  ihm  eine  Grammatik 
und  Metrik'),  und  nicht  ohne  Geschick  und  Gewandtheit  verfafste 
Gedichte  mit  der  Vorliebe  für  Akrostichen  und  andere  Spielereien, 
welche  der  Zeit  und  besonders  seinen  Landsleuten  eigen  ist^). 

Von  weit  grölserem  Werte  für  uns  ist  die  Sammlung  von  Boni- 
fazens  eigenen  Briefen  und  den  päpstlichen  Schreiben  an  ihn'): 
aber  auch  die  bald  nach  seinem  Tode,  vielleicht  noch  zu  Pippins 
Lebzeiten  ^ ) ,  sicher  vor  786  verfafste  Biographie  enthält  schätzbare 
Nachrichten,  und  erhebt  sich  weit  über  die  früheren  Leistungen  der 
Art.  Der  Verfasser  war  ein  Priester  Namens  Willibald,  wohl 
ein  Landsmann,  der  bei  der  Kirche  St.  Victor  bei  Mainz  lebte,  und 
auf  Veranlassung  der  Bischöfe  Lul  von  Mainz  und  Megingoz  von 
Würzburg  seine  Arbeit  unternahm.  Lul  besonders  versah  ihn  mit 
Nachrichten,  so  wie  auch  andere  Schüler  Wynfriths,  den  Willibald 
selbst  nicht  gekannt  hatte.  Dieser  ist  freilich  hinter  einer  genü- 
genden Behandlung  seiner  grofsen  Aufgabe  weit  zurückgeblieben ; 
anfangs  sorgfältig  und  genau,  scheint  er  bei  der  grofsartigen  Ent- 
faltung der  Wirksamkeit  seines  Helden ,  bei  den  verwickeiteren 
politischen  Verhältnissen  unter  Pippins  Regierung  zu  ermatten ,  er 

Beitr.  z.  Lat.  Sprach-  u.  Litt.-Kunde  (1877)  S.  141.  Loofs,  Zeitschr.  f. 
Kirchengescli.  V,  Heft  4. 

^)  Ars  gramm.  bei  A.  Mai,  Auctt.  class.  VII,  475 — 548;  vgl.  Bursian 
in  d.  Münch.  SB.  1873  S.  457—460. 

^)  Hierüber  s.  Dümmler,  NA.  IV,  98  —  101,  u.  die  Ausg.  Poet.  Carol. 
I,  1—19,  vgl.  II,  687;  NA.  XI,  412;  XXVII,  211—216  von  Traube,  Die 
älteste  Hs.  der  Aenigmata  Bon. 

^)  Diese  überaus  wichtige,  auch  über  B.'s  Zeit  hinausreichende  Samm- 
lung liegt  in  der  ersten  kritischen  Ausgabe  von  Jaffe  vor,  Bibl.  III,  8 
bis  315,  und  Dümmler,  Epp.  III,  215-433.  721.  5  Gedichte  v.  Aldhelms 
Schüler  Aethilwald  sind  vorangestellt,  vgl.  English  histor.  review  XV, 
291  S.  Vgl.  Forsch.  X,  397 — 426  gegen  die  chronolog.  Behauptungen 
Dünzelmanns  in  seiner  Gott.  Diss.  von  1869.  Dieser  hält  jedoch  einen 
Teil  derselben,  und  vorzüglich  die  grundsätzliche  Annahme  willkürlicher 
Zufügung  der  Daten,  aufrecht,  und  erklärt  einige  der  Briefe  für  Stil- 
übungen, Forsch.  XIII,  1 — 32.  H.  Hahn,  Noch  einmal  die  Briefe  und 
Synoden  des  Bonifaz,  Forsch,  XV,  43 — 124.  Ein  übersehener  Brief  des 
P.  Zacharias,  NA.  I,  580—583,  berichtigt  von  Loewenfeld,  ib.  IV,  173 
bis  175.  Hahn,  üeber  einige  Briefe  d.  Bonif.  Sammlung  m.  unbest,  Adr., 
Forsch.  XXI.  388 — 400.  Hahn,  Bonifaz  u.  Lul.  Ihre  angels.  Correspon- 
denten,  1883,  Loofs,  Zur  Chronol.  der  auf  die  fränk.  Synoden  bezügl. 
Briefe,  Leipz.  Diss.  1881 ,  vgl.  NA.  VII ,  418.  P.  Ewald  über  die  Frag- 
mente in  d.  Brit.  u.  a.  Canonensammlungen ,  NA.  V,  284 — 295.  Nürn- 
berger, Verlorene  Hss.  der  Briefe,  NA.  VII,  353—381.  Die  Bonif.-Litter. 
der  Magdeb.  Centuriatoren,  ib.  XI,  9 — 41.  P,  Ewald,  Susanna  u.  Brann- 
linde, Deutung  der  chiffrierten  Namen,  NA.  VII,  196 — 198.  Dagegen 
'  Diekamp  in  d.  Beschr.  d.  Wiener  Hs,  ib.  IX,  9 — 28.  Hahn,  Die  Namen 
der  Briefe  im  Liber  eccl.  Dunelm.  NA.  XII,  109—127. 

-*)  Dagegen  L.  Oelsner,  Jahrb.  S.  490. 


152  II-  Karolinger.     §  2.    AngelsacliseB. 

wii-d  verwirrt  und  ungenau,  übergeht  gänzlich  die  wichtigsten  Vor- 
fälle und  eilt  weiter  zu  dem  Märtyrertode  des  Bonifaz\),  bei  welchena 
er  in  frommem  Phrasenschwalle  verweilt.  Aehnliche  Ei'scheinungen 
sind  auch  in  Biographien  der  späteren  Zeit  häufig;  wo  ein  Bischof 
aus  dem  engen  Kreise  der  Asketik  und  bescheidener  Pastoraltugenden 
heraustritt,  wo  er  als  Staatsmann  zu  schildern  war,  entzieht  er  sich 
dem  Gesichtskreise  seines  beschränkten  Biographen.  Hier  aber  ist 
der  Abstand  der  §§  30 — 32  von  Anfang  und  Ende  so  auffallend, 
namentlich  auch  der  Mangel  aller  bestimmten  Angaben  über  Boni- 
fatius'  Erhebung  auf  den  Mainzer  Stuhl,  die  plötzlich  als  fertige 
Thatsache  erwähnt  wird,  sowie  über  die  Stiftung  des  Klosters  zu 
Fulda  so  unerklärlich,  dafs  der  Verdacht,  Luis  Zensurstriche  möchten 
hier  verwirrend  und  verstümmelnd  eingewirkt  haben,  kaum  abzu- 
weisen ist^).  Auch  der  Streit  über  die  Beerdigung  des  Märtyrers 
in  Mainz  oder  in  Fulda  ist  mit  keinem  Worte  berührt.  Willibalds 
Sprache  ist  noch  weit  entfernt  von  der  Reinheit  der  karolingischen 
Latinität,  aber  er  bezeichnet  doch  schon  den  Anfang  einer  besseren 
Zeit;  er  hat  in  der  Schule  seine  Klassiker  gelesen,  und  sein  Haupt- 
fehler besteht  darin ,  dals  er  es  zu  gut  machen  will ,  dafs  er  im 
Streben  nach  einem  gewählten  Stil  in  Verkünstelung  verfällt, 
während  er  doch  in  den  Grundregeln  der  Grammatik  noch  keines- 
wegs sicher  ist^). 

')  Nach  der  seit  Rettberg  herkömmlichen  Annahme  am  5.  Juni  755. 
Sickels  und  Oelsners  Meinung,  dafs  754  das  richtige  Jahr  sei,  wird  mit 
sehr  erheblichen  Gründen  bekämpft  von  C.  Will  in  d.  Tüb.  theol.  Quartal- 
schrift  1873  S.  510 — 533,  worauf  er  auch  in  den  Regesten  der  Mainzer 
Erzbischöfe  S.  30  verweist.     Hauck  I,  573—575  für  755. 

^)  Vgl.  die  Einleitung  B.  Simsons  zur  üebersetzung.  Die  Feindschaft 
zwischen  den  Fuldem  und  Lul,  dem  Gründer  von  Hersfeld,  ist  bekannt; 
bei  Arndt,  Zur  Üebersetzung  der  V.  Bonif.  S.  130,  ist  das  Privilegium  d. 
Papstes  Zacharias  für  Fulda  aus  der  Bonifazischen  Briefsammlung  mit- 
geteilt, das  aus  dem  Mainzer  Exemplar  ausgeschnitten  war.  Ohne  Kennt- 
nis hiervon  erweist  Th.  Sickel  die  Echtheit  jener  Bulle  in  den  Beiträgen 
zur  Diplomatik  IV,  47—73.  Vgl.  Bibl.  III,  228.  Oelsner,  Jahrbb.  S.  487. 
Hahn,  Forsch.  XV,  87.  Ewald,  Regesta  Pontiff.  2293.  Abschlielsend 
handelt  über  das  päpstl.  Privilegium  für  Fulda  und  über  die  Versuche, 
nachträglich  dafür  eine  königl.  Bestätigung  zu  beschaffen:  Tangl  in  den 
Mitteil,  des  Inst.  XX,  193—252.  —  Im  Prolog  (abgedr.  Epp.  IV,  500)  bat 
Willibald  die  Epistola  Victurii  benutzt  nach  Br.  Krusch,  NA.  IV,  171. 

^)  Ausgabe  von  Pertz,  MG.  SS.  II,  331—353;  von  Nürnberger  mit 
textkritischem  Apparat,  Breslau  1895,  im  27.  Bericht  der  Philomathie  in 
Neisse.  Uebersetzungen  v.  H.  E.  Bonnell,  Berl.  1856,  8.  Külb,  Sämtliche 
Schriften  des  heil.  Bonifacius  übersetzt,  Regensb.  1859;  von  B.  Simson 
und  von  W.  Arndt,  1863  (diese  Geschichtschr.  13.  VIII,  2  in  neuer  Aus- 
gabe), beide  mit  berichtigter  Abteilung  d.  Kapitel,  jene  mit  sorgfältigem 
Kommentar,  Arndt  mit  Benutzung  der  ältesten  Münchener  (Freisinger) 
Handschrift.   Nach  dieser,  grammatisch  fehlerhaftesten,  und  der  einsichtig 


Bonifatius,  Willibald  und  Wynnebald.  153- 

Von  Lul,  Bonifatius'  Schüler  und  Nachfolger,  besitzen  wir 
ebenfalls  eine  Biographie,  in  welcher  kürzlich  Holder-Egger  ein  Werk 
Lamberts  erkannt  hat,  und  welche  deshalb  als  solche  später  zu 
erwähnen   sein  wird,     Ihr   geschichtlicher  Wert   ist   unbedeutend'). 

Dagegen  ist  als  ein  merkwürdiges  Denkmal  dieser  Zeit  noch 
das  Leben  der  beiden  Brüder  Willibald  und  Wynnebald  zu 
nennen^),  verfafst  von  einer  Nonne  des  Klosters  Heidenheim,  welches 
Wynnebald  um  751  gestiftet  hatte  und  bis  zu  seinem  Tode  (19.  De- 
zember 761)  leitete;  während  Willibald  741  von  Bonifaz  zum  ersten 
Bischöfe  von  Eichstedt  geweiht  war.  Wie  diese  Brüder,  so  stammte 
auch  die  mit  ihnen  verwandte  Verfasserin  aus  England,  von  wo  sie 
erst  nach  Wynnebalds  Tode  nach  Heidenheim  kam.  Ihr  Werk  zeigt 
uns,  was  auch  aus  Bonifatius'  Briefsammlung  hervorgeht,  wie  über- 
aus lebhaft  dort  auch  die  Nonnen  an  den  gelehrten  Studien  Anteil 
nahmen^).  Freilich  wurde  auch  sie,  wie  es  leider  so  häufig  vorkam, 
durch  ihre  Gelehx'samkeit  zu  einer  sehr  gezierten  und  schwülstigen 
Schreibart  verleitet  und  vor  fehlerhaftem  Ausdrucke  nicht  bewahrt ; 
ja  der  Ausdruck  ist,  wie  er  in  der  neuen  Ausgabe  nach  der 
ältesten  Handschrift  hergestellt  ist,  sogar  in  unglaublichem  Mafse 
barbarisch,  aber  gelehrt  barbarisch,  d.  h.  mit  griechischen  und 
anderen  seltsamen  Worten  beladen.  Den  Hauptinhalt  und  den 
wertvollsten  Teil  bildet  in  dem  Leben  Willibalds  der  Bericht  über 
seine  Pilgerfahrt  nach  dem  gelobten  Land  (bis  729),  welcher  darin 
besonders   hervortritt   und   den    gröfsten  Eaum   einnimmt.     Er   ist 

korrigierten  Reichenauer  von  Reginbert ,  hat  Jaffe  seine  neue  Ausgabe 
gemacht,  Bibl.  III,  422 — 471.  Es  folgen  hier  noch  die  Mainzer  Passio 
und  Auszüge  aus  Othloh  und  dem  Presb.  Ultraiectinus.  Eine  verkürzte 
Ueberarbeitung,  irrig  für  älter  gehalten,  ist  in  den  Analecta  BoUandiana 
abgedruckt,  s.  Waitz,  NA.  VIII,  169—171.  Hauck  I,  432—433.  Eine 
interpolierte  Legende ,  deren  Angabe  über  die  Stiftung  der  Kirche  zu 
Hameln  mit  neuen  Erweiterungen  in  die  Hämelsche  Chronik  des  Johann 
von  Pohle  übergegangen  ist,  hat  0.  Meinardu?  in  der  Zeitschr.  d.  bist.  V. 
f.  Niedersachsen  1882  herausgegeben.  Nürnberger,  Disquisitt.  ci-it.  im 
Progr.  d.  Bresl.  Matthias- Gymn.  1892.  Wertlos  ist  die  Jenenser  Dissert. 
von  G.  Woelbing  über  die  mittelalterl.  Lebensbeschreibungen  des  Boni- 
fatius, Leipz.  1892. 

')  S.  über  ihn  vorzüglich  das  oben  angeführte  Werk  von  Hahn,  Bonif. 
u.  Lull,  1883.  Brief  Karls  des  Gr.  an  ihn(?),  Epp.  IV,  532.  üeber  ein 
vielleicht  von  ihm  selbst  verfafstes  Epitaphium  Forsch.  XXII,  423 ;  NA. 
VIII,  225.  Ein  nach  der  in  Marburg  wiedergefundenen  Hs.  wesentlich 
verbesserter  Text  Forsch.  XXV,  177;  Lamperti  opp.  ed.  Holder-Egger 
p.  355. 

^)  So  die  authentische  Form.  Die  älteren  Ausgaben  sind  unbrauchbar 
neben  der  neuen  von  Holder-Egger,  SS.  XV,  80—117. 

^)  Eine  Hs.  aus  dem  Besitz  einer  angelsächs.  Aebtissin  befindet  sich 
jetzt  in  Würzburg,  vgl.  Arch.  f.  d.  Stud.  d.  neueren  Sprachen  CVII,  103, 


154        II-  Karolinger.     §  2.    Angelsachsen.     §  3.    Die  Annalen. 

offenbar  nach  den  Mitteilungen  Willibalds  am  23.  Juni  778  über 
seine  Pilgerfahrten  und  die  daran  sich  schliefsenden  Umstände  auf- 
gezeichnet. 

Nach  Wynnebalds  Tod  übernahm  seine  Schwester  Wald  bürg  a 
die  Leitung  des  Klosters  zu  Heidenheim,  von  welcher  nur  im 
9,  Jahrhundert  Wolfhard  von  Herrieden  in  dem  Werk  über  ihre 
Wunder  etwas  berichtet  0. 

Zu  diesem  Kreise  gehört  ferner  noch  Wigbert,  den  Bonifaz 
in  Fritzlar  als  Abt  einsetzte,  Sualo  oder  Solus,  und  Leobgyth 
oder  Lioba,  die  Aebtissin  von  Bischofsheim '■^),  deren  Biographen 
Lupus  von  Ferneres  und  Rudolf  von  Fulda  später  zu  erwähnen 
sein  werden.  Zweifelhaft  bleibt  es,  wohin  wir  den  Bischof  Pirmi- 
nius  stellen  sollen,  ob  etwa  auch  zu  den  Angelsachsen,  die  im  Ein- 
vernehmen mit  Bonifatius  wirkten.  Um  724  stiftete  er  auf  der 
früher  Sintleozesau  genannten  Insel  das  nachmals  so  berühmte 
Kloster  Reichenau  (Augia),  welches  schon  zu  hoher  Blüte  gelangte, 
als  St.  Gallen  noch  schwach  und  unbedeutend  war.  Pirmin,  aus 
Schwaben  vei'trieben,  übernahm  727  im  Elsafs  die  Leitung  des  von 
dem  Grafen  Eberhard  auf  eigenem  Grunde  angelegten  Klosters 
Murbach,  zuerst  Vivarius  peregrinorum  genannt,  das  728  bestätigt 
wurde.  Von  da  ging  Pirmin  nach  Franken  und  endete  sein  Leben 
753  in  dem  gleichfalls  von  ihm  gegründeten  Hornbach;  wertvoller 
als  seine  dort  aufgezeichnete  Legende^)  sind  seine  Predigten,  die 
in  rauher  Sprache  uns  vielfache  Belehrung  über  heidnischen  Aber- 
glauben in  Schwaben  gewähren. 


§  3.     Die  Annalen. 

In  dem  Abschnitte,  bei  welchem  wir  jetzt  verweilen,  in  den 
Anfängen  der  karolingischen  Periode,  beginnt  zuerst  ein  Zweig  der 
Geschichtschreibung  ans  Licht  zu  treten,  welcher  sich  aus  den  un- 


1)  Excerpta  ed.  Holder-Egger,  SS.  XV,  535—555. 

2)  Nach  Link  im  Klosterbuch  der  Diözese  Würzburg  (1876)  11,  538 
bis  545  unzweifelhaft  Tauberbischofsheim,  vgl.  Hauck  I,  474—479. 

3)  Mone,  Quellensamml.  I,  30—36.  528.  Acta  SS.  Nov.  II,  33—47  ed. 
de  Smedt.  Vita  Pirminii  I  et  II  cum  mirac.  ed.  Holder-Egger,  SS.  XV, 
17 — 35,  574a.  Ueber  die  von  Gallus  Oehem  benutzte  Bearbeitung  vgl. 
Breitenbach  im  NA.  II,  170 — 174,  berichtigt  von  Brandi  in  seiner  Ausg. 
des  Oh,  S.  5.  Die  „dicta  abbatis  Priminii"  bei  Caspari,  Kirchenhistor. 
Anecdota  (1883)  S.  151—159  (eine  Inschrift  für  sein  Grab  von  Hraban, 
Poet.  Car.  11,  224),  vgl.  Rettberg  II,  51.  Hauck  I,  385-344.  Ueber  Mur- 
bach s.  Levison  im  NA.  XXVII,  368—395. 


Die  ältesten  Annalen.  155 

scheinbarsten  Anfängen  zu  einer  wahren  Kunstform  entwickelte, 
und  dem  wir  grofsenteils  die  festen  Grundlagen,  das  Gerippe  der 
älteren  Geschichte  des  Mittelalters  verdanken,  nämlich  die  Jahrzeit- 
bücher oder  Annalen.  „Wer  jetzt,"  so  sagt  Freytag'),  „die  kurzen 
Notizen  der  ältesten  Klosterannalen  übersieht,  muls  sich  erst  deutlich 
machen,  wie  unermefslich  der  Fortschritt  war,  den  diese  wenigenWorte 
bezeichnen.  Erst  durch  sie  erhielt  der  Germane  eine  verhältnismäfsig 
sichere  Kenntnis  vergangener  Ereignisse."  Augenscheinlich  durch  die 
Mission  veranlal'st,  kommen  sie  jetzt  an  verschiedenen  Orten  zum 
Vorschein.  Es  bedurfte  eben  keiner  neuen  Erfindung,  um  Jahr 
für  Jahr  die  wichtigsten  Ereignisse  gleichzeitig  mit  wenigen  Worten 
aufzuzeichnen ;  wir  haben  ähnliches  schon  aus  der  römischen  Zeit 
zu  erwähnen  gehabt,  und  es  mag  auch  hin  und  wieder  im  mero- 
wingischen  Reiche  geschehen  sein,  aber  erhalten  haben  sich  keine 
Beispiele  davon.  Einst  hatten  die  Verzeichnisse  der  Konsuln  den 
passendsten  Raum  dazu  dargeboten,  jetzt  waren  es  die  überall  ver- 
breiteten Ostertafeln,  deren  Rand  schon  von  selbst  dazu  aufforderte, 
neben  der  Jahreszahl  kurze  Nachrichten  einzutragen.  Wir  finden 
diese  Aufzeichnungen  zuerst  in  England,  und  die  Missionare,  denen 
Bedas  Ostertafeln  wohl  selten  fehlten,  behielten  die  heimische  Sitte 
bei.  Mit  den  Ostertafeln  selbst  wurden  nun  auch  die  Randbe- 
merkungen abgeschrieben ,  und  gingen  so  von  einem  Kloster  ins 
andere  über;  bald  fing  man  an  darauf  Wert  zu  legen,  schrieb  die 
noch  ganz  kurzen  und  mageren,  völlig  formlosen  Annalen  auch 
abgesondert  ab ,  setzte  sie  fort ,  verband  sie  mit  anderen ,  und 
machte  sich  endlich  auch  an  die  Arbeit,  die  dürftige  Kunde  über 
die  frühere  Vorzeit  durch  Benutzung  anderer  Quellen ,  aus  Schrift- 
stelle?;n  aller  Art,  aus  der  Sage  und  gelehrter  Berechnung  zu  ei*- 
gänzen. 

Daraus  ergibt  sich  nun,  wie  verschiedenartig,  von  wie  ungleichem 
Werte  der  Stoff  ist,  welchen  diese  Jahrbücher  uns  darbieten.  Viel- 
fache Fehler  konnten  schon  beim  Abschreiben  nicht  ausbleiben. 
Der  Rand  der  Ostei'tafeln  hatte  häufig  nicht  ausgereicht;  dann 
waren  Bemerkungen  unten  ,  oben ,  an  verschiedenen  Stellen  nach- 
getragen ^) ,  durch  Zeichen  auf  das  betreffende  Jahr  bezogen ,  und 
oft  ist  es  selbst,  wenn  das  Original  noch  erhalten  ist,  schwer,  sich 
darin    zurecht    zu    finden.      Gedankenlose  Abschreiber   haben    dann 

^)  Vermischte  Aufsätze  I  (Leipz.  1901)  S.  186. 

-)  Vgl.  die  Schriftprobe  der  Annales  Corbejenses,  MG.  SS.  III,  Tab.  1. 
Sickel  in  den  Forsch.  IV,  451  u.  ib.  454—461  über  die  älteste  im  Original 
erhaltene  Fnlder  Ostertafel  mit  Annalen. 


156  II-  Karolinger.     §  3.    Die  Annalen. 

nicht  selten   die  allergröfste  Verwirrung  angerichtet,    zuweilen  gar 
die  Jahreszahlen  ganz  fortgelassen'). 

Um  diese  Annalen  also  mit  Sicherheit  benutzen  zu  können,  um 
an  ihnen  wirklich  eine  zuverlässige  Grundlage  für  die  Zeitrechnung 
zu  gewinnen,  kommt  natürlich  alles  darauf  an,  ihre  Abstammung 
und  Herkunft  zu  erforschen ,  spätere  Zusätze  auszuscheiden,  ihrem 
Ursprünge  so  nahe  wie  möglich  zu  kommen,  wenn  man  nicht  das 
Original  selbst  noch  aufzufinden  vermag. 

Das  ist  es,  was  für  die  gesamte  Masse  der  Annalen  aus  karo- 
lingischer  Zeit  zum  ersten  Male  von  Pertz  im  ersten  Bande  der 
Monumenta  geleistet  worden  ist,  und  zwar  in  einer  für  seine  Zeit 
so  ausgezeichneten  Weise  und  mit  so  umfassender  Benutzung  des 
bis  dahin  bekannt  gewordenen  handschriftlichen  und  gedruckten 
Materials,  dafs  hier  für  alle  weiteren  Forschungen  die  sicherste 
Grundlage  gegeben  ist"). 

Es  ist  jedoch  gleich  hier  auf  eine  Unterscheidung  hinzuweisen^ 
welche  erst  durch  die  fortgesetzte  Beschäftigung  mit  dieser  eigen- 
tümlichen Form  der  Geschichtschreibung  sich  immer  deutlicher 
herausgestellt  hat.  Zu  ausschliefslich  hat  man  anfangs,  von  späteren 
Zuständen  rückschliefsend ,  die  Klöster  für  die  Ursprungstätten 
dieser  Aufzeichnungen  angesehen ;  man  suchte  in  allen  Annalen  nach 
örtlichen  Andeutungen,  welche  in  irgend  ein  Kloster  führen.  Auch 
trifft  dies  für  die  Mehrzahl  der  Annalen  zu ;  sie  verbinden  in  buntem 
Gemische  die  Hausgeschichte  mit  Vorfällen  von  allgemeinerer  Be- 
deutung, die  aber  in  diesem  Falle  keine  zusammenhängende  Folge 
darstellen.  Findet  sich  dagegen  eine  Reichsgeschichte,  welche,  wenn 
auch  noch  so  dürftig,  doch  das  Bestreben  nach  vollständiger  Mit- 
teilung dessen  zeigt,  was,  vom  Mittelpunkt  aus  gesehen,  das  ganze 
Reich  betrifft,  so  wird  man  an  dem  Ursprünge  in  einem  Kloster 
zweifeln,  und  wenn  hin  und  wieder  eine  örtliche  Notiz  sich  findet, 
ist  sie  wahrscheinlich,  oft  nachweisbar,  einer  Abschrift  zugesetzt. 
Den  Klöstern  lag  ein  solcher  Gesichtspunkt  ursprünglich  fern,  während 
der  Hof  damals  den  lebendigen  Mittelpunkt  des  Reiches  bildete, 
an  dessen  Bewegungen  und  Heerfahrten  auch  die  Bischöfe  mit  ihren 
Kaplan en  fortwährend  sich  beteiligen  mufsten.  Die  Aebte  aber, 
welche  in  denselben  Strudel  hineingezogen  wurden,  waren  entweder 
geradezu  Laienäbte,  oder  sie  entfi-emdeten  sich  doch  durch  solch 
unklösterliches  Leben  der  Genossenschaft  der  Mönche.    Es  hat  freilich 


1)  So  bei  den  Ann.  Ottenb.  MG.  SS.  V,  I. 

2)  S.  den  Bericht  von  Pertz  im  Arch.  VI,  258  ff. 


Die  ältesten  Annalen.  157 

neuerdings  H.  v.  Sybel  für  die  klösterliche  Herkunft  von  neuem 
das  Wort  ergrifiFen').  und  namentlich  behauptet,  dafs  man,  was  in 
den  sogenannten  Königsannalen  steht,  im  Kloster  Lorsch  recht  gut 
in  Erfahrung  bringen  konnte.  Ich  gebe  das  gerne  zu,  kann  mir  aber 
kaum  vorstellen,  dafs  schon  im  8.  Jahrhundert  der  Sinn  der  Mönche 
in  so  hohem  Grade  den  weltlichen  Dingen  zugewandt  war,  was  doch 
auch  später  nur  ausnahmsweise  der  Fall  gewesen  ist.  Nur  für  wenige 
Klöster  hatten  die  jährlichen  Feldzüge  ein  unmittelbares  Interesse. 
Es  hatte  nun  wohl  den  Anschein ,  als  ob  tuan  die  allmähliche 
Entstehung  der  geschichtlichen  Ueberlieferung  aus  den  unschein- 
barsten Anfängen ,  die  Verbindung  verschiedener  Aufzeichnungen 
und  ihre  nun  schon  besser  gelungene  Fortführung  deutlich  vor 
Augen  habe;  man  glaubte  eben  jene  ersten  Anfänge  in  ursprüng- 
licher Gestalt  zu  besitzen,  und  bezweifelte,  dal's  es  in  jener  Zeit  des 
wenig  federfertigen  8.  Jahrhunderts  viel  mehr  und  bessere  Aufzeich- 
nungen gegeben  habe,  als  uns  noch  jetzt  vorliegen.  Allein  die  fort- 
gesetzte Beschäftigung  mit  diesen  Annalen  zeigt  in  so  hohem  Grade 
Uebereinstimmurig  derselben  in  vielen  Notizen,  während  doch  andere 
Sätze  sich  nur  in  dem  einen  Exemplar,  zugleich  jedoch  in  anderen 
ganz  entlegenen  Annalen  finden ,  auch  Spuren  alter  guter  Ueber- 
lieferung, die  plötzlich  in  jüngeren  Kompilationen  auftauchen,  dals 
hier,  wie  in  manchen  Fällen  aus  späterer  Zeit,  kein  anderer  Ausweg 
möglich  zu  bleiben  scheint,  als  die  Annahme  verlorener  Aufzeich- 
nungen, aus  welchen  nur  Ableitungen  uns  vorliegen ;  wir  besitzen 
blofs  Bruchstücke  einer  einst  vorhanden  gewesenen  noch  reicheren 
Litteratur,  die  wir  uns  aber  doch  hüten  müssen,  uns  zu  bedeutend 
vorzustellen.  „Unsere  scharfsinnigsten  Kombinationen,"  so  sagt  mit 
Recht  G.  Kaufmann  (S.  66),  „würden  uns  vielleicht  als  eitel  Nichts 
erscheinen,  wenn  uns  einige  Mittelglieder  mehr  erhalten  wären." 
Grol'se  Vorsicht  ist  hier  notwendig ,  und  eben  diese  vermifst  man 
bei  Is.  Bernays^),  dessen  Zusammenstellungen  häufig  gerade  den 
entgegengesetzten  Eindruck  machen ,  indem  nur  die  notorischen 
Thatsachen  übereinstimmen ,  im  Ausdruck  aber  die  gröfstmögliche 
Verschiedenheit  geradezu  aufgesucht  sein  mülste.  Weit  vorsichtiger 
ist  zwar  R.  Arnold')  verfahren,  doch  ist  auch  dessen  Annahme  von 

1)  Hist.  Zeitschr.  XLII,  265.     Kleine  bist.  Schriften  III,  1  ff. 

^)  Zur  Kritik  Karolingischer  Annalen,  Strafsb.  1883.  In  einem  dadurch 
veranlafsten  Aufsatz  HZ.  LIV  (1885),  S.  55—70  bestreitet  G.  Kaufmann 
überhaupt  den  Nutzen  solcher  Untersuchungen  und  die  Möglichkeit  ge- 
sicherter Erfolge. 

')  Beiträge  zur  Kritik  Karolingischer  Annalen,  Diss.  Lips.  1878.  Für 
Hofannalen  von  785 — 803   ist  E.  Seraphim   eingetreten,  Quellenkritische 


158  II-  Karolinger.     §  3.    Die  Annalen. 

Hofannalen  von  771  odei*  772  an  eine  unbegründete,  indem  ihr  von 
Waitz\)  die  erheblichsten  Gründe  entgegengestellt  sind.  Ein  solches 
Werk  müfste  deutlichere  Spuren  hinterlassen  haben,  und  als  Regel 
werden  wir  festzuhalten  haben ,  dafs  man  mühsam  die  dürftigen 
Aufzeichnungen  zusammen  arbeitete,  und  mit  einer  uns  oft  unbe- 
gi-eiflichen  Sorglosigkeit  häufig  einzelne  Sätze  aus  einer  zugänglich 
gewordenen  Quelle  herübernahm,  andere  bedeutendere  Nachrichten 
aber  unberührt  liefs.  In  diesem  Sinne  hat  Kux'ze")  den  Zusammen- 
hang dieser  Annalen,  die  er  auf  eine  austrasische ,  eine  neustrische 
und  eine  alamannische  Wurzel  zurückführt,  zu  ergänzen  versucht, 
mit  zu  grofser  Sicherheit  jedoch  Entstehungsort  und  sogar  Verfasser 
erschlossen,  so  dafs  der  skeptische  Standpunkt,  den  Monod  u.  a. 
seinen  Untersuchungen  gegenüber  einnehmen ,  gerechtfertigt  er- 
scheint,  wenn  er  auch  von  einem  richtigen  Grundprinzip   ausgeht. 

Nach  den  bisher  üblichen,  nicht  immer  zutreffenden  Bezeichnungen 
wird  man  drei  Hauptgruppen  unterscheiden  können:  die  erste  sind 
die  Annales  St.  Amandi  und  ihre  Verwandten  (besonders  Tiliani 
bis  737  und  Laubacenses  bis  791),  ferner  zweitens  die  Ableitungen 
der  alten  Lorscher  Jahrbücher  (zumal  die  Ann.  Mosellani  und 
Laureshamenses),  endlich  drittens  die  alten  Murbacher  Jahrbücher 
(namentlich  Alamannici,  Guelferbytani  und  Nazariani,  sowie  die 
mit  den  Alam.  nahe  verwandten  Sangallenses) ,  in  einer  gewissen 
Mittelstellung  aus  Quellen  der  ersten  beiden  Gruppen  kombiniert 
befinden  sich  die  Petaviani. 

Die  Annales  S.  Amandi^)  .haben  diese  Benennung  von  Pertz 

Untersuchungen  der  kleineren  Karol.  Annaien.  Progr.  d.  livländ.  Landes- 
gymn.,  Fellin  1887. 

')  Neues  Arch.  V,  497  ff. 

^)  Ueber  die  karoling.  Reichsannalen  von  741 — 829 ,  NA.  XX ,  9  flf. ; 
XXI,  11  ff.  u.  die  karolingischen  Annalen  des  8.  Jahrhunderts  NA.  XXV, 
291 — 315.  Vgl.  Monod,  Etud.  crit.  sur  les  sources  de  l'hist.  Caroling.  in 
der  Bibl.  de  Fee.  des  haut.  etud.  CXIX,  100,  angez.  von  Bloch,  GGA. 
1901  S.  872— 897. 

^)  Annales  Sancti  Amandi  a.  687 — 810,  MG.  I,  6 — 11.  Die  nach  dem 
Besitzer  der  Handschrift  genannten  Ann.  Tiliani  (ib.  p.  6 — 8)  sind  von  708 
bis  787  nach  Arnold,  S.  53 — 55,  aus  der  Quelle  der  Ann.  S.  Amandi  ge- 
flossen, in  ihrem  zweiten  Teil  741 — 807  (S.  219—224)  aus  den  Ann. 
Lauriss.  entnommen.  Zu  erkennen  sind  die  Notizen  bis  771  auch  in  den 
dürftigen  Ann.  Sangallenses  Baluzii  p.  63,  e  cod.  124,  welche  nach  Arnold, 
S.  42 — 47,  aus  der  von  ihm  angenommenen  Kompilation  stammen,  weiter- 
hin aus  den  Hofannalen.  Ausg.  von  Henking,  Sanctgaller  Mitteil.  XIX, 
224 — 265 ;  nach  S.  340  stammen  sie  bis  764  aus  gleicher  Quelle  mit  den 
Ann.  S.  Amandi  u.  sind  auch  weiterhin  ein  Auszug,  nicht  Original.  Die 
Ann.  Laubuc.  SS.  I,  p.  7 — 12,  15,  52,  u.  ihre  Gruppe  behandelt  Arnold, 
S.  55 — 61.  Er  erkennt  in  den  Laubac.  bis  814  eine  mit  einigen  Zusätzen 
versehene  Umarbeitung  der  Ann.  S.  Amandi,  welche  kürzer  in  den  Ann. 


Annalen  von  St.  Auiand.  159 

erhalten,  weil  783  und  809  Beziehungen  auf  das  Kloster  Saint-Amand 
vorkommen ;  dem  früheren  Teile  fehlen  sie  und  der  Inhalt  ist  durch- 
aus reichsgesfhichtlich.  Die  ürsprünglichkeit  ihrer  jetzt  vorliegenden 
Form  ist  angegriffen ,  eine  verlorene  Quelle  oder  etwas  reichere 
Form  angenommen,  aber  als  ein  ziemlich  treues  Abbild  dieser  eben 
beginnenden  Annalistik  werden  wir  sie  doch  betrachten  dürfen. 

Von  Anbeginn  an  sind  diese  Annalen  karolingisch.  Sie  heben 
mit  der  dauernden  Festsetzung  dieses  Hauses  im  Besitz  der  Macht 
an,  mit  der  Begründung  einer  neuen  Ordnung  der  Dinge,  der 
Morgendämmerung  einer  bessex'en  Zeit,  welche  wieder  Hoffnungen 
erweckte  und  die  Seelen  nicht  mehr  mit  dem  trostlosen  Gedanken 
von  dem  nahe  bevorstehenden  Untergange  der  Welt  erfüllte. 

Die  am  Eingange  stehende  Nachricht  von  der  Schlacht  bei  Tertry 
687  ist  nachträglich  zugesetzt;  die  regelmäfsig  fortgesetzten  Auf- 
zeichnungen beginnen  erst  708 ,  und  auch  von  da  an  möchte  ich 
noch  nicht  behaupten,  dafs  gleich  von  Anfang  an  alles  gleichzeitig 
eingetragen  wäre;  die  Form  der  kurzen  und  noch  sehr  dürftigen 
Bemerkungen,  wenn  man  z.  B.  zu  dem  Jahr  708,  wo  Ostern  auf 
den  15.  April  fiel,  an  den  Rand  schrieb:  (Das  war  damals)  als 
Drogo  im  Frühjahr  starb')  —  deutet  eher  auf  ein  späteres  Besinnen 
und  Ueberdenken  der  Vergangenheit.  Auch  ist  das  ganz  natürlich; 
solange  der  Eindruck  noch  frisch  ist,  fühlt  man  kein  Bedürfnis 
ihn  künstlich  festzuhalten,  und  erst  später  macht  sich  das  Verlangen 
geltend,  die  verschiedenen  Erinnerungen  auseinander  zu  halten  und 
zu  ordnen.  Wenn  aber  nun  eine  Reihe  solcher  Aufzeichnungen 
beisammen  ist,  dann  ändert  sich  der  Gesichtspunkt,  man  legt  Wert 
auf  diese  Zusammenstellung  und  setzt  sie  um  ihrer  selbst  willen 
fort,  trägt  Jahr  für  Jahr  die  wichtigsten  Begebenheiten  ein,  um  für 
spätere  Zeiten  ein  Denkmal  zu  hinterlassen.  Jene  Annalen  nun, 
welche  in  ihrer  Fortsetzung  bis  810  deutliche  Beziehungen  zu 
Saint-Amand  enthalten,  entbehren  in  ihrem  früheren  Teile  bis 
771  und  noch  darüber  hinaus  jeder  Hinweisung  auf  dieses  Kloster 

Auscienses,  Augienses  brevissimi,  S.  Germani  minores,  vielleicht  ebenso  in 
den  A7tn.  S.  Amandi  breves  (SS.  II,  184,  von  742—855)  u.  Ann.  Bawarici 
breves  benutzt,  auch  im  Chron.  Lausonense  nicht  zu  verkennen  sei.  Ver- 
wandt, aber  ganz  unbedeutend,  sind  die  Ann.  S.  Amandi  brevissimi,  760 
bis  796,  SS.  XIII,  38,  u.  Ann.  Regum  SangaUenses,  687—855,  SS.  XIII, 
717  u.  NA.  V,  428.  Vgl.  über  die  Laubac.  auch  B.  Simson,  Forsch.  XXV, 
375 — 377.  Seraphim  S.  8— 12,  der  sie  von  ursprünglich  reicheren  Ann. 
S.  Amandi  ableitet.  —  Ann.  759—805  im  Cod.  Vat.  Christ.  213,  Arch. 
XII,  270,  vgl.  Waitz,  HZ.  XXVIII,  200,  sind  das  Fragm.  Chesnianum  der 
Ann.  Laureshamenses,  NA.  11,  329. 

')  Quando  Droco  mortuus  fuit  in  vernale  tempore. 


160  II-  Karolinger.     §  3.    Die  Annalen. 

oder  dessen  Umgegend;  sie  verzeichnen  nur  die  grofsen  Reichs- 
begebenheiten, die  Feldzüge  jedes  Jahres  und  zuweilen  einen  Todes- 
fall oder  einen  anderen  merkwürdigen  Vorfall,  so  kurz,  dafs  die 
eigentliche  Kenntnis  von  den  Dingen  vorausgesetzt  wird;  an  Er- 
zählung ist  kein  Gedanke,  nur  an  chronologische  Ordnung  der  Er- 
innerungen. Giesebrecht  hält  die  Aufzeichnung  dieser  Notizen  im 
Kölnischen  für  sehr  wahrscheinlich  und  möchte  den  Schottenmönchen 
zu  St.  Martin,  Pippins  des  mittleren  Stiftung  in  Köln,  dieses  Ver- 
dienst zuschreiben.  Allein  dafs  713  Suitberts  Tod,  716  Radbots 
Vordringen  bis  nach  Köln  erwähnt  wird ,  dafs  753  gerade  wie  in 
den  Annales  Mosellani  der  Tod  des  Bischofs  Hildegar  von  Köln 
auf  dem  Feldzuge  gegen  die  Sachsen  angemerkt  wird,  das  berechtigt 
uns  noch  nicht  zu  einer  bestimmteren  Annahme  über  die  Herkunft 
dieser  Jahrbücher.  Kurze  dachte  an  den  Trierer  Sprengel.  Vor- 
züglich in  den  Klöstern  Belgiens  weit  verbreitet,  sind  sie  durch 
Zusätze  und  Fortsetzungen  immer  mehr  angewachsen,  bis  sie  endlich 
Sigebert  von  Gembloux  zur  Grundlage  seiner  gewaltigen  Chronik 
dienten,  aber  in  ihren  Anfängen  weist  nichts  nach  einer  bestimmten 
Gegend,  nur  nach  Austrasien  im  allgemeinen.  Nichts  tritt  so  sehr 
in  den  Vordergrund,  wie  die  Familie  der  Hausmeier. 

Ganz  denselben  Charakter  tragen  auch  die  gleichzeitigen  An- 
nalesMosellani'),  deren  Entdeckung  in  Petersburg  durch  Lappen- 
berg ein  unerwartetes  Licht  auf  das  Verhältnis  der  ältesten  Annalen 
zu  einander  geworfen  hat,  vorzüglich  nachdem  Giesebrecht  in  seiner 
scharfsinnigen  Abhandlung  über  die  fränkischen  Königsannalen^)  die 
Folgerungen,  welche  dem  ersten  Herausgeber  noch  entgangen  waren, 
daraus  gezogen  hat. 

An  der  Spitze  der  Annales  Mosellani  stehen  von  704 — 707  irische 
Namen,  Diese  bilden  den  Uebergang  von  Bedas  kleiner  Chronik 
in  der  Schrift  de  temporibus,  an  welche  sie  sich  anschlössen,  zu  der 
Nachricht  von  Drogos  Tod  708,  die  auch  hier  die  fränkischen  Ein- 
tragungen eröffnet.  713  ist  der  Tod  einer  englischen  Prinzessin, 
eines  Königs  von  Ostangeln  bemerkt,  726  und  729  unbekannte  irische 
Namen.  Erwähnt  wird  ferner  726  der  Tod  Martins,  welcher  nach 
den  Ann.  Petav.  ein  Mönch  von  Corbie  und  Karls  Beichtvater  war, 

^)  Von  703—797,  SS.  XVI,  491—499.  Den  Namen  wählte  Lappenberg 
wegen  der  Beziehungen  zu  Klöstern  an  der  oberen  Mosel,  welche  sich 
darin  finden.  Ueber  den  von  Lappenberg  nicht  erkannten  irischen  Abt 
Cellanus  von  Peronne  z.  J.  706  s.  Traube  in  den  Münchener  Sitzungsber. 
1900  S.  489. 

2)  Münch.  Eist.  Jahrb.  (1865)  S.  185—238;  vgl.  hier  vorzüglich  S.  224 
bis  226. 


Annales  Mosellani.     Potaviani.  161 

736  Audoins,  des  Bischofs  von  Konstanz,  dessen  Name  so  wenig 
etwas  für  die  Herkunft  der  Annalen  beweisen  kann ,  wie  728  die 
Erwähnung  Haldulfs  von  Cambrai,  der  zugleich  Abt  von  St.  Vaaat 
war.  Dagegen  finden  sich  von  701  an  Beziehungen  zu  Chrodegang 
ven  Metz  (f  7G6) ,  dessen  hervorragende  Stellung  im  Reiche  ganz 
geeignet  war,  die  Abschrift  solcher  Aufzeichnungen  und  ihre  Fort- 
führung zu  veranlassen ,  war  er  doch  am  Hofe  Karl  Martels  auf- 
gewachsen und  hatte  742  von  Pippin  das  Bistum  erhalten,  vom 
Papste  die  erzbischöf liehe  Würde*).  Er  stiftete  Gorze  bei  Metz 
als  ein  Musterkloster  und  übertrug  dorthin  die  Reliquien  des  heiligen 
Gorgonius,  die  der  Papst  Paul  I.  geschenkt  hatte.  Puckert  hat 
darauf  hingewiesen,  dal's  Chrodegangs  Bruder  Gundeland  Abt  von 
Lorsch  war,  was  auf  das  in  Lorsch  so  früh  hervortretende  Interesse 
für  Geschichte  eingewirkt  haben  mag.  Durch  Chrodegang  empfing 
dieses  die  Reliquien  des  heiligen  Nazarius,  während  Nabor  nach 
Hilariacum  (St.  Avold)  gleichzeitig  übertragen  wurde.  Auf  Lorsch 
sind  die  Mosell.  in  ihren  Anfängen  unzweifelhaft  zurückzuführen, 
und  auch  ihre  Fortsetzung  weist  auf  die  Gegend  von  Worms. 

Kaum  waren  die  ersten  Versuche  geschichtlicher  Thätigkeit  ge- 
wagt, so  begann  man  auch  schon  ihre  Zweckmässigkeit  sowohl  wie 
ihre Un Vollkommenheit  zu  empfinden ;  man  kopierte  sie  und  bereicherte 
sie  zugleich  durch  Verbindung  der  verschiedenen  Exemplare,  ohne 
sich  jedoch  noch  eine  redigierende  Thätigkeit  zu  erlauben,  welche 
das  notdürftigste  Mals  überschritten  hätte.  Diese  Gewissenhaftigkeit 
sowohl  wie  die  ersten  Regungen  einer  kombinierenden  wissenschaft- 
lichen Thätigkeit  liegen  uns  in  verschiedenen  Ableitungen  vor,  vor- 
züglich in  den  Annales  Petaviani,  welche  von  dem  früheren 
Besitzer  der  Handschrift  ihren  Namen  haben'-)-  Sie  verbinden 
nämlich  bis  771  die  beiden  bisher  betrachteten  Annalen,  an  welche 
sich  von  da  an  eine  schon  wirklich  erzählende,  völlig  gleichzeitige 
und  zuverlässige^)  Fortsetzung    bis    799    anschliefst,    die    bei    dem 

*)  Die  Ursprung].  Fassung  seiner  Regula  Canonicorum  hat  W.  Schmitz 
herausgegeben  mit  Facs.  der  zum  Teil  in  tironischen  Noten  geschriebenen 
Handschrift,  Hann.  1889.  S.  auch  Werminghoff.  NA.  XXVII.  624  ff., 
646  ff.  Ueber  Gorze  vgl.  Acta  SS.  Sept.  III,  340  (SS.  IV,  269),  Hauck  II, 
52—56,  62—68. 

2)  Ann.  Pefav.  (697)  708—799,  MG.  SS.  I,  7—18;  cf.  TU,  170.  Arch. 
VII,  271.  Ohne  Zusätze,  ex  codice  Vat.  Christ.  .520,  olim  Corbejensi,  deinde 
Petri  Danielis,  in  A.  Mais  Spicil.  Rom.  VI,  181 — 190.  Auch  die  Angabe 
über  Karls  Geburt  747  (=  Laubac.)  fehlt  hier.  Eine  Verbesserung  bei 
Kurze,  NA.  XXI,  24,  der  übrigens  die  Mosell.  von  den  i'etav.  abhängig 
sein  läfst. 

^)   Diese  Ausdrücke   sind   natürlich   nur  relativ  gemeint.     Seraphim, 

Wattenbach,  Geschichtsciuellen.    I.    7.  Aufl.  11 


162  II-  Karolinger.     §  3.    Annalen. 

Mangel  aller  lokalen  Färbung  wiederum  nur  für  den  Königshof, 
den  Mittelpunkt  aller  Unternehmungen ,  in  Anspruch  genommen 
werden  kann.  Eine  Abschrift,  welche  nur  bis  796  reicht  (Cod. 
Masciacensis) ,  gewährt  Zusätze ,  welche  aus  dem  Martinskloster  zu 
Tours  zu  stammen  scheinen,  während  die  beiden  anderen  genaue 
Angaben  über  die  karolingische  Familie  hinzufügen '). 

Neben  der  Fortführung  der  Annales  Petaviani  wurden  nun  auch 
jene  Ann.  Mos  eil  an  i  in  gleicher  Weise  fortgesetzt,  ebenfalls  schon 
von  dem  ersten  Hauche  der  karolingischen  Zeit  berührt  und  von 
rätselhaften  Notizen  zur  Erzählung  übergehend;  doch  lassen  auch 
hier  auffallende  Uebereinstimmungen  anstatt  ganz  selbständiger 
gleichzeitiger  Aufzeichnung  vielmehr  Benutzung  einer  gemeinsamen 
Quelle  voraussetzen.  Wenn  nun  in  diesem  Teile  zweimal  der  Tod 
eines  Abtes  von  Lorsch  erwähnt  wird,  so  darf  das  nicht  auffallen 
bei  einem  Kleriker,  der  etwa  im  Gefolge  des  Bischofs  von  Metz, 
dem  Hoflager  folgte :  ein  Mönch  aber  hätte  wohl  schwerlich  so  aus- 
schliefslich  seinen  Blick  auf  den  König  und  die  allgemeinen  Reichs- 
begebenheiten richten  können.  Nach  dem  Jahre  785  sind  diese 
Annalen  wiederum  durch  Abschriften  verbreitet;  diejenigen,  welche 
Pertz  wegen  einiger  lokalen  Zusätze  Annales  Laureshamenses 
genannt  hat^),  eine  aus  gemeinsamer  Quelle  stammende  Nebenform 

S.  26 — 31,  sieht  in  diesen  Annalen  nur  ein  „schlechtes  Excerpt  der  Hof- 
annalen". 

^)  S.  Hahn,  Sur  le  lieu  de  naissance  de  Charlemagne  p.  76.  Da, 
Remedius  Pippins  Halbbruder  war,  ist  kein  Grund,  mit  Giesebrecht  wegen 
der  Notiz  über  ihn  an  eine  Aufzeichnung  in  Ronen  zu  denken. 

^)  Annales  Laureshamenses  MG.  I,  22 — 39,  bis  768  neben  den  Ann. 
Alam.  Guelferbyt.  und  Nazar.  gedruckt.  Die  damals  in  St.  Paul  vergeblich 
gesuchte  Hs.  ist  von  Dr.  Holder  gefunden,  und  von  Katz  im  Jahresbericht 
des  Stifts  1889  herausgegeben,  vgl.  NA.  XV,  425.  üeber  das  Fragmentum 
Chesnianum,  eine  abweichende  Form  dieser  Annalen  s.  Dünzelmann, 
NA.  n,  .511,  u.  Katz.  Die  zweite  Fortsetzung  ist  791  —  ^06  identisch  mit 
den  Laurissenses.  Ueber  eine  weitere  Fortsetzung  803 — 818  s.  unten  §  10 
zum  chron.  Moissiacense.  Gerade  bis  785  (731 — 753  mit  Verschiebung 
der  Jahreszahlen)  finden  sich  die  Ann.  Mosell.  auch  excei-piert  in  den 
Annales  Flaviniacenses,  einer  chronologischen  Kompilation  von  816  (doch 
vgl.  Waitz  im  NA.  V,  484)  und  von  da  an  gleichzeitig  fortgesetzt  bis  879. 
Dazu  geschrieben  sind  die  Annales  Lausonenses,  Lausanner  Notizen  bis 
968.  985.  MG.  SS.  HI,  150;  neue  berichtigte  Ausg.  von  JafFe  in  Mommsens 
Cassiodor  \).  684 — 680 ;  vgl.  dazu  Waitz,  NA.  V,  484.  Vollständiger  finden 
sich  die  Ann.  Laus,  in  dem  sogenannten  Chronicon  Laus.  Chartularii 
(ed.  Gingins,  Mt'-m.  et  Doc.  de  la  Suisse  Romande  [1851]  VI,  5—10;  Ci- 
brarioe  Promis,  Documenti  p.  326— 331 ;  Waitz,  SS.  XXIV,  774—810),  in 
dem  sich  vorher  die  Ann.  Weil'senburgenses  benutzt  finden,  nebst  Spuren 
gleichzeitiger  Annalen  saec.  IX.  Ilinzelne  ältere  Notizen  592.  688  fi".  sind 
vorgesetzt,  eine  Fortsetzung  bis  1056  enthält  fast  nur  die  Folge  der 
Bischöfe. 


Annales  Laureshamenses.    Maximiniani.  163 

der  Mosellani ,  erhielten  von  da  ab  zwei  verschiedene  ausführliche 
Fortsetzungen  bis  803  und  SOG:  in  den  Annales  Mosellani  aber 
fehlen  die  Jahre  786  und  787,  und  die  weitere  Fortsetzung  bis  798 
ist  um  ein  Jahr  verschoben,  jedenfalls  nur  durch  einen  Absckreibe- 
fehler,  denn  die  Handschrift  stammt  erst  aus  dem  11.  Jahrhundert. 
Der  letzte  Teil  der  Lorscher  Annalen  von  794  an  entstand  wahr- 
scheinlich aufserhalb  des  Klosters,  vielleicht  in  Aachen  oder  Trier, 
doch  bleibt  dies  ganz  unsicher.  Eine  weitere  Fortsetzung  bis  818 
läfst  sich  aus  ihrer  Benutzung  im  Chron.  Moissiac.  mit  Sicherheit 
erschliefsen. 

Eine  andere  Fortsetzung  von  786 — 796  hat  G.  Waitz  nach- 
gewiesen in  den  Annalen  von  741 — 811,  welche  nach  dem  Fund- 
orte der  Handschrift  von  dem  ersten  Herausgeber,  Baron  von  Reiffen- 
berg,  Maximiniani  genannt  sind').  Waitz  wies  nach,  dafs  die 
Ableitung  derselben  aus  verschiedenen  Elementen  sich  durch  das 
Verhältnis  zu  anderen  Quellengruppen  mit  voller  Sicherheit  darthun 
läfst.  Aufgeklärt  wurde  die  ganze  Sachlage  sodann  durch  die  neue 
von  ihm  gegebene  Ausgabe  und  die  Sonderung  der  Annalen  von 
der  Chronik  bis  741,  an  welche  sie  sich  anschliefsen  und  zu  deren 
Fortsetzung  sie  bestimmt  zu  sein  scheinen.  Diese,  schon  oben  S.  144 
kurz  erwähnt,  wird  später  zu  besprechen  sein.  Die  Annalen  sind 
eine  um  oder  bald  nach  811,  wahrscheinlich  in  Baj-ern,  und  zwar 
in  Salzburg,  verfafste  Kompilation,  zu  welcher  die  Gesta  Pontificum 
Romanorum  (doch  noch  nicht  die  Vita  Leonis  III)  mit  verschiedenen 
Annalen  in  ziemlich  freier  Weise,  nebst  einigen  willküi'lichen  Zusätzen, 
verbunden  sind.  Als  solche  hier  benutzte  Annalen  sind  nachgewiesen 
die  Mosellano-Laureshamenses,  d.  h.  die  gemeinsame  Quelle  beider, 
und  die  Petaviani  noch  778,  vielleicht  779,  dann  die  Laurissenses 
mit  Zusätzen  aus  einer  unbekannten  Quelle,  bis  811,  wo  ein  Ab- 
schnitt derselben,  das  Ende  einer  Bearbeitung,  wahrscheinlich  ist. 
Eigentümlich  aber  ist  von  786 — 796  die  Benutzung  von  Annalen, 
welche  wegen  besonders  hervortretender  Berücksichtigung  von  Bayern 
dort  geschrieben  zu  sein  scheinen ,  und  welche  wie  B.  Simson  zu- 
erst bemerkt,  ebenfalls  und  ebensoweit  in  den  Annales  Xantenses 
benutzt  sind  ;  aber  auch  in  dem  letzten  Teile,  wo  die  Reichsannalen 
zu  Grunde  liegen,  treten  Beziehungen  auf  Bayern  deutlich  hervor.  Bis 


M  Compte-rendu  des  seances  de  la  Commission  roy.  d'histoire.  VIII 
(1844)  168—191;  vgl.  Gott.  Nachrichten  1871,  S.  307—322.  Ausg.  von 
Waitz  SS.  XIII,  19-25,  und  Abhandlung  darüber  im  NA.  V,  475— öOl. 
Ergänzend  tritt  dazu  Kurze  im  NA.  XIX,  306—307;  XXI.  11-22,  ferner 
V.  Simson  ebd.  XXV,  187—188. 


164  IT-  Karolinger.     §  3.    Annalen. 

796  reicht  auch  die  von  Arnold  nachgewiesene  Verwandtschaft  mit 
den  Juvavenses  minores,  welchen  die  Mos.  Laur.  fremd  sind;  sie  tritt 
aber  auch  schon  früher,  schon  743,  und  überall  da  hervor,  wo  nicht 
die  Mos.  Laur.  Quelle  sind,  so  dafs  also  die  Existenz  einer  anderen, 
den  Laurissenses  majores  verwandten  Redaktion  fränkischer  Annalen 
anzunehmen  ist,  an  welche  die  Fortsetzung  von  786 — 796  sich  an- 
schlofs.  Berührung  ist  auch  mit  den  Ann.  Juv.  maj.  und  S.  Em- 
merammi  maj.  vorhanden,  welche  nach  Waitz  von  den  Maximiniani 
unmittelbar  oder  mittelbar  abhängig  sind  0-  Wir  werden  auf  dieses 
Werk  noch  zurückkommen. 

Andere  gleichzeitige  Aufzeichnungen,  welche  nach  dem  Fundorte 
der  Handschrift  Guelferbytani  genannt  werden,  beginnen  erst  mit 
Pippins  Regierung  741.  Sie  weisen  durch  die  Folge  der  Aebte 
deutlich  auf  das  von  Pirminius  727  gegründete  Kloster  Murbach 
im  Wasgau,  und  verfolgen  die  Reichsbegebenheiten  nicht  so  gleich- 
mäfsig  wie  jene  anderen  Annalen,  welche  wir  mit  ihnen  gemischt 
bis  768  in  den  Ann al es  Alamannici  und  Nazariani  wieder- 
finden, deren  Anfang  von  708  an  ebenfalls  den  Annales  Mosellani 
entnommen  ist.  Von  771 — 790  folgt  hier  eine  weitere  Fortsetzung 
von  ganz  allgemeinem  Charakter,  welche  in  den  Annales  Nazariani 
am  vollständigsten  erhalten,  im  Wolfenbüttler  Codex  allein  noch 
bis  805  weitergeführt  ist^),  während  die  Annales  Alamannici  eine 
selbständige  Fortsetzung  790 — 799  erhielten^).     Diese  Annalen  ver- 

^)  Diese  Ansicht  bekämpft  wieder  Seraphim,  S.  66,  indem  er  S.  61 
bis  73  ausführlich  von  den  kleinen  bayr.  Ann.  handelt. 

-)  Für  die  Jahre  802 — 805  nach  Heigel  Auszug  einer  ausführlicheren 
Version  der  Königsannalen,  welche  in  den  Ann.  Mett.  erhalten  ist  und 
noch  reiner  in  der  Durhamer  Hs.  S.  Heigel ,  Ueber  die  aus  den  alten 
Murbacher  Annalen  abgeleiteten  Quellen,  Forsch.  V,  397 — 403;  zustim- 
mend, gegen  Arnold,  Waitz,  Forsch.  XX,  391.  Seraphim  S.  32 — 61. 
Vgl.  Simson  im  NA.  XXIV,  409.  Giesebrecht  (Münchner  bist.  Jahrb.  1865 
S.  223)  nahm  einen  selbständigen  Anfang  in  Reichenau  an,  an  dessen 
Stelle  Kurze  (NA.  XXV,  300)  willkürlich  Honau  setzen  will.  —  Der  von 
Pertz  im  Arch.  VH,  1018  angeführte  Murbacher  Bibliothekskatalog  saec.  IX 
vel  X  gehört,  wie  schon  Pertz  bemerkt  (Arch.  VIII,  257),  nach  Reichenau 
(Gottlieb,  Ueber  mittelalterliche  Bibliotheken  S.  69).  In  Murbach  wurde 
bereits  zwischen  774  und  791  unter  den  Aebten  Amico  und  Sindbert  eine 
Sammlung  von  Briefformeln  angelegt,  herausg.  in  Zeumers  Formulae 
p.  328—387. 

')  Ann.  Guelferhijt.  741—790,  MG.  I,  22—81;  40—44  neben  den  Alam. 
und  Nazariani;  dann  folgen  die  weiteren  Fortsetzungen  der  Guelf.  und 
Alamannici.  Neue  Ausg.  der  Alam,  nach  dem  in  Zürich  wiedergefundenen 
Originale  von  Henking,  Mitt.  zur  vaterl.  Gesch.  XIX,  S.  224 — 265.  Ar- 
nold, S.  37—42,  leitet  die  Forts.  771—790  und  790--799  von  den  Hof- 
annalen  ab;  desgl.  Seraphim  S.  31 — 39.  Nach  Dünzelmann  wären  die 
Alam.  erst  um  800  komiiiliert  und  schöpften  aus  den  Lauresh.  u.  Guel- 


Kleinere  Annalen.  165 

breiteten  sich  weithin  durch  die  Klöster  Schwabens  und  gelangten 
auch  nach  Hersf'eld,  wo  an  diesen  Anfang  Lamberts  Geschichtswerk 
sich  anlehnte,  während  auf  den  aus  gleicher  Quelle  stammenden 
Reichenauer  Annalen  Hermann  der  Lahme  seine  Chronik  erbaute. 
Besonders  merkwürdig  sind  die  von  Pertz  in  einer  Handschrift 
des  Klostex'S  St.  Germain-des-Pres  entdeckten  Annalen*),  welche 
im  Anfang  des  9.  Jahi-hunderts  aus  einer  älteren  Handschrift  ab- 
geschrieben sind,  und  wie  gewöhnlich  zur  Eintragung  der  dortigen 
Annalen  benutzt  wurden.  An  der  Spitze  stehen  hier  ganz  kurze 
Annalen  von  Lindisfarne  (643 — 664),  einem  Bistum  auf  einer 
der  kleinen  Inseln  an  der  Ostküste  von  Northumberland,  jetzt  Holy- 
island  bei  Bei'wick,  welches  von  Hy  aus  begründet  war.  Darauf 
folgen  von  673 — 690  Notizen  aus  Canterbury.  Nach  Pertz'  Ver- 
mutung war  es  Alcvin,  welcher  diese  Handschrift  mit  sich  an 
Karls  Hof  brachte,  wo  er  von  782 — 787  (792)  die  Namen  der  Orte 
eintrug,  an,  welchen  Karl  in  diesen  Jahren  das  Osterfest  feierte. 
Daran  haben  nun  die  Mönche  von  St.  Germain  ihre  eigenen  Annalen 
gefügt"),  als  deren  Grundlage  jetzt  Annalen  von  Saint- Denis  bis 
887,  mit  einer  Fortsetzung  919 — 997  erkannt  sind^).    Jene  Notizen 


ferbytanis,  NA.  II,  511,  ebenso  Kurze,  NA.  XXI,  23—24.  Untersuchung 
von  Henking  a.  a.  0.  S.  347  flf.  Danach  ist  bis  799  noch  eine  gemein- 
same Quelle  kenntlich,  Fortsetzung  der  vorhergehenden,  welche  teils  in 
Gorze,  teils  in  Murbach  überarbeitet  wurde.  Vgl.  über  die  weitere  Ver- 
breitung dieser  Annalen  Waitz  in  Schmidts  Zeitschrift  II,  51. 

*)  MG.  SS.  IV,  2,  Ann.  Alcuini.  Ein  ähnliches  Exemplar  bis  792, 
mit  Verbesserungen,  aus  Saint-Benoit  sur  Loire,  bei  Delisle,  Catal.  du 
Fonds  Libri,  p.  70. 

^)  Ann.  S.  Germani  minores  642—919,  im  Anfang  des  10.  Jahrhunderts 
geschrieben,  den  Murbacher  und  besonders  den  Ann.  Aug.  brevissimi 
(SS.  III,  189)  verwandt  (vgl.  Seraphim  S.  73 — 75),  von  geringer  Bedeutung; 
die  Fortsetzung  923 — 1146  sehr  dürftig.  Die  Annales  S.  Germani  Farisi- 
ensis  466 — 1061.  III,  166 — 168,  sind  im  11.  Jahrhundert  geschrieben  und 
meist  lokalen  Inhalts,  a.  987  ist  cajHitm  irrig  in  Capetus  verändert.  Die 
Translatio  S.  Germani  (755)  bei  Mab.  III,  2,  104—118,  Acta  SS.  Mai.  VI, 
788 — 796,  beschreibt  die  Translation,  bei  welcher  Pippin  geholfen  und 
Palaiseau  geschenkt  haben  soll.  Dafs  die  Erzählung  Karl  dem  Gr.  in  den 
Mund  gelegt  wird,  hielt  Wattenbach  mit  Recht  für  Fiktion,  sie  wurde  in 
Schutz  genommen  von  Oelsner,  Pipjnn  S.  501,  und  sogar  von  Waitz,  Ex 
translationibus  et  miraculis  S.  Germ.  Excerpta,  SS.  XV,  5 — 9.  B.  Simson, 
Jahrb.  Karls  I,  9,  verhielt  sich  skeptisch,  um  so  mehr,  da  Aimoin  die 
Schrift  nicht  kennt.  Dafs  sie  erst  später  in  die  Mirac.  eingeschoben  ist, 
bat  Holder -Egger  aus  einer  Farfeser  Hs.  des  9.  Jahrhunderts  nach- 
gewiesen, s.  NA.  XVIII,  274 — 278,  sie  ist  mithin  wertlos. 

^)  Annales  S.  Dioni/yii,  ed.  E.  Berger,  Bibl.  de  l'Ecole  des  Chartes  XL 
(1879),  261—295;  SS."  XIII,  718—721  von  Waitz  die  Annalen  mit  der  in 
die  Ann.  S.  Germ.  min.  übergegangenen  Fortsetzung;  aus  den  weiteren 
Fortsetzungen  nur  Auszüge. 


16G  Tl-  Karolinger.     §  3.    Annalen. 

über  die  Osterfeier  von  782 — 787  aber  finden  wir  auch  in  einer 
anderen  Handschrift  wieder,  jedoch  ohne  die  Bemerkungen  aus 
Canterbury.  Dieses  Exemplar  nämlich  hat  Arn,  der  Freund  Alcvins, 
nach  Salzburg  mitgenommen;  die  Orte  der  Osterfeier  sind  hier 
bis  797  genannt,  und  dann  schliefsen  sich  Salzburger  Nachrichten 
daran').  In  Salzburg  selbst  hatte  man  damals  aber  bereits  ein- 
heimische ältere  Annalen,  deren  Spuren  sich  in  den  späteren  Jahr- 
büchern vorfinden'-').  Scheinbar  bieten  sich  uns  in  diesen  viel  reichere 
und  vollständigere  Aufzeichnungen  dar,  allein  es  läfst  sich  mit  Be- 
stimmtheit nachweisen,  dafs  diese  erst  im  12.  Jahrhundert  nach 
Vermutungen  und  gelehrter  Berechnung  zusammengestellt  wurden, 
um  die  Düi'ftigkeit  der  alten  Annalen  zu  ergänzen.  Wie  bedeutende 
alte  Quellen  aber  verloren  gingen,  und  so  lange  sie  noch  vorhanden 
waren,  unbeachtet  blieben,  zeigen  uns  die  von  Riezler  nachgewiesenen, 
sehr  wichtigen  Fragmente,  welche  Aventin  aus  einem  Buch  von 
„Herzog  Thesseis  Kanzler  mit  Namen  Crantz"  gerettet  hat^). 

Namen  aus  Lindisfarne  finden  wir  auch  an  der  Spitze  der  Jahr- 
bücher von  Fulda  und  von  Corvey;  letztere  stammen  aus  der 
angelsächsischen  Stiftung  Werden  oder  aus  Münster,  aber  die  809 
beginnenden    Notizen    reihen    sich    den    alten  Namen    des  7.   Jahr- 

')  Ann.  Juvavenses  majores  550 — 855,  976,  leider  mit  einer  grofsen 
Lücke  in  der  wichtigsten  Zeit,  MG.  1,  87  nach  Eckhardt.  Benutzung 
der  Ann.  S.  Amandi,  wie  Giesebrecht  a.  a.  0.  S.  228  meint,  scheint  mir 
zweifelhaft.  Ann.  Juravettses  minores  742 — 814  (I,  88)  sind  816  geschrieben; 
über  eine  darin  benutzte  Quelle  s.  oben  S.  163.  Nach  Auffindung  der 
Handschrift  in  Würzburg  sind  diese  beiden  Annalen  leider  nicht  neu 
abgedruckt,  sondern  SS.  III,  122  mit  keineswegs  erschöpfenden  Be- 
richtigungen und  Supplementen  versehen.  —  Ann.  Salish.  499  —  1049 
(1,  89)  von  784  an  gleichzeitig,  der  Anfang  saec.  XII  ergänzt,  vorherr- 
schend lokal.  —  Annales  S.  Emmerammi  majores  74S — 823,  minores  732 
bis  1062,  MG.  I,  92-94.  Wiederholt  bei  Karl  Roth,  Verzeichnis  der 
Freisinger  Urkk.  von  Corb.  bis  Egilbert  (München  1855)  S.  89—92  nach 
der  Handschrift ,  vgl.  Chroust ,  Monum.  palaeograph.  Lief.  II  Taf.  1 ; 
minores  jetzt  auch  SS.  XIII,  47.  Ann.  Bawarici  hreves  684 — 811,  MG. 
SS.  XX,  8,  ohne  Grund  in  zwei  Stücke  geteilt,  zu  derselben  Gruppe  ge- 
hörig; vgl.  Arnold  S.  50. 

2)  Den  Ann.  S.  Rudberti,  MG.  SS.  IX,  758. 

')  Ein  verlorenes  bayrisches  Geschichtswerk  des  8.  Jahrhunderts, 
Münch.  SB.  1881,  I,  247—291,  vgl.  S.  389.  Einige  Verbesserungen  von 
W.  Meyer:  Philol.  Bemerkungen  zu  Aventius  Annalen  (Abh.  d.  Münch. 
Ak.  I.  Kl.  XVII,  III)  S.  762.  Ders.  weist  S.  752  den  Titel  nach:  „Vita 
Thessaloni  III  scrij^ta  a  Creontio,  qui  Thessalono  fuit  ab  epistolis,  ine. 
ab  a.  Chr.  771  usque  ad  a.  796"  unter  den  von  Aventin  benutzten  Quellen. 
—  Spuren  davon  in  den  Annales  Salisb.  cod.  Monac.  SS.  XIII,  237.  Die 
Möglichkeit  eines  in  der  Form  von  „Crantz"  wenig  verschiedenen  Namens 
zeigt  V.  Oefele,  HZ.  LI,  154.  Zustimmend  Riezler  im  Nachwort  zur  Aus- 
gabe von  Aventins  Werken  III,  577. 


Karl  der  Groi'se.  167 

hunderts  nui-  ganz  äuCserlich  an').  Anders  in  Fulda,  wo  diese 
irischen  und  angelsächsischen  Namen  nur  in  zwei  Abschriften  an  die 
Spitze  gestellt  sind,  im  Original  abor  schon  um  760  der  Rand  der 
Ostertafel  mit  den  leider  last  ganz  erloschenen  Notizen  von  angel- 
sächsischer Hand  versehen  wurde,  welche,  seit  790  von  anderen 
Händen  fortgeführt,  von  742 — 822  reichen.  In  einer  anderen,  jetzt 
Kassler  Handschrift,  finden  sich  diese  Annalen  bis  814  angereiht 
an  einen  Kaiserkatalog,  dem  auch  jene  altenglischen  Annalen  ein- 
gefügt sind ;  diese,  ohne  die  Kaiser,  und  eine  Fortführung  bis  833 
hat  auch  die  dritte,  jetzt  Münchner  Handschrift  aus  St.  Emmeram^). 
Hier  also,  wie  in  so  vielen  ähnlichen  Fällen,  sehen  wir  recht  deutlich, 
wie  auch  die  dürftigsten  Aufzeichnungen  sich  verbreiteten  und  als 
wertvoll  betrachtet  wurden;  bessere  also,  auch  nachdem  sie  schon 
in  gröfserer  Anzahl  vorhanden  waren,  doch  wenig  Verbreitung  ge- 
funden haben  müssen. 

Die  weitere  Entwickelung  dieser  Annalen  gehört  einem  späteren 
Abschnitte  an ;  hier  waren,  wenn  auch  manchmal  schon  vorgegriffen 
wurde,  vorzüglich  nur  die  ersten  Anfänge  zu  betrachten,  welche 
noch  im  höchsten  Grade  dürftig  und  armselig  sind ,  wie  sie  denn 
auch  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  als  Randbemerkungen  zu  Oster- 
tafeln  durchaus  nicht  den  Anspruch  machen ,  für  litterarische  Er- 
zeugnisse zu  gelten.  Erst  der  lichteren  Zeit  des  grofsen  Karl  ge- 
hört der  Gedanke  an ,  diese  Notizen  mit  anderen  Nachrichten  zu 
einem  Ganzen  zu  verbinden ,  und  sie  dann  mit  Absicht  und  Be- 
wufstsein  als  gleichzeitige  Aufzeichnung  der  Geschichte  weiter  zu 
führen, 

§  4.     Karl   der  Grofse.     Allgemeines. 

Betlinmim,  Paulus  Diaconus'  Leben  und  Schriften,  Arch.  X,  247-334.  C.  F.  Baehr, 
De  litterarum  studiis  a  Carolo  Magno  revocatis  ac  schola  palatina  instaurata, 
Heidelb.  1855,  4.  Desselben  G-eschichte  der  römischen  Litteratur  im  karol.  Zeit- 
alter, Karlsruhe  1840.  Phillips.  Karl  der  Grofse  im  Kreise  der  Gelehrten,  im 
Almanach  d.  Kais.  Akad.  d.  Wiss.  1856,  S.  173—221.  (Vermischte  Schriften  III, 
93  ff.  415  ff.)  F.  Dahn,  Urgeschichte  der  germ.  u.  rom.  Völker  IV  (18»9).  Litte- 
ratur unter  Karl  d.  Grofsen.  Dümmler,  Gedichte  aus  dem  Hofkreise  Karls  des 
Grofsen  in  Haupts  Zeitschr.  XII,  446^4ü0.  S  auch  Waitz  in  Schmidts  Zeitschr. 
f.  Gesch.  II,  48  ff.  Wilh.  Scherer,  Ueber  den  Ursprung  der  deutschen  Litteratur, 
Berl.  1864,  vgl.  Centralbl.  Sp.  572.  M.  Büdinger,  Von  den  Anfängen  des  Schul- 
zwanges, Zur.  1865.  Ger.  Mej-er  von  Knonau,  Ueber  die  Bedeutung  Karls  d.  Gr. 
f.  d.  Entwickelung  der  Geschichtschreibung  im  9.  Jahrh.  Züricher  Probevor- 
lesung 1867.  Menzel,  Corssen,  Janitschek,  Die  Trierer  Ada-Handschrift,  Leipzig 
1889.    S.  Berger,  Hist.  de  la  Vulgata,  Paris  1895.    Traube,  Textgesch.  der  Reg. 

^)  S.  die  Ausgabe  von  Jafie,  Bibl.  I,  32. 

2)  Annales  Fühlendes  antit/iii,  ed.  Pertz,  MG.  SS.  III,  116,  in  Verbin- 
dung mit  Sickels  Untersuchung  der  Wiener  Handschrift,  Forschungen  IV, 
454 — 461.     Neue  Ausgabe  von  Fr.  Kurze,  Ann.  Fuld.  p.  136 — 138. 


IQQ  II.  Karolinger.     §  4.    Karl  der  Grofse. 

S.  Benedict!  (Abhandl.  der  liayer.  Akad.  3.  Cl.  XXI.  629  ff.)-  —  Jalirbüclier  des 
Frank.  Reichs  unter  Karl  d.  Gr.  I.  von  S.  Abel  1866  (2.  Ausg.  von  Simson  1888). 
II.  von  B.  Simson  1883.    Dümmler,  Poetae  Latini  aevi  Carolini,  I.  1881;  II.  1884. 

Eine  lange  Zeit  der  Finsternis  liegt  hinter  uns.  Nur  geringe 
und  dürftige  Spuren  haben  uns  Zeugnis  gegeben ,  dafs  auch  in 
diesen  traurigen  Jahrhunderten  das  Bedürfnis  historischer  Aufzeich- 
nungen nicht  ganz  erstorben  war;  wir  haben  gesehen,  dafs  mit  der 
beginnenden  bessei*en  Ordnung  der  Dinge,  der  Herstellung  des 
Reiches  durch  die  karolingischen  Hausmeier,  auch  einiges  Leben 
auf  diesem  Felde  sich  regte,  dafs  lebensfähige  Keime  zum  A^'orschein 
kamen.  Aber  noch  ist  fast  alles  namenlos ;  seit  Venantius  Fortu- 
natus  und  Gregor  von  Tours  ist  uns  nirgends  eine  bedeutende  Per- 
sönlichkeit entgegengetreten.  Das  Frankenreich  stand  noch  immer 
an  Bildung  weit  zurück  hinter  seinen  Nachbarn,  als  Karl  der 
Grofse  zum  Throne  gelangte,  und  die  erste  Hälfte  seiner  Regierung 
war  auch  noch  viel  zu  sehr  vom  Kriegslärm  erfüllt,  als  dafs  er 
seine  volle  Aufmerksamkeit  nach  dieser  Seite  hin  hätte  wenden 
können.  Doch  hat  er  in  Italien  schon  im  Jahre  776  den  Gramma- 
tiker PaulinusO  mit  einem  Landgute  beschenkt  und  wahrscheinlich 
an  den  Hof  mitgenommen,  wo  wir  ihn  in  Gemeinschaft  mit  Petrus 
von  Pisa  finden,  befreundet  mit  Alcvin ,  der  Angilbert  als  ihren 
gemeinsamen  Zögling  bezeichnet.  Wahrscheinlich  787  wurde  er  zum 
Patriarchen  von  Aquileja  erhoben.  Verschiedene  Gedichte  kirchlichen 
Inhalts  haben  sich  von  ihm  erhalten  und  ein  Buch  der  Ermahnung, 
das  er  an  den  trefilichen  Herzog  Herich  von  Friaul  richtete,  welcher 
mit  ihm  in  treuer  Freundschaft  verbunden  war  und  dessen  Tode 
799  er  eine  tiefgefühlte  Totenklage  widmete.  Am  IL  Januar  802 
ist  er  selbst  gestorben. 

Ohne  Zweifel  hat  der  Aufenthalt  in  Italien  die  Veranlassung 
gegeben,  dafs  Karl  aufmei'ksam  wurde  auf  die  unverkennbare  Ueber- 
legenheit,  welche  den  Italienern  ihre  höhere  geistige  Bildung  ver- 
lieh; er  fafste  den  Entschlufs ,  seine  Franken  von  dem  Joche  der 
Unwissenheit  zu  befreien,  und  von  da  ab  finden  wir  ihn  unablässig 


^)  „Venerabilis  artis  grammaticae  magister."  Er  schrieb  später  gegen 
Felix,  nahm  an  den  verschiedenen  Synoden  dieser  Zeit  teil,  und  starb 
am  n.  Jan.  802.  Opera  ed.  Madrisi  1737.  Migne  XCIX.  Seine  Briefe 
Epp.  r\^  516—627.  Vgl.  Ebert  II,  87-91.  Dümmler,  NA.  IV,  113—118; 
Poetae  I,  123 — 148,  darunter  der  Rhythmus  de  Herico  duce  Forojul.  S.  131, 
und  die  wahrscheinlich  von  ihm  herrührende  Klage  um  Aquileja  S.  142, 
vgl.  v.  Winterfeld  NA.  XXV,  392—395.  Ausführlich  handelt  über  ihn 
Giannoni,  Paulinus  II,  Patr.  v.  Aquil.,  Wien  1896.  Ueber  seine  Hymnen 
s.  Traube,  NA.  XXVII.  790. 


Karl  der  Grolse.  169 

bemüht,  mit  allen  Mitteln  nach  diesem  Ziele  zu  streben').  Der 
feste  Grund  geordneter  äufserlicher  Verhältnisse  und  einer  neu  ge- 
kräftigten, von  sittlichem  Eifer  erfüllten  Kirche  war  bereits  vor- 
handen, und  auf  diesem  Boden  gediehen  die  Pflanzungen  Kax-ls  mit 
dem  überraschendsten  Erfolge. 

Schon  regte  sich's  auch  im  Frankenreiche.  Adam,  Hajnhards 
Sohn  aus  dem  weinreichen  Elsafs ,  Abt  von  Masmünster ,  kopierte 
780  zu  Worms  des  alten  Grammatikers  Diomedes  Werk  de  oratione 
et  partibus  orationis,  und  widmete  es  dem  Könige  in  Versen,  die 
metrisch  freilich  mangelhaft,  übxügens  aber  leidlich  sind^).  Im 
folgenden  Jahre  781,  als  Karl  das  Osterfest  in  Rom  feierte,  und 
Papst  Hadrian  seinen  Sohn  Pippin  aus  der  Taufe  hob,  begann 
Godesscalc  jenes  Wunderwerk  der  Kalligraphie,  das  auf  Purpur- 
pergament mit  Uncialschrift  ganz  in  Gold  und  Silber  geschriebene 
Evangeliarium ,  welches  Karl  und  Hildegard  zum  dauernden  An- 
denken dieser  Feier  anfertigen  liel'sen.  Proddus  ac  sapiens,  Stu- 
diosus in  arte  librormn  heifst  Karl  in  den  Versen ,  durch  welche 
Godesscalc  seinen  Namen  verewigt  hat"). 

In  diesem  denkwürdigen  Jahre  traf  auch  Karl  in  Parma  mit 
Alcvin  zusammen,  den  er  schon  früher  als  Boten  des  Yorker  Erz- 
bischofs kennen  gelernt  hatte,  und  veranlal'ste  ihn  an  seinen  Hof  zu 
ziehen;  von  demselben  Heereszuge  brachte  er  Paulus  Diaconus, 
dem  der  Grammatiker  Peter  v.  Pisa  schon  vorangegangen  war,  mit 
nach  Frankreich^).    Peter  lehrte  am  Hofe  Grammatik,  unter  welcher 

^)  Einen  vermehrten  Eifer,  neue  umfassende  Mafsregeln  weist  Scherer 
nach  dem  folgenden  italienischen  Feldzuge  787  nach.  Ueber  die  Zusen- 
dungen von  Werken  Gregors  I.  durch  Hadrian  zu  kirchlichem  Zweck, 
aber  doch  auch  litterarisch  anregend,  s.  P.  Ewald  im  NA.  III,  440. 

-)  Keil,  Grammatici  Latini  J,  p.  XXIX ;  Delisle,  Cabinet  des  Manu- 
scrits  I,  3.  Poetae  I,  93.  Erst  30  Jahre  alt,  hatte  er  durch  Karls  Güte 
die  Abtei  Masmünster  (Masunvilare)  erhalten,  doch  Avohl  zur  Belohnung 
und  Förderung  seiner  Studien. 

^)  Früher  in  Saint-Sernin  de  Toulouse,  jetzt  Hibl.  Nat.  nouv.  acq. 
lat.  1203,  s.  Bibl.  de  l'Ecole  des  Chartes  XXXV,  85.  Die  Gemälde  sind 
nach  antiken  Mustern,  die  Randverzierungen  jedes  Blattes  teils  ebenfalls 
römischen,  teils  irisch-englischen  Ursprungs.  Vgl.  Piper,  Karls  d.  Grol'sen 
Kalendarium  S.  36.  Bastard,  pl.  81 — S<).  Dümmler,  Poet,  I,  94.  Trierer 
AdaHs.  S.  85.  Benutzung  der  Schreiberverse  der  Mensuratio  orbis  nach- 
gewiesen von  Traube,  ^lünch.  SB.  1891,  S.  406. 

"•)  Diesen  Petrus  hörte  Alcvin  schon  vor  Karls  Zeit  in  Pavia  mit  einem 
Juden  disputieren:  ,Idem  Petrus  fuit  qui  in  palatio  vestro  grammaticam 
docens  damit. "  Ale.  ep.  ap.  Jaffe,  Bibl.  VI,  54-^,  Kpp.  IV.  '285;  cf.  Einh.  V, 
Karoli  c.  25.  Damals  (799)  war  er  schon  tot.  Dals  Petrus  schon  vor 
Paulus  am  Hofe  wirkte,  beweist  das  Gedicht  Alcvins,  Poet.  Car.  I,  222 
V.  42.  45,  vgl.  Giannoni,  Paulinus  v.  Aquil.  S,  10,  der  es  in  das  J,  777 
setzen  will.     Gedichte  von  Angilbert  u.  Karl  an  ihn  nach   seiner  Heim- 


170  li-  Karolinger.    §  4.    Karl  der  Grofse. 

Bezeichnung  die  ganze  Beschäftigung  mit  der  lateinischen  Litteratur 
verstanden  wurde.  In  Freundschaft  mit  Paulus  wechselte  er  scherz- 
hafte Verse  mit  ihm,  und  Karl  selbst  genofs  seinen  Unterricht  und 
bediente  sich  seiner,  wenn  er  an  diesem  poetischen  Verkehre  teilnahm. 
Aus  Spanien  flüchtig,  wie  es  scheint,  kam  Theodulf  zu  Karl, 
dessen  geistreiche  und  formgewandte  Dichtungen  das  lebhafteste 
Bild  von  Karls  Hof  gewähren,  während  er  als  Staatsmann  und 
Bischof  von  Orleans  eine  bedeutende  Wirksamkeit  entfaltete.  Sein 
Gedicht  an  Karl  nach  dem  Sieg  über  die  Avaren  796  bietet  uns 
die  eingehendste  Schilderung  des  Hofes  ^),  wähi-end  das  lange  und 
ausführliche  Gedicht  an  die  Richter^)  für  die  Zustände  der  Zeit  un- 
gemein lehrreich  ist,  und  sein  Capitulare^)  die  Ermahnungen  und 
Vorschriften  für  die  Geistlichkeit  seines  Sprengeis  enthält,  welche 
uns  die  reformatorischen  Bestrebungen  dieser  Zeit  zeigen.  Unter 
Ludwig  in  Ungnade  gefallen  und  der  Teilnahme  an  Bernhards  Auf- 
stande beschuldigt,  verlor  er  sein  Bistum  und  ist  um  821  gestorben. 
Eine  etwas  sagenhafte  Nachricht  über  Komputisten  und  Gram- 
matiker, welche  Karl  aus  Rom  in  sein  Reich  berief,  gibt  Ademar 
von  Chabannes  (SS.  IV,  118).  Schotten  aus  Irland  hat  er,  wenn 
wir  dem  Mönche  von  St.  Gallen  glauben  dürfen ,  schon  früher  an 
sich  gezogen"*);    hervorragend  unter  ihnen  ist  Dungal,   der  unter 

kehr  nach  Italien  hat  Dümniler  herausgegeben,  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XVII, 
141.  146;  Poet.  I,  75.  76.  Wohl  von  ihm  ist  die  lat.  Grammatik  eines 
Petrus  Grammaticus  bei  H.  Hagen,  Anecdota  Helvetica  (Suppl.  ad  Keilii 
Gramm.  lat.)  S.  159—171.  vgl.  XCVI— XCVHl;  Dümmler,  Poet.  I,  73 
(die  Verse  auch  in  Mailand,  Ambros.  0  95  sup.  f.  34  aus  dem  11.  Jahrb.). 
Seine  Gedichte  sind  bei  Dümmler  S.  48 — 56  mit  denen  des  Paulus  Diac. 
verbunden,  vgl.  S.  29;  Hauck  II,  155 — 156.  Ueber  eine  Karl  dem  Gr. 
gewidmete  gramm.  Hs.  desselben  s.  Traube,  Reg.  S.  Bened.  S.  676.  726. 

^)  Dümmler,  Poet.  I,  483;  II,  694—697.  Ich  begnüge  mich  jetzt,  auf 
diese  so  lange  schmerzlich  vermifste  neue  Ausgabe  seiner  Gedichte,  mit 
dem  Vorwort,  zu  verweisen,  S.  437 — 581;  ein  Nachtrag  NA.  VII,  401, 
XI,  80  A.  7.  Vgl.  Ebert  II,  70-84,  Traube,  Karol.  Dichtungen  (1888) 
S.  66.  67.  Hauck  II,  164 — 168.  Ueber  die  Grabschrift  des  Grafen  Helmen- 
gald,  s.  Puckert,  Aniane  S.  256.  De  Rossi  bemerkt,  dai's  I,  557  das  Epit. 
Damasi  papae,  von  ihm  selbst  verfafst,  irrtümlich  unter  Th.s  Gedichte 
geraten  ist  (NA.  XI,  313).  Anklänge  an  ältere  Dichter  bei  ihm,  Mani- 
tius,  NA.  XI,  561.  Versuch  einer  zusammenfassenden  Darstellung  von 
Cuissard,  Theodulfe,  Orleans  1892  (Memoires  de  la  Soc.  archeol.  de  l'Or- 
leanais  1892,  S.  1—350). 

^)  Poet.  I,  493.  Neue  Ausg.  v.  H.  Hagen  in  einem  Berner  Univ.-Progr. 
V.  1882,  vgl.  NA.  VIII,  422. 

^)  Theodulfi  Opera  ed.  Sirmond.  p.  1 — 28;  Capitul.  sec.  bei  Baluze, 
Miscell.  VII,  21—47,  vgl.  Traube,  Reg.  S.  Ben.  S.  645,  Seckel  im  NA. 
XXVI,  51  ff. 

^)  Cap.  1.  Ueber  Donat,  Bischof  von  Fiesole  (um  829—876),  nach- 
dem er  vorher  als  Lehrer  gewirkt  hatte,  s.  Ozanam,    Documenta  inedits 


Theodulf.     Die  Schotten.     Aribo.  171 

Waldos  Obhut  zu  Saint-Denis  lebte,  und  810  an  den  Kaiser  über 
die  Sonnenfinsternis  dieses  Jahres  schrieb,  vielleicht  derselbe,  welcher 
825  in  Pavia  lehrte  und  827  gegen  Claudius  kämpfte'):  einer  von 
ihnen  lebte  am  Hofe  in  heftiger  Feindschaft  mit  Theodulf  und  An- 
gilbert.  Joseph,  schon  in  England  Alcvins  Schüler  und  mit 
Liudger  befreundet,  richtete  an  Karl  als  König  einige  sehr  ge- 
künstelte Verse  mit  Akrostichen^).  Er  ist  vor  Alcvin,  also  vor  804, 
gestorben. 

Vielleicht  gehört  zu  ihnen  auch  Dicuil,  in  dessen  825  ver- 
fafster  Schrift  de  mensura  orbis  terrae^)  der  von  Harun  an  Karl 
geschenkte  Elefant  ervs^ähnt  wird.  Er  verfertigte  auch  Verse 
grammatischen  Inhalts  und  ein  poetisches  Handbuch  der  Asti'onomie 
in  vier  Büchern,  welches  er  in  den  Jahren  814 — 81G  vollendete  und 
Kaiser  Ludwig  überreichte.  Dieses  ist  bis  jetzt  noch  ungedruckt 
geblieben. 

Auch  Bayern  hatte  unter  den  Agilolfingern,  in  enger  Verbin- 
dung mit  Italien,  bereits  einen  höheren  Grad  der  Bildung  erreicht. 
Herzog  Odilo  hatte  Cassinenser  Mönche  nach  Mondsee  berufen, 
und  Reichenauer  nach  Nied  er- Altaich  ;  von  hier  entnahm  Tassilo 
den  ersten  Vorsteher  seiner  herrlichen  Stiftung  Kremsmünster. 
Vor  allem  aber  glänzte  F  reis  in  g  unter  seinem  Bischof  Arbeo 
oder  Aribo  (764 — 78o)  durch  die  Pflege  der  Wissenschaft^).    Aribo 


p.  48—57.  Seine  Vita  vollständig  Acta  SS.  Oet.  IX,  65-5—662,  vgl.  Poet. 
Carol.  III,  691—692  und  Davidsohn,  Geschichte  von  Florenz,  I,  83,  For- 
schungen S.  27. 

')  Ueber  ihn  und  den  Hiberniciis  exul,  welcher  ein  leider  sehr  frag- 
mentarisch erhaltenes  Gedicht  auf  Tassilos  Abfall  an  Karl  richtete,  s. 
Dümmler,  NA.  IV,  142.  2-54-2.56;  Poet.  I,  393—413.  If.  664.  Seine  Briefe 
Epp.  IV,  570—585,  vgl.  552.  Traube,  „0  Roma  nobilis"  (Abh.  d.  Manch. 
Ak.  I.  Kl.  XIX,  2,  S.  3.32—337).     Hauck  II,  154— 15(;. 

'^)  Zuerst  in  H.  Hagens  Carmina  Medü  Aevi  (Bernae  1877)  p.  116  bis 
124;  jetzt  bei  Dümmler,  Poet.  I,  149—159.  Einige  Anklänge  nachgewiesen 
von  Manitius,  NA.  XI,  558. 

^)  Ausg.  von  G.  Parthey,  Berl.  1870.  Benutzung  der  Mensuratio  orbis, 
Traube,  Münch.  SB.  1891  S.  407.  Vgl.  Dümmler, 'NA.  IV,  2-56  u.  Poet.  I, 
666;  auch  Zimmer,  Ueber  die  frühesten  Berührungen  der  Iren  mit  den 
Nordgermanen,  Berl.  SB.  1891  S.  279  ff. 

*)  Er  erscheint  von  7-54  —  760  als  Schreiber  in  der  bischöflichen 
Kanzlei;  als  Freund  der  Franken  fiel  er  gegen  das  Ende  der  Regierung 
Tassilos  bei  ihm  und  Liutbirg  in  Ungnade,  s.  Graf  Hundt,  Ueber  die 
bayr.  Urkunden  aus  der  Zeit  der  Agilolfinger,  Abh.  d.  Ak.  III.  Kl.  XII, 
182.  186,  und  was  aus  seinem  Nachlafs  im  44.  u.  45.  Jahresbericht  des 
bist.  Vereins  von  Oberbayern  (1883)  S.  VII— XVII  aus  einer  unvollendeten 
Abhandlung  über  Arbeo  mitgeteilt  ist.  —  Fabelhaft  und  von  dürftigem 
Inhalt  ist  die  Vita  Gumnlberti,  eines  Gutsherren  und  Pfarrers  aus  Pippins 
Zeit  in  Michelsbuch,   unweit  des  Einflusses  der  Isar  in  die  Donau,    Acta 


172  II-  Karolinger.     §  4.    Karl  der  Groise. 

selbst  verfafste  in  ungelenker  und  schwülstiger,  aber  von  ange- 
strengtem Studium  zeugender  Schreibart  die  Lebensbeschreibungen 
der  alten  Glaubensboten  Emmeram  und  Corbinian,  deren  wir  oben 
(S.  138)  schon  gedachten;  als  Diakonen  aber  finden  wir  an  seiner 
Kirche  Arn  iind  Leidrad,  und  auch  diese  folgten  einem  Rufe 
des  grofsen  Frankenkönigs.  Arn  erscheint  in  den  Freisinger  Ur- 
kunden zuletzt  778;  782  erhielt  er  die  Abtei  von  St.  Amand. 
Leidrad  schrieb  noch  782  eine  Urkunde  für  Tassilo'),  dann  finden 
wir  auch  ihn  im  Frankenreiche  wieder,  wo  er  neben  Theodulf  das 
Amt  eines  königlichen  Sendboten  verwaltete,  und  von  799 — 813 
dem  Bistume  zu  Lyon  vorstand,  welches  er  dann  seinem  Schüler 
Agobard  übei'liefs ,  um  sich  in  das  Kloster  des  heiligen  Medardus 
zuz'ückzuziehen,  woselbst  er  am  28.  Dezember  816  gestoi^ben  ist.  In 
Lyon  war  Claudius  bei  ihm  und  begann  seinen  Kommentar  zur 
Genesis,  den  er  an  des  jungen  Ludwigs  Hof  in  Aquitanien  voll- 
endete, in  Casanolio  palatio  bei  Poitiers,  wo  811  Faustinus  das  Buch 
abschrieb"). 

So  zog  also  Karl  um  das  Jahr  782  von  allen  Seiten  die  Träger 
wissenschaftlicher  Bildung  an  sich  und  arbeitete  von  nun  an  unab- 
lässig und  unverwandt  hin  auf  eine  Wiederherstellung  der  antiken 


SS.  Jan.  II,  591 — 595,  doch  dürfte  vielleicht  aus  den  alten  Hss.  in  Mün- 
chen und  Adniunt  eine  bessere  Form  zu  gewinnen  sein. 

^)  lieber  beide  s.  Meichelbecks  Historia  Frisingensis ;  über  Leidrad 
Baehr  S.  361,  Graf  Hundt  a.  a.  0.  S.  181;  seine  Schriften  gesammelt 
bei  Migne  XCIX,  853—896,  die  Briefe  Epp.  IV,  539—546.  Desvernay, 
Lettr.  de  Leidrade  (818—814),  Lyon  1899.  Ueber  Hss.,  die  er  für  die 
Lyoner  Kirche  schreiben  liels,  Delisle,  Notit.  et  extr.  XXXV,  2  p.  831 
bis  839.  Giesebrecht  erinnert  dabei  auch  an  jenen  alten  Agilolfinger 
Wicterb,  Bischof  und  Abt  von  St.  Martin  zu  Tours,  der  754  ja  in 
senex,  inito  nonagenarius  aitt  supra,  dolentibus  memhris  et  calighiantihus 
oculis  ein  geistliches  Werk  für  einen  Regenten,  doch  wohl  Tassilo,  ab- 
schrieb und  unermüdet  weiter  schrieb,  bis  er  756  starb.  Rettberg  II,  269. 
Dafs  er  Abt  zu  Tours  war,  darf  nach  der  Notiz  im  Cod.  Masciac.  der 
Ann.  Petav.  (MG.  SS.  III,  170)  nicht  bezweifelt  werden;  auch  hatte  damals 
dieses  Kloster  seinen  eigenen  Bischof  (Gallia  Christ.  XIV,  153),  aber  unter 
die  Regensburger  Bischöfe  gehört  er  doch  nach  seiner  Erwähnung  in  den 
Versus  de  ord.  comprov.  episcop.  (SS.  XIII,  352);  das  Verzeichnis  der 
Aebte  von  Grofs  Sankt  ]\Iartin  in  Köln  dagegen  ist  eine  Fälschung.  ■ — 
Ein  merkwürdiges  Schreiben  eines  (Iren?)  Clemens  an  Tassilo,  den 
bayr.  Episkopat  u.  Adel  in  Bezug  auf  die  Eroberung  und  Bekehrung  der 
Carantanen  hat  Zierngibl  in  d.  Neuen  bist.  Abb.  d.  baier.  Akad.  1,  246 
herausgegeben  (wiederholt  Epp.  IV,  496),  und  Riezler,  Gesch.  Bayerns  I, 
155,  zuerst  benutzt. 

^)  Epistola  ad  Dructeramnum  abb.  (von  St.  ChaflFre)  als  Vorrede ;  die 
Vorrede  zum  Matthäuskomm,  ist  an  einen  Abt  Justus  gerichtet,  s.  seine 
Briefe  und  Vorreden  Epp.  IV,  ,586 — 613  und  Dümmler,  Ceber  Leben  und 
Lehre  des  Bisch.  Cl.  v.  Turin,  Berl.  SB.  1895. 


Karls  Akademie.  173 

Kultur,  deren  Herrlichkeit  seinen  Geisterfüllte').  Wie  er  die  alten 
Kunstwerke  nach  Aachen  luhrte  und  seine  Bauten  nach  den  Regeln 
des  Vitruv  und  den  Mustern  der  Kirchen  zu  Ravenna  und  Rom 
aufführen  liefs,  so  liel's  er  auch  die  alten  Schriftsteller  nach  den 
alten  Handschriften  mit  der  sorgsamsten  Genauigkeit  abschreiben. 
Aus  Montecassino  liefs  er  sich  im  Jahre  787  eine  Abschrift  von 
dem  Originalexemplar  der  Regula  S.  Bened.  kommen.  Staunend 
bewundern  wir  die  Prachtwerke  seiner  Kalligraphen,  und  nichts 
ist  vielleicht  so  charakteristisch  für  das  was  man  damals  erstrebte, 
wie  diese  Handschriften  mit  ihrer  Uncialschrift,  ihren  vollkommen 
antiken  Mustern  nachgeahmten  Verzierungen  und  Bildern.  Ja,  so 
wie  ein  gewisser  E.  Modelle  der  antiken  Säulen  sich  verschafft 
hatte,  welche  Einhard  benutzte,  so  wurden  auch  Sammlungen  alter 
Inschriften  mit  gröfster  Sorgfalt  zusammengestellt  und  die  Siglen 
der  Juristen  gesammelt  und  erklärt^). 

Am  Hofe  hatte  sich  aus  alter  Zeit  immer  eine  Hofschule  er- 
halten-'). Diese  wurde  durch  Karl  neu  belebt;  er  selbst,  seine 
Kinder,  seine  Hofleute  nahmen  an  dem  unterrichte  und  den  Uebungen 
teil.  Es  erwuchs  daraus  neben  der  eigentlichen  Schule  eine  Art 
von  Akademie,  welche  Karl  und  seine  vertrauteren  wissenschaft- 
lichen   Freunde   zu   regelmäfsigen   Sitzungen  vereinigte "*).     In    ähn- 

^)  „Quippe  qui  omniuni  regum  avidissimus  erat  sapientes  diligenter 
inquirere,  et  ut  cum  omni  delectatione  pbilosopharentur  excolere.  Ideo 
regni  a  Deo  sibi  commissi  nebulosam,  et  ut  ita  dieam  paene  caecam 
latitudinem,  totius  scientiae  nova  irradiatione  et  huic  barbariei  ante 
partim  incognita  luminosam  reddidit  Deo  illustrante."  Walafridi  Praef. 
ad  Einhardi  vitam  Karoli,  JafFe  Bibl.  IV.  -507.  Vgl.  über  Bücherschen- 
kungen an  ihn  Traube,  Reg.  S.  Bened.  S.  673—676.  726. 

^)  Ueber  die  alten  Inschriftensammlungen  vgl.  J.  B.  de  Rossi,  Inscript. 
urb.  Romae  christ.  II,  1.  Was  die  notae  juris  betrifft,  so  überreichte  schon 
Karl  dem  Grofsen  selbst  Magno,  Erzbiscbof  von  Sens  (801 — 818).  eine 
Zusammenstellung  der  bei  den  Alten  in  juristischen  Schriften  gebräuch- 
lichen Abkürzungen,  zusammengestellt  aus  zwei  anderen,  die  ihm  in  die 
Hände  gekommen  waren.  Mommsen,  Laterculus  notarum  in  Grammat. 
Latt.  ed.  Keil  TV,  28-5.  31-5.  Ueber  eine  durch  ihn  veranlafste  Formel- 
sammlung Zeumer,  NA.  VI,  79.  Karls  Sorgfalt  für  die  Berichtigung  ver- 
derbter Abschriften  preist  der  Schreiber  Winidharius  im  Wiener 
Codex  743  (Poet.  Carol.  I,  89): 

Qui  sternit  per  bella  truces  fortissimus  heros, 

Rex  Carolus  nuUi  cordis  fulgore  secundus, 

Non  passus  sentes  mendarum  sei-pere  libris, 

Et  bene  correxit  studio  sublimis  in  omni.    S.  Epp.  V,  138  n.  2. 

^)  Für  Pippins  Zeit  nachgewiesen  von  Leon  Maitre,  Les  ecoles  epi- 
scopales  (Paris  1866)  S.  34—37.  Vgl.  Rud.  Sohm,  Die  fränkische  Reichs- 
u.  Gerichtsverfassuncr  S.  342  über  das  commetidare  ad  regem.  Simson  II, 
570  ff. 

*)  Oebeke,  De  Academia  Caroli  Magni.    Aachener  Gymn.-Progr.  1847. 


174  II.  Karolinger.     §  4.    Karl  der  Grofse. 

lieber  Weise  wie  an  den  arabischen  Höfen  dieser  Zeit,  wux'den  bier 
poetische  Episteln  gewechselt,  wissenschaftliche  Aufgaben  gestellt 
und  beantwortet,  Rätsel  aufgegeben  und  gelöst.  Alle  führten  hier 
Namen  aus  der  Vorzeit,  in  denen  heidnische  und  christliche  Er- 
innerungen in  seltsamer  Mischung  erscheinen.  So  hiefs  Karl  selbst 
David,  Alcvin  Flaccus,  Einhard  Beseleel  nach  dem  kunstreichen  Er- 
bauer der  Stiftshütte,  Riculf  Damoetas,  Beornrad  "von  Sens  Samuel, 
Angilbert  Homer;  Audulf  der  Seneschalk  und  der  Kämmerer  Me- 
ginfrid  führten  die  idyllischen  Namen  Menalcas  und  Thyrsis.  Naso 
nannte  sich  selbst  ein  Dichter  Modoin  oder  Muadwin,  der  von  815 
bis  nach  840  Bischof  von  Autun  gewesen  ist.  In  sehr  ungelenken 
Idyllen,  nach  dem  Vorbilde  der  Eklogen  Vergils  und  des  Calpurnius, 
feierte  er  David,  den  Kaiser,  als  Friedensfürsten  und  bewarb  sich 
um  dessen  Gunst  ^).  Die  Standesverschiedenheiten  der  Gegenwart 
wurden  durch  solche  Verhüllung  auf  diesem  Gebiete  in  den  Hinter- 
grund gestellt.  Nicht  zu  bezweifeln  ist,  dafs  Karl  selbst  eine  für 
jene  Zeit  nicht  unbedeutende  Bildung  sich  angeeignet  hatte;  Ein- 
hards  ausdrückliches  Zeugnis,  dafs  es  ihm  nicht  mehr  gelingen 
wollte,  schreiben  zu  lernen,  steht  damit  nicht  im  Widerspruche. 
Man  mufs  erwägen,  sagt  Hauck  (II,  121  A.  6)  ganz  richtig,  dafs 
das  Schreiben  eine  Kunst  war  und  dafs  man  damals  ganz  allgemein 
zu  diktieren  pflegte.  Seine  gelehrten  Briefe  an  Alcvin  schrieben, 
gewifs  nach  seiner  Anweisung,  die  palaüni  pueri"^). 

Man  wird  durch  dieses  Treiben  erinnert  an  die  platonische 
Akademie  zu  Florenz,  allein  es  ist  zwischen  beiden  doch  ein  grofser 
Unterschied.  Karl  lag  der  Gedanke  fern ,  die  Litteratur  nur  wie 
einen  Gegenstand  der  müfsigen  Unterhaltung  zu  seinem  Vergnügen 
zu  pflegen ;  sein  Briefwechsel  mit  Alcvin  zeigt  uns,  dafs  seine  Aka- 
demie auch  praktisch  wichtige  Fragen  behandelte,  und  öfter  einem 
Ministerium  der  geistlichen  Angelegenheiten  ähnlich  wird.  Der 
Herstellung  des  alten  Glanzes  und  der  Reinheit  der  Kirche  mufsten 
alle  seine  gelehrten  Freunde  mit  ernstlicher  Arbeit  dienen^).    Ueber 

')  Diese  früher  ganz  unbekannten  Dichtungen  sind  durch  E.  Dümmler 
zuerst  bekannt  geworden,  Poet.  I,  382 — 392,  und  nach  Entdeckung  der 
Darmst.  Hs.  besser  NA.  XI,  75 — 91  herausgegeben;  vgl.  Ebert  II,  64—68. 
Trotz  der  sehr  fehlerhaften  Form  sind  die  Gedichte  nicht  unbeachtet 
geblieben,  und  wurden  von  Ermenrich  stark  ausgebeutet. 

2)  Ep.  Alcvini,  Jaffe,  Bibl.  VI,  459,  Epp.  IV,  282. 

^)  Ueber  die  Libri  Carolini,  welche  uns  ferner  liegen,  bemerke  ich 
nur,  dafs  ihre  Echtheit  durch  Auffindung  des  Cod.  Vat.  (wozu  eine  Hs. 
der  Pariser  Arsenalbibliothek  kommt)  festgestellt  ist,  s.  Reifferscheid  im 
Ind.  lectt.  Vrat.  hib.  a.  1873.  Vgl.  Leibn.  Ann.  Imp.  Occ.  ad  a.  794. 
H.  Reuter,  Geschichte  d.  relig.  Aufklärung  im  Mittelalter  I,  (1875)  S.  10 


Karls  Akademie.  175 

die  Bedeutung  der  Taiifgebrüuche ,  über  den  heiligen  Geist  und 
andere  theologische  Gegenstände  richtete  er  Kundfragen  an  seine 
Bischöfe').  Allein  das  war  doch  auch  wieder  nur  eine  Seite  der 
Bestrebungen  des  Königs;  ihm  war  es  voller  Ernst,  sein  ganzes 
Volk  auf  eine  höhere  Stufe  der  Bildung  zu  heben ,  und  deshalb 
legte  er  überall  Schulen  an,  und  sorgte  unermüdlich  für  die  Pflege 
und  Hebung  derselben'").  Sogar  von  Alcvin  trennte  er  sich  aus 
diesem  Grunde,  und  verlieh  ihm  796  die  Abtei  des  heiligen  Martin 
zu  Tours,  wo  er  von  nun  an  als  Leiter  einer  blühenden  Schule 
wirkte.  Fast  alle  bedeutenderen  Bistümer  und  Abteien  des  Franken- 
reiches erhielten  von  hier  aus  ihre  Vorsteher,  und  wo  in  der  nächsten 
Folgezeit  von  litterarischer  Thätigkeit  etwas  zu  melden  ist,  da 
können  wir  mit  Sicherheit  darauf  rechnen ,  einen  Schüler  Alcvins 
zu  finden.  Weit  genug  erstreckte  sich  der  Wirkungskreis  dieser 
Schule ;  doch  errichtete  Karl  für  die  entfernteren  Teile  seines  Reiches 
auch  eigene  Mittelpunkte,  welche  von  seinem  Scharfblicke  Kunde 
geben  wie  alles,  was  er  gethan.  In  Italien  besafs  Pavia  schon 
von  alters  her  gefeierte  Lehrer,  und  diese  Schule  erhielt  jetzt  neuen 
Glanz  durch  den  Schotten  DungaP);  ihr  Fortleben  und  bleiben- 
des Gedeihen  bezeugt  der  erst  später  durch  Bologna  verdunkelte 
Ruhm  der  Rechtschule  von  Pavia. 

Ein  echt  karlischer  Gedanke  war  die  Stiftung  des  Erzbistums 
Hamburg  an  der  Nordgrenze  seines  Reiches,  die  jedoch  erst  unter 
seinem  Nachfolger  zu  stände  kam ;  aber  gerade  in  den  fernsten 
Osten  liefs  er  Alcvins  ebenbürtigen  Freund,  Arn,  den  Abt  von 
St.  Amand,  ziehen,  dem  Tassilo  785  das  Bistum  Salzburg  verlieh''). 
798  errichtete  er  hier  dann  ein  Erzbistum,  welches  bestimmt  war. 


bis  13.  Hauck  TI  ,  31*5— 32G  und  besonders  Hampe,  NA.  XXI,  95—99. 
Abdr.  Migne  XCVIII. 

')  S.  Capitul.  reg.  Francor.  T,  246—248;  Epp.  TV,  529—531,  533—541, 
V.  300.  642;  F.  Wiegand  in  den  Studien  zur  Gesch.  der  Theol.  u.  der 
Kirche  IV,  1.     A.  Werminghoff.  NA.  XXVII,  580. 

-)  Ebert  II,  8  über  Karls  Verordnungen.  Simsen  II,  567  über  das 
Sendschreiben  an  Baugulf.  Hauck  II,  186  ff.  Diekamp  im  Hist.  Jahrb.  V, 
259  gegen  die  unbegründete  Verdächtigung  desselben  durch  Harttung, 
Dipl.-hist.  Studien  S.^  319.  338  ff. 

3)  S.  oben  S.  171  Anm.  1. 

*)  Karls  Zustimmung  war  ohne  Zweifel  erforderlich,  um  so  mehr,  da 
Arn  die  Abtei  Saint-Amand  behielt.  Zu  A.  Huber,  Ueber  das  Vorleben 
Arnos  im  Arch.  d.  W.  Akad.  XLVII,  197 — 217,  ist  zu  bemerken,  dafs  in 
der  Urk.  v.  779  (Meich.  n.  57)  dd  David  und  nicht  nrchidiacomis  bedeutet, 
der  Diakon  Arn  ein  anderer  ist,  und  dafs  in  d.  Urk.  v.  776  (Meich.  n.  48) 
nobis  auf  den  Aussteller  Bisch.  Aribo  geht,  und  also  für  die  Verwandt- 
schaft Ams  nichts  austrägt.    Vgl.  auch  Graf  Hundt  a.  a.  0.  S.  187. 


176  II-  Karolinger.     §  4.    Karl  der  Girofse. 

ein  fester  iind  segensreicher  Mittelpunkt  in  politischer,  kirchlicher 
und  littei-arischer  Beziehung  zu  werden.  Arn  erfüllte  seine  Mission 
in  vollem  Mafse;  aus  den  Urkunden  wie  aus  den  Briefen  Alcvins 
an  ihn  ^)  tritt  uns  das  Bild  des  hervorragenden ,  nach  allen  Eich- 
tungen thätigen  Staatsmannes  und  Kirchenfürsten  klar  entgegen, 
und  wenn  ihm  auch  zu  schriftstellerischer  Thätigkeit  keine  Zeit 
blieb,  so  zeugen  doch  seine  Bemühungen  für  die  Sammlung  eines 
Bücherschatzes  durch  Abschriften  von  seiner  Sorge  für  Schule  und 
Lehre-),  wobei  ihm  von  797 — 801  Alcvins  Schüler  Wizo  hilfreich 
zur  Seite  stand.  Die  feindliche  Erhebung  des  mährischen,  dann  des 
ungrischen  Reiches,  die  Errichtung  selbständiger  Metropolen  im 
Osten  haben  Salzburg  nicht  zu  seiner  vollen  Entwickelung  gelangen 
lassen,  doch  auch  in  dieser  Beschränkung  ist  die  Stiftung  des  bay- 
rischen Erzbistums  von  den  bedeutendsten  Polgen  gewesen. 

Ein  wunderbarer  Erfolg  krönte  diese  Bemühungen  Karls,  und 
er  hattte  das  Glück,  die  Früchte  seiner  Mühen  noch  selbst  zu  er- 
leben. Wie  ein  Phänomen  in  dunkelster  Nacht  erscheint  plötzlich 
die  Litteratur  des  9.  Jahrhunderts;  nicht  nur  Geistliche,  auch  Laien 
schrieben  Bücher,  was  seit  Jahrhunderten  nicht  vorgekommen  war, 
und  jahrhundertelang  nicht  wieder  vorkommt^). 

Denn    von  Dauer  war   dieser  Glanz   nicht :    er  verschwand    fast 

')  Leider  sind  uns  keine  Briefe  von  Arn  an  Alcvin  erhalten,  Bibl,  VI, 
870,  Epp.  IV,  109  ein  hübscher  Brief  von  ihm  an  Cuculus,  wie  ein  leicht- 
fertiger Schüler  Alcvins,  wahrscheinlich  Dodo,  genannt  wnrde.  Wichtige 
urkundliche  Quellen  aus  seiner  Zeit  sind  Indiculus  Arnonis  und  Breves 
notitiae  Salzhurgenses,  nach  den  bekannten  und  früher  unbenutzten  Hand- 
schriften herausgegeben  und  mit  Erläuterungen  versehen  von  Friedrich 
Keinz,  München  1869  (vgl.  Wattenbachs  Anzeige  in  d.  Heidelb.  Jahrbb. 
1870  S.  20—25) ;  besser  von  Hauthaler,  Salzb.  Urkundenb.  I,  1—52. 

^)  Mehr  als  150  Bücher  liefs  er  nach  Angabe  des  Nekrologs  schreiben, 
MG.  SS.  IX,  770;  vgl.  Alcvins  Brief.  Bibl.  VI,  525,  Epp.  IV,  320.  Da- 
runter ein  Formelbuch,  herausgegeben  von  Rockinger,  Quellen  zur  bayri- 
schen Geschichte,  Bd.  VII,  von  De  Roziere,  Revue  bist,  de  droit  franpais 
et  etranger,  1859,  nach  der  Münchener  und  Kopenhagener  Handschrift 
und  von  Zeumer,  Formulae  p.  438 — 455.  Ueber  Arn  Büdingers  Oester- 
reichische  Geschichte  1,  147  ff.,  über  Wizo  149;  Allg.  D,  Biogr.  I,  578. 
Zeifsberg,  Alcvin  und  Arno,  Zeitschr.  für  österreichische  Gymnasien,  1862, 
S.  85 — 98.  Derselbe,  Arno,  erster  Erzbischof  von  Salzburg,  Wiener  SB. 
(1863)  XLIII,  305—381.  VV.  Giesebrecht,  Königsannalen  S.  199—202; 
Hauck  IT,  419—425 ;  447—452.    Vgl.  unten  §  9. 

^)  Zu  wai-nen  ist  vor  dem  immer  wieder  (noch  von  Prantl  und 
L.  Maitre)  angeführten  unechten  Diplom  über  die  Errichtung  griechischer 
und  lateinischer  Schulen  in  Osnabrück,  dessen  ünechtheit  zuletzt  wieder 
von  R.  Wilmans,  Kaiserurkunden  d.  Provinz  Westfalen,  s.  besonders  S.  368, 
und  Sickel,  Acta  Carol.  II,  428  nachgewiesen  ist.  Auch  Bass  MuUinger 
wiederholte  S.  70  unbekümmert  die  alte  Fabel,  hat  sich  aber  in  der 
Revue  bist.  X,  183  selbst  berichtigt. 


Paulus  Diaconus.  177 

ebenso  plötzlich,  wie  er  gekommen  war,  aufs  neue  bedeckte  Finster- 
nis das  Land,  aber  gerade  in  dieser  Finsternis  bewährte  sich  die 
feste  Begründung  von  Kai-ls  Schöpfungen.  So  viel  auch  wieder 
verloren  ging,  es  blieb  noch  immer  genug  übrig,  um  als  Grundlage 
für  alle  Folgezeit  zu  dienen.  Wir  haben  schon  oben  bemerkt,  dafs 
Karl  sein  Werk  nicht  erst  begann ,  dals  er  den  Boden  vorbereitet 
fand  durch  die  Befestigung  und  Ordnung  des  Staates,  durch  die 
Herstellung  der  Kirchenzucht,  und  dafs  er  nur  dadurch  im  stände 
war,  so  fest  zu  bauen.  Es  regten  sich  auch  bereits  einige  Keime 
litterarischer  Thätigkeit,  als  er  auftrat,  aber  ihre  rasche  und  glän- 
zende Entfaltung  ist  doch  ganz  sein  Werk,  und  nicht  mit  Unrecht 
sagte  man  im  Mittelalter  von  ihm ,  dafs  er  den  Sitz  der  Studien 
von  Rom  nach  Paris  verpflanzt  habe').  Zu  einer  Zeit,  wo  die  Pa- 
riser Universität  als  der  ]\rittelpunkt  der  Wissenschaft  betrachtet 
wurde,  galt  er  für  den  Stifter  derselben.  In  dieser  Form  sprach 
sich  der  richtige  Gedanke  aus,  dafs  Karl  der  Stifter  einer  neuen 
Kulturperiode  gewesen  war. 

§  5.     Paulus  Diaconus. 

Sein  Leben  ist  erst  genauer  bekannt  geworden  durch  die  von  Lebeuf  entdeckten 
und  in  der  Dissertation  sur  l'histoire  de  Paris  1739  herausgegebeneu  Gedichte, 
die  durch  spätere  Funde  ergänzt  wurden.  Bethraann,  Paulus  Diaconus'  Leben 
u.  Schriften,  Arch.  X,  247— 3a4.  Bethmann,  Die  Geschichtschreibung  der  Lango- 
barden, ib.  335—414.  Langob.  Regesten,  nach  Bethmanns  Nachlass  bearb.  von 
Holder-Egger,  NA.  III,  225-318.  L.  Ranke,  P.  D.  Ges.  Werke  LI,  77—92.  F.  Dahn, 
Des  Paulus  D.  Leben  u.  Schriften,  1876  (die  Gedichte  in  sehr  schlechten  Texten). 
Vgl.  die  Anz.von  G.  Waitz,  GGA.  1876  S.  1513-1523.  Ebert  II,  36-56.  Bursian, 
Gesch.  d.  Philol.  I,  19.  Balzani  S.  63-86.  Hauck  II,  15.S— 161.  Pasi).  Del.  Giudice, 
Lo  storico  dei  Longobardi  e  la  critica  odierna.  Milano  1880,  wiederholt  in:  Studi 
di  storia  e  diritto  (1890)  S.  1—43.  C.  Cipolla,  Note  bibliogratiche  sul  testo  delle 
opere  di  Paolo  Diac,,  Venezia  1901:  Zusanimenstell.  der  Au>sg.  u.  Hss.  (vgl.  NA. 
XXVII,  533).  —  Die  Gedichte  Poet.  Car.  I,  27—86,  vgl.  NA.  IV,  102-112.  573; 
X,  IKi;  XYII,  397—401.  Traube.  Karol.  Dicht.  S.  62.  63.  NA.  XV,  199  (die  Verse 
„Multa  legit"  zu  streichen).  Ein  grammat.  Gedicht  Poet.  Car.  I,  625—628,  vgl. 
II,  698.  Der  Lobgesang  auf  den  heil.  Mercur  kann  nach  Dümmler  nicht  von 
P.  D.  herrühren,  vgl.  Dahn  S.  17;  Capetti,  De  Pauli  Diac.  carminib.  in  Atti  e 
memorie  del  congresso  stör,  in  Gividale  S.  63—116.  Ein  schon  bekanntes  Gedicht 
wiederholt  Hartel,  Paulini  Nol.  Carm.  JI,  356.  lieber  ein  Epigramm  des  P.  s. 
Rubensohn,  Neue  Jahrb.  f.  Philol.  u.  Pädag.  1893  S.  764  ü'.  Zu  streichen  Poet.  I, 
78  das  Epitaph.  Constantii,  s.  Hermes  XXVIII,  33  ff.  Ueber  ein  ihm  fälschlich 
zugeschriebenes  Epigramm  s.  NA.  XXV,  882. 

Wie  die  Goten,  so  bewahrten  auch  die  Langobarden  ihres  Volkes 
Urgeschichte,  die  alten  Sagen,  die  Grofsthaten  der  Väter,  besonders 
aber,  worauf  sie  das   gröfste  Gewicht  legten ,    die  Folge   und  Ver- 


^)  Zuerst  bei  Jordanus  de  ijraerogativa  Romani  imperii,  ed.  Waitz 
p.  70.  In  Vincontii  Bellovac.  Speculo  bist.  XXIII,  173  und  daraus  bei 
Mart.  Oijpav.  wird  Alcvin  die  Verlegung  des  Studium.s  von  Rom  nach 
Paris  beigelegt.    Vgl.  auch  G.  Paris,  Hist.  poetique  de  Charlemagne  p.  66. 

"U'attenbach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  12 


178  II.  Die  Karolinger.     §  5.    Paulus  Diaconus. 

wandtschaft  der  Geschlechter ,  in  ihren  Liedern  ,  die  sich  naündlich 
vom  Vater  auf  den  Sohn  vererbten.  Sie  aufzuzeichnen,  keine  leichte 
Arbeit,  mochte  überflüssig  erscheinen,  so  lange  sie  noch  im  Volke 
lebten:  doch  gegen  das  Ende  des  7.  Jahrhunderts,  um  670  hat  ein 
Langobarde  aus  ihnen  die  Geschichte  seines  Volkes  entnommen,  und 
der  Langobarden  Herkunft,  wie  man  davon  sagte  und  sang, 
in  kurzen  und  schlichten  Worten  berichtet;  in  Umrissen  nur,  nicht 
in  ausführlicher  Erzählung,  aber  was  er  uns  gibt,  ist  unberührt 
von  der  fremden  Gelehrsamkeit,  welche  die  gotischen  und  fränki- 
schen Sagen  entstellt  hatO-  ^^an  fand  darin  doch  etwas  mehr  als 
in  dem  kahlen  Königsverzeichnis,  welches  König  Eothari  643  seinem 
Gesetzbuche  vorangestellt  hatte;  des  Volkes  Aelteste,  welche  das 
Kecht  sprachen  und  das  Andenken  der  Vergangenheit  festhielten, 
tinigen  darum  auch  dieses  Schriftchen  in  ihr  Rechtsbuch  ein ,  wie 
wir  das  so  häufig  wiederfinden  in  den  Handschriften  des  Mittel- 
alters, bei  den  Gesetzen  der  Westgoten  und  Franken  so  gut  wie 
beim  Sachsenspiegel. 

Es  gab  freilich  damals  bereits  auch  eine  andere  Geschichte  der 
Langobarden,  verfafst  von  dem  Knechte  Gottes  Secundus,  Abt  in 
Trient  (f  612),  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  wie  R.  Jacobi  bemerkt, 
demselben,  welcher  in  Papst  Gregors  I.  Briefen  als  Diaconus  in  Ravenna 
vorkommt-);  wir  kennen  sein  Werk  aber   nur,    weil  Paulus   seiner 

^)  Origo  Geutis  Laugohardorum ,  ZAierst  in :  Edieta  regum  Lango- 
bardorum  ed.  opera  et  studio  Caroli  Baudi  di  Vesme.  Aug.  Taur.  1855, 
vgl.  p.  LXXI— LXXXII.  Ausg.  v.  F.  Bluhme  mit  Chron.  Goth.  1868  in 
MG.  Legg.  IV,  641—647.  Ausg.  v.  Waitz,  SS.  Lang.  1—6  (verwirft  die 
früher  mit  Baudi  de  Vesme  angenommene  erste  Abfassung  unter  Rothari). 
—  Uebersetzung  von  Abel  bei  P.  D.  S.  1 — 8;  vgl.  Bethmann  S.  851 — 365 
und  über  die  Sagen  im  allgemeinen  S.  3-35 — 349.  Hieraus  geschöjjft, 
aber  erweitert  auch  mit  Benutzung  des  Isidor,  und  mit  einer  Lobrede 
auf  Karl  und  Pippin  versehen  ist  das  um  810  geschriebene  sog.  Chron. 
Gotliamun,  d.  h.  aus  der  einst  Fulder,  jetzt  Gothaer  Handschr.  der  Volks- 
rechte, in  sehr  barbarischer  Form  und  Sprache;  als  Historia  Langoba^-dorum 
codicis  Gothani  bei  Waitz  S.  7 — 11.  Fragm.  aus  einer  and.  Hs.  bei  Calli- 
garis,  s.  unten.  Platner,  Forsch.  XX,  172,  vermutet  erste  Abfassung  der 
Origo  im  6.  Jahr  Agilulfs  (597),  weil  nur  so  weit  im  Chron.  Goth.  benutzt. 
Mommsen,  NA.  V,  57  ff.  sieht  in  der  Origo  einen  Auszug  aus  dem  Werke 
des  Secundus  mit  einer  Fortsetzung,  aus  diesem  habe  auch  Paulus  ge- 
schöpft; aber  die  Gegengründe  von  Waitz  ib.  S.  421  sind  überwiegend. 
Für  Mommsen  L.  Schmidt,  Zur  Gesch.  d.  Langobarden  (Diss.  Lijjs.  1885), 
NA.  XIII,  2.36.  391—394.  Nach  E.  Bernheini,  Ueber  die  Or.  gent.  Lang. 
(NA.  XXI,  373 — 399)  ist  die  Origo  im  Anschlufs  an  eine  Königsreihe  auf 
dem  Boden  des  Edikts  entstanden.  W.  Brückner  versucht  ein  deutsches 
allitterierendes  Gedicht  als  Quelle  der  Origo  nachzuweisen,  Zs.  f.  D.  Altert. 
XLIII,  47-58. 

'^)  R.  Jacobi,  Quellen  der  Langobardengeschichte,  S.  63 — 84,  stellt 
zusammen,  was  er  von  Paulus'  Werk  für  Secundus  in  Anspruch  nehmen 


Litteratur  der  Langobarden.  179 

gedenkt,  und  es  scheint  wenig  Verbreitung  gefunden  zuhaben.  Ein 
so  frommer  Mann  ri'imischer  Abkunft  erzählte  schwerlich  von  Wodan 
und  Freia,  und  mit  der  römischen  Bildung  haben  die  Langobarden 
sich  nur  sehr  langsam  befreundet.  Ein  Römer  scheint  es  auch  ge- 
wesen zu  sein ,  der  im  Jahre  641  die  oben  S.  '••2  erwähnte  Fort- 
setzung des  Prosper  verfal'ste.  Von  litterarischer  Thätigkeit  im 
langobardischen  Reiche  finden  sich  weiter  keine  Spuren,  man  müfste 
denn  etwa  des  Abtes  Jonas  von  Susa  Schriften ,  deren  wir  schon 
oben  (S.  132)  gedachten,  dazu  rechnen,  der  aber  auch  ein  Romane 
war.  Sonst  liegt  noch  ein  um  698  in  rhythmischen  Trimetern  ver- 
falstes  Gedicht  von  rohester  Form  vor,  in  welchem  ein  Magister 
Stefanus  den  König  Kunincpert  feiert,  der  das  Schisma  von 
Aquilegia  beendigt  hatte;  auch  seiner  Vorfahren,  die  Arianer  und 
Juden  verfolgten,  wird  rühmend  gedacht')-  Nicht  minder  roh  in 
der  Form  ist  eine  bald  nach  738  verfal'ste  rhythmische  Beschreibung 
von  Mailand,  worin  König  Liutprand  und  Bischof  Theodor  gepriesen 
werden-). 

Die  Grammatiker  jedoch,  welche  trotz  aller  Ungunst  der  Zeiten 
ihre  Thätigkeit  in  Italien  immer  fortgesetzt  hatten,  fanden  allmäh- 
lich auch  unter  den  Langobarden  Schüler,  und  als  deren  Herrschaft 
sich  ihrem  Ende  nahte,  da  hatten  sie  dem  fremden  Volke  bereits 
seinen  Geschichtschreiber  erzogen,  der,  wie  Jordanis,  nach  dem 
Sturze  des  Reiches  wenigstens  das  Andenken  desselben  für  die  Nach- 
welt treu  bewahrte. 

Paulus,  des  Warnefrid  Sohn,  aus  einem  edlen  Langobarden- 
geschlechte,  das  im  Friaul  begütert  war,  um  720  geboren,  wurde 
wahrscheinlich  nach  alter  deutscher  Sitte  am  Hofe  des  Ratchis 
(744 — 749 )  zu  Pavia  erzogen  ;  als  seinen  Lehrer  nennt  er  den  Gram- 
matiker Flavianus,  dessen  er  noch  in  seinem  hohen  Alter  mit  Liebe 
gedenkt^),  wie  er  auch  selbst  grammatischen  Studien  zugethan  war''). 

zu  können  glaubt,  und  bekämpft  Betlimanns  ^Meinung,  dafs  der  Contin. 
Prosperi  Havn.  ihn  gekannt  habe.  L.  Schmidt  hält  sein  Werk  für  eine 
annaiistische  Fortsetzung  des  Prosper. 

')  Aus  2  Hss.  aus  Bobio  bei  Oltrocchi,  Eccl.  Mediol.  hist.  Ligustica 
(1795)  II,  536.  579.  624  mit  ausführlichem  Kommentar.  Waitz,  SS.  Lang, 
p.  189—191.  Paulus  D.  hat  es  nicht  gekannt.  Manitius  S.  397.  Vgl. 
dazu  W.  Mever.  Die  Spaltung  des  Patriarchats  Aquileia  in  den  Abhandl. 
der  Gott.  Ges.  der  Wiss.  N.  F.  (1898)  II,  5—6. 

^)  Poet.  Card.  I,  24—26,  neu  herausgeg.  v.  L.  Traube,  Karol.  Dicht. 
S,  119—122.     Manitius  S.  398. 

^)  Diesen  vermutet  Luc.  Müller  in  einem  oft  angeführten  Grammatiker, 
Neue  Jahrbb.  f.  Philol.  XCIII  (1866),  561.  Dem  aber  widerspricht  sehr 
entschieden  H.  Hagen,  Anecdota  Helv.  p.  CLXIII. 

■*)  Ars  Donati  quam  Paul.  Diac.   expos.  ed.  Amelli,  Montecass.  1899. 


180  II-  Die  Karolinger.     §  5.    Paulus  Diaconus. 

Auch  dem  Könige  Desiderius  soll  Paulus  lieb  und  wert  gewesen 
sein,  und  wenn  auch  die  Zeugnisse  dafür  unzuverlässig  sind,  so  ist 
es  doch  an  sich  sehr  wahrscheinlich,  dafs  er  in  der  königlichen  Kanzlei 
Beschäftigung  fand  und  eben  dadurch  in  ein  so  nahes  Verhältnis 
zu  der  Herrscherfamilie  trat.  Im  Jahre  763  verfafste  er  rhythmische 
Verse  über  die  sechs  Weltalter,  welche  akrostichisch  die  Worte 
Adelpcrga  pia  enthalten'),  den  Namen  der  Tochter  des  Desiderius, 
welche  seine  Schülerin  war;  dieser  und  ihrem  Gemahl  Arichis  war 
er  mit  der  wärmsten  Anhänglichkeit  und  Freundschaft  ergeben, 
und  an  ihrem  Hofe  zu  Benevent  fand  er  eine  Zuflucht  nach  dem 
Falle  des  Reiches  von  Pavia,  wenn  er  nicht  schon  früher  die  Königs- 
tochter dorthin  begleitet  hatte.  Für  sie  verfafste  er  hier  seine 
Römische  Geschichte  bis  auf  Justinian,  deren  wir  schon  oben 
(S.  57)  gedachten").  Er  hatte  der  wifsbegierigen  Königstochter  den 
Eutrop  zu  lesen  gegeben,  in  welchem  sie  aber  jede  Erwähnung  der 
jüdischen  und  christlichen  Geschichte  vermifste.  Deshalb  versah  er 
das  Werk  mit  Zusätzen  und  mit  einer  Fortsetzung  aus  verschiedenen 
Quellen,  und  das  Geschick  nebst  der  umfassenden  Litteraturkenntnis, 
womit  er  diese  Arbeit  ausführte,  hat  lebhafte  Anerkennung  bei 
Th.  Mommsen  gefunden,  auf  dessen  Anordnung  die  Ausgabe  von 
H.  Droysen  die  Gestalt  von  Zusätzen  zum  Eutrop  erhalten  hat"). 
Den  zusammenhängenden  Text  des  Paulus  dagegen  finden  wir  in 
der  Oktavausgabe. 

Um  diese  Zeit  dichtete  Paulus  auch  für  Arichis  die  Inschriften, 
womit  dieser  seine  glänzenden  Bauten   zu  Salerno  schmückte,   und 


S.  besonders  über  die  Pariser  Hs.  7530  mit  grammatischen  Schriften, 
welche  Paulus  gegen  779  schreiben  liefs,  Lejay  in  der  Revue  de  philo- 
logie  XVIII,  42—52,  doch  ist  diese  Zeitbestimmung  unsicher,  s.  Traube, 
Textgesch.  der  Reg.  S.  Bened.  S.  710. 

»)  Waitz  1.  I.  p.  13.     Poet.  Car.  I,  35. 

^j  Wie  Del  Giudice  S.  25  f.  nachzuweisen  sucht,  war  er  schon  Mönch 
und  das  Langobardenreich  gefallen. 

^)  Von  geringem  Wert  ist  die  Bearbeitung  und  Fortführung  bis  813 
von  einem  unbekannten  Landulfus  Sagax  um  das  Jahr  1000,  für  die 
spätere  Zeit  fast  ausschliefslich  aus  der  Kirchengeschichte  des  Anastasius 
geschöpft,  bekannt  als  Historia  miscella  (Ausg.  v.  Fr.  Eyfsenhardt,  Berl. 
1869).  Seine  Originalhs.  hat  Heinrich  IL  (oder  HI.)  dem  Kl.  Corvey  ge- 
schenkt (Cod.  Vat.  pal.  909) :  nach  dieser  auch  die  neue  Ausg.  von  Fio- 
rentini  u.  Rossi  in  Muratoris  SS.  rer.  Ital.  ed.  alt.  —  Eutropi  Breviarium 
ab  U.  C.  cum  versionibus  Graecis  et  Pauli  Landolfique  additamentis,  rec. 
H.  Droysen,  MG.  Auctt.  antiq.  II.  1878 ,  4.  Pauli  Historia  Romana  in 
usum  schob  recusa,  Berl.  1879,  8.  Vgl.  Waitz,  GGA.  1879,  S.  583—602. 
H.  Droysen.  Zusammensetzung  der  H.  R.,  Forsch.  XV,  167 — 180.  Mommsen, 
NA.  V,  53;  Auctt.  ant.  IX,  258  n.  1. 


Leben  des  Paulus  Diaconus.  \Q\ 

die  Grabschrift  auf  die  Königin  Ansa^,  welche  774  nach  Frank- 
reich abgeführt  war,  und  deren  Todesjahr  unbekannt  ist.  Noch 
feiert  er  darin  Adelchis  als  die  Hoffnung  der  Langobarden. 

Wann  Paulus  in  den  geistlichen  Stand  eingetreten  ist,  dam  er 
seinen  Beinamen  Diaconus  verdankt,  wissen  wir  nicht;  ebenso- 
wenig, wann  er  das  Mönchsgelübde  abgelegt  hat;  doch  gehörte  er 
zuerst,  wie  Traube  scharfsinnig  nachgewiesen  hat^),  dem  Peters- 
kloster bei  Civate  unweit  des  Corner  Sees  schon  vor  774  an  und 
siedelte  erst  später  (vor  782)  nach  Montecassino,  dem  grofsen  Mutter- 
kloster des  Abendlandes,  über.  An  jenem  Orte  verfafste  er  seine 
ausführliche  Auslegung  zur  Kegel  des  heiligen  Benedikt.  Vielleicht 
führte  ihn  nach  Montecassino  die  Anhänglichkeit  an  König  Eatchis, 
der  hier  als  Mönch  seinen  Weinberg  baute,  vielleicht  die  Not  nach 
der  Einziehung  der  Güter  seiner  Familie.  Das  stille  Klosterleben 
aber  gewann  bald  einen  solchen  Reiz  für  Paulus  nach  den  traurigen 
Zeiten,  die  er  durchlebt  hatte,  dafs  er  die  heilige  Stätte  wohl  nicht 
wieder  verlassen  haben  würde,  wenn  nicht  die  politischen  Ereignisse 
ihm  auch  hier  keine  Ruhe  gelassen  hätten. 

Im  Jahre  776  nämlich  war  im  Friaul  ein  Aufstand  gegen  die 
Franken  ausgebrochen,  dem  vielleicht  Paulus  selbst  nicht  fremd  war, 
und  wohl  ohne  Zweifel  war  dies  die  Veranlassung,  weshalb  sein 
Bruder  Arichis  gefangen  fortgeführt  wurde  und  sein  Vermögen 
verlor.  Lange  scheint  sich  Paulus  jeder  Annäherung  an  die  Franken 
enthalten  zu  haben;  als  aber  Karl  781  nach  Rom  gekommen  war, 
und  in  der  Ordnung  der  italischen  Verhältnisse  seine  Mäfsigun<T 
und  Milde  bewährt  hatte'),  da  richtete  Paulus,  sechs  Jahre  nach 
jenem  Ereignis,  eine  Elegie  an  den  König,  worin  er  ihn  um  Gnade 
für  seinen  Bruder  bat^).  Damit  begab  er  selbst  sich  zum  Könige, 
und  schrieb  am  10.  Januar  783  von  den  Ufern  der  Mosel  einen 
Brief  an  seinen  Abt  Theudemar''),  worin  er  noch  den  festen  Ent- 
schlufs  ausspricht,  in  sein  Kloster,  nach  welchem  lebhafte  Sehnsucht 
ihn  erfüllte,   heimzukehren,    sobald    er    den  Zweck   seiner  Fürbitte 


')  Neue  Ausgabe  von  Waitz,  SS.  Lang.  S.  181;  Dümmler,  Poet. 
Car.  I,  45. 

^)  S.  seine  Textgeschichte  der  Regula  S.  Benedicti  in  den  Abhandl. 
der  Münchener  Akad.  XXI.  639—642.  709— 71L  Paulus'  Kommentar  ist 
gedruckt  Bibl.  Casin.  IV  Floril.  p.  1—173. 

^)  „Quod  raro  fieri  adsolet,  clementi  moderatione  victoriam  tempeni- 
vit."     Pauli  Gesta  epp.  Mett.  p.  268. 

■')  Versus  ad  regem  precando .  wiederholt  bei  Waitz,  S.  15;  Poet. 
Car.  J,  47. 

'-)  Wiederholt  bei  Waitz,  S.  16;  Epp.  IV.  506—508. 


|g2  II.  Die  Karolinger.     §  5.    Paulus  Diacouus. 

erreicht  habe.  Er  rühmt  aber  sehr  die  gute  Aufnahme,  welche  er 
gefunden  habe.  Es  war  gerade  die  Zeit,  in  welcher  Karl  die  Ge- 
lehrten aller  Länder  an  seinem  Hofe  versammelte,  und  Paulus  liefs 
sich  doch  bestimmen,  einige  Jahre  an  dieser  ersten  frischen  Ent- 
faltung litterarischer  Thätigkeit  sich  zu  beteiligen.  Noch  haben 
sich  Verse  erhalten,  welche  in  Karls  Namen  Peter  von  Pisa  au  ihn 
richtete^),  wo  in  scherzhafter  Uebertreibung  seine  Gaben  und  Kennt- 
nisse gefeiert  wex'den.  Eben  wolle  er  seine  Tochter  nach  Griechen- 
land verheiraten,  sagt  Karl,  und  Paulus  solle  ihre  Begleiter  in 
dieser  Sprache  unterweisen.  Bescheiden  und  aufrichtig  lehnt  Paulus 
die  Lobsprücbe  und  den  Auftrag  ab ,  und  ebensowenig  wird  er, 
was  ihm  in  ähnlicher  Weise  zugemutet  wurde,  die  Bekehrung  des 
Dänenkönigs  Siegfried  versucht  haben.  Einige  Kenntnis  der  grie- 
chischen Sprache,  welche  man  bei  der  Nachbarschaft  nicht  gut  ent- 
behren konnte,  hatte  er,  wie  er  selbst  sagt,  in  der  Schule  erworben, 
aber  weit  wird  dieselbe  nicht  gereicht  haben.  Er  dichtete  aber 
Grabschriften  für  die  Königin  Hildegard  (f  783)  und  für  deren 
sowie  für  Pippins  Töchter,  und  verfakte  auf  Karls  Befehl  die  Ho- 
miliensammlung,  welche  der  Unwissenheit  der  Geistlichen  in  wirksamer 
Weise  zu  Hilfe  kam'-j.  Diese  wird  er  jedoch,  wie  Dahn  nachgewiesen 
hat,  erst  in  Montecassino  ausgearbeitet  haben. 

In  eben  dieser  Zeit  schrieb  Paulus  auch  auf  Bitten  des  Bischofs 
Angilram  von  Metz  die  Geschichte  von  dessen  Vorfahren  auf  dem 
Stuhl  des  heiligen  Clemens^).     „Mit  besonderer  Ausführlichkeit  be- 

>)  Bei  Waitz  S.  17;  Poet.  Car.  I,  48. 

2)  Bethmann,  Arch.  X,  296  u.  301 :  Poet.  Car.  I,  68,  und  die  schönen 
Widmungsverse  eines  Exemplars  von  Ebrard  an  den  h.  Germanus.  Poet. 
Car.  I,  4S2,  verb.  von  Traube,  Reg.  S.  Ben.  S.  699.  G.  Loeck,  Die 
Homiliensammlung  des  P.  D.  als  unmittelbare  Vorlage  des  Otfridischen 
Evangelienbuches,  Kieler  Diss.  1890;  über  diese  Sammlung,  welche  in 
ihrer  ersten  Gestalt  noch  nicht  bekannt  ist  und  die  ihr  vorangegangene 
des  Bischofs  Egino  v.  Verona,  der  schon  799  in  Reichenau  lebte  und  da- 
selbst 802  starb,  handelt  ausführlich  V.  Rose  im  Verzeichn.  der  lat.  Meer- 
man-Hss.  (Berl.  1892)  S.  81—95.  457.  Wiegand,  Das  Homiliarium  Karls 
des  Grofsen,  Leipzig  1897. 

3)  Gesta  ejmcojm-itm  Mettensium  ed.  Pertz,  MG.  SS.  II,  260—270.  Im 
Auszuge  übersetzt  bei  0.  Abel,  Einhards  Jahrbücher  S.  1—8.  Ueber  die 
von  Freher  benutzte  Hs.  (jetzt  in  Bremen)  Dümmler,  NA.  III,  187.  Andere 
nachgewiesen  im  Catal.  des  Mss.  des  Depart.  V,  p.  LXII.  Ueber  die 
späteren  Interpolationen  den  h.  Clemens  betreffend  s.  Paulus  im  Lothring. 
Jahrb.  1895  S.  33  flg.  Die  nach  Bethmanns  Vermutung  (Arch.  X,  294) 
von  ihm  herrührenden  Versus  de  episcopis  Meftenslbus  bis  auf  Angilram, 
Poet.  Car.  I,  60.  SS.  XIII,  803—305.  —  Durch  weitere  Ausführung  mifs- 
verstandener  Worte  des  Paulus  entstand  aus  den  Gesten  mit  Benutzung 
des  Fredegar  und  seiner  Fortsetzer  unter  Ludwig  dem  Frommen  die 
Domiis  CaroUngicae  genealogia,  MG.  SS.  II,  308,  XIII,  245  von  Waitz  als 


Schriften  des  Paulus  Diaconus.  183 

handelte  er  darin  die  Familie  und  die  Ahnen  Karls  des  Grofsen, 
vielleicht",  wie  Bethmann  sagt,  „auf  dessen  eigenen  Wunsch  oder 
wenigstens  ihm  zu  Gefallen,  und  nicht  undeutlich  blickt  die  Absicht 
durch,  die  Thronbesteigung  der  Karolinger  zu  rechtfertigen  und  sie 
als  ein  durch  Heilige  gleichsam  legitimes  Herrscherhaus  darzustellen." 
Doch  hat  gegen  diese  Auffassung  Bonnell')  nicht  unerhebliche 
Gründe  geltend  gemacht,  und  nur  die  Verherrlichung  des  Ahn- 
herrn Arnulf  im  Anschlufs  an  dessen  ältere  Lebensbeschreibung  be- 
stehen lassen. 

Paulus  gab  in  diesem  Werke  das  erste  Beispiel  und  Vorbild 
der  Bistumsgeschichten.  Eine  Biographie  Gregors  des  Grofsen  hat 
Paulus  nach  seiner  eigenen  Angabe  geschrieben  und  sie  hat  sich 
erhalten-);  dafs  er  gleichfalls  derjenige  Paulus  war,  welcher  eine 
kritisch  verbesserte  Auswahl  aus  Gregors  Briefen  an  Adalhard 
schickte,  ist  mindestens  sehr  wahrscheinlich^).  Daher  auch  der  in 
einem  Schreiben  Hadrians  I.  (Bibl.  IV,  274,  Epp.  DI,  626)  erwähnte 
Paulus  gramraaticus,  welcher  Gregors  I.  Sakramentar  für  Karl  von 
ihm  erbeten  hatte,  für  den  unsrigen  zu  halten  ist. 

So  wahrhaft  und  innig  auch  die  Liebe  gewesen  zu  sein  scheint, 

Genealogia  regum  Francorum  wiederholt,  welche  nach  Bonneil,  Die  An- 
fänge S.  6  ff.  mit  Ludwigs  aquitanischem  Königreich  in  ^'erbindung  steht, 
indem  sie  ihm  romanische  Ahnen  gibt  und  an  südfranzösische  Heilige 
anknüpft.  Ueber  die  Leipz.  Hs.  Rethfeld,  NA.  XIII,  243.  Die  Genealogia 
S.  Arniilfi  ib.  ist  eine  Fälschung  von  Yignier,  NA.  XI,  63L  Waitz  hat 
aufser  dieser  andere  ähnliche  Stücke  hinzugefügt,  welche  in  Geneal.  d. 
franz.  Könige  u.  Grafen  von  Flandern  übergehen.  S.  720 — 729  Historiae 
Francorum  Steinveldensef^.  SS.  XXV,  381 — 384  Genealogia  Carolortini 
Mettensis  von  1164  ed.  Heller;  daran  anschliefsend  Geneal.  ducum  Bra- 
hantiae,  p.  385 — 413.  Durch  dieselbe  Genealogie  ist  als  später  entstanden 
kenntlich  der  Libellus  de  Maioribus  domu>t.  Mit  der  Gen.  sind  in  der 
Ausgabe  von  Pertz  verbunden  die  Versifizierung  derselben  zu  Ehren 
Karls  des  Kahlen :  Origo  et  exordium  gentis  Francorum  (wiederholt  Poet. 
Car.  II,  141)  und  Regum  Mei-oiringnrum  genealogia  et  catalogus,  p.  307  ; 
cfr.  III,  19.  214.  X,  138,  und  dazu  die  Bemerkung  von  Ermisch,  Die 
Chronik  des  Regino  S.  22;  weitere  Catalogi  regum  et  imperatorum 
SS.  XIII,  264—271.  742.  Eine  neue  Geneal.  Karl  Martells,  mitget.  von 
Mommsen  in  der  Zs.  f.  D.  Altert.  XXXVI  Anz.  S.  298,  in  welcher  Arnulf 
fehlt  (vom  Abschreiber  entweder  entstellt  oder  übersprungen),  die  höheren 
Glieder  bis  auf  die  Anknüpfung  an  Anchises  aber  echt  sein  können. 
M  Die  Anfänge  des  karolingischen  Hauses,  S.  45. 

2)  S.  darüber  Bethmann  im  Arch.  X,  303:  NA.  XII.  603  über  die 
neue  Ausgabe  von  Grisar,  Zts.  f.  kath.  Theol.  XI,  162—172  (1887),  worin 
mit  den  Interpolationen  auch  alle  Andeutungen  über  den  Aufenthalt 
des  Vfs.  in  Rom  fortgefallen  sind,  üeber  H.ss.  in  Italien  NA.  XXVI, 
330—334.     Die  Autorschaft  des  P.  D.  ist  sicher. 

3)  S.  Ewald,  NA.  HI,  472  ff.  484.  624  u.  NA.  VI,  246  über  die  in 
Petersburg  wiedergefundene  Handschrift:  Faksim.  in  Epp.  II,  p.  XVI, 
vgl.  p.  XXVI. 


]^84  11-  Die  Karolinger.     §  5.    Paulus  Diaconus. 

welche  den  langobardischen  Mönch  mit  dem  Besieger  seines  Volkes 
verband,  auf  immer  liefs  er  sich  doch  nicht  am  Hofe  fesseln.  Die 
immer  zunehmende,  endlich  bis  zum  Kriege  gesteigerte  Feindschaft 
zwischen  Arichis  und  Karl  mag  ihm  wohl  zuletzt  den  Aufenthalt 
daselbst  vollends  verleidet  haben,  obwohl  sein  persönliches  V^er- 
hältnis  zum  Könige  auch  durch  diese  Vorfälle  nicht  gestört  wurde. 
Doch  finden  wir  ihn  787  wieder  in  Montecassino,  wo  er  die  schöne 
Grabschrift  für  den  am  25.  August  verstorbenen  Fürsten  Arichis 
verfafsteO-  Den  Abend  seines  Lebens  widmete  er  von  nun  an  in 
ungestörter  Ruhe  frommen  Betrachtungen^)  und  der  Geschichte 
seines  Volkes;  so  verfafste  er  die  sechs  Bücher  seiner  Geschichte 
der  Langobarden^),  die  er  leider  unvollendet  hinterlassen  hat, 
denn  die  letzten  Bücher  stehen  stilistisch  und  sprachlich  gegen  die 
früheren  etwas  zurück.  Er  erfüllte  damit  das  schon  in  der  Wid- 
mung der  Römischen  Geschichte  der  Adelperga  gegebene  Versprechen, 
sie  bis  auf  seine  Zeit  fortzusetzen. 

Als  einen  bedeutenden  Historiker  können  wir  Paulus  freilich 
nicht  betrachten.  Die  Sprache  weifs  er  in  seinen  Gedichten  mit 
Leichtigkeit  und  Anmut,  wenn  auch  nicht  fehlerfrei,  zu  bebandeln '') 


1)  SS.  III,  482;  Poet.  Car.  I,  66. 

2)  Der  Brief  an  Karl  im  Namen  des  Abts  Theudemar  (Epp.  lY,  509 
bis  514,  vgl.  NA.  XXII,  668)  ist  faks.  bei  der  Beschreibung  des  cod.  179 
Bibl.  Casin.  IV,  39—41.  Ueber  diesen  Kommentar  u.  die  Epit.  Festi  s. 
K.  Neff,  De  Paulo  D.  Festi  epitomatore,  Diss.  Erl.  1891;  Traube,  Reg. 
S.  Bened.  S.  705—708. 

^)  Die  lange  erwartete  neue  Ausgabe  ist  von  Waitz  vollendet:  SS. 
Rer.  Langob.  et  Ital.  saec.  VI— IX.  ed.  G.  Waitz  1877.  4;  S.  193—197 
Epitomae,  S.  198—220  Coniinuationes ,  von  geringer  Bedeutung.  Anz. 
V.  Bishop  im  Dublin  Review,  Apr.  1879,  von  Monod,  Revue  erit.  1879, 
I,  272—276.  Uebersehene  Hs.  der  Klasse  D.  Christ.  597,  NA.  X,  165. 
231.  Cod.  96  =  105  ist  jetzt  in  Paris  Nouv.  aquis.  lat.  1602.  Ueber  eine 
unvollständige  Hs.  aus  Novalese  (jetzt  in  Cheltenham)  s.  Hampe  im  NA. 
XXII,  234—239,  von  der  Friauler  Hs.  des  9.  Jahrh.  (A  1)  lieferte  Gius. 
Vettacb  einen  diplom.  Abdruck  mit  2  Faksimiletafeln:  Arclieografo 
Triestino  N.  S.  XXII  fasc.  2.  Ueber  die  umgearbeitete  Bamberger  Hs., 
welche  Spruners  Uebersetzung  zu  Grunde  liegt,  s.  Waitz  im  Arch.  IX, 
673—703,  über  eine  verwandte  in  Oxford  R.  Pauli  im  NA.  11,  101—168. 
G.  Calligaris  über  eine  Hs.  in  Turin  im  Bull,  dell'  Istituto  stör.  Ital.  n.  10, 
S.  31  ff.  u.  Studien  zur  Kritik  des  Paulus  in  Mem.  della  R.  Deputazione 
di  storia  patria  per  la  Venezia  1890  (NA.  XVII,  224).  —  Uebers.  v. 
0.  Abel  1849,  2,  A.  v.  Reinh.  Jacobi  1878,  Geschichtschr.  15  (VIII,  4). 
—  Ueber  den  Weg,  auf  welchem  die  Lang,  gekommen,  Virchow  in  Verb, 
d.  Berl.  Anthropol.  Ges.  v.  17.  Nov.  1888,  S.  508—532  (NA.  XV  211). 
Chroust,  Ortsbestimmung,  nach  Pogatschnigg,  NA.  XV,  585. 

■*)  Die  von  Dümmler  NA.  X,  165  nachgetragenen  Verse  sind  in  scherz- 
hafter Absicht,  im  Anschlufs  an  vorhergehende  ähnlicher  Art,  mit  Be- 
obachtung rhythmischer,  nicht  metrischer  Regeln  gemacht. 


Die  Langobardengeschichte.  185 

und  in  der  Erzählung  zieht  uns  ihre  schmucklose  Einfachheit  an. 
Von  der  gesuchten  Gelehrsamkeit  und  Ueberkünstelung  sowie  von 
der  barbarischen  Roheit  des  7.  .Jahrhunderts  ist  er  frei,  und  für 
sein  Zeitalter  ist  seine  gelehrte  und  sprachliche  Bildung  aafser- 
ordentlich  hoch  anzuschlagen').  Allein  historische  Kunst  oder  tiefere 
Auffassung  dürfen  wir  bei  ihm  nicht  suchen.  In  der  Geschichte 
der  Bischöfe  von  Metz  berichtet  er  anfangs  die  fabelhafte  Lokal- 
tradition,  ohne  ein  Urteil  darüber  auszusprechen,  als  Sage,  dann 
schupfte  er  seine  Nachrichten  aus  Gregor,  Fredegar  und  dem  Leben 
Arnulfs ;  was  er  aus  der  neueren  Zeit  hinzufügt,  ist  wenig  erheblich, 
wie  denn  auch  dieses  ganze  Werk  über  einen  ihm  fernliegenden 
Gegenstand,  auf  den  Wunsch  seines  Gönners  verfafst,  zu  keinen 
höheren  Ansprüchen  berechtigt. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  Geschichte  der  Langobarden. 
Leider  reicht  sie  nur  bis  zum  Tode  Liutprands  (744),  und  es  fehlt 
uns  also  die  Darstellung  der  Zeit,  welche  der  Verfasser  selbst  durch- 
lebt hat.  So  weit  er  aber  mit  seiner  Arbeit  gekommen  ist,  finden 
wir  auch  hier  nur  einfache  Erzählung,  zusammengesetzt  aus  der 
mündlichen  üeberlieferung  iind  schriftlichen  Quellen,  wie  der  Origo, 
Gregor  von  Tours,  Beda,  den  Briefen  Gregors  des  Grofsen,  den 
Leben  der  Päpste  u.  a.  m.-).  Aus  diesen  nimmt  er  ganze  Stücke 
auf,  ohne  sie  eigentlich  zu.  einem  Ganzen  zu  verarbeiten;  in  der 
Kritik,  sogar  in  der  Sorgfalt  und  Genauigkeit  bei  Benutzung  seiner 

')  Waitz,  Ueber  die  handschriftliche  Üeberlieferung  und  die  Sprache 
der  H.  Langobardorum,  NA.  I,  53.3 — 566.  Die  Ausgabe  bietet  doch  nicht 
die  barbarische  Sprache,  welche  die  ältesten  Handschriften  enthalten. 
Es  kommen  allerdings  grobe  grammatische  Fehler  vor.  und  zwar  in  den 
letzten  Büchern  zunehmend.  Da  ist  in  Anschlag  zu  bringen,  dals  das 
Werk  unvollendet  blieb. 

^)  Bethmann,  Arch.  X,  314.  R.  Jacobi,  Die  Quellen  der  Langobarden- 
geschichte des  P.  Diaconus,  Halle  1877.  Lib.  pontificalis  ed.  Mommsen  I, 
p.  CVl ;  Ejtp.  II,  XXVI.  Kontroverse  über  den  von  ihm  benutzten  Cata- 
logns  provinciarum  und  verlorene  annalistische  Quellen,  auch  im  Cont. 
Havniensis,  zwischen  Mommsen  u.  Waitz.  NA.  V,  51  — 103  u.  417 — 424. 
XI,  633.  K.  NefiF,  NA.  XVII,  204—208  gegen  Waitz.  Mommsen,  Ueber 
das  Verzeichnis  der  Provinzen  bei  Paulus  in  der  Einleitung  zur  Ausg.  der 
Nomina  provinciarum,  Auctt.  antt.  IX,  524  S.  —  Die  auch  von  P.  be- 
nutzten bist.  Stellen  aus  Gregors  Dial.  SS.  Lang.  p.  524 — 540.  —  Be- 
nutzung des  Fredegar,  von  Waitz  geleugnet,  behauptet  Monod,  Revue 
crit.  Is79,  I,  276.  Ueber  die  Quelle  von  HL.  I.  25  über  Justinians  Gesetz- 
gebung s.  Th.  Mommsen  u.  Fitting,  NA.  III,  185.  399—402.  Zu  III, 
9.  31  Malfatti  im  Arch.  stör,  per  Trieste,  L'Istria  e  il  Trentino  II,  fasc.  4, 
1883.  Zu  VI,  54  W.  Maiiens  Pol.  Gesch.  d.  Langobardenreichs  unter 
K.  Liutprand,  Heidelb.  Diss.  1880,  Exkurs  S.  66—71.  Ueber  die  Quellen 
des  P.  zur  Gesch.  des  Schismas  von  Aquileja  s.  Cipolla,  Atti  e  mem.  del 
congrr.  stör,  in  Cividale  S.  117 — 140. 


18(5  n.  Die  Karolinger.     §  6.    Alcvin. 

Gewährsmänner  erscheint  er  schwach,  höchst  verwirrt  in  der  Chro- 
nologie, und  obwohl  seine  eigentliche  Aufgabe  die  Volksgeschichte 
der  Langobarden  ist,  nimmt  er  ohne  rechtes  Mals  doch  auch  Ferner- 
liegendes auf.  Läfst  er  aber  demnach  als  gelehrter  Geschicht- 
schreiber viel  zu  wünschen  übrig,  so  entschädigen  uns  doch  dafür 
andere  sehr  wesentliche  Vorzüge,  die  einfache  Klarheit  seiner  Dar- 
stellung, die  lautere  Wahrheitsliebe,  die  ihn  von  allem  in  unge- 
schminkter Geradheit  berichten  läfst,  die  Wärme  des  Gefühls  für 
sein  Volk,  welche  sich  auch  ohne  ruhmredige  Verherrlichung  be- 
sonders in  der  Aufzeichnung  der  alten  Sagen  kundgibt.  Sehen 
wir  nun  aber  vollends  auf  den  materiellen  Wert  seiner  Geschichte, 
so  ist  derselbe  unbedenklich  als  ganz  vinschätzbar  anzuerkennen, 
wir  vei'danken  ihm  eben  die  Bewahrung  jenes  reichen,  durch  keine 
spätere  Gelehrsamkeit  verfälschten  Sagenschatzes,  und  über  die  Ge- 
schichte der  Langobarden ,  was  er  aus  dem  Secundus  von  Trident 
und  anderen  verlorenen  Quellen  schöpfte  sowohl  wie  die  Aufzeich- 
nung mündlicher  ü eberlief erung:  rettungslos  würde  alles  dieses  nach 
dem  Sturze  des  Reiches  dem  Untergang  verfallen  sein,  wenn  nicht 
des  alten  Mönches  Hand   es  mit   treuer  Liebe   aufgezeichnet   hätte. 

§  6.     Alcvin. 

Alcuini  opera  ed.  Frobenius  (Proben  Forster,  Fürst-Abt  zu  St.  Emraeram),  4  Bände, 
fol.  Ratisb.  1777.  Danacli  bei  Migne,  C.  CI.  Neue  Ausgabe  der  Briefe  u.  bist. 
Schriften  nach  Jaffes  Vorarbeit  von  Dümraler  u.  Wattenbach,  ßibl.  VI.  1873,  Die 
Briefe,  Epp.  IV,  1-481;  V,  «13—845  (vgl.  NA.  XXIV,  762).  Alcuins  Leben  von 
F.  Lorentz,  Halle  1829.  Monnier,  Alcuin  et  Charlemague ,  Paris  185,( ,  1863. 
J.  Bass  MuUinger,  The  schools  of  Charles  the  Great  and  .the  restoration  of 
education  in  the  ninth  Century,  Lond.  1877.  A.  F.  Thfery,  L'Ecole  et  l'Acadfemie 
Palatines.  Alcuin,  Amiens  1878.  Dümmler,  Art.  Alcuin,  Allg.  D.  Biogr.  I,  343 
bis  348  und  Zur  Lebensgesch.  Alchvins,  NA.  XVIII,  .51—70.  K.  Werner,  Alcuin 
u.  sein  Jahrh.  2.  Ausg.  1881.  Ganz  fabelhafter  Brief  über  die  Herkunft  der  Bene- 
ventaner  unter  Alcvins  Namen  NA.  I,  169—172.  —  Vgl.  Ebert  II,  12— 3G.  (Kantor, 
Gesch.  d.  Mathematik  I,  712-721.  Hauck  11,  123—153;  W.  Puckert,  Aniane  und 
Gellone  248—258.  Alcuin  and  the  Rise  of  the  Christian  Schools  by  Andrew 
Fleming  West,  Prof.  in  the  Princeton  College,  New  York  1892,  schildert  die  Lehr- 
thätigkeit  und  deren  Nachwirken. 

Alchuine,  wie  die  ursprüngliche  Form  lautete,  oder  Alcvin 
nannte  sich  gern  in  mehr  lateinisch  klingender  Form  Albinus.  Ver- 
wandt mit  Willibrord,  dessen  Leben  er  auch  beschrieben  hat,  wurde 
er  aus  angesehenem  und  begütertem  Geschlechte  um  das  Jahr  730 
in  Northumberland  geboren.  Seine  Bildung  verdankte  er  der  aus- 
gezeichneten Domschule  in  York,  vielleicht  seiner  Vaterstadt,  unter 
der  Leitung  Egberts,  der  seit  732  Erzbischof  war,  und  Aelberts, 
der  Alcvin  mit  sich  nach  Rom  nahm,  als  er  nach  der  Sitte  dieser 
Angelsachsen  dahin  reiste,  um  Handschriften  auf  dem  dortigen 
Markte  zu  erwerben,  der  noch  immer  bedeutend  und    damals  wohl 


Akvin  im  Frankenreiche.  187 

der  einzige  im  Abendlande  war.  Im  Jahre  766  wurde  Aelbert  zum 
Erzbischof  erhoben,  und  Alcvin  folgte  ihm  in  der  Leitung  der  Dom- 
schule.  Der  Auftrag,  für  Eanbald  das  erzbischöfliche  Pallium  vom 
päpstlichen  Hofe  zu  holen,  führte  ihn  781  wieder  nach  Rom,  und 
auf  dieser  Reise  war  es,  wo  er  zu  Parma  mit  Karl  zusammentraf, 
an  den  er  schon  früher  einmal  eine  Botschaft  gebracht  hatte'),  und 
von  ihm  die  Einladung  erhielt,  welche  ihn  vermochte,  im  folgenden 
Jahre  an  Karls  Hof  zu  kommen,  wohin  ihm  später  seine  Schüler 
Wizo'-),  Fridugis^  und  Sigulf^)  nachfolgten.  Die  Einkünfte  der 
Abteien  zu  Ferrieres  und  des  heiligen  Lupus  zu  Troyes  sicherten 
ihm  eine  ansehnliche  Stellung,  während  er  in  der  Hofschule  vor 
alten  und  jungen  Zuhörern  seine  Vorträge  hielt.  Auch  hier  war 
es  durchaus  nicht  allein   auf  dilettantische  Belehrung  der  Hofleute 

')  Vita  ed.  Arndt  c.  9.  Dafs  der  773  von  Karl  an  den  Papst  geschickte 
Albinus  Alcvin  gewesen  wäre,  wie  Jaffe  p.  144  n.  1  annimmt,  scheint 
mir  unmöglich.  Leibniz,  Ann.  Imp.  I,  40  hält  ihn  nach  Albericus  für  den 
Bischof  von  Angers. 

^)  Genannt  Candidus,  von  797 — 801  bei  Arn  in  Salzburg. 

2)  Genannt  Nathanael,  von  819 — 832  Kanzler;  wahrscheinlich  führte 
er  das  bessere  Latein  in  die  Kanzlei  ein  und  veranlafste  vielleicht  die 
Sammlung  der  Carpentierschen  Formeln  in  tiron.  Noten,  jetzt  MG.  For- 
mulae  p.  285  als  Formulae  imperiales  e  curia  Lud.  pii;  vgl.  Sickel,  Acta 
Kar.  I,  89—95  u.  160,  B.  Simsen,  Ludw.  d.  Fr.  II,  235—238.  Max  Ahner, 
Fredegis  von  Tours,  Leipz.  1878.  Ueber  seine  durch  Karl  den  Gr.  ver- 
anlalste  Schrift  de  niliilo  et  de  tenebris  (Epp.  V,  552 — 554)  Prantl,  Gesch. 
d.  Logik  im  Abendland  11,  17 — 19;  Reuter,  Gesch.  d.  relig.  Aufklärung 
im  Mittelalter,!,  274;  Ebert  II,  221.  Er  war  Alcvins  Nachfolger  als  Abt 
von  St.  Martin,  wo  die  Regel  des  h.  Benedikt  schon  vorher  nicht  eigent- 
lich herrschte ;  im  Gegensatz  gegen  Alcvins  Zeit  ist  von  ihm  kein  Schüler 
namentlich  bekannt.  Bei  Herolds  Taufe  in  Mainz  erscheint  er  mit  seinen 
Schülern.  Bücher  schrieb  unter  ihm  und  für  ihn  Adalbaldus  jDresb., 
der  sieh  artifex  nannte,  Delisle,  Notice  des  Mss.  de  Tours,  p.  81 — 83; 
L"ecole  calligr.  de  Tours  p.  20.  Desnoyers  u.  Delisle  in  Comptes  rendus 
des  Seances  de  l'Acad.  des  Inscr.  1886  mit  Monogramm.  Album  pal.  pl.  21. 
Ueber  andere  Tironische  Kalligraphen  unter  ihm  s.  Traube,  SB.  d.  bayer. 
Akad.  1891  S.  425—428.  Ein  sehr  schlechtes  Andenken  hinterliefs  Fri- 
dugis  in  St.  Bertin,  wo  er  gleichfalls  820  Abt  wurde,  wenn  wir  Folcwini 
Gesta  abb.  S.  Bert.  MG.  SS.  XIII,  614,  und  daraus  in  Folcards  V.  S.  Ber- 
tini und  bei  Bovo,  De  elevatione  S.  Bertini  Glauben  schenken  dürften, 
doch  hat  ihn  Puckert  (Aniane  u.  Gellone  S.  259—292)  dagegen  in  Schutz 
genommen,  vgl.  Hauck  II,  148 — 150,  der  einen  vermittelnden  Standpunkt 
einnimmt.  Nach  seinem  Tode  834  folgte  in  St.  Martin  Adelard,  unter 
dem  durch  Amalrich,  der  849  Erzb.  v.  Tours  wurde,  die  Schule  wieder 
aufblühte  (vgl.  unten  §  20).  Dann  folgt  845  Graf  ^'ivian  als  erster 
Laienabt. 

■•)  Genannt  Vetulus,  später  als  Alcvins  Nachfolger  Abt  von  Ferrieres 
und  Stifter  der  dortigen  Schule.  Er  räumte  seinen  Platz  Adalbert,  der 
die  Bened. -Regel  einführte,  und  wurde  selbst,  unter  ihm  Mönch;  dann 
folgt  Aldrich  bis  829,  Odo,  der  abgesetzt  wird,  an  dessen  Stelle  22.  Nov. 
841  Lupus  tritt. 


188  ^I-  Die  Karolinger.     §  6.    Alcvin. 

abgesehen ,  sondern  die  vielen  Söhne  vornehmer  Franken ,  welche 
nach  alter  Sitte  zur  Erziehung  an  den  Hof  gebracht  wurden ,  ei*- 
hielten  hier  alles  Ernstes  ihre  Ausbildung  zu  Staatsmännern  und 
Bischöfen.  Nach  Alcvins  eigener  Angabe  war  sein  vorzüglichster 
Beweggrund  nicht  etwa  wissenschaftlicher  Eifer,  sondern  die  Sorge 
für  Aufrechterhaltung  der  Rechtgläubigkeit  im  Frankenreicbe^), 
wie  denn  überhaupt  der  kirchliche  Standpunkt  bei  ihm  durchaus 
mafsgebend  ist. 

Im  Jahre  789  kehrte  Alcvin  nach  England  zurück,  wo  wir  ihn 
aber  auch  schon  786  an  Synoden  teilnehmen  sehen,  deren  Beschlüsse 
er  abgefafst  zu  haben  scheint,  doch  die  heftigen  Streitigkeiten  über 
Adoptianismus  und  Bilderverehrung  veranlafsten  Karl,  ihn  von 
neuem  dringend  einzuladen,  und  die  inneren  Unruhen,  welche  Eng- 
land zerrissen  und  Alcvin  sogleich  wieder  in  die  ihm  verhafsten 
politischen  Händel  verflochten  hatten,  machten  diesen  geneigt,  seine 
Heimat  zu  verlassen.  Er  erschien  794  auf  dem  zu  Frankfurt  gegen 
Felix  und  Elipand  versammelten  Konzil  als  Abgesandter  der  eng- 
lischen Kirche  und  bewährte  sich  durch  mehrere  Schriften  als  tapferer 
Streiter  gegen  die  Irrlehren-);  noch  zog  es  ihn  zurück  in  sein 
Vaterland,  aber  die  Ermordung  Ethelreds  796  verleidete  ihm  die 
Heimkehr,  und  von  nun  an  widmete  er  sich  ganz  dem  Franken- 
reiche. Nach  Iterius'  Tod  erhielt  er  796  die  Abtei  des  heiligen 
Martin  zu  Tours,  hielt  sich  jedoch  noch  vorwiegend  am  Hofe  auf, 
um  sich  erst  801  in  sein  Kloster  zurückzuziehen,  wo  er  nicht  als 
Mönch,  sondern  als  Kanoniker  lebte ^).  St.  Martin  stand  er  bis  zu 
seinem  Tode,  am  19.  Mai  804,  vor.  Dem  unruhigen  Getreibe  des 
Hofes  fern ,  entfaltete  er  hier  die  segensreichste  Wirksamkeit  und 
bildete  eine  aufserordentliche  Zahl  von  Zöglingen,  welche  im  ganzen 
weiten  Reiche  Karls  neue  Stätten  wissenschaftlicher  Thätigkeit  be- 
gründeten. Seinen  Schüler  Wizo  schickte  er  nach  England,  um 
Bücher  zu  holen,  die  er  zu  Tours  durch  zahlreiche  und  sorgfältige 
Abschriften  vervielfältigen  liefs.  Zugleich  aber  blieb  er  in  fort- 
währender Verbindung  mit  Karl ,  der  ihm  das  grüfste  Vertrauen 
schenkte.     Als  unschätzbares  Denkmal    ist  uns   seine  Briefsamm- 


^)  JafFe,  Bibl.  VI,  255  u.  541,  Epp.  IV,  89.  332  und  daraus  Vita  c.  8, 
SS.  XV,  189. 

^)  Ueber  seine  Bekämpfung  des  Adoptianismus  s.  Gröfsler,  Die  Aus- 
rottung des  Adopt.  im  Reiche  Karls  d.  Grofsen,  Progr.  d.  Gymn.  zu  Eis- 
leben 1879.  Ob  die  lihri  CaroUni  (oben  S.  174)  von  ihm  verfafst  sind, 
ist  sehr  zweifelhaft.    Ueber  den  ganzen  Gegenstand  Hauck  IT,  288 — 307. 

ä)  Puckert,  Aniane  u.  Gellone  S.  248—255. 


Alcvins  Briefe  und  Schriften.  189 

lung  erhalten,  welche  zu  den  wichtigsten  Quellen  für  die  Geschichte 
dieser  Zeit  gehört,  wenngleich  der  stoffliche  Inhalt  viel  geringer 
ist,  als  wir  wünschen  möchten.  Die  gröfste  Masse  ist  aus  den 
letzten  Jahren,  in  welchen  Alcvins  Frömmigkeit  immer  mehr  über- 
hand nahm,  und  fromme  Ermahnungen  sind  in  hohem  Grade  vor- 
herrschend. Eben  diese  gaben  in  jenen  Zeiten  Anlals,  sie  als  Vor- 
bilder zu  sammeln  und  abzuschreiben ;  es  zeugt  aber  von  der  hohen 
Bedeutung  des  Mannes,  dafs  nicht,  wie  bei  anderen  Briefsammlungen, 
die  Hauptmasse  einem  Konzeptbuche  des  Verfassers  entstammt,  son- 
dern, wie  Sickel  nachgewiesen  hat,  seine  Schüler  und  Verehrer,  ein 
Arno,  Adalhard,  Angilbert,  dazu  Angelsachsen  es  gewesen  sind, 
welche  die  ihnen  zugänglichen  Briefe  sammelten  und  dadurch  vor 
dem  Untergange  bewahrten'). 

Viel  und  gern  versuchte  Alcvin  sich  auch  in  Gedichten,  welche 
freilich  sehr  inkorrekt,  aber  doch  nicht  ohne  Leichtigkeit  im  Aus- 
druck und  gefällige  Anmut  sind").  Sie  bieten  uns  manchen  Ein- 
blick in  die  Zustände  der  Zeit,  und  das  umfangreichste  darunter, 
über  die  Bischöfe  der  Kirche  zu  York  (mit  Benutzung  des  Beda), 
reich  an  schönen  Stellen  und  belebt  durch  die  wai-me  Liebe  zur 
Heimat,  gewährt  mannigfache  Belehrung  über  die  Stiftschule  zu 
York  und  Alcvins  Leben  vor  seiner  Berufung  nach  Frankreich^), 
Seine  übrige  schriftstellerische  Thätigkeit  dagegen  war  mehr  auf 
Theologie,   Philosophie^)    und    Grammatik'^)  gerichtet    als    auf  Ge- 

1)  Neue  Ausgabe  Bibl.  VI,  132  ff.  Vgl.  Sickel,  Hist.  Zeitschr.  XXXII, 
355—365,  u.  Alcuinstudien  I,  Wiener  SB.  LXXIX,  461  £F.  Ein  Faks.  aus 
Harl.  208  in  Thompsons  Catal.  of  ancient  Lat.  rass.  (1884)  pl.  51,  Beschr. 
S.  86 ;  S.  87  von  Reg.  8.  E.  XV.  Einen  Brief  über  Felix,  vermutlich  an 
Theodulf  gerichtet,  hat  Loewenfeld  gefunden  und  Bibl.  de  l'Pk'ole  des 
chartes  XLII  herausgegeben  (Epp.  IV,  258).  Bilder  der  Salzburger  Hss. 
bei  Chroust,  Mon.  palaeograph.  VII,  3.  4.  —  Dümmler,  Alchvinstudien, 
Berl.  SB.  1891,  S.  495—523  als  A^orUlufer  der  neuen  Ausgabe. 

2)  Ausg.  von  Dümmler,  Poet.  Car.  I,  160—351,  cf.  II,  690—693.  Die 
S.  692  nachgetragenen  sind  aber  von  Prosper,  s.  Manitius,  NA.  XI,  553; 
von  dems.  ib.  S.  558  Anklänge  in  Alcuins  Gedichten.  Vgl.  Traube,  Karol. 
Dichtungen,  S.  47 — 51.  61 — 110.  A.  Largeault,  Inscriptions  metr.  com- 
posees  par  et  ^jour  les  monasteres  de  St.  Hilaire  de  Poitiei's  et  de  Nouaille 
(Poitiers.  Guillois  1885),  nach  Traube,  NA.  XIX,  447.  Ders.  über  andere 
fälschlich  ihm  beigelegte  Verse  NA.  XXVII,  284.  J.  B.  de  Rossi,  L'in- 
scription  du  tombeau  d'Hadrien  I.,  Mel.  d'archeob  et  d'hist.  publ.  par 
l'Ecole  frauQ.  de  Rorae  VIII  (1888),  478—501  mit  Berichtigungen  zu  A.s 
Gedichten.    Vgl.  NA.  XIV,  447. 

3)  Bibl.  VI,  80—131 ;  Poet.  Car.  I,  169—206. 
M  Vgl.  Prantl,  Gesch.  d.  Logik  11.  14—17. 

')  Jos.  Zecbmeister.  Scholia  Vindobonensia  ad  Horatii  Artem,  Vind. 
1877,  glaubt  diese  Alcvin  oder  seiner  Schule  zuschreiben  zu  können, 
aber  der  Stil  erseheint  mir  sehr  verschieden.    S.  15,  23  1.  colantes  culices, 


190  II-  Die  Karolinger.     §  6.    Alcvin. 

schichte.  Sein  lateinischer  Stil ,  der  noch  sehr  fehlerhaft  ist  und 
von  seinen  eigenen  Schülern  bald  übertroffen  wurde,  fand  bei  seinen 
Zeitgenossen  hohe  Bewunderung;  und  auf  Bitten  Angilberts  bear- 
beitete er  das  Leben  des  heiligen  Richarius'),  auf  den  Wunsch  des 
Abtes  Rado^)  das  Leben  des  heiligen  Vedastus.  Bei  beiden  be- 
schränkte er  sich  auf  Glättung  und  Ausschmückung  der  überlieferten 
Darstellungen,  und  der  erbauliche  Zweck  ist  die  Hauptsache,  wie 
nicht  nainder  auch  in  dem  schon  oben  (S.  148)  erwähnten  Leben 
des  heiligen  Willibrord. 

In  seinen  alten  Tagen  versank  Alcvin  mehr  und  mehr  in  Fröm- 
melei, und  das  Studium  Vergils  ,  den  er  selbst  einst  eifrig  nachzu- 
ahmen gestrebt  hatte,  verwarf  er  später  als  höchst  gefährlich,  we- 
nigstens für  Mönche^). 

Fast  zwanzig  Jahre  waren  schon  süit  Alcvins  Tod  vergangen, 
als  auf  den  Wunsch  eines  Abtes,  wahrscheinlich  des  Abtes  Aldrich 
von  Ferrieres,  der  unter  Alcvin  dort  Mönch  geworden  war  und  829 
das  Erzbistum  Sens  erhielt,  nach  Benedikts  von  Aniane  Tode 
(11.  Februar  821),  ein  Schüler  Sigulfs,  dem  nach  Alcvin  die  Abtei 
zugefallen  war,  es  unternahm,  das  Leben  Alcvins  zu  beschreiben. 
Gesehen  hatte  er  selbst  ihn  nicht  mehr,  aber  Sigulf  hatte  ihm  viel 
erzählt,  und  das  ist,  aufser  dem  Briefwechsel  über  den  Adoptianis- 
mus,  seine  einzige  Quelle.  Daher  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dafs 
wir  hier  viel  von  Alcvins  Frömmigkeit,  von  Askese  und  von  Wun- 
dern finden,  keineswegs  aber  ein  Bild  seiner  fruchti'eichen  Thätigkeit 
in  den  Jahren  seiner  Kraft.  Erbauung  für  Mönche  ist  der  Zweck 
des  Büchleins,  und  dem  entspricht  es  leider  nur  zu  sehr.  Doch 
finden  sich  darin  auch  manche  nicht  unwichtige  Nachrichten,  vor- 
züglich über  seine  Jugendzeit,  welche  wir  dankbar  annehmen  müssen. 
Die  Sprache  ist  im  damaligen  Schulgeschmack  gesucht  und  mit 
frommem  Schmuck  überladen^). 


nicht  volantes ,  nach  Traube  (Krit.  Jahresber.  über  die  Fortschritte  der 
Roman.  Bibl.  I,  1890,  S.  90)  gehören  sie  dem  11.  Jahrh.  an. 

')  SS.  Merov.  IV,  381—401  her.  von  Krusch,  früher  bei  Mabillon  H, 
189,  die  ältere  ist  verloren. 

*)  Für  diesen,  Karls  Kanzler  (Sickel  I,  80),  ist  auch  die  jetzt  in  Wien 
verwahrte  Biblia  Radonis  geschrieben.  Vgl.  Berger,  Hist.  de  la  Vulgate 
S.  108  ff.;  Corssen,  GGA.  1894  S.  867.  Ausg.  der  Vita  SS.  Merov." IV, 
414—42.5. 

^)  Diese  Ansicht  bekämpft  Ebert  IT,  345,  allein  mir  erscheinen  die 
Angaben  der  Vita  c.  16  zu  bestimmt  und  zuverlässig  überliefert,,  als  dafs 
wir  sie  verwerfen  dürften. 

*)  Neue  Ausgabe  Bibl.  VI,  1—84.  MG.  SS.  XV,  I,  182-197,  von 
Arndt. 


Angilberts  Leben  und  Schriften.  191 


§  7.     Angilbert. 

Aiigilberti  C'armiua  cd.  Diimmler,  Poet.  Cur.  I,  :55.=i— 'isi :  vgl.  NA.  IV,  110-142;  XI, 
5.il  und  einen  Nachtrug  in  Hrotsvithao  oiip.  cd.  Winterfeld  )).  XIV  n.  19  Die 
iilteren  Drucke,  gesammelt  bei  Migne  XOIX,  849— 8öi,  dadurch  veraltet.  Herm. 
Althof,  Angilberts  Leben  und  Dichtungen  (übersetzt).  Wiss.  Beilage  ■/..  Progr. 
des  Realprogvmn.  und  Progymn.  zu  Münden.  f?es.  Abdr.  Kann. -Münden  1888. 
Traube,  0  Ko'ma  nobilis  (.Vbh.  d.  ::\Iünch.  Akad.  1.  Kl.  XIX,  2)  S.  32ü— :53l.  Verz. 
seiner  Gedichte.  Ein  Abt  Angilbert  von  Corbie  zugeschriebenes  Gedicht  ihm 
zugesprochen.  Ders. ,  Karol.  Dicht.  1,  ,')1— 60  gewinnt  Gedichte  Angilberts  aus 
denen  des  Bcrnowin  (Poet.  Car.  I,  H3— i25),  der  sich  als  Plagiator  A.s  Gedichte 
angeeignet  hat.    Hauck  II,  171— I7ti. 

Wie  Paulus  am  langobardischen,  so  war  Angilbert,  der  ebenfalls 
aus  vornehmem  Geschlechte  stammte ,  am  fränkischen  Hofe  aufge- 
wachsen'). Wohl  wenig  jünger  als  Karl  selbst,  war  er  mit  diesem 
durch  innige  Freundschaft  verbunden  und  stand  zu  der  ganzen 
königlichen  Familie  im  vertraulichsten  Verhältnis.  Er  scheint  sich 
schon  früh  mit  wissenschaftlichen  Studien  beschäftigt  und  eine  an- 
sehnliche Stellung  in  Karls  Kapelle  erlangt  zu  haben.  Als  Alcvin 
an  den  Hof  kam,  ergriff  er  mit  demselben  Eifer,  wie  sein  könig- 
licher Freund,  die  Gelegenheit  zu  höherer  Ausbildung;  er  wurde  ein 
Schüler  des  Paulinus  und  Peters  von  Pisa  und  Alcvins,  und  nahm 
an  der  Akademie  den  lebhaftesten  Anteil ;  hier  erhielt  er  wegen 
seiner  poetischen  Begabung  den  Namen  Homer.  Aus  dieser  frühen 
Zeit  der  achtziger  Jahre  haben  sich  einige,  in  der  Form  zum  Teil  noch 
sehr  unvollkommene  Gedichte  erhalten,  welche  Dümmler  aus  einer 
gleichzeitigen  Handschrift  herausgegeben  hat").  In  dem  einen, 
welches  aus  versus  scrpentini  besteht,  grüfst  Angilbert  mit  seinen 
Genossen  Angelram  und  Riculf  den  nach  Italien  heimgekehrten 
Lehrer  Peter  von  Pisa,  und  sendet  zugleich  ein  von  ihm  erbetenes 
Gedicht  Karls  des  Grofsen  an  ihn.  In  dem  Gedicht  eines  rätsel- 
haften Fiducia  an  Angelram  werden  Angilbert  und  Theodulf  als 
divini  poefae  erwähnt.  Diese  Verse  scheinen  früher  angesetzt 
werden  zu  müssen,  als  Angilberts  Sendung  nach  Italien,  wo  ihm, 
gewifs  ein  Zeichen  hohen  Vertrauens,  eine  bedeutende  Stellung  am 
Hofe  des  Kindes  Pippin  in  dem  neugewonnenen  italienischen  König- 


')  Qui  pene  ab  ipsis  iHfantiae  rudinienti^  in  j)alatio  vesti'O  enutritus  est, 
schreibt  Papst  Hadrian  um  791  an  Karl  (Epp.  V,  7).  Er  mul's  aber  als 
primicerius  palatii  bei  dem  unmündigen  Pippin  schon  in  reifem  Alter 
gewesen  sein.  Doch  nennt  Alcvin  ihn  wiederholt  filiu^  und  in  dem  Briefe 
bei  U^Q,  Bibl.  VI,  358  (Epp.  IV,  184)  vom  J.  797  genauer:  füius  eru- 
dUionif<  nieae;  Karl  noch  796:  Ilomeriane  puer  Bibl.  IV,  354,  Epp.  IV,  186. 

2)  Zeitschrift  f.  Deutsches  Altertum  XVII,  141—146.  Poet.  Car.  I, 
75 — 77. 


192  II-  Die  Karolinger.     §  7.    Angilbert. 

reiche  anvertraut  wurde.  Auch  war  er  mit  Alcvin  schon  vorher 
befreundet'). 

Zurückgekehrt  trat  Angilbert  wieder  in  den  Ki'eis  seiner  alten 
Freunde  ein,  und  genofs  in  hohem  Grade  Karls  Vertrauen,  der  ihn 
796  in  einem  Briefe  an  Leo  III.  manualem  nostrae  familiär Itatis 
auriculariiün,  in  dem  an  ihn  selbst  gerichteten  Briefe  seinen  auri- 
culariits  nennt").  Er  gehörte  zur  königlichen  Kapelle,  und  auch 
seine  Würde  am  italienischen  Hofe  war  vielleicht  schon  eine  geist- 
liche^). Wie  bedeutend  und  einflufsreich  seine  Stellung  gewesen 
ist,  zeigen  die  wichtigen  Gesandtschaften  an  den  römischen  Papst, 
welche  ihn  noch  zweimal  (792 ,  796)  nach  Italien  führten ;  auch 
soll  er  im  Jahre  800  den  König  nach  Rom  geleitet  haben,  und  im 
Jahre  811  unterzeichnete  er  Karls  Verfügung  über  seinen  Schatz 
zu  Gunsten  der  Kirchen  seines  Reiches. 

Noch  hatte  sich  am  fränkischen  Hofe  aus  Karl  Martels  Zeit  die 
Sitte  erhalten,  dafs  die  Einkünfte  reicher  Abteien  zum  Unterhalte 
der  Hofleute  verwandt  wurden,  und  auch  Angilbert  war  790  Abt 
von  Centula  oder  Saint-Riquier  in  der  Picardie  geworden'^).  Er  be- 
trachtete aber  diese  Würde  nicht  als  eine  blofse  Pfründe,  sondern 
stellte  es  sich  vielmehr  zur  Aufgabe,  dieses  Kloster  so  herrlich  wie 
möglich  auszustatten.  Unterstützt  durch  Karls  fürstliche  Freigiebig- 
keit,  mit  Hilfe  königlicher  Baumeister  und  Künstler,  baute  er  es 
von  Grund  aus  neu,  und  auch  hierher  kamen  antike  Säulen  und 
Marmorstücke  aus  Italien.  Angilbert  selbst  hat  darüber  einen 
Bericht  geschrieben,  der  fast  vollständig  in  Hariulfs  Chronik  auf- 
genommen ist'').  Die  vollendete  Kirche  schmückte  er  in  glänzendster 
Weise  mit  jedem  Zubehöre  des  prachtvollen  Kirchendienstes ;  nament- 
lich liels  er  sich,  wie  Arn,  die  Pflege  der  Bibliothek  angelegen  sein 
und  bereicherte  diese  mit  200  Büchern.  Vielleicht  das  köstlichste 
unter    diesen  für    die  Mönche    von   Centula    war    das  Leben   ihres 


1)  Jaffe,  Bibl.  VI,  149;  Epp.  IV,  37,  von  Jaffe  783—785  angesetzt. 
In  der  Anrede  heilst  er  venerabilis  u.  2}>'i>nicß>'in»f  in  der  Aufschrift  in 
2  Handschriften  primicerius  palatii  Pipini  regis.  B.  Simson,  Karl  d.  Gr. 
II,  485,  Anm.  6,  venvirft  diese  Angabe  gänzlich;  ich  sehe  den  Grund 
nicht  recht  ein,  wenn  auch  die  Unsicherheit  zuzugeben  ist. 

2)  Bibl.  IV,  353  u.  355,  Epp.  IV,  135.  137. 

^)  Ministrum  capellae  nennt  ihn  Hadrian  um  791.  Docen  macht  darauf 
aufmerksam,  dafs  in  seinem  Gedichte  an  Karl  primiceviiis  aulae  der  Erz- 
kaplan  ist.  Vgl.  auch  Leibniz,  Ann.  Imp.  I,  168.  lieber  seine  Sendungen 
8.  Hampe  im  NA.  XXI,  94.  95. 

*)  Jaffö,  Bibl.  VI,  173;  Epp.  IV,  35. 

^)  Angilberti  abbatis  de  ecclesia  Centulensi  libellus,  MG.  SS.  XV, 
173 — 179.    In  ders.  Hs.  ist  von  ihm  eine  Institutio  de  diversitate  officiorum. 


AnjriU^ert  und  Bertha.  193 

Stifters,  des  heiligen  K  i  c  h  a  r  i  u  s ,  welches  auf  Augilberts  Bitten  sein 
Freund  Alcvin  nach  den  gesteigerten  Anforderungen  der  Zeit  neu 
bearbeitete').  Im  Jahre  800  hatte  Angilbert  die  Freude,  seinen 
königlichen  Freund  in  den  Mauern  seines  Klosters  als  Gast  zu  em- 
pfangen, der  bei  ihm  am  19.  April  das  Osterfest  feierte,  und  wie  er 
diesem  zeit  seines  Lebens  in  treuester  Freundschaft  zugethan  war, 
so  folgte  er  ihm  auch  schon  am  18.  Februar  814  im  Tode  nach. 

Dafs  Angilbert  nach  solchen  Verdiensten  um  das  Kloster  später 
daselbst  als  Heiliger  verehrt  ward,  versteht  sich  von  selbst^); 
An  scher,  sein  Biograph  im  12.  Jahrhundert,  weils  auch  viel  von 
seinem  strengen  und  erbaulichen  Wandel  zu  erzählen ,  allein  das 
war  gleichfalls  so  unvermeidlich,  wenn  man  nach  Jahrhunderten 
über  das  Leben  des  Stifters  berichtete,  dafs  darauf  durchaus  kein 
Gewicht  zu  legen  ist.  Einem  Staatsmanne  Karls  des  Grofsen  stand 
mönchische  Askese  übel  an,  und  Angilberts  Thätigkeit  scheint  mehr 
auf  eine  tüchtige  praktische  Wirksamkeit  gerichtet  gewesen  zu 
sein ;  unmöglich  ist  es  aber  nicht ,  dafs  er  in  seinen  alten  Tagen 
sich  getrieben  fühlte ,  für  ein  früher  allzu  freies  Leben  Bulse  zu 
thun.  Hatte  er  sich  doch  schon  von  Alcvin  einreden  lassen ,  dafs 
die  Schauspiele,  an  denen  er  so  viele  Freude  hatte,  sündlich  wären, 
und  wenn  auch  Alcvin  seinen  Wandel  im  übrigen  würdig  und  an- 

')  S.  oben  S.  189.  Daran  schliefsen  sich  Miracula  von  814—865  (Aus- 
zug SS.  XV,  2,  915—919),  Historia  relationis  S.  Bicharii  a.  981  ib.  p.  696 
bis  698,  viell.  aus  Hariulf),  die  Vita  metr.  vom  Abt  A  n  g  e  1  r  a  m  oder 
Ingelram,  einem  Schüler  Fulberts  von  Chartres  (f  1045),  weitere  Mirakel 
von  Hariulf,  dem  Verfasser  der  Chronik  (Auszug  ib.  919.  920).  Ein 
Rhythmus  mit  den  Namen  der  Aebte,  von  Angelram,  SS.  XV,  181.  Dieser 
hatte  das  Leben  und  die  Wunder  metrisch  in  4  Büchern  bearbeitet. 

^)  So  in  seiner  Stiftung  Cysoing  bei  Tournai  Markgraf  Eberhard 
von  Friaul,  Gemahl  von  Ludw.  d.  Fr.  Tochter  Gisla,  einer  der  litterarisch 
gebildeten  Laien  dieser  Zeit,  s.  Dümmler  im  Jalirbuch  für  vaterländische 
Geschichte  (Wien  1861)  S.  171—179,  Gesta  Berengarii  p.  17  und  die  in 
der  Translatio  S.  CalUsti  Cisonium  a.  854  durch  Eberhard,  Acta  SS.  Oct.  VI, 
445,  ausgelassenen  Stellen  NA.  III,  405  —  407.  Vollst.  Ausgabe  dieser  von 
Holder-Egger  SS.  XV,  1,  418 — 422  (wo  eine  Hs.  in  Dijon  nachzutragen 
ist).  Zu  solcher  Verehrung  genügte  die  blofse  Existenz  des  Grabes  eines 
vornehmen  oder  bekannten  Mannes  aus  alter  Zeit,  wie  recht  deutlich 
die  Verehrung  Zwentibolds  in  Süstern  zeigt,  und  die  des  Mein- 
gold in  Huy.  Von  den  Helden  der  Sage  wurden  Waltharius  in 
Novalese,  Otger  in  St.  Faron-les-Meaux,  Tegernsee  und  Grofs  St.  Martin 
zu  Köln  verehrt  und  ihre  Geschichte  mönchisch  gestaltet.  Gar  wunder- 
bar ist  die  Geschichte  von  dem  Haimonskinde  Reinold  {Vita  S.  Heinoldi, 
Acta  SS.  Jan.  I,  385 — 387  und  in  lateinischen  Versen  im  Annuaire  de 
la  Bibliotheque  Royale  de  Bruxelles  XII,  239—281),  der  in  Köln,  für 
seine  Sünden  büfsend,  als  Steinträger  bei  einem  Kirchenbau  arbeitete 
u.  von  seinen  mifsgünstigen  Genossen  erschlagen  wurde ;  seine  angeblich 
von  dort  geholten  Knochen  thaten  in  Dortmund  Wunder.    Abb.  darüber 

Wattenbach,  Geschichtsquelleii.    I.    7.  Aufl.  13 


194  n.  Karolinger.     §  7.    Angübert. 

gemessen  nennt '),  so  wissen  wir  doch  von  einem  Verhältnis,  welches 
den  mönchischen  Sittenpredigern  nicht  gefallen  konnte,  so  wenig 
es  auch  an  Karls  Hofe  auffallen  und  Anstofs  erregen  mochte.  Denn 
Angilbert  war  der  glückliche  Geliebte  von  Karls  schöner  Tochter 
Bertha ,  die  ihm  zwei  Söhne ,  Nithard  und  Hamid ,  geboren  hat : 
ein  Bund,  welcher  vielleicht  durch  eine  naheliegende  Verwechslung 
Anlafs  gegeben  hat  zu  der  bekannten  Sage  von  Eginhard  und 
Emma^).  Die  Thatsache  ist  unzweifelhaft;  Nithard,  der  eigene  Sohn, 
erzählt  sie,  und  wir  haben  Einhards  ausdrückliches  Zeugnis  dafür, 
dafs  Karl  sich  nicht  entschliefsen  konnte,  eine  von  seinen  Töchtern 
zu  verheiraten.  Dafs  er  ihnen  dafür  um  so  gröfsere  Freiheit  ge- 
stattete und  dafs  manches  anstöfsige  Verhältnis  an  seinem  Hofe 
geduldet  wurde,  ist  ebenfalls  bekannt  genug.  Wie  Hariulf,  der 
1088  seine  lehrreiche  Chronik  von  Centula  vollendete,  diesen  Um- 
stand behandelt  hat,  wissen  wir  nicht,  da  gerade  hier  zwei  Blätter 
aus  der  Handschrift  ausgeschnitten  sind ;  der  Interpolator  sagt  kurz, 
dafs  Angilbert  die  Bertha  zur  Ehe  erhalten  habe  und  mit  ihr  den 
Dukat  des  Küstenlandes^).  Wahrscheinlich  aber  war  die  Darstellung 
hier  ähnlich  wie  in  der  zweiten  Biographie,  welche  nebst  drei 
Büchern  Mirakel  von  dem  Abt  An  seh  er  verfafst  ist,  um  die  Ka- 
nonisation  Angilberts  zu  erwirken.  Im  Jahre  1110  hatten  die 
Wunder  an  dem  vergessenen  Grabe  Angilberts  neu  begonnen,  und 
Anscher  überreichte  das  Werk  dem  Erzbischofe  Radulf  von  Reims, 
vielleicht  auch  dem  Papste,  um  die  Heiligsprechung  zu  erreichen. 
Ungeachtet  dieses  Zweckes  aber  erzählt  er  unbefangen,  gewifs  alter 
Ueberlieferung  folgend,  dafs  Bertha  in  heifser  Liebe  zu  Angilbert, 
der  schon  zum  Priester  geweiht  war  und  ein  Bistum  erhalten  sollte, 
entbrannte;  ungern  habe  Karl  nachgegeben.  Angilbert  aber,  aus- 
gestattet mit  dem  Dukat,    den  Anscher   schon    nach    den  Begriffen 

nebst  Abdr.  von  Flols,  Niederrhein.  Ann.  XXX  (1876)  S.  174—203. 
Gleicher  Art  ist  die  von  Giesebrecht  zur  Passio  Adalberti  beschriebene 
V.  Hugonis  aus  Jumieges,  über  die  auch  schon  Ravaisson,  Rapports  p.  125, 
Mitteilung  gemacht  hatte;  vgl.  Gesch.  d.  Kaiserzeit  II,  601. 

1)  Alcvini  epp.  116  u.  177  ed.  JafFe;  Epp.  IV,  290.  381. 

-)  Chron.  Lauresham.  (SS.  XXI,  357).  S.  0.  Abel,  Kaiser  Karls  Leben 
von  Einhard,  S.  56—62;  vgl.  Lorentz,  Alcuins  Leben,  S.  183,  A.  32. 

^)  flCui  etiam  ad  augmentum  palatini  honoris  totius  maritimae  terrae 
ducatus  commissus  est."  Hariulfi  Chron.  Centul.  in  d'Acherys  Spicil. 
ed.  II.  II,  291  sq.  Hariulf,  Chronique  de  l'abbaye  de  St.  Riquier  (V^  s.— 1104) 
publ.  par  Ferd.  Lot,  Paris  1894  (vgl.  NA.  XXI,  320).  Vgl.  das  daraus 
mit  Benutzung  der  Handschrift  gegebene  Leben  Angilberts  bei  Mab.  IV, 
1,  108 — 122,  worauf  Anschers  Werk  folgt.  Hier  fehlt  der  Eingang,  wes- 
halb es  zweifelhaft  ist,  ob  Anscher  auch  diese  Vita  verfafste.  Ein  Frag- 
ment ders.  SS.  XV,  180. 


Angilberts  Leben  und  Schriften.  195 

seiner  Zeit  als  ein  Herzogtum  auffaFst ,  schlägt  die  Dänen')  mit 
S.  Richarius'  Hilfe,  wird  dann  Mönch  und  führt  zur  Bufse  das 
strengste  Mönchsleben ,  während  Hertha  ebenfalls  zu  Saint-Riquier 
den  Schleier  nimmt.  Das  ist  nicht  richtig,  noch  bei  der  Zusammen- 
kunft Karls  mit  Papst  Leo  zu  Paderborn  799  erscheint  Hertha  in 
voller  weltlicher  Herrlichkeit,  und  hat  nach  Einhards  Zeugnis  bis 
zu  des  Kaisers  Tode  den  Vater  nicht  verlassen ;  auch  82G  bei  der 
Ankunft  des  heiligen  Sebastian  finden  wir  sie  bei  ihrem  Bruder  in 
Soissons.  Da  sie  ferner  erst  um  780  geboren  ist'O  ,  war  Angilbert 
schon  Abt,  als  sie  sich  in  ihn  verliebte,  und  dafs  er  auch  noch 
viel  später,  noch  im  Jahre  800  nach  Karls  Osterfeier  in  St.  Riquier, 
sein  Familienleben  am  Hofe  nicht  aufgegeben  hatte ,  zeigt  uns  das 
anmutige  Gedicht,  welches  zuerst  von  Docen  an  dem  Dichternamen 
Homer  als  ein  Werk  Angilberts  erkannt  ist'^),  ein  Grufs  an  Karl 
und  den  engeren  Kreis  der  Seinen  aus  der  Ferne.  Hier  gedenkt 
er  nach  der  Schilderung  der  königlichen  Pfalz  und  ihrer  Bewohner 
zuletzt  auch  seines  nahe  gelegenen  Hauses  mit  dem  Garten,  in  wel- 
chem seine  Knaben  spielen  ;  die  zärtlichste  Liebe  und  Sorge  spricht 
sich  darin  aus,  aber  von  der  Mutter  ist  keine  Rede.  Dagegen  be- 
grüfst  er  unter  Karls  Töchtern  Bertha  mit  besonderer  Verehrung'*), 
und  die  Weise,  wie  er  den  König  als  seinen  süfsen  David,  dessen 
Kinder  als  seine  Lieben  grüfst,  deutet  auf  eine  sehr  vertrauliche 
Beziehung. 

Aehnlicher  Art  wie  dieses  ist  ein  anderes  Gedicht  Angilberts, 
verfafst  als  er  796  nach  Italien  eilend  dem  siegreichen  jungen  Könige 
Pippin  in  Langres  begegnete;  er  schildert  die  Freude  des  Wieder- 
sehens, die  ungeduldige  Erwartung  am  Hofe  und  vorausschauend 
die  zärtliche  BegrüCsung  des  jungen  Helden  im  Kreise  der  Seinen'^). 


')  Auch  das  ist  wohl  Vorwegnahme  späterer  Zustände.  Nach  Hariulf 
III,  9  wurde  Rudolf,  der  Bruder  der  Kaiserin  Judith,  unter  Karl  dem 
Kahlen  zugleich  Laienabt  und  comes  maritimae  provinciae. 

2)  S.  Leibniz,  Ann.  Imp.  I,  107. 

^)  Neuer  litterarischer  Anzeiger  1807  N.  6  (schon  unter  Alcvins  Namen 
bei  Froben  II,  614  gedruckt,  wie  Docen  selbst  später  fand,  Aretins  Bei- 
träge VII,  523).    Poet.  Car.  I,  360. 

■*)  „Virginis  egregiae  Bertae  nunc  dicite  laudes,  Pierides,  mecum, 
placeant  cui  carmina  nostra.  Carminibus  (cunctis)  Musarum  digna  puella 
est."  Da  hier  nicht,  wie  in  dem  sonst  sehr  ähnlichen  Gedichte  Theodulf's, 
die  Königin  Liudgard  erwähnt  wird,  so  ist  dieses  wohl  erst  nach  deren 
Tode,  4.  Juni  800,  geschrieben.  Althof  a.  a.  0.  S.  14  bemerkt,  dafs  hier 
noch  Thyrsis  (der  Kämmerer  Meginfrid)  als  lebend  erwähnt  wird,  der 
damals  auf  einem  Zug  Pippins  gegen  Benevent  starb. 

^)  Poet.  Car.  I,  358.  Ueber  die  chronologischen  Schwiei'igkeiten  Sim- 
son,  Karl  d.  G.  II,  126. 


196  i^-  Karolinger.     §  7.    Angilbert. 

Geglaubt  hat  man,  dafs  uns  auch  noch  aus  einem  gröfseren 
Werke  Angilberts  ein  Bruchstück  erhalten  sei.  Sein  Dichtername 
Homer,  den  ihm  Karl  selbst  796  beilegt,  in  dem  Briefe,  welcher  die 
wichtigsten  Aufträge  für  seine  römische  Gesandtschaft  enthält'), 
deutet  auf  grofse  Erwartungen,  die  sich  an  ihn  knüpften,  die  Er- 
wartung, dafs  er  Karls  Thaten  in  einem  Epos  feiern  werde.  Wenn 
wir  daher  einem  solchen  Epos  wirklich  begegnen,  so  liegt  wohl  die 
Vermutung  nahe,  dafs  kein  anderer  als  Angilbert  der  Verfasser  sein 
könne.  Hegewisch  hat  deshalb  einst  bereits  diese  Annahme  aus- 
gesprochen, und  Pertz  das  Gedicht  unter  Angilberts  Namen  heraus- 
gegeben-). Allein  der  Abstand  von  Angilberts  Werken  in  der  Be- 
herrschung der  Sprache  und  der  Behandlung  des  Verses  zu  gunsten 
dieser  Dichtung  ist  doch  zu  grofs,  um  beide  demselben  Verfasser 
zuschreiben  zu  können.  Auffallend  ist  es,  da  wir  doch  im  ganzen 
über  diese  Zeit  so  genau  unterrichtet  sind,  von  einem  so  bedeu- 
tenden Werke  gar  keine  Erwähnung  zu  finden.  Vermutlich  ist  es 
unvollendet  geblieben,  und  deshalb  weder  vollständig  erhalten,  noch 
hinlänglich  beachtet,  um  von  anderen  genannt  zu  werden.  Doch 
würde  Angilbei'ts  Dichtername  Homer  wenigstens  eine  Hindeutung 
enthalten,  die  für  andere,  wie  Theodulf,  den  Dümmler  vermutungs- 
weise genannt  hat,  gänzlich  fehlt.  Ein  Citat  freilich  ist  uns  jetzt 
bekannt  geworden:  in  der  oben  S.  174  angeführten  Ekloge  des  Naso 
wird  ein  Dichtergreis  eingeführt,  den  er  Micon  nennt,  und  dieser 
verwendet  einen  Vers  aus  jenem  Epos  zum  Preise  des  Kaisers 
(p.  389,  V.  74).  Doch  kann  er  ihn  sich  ebenso  Avie  so  manchen 
Vergilvers  angeeignet  haben.  Vorher  spricht  Naso  von  dem  Dichter- 
ruhme des  Alcvin,  Theodulf,  Einhard,  und  setzt  hinzu :  „Nam  nieus 
ecce  solet  magno  facundus  Homerus  Carminibus  Carolo  studiosis 
saepe  placere."  Dafs  aber  nun  dieser  Homer  eben  der  Micon  sei, 
darauf  deutet  nichts ,  und  wir  dürfen  es  kaum  annehmen.  Wir 
ersehen  hieraus  nur,  dafs  schon  wenige  Jahre  nach  der  Kaiserkrönung 
das  Gedicht  vorhanden  war.  Sicher  war  der  Verfasser  ein  Mann 
von  ungewöhnlichem  Geiste  und  grofser  dichterischer  Begabung, 
der  sich  den  Unterricht  der  Hofschule  mit  bestem  Erfolge  zu  nutze 

')  Bibl.  IV,  353;  Epp.  IV,  135. 

2)  MG.  II,  391—403.  Orelli,  Helperici  sive  ut  alii  arbitrantur  Angil- 
berti  Carolus  magnus  et  Leo  III,  1832,  nach  der  von  ihm  in  Zürich  wieder- 
gefundenen Handschrift.  Dagegen  Pertz  im  Arch.  VII,  363.  —  Poet. 
Car.  I,  366—381.  M.  Manitius,  NA.  VIII,  9—45,  für  Angilbert  als  Autor. 
Dagegen  Ausfeld,  Forsch.  XXIII,  609 — 615.  Die  Unsicherheit  anerkennend 
Manitius,  NA.  IX,  614—617;  XI,  555.  556  über  Benutzung  älterer  Dichter 
bei  ihm.     Traube  verwirft  seine  Autorschaft. 


Caiolus  Magnus  et  Leo  III.  197 

gemacht  hat.  Dafür  zeugt  die  fleilsige,  man  mufs  wohl  sagen  über- 
niäfsige,  Benutzung  des  Vergil,  Ovid,  Lucan  und,  wie  B.  Simson 
nachgewiesen  hat'),  Venantius  Fortunatus,  zu  denen  Manitius  noch 
raehrei'e  hinzugefügt  hat,  welche  ihm  an  sich  so  wenig  zum  Vor- 
wurfe gereichen  kann,  wie  Einhard  die  Nachahmung  des  Sueton, 
und  bei  seinen  Zeitgenossen  gewils  eher  Bewunderung  als  Tadel 
erregte,  wenn  er  auch  in  übergrofsem  Eifer  nach  dem  Vorbilde 
von  Karthago  sogar  Hafenbauten  bei  Aachen  erdichtete.  Auch  zu 
Karls  Akademie  mufs  der  Dichter  gehört  haben,  da  er  ihn  immer 
David  nennt,  was  ein  anderer  sich  gewifs  nicht  hätte  erlauben 
dürfen,  und  die  lebendige  Schilderung  verrät  sowohl  den  Augen- 
zeugen als  auch  einen  Mann,  der  Karls  Hofe  nicht  fern  stand,  was 
freilich  bei  einem  so  ausgezeichneten  Dichter  ohnehin  mit  voller 
Sicherheit  anzunehmen  ist. 

Erhalten  ist  uns  der  Anfang  des  dritten  Buches  oder  vielleicht 
das  ganze,  536  Verse,  vermutlich  ein  Stück,  welches  seiner  beson- 
deren Schönheit  wegen  einzeln  in  eine  Blumenlese  aufgenommen 
war,  denn  es  steht  mitten  zwischen  anderen  Bruchstücken.  Die 
Geschichte  der  Gegenwart  episch  zu  behandeln,  ist  stets  ein  Mifsgriff, 
und  immer  werden  es  die  einzelnen  Schilderungen  sein,  welche 
einem  solchen  Werke  seinen  Reiz  verleihen.  Aber  auch  die  Anlage 
ist  hier  doch  sehr  geschickt  entworfen.  In  voller  Pracht  wird 
Karls  Hofhaltung  uns  vor  Augen  gefühi't ;  eine  Lobrede  auf  den 
grofsen  König  eröffnet  das  Buch,  dann  werden  die  Bauten  zu  Aachen 
und  eine  grofse  Jagd  mit  reichen  Farben  und  lebendiger  Anschau- 
lichkeit geschildert:  mit  besonderer  Vorliebe  verweilt  der  Dichter 
bei  den  Töchtern  Karls,  zu  denen  wohl  kein  anderer  Zeitgenosse 
in  so  nahem  Verhältnisse  stand  wie  Angilbert.  In  der  Nacht  läfst 
dann  der  Dichter  den  König  im  Traume  die  MiCshandlung  er- 
blicken, welche  der  Papst  Leo  799  in  Rom  erfuhr ;  er  weicht  darin 
von  der  Wirklichkeit  ab,  aber  wenn  man  einmal  die  Geschichte 
episch  behandeln  will,  so  ist  eine  solche  Wendung  geschickt  genug, 
um  ohne  lange  Vorbereitungen  die  Hauptereignisse  einander  nahe 
zu  rücken^).  Ohne  von  den  umständlichen  Gesandtschaften,  welche 
in  der  Wirklichkeit  dazwischen  lagen,  berichten  zu  müssen,  gelangt 


')  Forsch.  X!I,  567—590,  vgl.  XIV,  623—626,  sehr  ungünstig  über 
den  Vf.  urteilend,  den  dagegen  Ebert,  Deutsche  Rundschau  JII,  9,  407 
(vgl.  Lit.  des  MA.  II,  58  —  63)  lebhaft  anerkennt.    Aehnlich  auch  Althof. 

-)  Dieser  dem  Vergil  entlehnte  Kunstgriff  ist  freilich  nicht  selten, 
sonst  würde  es  für  Angilberts  Autorschaft  sprechen,  dafs  auch  in  seinem 
Gedichte  auf  Pippins  Ankunft  ein  Traimi  auf  ülinliche  Weise  angewandt 


198  ^I-  Karolinger.     §  8.    Einhard. 

SO  der  Dichter  sogleich  zu  der  Zusammenkunft  Karls  mit  dem  Papste 
im  Lager  bei  Paderborn,  welche  den  eigentlichen  Gegenstand  seiner 
Darstellung  bildet. 

Niemand  wird  dieses  Fragment  aus  der  Hand  legen,  ohne  zu 
bedauern,  dafs  uns  von  diesem  Werke  nicht  mehr  erhalten  ist;  es 
weht  uns  darin  gleichsam  die  frische  Luft  jenes  kraftvollen  Lebens 
an,  und  wir  fühlen  uns  auf  einen  Augenblick  entrückt  aus  der  ein- 
förmigen Atmosphäre  der  geistlichen  Chronisten,  ja  selbst  der  seelen- 
losen Schulpoesie.  Ueber  den  Verfasser  aber  werden  wir  uns  be- 
scheiden müssen,  unsere  Unwissenheit  zu  bekennen. 


§  8.     Einhard. 

Pertz,  MG.  SS.  II,  42G— 430.  Baehr  S.  200—216.  0.  Abel,  Kaiser  Karls  Leben  von 
Einhard  S.  1—18.  Eug.  Bacha  bei  Kurtli,  Dissertations  acad..  Liege  1888.  Opera 
ed.  Teulet,  Par.  1840,  1843,  8.  2  Bände.  Jaft'6,  Bibl.  IV,  487—506;  vgl.  die  zweite 
Ausgabe  der  Vita  Caroli  M.  cur.  W.  Wattenbach,  1876.  Vita  Caroli  ed.  Waitz, 
1880.  Ebert  II,  92—104.  Bursian,  Gesch.  d.  Philol.  S.  21.  M.  Manitius,  Eiuharts 
Werke  und  ihr  Stil,  NA.  VII,  517—568.  Nachtrag  VIII,  193:  XI,  64— 73.  K.  Hampe, 
Zur  Lebensgesch.  Einhards,  NA.  XXI,  .099-631.    Fr.  Kurze,  Einhard,  Berl.  1899. 

Dem  Kaiser  Karl  wurde  das  Glück  zu  teil,  so  lange  die  Herr- 
schaft zu  führen,  dafs  er  noch  selbst  den  Erfolg  seiner  Bestrebungen 
und  Einrichtungen  erlebte.  Haben  wir  bisher  mit  den  Männern 
uns  beschäftigt,  welche  er  als  Gehilfen  seiner  Thätigkeit  an  sich 
zog,  seinen  gleichaltrigen  Zeitgenossen,  so  haben  wir  dagegen  jetzt 
in  Einhard  den  ersten  des  jüngeren  Geschlechtes  zu  betrachten,  das 
schon  ganz  unter  dem  Einflüsse  von  Karls  Zeitalter  erwachsen  war, 
und  selbst  den  schönsten  Beweis  gab  für  den  gesegneten  Erfolg 
dieses  Strebens.  Kein  mittelalterlicher  Schriftsteller  ist  den  klassi- 
schen Vorbildern,  welchen  sie  nacheiferten,  so  nahe  gekommen;  er 
erfreut  sich  deshalb  eines  guten  Namens  und  findet  selbst  vor  philo- 
logischen Augen  Gnade. 

Und  doch  zeigt  sich  auch  gerade  darin  wieder  eine  Gefahr  der 
damaligen  Richtung ;  so  viel  Anziehendes  Einhard  auch  hat,  es  fehlt 
ihm  die  frische  Natürlichkeit  anderer,  er  schreibt  fast  wie  Sueton, 
aber  es  war  nicht  das  richtige  Ziel  des  Mittelalters,  zu  schreiben 
wie  Sueton,  so  wenig  wie  am  Beginne  der  neueren  Zeit  diejenigen 
das  Höchste  erreicht  haben,  welche  fast  wie  Cicero  schrieben. 

Man  hätte  in  die  Gefahr  kommen  können,  nichts  als  ein  mattes 


wird.  —  Die  von  Harster  (Novem  vitae  sanct.  S.  1 — 14)  herausgegeb. 
Passio  Petri  et  Pauli,  die  einem  Papste  Leo  gewidmet  ist,  setzt  Manitius 
unter  den  III.,  s.  NA.  XIII,  636,  vgl.  V,  630. 


Einhanls  Leben.  199 

Abbild  der  römischen  Kaiserzeit  darzustellen,  wenn  nicht  doch  da- 
gegen das  widerstrebende  Element  der  Kirche  immer  geschützt 
hätte,  welches  sich  in  dieser  Form  nicht  fesseln  lassen  konnte,  und 
das  unvertilgbare  frische  Leben  der  Völker,  welches  nicht  ruhte,  bis 
es  sich  seine  eigenen  neuen  Formen  geschaffen  hatte. 

Für  das  Leben  Einhards  haben  wir  die  wertvollste  Bereicherung 
unserer  Kenntnis  dem  Prologe  Walahfrids  zu  Kaiser  Karls  Leben 
zu  danken,  dessen  früher  bezweifelte  Echtheit  durch  die  Auffindung 
der  Kopenhagener ,  einst  Kirschgarter  Handschrift  gesichert  ist ; 
daraus  ist  er  fehlervoll  Arch.  VIT,  372,  korrekter  von  Jaffe  heraus- 
gegeben 0,  und  mit  Benutzung  desselben  hat  Jaffe  in  sorgfältigster 
Weise  Einhards  Leben  neu  bearbeitet.  Eine  zweite  Handschrift  in 
Freiburg  i.  Br.  hat  B.  Simson  entdeckt  und  die  Varianten  mit- 
geteilt'). 

Einhard  —  denn  so,  nicht  Eginhard,  wird  der  Name  von  seinen 
Zeitgenossen  urkundlich  geschrieben^)  —  ist  um  das  Jahr  770  in 
Ostfranken  im  Maingau  von  edlen  Eltern*)  geboren ,  und  erhielt 
seine  früheste  Erziehung  im  Kloster  Fulda^),  zu  dem  er  auch  immer 
in  freundschaftlicher  Beziehung  blieb:  noch  bewahren  sechs  von 
ihm  unter  Abt  Baugulf  (779 — 802)  geschriebene  Urkunden ,  wenn 
gleich  nicht  im  Original  erhalten .  das  Andenken  an  jene  Zeit. 
Darunter  ist  eine  Schenkung  der  Ehegatten  Einhart  und  Engilfrit, 
höchst  wahrscheinlich  seiner  Eltern;  zwei  vom  19.  April  788  und 
vom  12.  September  791  dienen  zur  Zeitbestimmung''').  So  sehr 
zeichnete  er  sich  durch  seine  Fähigkeiten  und  Fortschritte  aus,  dafs 
Abt  Baugulf  ihn  an  den  Hof  des  Königs  schickte,  denn  dieser,  das 
wufste  Baugulf,  trachtete  eifrigst  danach,  die  fähigsten  und  gelehr- 
testen Männer  aus  dem  ganzen  Reiche  um  sich  zu  versammeln.  In 
der  Hofschule  also  vollendete  er  seine  Ausbildung,  und  erwai-b  sich 
bald   die  Anerkennung,   welcher   beim    ersten  Anblick   seine  kleine 


')  Bibl.  IV,  507—508,  doch  ist  S.  508  n.  b  wohl  mit  Unrecht  <Iebere 
in  prehere  geändert.     In  der  4.  Ausg.  von  Waitz  p.  XX. 

2)  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrh.' N.  F.  VII,  314—319. 

*)  Er  selbst  schrieb  Einhart,  Zeitgenossen  wechseln,  und  neben  Bern- 
hard erscheint  Einhard  für  uns  als  die  natürlichere  Schreibart. 

*)  Wegen  der  Lesart  minus  statt  munus  nahm  man  früher  das  Gegen- 
teil an,  doch  wird  jene  von  Hampe  verteidigt,  NA.  XXI,  603,  vgl.  Km-ze, 
Einhard  S.  5  A.  4. 

5)  Irrtümlich  sah  0.  Abel  in  den  Worten  AValahfrids  siih  pedagogio 
sancti  Bonifacii  niartirift  einen  Anachronismus;  nicht  der  lebende  Bonifaz. 
sondern  der  Schutzpatron  ist  gemeint. 

«)  S.  Jaffe  S.  488,  der  diese  Urkunden  aus  Dronkes  C.  D.  Fuld.  zuerst 
verwertet  hat. 


200  IjI-  Karolinger.     §  8.    Einhard. 

Gestalt  hinderlich  war.  Homiincio  nennt  ihn  deshalb  Walahfrid, 
nam  statura  despicabüis  videbatur.  Und  Theodulf  sagt  796  in  dem 
oben  erwähnten  Gedicht  an  Karl  v.  155  ff.  von  ihm: 

Nardulus  liuc  illuc  discurrat  perpete  gressu: 
Ut,  formica,  tuus  pes  redit  itque  frequens, 

Cuius  parva  domus  babitatur  hospite  magno, 
Res  magna  et  parvi  pectoris  antra  colit. 

Et  nunc  ille  libros  operosus  ^),  nunc  ferat  et  res, 
Spieulaque  ad  Scotti  nunc  paret  apta  necem. 

Denn  unter  der  Bissigkeit  dieses  Schottenmönchs  (vgl.  oben  S.  171) 
hatte  er  nicht  minder  als  Alcvin  und  Theodulf  selbst  zu  leiden. 
Alcvin  aber  verfafste  folgende  scherzhafte  Verse  als  Inschrift  auf 
Einhards  Haus: 

Parva  quidem  res  est  oculorum,  cerne,  pupilla, 
Sed  regit  imperio  vivacis  corporis  actus. 
Sic  regit  ipse  doinum  totam  sibi  Nardulus  istam : 
Nardule,  die  lector  pergens,  tu  parvule  salve ! 

Und  für  seine  Hausthür: 

Janua  parva  quidem  et  parvus  habitator  in  aede  est. 

Seine  volle  Anerkennung  für  Einhard  aber  spricht  er  in  diesem 
hübschen  Epigramm  aus  (Poet.  Car.  I,  248) : 

Non  spernas  nardum,  lector,  in  corpore  parvum, 
Nam  redolet  nardus  spicato  gramine  multum : 
Mel  ajiis  egregium  portat  tibi  corpore  parvo. 

Als  schon  in  späteren  Jahren  829  Walahfrid  Kaiser  Ludwigs 
Hof  schilderte,  schrieb  er  von  Einhard  {de  Einharto  magno,  Poet. 
Car.  n,  377): 

Nee  minor  est  magni  reverentia  patris  habenda 

Beseleel,  fahre  primum  qui  percipit  omne 

Artificum  praecautus  opus:  sie  denique  summus 

Ipse  legens  infirma  Deus,  sie  fortia  temnit.     (I.  Cor.  1,  27.) 

Magnorum  quis  enim  maiora  receperat  umquam. 

Quam  radiäre  brevi  nimium  miramur  homullo? 

Dafs  aber  auch  Einhard  zu  den  Dichtern  des  Hofes  gehörte, 
erfahren  wir  erst  aus  jenem  Gedicht  des  Naso,  wo  es  zugleich 
mit  hoher  Anerkennung  seiner  hervorragenden  Stellung  von  ihm 
heifst : 

')  Jaffes  Konjektur  operosas  mit  vorhergehendem  Komma  ist  verfehlt. 


Einhaid  am  Hofe.  201 

Aonias  avide  solitus  recitave  Camenas 
Nardus  ovans  summo  praesenti  pollet  honore. 

Durch  seine  Klugheit  und  Gelehrsamkeit,  sowie  durch  seine 
Rechtlichkeit  und  Treue  erwarb  sich  Einhard  das  vollste  Vertrauen 
Karls,  der  fast  keinem  seiner  Räte  so  rücksichtslos  seine  geheimsten 
Gedanken  mitteilte ;  den  jüngei-en  Mann  liebte  er  wie  einen  Sohn, 
und  Einhard  erwiderte  diese  Zuneigung  mit  der  hingehendsten 
Verehrung').  Ganz  besonders  zeichnete  sich  Einhard  auch  durch 
seine  Kunstfertigkeit  aus,  durch  seine  Kunde  der  Baukunst,  welche 
er  durch  eifriges  Studium  des  Vitruv  und  der  alten  Denkmäler 
auszubilden  suchte,  und  durch  Geschicklichkeit  in  mancherlei  Arbeit. 
Er  erhielt  deshalb  unter  den  Hofgelehrten  den  Beinamen  Beseleel, 
nach  dem  kunstreichen  Werkmeister  der  Stiftshütte,  und  wurde 
vom  Kaiser  zum  Aufseher  seiner  grol'sartigen  Bauten  ernannt-). 
Auch  in  anderen  wichtigen  Angelegenheiten  bewies  ihm  der  Kaiser 
sein  Vertrauen;  er  sandte  ihn  im  Jahre  80(j  an  den  Papst,  um 
dessen  Zustimmung  zu  seiner  Anordnung  über  die  Reichsteilung 
zu  erlangen,  und  813  war  es  Einhard,  dessen  Rat  und  Bitte  Karl 
bestimmt  haben  soll,  seinen  Sohn  Ludwig  zum  Kaiser  zu  ernennen. 
Da  ist  es  denn  nicht  zu  verwundern ,  dafs  er  auch  bei  diesem 
sehr  in  Gunst  stand;  die  grofsen  Bauten  hörten  auf,  aber  nun  wurde 
dem  kunstreichen  und  gelehrten  Manne  eine  ganze  Reihe  der  an- 
sehnlichsten Abteien  übertragen  (St.  Pierre  au  mont  Blandin  und 
St.  Bavo  in  Gent,  St.  Servais  in  Maastricht  und  S.  Cloud  bei  Paris), 
Allein  mehr  als  diese  zog  ihn  der  abgelegene  und  einsame  Fleck 
Landes  zu  Michelstadt  im  Odenwald  an,  den  er  815  für  sich  und 
seine  Gemahlin  Imma  vom  Kaiser  zum  Geschenk  erbat.  Mehr  und 
mehr  zog  er  sich  hierhin  zurück,  und  nachdem  er  sich  im  Jahre  827 

^)  Dafs  er  auch  als  Geheimschreiber  thätig  gewesen  sei ,  was  nicht 
unwahrscheinlich  ist,  sucht  E.  Bacha  nachzuweisen,  vgl.  Kurze,  Einhard 
S.  25. 

-)  Nach  einer  von  Pertz  in  d.  3.  Sep.-Ausg.  d.  V.  C'aroli ,  von  Jaffe, 
Bibl.  IV,  536  mitgeteilten  Notiz  war  Meister  Odo  der  Architekt  des 
Aachener  Münsters;  Einhard  scheint  die  oberste  Leitung  aller  Bauten 
gehabt  zu  haben.  Wenigstens  heilst  es  in  der  Chronik  von  St.  Wandrille 
(c.  17)  vom  Abt  Ansegis:  „exactor  operum  regalium  in  Aquisgrani  palatio 
regio  sub  Einhardo  abbate ,  viro  undecunque  doctissimo ,  a  domno  rege 
constitutus  est."'     Und  Hraban  sagt  in  der  Grabschrift: 

Quem  Carolus  princeps  propria  nutrivit  in  aula, 
Per  quem  et  confecit  multa  satis  opera. 

Waitz  fügt  dazu  die  Stelle  des  Odilo  in  der  Transl.  S.  Tiburtii  (SS.  XV, 
391),  wo  E.  ,palatü  regalis  domesticus"  genannt  wird.  Verfassungsgesch. 
III  (2.  Aufl.)  S.  528  Anm.  1. 


202  Ijf-  Karolinger.     §  8.    Einhard. 

den  nach  den  BegriflFen  der  Zeit  unschätzbaren  Besitz  der  Gebeine 
der  heiligen  Märtyrer  Mai-cellinus  und  Petrus  verschafft  hatte  ^), 
gedachte  er  hier  ein  Kloster  zu.  gründen;  doch  veranlafste  eine 
Vision  ihn,  die  Reliquien  nach  Mühlheim  am  Main  zu  führen ,  wo 
er  ihnen  eine  stattliche  Kirche  erbaute,  und  die  Abtei  stiftete, 
welche  den  Namen  des  Ortes  allmählich  in  Seligenstadt  verwandelte. 
Noch  konnte  Einhard  sich  nicht  ganz  den  Staatsgeschäften  ent- 
ziehen, deren  unruhiges  und  kriegerisches  Getreibe  allen  denen, 
welche  sich  zu  litterarischer  Beschäftigung  hingezogen  fühlten,  un- 
erträglich war'-).  Im  Jahre  817,  in  welchem  wir  ihn  auch  zu  Gunsten 
des  Klosters  Fulda  thätig  finden^),  gab  ihn  Ludwig  dem  jungen 
Kaiser  Lothar  als  Ratgeber,  und  830  sehen  wir  ihn  eifrig  bemüht, 
den  Ausbruch  der  Empörung  zu  verhindern ,  die  Aussöhnung 
zwischen  Vater  und  Sohn  zu  bewirken,  doch  gehörte  er  unzweifel- 
haft zu  den  Anhängern  Lothars.  Walahfrid  rühmt  ganz  vorzüglich 
die  Klugheit,  mit  welcher  Einhard  weder  vorzeitig  den  alten  Kaiser 
verlassen,  noch  auch  sich  ohne  Nutzen  ins  Verderben  gestürzt  habe. 
Als  aber  die  inneren  Zustände  des  Reichs  immer  unheilbarer  wui'den, 
auch  niemand  mehr  auf  seinen  weisen  Rat  achtete,  da  zog  er  sich 
ganz  in  seine  Waldeinsamkeit  zurück.  Noch  war  ein  harter  Schlag 
des  Schicksals  ihm  vorbehalten,  der  Tod  seiner  innig  geliebten  Ge- 
mahlin Imma.  Sie  starb  im  Jahre  836;  der  alte  Kaiser  hat  ihn 
damals  in  seiner  Zurückgezogenheit  aufgesucht,  um  ihm  seine  Teil- 
nahme zu  bezeugen,  und  Lupus,  der  sich  gerade  seiner  Studien 
wegen  in  Fulda  aufhielt,  wo  er  eben  mit  lebhafter  Bewunderung 
die  Vifa  Karoli  gelesen  hatte,  schrieb  ihm  in  herzlichem  Mitgefühl 
einen  Trostbrief ■*).  Nicht  lange  danach,  am  14.  März  840,  starb 
er  selbst^) ,  eine  schöne  Grabschrift  von  Hrabans  Hand  zierte  seine 


^)  Die  Angabe  der  Ann.  Fuld.  ant.  über  die  Einweihung  der  Kirche 
zu  Michelstadt  im  Jahre  821  steht,  wie  0.  Abel  richtig  bemerkte,  in 
schroffem  Widerspruche  zu  Einhards  bestimmter  Mitteilung  im  Anfange 
der  Transl.,  dafs  die  Kirche  zur  Zeit  der  Aussendung  Ratleiks  noch  nicht 
geweiht  war.  Sie  beruht  aber  auch  nur  auf  einer  höchst  unsicheren 
Lesung  und  Ergänzung  des  ganz  verblafsten  und  verstümmelten  Originals 
von  Pertz,  und  ist  ohne  Zweifel  unrichtig. 

^)  In  einer,  wie  es  scheint,  an  Ludw.  d.  Fr.  gerichteten  theol.  Ab- 
handlung heilst  es:  „Einharde,  si  haec  legas,  non  mireris,  si  forte  in- 
venias  errantem."     Epp.  V,  616. 

^j  S.  Tang)  im  NA.  XXVII,  25—32. 

■*)  Lupi  epp.  1  u.  4,  Epp.  VI,  7,  9  (wiederholt  bei  Ideler,  Leben  Karls 
d.  Gr.'ir,  138  ff.).  P^inhard  widmete  ihm  eine  Schrift  de  adoranda  cruce, 
welche  E.  Dümmler,  NA.  XI,  231—238,  Epp.  V,  146—149  entdeckt  hat; 
vgl.  Kurze,  Einhard  S.  83. 

^)  Das  Jahr  840  hat  Jaffe  den  Fulder  Totenannalen  (Dronke,  Traditt. 


I-änhards  Briefe  und  Lel)en  Karls.  203 

Ruhestätte^).  In  der  Abtswürde  folgte  ihm  sein  Schüler  Ratleik, 
einst  sein  Schreiber,  jetzt  Ludwigs  des  Deutschen  Kanzler^). 

Eine  reiche  Quelle  für  die  Geschichte  des  letzten  Jahrzehnts 
von  Ludwigs  des  Frommen  Regierung,  leider  nicht  für  die  frühere 
Zeit,  bieten  uns  die  Briefe  Einhards  und  anderer  an  ihn,  oder  die 
auf  irgend  eine  "Weise  in  seinen  Besitz  gekommen  waren''),  welche 
in  seinem  Genter  Kloster  als  Muster  gesammelt  wurden ;  die  Eigen- 
namen wurden  als  überflüssig  meistens  beseitigt.  Die  Handschrift 
kam  mit  den  vor  den  Normannen  flüchtenden  Mönchen  nach  Laon, 
wo  sie  in  stark  beschädigtem  Zustande  geblieben  ist,  bis  Pertz  sie 
1827  dort  entdeckte,  worauf  sie  wenig  später  nach  Paris  gebracht 
wurde.  Nachdem  zuerst  Teulet  die  Handschrift  wieder  benutzt 
hatte,  liegen  nun  von  Jaff'e  und  noch  besser  von  Hampe  zu  be- 
quemem Gebrauche  kritisch  bearbeitete  Ausgaben  vor^). 

Einhards  berühmtestes   und  vollendetstes  Werk  ist: 


Das  Leben  Karls. 

Ausgabe  von  Pertz  MG.  SS.  II,  42(5—463.  Besonderer  Abchuck,  3.  Ausgabe  1863,  mit 
einem  Anhange  v.  Gedichten.  Ueber  später  gefundene  Handschriften  NA.  VI,  19'). 
Cod.  Monac.  17134  aus  Scheftlarn  mit  Interpolationen  a.  d.  Annalen  über  Tassilo, 
s.  Graf  Hundt  in  d.  S.  171  angef.  Abb.  S.  191.  Cod.  Paris.  4937  ist  mit  dem  Fonds 
Barrois  wieder  erworben.  Eine  Hs.  im  Katalog  von  1412  des  Kl.  Ameluugsborn, 
Dürre  im  Progr.  d.  Gyran.  zu  Holzmiuden  1876  S.  22.  Ideler,  Leben  u.  Wandel 
Karls  des  Grossen  voii  Eiuhard  (Text  mit  Kommentar  u.  Beilagen),  2  Bde.  1839. 
Ausg.  von  Jaffe,  Bibl.  IT,  487—581,  u.  bes.  Abdruck,  1867;  1876  cur.  W.  Watten- 
bach. Ed.  Waitz,  1880;  A.  Holder  1881.  Uebers.  von  0.  Abel,  Geschichtschr.  16 
(IX,  1)  1850,  1880,  3.  Aufl.  1S93.  Rest  einer  deutschen  Uebers.  aus  d.  13.  .Jahrh. 
von  F.  Pfaff,  Alemannia  N.  F.  I.  Verbesserungen  von  Fröhner,  Krit.  Analekten. 
Philologus,  Suppl.-Bd.  V,  S.  93.  Fr.  Schmidt,  De  Einhardo  Suet.  imitatore,  Progr. 
1880.    Manitius,  Anklänge  an  Yergil,  NA.  IX,  617,  an  Sulpicius  Severus,  Velleju.s 

p.  168,  jetzt  SS.  XIII,  174)  entnommen,  und  da  er  darin  billig  vorkommen 
mufs,  dürfen  wir  den  ohne  jede  nähere  Bezeichnung  gesetzten  Namen 
wohl  auf  ihn  beziehen.  Die  Ann.  S.  Bavonis  (MG.  II,  187),  welche  844 
(Chron.  S.  Bavonii?  bei  De  Smet,  Corp.  I,  483  auch  d.  25.  Juli)  geben, 
sind  eine  ganz  unzuverlässige  späte  Kompilation.  Den  14.  März  geben 
die  Nekrologien  von  Lorsch  (Boebmer,  Fontes  III ,  14(3 ,  wo  Einhardi  zu 
verb.  ist)  und  Fulda  (SS.  XIII,  166)  und  eine  Aufzeichnung  saec.  IX  im 
Cod.  Vat.  Pal.  1448  bei  Dümmler,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XXI,  76;  den 
21.  März  das  Würzburger  bei  Eckhardt,  Comm.  II,  320,  und  Dümmler. 
Forsch.  VI.  116. 

')  Poet.  Lat.  II.  237. 

2)  S.  über  ihn  Dümmler,  Ostfr.  II,  432. 

^)  Der  Brief  an  den  Kaiser  über  den  Kometen  von  837  (Bibl.  IV,  459) 
ist  einzeln  vollständiger  erhalten,  NA.  I,  585;  II,  450,  Epp.  V,  129:  vgl. 
Kurze,  Einhard  S.  84. 

•")  Bibl.  IV,  437—486;  Epp.  V,  105—145,  641;  vgl.  Kurze,  Einhard 
S.  32  ff.,  46  ff.,  72  ff.  Es  fehlen  ein  Brief  der  Gemeinde  von  Sens  an  E. 
(Epp.  V,  286),  s.  Simson  I,  302  Anm.  2,  und  ein  nicht  unwichtiger,  doch 
nicht  von  E.  kommender  Brief  an  Lothars  Gemahlin  Hermengard,  Teulet 
II,  146  (Du  Chesne  II,  710.     Mab.  Ann.  1.  28  n.  48);   Epp.  V,   343—345. 


204  -fl-  Karolinger.     §  8.    Einhard. 

und  Curtius  ib.  XII.  205,  206;  au  Justin  XIII.  213.  Nachträge  zu  Einliardä  Stil, 
Mitteil,  des  Inst.  XVIII,  610-G15.  E.  Bernheim,  Waitz-Aufsätze  S.  73—96,  über 
das  Verhältnis  zu  Sueton  und  zu  den  Ann.  Einhardi,  die  er  benutzt  habe,  vgl. 
NA.  XII,  427.  G.  Janke,  Der  Eiuflufs  Suetons  auf  die  histor.  Richtigkeit  Ein- 
hards  in  der  V.  K.,  Berlin  1872.    Hauck  11,  176—180. 

, Einhard",  sagt  Ranke  zur  Kritik  fränkisch- deutscher  Reichs- 
annalisten S.  416^),  , hatte  das  unschätzbare  Glück,  in  seinem  grofsen 
Zeitgenossen  den  würdigsten  Gegenstand  historischer  Arbeit  zu 
finden  ;  indem  er  ihm,  und  zwar  aus  persönlicher  Dankbarkeit  für 
die  geistige  Pflege,  die  er  in  seiner  Jugend  von  ihm  genossen,  ein 
Denkmal  stiftete,  machte  er  sich  selbst  für  alle  Jahrhunderte  un- 
vergefslich." 

,  Vielleicht  in  keinem  neueren  Werke  tritt  nun  aber  die  Nach- 
ahmung der  Antike  stärker  hervor,  als  in  Einhards  Lebensbeschrei- 
bung Karls  des  Grofsen.  Sie  ist  nicht  allein  in  einzelnen  Ausdrücken 
und  der  Phraseologie,  sondern  in  der  Anordnung  des  Stoffes,  der 
Reihenfolge  der  Kapitel  eine  Nachahmung  Suetons.  Wie  auffallend, 
dafs  ein  Schriftsteller,  der  eine  der  gröfsten  und  seltensten  Gestalten 
aller  Jahrhunderte  darzustellen  hat,  sich  dennoch  nach  Worten  um- 
sieht, wie  sie  schon  einmal  von  einem  oder  dem  anderen  Imperator 
gebraucht  worden  sind.  Einhard  gefällt  sich  darin,  die  individuellsten 
Eigenheiten  der  Persönlichkeit  seines  Helden  mit  den  Redensarten 
zu  schildern,  die  Sueton  von  Augustus,  oder  Vespasian,  oder  Titus, 
oder  auch  hie  und  da  von  Tiberius  gebrauchte.  Er  hat  gleichsam 
die  Mafse  und  Verhältnisse  nach  dem  Muster  der  Antike  eingerichtet, 
wie  in  seinen  Bauwerken :  aber  damit  noch  nicht  zufrieden,  wendet 
er  wie  in  diesen  auch  sogar  antike  Werkstücke  an.  Wenn  wir 
auch  überzeugt  sind,  dafs  hierbei  die  Wahrheit  nicht  verletzt  wurde, 
so  konnte  doch  die  ganze  Originalität  der  Erscheinung  auf  diese 
Art  nicht  wiedergegeben  werden.  Ueberhaupt  suchen  wir  in  der 
Geschichte  nicht  allein  Schönheit  und  Form ,  sondern  die  exacte 
Wahrheit,  deren  Ausdruck  die  freieste  Bewegung  fordert  und  da- 
durch eher  erschwert  wird ,  dafs  man  sich  ein  bestimmtes  Muster 
vor  Augen  stellt." 

„Ohne  Zweifel  war  die  Absicht  Einhards  mehr  auf  eine  ange- 
nehm zusammenfassende  Darstellung,  als  auf  strenge  Genauigkeit 
in  den  Thatsachen  gerichtet.  Das  kleine  Buch  ist  voll  von  histori- 
schen Fehlern." 

, Nicht  selten  sind   die  Regierungsjahre  falsch  angegeben,   z.  B. 

')  Ges.  Werke  LI,  LH,  96.  S.  121 — 124  sind  hier  weitere  Bemerkungen 
hinzugefügt  über  die  Ungenauigkeit  im  ersten  Teil ,  während  für  die 
zweite  Hälfte  wertvolle  Nachrichten  gegeben  werden. 


Einhards  Leiten  Karls  des  Grofsen.  205 

bei  Karlmann,  der  nur  zwei  Jahre  regiert  haben  soll,  während  er 
doch  über  drei  Jahre  als  König  neben  Karl  dem  Grofsen  lebte ; 
über  die  Teilung  des  Reiches  zwischen  den  beiden  Brüdern  wird 
eben  das  Gegenteil  von  dem  behauptet,  was  wirklich  stattgefunden 
hat :  Schlachten  ,  die  ohne  besondere  Wirkung  vorübergingen ,  wie 
die  an  der  Berre,  werden  als  entscheidend  bezeichnet;  Namen  der 
Päpste  wei'den  verwechselt,  die  Gemahlinnen  sowohl,  wie  die  Kinder 
Karls  des  Grofsen  nicht  richtig  aufgeführt;  es  sind  so  viele  Ver- 
stöfse  zu  bemerken,  dafs  man  oft  an  der  Echtheit  des  Buches  ge- 
zweifelt hat,  obwohl  sie  über  allen  Zweifel  erhaben  ist." 

So  weit  Ranke,  zu  dessen  scharfer  Charakteristik  ich  nur  wenig 
hinzuzufügen  habe.  Gerade  in  diesem  Wei'ke  tritt  die  Eigentüm- 
lichkeit der  karolingischen  Bildung  am  deutlichsten  hervor ;  unmög- 
lich kann  der  fränkische  Volkskönig  in  diesen  suetonischen  Aus- 
drücken zur  vollen  Erscheinung  kommen.  Nur  darf  man  auch 
nicht  vergessen ,  dafs  Einhard  eben  den  Volkskönig  kaum  noch 
kannte,  sondern  hauptsächlich  nur  den  alternden  Kaiser,  der  selber 
nach  der  Wiederbelebung  des  antiken  Wesens  trachtete,  dessen 
Streben  in  vieler  Hinsicht  auf  die  Herstellung  des  alten  Imperatoren- 
reiches gerichtet  war,  und  der,  wenn  ihm  auch  die  Einführung  der 
staatlichen  Formen  jener  Zeit  fern  lag,  doch  durch  seine  grofse 
persönliche  Ueberlegenheit  so  ehrfurchtgebietend  dastand,  und  so 
sehr  die  Seele  der  ganzen  Herrschaft  war,  dafs  es  nicht  so  ganz 
unpassend  Avar,  ihn  dem  Augustus  zu  vergleichen  und  die  Farben 
des  Bildes  von  dem  Biographen  der  Imperatoren  zu  borgen.  Auch 
dankt  er ,  und  wir  mit  ihm ,  dem  Sueton  mehr  als  nur  die  Aus- 
drücke, Keine  Biographie  des  Mittelalters  stellt  uns  ihren  Helden 
so  vollständig  und  plastisch  nach  allen  Selten  seines  Wesens  dar. 
Das  ist  die  Frucht  der  Kategorien,  welche  Einhard  bei  seinem  Vor- 
bilde fand').  Indem  er  diesen  gewissenhaft  folgte,  wurde  er,  wie 
Jaflfe  (S.  501)  richtig  bemerkt,  veranlalst,  viele  Umstände  zu  er- 
wähnen, welche  er  sonst  wahrscheinlich  übersehen  haben  würde. 

Dafs  Einhard  sich  bei  diesem  Werke  nicht  eine  eigentliche  ge- 
schichtliche Darstellung  zur  Aufgabe  gewählt  hatte,  bemerkt  auch 
Ranke ;  er  wollte  ein  Lebensbild  entwerfen ,  eben  nach  der  Weise 
des  Sueton.  und  diesen  Zweck  hat  er  vollständig  erreicht.  Er  ver- 
fafste  dieses  Werk  unmittelbar  nach  des  Kaisers  Tode;  schon  821 
linden  wir  es  im  Reichenauer  Bibliothekskatalog  genannt"),  um  830 

')  Vgl.  über  die  Hs.  des  Sueton  in  Fulda  und  ihre  Verbreitung  Traube 
im  NA.  XXVII,  266. 

^)  Neugart,  Ep.  Constant.  I,   1,  540. 


206  If-  Karolinger.     §  8.    Einhard. 

von  einem  Zeitgenossen  erwähnt  und  benutzt.  Noch  stand  das  Bild 
seines  väterlichen  Freundes  in  voller  Frische  vor  seinem  Geiste,  und 
die  etwas  kalte  Eleganz  der  Form  wird  durchwärmt  von  der  kind- 
lichen Verehrung  und  Anhänglichkeit,  von  welcher  der  Verfasser 
ganz  erfüllt  ist,  und  die  sich  überall  ausspricht,  ohne  dafs  doch 
das  Lebensbild  in  eine  Lobrede  ausartete.  Vielmehr  tritt  die  ruhige 
Mäfsigung,  welche  Einhards  Charakter  eigen  ist,  auch  hierin  deut- 
lich hervor,  und  seine  reine  Wahrheitsliebe  ist  unverkennbar,  wenn 
er  auch    die  Schwächen    seines  Helden    mit   leichter  Hand   berührt. 

Ein  Werk,  welches  diesem  an  Vollendung  der  Form,  wie  an 
ansprechendem  Inhalte  zu  vergleichen  wäre,  hatten  die  germanischen 
Nationen  noch  nicht  hervorgebracht,  und  so  ist  es  denn  auch  nicht 
zu  verwundern,  dafs  es  rasch  die  gröfste  Verbreitung  fand  und 
jahrhundertelang  zu  den  beliebtesten  und  gelesensten  Büchern  ge- 
hörte; bald  nach  seiner  Vollendung  wird  es  von  dem  jungen  Lupus, 
der  es  in  Fulda  gelesen  hatte,  mit  warmer  Begeisterung  gepriesen 
(oben  S.  202) ;  Walahfrid  teilte  es  in  Kapitel  und  schrieb  dazu 
jenen  so  wertvollen  Prolog,  dem  wir  die  wichtigsten  Lebens- 
nachrichten über  Einhard  verdanken.  Noch  jetzt  sind  mehr  als 
80  Handschriften  davon  uns  bekannt,  und  seit  den  Biographen  Lud- 
wigs des  Frommen  sind  die  Chronisten  nicht  müde  geworden,  es 
auszuschreiben. 

Nachdem  die  Vita  Karoli  schon  1521  (oben  S.  6)  und  dann  sehr 
häufig  gedruckt  war,  hat  Pertz  1829  mit  übergrofser  Fülle  von 
Varianten  eine  Ausgabe  gegeben,  deren  Text  nicht  überall  den  Vor- 
zug vor  den  älteren  Ausgaben  verdient').  JafTe  hat  in  seiner  neuen 
Ausgabe  1867  eine  früher  übersehene  Pariser  Handschrift  zu  Grunde 
gelegt,  und  endlich  Walahfrids  Prolog  damit  verbunden,  welchen 
Pertz  mit  der  ihm  eigenen  Starrheit  auch  noch  in  der  neuesten 
Ausgabe  unberücksichtigt  gelassen  hatte-).  Doch  hat  auch  diese 
Grundlage  sich  nicht  zu  bewähren  vermocht.  Waitz  hat  die  Ueber- 
schätzung  der  nicht  mustergültigen  Pariser  Hs.  nachgewiesen,  und 
endlich  mit  Benutzung  neuer  Hilfsmittel  und  Unterscheidung  ver- 
schiedener Rezensionen,  die  vielleicht  an  Einhard  selbst  hinanreichen, 
einen  neuen  besser  gesicherten  Text  hergestellt. 


')  S.  Jaffe  in  der  Bibl.  IV,  504. 

-)  Beigegeben  ist  dagegen  hier  eine  schlecht  gezeichnete  Abbildung 
des  Commoduskopfes ,  mit  welchem  Karl  siegelte ,  die  Pertz  irrig  für 
Karls  Porträt  hielt. 


Der  Mönch  von  St.  Gallen.     Die  Karlssage.  207 

Häufig  finden  sich  in  Handschriften  das  Leben  Karls  und  die 
Reichsannalen  als  erstes  und  zweites  Buch  miteinander  verbunden; 
als  drittes  tritt  dann  die  Schrift  des  Mönches  von  St.  Gallen^) 
hinzu,  in  welchem  man  jetzt  Xotker  den  Stammler  erkannt  bat, 
der  im  Jahre  883 ,  veranlalst  durch  Kaiser  Karl  III. ,  den  reichen 
Schatz  von  Erzählungen  und  Sagen  aufzeichnete,  welche  sich  im 
Munde  des  Volkes  an  Karl,  an  seinen  Sohn,  und  den  Enkel,  Ludwig 
den  Deutschen,  knüpften.  Da  ist  nun  nichts  mehr  von  Einhards 
klassischer  Form  zu  finden,  die  Sprache  ist  etwas  schwerfällig  und 
unbeholfen  und  der  Inhalt  keine  Geschichte;  nur  selten  und  mit 
grofser  Vorsicht  ist  ein  Vorfall,  der  hier  erzählt  wird,  als  wirkliche 
Thatsache  hinzunehmen. 

Aber  um  keinen  Preis  möchten  wir  doch  diese  Sammlung  ent- 
behren. Sie  zeigt  uns  das  Bild  des  grofsen  Kaisers,  wie  es  im  Volke 
lebte  und  bis  dahin  sich  gestaltet  hatte ,  und  mancher  höchst  cha- 
rakteristische Zug  hat  sich  nur  hier  erhalten^).  Der  gute,  treu- 
herzige Mönch,  der  uns  so  lebendig  mitten  unter  das  Volk  und 
seine  Erzählungen  führt,  hat  deshalb  den  gröfsten  Anspruch  auf 
unseren  Dank,  und  wir  müssen  sehr  bedauern,  dafs  er  sein  Werk, 
wie  es  scheint,  nicht  vollendet  hat. 

Der  üebersetzer  dieser  Schrift  hat  sich  bemüht,  die  Anfänge 
karolingischer  Sage  weiter  zu  verfolgen,  und  die  Spuren  davon  zu 
sammeln ;  ihm  war  dabei  in  der  ersten  Ausgabe  eine  merkwürdige 
Stelle  entgangen,  die  Angabe  in  dem  Leben  der  Königin  Mahthild, 
daCs  der  Krieg  zwischen  Karl  und  Widukind  durch  einen  Zweikampf 
beider  entschieden  sei:  nach  langem  Widerstände  besiegt,  habe  Widu- 
kind sich  taufen  lassen^). 

1)  Monachus  SaugaUensh-  ed.  Pertz,  MG.  SS.  II,  726 — 763.  Neue  Ausg. 
von  Jafle,  Bibl.  IV,  619  —  700  mit  Benutzung  der  abweichenden  Zwiefalter 
(Stuttg.)  u.  Wiblinger  (St.  Flor.)  Handschriften,  welche  jedoch,  wie  Gerold 
Meyer  von  Knonau  zu  Ratperti  Casus  S.  Galli  S.  255  nachzuweisen  suchte, 
durch  spätere  Ueberarbeitung  und  Interpolation  verändert  sind,  weshalb 
der  Text  nicht  nach  ihnen  hätte  gestaltet  werden  sollen.  Auch  Zeumers 
entgegengesetzter  Ansicht  wollte  sich  Wattenbach  nicht  anschliefsen. 
Eine  aus  Tegernsee  stammende  unvollst.  Hs.  ist  für  die  Pariser  Bibl.  er- 
worben, Nouv.  acq.  lat.  310.  Uebersetzung  von  W.  Wattenbach,  Berlin 
1850,  1877,  1890  (Geschichtschr.  26,  IX,  11).  Zu  dem  Spielmannsreim 
auf  Udalrich  I,  13  vgl.  Steinmeyer,  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XX,  Anz.  S.  147. 
Müllenhoff  u.  Scherer,  Denkm.  I,  21 ;  II,  59  ff.  Ueber  benutzte  Schriften 
Simson,  Karl  d.  Gr.  IT,  612—615.     Vgl.  unten  §  15. 

')  Unter  den  Seligen  erscheint  Karl  in  der  vielleicht  aus  Fleury 
stammenden  Visio  Fotcharii ,  welche  nach  einem  Auszuge  bei  Mabillon, 
Acta  SS.  IV,  1,  667  Wattenbach  aus  der  jetzt  Petersburger  Hs.  heraus- 
gegeben hat.     Anz.  des  German.  Mus.  XXII,  73. 

^)   MG.  SS.  X,  576.     Zu  erwähnen   ist  noch   die  nach  der  Mitte  Hes 


208  II-  Karolinger.     §  8.    Einhard. 

Mit  den  Kreuzzügen  artete  die  Karlssage  aus  und  verlor  allen 
geschichtlichen  Inhalt;  besonders  die  Aachener  Reliquien  brachten 
die  Erzählung  von  Karls  Kreuzfahrt  zu  allgemeiner  Geltung,  und 
fortan  treten  die  Lügen  des  falschen  Turpin  an  die  Stelle  von  Ein- 
hards  treuer  Schilderung.  Wie  daneben  im  Munde  der  fahrenden 
Sänger  das  Andenken  Karls  sich  erhielt  und  umwandelte,  darüber 
genügt  es  auf  das  schöne  Werk  von  Gaston  Paris,  Hisfoira  X'oetique 
de  Charlemagne  (Paris  1865)  zu  verweisen'). 

Eine  Schrift  Einhards  bleibt  uns  noch  zu  erwähnen,  sein  Bericht 
nämlich  von  der  Uebertragung  der  »Gebeine  der  heiligen  Märtyrer 
Marcelliuus  und  Petrus  von  Rom  nach  Seligenstadt^).  Im  Jahr  827 
geschah  die  Ueberbringung,  und  830  verfalste  Einhard  die  sehr  an- 
ziehend geschriebene  Darstellung  derselben.  Wir  sehen  darin,  wie 
er  sich  mehr  und  mehr  von  dem  weltlichen  Leben  abwandte  und 
der  kirchlichen  Richtung  hingab  ,  wundergläubig  in  hohem  Grade 
und  ganz  mit  der  Pflege  seiner  Pflanzung  im  Odenwalde  beschäftigt; 
ganz  vorzüglich  betrübte  ihn ,  dafs  bei  der  Krankheit  seiner  ge- 
liebten   Imma    die  Zuversicht    auf  die  Wunderkraft   der   Reliquien 

9.  Jahrhunderts  in  Mainz  aufgezeichnete  Visio  domni  Caroli ,  gegen  die 
Ausbeutung  der  Kirchengüter  durch  seine  Nachfolger  gerichtet,  bei  Graff, 
Althochdeutscher  Sprachschatz  III,  855.  Bibl.  IV,  701,  übersetzt  bei 
Abel,  Kaiser  Karls  Leben,  2.  Aufl.  S.  68 ;  Gengier,  Germ.  Rechtsdenkmäler 
(1875)  S.  237.  Vgl.  Falk,  NA.  XI,  617.  Ferner  das  von  Pertz  SS.  III,  708 
mitgeteilte  Haager  Fragment  über  Karls  Expeditio  Hispanica  (wiederholt 
bei  G.  Paris ,  Hist.  poet.  de  Charlemagne ,  S.  465 ,  vgl.  50  und  89 ,  und 
gröfstenteils  in  Hexameter  zurückgeführt  in  den  Münch.  SB.  1871  S.  328 
bis  342  von  Hofmann ,  der  es  dem  Sagenkreise  von  Wilh.  v.  Orense  zu- 
weist, neue  Ausgabe  bei  Suchier,  Les  Narbonnais  II,  167 — 192  mit  franz. 
Uebersetzung  u.  Faksimile  der  dem  11.  Jahrh.  angehörenden  Hs.,  der  es 
für  eine  Schülerarbeit  hält,  vgl.  v.  Winterfeld  im  NA.  XXII,  756 — 760, 
Zeitschr,  f.  D.  Altert.  XLV,  133)  und  die  Sagen  des  Chron.  Novaliciense. 
Auch  die  Vita  S.  Arnoldi,  Acta  SS.  Jul.  IV,  449—452,  ist  geschichtlich 
unbrauchbar,  enthält  aber  eine  sagenhafte  Geschichte  von  einem  Leier- 
spieler, der  sich  von  Kaiser  Karl  den  Wald  bei  Arnsweiler  im  Jülichschen 
für  die  umliegenden  Dörfer  erbittet;  vgl.  Rettberg  I,  548.  Die  aus  Petrus 
Damiani  zum  Mon.  Sangall.  S.  101  mitgeteilte  Geschichte  findet  sich,  auf 
den  Maurenkönig  übertragen,  bei  Tui'pin  wieder.  Ein  wirkliches  Denk- 
mal der  Schlacht  bei  Roncevaux,  deren  Tag  (15.  Aug.  778)  allein  dadurch 
bekannt  wird ,  ist  das  Epitaphium  Aijgiardi  (Karls  Truchsefs  Eggihard), 
von  Dümmler  mitgeteilt  in  Haupts  Zeitschr.  XVI,  279;  vgl.  S.436,  und 
Gaston  Paris  in  der  Zeitschr.  Romania  II,  146  —  148,  der  im  Anschlüsse 
daran  im  Turpin  ein  vielleicht  echtes  Epitaphium  Rutlandi  nachweisen 
wollte.  Beide  jetzt  Poet.  Car.  I,  109;  doch  ist  letzteres  aus  Venantius 
Fortunatus  zusammengestoppelt  und  schwerlich  alt. 

')  Vgl.  auch  Gast.  Paris,  L'anneau  de  Fastrade,  Journal  des  savants 
1896,  S.  637—643.  718—730. 

^)  Translatio  et  Miracula  SS.  Marcellini  et  Petri  ed.  G.  Waitz,  SS.  XV, 
1,  288—264. 


Einhards  Schriften.  209 

ihn  so  völlig  getäuscht  hatte.  Diese  hohe  Verehrung  der  Reliquien 
teilte  er  mit  allen  seinen  Zeitgenossen,  und  eben  wegen  dieser  Ver- 
ehrung haben  die  zahlreichen  Uebertragungen  solcher  Gebeine  für 
uns  auch  geschichtlichen  Wert').  Auf  ihnen  beruhte  grofsenteils 
der  Einflul's  der  Kirchen ;  besonders  verehrte  Reliquien  verschafften 
ihnen  unermefslichen  Zulauf:  der  Ruf  von  geschehenen  Wundern 
verbreitete  sich  weithin,  und  ohne  Zweifel  wurde  dadurch  die  Aus- 
breitung des  Christentums ,  z.  B.  in  Sachsen ,  sehr  wesentlich  be- 
fördert. Aus  den  genauen  Beschreibungen  der  Reise,  wie  aus  den 
Erzählungen  von  den  Wundern ,  ist  zugleich  vieles  für  die  Sitten- 
geschichte wie  für  die  Topographie  nicht  unwichtige  zu  entnehmen, 
wie  das  namentlich  in  Bezug  auf  die  damalige  Art  zu  reisen  aus 
Einhards  Werk  von  W.  Matthaei  nachgewiesen  ist^).  Merkwürdig 
ist  auch  die  Unverschämtheit,  womit  man  im  11.  Jahrhundert  im 
Medarduskloster  versucht  hat,  mit  entsprechender  Verfälschung  von 
Einhards  Schrift  sich  die  Leiber  der  heiligen  Tiburtius,  Marcellinus 
und  Petrus  anzueignen^). 

Dafs  auch  die  in  rhythmischer  Form  bearbeitete  Passio  der 
Märtyrer  Einhard  zuzuschreiben  sei,  wie  schon  Teulet  meinte,  und 
wie  eine  aus  Fleury  stammende  Handschrift  angibt,  ist  kaum  zu 
bezweifeln.  Wenn  auch  seine  ganze  Richtung  der  antiken  Weise 
zugewandt  war,  so  kann  er  doch  für  diesen  ihm  so  am  Herzen 
liegenden  Gegenstand  die  mehr  populäre  Form  sehr  wohl  vorgezogen 
haben"*).  Nach  Sigebert  (SS.  eccles.  c,  84)  verfafste  Einhard  auch 
einen  Auszug  aus  den  Psalmen,  von  dem  eine  Handschrift  in  Bobbio 
vorhanden  war^). 

Es  bleibt  uns  nun  noch  die  Besprechung  der  Annalen  übrig, 
wobei  zu  bemerken  ist,  dafs  F.  Kurze  der  Meinung  huldigt,  Einhard 
habe  für  sein  Genter  Kloster  die  sogenannten  Annales  Sithienses,  für 
Fulda  die  Fuldenses  verfafst,  das  erstere  weist  auch  Bloch  nicht 
ganz  von  der  Hand,  das  letztere  wix'd  durch  die  Ableitung  aus  den 
Ann.  Einhardi  ausgeschlossen. 


')  Vgl.  S.  Beissel,  Die  A'erehrung  der  Heiligen  und  ihrer  Reliquien 
in  Deutschi,  bis  zum  Beginn  des  13.  Jahrb.,  Freiburg  1890. 

^)  Translatio  SS.  M.  et  P.  in  kulturgeschichtlicher  Beziehung.  Pro- 
gramm aus  Laubach  1884. 

^)  Translatio  .SX  Tihurtii,  Marcellini  et  Petri  ad  S.  Medardum  ed. 
Holder-Egger  SS.  XV,  391—395. 

*)  Neue  Ausg.  mit  Einteilung  in  dreizeilige  Strophen,  von  Dümmler, 
Poet.  Car.  II,  125—135,  vgl.  auch  Kurze,  Einhard  S.  61. 

^)  NA.  XVI,  173. 

Wattenbach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  14 


210  I^-  Karolinger.     §  9.    Reichsannalen, 


§  9.     Die  Reichsannalen. 

MG.  SS.  I,  124—218;  besonderer  Abdruck  1845.  Annales  regni  Francorum  741—829, 
qui  dicuntur  A.  Lauriss.  maj.  et  Einliardi,  ed.  Fr.  Kurze,  Hann.  1.89.5,  dazu  lieber 
die  frank.  Reichsanual.  u.  ihre  üeberarbeitung.  I.  Die  bist.  Ueberlieferung  NA. 
XIX,  295—329;  11.  Quellen  u.  Verf.  des  ersten  Teiles  XX,  9-49;  III.  Die  2.  Hälfte 
und  die  üeberarbeitung  XXI,  9—82,  vgl.  die  Strassb.  Dissert.  von  Wibel,  Beitr. 
zur  Kritik  der  Ann.  regni  Franc,  und  der  Ann.  q.  d.  Einhardi,  1902,  der  die 
Grundlagen  von  Kurzes  Handschriftenkritik  erschüttert.  Frese,  De  Einhardi 
Vita  et  Scriptis  Specimen,  Diss.  Berol.  1845  (gegen  die  Autorschaft  Einhards). 
0.  Abel,  Einhards  Jahrbuch.,  Berlin  1850,  1880  (Geschichtschreib.  17,  IX,  2). 
L.  Ranke,  Zur  Kritik  fränkisch-deutscher  Reichsannalisten,  Abhandlungen  der 
Berliner  Akademie  1854  S.  415— 435;  vermehrt  Ges.  Werke  LI— LH.  G.  Waitz,  Zu 
den  Lorscher  u.  Einhards  Annalen,  Gott.  Nachrichten  1857  S.  46-52.  B.  Simson, 
De  statu  questionis:  siutne  Einhardi  necne  sint  quos  ei  ascribunt,  Anuales 
Imperii,  Diss.  Regiom.  1860.  W.  Giesebrecht,  Die  fränkischen  Königsannalen  u. 
ihr  Ursprung,  im  Münchener  Hist.  Jahrb.  (1864)  S.  186—238.  G.  Monod,  Revue 
crit.  1873  N.  42;  fitudes  crit.  sur  Ics  sources  de  l'hist.  Carolingienne,  Paris  1898, 
angez.  von  Bloch,  Gott.  Gel.  Anz.  1901  S.  872—897.  Fr.  Ebrard,  Reichsannalen 
741—829  u.  ihre  Umarbeitung,  Forsch.  XIII,  425—472.  E.  Dünzelmann,  Beiträge 
zur  Kritik  der  Karol.  Annalen,  NA.  II,  475— Ü37.  H.  v.  Sybel,  HZ.  XLII,  260-288 
(Kl.  Sehr.  III,  1  ff.).  Entgegnung  Simsons,  Forsch.  XX,  205— 214.  Replik  von 
Sybel,  HZ.  XLIII,  410.  Duplik  von  Simson,  Karl  d.  Gr.  II,  604-611.  Harnack, 
Das  karoling.  u.  das  byz.  Reich  (1880),  Excurs.  Manitius,  Die  Ann.  Sithienses, 
Lauriss.  min.  u.  Enharti  Fuld.  (Diss.  Lips.  1881).  Manitius,  Einhards  Werke  u. 
ihr  Stil.  NA.  VII,  517—568.  Is.  Bernays,  Zur  Kritik  Karol.  Annalen,  Strassb.  1883. 
Dorr,  NA.  X,  241—305.  Nachwort  von  Sybel  S.  305-307.  Dorr  (Ann.  Lanr.  796 
bis  829  doch  von  E.)  XI,  475—488.  Sybel  dagegen  S.  489.  Horst  Kohl  (Ueberblick) 
in  G.Richters  Ann.  d.  deutschen  Gesch.  2.  Abteil.  S.  697—714  (1887).  B.  Simson, 
Karl  d.  Gr.  I  (1868)  S.  1—5,  657-664.  Progr.  von  Seraphim,  Fellin  1887,  s.  NA. 
Xm.  654.  Bemerkungen  von  Manitius,  Mitteil.  d.  Inst.  X,  417  ff.  (NA.  XV,  211) : 
ib.  xm,  22,5—238.  Faks.  d.  Wiener  Hs.  v.  Ann.  Einh.  in  E.  Berners  Gesch.  des 
pr.  Staats  I,  1890. 

Die  Bestrebungen  der  gelehrten  Männer  an  Karls  Hofe  richteten 
sich  vorzugsweise  teils  auf  das  Studium  der  älteren  Litteratur  und 
die  formelle  Ausbildung,  teils  auf  theologische  und  philosophische 
Probleme;  mit  geschichtlichen  Forschungen  beschäftigten  sie  sich 
wenig.  Dem  Kaiser  jedoch  entging  die  Wichtigkeit  derselben  nicht, 
er  sorgte  wenigstens  dafür,  das  Andenken  seiner  eigenen  Zeit  zu 
erhalten.  Er  verordnete,  dafs  die  Gesetze  und  die  Beschlüsse  der 
Reichstage  seiner  Zeit  in  mehreren  Exemplaren  an  verschiedenen 
Orten  sorgfältig  aufbewahrt  werden  sollten ;  die  Schreiben  der  Päpste 
und  der  griechischen  Kaiser  an  ihn,  seinen  Vater  und  Grofsvater 
liefs  er,  im  vollen  Bewufstsein  der  überwiegenden  Wichtigkeit  dieser 
Verhältnisse,  in  einem  eigenen  Buche  zusammenfassen,  dem  Codex 
Carolinus,  dessen  erster  Teil  uns  noch  erhalten,  und  eine  der  wich- 
tigsten   Geschichtsquellen   istO-     Aufserdem   aber   vergafs    er   auch 

^)  Sehr  verdienstliche  Ausgabe  von  Jaffe,  Bibl.  IV,  1 — 306,  danach 
von  Gundlach,  Epp.  III,  469—657;  die  Briefe  Leos  III.,  Bibl.  IV,  307 
bis  334,  von  Hampe,  Epp.  V,  85 — 104.  Phototypie  einer  Seite  des  Cod. 
bei  0.  V.  Heinemann,  Wolfenb.  Hss.  I,  S.  214.  Ueber  Jaffes  Ausgabe  s. 
Sickel  in  Sybels  hist.  Zeitschr.  XIX,  182—190,  über  Gundlachs  NA.  XVII, 
526—566  und  dagegen  XIX,  475;  XXII,  321.  S.  auch  Kehr,  Ueber  die 
Chronologie  der  Briefe  Pauls  I.,  Nachr.  der  Gott.  Ges.  der  Wiss.  1896 
Heft  2. 


Annales  Laurissenses  majores.  211 

nicht  die  Fürsorge,  welche,  wie  wir  oben  (S.  141)  sahen,  das  karo- 
lingische  Haus  schon  in  früherer  Zeit  der  Aufzeichnung  seiner 
Haus-  und  Landesgeschichte  gewidmet  hatte.  Wie  Paulus  Diaconus 
in  seiner  Geschichte  der  Bischöfe  von  Metz  den  Ahnherrn  der  Arnul- 
finger  verherrlichte,  ist  schon  erwähnt  (S.  1S3).  Dagegen  finden 
wir  keine  Spur  davon,  dafs  etwa  die  Fredegarische  Chronik  weitere 
Fortsetzungen  erhalten  hätte,  sie  scheint  vielmehr  damals  fast  ver- 
gessen zu  sein. 

Es  hatte  aber  inzwischen  die  anfangs  so  gar  dürftige  annalisti- 
sche Aufzeichnung  schon  begonnen,  sich  zu  einer  Art  von  Reichs- 
geschichte auszubilden ;  es  waren  nach  der  §  3  entwickelten  Ansicht 
hauptsächlich  die  Bischöfe,  vielleicht  auch  weltliche  Grofse,  welche 
bei  der  Pflicht  regelmäfsiger  Teilnahme  an  den  Reichstagen  und 
Heereszügen  das  Bedürfnis  empfanden,  die  Reihenfolge  der  Begeben- 
heiten übersehen  zu  können,  und  deshalb  ihre  Kleriker  zu  Aufzeich- 
nungen veranlafsten,  die  nach  und  nach  zusammenhängende  Gestalt 
gewannen  und  aus  anderen  Annalen  auch  in  ihrem  älteren  Teile 
ergänzt  würden.  Vorzüglich  Chrodegang  von  Metz  (742 — 766) 
scheint,  wie  oben  schon  (S.  161)  bemerkt  worden  ist,  zu  solcher 
Thätigkeit  angeregt  zu  haben.  Unter  den  Annalen  dieser  Art  zeich- 
nen sich  aber  in  ganz  besonderer  Weise  die  sogenannten  Annales 
Laurissenses  majores^  aus,  welche  in  gedrängter  Kürze  freilich, 
aber  doch  mit  vollständiger  Üebersicht  aller  Begebenheiten  die  ganze 
Regierung  Karls  begleiten.  Schrieb  man  früher  ihren  Ursprung  dem 
Kloster  Lorsch  zu,  wo  die  älteste  Handschrift  gefunden  ist,  so 
können  sie  doch  unmöglich  dort  oder  überhaupt  in  der  stillen  Zu- 
rückgezogenheit eines  Klosters  entstanden  sein,  L,  Ranke  ist  es, 
welcher  zuerst  mit  sicherem  Scharf  blicke  dieses  Verhältnis  erkannte 
und  jene  Annalen  zum  Gegenstand  einer  eindringenden  Untersuchung 
machte,  deren  Ergebnisse  seitdem  nicht  nur  fast  allgemeine  Zustim- 
mung gefunden,  sondern  auch  in  hohem  Grade  anregend  auf  die  weitere 
Forschung  gewirkt  haben.  In  der  Abhandlung,  welche  einen  wichtigen 
Fortschritt  für  unsere  Kenntnis  der  mittelalterlichen  Geschichtschrei- 
bung bezeichnet,  sagt  Ranke-)  in  Bezug  auf  diese  Jahrbücher :  ,Bei  dem 
alten  Annalisten  fällt  nun  zweierlei  auf,  einmal,  was  wir  eben  be- 

^)  Früher  auch  plebei  und  Loiseliani  genannt.  741  — s29,  ed. 
Pertz,  SS.  T,  1.34—218.  Hs.  7,  von  Pertz  nicht  benutzt,  ist  Paris.  .5941 A 
(NA.  IV,  244);  Hs,  8,  früher  dem  Baron  de  Grassier  gehörig,  ist  jetzt 
Paris.  10911;  nahe  verwandt  damit  eine  Petersburger,  Lat.  F.  Otd.  IV,  4. 
NA.  VII,  228. 

^)  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  aus  dem  Jahre  1854,  S.  434 
(Werke  LI,  11.5),'   Vgl.  auch  Kurze,  Einhard  S.  16. 


212  II-  Karolinger.     §  9.    Reichsannalen. 

rührten,  dafs  er  grofse  Unglücksfalle  verschweigt;  auch  von  den 
inneren  Stürmen,  den  dann  und  wann  auftauchenden  Verschwörungen 
gibt  er  keine  oder  nur  ungenügende  Nachricht,  —  sodann  aber, 
dafs  er  über  das,  was  er  berührt,  ausnehmend  gut  unterrichtet  ist. 
Ein  Mönch  in  seinem  Kloster  konnte  unmöglich  die  Dinge  so  genau 
erkunden,  wie  sie  hier  beschrieben  sind ;  wir  haben  Klosterannalen 
dieses  Landes  aus  derselben  Zeit,  allein  wie  sehr  sind  sie  verschieden ! 
Sie  berichten  nur  das  ganz  Allgemeine  der  auffallendsten  That- 
sachen.  Hier  aber  haben  wir  einen  Autor  vor  uns,  der  die  Züge 
der  Heere,  ihre  Zusammensetzung  und  Führung,  die  einzelnen 
Waflfenthaten  kurz  aber  sicher  angibt,  und  der  auch  von  den  Unter- 
handlungen bis  auf  einen  gewissen  Grad  zuverlässige  Kenntnis  hat.  Nie- 
mand konnte  über  die  Unternehmungen  gegen  Benevent  und  Bayern 
so  gute  Nachrichten  mitteilen,  der  nicht  dem  Rat  des  Kaisers  nahe- 
stand. Diese  beiden  Eigenschaften  zusammen,  gute  Kunde  und  grol'se 
Zui-ückhaltung,  scheinen  fast  auf  eine  offizielle  Abfassung  zu  deuten, 
die  aber  freilich  von  einem  Geistlichen  herrühren  müfste :  jede  Phrase 
bezeichnet  einen  solchen.  Es  würde  ein  in  den  Weltgeschäften  er- 
fahrener, und  mit  dieser  Thätigkeit  vielleicht  speziell  beauftragter 
Geistlicher  gewesen  sein,  der  diese  Notizen  am  Hofe  selbst  aufge- 
setzt hätte ;  in  rohem  Stil,  wie  ihn  die  Zeit,  welche  der  Einrichtung 
der  Hofschule  voranging,  wohl  erlaubte;  ein  Mann  der  alten  Art 
und  Weise,  die  sich  hier  durch  die  Nachwirkung  der  Ereignisse 
allein  höher  erhob  als  je  zuvor." 

Ranke  hat  in  diesen  Worten  eine  Ansicht,  die  er  mündlich  be- 
reits weiter  ausgeführt  hatte,  nur  leicht  angedeutet;  die  Ansicht, 
dafs  nicht  nur  diese,  sondern  auch  ein  Teil  der  späteren  Reichs- 
annalen amtlicher  Natur  waren ,  dafs  auf  Veranlassung  des  Hofes 
die  Zeitgeschichte  offiziell  verzeichnet  wurde ,  und  daraus  die  un- 
gemein rasche  und  bedeutende  Entwickelung  der  Annalistik  sich 
erklärt,  welche  später  auch  anderen  zum  Vorbild  diente,  die  nur 
aus  eigenem  Antrieb  die  Ereignisse,  welche  sie  erlebten,  darzustellen 
versuchten. 

Diese  Thatsache  selbst  in  ihrer  Allgemeinheit,  die  Thatsache, 
dafs  nach  dem  Vorgange  Childebrands  und  Nibelungs  auch  Karl 
für  eine  zuverlässige  Aufzeichnung  der  Begebenheiten  Sorge  trug, 
dafs  daraus  die  Jahrbücher  entstanden,  welche  wie  die  Vorzüge,  so 
auch  die  Fehler  und  Schwächen  aller  offiziellen  Geschichtschreibung 
aufweisen,  darf  man  als  erwiesen  und  anerkannt  betrachten,  wenn 
auch  dieser  Auffassung  seitdem  in  H.  v.  Sybel  ein  Gegner  er- 
standen ist.     Er  findet  zwar  in  den  Jahrbüchern  nichts,  was  nicht 


Amtliche  Geschiditschreibung.  213 

ein  Mönch  des  Klosters  Lorsch  mit  Leichtigkeit  habe  in  Erfahrung 
bringen  können.  Es  ist  jedoch  nicht  zu  glauben,  dafs  ein  Mönch 
so  anhaltend  und  in  so  gleich miifsiger  Weise  durch  viele  Jahre  hin- 
durch der  Erforschung  und  Darstellung  der  weltlichen  Vorgänge 
seine  Aufmerksamkeit  zugewandt  haben  sollte.  Und  mit  Recht  be- 
merkt Bernays,  dafs  er  ja  für  diese  Annalen  eine  gleichzeitige  Auf- 
zeichnung vor  788  nicht  annehme,  und  dafs  für  die  vergangenen 
Jahrzehnte  besagter  Mönch  doch  schwer  die  Kunde  der  Begeben- 
heiten sich  habe  verschaffen  können')-  Am  Hofe  müssen  die  An- 
nalen geschrieben  sein;  was  aber  den  amtlichen  Charakter  betrifft, 
so  muCs  vor  allen  Dingen  betont  werden ,  dafs  wir  durchaus  den 
unwillkürlich  stets  sich  einschleichenden  Gedanken  an  Zustände  und 
Verhältnisse  unserer  Zeit  zu  verbannen  haben ,  wo  jedes  offizielle 
Wort  sorgsam  geprüft  und  gesichtet  wird.  In  solcher  Weise  amtlich 
sind  die  Lorscher  Annalen  gewifs  nicht  gewesen,  und  in  dieser  Be- 
ziehung kann  man  H.  v.  Sybel  und  Bernays^)  vollkommen  zustimmen. 
Wenn  wir  aber  doch  wissen,  dafs  Pippins  nächste  Angehörige  der- 
gleichen Aufzeichnungen  veranlafsten,  und  dal's  eine  Annalistik  dieser 
Art  im  Westfrankenreiche  unzweifelhaft  bestand,  wenn  wir  lesen, 
dafs  Smaragd,  der  843  gestorben  ist,  von  der  uralten  und  bis  auf 
seine  Zeit  bestehenden  Sitte  der  Könige  redet,  die  Begebenheiten  ihrer 
Zeit  aufzeichnen  zu  lassen''),  so  kann  man  sich  nicht  vorstellen,  dafs 
Karl  nicht  ebenfalls  dafür  Sorge  getragen  habe,  d.  h.  dafs  er  einen 
solchen  Auftrag  erteilte,  und  dafs  man  nun  ein  Buch  hatte,  welches 
in  der  Kanzlei  verwahrt  und  gelegentlich  vom  Könige  selbst  ange- 
sehen wurde.  Ein  ausdrückliches  Zeugnis  dafür  ist  allerdings  nicht 
vorhanden.  Durch  einen  Brief  Hinkmars  wissen  wir  ja ,  dafs  Karl 
der  Kahle  die  Annalen  des  Prudentius  bei  sich  hatte ,  wie  später 
auch  Friedrich  I.  die  ihm  übersandte  Chronik  des  Otto  von  Frei- 
sing benutzte.  Es  ist  dabei  durchaus  nicht  ausgeschlossen ,  dafs 
nicht  einmal  jahrelang  die  Arbeit  liegen  blieb  und  der  betreffende 

^)  Zur  Kritik  karol.  Annalen  S.  171.  Waitz  machte  gegen  den  Lorscher 
Ursprung  auch  geltend,  dafs  der  dort  schreibende  Vf.  der  Laur.  min.  sie 
nicht  gekannt  habe,  aber  das  bestreitet  wieder  Puckert.  Vgl.  auch  Kurze 
im  NA.  XX,  42—47. 

2)  S.  Itj9  ff. 

3)  Smaragdi  Praef.  V.  S.  Bened.  Anian.  (SS.  XV,  1,  201):  „Peranti- 
quam  siquidem  fore  consuetudinem  hactenus  regibus  usitatam,  quaequae 
geruntur  acciduntve  annalibus  tradi  2)osteris  cognoscenda,  nemo  ut  reor 
ambigit  doctus."  Vgl.  über  diese  Stelle  Kaufmann  in  Sybels  bist. 
Zs.  LIV,  56  —  58.  üeber  f]ckharts  verfehlte  Vermutung,  dafs  die  Annalen 
von  den  Kanzlern  verfafst  wären,  während  er  den  offiziösen  Ursprung 
richtig  erkannte,  s.  Sickel  Acta  Karol.  p.  83. 


214  II.  Karolinger.    §  9.    Reichsannalen. 

Autor  auch  manchmal  nachlässig  und  flüchtig  arbeitete.  Eine  amt- 
liche Nachi^rüfung  seiner  Arbeit  wird  nicht  stattgefunden  haben. 
Hinkmar  sagt  ausdrücklich,  dafs  die  Jahrbücher  des  Prudentius 
schon  in  vieler  Menschen  Hände  gekommen  seien,  und  da  eine  Ein- 
wirkung auf  die  öffentliche  Meinung  beabsichtigt  war,  wird  an 
Geheimhaltung  nicht  zu  denken  sein. 

Sicher  ist  es  nicht  diese  Quelle  gewesen,  welche  der  Verfasser 
der  Vita  Eigoberti  meinte ,  als  er  über  Karl  Martell  schrieb :  ,  De 
hoc  etenim,  non  rege  sed  tyranno,  ita  legitur  ad  locum  in  Annalibus 
diversorum  regum :  Iste  Karins  omnibus  audacior  episcopatus  regni 
Francorum  laicis  hominibus  et  comitibus  primum  dedit,  ita  ut  epi- 
scopis  nihil  potestatis  in  rebus  ecclesiarum  permitteret')."  Diese 
Stelle  ist  früher  nur  nach  dem  Auszug  in  Flodoards  Hist.  Rem.  II.  12 
angeführt  und  deshalb  gänzlich  mil'sverstanden  worden.  Der  Ver- 
fasser stand  der  Zeit,  über  welche  er  schrieb,  schon  sehr  fern,  und 
kann  nicht  sehr  viel  älter  sein ,  als  Flodoard  selbst ;  er  wird  ver- 
mutlich eine  jüngere  Kompilation  benutzt  haben. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  von  Simson  (S.  33)  aus  Hinkmar 
de  villa  Novilliaco  angeführten  Stelle  über  den  Beginn  der  Regierung 
Karls  und  Karlraanns  „sicut  in  annali  regum  scriptum  habemus*" 
(SS.  XV,  2,  1167).  Sie  findet  sich  wörtlich  in  den  Ann.  Lauriss. 
mit  Ausnahme  eines  Satzes,  der  aus  der  Cont.  Fred,  mit  Leichtig- 
keit zu  entnehmen  war.  Hinkmar  kann  also  eine  der  Bearbeitungen 
der  Lauriss.  vor  sich  gehabt  haben ,  und  ob  er  hier  eine  amtliche 
Quelle  hat  bezeichnen  wollen,  ist  ganz  zweifelhaft.  Abgesehen  also 
davon,  ob  und  wie  weit  den  Ann.  Lauriss.  ein  amtlicher  Charakter 
beizulegen  ist,  bleibt  die  Frage,  ob  es  noch  aufserdem,  wie  Bernays 
behauptet,  Hofannalen,  ein  Werk  von  viel  gröfserer  Bedeutung  und 
Zuverlässigkeit,  gegeben  habe,  eine  ungelöste  und  vei-mutlich  un- 
lösbare. Dem  Versuch  aber,  die  in  ihnen  nicht  enthaltenen  Nach- 
richten ,  welche  hier  oder  da  einmal  auftauchen ,  für  dergleichen 
Hofannalen  in  Anspruch  zu  nehmen,  ist  eine  ernsthafte  Bedeutung 
nicht  beizumessen ;  ein  solches  Werk ,  wenn  es  wirklich  vorhanden 
war,  hätte  deutlichere  Spuren  hinterlassen  müssen. 

Indem  ich  nun  also  mit  Kurze  an  der  Beziehung  der  Lauriss.  oder 
Königsannalen  zum  Hofe  festhalte,  ist  jetzt  der  Frage  über  ihre  Ab- 
fassung näher  zu  treten.  Schon  L.  Giesebrecht"),  dann  B.  Simson  haben 
den  Beweis  geführt,  dafs  die  Annales  Laurissenses,  wie  sie  uns  jetzt 


')  Acta  SS.  Jan.  I,  177. 

2)  Wendische  Geschichten  III,  283. 


ür.siiruiig  der  Annales  Laurissenses.  215 

vorliegen ,  nicht  gleichzeitig  Jahr  für  Jahr  entstanden  sind ,  was 
Pertz  nur  für  den  ersten  Teil  bis  768  zugab ,  und  W.  Giesebrecht 
bat  in  der  (S.  190)  angeführten  Abhandlung  diesen  Punkt  als  sicher- 
gestellt angenommen ,  die  Abfassung  des  ganzen  zusammenhängen- 
den ersten  Teils  um  das  Jahr  788  behauptet  und  dafür  allgemeine 
Zustimmung  gefunden. 

Seine  weitere  Vermutung  aber,  dafs  der  Sturz  des  bayrischen 
Herzogs  Tassilo  zu  dieser  offiziösen  Darstellung  der  Reichsgeschichte 
den  Anstol's,  einem  guten  Teile  derselben  die  Färbung  gegeben, 
schwebt  völlig  in  der  Luft,  ebenso  wie  die  vermeintliche  Autor- 
schaft Arns  von  Salzbu.rg,  von  dem  wir  nicht  einmal  wissen,  ob  er 
je  schriftstellerisch  thätig  war.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  durch 
Kurze  auf  den  Schild  erhobenen  Riculf  von  Mainz  ^).  Mutmafsungen 
dieser  Art  dürften  sich  doch  nur  auf  Männer  richten ,  denen  wir 
litterarische  Leistungen  überhaupt  zutrauen  können. 

Mit  Recht  hebt  M.  Manitius"),  der  Abfassung  im  Jahre  795 
behauptete,  die  Vertrautheit  des  Autors  mit  der  Rechts-  und  Ur- 
kundensprache, die  vielen  romanischen  Wörter,  die  Benutzung  von 
Aktenstücken  hervor,  wodurch  sich  auch  irrige  Angaben  über  an- 
gesagte, später  aber  verlegte  Festfeiern  erklären.  Denken  könnte 
man  daher  z.  B.  an  Angilram  von  Metz  (769 — 791),  welcher  Paulus 
Diaconus  zur  Bischofsgeschichte  von  Metz,  den  Diakon  Donatus  zur 
Abfassung  der  Lebensbeschreibung  des  heiligen  Trudo  veranlafste 
und  jetzt  Erzkaplan  des  Königs  war^).  Ihn  könnte  man  sich  in 
ähnlicher  Stellung  zu  dem  gewifs  nicht  leichten  Unternehmen  vor- 
stellen, wie  einst  Childebrand  und  Nibelung.  Dafs  ihm  dabei  die 
Fortsetzungen  Fredegars  fehlten ,  ist  freilich  auffallend.  Auch  bei 
diesen  Annalen  fällt  das  Hauptgewicht  offenbar  auf  Karls  eigene 
Regierung.  Ihm  also  glaube  ich  die  Anregung  zu  diesem  Werke, 
welchem  wir  die  eingehende  Kunde  von  seiner  Thätigkeit  wesentlich 
verdanken,  nach  Rankes  Vorgang  zuschreiben  zu  dürfen;  ihm  und 
seinen  Nachfolgern  Angilbert,  Hildibald  und  Hildvin  (für  820 — 829)-') 
möchte  auch  Monod   einen  mehr    oder  weniger   unmittelbaren  Ein- 


1)  S.  Kurze,  Einhard  S.  17. 

2)  Mitt.  d.  Inst.  X,  417  ff.,  vgl.  Brefslau,  NA.  XV,  211.  Auch  Mitt. 
XIII,  225—232. 

*)  Ueber  ihn  vgl.  L.  Oelsner  in  der  Deutschen  Allg.  Biogr.  I,  460. 
Nimmt  man  die  Abfassung  erst  795  an,  so  ist  natürlich  diese  ganz  un- 
sichere Vermutung  hinfällig. 

*}  Vgl.  seinen  Aufsatz :  Hilduin  et  les  Aimales  Einhardi  (Melanges 
Jul,  Havet,  Paris  1895,  p.  57  ff.),  sowie  Sources  p.  136—142,  dem  Kurze 
in  der  Ausgabe  beistimmt. 


216  II-  Karolinger.     §  9.    Reichsannalen. 

flufs  auf  die  Annalen  zuerkennen,  alles  dies  aber  bleibt  vollkommen 
unsicher  und  unerweislich.  Das  ältere  Material  aber,  was  hier  ver- 
arbeitet ist,  wird  eben  durch  diese  bequeme  Zusammenfassung,  die 
späterhin  auch  sprachlich  und  stilistisch  noch  zeitgemäfs  überaz'beitet 
wurde,  bald  verdrängt  und  in  Vergessenheit  gebracht  sein,  beson- 
ders wenn  es  nur  in  der  königlichen  Kanzlei  vorhanden  war,  während 
sich  hin  und  wieder  in  Domstiftern  und  Klöstern  zufällig  auch  viel 
unbedeutendere  Sachen  erhielten. 

Abweichend  hiervon  hat  Dünzelmann  vorzugsweise  nach  sprach- 
lichen Gesichtspunkten  die  Annalen  untersucht,  er  findet,  dafs  der 
erste  Abschnitt  derselben  von  741 — 791  reiche,  der  zweite  von 
792 — 796,  wo  auch  von  anderen  ein  Abschnitt  angesetzt  wird. 
Doch  behauptet  wieder  Bernays  ohne  triftigen  Grund,  dafs  nur  bei 
789  und  801  ein  Wechsel  der  Verfasser  anzunehmen  sei.  In  der 
leider  verlorenen  Lorscher  Handschrift  schloTs  sich  min  eine  Fort- 
setzung bis  793  an,  die  niir  ein  Bruchstück  aus  den  Ann.  Laures- 
hamenses  ist.  In  den  übrigen  Handschriften  sind  die  nächsten  Jahre 
zum  Teil  auffallend  kurz,  übrigens  aber  in  wenig  veränderter  Weise 
und  vermutlich  von  demselben  Autor  behandelt'),  die  Verschwörung 
Pippins  792  ist  in  derselben  höfischen  Weise,  die  wir  aus  dem 
ersten  Teile  kennen,  ganz  verschwiegen^).  Manitius  findet  hier 
noch  dieselbe  Ausdrucksweise,  wie  im  früheren  Teile,  und  auch 
noch  Spuren  derselben  kompilatorischen  Thätigkeit,  welche  er  für 
den  Anfang  nachweist.  Obgleich  durch  diese  schwankenden  Ergeb- 
nisse verschiedener  Forscher  das  Vertrauen  auf  die  Entscheidung 
nach  stilistischen  Momenten  erschüttert  werden  mufste,  so  gewähren 
sie  doch  vergleichsweise  noch  am  meisten  Sicherheit,  und  es  scheint, 
dafs  wir  mit  Bloch  den  ersten  Abschnitt  der  Annalen  bis  zum  Ende 
des  Jahres  794  anzusetzen  haben,  wo  das  Vulgärlatein  aufhört. 

Nach  der  Ansicht  von  Pertz  tritt  mit  dem  Jahre  796  ein  völlig 
veränderter  Stil,  eine  neue  Art  der  Auffassung  ein,  und  diese  Fort- 
setzung fliefst  allmählich  so  vollständig  zusammen  mit  Einhards 
Werk,  dafs  seine  Hand  auch  im  Anfang  nicht  zu  verkennen  sei. 
„Nachher",  sagt  auch  Ranke,  „mufste  die  Historiographie  in  litte- 
rarisch geschicktere  Hände  kommen ,  wie  die  Einhards  waren ,    der 


')  So  Waitz  und  W.  Giesebrecht,  während  Pertz  schon  788  die  Fort- 
setzung Einhards  beginnen  läfst,  Dünzelmann  eine  zweite  Fortsetzung 
792 — 796  annimmt.  Gegen  Giesebrecht  bemerke  ich,  dal's  792  nicht  von 
einer  Brücke  über  die  Donau,  sondern  von  beweglichen  Pontons  für  den 
Feldzug  die  Rede  ist. 

*)  Vgl.  Kurze  im  NA.  XX,  47. 


Einhards  vermeintlicher  Anteil.  217 

die  alten  Annalen  überarbeitete  und  neue  abfafste,  wie  es  scheint  im 
Palast  zu  Aachen  in  eben  den  Jahren ,  von  denen  er  handelte." 
Während  der  Arbeit  selbst  schritt  er  an  Bildung  und  namentlich 
an  Gewandtheit  in  der  Sprache  und  Darstellung  weiter  vor,  und 
fand  zuletzt  die  alten  rohen  Jahrbücher  und  seine  eigene  Leistung 
so  ungenügend,  dals  er  sie  noch  einmal  überarbeitete.  Nicht  die 
tief  eindringende  Kenntnis  der  früheren  Geschichte  war  es,  die  ihn 
auszeichnete,  oder  die  ihn  zu  dieser  Arbeit  veranlafste;  seine  Auf- 
gabe war  vorzugsweise  eine  stilistische,  und  nicht  selten  hat  er  da- 
durch auch  beachtenswerte  Züge  des  älteren  Annalisten  verwischt: 
ja  er  hat  an  einigen  Stellen  eine  unrichtige  Auffassung  der  Ereig- 
nisse hineingetragen,  weil  er  die  ihn  ei'füllende  Vorstellung  von  der 
alles  andere  überragenden  Hoheit  des  Kaisers  unwillkürlich  auch 
schon  auf  die  früheren  Zeiten  übertrug.  Wichtig  aber  ist  uns 
dennoch  auch  seine  Ueberarbeitung  nicht  nur  wegen  einzelner  Zu- 
sätze, und  weil  es  für  uns  Wert  hat,  auch  seine  Auffassung  kennen 
zu  lernen,  sondern  auch  deshalb,  weil  er  so  wenig  zu  ändern  fand; 
die  alten  Lorscher  Annalen,  sagt  Ranke,  erhalten  dadurch  eine  nicht 
geringe  Beglaubigung,  dals  Einhard,  was  die  Sache  anbelangt,  nur 
eine  und  die  andere  Einschaltung  über  ein  paar  einzelne  merk- 
würdige Begebenheiten  beizubringen  hatte. 

Einhards  eigene  selbständige  Ai'beit  reicht  nach  Ranke  bis  zum 
Jahre  829,  bis  zu  der  Zeit,  wo  er  sich  vom  Hofe  zurückzog,  voll 
Trauer  über  die  zunehmende  Verwirrung  und  Auflösung  des  Reiches. 
Für  solche  Zeiten  war  weder  er  selbst  noch  seine  Feder  geeignet. 
Mit  ruhiger  Würde  hatte  er,  solange  das  Reich  nach  den  kriege- 
rischen Zeiten  des  8.  Jahrhunderts  für  immer  befestigt  schien,  und 
durch  den  gewaltigen  Kaiser  auch  noch  von  seinem  Grabe  aus  zu- 
sammengehalten wurde,  Jahr  für  Jahr  die  Ereignisse  verzeichnet: 
den  helleren  feiner  gebildeten  Zeiten  verlieh  sein  reines,  fehlerfreies 
Latein  den  angemessenen  Ausdruck,  und  kurz  und  gedrängt  zwar, 
aber  doch  vollständig  in  allem  Wesentlichen  liegt  die  Reichsgeschichte 
in  seinen  Jahrbüchern  vor  uns,  in  edler  Einfachheit,  frei  von  aller 
Leidenschaft  und  Parteilichkeit.  Als  es  unmöglich  wurde,  inmitten 
der  heftig  erbitterten  Feinde  in  solcher  Weise  fortzufahren,  da  über- 
liefs  er  anderen  die  Fortsetzung  seines  Werkes. 

Ich  habe  diese  Stelle  aus  der  ersten  Ausgabe  unverändert  ge- 
lassen ,  weil  sie  die  durch  Pertz  lange  Zeit  herrschend  gewordene 
Ansicht  ausdrückt,  und  weil  die  Autorschaft  Einhards,  wenn  auch 
keineswegs  gesichert  und  durch  wiederholte  Angriffe  erschüttert, 
doch  nicht  mit  voller  Sicherheit  widerlegt  ist,  wie  denn  auch  Ebrard 


218  II-  Karolinger.     §  9.    Reicbsannalen. 

es  nicht  unwahrscheinlich  findet,  dafs  Einhard  die  Fortsetzung  von 
797 — 829  verfafst  habe  und  Dünzelmann  ihm  wenigstens  die  vor- 
treflFliche  Darstellung  von  797  bis  Mitte  801  zuschreiben  möchte, 
Kurze  dagegen  den  mittleren  Teil  von  796 — 820.  Neuestens  haben 
Monod,  H,  V.  Sybel  und  Bernays  in  entschiedenster  Weise  die 
Möglichkeit  von  Einhards  Autorschaft  geleugnet,  während  Manitius 
und  Dorr,  auf  sprachliche  Untersuchung  gestützt,  sich  wieder  dafür 
aussprechen.  Dabei  fällt  vorzüglich  die  Frage  ins  Gewicht,  ob  der 
nach  dem  Muster  der  Alten  gebildete  Stil  und  der  im  Verhältnis 
zum  8.  Jahrhundert  so  sehr  viel  reichere  Wortschatz  ausschliefslich 
für  Einhard  Zeugnis  ablegen,  und  als  sein  besonderes  Werk  zu  be- 
trachten sind,  und  Wattenbach  wollte  sich  der  üeberzeugung  nicht 
verschliel'sen ,  dafs  durch  jene  Untersuchungen  fast  bis  zu  voller 
Evidenz  nachgewiesen  sei,  nur  in  diesen  Annalen  und  im  Leben 
Karls  finde  sich  dieser,  aus  einer  grofsen  Anzahl  alter  Autoren  mit 
unvergleichlicher  Sorgfalt  gesammelte  Wortschatz,  diese  Mannig- 
faltigkeit der  Satzbildung.  Das  ablehnende  Urteil  Bernheims  aber 
wird  seine  volle  Berechtigung  behalten ,  und  auch  Bloch  hält  jene 
Vermutung  für  eine  unfruchtbare.  Es  ist  hierbei  niemals  aufser 
acht  zu  lassen,  dafs  Einhard  nicht  eigentlich  Historiker,  seine  Auf- 
merksamkeit in  weit  höherem  Grade  der  Formvollendung,  als  der 
geschichtlichen  Bedeutung  der  Thatsachen  zugewendet  war,  wie  wir 
es  ähnlich  auch  bei  Lambert  beobachten  können. 

Dafs  Einhard  der  Verfasser  dieser  Annalen  sei,  hatte  zuerst 
Du  Chesne  behauptet,  gestützt  auf  die  Translatio  S.  Sebastiani, 
wo  Einhard  ausdrücklich  als  Verfasser  eines  Annalenwerks  unter 
dem  Titel:  Gesta  Caesaruni  KaroU  Magni  et  fiJ'ii  ipsius  Hhido- 
wici  genannt  und  eine  Stelle  daraus  angeführt  wird ,  welche 
sich    in    unseren  Annalen   beim  Jahre  826   wieder  findet').     Dieses 

')  SS.  XV,  1,  379  :  „Agenardus  cognomento  Sapiens,  ea  qui  tempestate 
babebatur  insignis,  huius  reverentissimi  caelicolae  mentionem  in  Gestis 
Caesarum  Earoli  Magni  et  filii  ipsius  Hludowici  faciens,  inter  alia  quae 
annotino  cursu  dictabat ,  non  inoperosum  duxit  mortalia  acta  inmortali 
astipulatione  roborare  ita  dicens"  etc.  —  Diese  bestimmte  Angabe  gerade 
aus  dem  Medarduskloster  darf  man  doch  nicht  zu  gering  anschlagen,  sie 
kann  recht  wohl  auf  wirklicher  Tradition  beruhen.  Der  Verfasser  0  d  i  1  o 
widmet  sein  Werk  (Mab.  Actt.  IV,  1,  383—410,  Auszüge  von  Holder- 
Egger  SS.  XV,  377 — 891),  welches  freilich  schwülstig  und  nicht  allzu 
zuverlässig,  aber  doch  für  die  Zeit  Ludwigs  des  Frommen  nicht  unwichtig 
ist  und  auf  der  älteren  Schrift  des  Probstes  Rodoin  beruht,  dem  Dekan 
Ingramnus,  der  nach  Flod.  932  Bischof  von  Laon  wurde.  Ein  Brief 
von  ihm  an  Hucbald,  worin  er  der  Mir.  S.  Seb.  gedenkt,  bei  Mart. 
Coli.  I,  266.  Auch  die  Autorschaft  des  Prudentius  und  Hinkmar  für  die 
spätex'en  Annalen  beruht  auf  je    einem  Zeugnis,   womit   ich   nicht,    wie 


Ueberarbeitunij  der  Annales  Laurissenses.  219 

Zeugnis  aus  dem  10.  Jahrhundert  schien  bedeutend  genug,  um 
die  dagegen  geltend  gemachten  kleinen  Widersprüche  zwischen 
den  Annalen  und  Einhards  Vita  Kai'oli  übersehen  zu  können,  doch 
hat  schon  Simson ,  dem  sich  auch  Monod  anschliefst ,  in  seiner 
Dissertation  (S.  7)  darauf  hingewiesen,  dals  durch  die  Zusammen- 
stellung der  Vita  mit  den  Annalen  in  derselben  Handschrift  sehr 
leicht  eine  falsche  Uebertragung  des  Namens  von  der  einen  auf 
die  andern  stattfinden  konnte,  wodurch  jenes  Zeugnis  alles  Ge- 
wicht verliert. 

In  der  Mitte  des  Jahres  801  setzte  Dünzelmann,  und  hierin  hat 
er  fast  allgemeine  Zustimmung  gefunden,  einen  Abschnitt  an'); 
nur  so  weit  waren  die  Annalen  dem  Poeta  Saxo  bekannt,  und  nur 
so  weit  reicht  auch  die  sachliche  üeberarbeitung.  Allein  der 
Dichter  hatte  nur  zufällig  eine  verstümmelte  Handschrift  vor  sich 
und  der  üeberarbeiter  endete  nicht  mit  dem  Jahre  801 ,  vielmehr 
erstrecken  sich  die  Spuren  der  von  ihm  vorgenommenen  sprachlichen 
Glättung  mindestens  noch  bis  812  und  die  von  Bloch  aufgestellte 
Annahme  liegt  deshalb  nahe,  dafs  er  sein  Werk  nach  dem  Tode 
Karls  des  Grofsen  begonnen  habe,  wie  er  es  vor  817  abschlofs. 
Jedenfalls  werden  wir  aber  aus  stilistischen  Gründen  einen  neuen 
Verfasser  mit  dem  Jahre  808  anzunehmen  haben,  welches  einen 
ganz  unverkennbaren  Abschnitt  bildet. 

Es  konnte  nicht  anders  sein,  als  dafs  nachmals  der  Anfang  der 
alten  Annalen  dem  feiner  entwickelten  Sprachsinne  geradezu  uner- 
träglich erschien.  Die  Uebereinstimmung  mit  einzelnen  Stellen  in 
Einhards  Vita  Karoli  wird  einfach  durch  Benutzung  der  Annalen 
in  dieser  zu  erklären  sein'),  wie  dies  zuletzt  Bloch  am  bestimmtesten 
nachgewiesen  hat.  Das  umgekehrte  Verhältnis  nimmt  mit  Unrecht 
Kurze  an,  indem  er  die  üeberarbeitung  erst  um  820,  also  längere 
Zeit  nach  Vollendung  der  Vita  stattfinden  läfst^).  Bei  dieser  haben 
sich  einige  Mil'sverständnisse  eingeschlichen,  es  sind  aber  auch  nicht 
unbedeutende   neue   Thatsachen   hinzugekommen    und   es    ist  wahr- 

man  mich  mifsverstanden  hat,  sagen  will,  dafs  sie  zweifelhaft  sei,  son- 
dern dafs  auch  hier  nur  ein  ausdrückliches  Zeugnis   sich    erhalten   hat. 

')  Monod  läfst  hier  überhaupt  erst  einen  neuen  Autor  eintreten  und 
ist  nicht  abgeneigt,  Angilbert  darin,  etwa  bis  813,  zu  erkennen,  da  dessen 
Name  wiederholt  genannt  werde. 

^)  S.  die  Zusammenstellung  bei  B.  Simson,  De  statu  etc.  i».  44 — 52. 
Derselbe  weist  Forsch.  XW,  136  Benutzung  des  Livius  nach. 

^)  Bernheim  (Vita  Caroli  S.  82-90  in  den  Histor.  Aufs,  für  Waitz), 
Deutsche  Zeitschr.  f.  Geschichtswiss. .  N.  F.  I,  Mon.  BI.  S.  180  ff".  260; 
Fr.  Kurze,  NA.  XVII,  125,  XXVI,  153—164  gegen  Bernheim  (Historische 
Vierteljahrschr.  1898  S.  161—180). 


220  If-  Karolinger.     §  9.    Reichsannalen. 

scheinlich,  dafs  hierfür  auch  schriftliches  Material  benutzt  ist^, 
wozu  Puckert  (S.  157  ff.)  das  gleich  zu  erwähnende  verlorene  Werk 
bis  805 ,  Kurze  die  bis  796  reichende  Quelle  desselben  rechnet. 
Puckert  (S.  167  ff.)  hebt  die  seltsame  Eigenheit  des  Verfassers 
hervor,  die  Ereignisse  in  ganz  unzulässiger  Weise  als  übermäfsig 
beschleunigt  darzustellen,  und  ferner,  dafs  in  höherem  Mafse,  als 
es  den  Thatsachen  entspricht,  Karl  als  der  stets  allein  Wissende 
und  Handelnde  hervortritt.  An  Einhard  ist  für  die  üeberarbeitung 
(mit  Pertz)  in  keiner  Weise  zu  denken,  sondern  an  einen  sächsi- 
schen Verfasser  am  Kaiserhofe,  doch  ist  der  von  Hüffer  vermutete 
Gerold ,  Ludwigs  des  Frommen  Kaplan ,  der  erst  876  starb ,  dafür 
ohne  Zweifel  zu  jung-). 

Wir  sehen  also  hier,  wie  man  schon  von  der  einfachen  und 
schmucklosen,  nur  auf  den  sachlichen  Inhalt  gerichteten  Aufzeich- 
nung der  Zeitbegebenheiten  fortschritt  zu  litterarischer  Bearbeitung. 
Natürlich  mufste,  da  die  Reichsannalen  erst  mit  741  begannen,  der 
Wunsch  lebendig  werden,  auch  für  die  vorhergehende  Zeit,  über 
welche  nur  ein  sehr  ungenügendes  und  schwer  geniefsbares  Material 
vorlag,  ein  Handbuch  zu  gewinnen,  weiches  den  Zusammenhang 
mit  der  Weltgeschichte  herstellte.  Gerade  auch  um  das  Jahr  761 
ist  ein  solches  verfafst^),  und  da  es  nur  bis  741  reicht,  liegt  die 
von  Waitz  ausgesprochene  Vermutung  nahe,  dafs  es  zur  Ergänzung 
der  Eeichsannalen  bestimmt  war.  Doch  finden  wir  es  handschriftlich 
nicht  mit  ihnen  verbunden;  es  scheint  keine  grofse  Verbreitung 
gefunden  zu  haben,  weil  das  schwierige  Unternehmen  doch  nur  sehr 
unvollkommen  gelang  und  die  Sprache  des  Verfassers  durch  ihre 
Unbehilf  lichkeit  und  Fehlerhaftigkeit  verrät,  dafs  er  zwar  der  früheren 
Barbarei  entwachsen,  aber  von  der  höheren  Bildung  eines  Einhard 
noch  weit  entfernt  war.     Doch  verdient  er  ohne  Zweifel  Beachtung 

^)  AV.  Giesebrecht  a.  a.  0.  S.  216.  Die  Benutzung  des  fortgesetzten 
Fredegar  759,  760  vermag  ich  aber  nicht  zu  erkennen.  Vgl.  auch  Bernays 
S.  151.  —  Manitius,  Mitt.  XIII,  232  —  238,  unterwirft  einige  Stellen  einer 
für  Einhard  ungünstigen  Kritik. 

^)  Vgl.  Hüffer,  Korveier  Studien  S.  5 — 18  (im  Anschlufs  an  eine  These 
von  Mart.  Meyer),  Kurze,  Einhard  S.  68  flg. 

^)  Chronicon  universale  bis  741,  ed.  Waitz,  MG.  SS.  XIII,  1 — 19. 
Auctt.  antt.  XIII,  336—340  ed.  Mommsen.  Vgl.  B.  Simson,  Die  über- 
arbeitete und  bis  741  fortgesetzte  Chronik  des  Beda,  Forsch.  XIX,  97  bis 
185.  Waitz,  Weltchronik  bis  741,  NA.  V,  475—491.  Vgl.  Mommsen 
im  NA.  XXII,  548—553,  welcher  auf  Grund  einer  neuaufgefundenen  Hs. 
zeigt,  dals  das  von  Waitz  für  die  Abfassung  angenommene  Jahr  800  bis 
SQl  auf  eine  spätere  Abschrift,  nicht  auf  das  Original  zurückgeführt 
werden  kann.  Kurze  (NA.  XXV,  293)  will  daher  die  Chronik  vor  761 
ansetzen. 


Kompilation  bis  805.  221 

und  Anerkennung:  es  ist,  wie  Waitz  bemerkt,  die  erste  Weltchronik, 
die  seit  Fredegar  im  fränkischen  Reich  geschrieben  wurde.  Dieses 
Werk ,  dessen  wir  oben  (S.  144)  schon  kurz  gedachten ,  ist  in 
drei  Handschriften  erhalten*),  welche  stark  voneinander  abweichen, 
und  es  scheint,  dafs  der  Verfasser  selbst  sein  Werk  überarbeitet 
und  mit  weiteren  Zusätzen  aus  seinen  Quellen  vermehrt  hat.  Er 
legte  die  kurze  Chronik  des  Beda  zu  Grunde,  in  welche  er  Auszüge 
aus  Hieronymus,  Orosius,  Fredegar  mit  den  Fortsetzungen  und  den 
Gesta  Francorum  einschob,  weiterhin  benutzte  er  auch  Isidor,  den 
Liber  pontificalis,  und  die  Annales  Mosellani  et  Laureshamenses. 
Die  wenigen  ihm  eigentümlichen  Stellen  zeigen  Verwandtschaft  mit 
den  Annales  Flaviniacenses,  welche  sieh  in  derselben  Hs.  befinden, 
und  da  hierzu  auch  die  Nachricht  von  der  Zerstörung  der  Stadt 
Autun  durch  die  Sarazenen  725  gehört,  so  ist  die  Vermutung  ge- 
rechtfertigt, dafs  der  Verfasser  im  Sprengel  von  Autun,  vielleicht 
eben  in  Flavigny  lebte. 

Diese  Chronik  bildet  in  einer  Hs.  den  Anfang  der  schon  oben 
(S.  146)  erwähnten  Annales  Maximiniani,  welche  jedoch  keine  inner- 
liche Verbindung  mit  ihr  haben,  und  ist  in  ihrer  älteren  Form 
grofsenteils  aufgenommen  in  das  Chronicon  Moissiacense. 

Eine  andere ,  im  Jahre  805  oder  vielleicht  806  abgeschlossene 
Kompilation  ist  uns  nicht  im  Original  erhalten,  aber  aus  verschie- 
denen Ableitungen  nach  und  nach  mit  wachsender  Sicherheit  kennt- 
lich geworden.  In  Beziehung  dazu  stehen  verschiedene,  erst  in 
neuerer  Zeit  zum  Vorschein  gekommene  Bruchstücke  von  Bearbei- 
tungen der  Reichsannalen.  Dazu  gehören  die  Wiener  Blätter  von 
784  und  785-),  welche  nebst  einem  aus  Werden  stammenden  Frag- 
ment in  Düsseldorf  von  759 — 762,  von  Pertz,  der  sie  irrig  für  ur- 
sprüngliche Aufzeichnungen  hielt,  SS.  XX,  1  —  15  als  Fragmenta 
Wcrihinensiü  gedruckt  sind.  Hiermit  verwandt  ist  ein  anderes  in 
Bern  von  Gerold  Meyer  von  Ivnonau  gefundenes  Fragment  von 
783 — 785^).  Diesen  beiden  Versionen  mufs  schon  eine  ältere  zu 
Grunde  gelegen  haben,  und  diese  glaubt  Giesebrecht  (Forsch.  XIII, 
627 — 633)  gefunden  zu  haben  in  einem  Bruchstück  von  769 — 772, 
welches  J.  Bächtold  im  Anzeiger  für  Schweizerische  Geschichte  1872 


')  Üeber  diese  s.  Auett.  antt.  XIIL  237—239. 

2)  Cod.  334,  zuerst  in  der  zweiten  Ausgabe  dieses  Buches  S.  540 
gedruckt. 

3)  Forsch.  VIII,  631—633.  Dagegen  sind  die  6  Blätter  des  Cod.  Vat. 
Christ.  263  (Arch.  XII,  272)  irrtümlich  hierher  gezogen,  sie  gehören  zu 
Ademar,  s.  NA.  II,  330. 


222  II-  Karolinger.     §  9.    Reichsannalen. 

S.  245—246  veröfiFentlicht  hat.  Es  enthält  die  Kapitelzahlen  56—59, 
woraus  Giesebrecht  auf  ein  gröfseres  Werk  schlofs,  welches  bis  714 
rückgreifend,  mit  Benutzung  des  Fredegar  im  Jahre  802  ausgearbeitet, 
auch  in  den  Annales  Mettenses  benutzt  wurde,  und  mit  einer  in 
diesen  erhaltenen  eigentümlichen  Fortsetzung  von  803 — 805  ver- 
sehen war.  Wegen  einiger  Beziehungen  auf  Reichenau  vermutete 
Giesebrecht  in  Haito  den  Verfasser,  aber  gerade  diese  Stellen  ge- 
hören nur  den  Annales  Mettenses  an  und  sind  aus  Regino  ent- 
lehnt. Dagegen  ist  durch  weitere  Untersuchung  festgestellt,  dafs 
dieses  Werk,  in  seinen  älteren  Teilen  auf  den  Fortsetzungen  des 
Fredegar  beruhend,  weiterhin  (seit  806)  aus  den  Reichsannalen  ge- 
schöpft, aber  durch  einige  Zusätze  und  namentlich  durch  die  Fort- 
setzung sehr  wertvoll  ist.  Puckert^),  welcher  sich  sehr  eingehend 
damit  beschäftigt  hat,  hebt  namentlich  (S.  165)  die  Nachrichten 
über  Grifo  hervor,  welche  seiner  Ansicht  nach  von  hier  in  die  An- 
nales Einhardi  übergegangen  sind.  Er  sucht  den  Ursprung  in 
Saint-Denis  nachzuweisen  und  nimmt  eine  üeberarbeitung  in  Metz 
um  900  mit  Zuziehung  der  Vita  Karoli  an,  welche  den  Ann.  Mett. 
und  auch  dem  Poeta  Saxo  zu  Grunde  liege.  Kurze  führte  jene 
Vermutung  noch  weiter  aus ,  indem  er  den  im  Jahre  806  verstor- 
benen Abt  Fardulf  von  St. -Denis,  einen  Langobarden,  zum  Urheber 
dieses  Werkes  machen  wollte,  allein  Simson  hat  mit  Recht  diese 
ganz  unbegründete  Annahme  zurückgewiesen-).  Benutzung  dieses 
Werkes  ist  aufser  in  den  Mettenses  nachgewiesen  in  den  Ann.  Lauriss. 
minores  (mit  Unrecht),  Lobienses,  Guelferbytani ,  im  Chron.  Veda- 
stinum  und  Moissiacense ,  Fontanellense  und  Waitz  hat  SS.  XIII, 
26 — 38,  die  erwähnten  Fragmente  nebst  dem  betreffenden  Abschnitt 
der  Annales  Mettenses  herausgegeben^).  Diese  ganze  Untersuchung 
wird  jedoch   nach   manchen  Seiten   hin    berichtigt   werden   müssen, 

^)  Ueber  die  kleine  Lorscher  Frankenchronik,  ihre  verlorene  Grund- 
lage u.  d.  Ann.  Einh.  (Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1884). 

2)  NA.  XXI,  29—49,  dagegen  Simson  ebd.  XXV,  181—182. 

**)  Annalluin  veterum  fragmenta,  partim  ex  Mettensibus  desumpta,  769 
bis  805.  Früher  waren  von  Pertz  nur  Stücke  der  Mett.  als  Zusätze  zum 
Text  der  Laur.  maj.  abgedruckt,  irreführend,  weil  dort  auch  schon  Regino 
benutzt  ist.  Vgl.  Heigel,  Ueber  die  aus  den  alten  Murbacher  Ann.  ab- 
geleiteten Quellen,  Forsch.  V,  397—403.  Waitz,  Ueber  das  Verhältnis  der 
Ann.  Mett.  zu  anderen  Annalen,  Forsch.  XX,  385  —  394.  Simson,  Ueber 
die  verlorene  Quelle  der  Ann.  Mettenses,  ib.  S.  395—400,  nebst  der  gleich 
anzuführenden  Abhandlung  von  Waitz.  Bernays,  S.  69  ff.,  der  auch  den 
Poeta  Saxo  und  natürlich  die  Hofannalen  heranzieht,  und  weitere  Fort- 
setzung vermutet.  Waitz  nahm  SS.  XIII,  26,  Anm.  6,  Benutzung  der 
Lauriss.  nur  bis  788  an,  erstreckt  sie  aber  in  der  Abh.  über  die  Lauriss. 
min.  S.  408,  mindestens  auf  789. 


Annales  Laurissenses  minores.  223 

seitdem,  wie  schon  oben  bemerkt,  in  dei-  Durhamer  Handschrift  die 
unmittelbare  Quelle  der  Ann.  Mett.  aufgefunden  und  von  B.  von 
Simson  trefflich  gewürdigt  worden  ist. 

Neuestens  bat  nun  Fr.  Kurze'),  an  diese  Ergebnisse  anschliefsend, 
hei'vorgehoben ,  da(s  aus  den  uns  bekannten  Bruchstücken  dieser 
Kompilation  sich  doch  nicht  alle  Nachrichten  in  den  Ableitungen 
belegen  lassen ,  namentlich  nicht  in  den  Fulder  Annalen ,  weshalb 
man  genötigt  war,  eine  unwahrscheinliche  Heranziehung  verschie- 
dener Quellen  anzunehmen.  Er  kommt  dadurch  zu  der  Schlufs- 
folgerung,  dafs  schon  um  79(5  aus  den  Fortsetzungen  des  Fredegar, 
den  Reichsannalen  und  anderen  Quellen ,  der  Vita  Bonifatii ,  dem 
Papstbuch,  ein  ausführlicheres  wertvolles  Werk  zusammengestellt  sei, 
welches  in  der  angeblichen  Kompilation  von  Saint-Denis  nur  aus- 
zugsweise enthalten  sei.  Es  ist  nach  Kurze  kein  anderes,  als  das 
schon  S.  163  erwähnte,  in  den  Ann.  Maximiniani  kenntliche,  welches 
auch  den  Ann.  Sithienses  zu  Grunde  liegt.  Als  ein  Stück  dieses 
verlorenen  Werkes  betrachtet  er  auch  das  Fragmentum  Chesnii, 
als  eine  Ableitung  die  Continuatio  Romana  der  Langobarden- 
geschichte des  Paulus  Diaconus.  Indem  wir  nun  den  Scharfsinn 
des  Verfassers  dieser  Untersuchungen  vollkommen  anerkennen, 
können  wir  ihm  doch  durchaus  nicht  folgen,  wenn  er  (S.  128)  in 
diesem,  seiner  Ansicht  nach  sehr  bedeutenden  Geschichtswerk  das 
oben  (S.  149)  erwähnte  verlorene  Werk  des  Crantz  erkennen  will, 
da  Aventins  Angabe  über  den  Inhalt  desselben  durchaus  nicht 
dazu  pafst. 

Vermissen  wir  nun  hier  irgend  eine  gesicherte  lokale  Anknüpfung, 
so  werden  wir  dagegen  bestimmt  nach  Lorsch  gewiesen  durch  die 
Annales  Laurissenses  minores,  welche  jedoch  Waitz  viel- 
mehr als  die  kleine  Lorscher  Frankenchronik  bezeichnet   hat'),  ein 


')  Ueber  die  Ann.  Fuldenses,  NA.  XVIT,  117  ff. 

^)  Ueber  die  kleine  Lorscher  Frankenchronik,  SB.  d.  Berl.  Akad.  1882, 
S.  399 — 415,  mit  Ausgabe  des  Textes  bis  806.  Monod,  Les  Sources  p.  166 
bis  174.  In  den  Etudes  Romanes  dediees  ä  Gast.  Paris  (Paris  1891) 
stellt  Monod  die  bisherigen  Ergebnisse  der  Forschung  über  die  Ent- 
stehungszeit und  die  Quellen  der  Ann.  Lauriss.  zusammen.  Sie  sind  nach 
ihm  eine  zwischen  806  und  814  in  Lorsch  hergestellte  Kompilation  zu 
dem  ausdrücklichen  Zwecke,  das  karolingische  Herrscherhaus  zu  verherr- 
lichen. Bemays,  der  auch  Benutzung  der  Lauriss.  und  Hofannalen  nach- 
zuweisen sucht,  berichtigt  S.  74,  dals  die  Berner  Hs.  83  für  St.  Remigius 
(in  Hautvillers  nach  Puckert)  geschrieben  ist,  aber  aus  einer  Vedaster  Hs. 
(mit  der  Abtsreihe  SS.  XIH,  382)  entnommen.  Eine  ganz  magere  Re- 
gentenfolge bis  auf  Karl  u.  Karlmann,  und  fortgeführt  bis  auf  Ludwig 
d.  Fr.  und  Karl  ÜL  hat  aus  Sanktgaller  u.  a.  Hss.  Waitz  als  Chronicon 


224  II-  Karolinger.     §  9.    Reiclisannalen. 

magerer,  nach  Eegentenjahren  geordneter  Abrifs  der  Geschichte  des 
Frankenreiches  zur  Verherrlichung  des  Herrscherhauses  bestimmt, 
an  Beda"sich  anlehnend  und  ganz  aus  der  oben  erwähnten  Kom- 
pilation bis  805  geschöpft,  mit  Ergänzungen  aus  den  Ann.  Laures- 
hamenses  und  einigen  Erweiterungen  und  Zusätzen ;  nach  Kurze 
bis  789  aus  der  von  ihm  angenommenen  Quelle.  Nur  das  Jahr  806 
gehört  nach  Waitz  dem  Verfasser,  wenn  er  nicht  doch  vielleicht 
auch  dieses  schon  in  der  Kompilation  fand.  Die  als  Kegierungs- 
jahre  betrachteten,  überaus  ungenauen  Zahlen  hält  Puckert  für  Ab- 
schnitte, die  vielleicht  schon  in  der  Vorlage  gewesen,  wodurch  der 
Vorwurf  gi'ofser  chronologischer  Verwirrung  beseitigt  würde  ^).  Er 
hebt  ferner  die  aufserox'dentlich  starke,  gegen  die  Vorlage  noch 
sehr  verstärkte  kirchliche  Färbung,  die  Betonung  der  geistlichen 
Autorität  und  Leitung  hervor,  was  der  Strömung  der  Zeit  ent- 
spricht. —  Von  807  an  beginnt  eine  sehr  dürftige  Fortsetzung 
bis  817 ,  während  ein  anderes  nach  Fulda  gekommenes  Exemplar 
dort  eine  andere  mit  deutlich  lokaler  Färbung,  ebenfalls  bis  817, 
erhielt"). 

Die  lebhaft  erwachende  Thätigkeit  in  dieser  Richtung  bezeugen 
ferner  die  Chi-onik  der  sechs  Weltalter,  welche  bis  810  reicht,  von 
einem  ungenannten  Verfasser^),  ein  mageres  chronologisches  Gerippe, 
ohne  selbständigen  Wert,  die  oben  S.  163  erwähnten  Ann.  Maxi- 
rainiani  von  710 — 811,  die  Fulder  bis  814  (S.  166)  und  die  Flavinia- 
censes  von  816  (S.  162). 

Bis  818  reicht  das  Chronicon  Moissiacense"),  eine  grofse 

hreve  Älamannicum  herausgegeben,  SS.  XIII,  260  u.  724  und  Mommsen 
in  den  Auctt.  antt.  XIII,  344—345. 

')  Sie  fehlen  ganz  im  Pal.  243  aus  Lorsch,  s.  NA.  X,  232. 

2)  MG.  I,  121—123.  Vgl.  SS.  III,  18  über  die  Münchener  Handschrift, 
NA.  X,  232  über  die  Vatikanische  Hs.  Pal.  243  aus  Lorsch.  Abbildung 
aus  der  Fulder  Abschr.  in  Wien  bei  Sickel,  Mou.  graph.  VIII,  9. 

^)  Chronica  de  sex  aetatibus  tntindi,  bei  Kollar,  Anal.  Vindob.  p.  602. 
Das  Ende  allein  MG.  SS.  II,  256,  vgl.  Arch.  VII,  272,  das  Verzeichn.  der 
lat.  Meerman-Hss.  von  Val.  Rose  S.  292.  Der  cod.  Casin.  3  (Florileg. 
Casin.  I,  65 — 69)  schliefst  schon  mit  806,  andere  mit  809.  Die  unter 
Ludwig  d.  Fr.  verfafste,  unter  dem  Namen  des  Claudius  Taurin.  bei  Labbe, 
Bibl.  nova  I,  309—315,  Migne  CIV,  917—926  (vgl.  NA.  VI,  303),  ge- 
druckte Chronik  ist  vollends  nur  ein  chronologischer  Versuch,  sie  reicht 
in  2.  Ausgabe  bis  854  und  wurde  von  Claudius  dem  Priester  Ado  ge- 
widmet. 

*)  Bis  auf  Honorius  ungedruckt;  von  da  an  MG.  I,  280—313;  vgl.  II, 
257,  wo  die  Jahre  804—813  nach  einer  neugefundenen  Hs.  verbessert 
sind.  Pückerts  oben  erwähnte  Abh.  enthält  viele  beachtungswerte  Be- 
merkungen darüber.  Benutzung  der  Frankfurter  Synode  von  794  und 
anderer  Quellen  weist  Simson  nach,  Forsch.  XIX,  127 — 135,  Berichtigungen 
von  WerminghoflF,  NA.  XXVI,  563—564. 


X'erschiedene  Chroniken.  225 

unverarbeitete  Kompilation,  welche  aus  der  vorher  erwähnten  Chro- 
nik bis  741,  der  Kompilation  bis  805,  den  Reichsannalen  und  an- 
deren bekannten  Werken  geschöpft  ist,  deren  Bekanntschaft,  wie 
Puckert  bemerkt,  Abt  Benedikt  von  Aniane  vermittelt  haben  kann,  die 
aber  doch  hin  und  wieder  auch  Eigentümliches  aus  jetzt  verlorenen 
Quellen  hat;  darunter  hat  Dorr')  Aquitanische  Annalen  und  ein 
Chromeon  Aquitanicitm  ohne  genaue  Chronologie  auszuscheiden  und 
zu  sammeln  versucht.  Der  Verfasser  ist  so  unselbständig  und 
schreibt  so  gewissenhaft  seine  Vorlagen  wörtlich  ab,  dal's  ihm  auch 
der  wertvolle  letzte  Teil  der  Chronik  von  813 — 818  nicht  zuzu- 
trauen ist.  Dieser  schliefst  sich  vielmehr  in  der  ganzen  Weise  der 
Erzählung  so  genau  den  bis  dahin  benutzten  Ann.  Laureshamenses 
(s.  oben  S.  162)  an,  dafs  wir  mit  L.  Giesebrecht  annehmen  müssen, 
es  habe  dem  Schreiber  der  Handschrift  ein  vollständigeres  Exemplar 
vorgelegen,  dessen  Schlufs  uns  nur  hier  erhalten  ist.  Die  Herkunft 
der  Chronik  ist  südfranzösisch,  es  sind  aber,  wie  G.  Monod-)  be- 
merkt ,  von  ihr  zwei  ganz  verschiedene  Bearbeitungen  vorhanden, 
von  denen  die  eine  aus  Moissac  stammt,  ihr  fehlen  die  Jahre 
716 — 777.  Die  andere  stammt  aus  Aniane  und  hat  Zusätze,  in 
denen  die  Geschichte  ganz  willkürlich  behandelt  wird,  z.  B.  779 
und  780  spanische  Namen  an  die  Stelle  der  sächsischen  gesetzt 
sind.  Zu  einer  mit  diesen  verwandten  Chronik  gehört  nach  der 
wichtigen  Entdeckung  von  Puckert^)  die  sogenannte  Notitia  de 
servitio  monusteriorum ,  welche  überall  arglos  benutzt  ist,  hier 
aber  als  eine  spätere  Fälschung,  vermutlich  aus  Aniane,  nachge- 
wiesen wird. 

So  stellt  sich  uns  also  eine  lebhafte  iitterarische  Thätigkeit  dar, 
bei  welcher  zunächst  die  Sorge  für  die  bis  dahin  in  so  hohem 
Grade  vernachlässigte  Form  der  Darstellung  in  den  Vordergrund 
tritt ,  mit  welcher  sich  aber  nicht  minder  auch  das  Streben  nach 
Ergänzung    der   geschichtlichen    Thatsachen   verbindet.     Am    Ende 


')  De  bellis  Francorum  cum  Arabilms  gestis  (Diss.  Regiom.  1861)  p.  39 
bis  48.  Die  von  ihm  hier  zuerst  nachgewiesene  Kom])ilation  von  805  ist 
seitdem  genauer  bestimmt,  s.  oben  S.  2'21.  Herstellung  des  Chron.  Aquit. 
von  Witiza  bis  812,  S.  43—48.  Vgl.  Waitz ,  NA.  V,  483 ,  über  die  Zu- 
sammensetzung des  Berichts  von  12ö  aus  2  Quellen;  711,  737,  752  sind 
jener  Kompil.  zu  überweisen,  Forsch.  XX,  393.  Nach  B.  Simson,  Forsch. 
XIV,  134,  sind  verwandte  Nachrichten  in  Labbes  Chron.  S.  Victoris,  jetzt 
als  Ann.  S.  Victoris  Massil.  gedr.  SS.  XXllI,  1 — 7.  Er  vermutet  Benutzung 
des  Chron.  Moissiac.  in  diesem. 

'')  Revue  critique  1873,  IT,  262. 

^)  Berichte  d.  K.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1890,  S.  45—74. 

W  a  1 1  e  n  b  a  c  h ,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  15 


220  n.  Karolinger.     §  10.    Ludwigs  tles  Frommen  Zeit. 

des  Jahrhunderts  werden  die  Annalen  bis  SOI  von  dem  sogenannten 
Poeta  Saxo  sogar  in  Verse  gebracht. 

Die  Fortführung  der  Annalen  bis  829  ist  vom  höchsten  Werte 
und  gewährte  ein  noch  lange  befolgtes  klassisches  Voi-bild  der 
gleichmäfsigen  Darstellung  der  Zeitgeschichte.  Hatte  schon  Einhard 
den  früheren  Teil  der  Annalen  für  sein  Leben  Karls  zu  Rate  ge- 
zogen, so  finden  wir  den  folgenden  Abschnitt  von  814  an  zu  einer 
Biographie  Ludwigs  verwandt,  nicht  unbedeutend  verändert,  aber 
nicht  verbessert,  mit  Einhards  Werk  gar  nicht  zu  vergleichen'). 

§  10.     Ludwigs  des  Frommen  Zeit. 

Funck,  Ludwig  der  Fromme,  Frankfurt  a.  M.  1832.  B.  Simsou,  Jahrbüclier  d.  Frän- 
kischen Reiches  unter  Ludwig  dem  Frommen,  2  Bde.  Leipzig  1874.  1876.  Hauck 
II,  604—667. 

Ein  Jahrhundert  lang  hatte  das  karolingische  Haus  daran  ar- 
beiten müssen,  das  zerfallende  merowingische  Reich  wieder  zur 
Ordnung  und  Festigkeit  zu  bringen,  bevor  Karl  daran  denken  konnte, 
auch  den  Wissenschaften  hier  eine  neue  Heimat  anzuweisen.  Als 
dann  Ludwigs  ungeschickte  Hände  den  stolzen  Bau  im  Laufe  weniger 
Jahre  in  seinen  Grundfesten  erschütterten,  als  von  neuem  Raub  und 
Gewaltsamkeit  aller  Art  ungehindert  geübt  wurden,  da  wurde  auch 
diese  zarte  Blüte  geknickt.  Es  half  nichts,  dafs  Ludwig  persönlich 
litterarischen  Bestrebungen  geneigt  war'^),  —  gab-  er  doch  dem 
Abte  Hildvin  den  Auftrag,  das  Leben  seines  Schutzpatrons,  des 
heiligen  Dionysius,  nach  griechischen  und  lateinischen  Quellen  und 
Urkunden  darzustellen^)  — ,  dafs  er  die  Klosterzucht  herstellen  half, 
was  auch  den  Schulen  zugute  kam ;  wir  wollen  ihm  nicht  den 
Ruhm  schmälern,  das  schöne  altsächsische  Gedicht  des  Heliand  ver- 
anlafst  zu  haben,  aber  unter  dem  Waffenlärme  konnte  die  Wissen- 
schaft nicht  gedeihen,  und  über  ihre  Mifsachtung  wird  schon  bald 
nach  Karls  Tode   geklagt^).     Schon  829  baten   die   zu  Worms  ver- 

^)  Der  Einsiedler  Codex  einer  Kompilation  über  Karls  Leben  ist 
nach  B.  Simson,  Forsch.  XIV,  135  auf  eine  Benutzung  des  Regino  zurück- 
zuführen. 

^)  Aus  den  Kanzleiformeln  der  Urkunden  verschwanden  unter  ihm  die 
herkömmlichen  Barbarismen,  oben  S.  187. 

^)  Hildvins  Passio  Dionysii  (in  welcher  c.  20  das  Lob  von  Paris  be- 
merkenswert ist)  s.  nach  Surius  bei  Migne  CVI,  9 — 50  und  die  Briefe 
Epp.  V,  325—337,  vgl.  Ebert  II,  348.  Krusch  (Forsch.  XXVI,  190)  weist 
darauf  hin,  dafs  Hildvin  zuerst  die  Geschichte  des  Märtyrers  von  Paris 
und  des  Areopagiten  zusammengeworfen  habe. 

*)  Walahfridi  Praef.  ad  Einh.  V.  Caroli:  „Nunc  relabentibus  in  con- 
traria studiis,  lumen  sapientiae  quod  minus  diligitur,  rarescit  in  plurimis.* 


Hofschule.     Annales  Bertiniani.  227 

sammelten  Bischöfe  dringend  um  die  Errichtung  von  mindestens 
drei  öffentlichen  Schulen,  um  dem  Verfall  Einhalt  zu  thun :  die  Aus- 
führung wird  bei  der  wachsenden  Zerrüttung  des  Reiches  unter- 
blieben sein ' ).  Den  Widerstand  gegen  die  grammatischen  Studien 
bekämpfte  der  Abt  Smaragdus,  der  819  das  Kloster  Castellio  nach 
St.  Mihiel-sur-Meuse  verlegte;  in  seiner  Grammatik  aber  nahm  er 
die  Beispiele  aus  kirchlichen  Schriftstellern^). 

Die  Hofschule  blieb  jedoch  bestehen,  der  Ire  Clemens,  ein  sonst 
unbekannter  Thomas,  den  Walahfrid  preist,  vielleicht  auch  Aldrich 
und  andere  Lehrer  wirkten  daran ^),  und  unter  Karl  dem  Kahlen, 
dem  Sohne  Judiths,  die  selbst  eine  Gönnerin  der  Wissenschaften 
war  und  Walahfrid  als  Lehrer  ihres  Sohnes  an  den  Hof  berief,  ge- 
wann sie  nochmals  einen  glänzenden  Aufschwung.  Auch  die  Reichs- 
ann alen  wurden  nicht  unterbrochen,  sondern  in  gleichmäfsiger 
Weise  weiter  fortgeführt.  Es  sind  die  nach  ihrem  Fundorte  ge- 
nannten Bertinianischen  Annalen ,  deren  Schreibart  den  amt- 
lichen Charakter  nicht  verkennen  läfst ;  wir  werden  auf  dieselben 
noch  später  zurückzukommen  haben.  Alle  die  traurigen  Vorfälle 
der  Zeit  werden  hier  mit  möglichster  Schonung  berührt ;  der  Herr 
Kaiser  erscheint  stets  in  seinem  Rechte,  aber  auch  gQgen.  die 
Gegner ,  welche  ja  ebenfalls  seinem  Hause  angehörten ,  wird  an- 
ständige Mäisigung  beobachtet.  Im  Jahre  835  übernahm  der  Bischof 
Prudentius  von  Troyes  die  Fortsetzung  und  führte  sie  bis 
zum  Jahre  861,  wo  der  Erzbischof  Hink  mar  die  Arbeit  aufnahm; 
schon  war  nicht  mehr  der  königliche  Hof  allein,  sondern  daneben 
der  erzbischöf liebe   Hof   zu  Reims    ein    Mittelpunkt    des   Reiches. 

Lupus  an  Einhard:  „Nunc  oneri  sunt,  qui  aliquid  discere  affectant." 
Ep.  1 ,  Epp.  VI ,  7.  Die  ganze  Stelle  ist  lesenswert.  Aehnliche  Stellen 
von  Claudius  Taurinensis  (über  ihn  s.  Ebert  II,  222 — 224;  Laville,  Claude 
de  Turin.  Essai  sur  le  protestantisme  du  IX.  siecle  [These].  Toulouse, 
Chauvin.)  gibt  Reuter,  Gesch.  d.  Aufkl.  I.  267.     Vgl.  oben  S.  172. 

')  „Similiter  etiam  obnixe  et  suppliciter  vestrae  celsitudini  suggeri- 
mus ,  ut  morem  patemum  sequentes ,  saltim  in  tribus  congruentissimis 
imperii  vestri  locis  scolae  publicae  ex  vestra  auctoritate  fiant ,  ut  labor 
patris  vestri  et  vester  per  incuriam  quod  absit  labefactando  non  depereat." 
MG.  Capit.  reg.  Francor.  II,  37  c.  24.  Der  Vorschlag  kam  von  der  Pariser 
Synode. 

-)  S.  über  ihn  Haureau,  Smaragdus  (Singularites  p.  100 — 128),  NA. 
IV,  250—253.  Traube,  Reg.  Bened.  S.  646.  717—718.  Wiener  Studien 
XVI,  113—117.  Ebert  II,  108—112.  Seine  Gedichte  sind  gedruckt  Poet. 
Car.  I,  605 — 619,  bald  ausgeschrieben  von  Angelomus  ebd.  IT,  675—677, 
die  Vorrede  zu  seiner  Via  regia  Epp.  IV,  533. 

^)  Simson,  Ludwig  d.  Fr.  II,  256 — 261,  vgl.  Dümmler,  Hist.  Zeitschr. 
XXXVII,  184,  Ostfr.  III,  651—652  und  über  Thomas  noch  Sigebert.  de 
SS.  eccles.  c.  133  und  NA.  XXVI,  567. 


228  n.  Karolinger.     §  10.    Ludwigs  des  Frommen  Zeit. 

Der  genaue  Zusammenhang  der  karolingischen  Reiche  aber  tritt  in 
diesen  Jahrbüchern  noch  deutlich  hervor,  indem  auch  die  italieni- 
schen und  die  deutschen  Begebenheiten  sorgfältig  berücksichtigt 
werden. 

Der  vornehmen  Kürze  der  Reichsannalen  treten  für  die  frühere 
Zeit  Ludwigs  die  Gedichte  des  Ermoldus  Nigellus^j  zur  Seite; 
schmeichlerische  Lobgedichte,  die  zwar  als  solche  kaum  zu  den 
eigentlichen  Geschichtsquellen  gerechnet  werden  können,  aber  doch 
allein  von  mancher  Einzelheit  uns  Kunde  geben ,  und  durch  ihre 
Schilderungen  vielerlei  Aufschlufs  gewähren  über  Zustände  und 
Personen  der  Zeit.  Aquitane  von  Geburt,  war  Ermold  ein  Günst- 
ling des  Königs  Pippin ;  er  geleitete  ihn ,  obwohl  Mönch ,  auf  der 
Heerfahrt  des  Jahres  824  gegen  die  Bretonen  mit  Schild  und  Speer: 
doch  scherzt  er  darüber  selbst,  und  sein  Herr  lachte  ihn  aus.  Der 
Kaiser  aber  gab  ihm  Schuld,  dafs  er  Pippin  verführe,  und  ver- 
bannte ihn  deshalb  nach  Strafsburg,  wo  Bischof  Bernald  ihn  unter 
seine  Aufsicht  nahm.  Hier  nun  schrieb  er  seine  vier  Bücher,  in 
Distichen,  über  die  Thaten  des  Kaisers,  mit  Ludwigs  aquitanischem 
Königtume  beginnend  bis  auf  Heriolds  Taufe  826,  und  es  liegt  in 
der  Natur  der  Dinge,  dafs  er  ihm  sowohl  wie  der  Kaiserin  Judith 
um  so  ärger  schmeichelte,  je  mehr  er  sich  seiner  Verbindung  mit 
ihren  Gegnern  bewufst  sein  mochte;  er  erreichte  jedoch  seinen 
Zweck  nicht,  und  sandte  deshalb  noch  zwei  Elegien  an  König  Pippin, 
deutlich  Ovid  nachahmend,  hinter  dem  er  doch  in  Sprache  und 
Versbau  unendlich  weit  zurückbleibt").  Die  eine  von  beiden  macht 
uns  mit  dem  damaligen  Elsafs  näher  bekannt.  Seine  Befreiung 
aber  mag  er  wohl  dem  Siege  der  Verschworenen  im  Jahre  830  ver- 
dankt haben-'). 

1)  Ausgabe  von  Pertz,  MG.  SS.  II,  464—523.  Migne  CY,  551—640 
nach  Bouquet  VI,  1 — 66.  Dümmler,  Poet.  Lat.  II,  1 — 92.  Verbesserungen 
von  Traube,  Karol.  Dicht.  S.  65.  Uebersetzung  von  Pfund ,  Berlin  1856. 
1889  (Geschichtschr.  18.  IX,  3).  Henkel,  Ueber  den  bist.  Wert  der  Ge- 
dichte des  Ermoldus  Nigellus,  Progr.  der  höheren  Bürgerschule  zu  Eilen- 
burg 1876.  Ebert  II,  170—178.  Simson,  Karl  d.  Gr.  II,  258  ff.  Teilw. 
übers,  von  Th.  Reinhart  im  Jahrb.  f.  Gesch. ,  Sprache  u.  Litter.  Elsafs- 
Lothr.  IL  1886. 

^)  Anklänge  an  Virgil,  das  allgemeine  Schulbuch,  fehlen  natürlich 
auch  nicht,  zuerst  gesammelt  von  Dorr,  De  bellis  Francorum  cum  Ara- 
bibus  gestis,  Dissert.  Regim.  1861,  p.  53—55,  dann  vollständiger  bei 
Dümmler,  nebst  anderen ,  besonders  auch  an  Theodulf  und  Naso ,  vgl. 
NA.  XI,  80.  554. 

*)  Die  früher  vermutete  Identität  mit  einem  Abt  Hermold  834  und 
dem  Abt  Ermenald  von  Aniane  kann  als  beseitigt  gelten;  vielleicht  aber 
war  er  der  Hermold,  der  838  als  Pippins  Kanzler  erscheint. 


Ei-moldus  Nigellus.    Theganus.  229 

Kaum  mindei*  lobrednerisch  für  Ludwig,  als  die  Verse  Ermolds, 
sind  die  beiden  Lebensbeschreibungen,  welche  wir  von  ihm  besitzen. 
Die  eine,  welche  nur  bis  835  reicht,  ist  schon  zu  seinen  Lebzeiten 
verfafst,  von  T  heg  an  oder  Degan,  einem  vornehmen  Franken  und 
Landbischofe  der  Trierer  Kirche .  auch  Probste  des  Cassiusstifts  in 
Bonn,  von  welchem  sonst  wenig  bekannt  ist,  aufser  seinem  freund- 
schaftlichen Verkehre  mit  Walahfrid  und  einigen  anderen,  den  ein 
Paar  noch  erhaltener  Briefe  und  Verse  bezeugen.    Er  ist  von  ganz 
besonderem  Eifer  gegen  die  aus  unfreiem  Stande  erhobenen  und  dann 
übermütig   gewordenen   Bischöfe   erfüllt,    von   denen  er  jedoch  nur 
Ebo  von  Reims  nennt;  man  vermutet  deshalb,  dafs  er  vielleicht  in 
dessen  Sprengel  ansässig  war  und  persönlich  von  ihm  zu  leiden  ge- 
habt hat.  Walahfrid  rühmt  (um  825)  Thegans  stattliche  Erscheinung, 
seine  gigantische  Statur,  und  seine  Gelehrsamkeit.    Jene  Schrift  nun 
ist  vielleicht  durch  Einhards  Werk  über  Karl   angeregt^),    verfolgt 
aber,   wie   es    B.  Simson   wahrscheinlich   macht,   einen   bestimmten 
politischen  Zweck,  indem  wohl  nicht  ohne  Absicht  neben  scharfem 
Tadel  Lothai-s  und  seiner  Anhänger    die  Verdienste  Ludwigs  des 
Deutschen  sehr  hervorgehoben  werden.     In  der  Form  sehr  unvoll- 
kommen, und  grüfstenteils  in  magerer  annalistischer  Weise  verfafst, 
gewähi't  sie  uns  doch  einige  gute  Nachrichten ;   der  Aufgabe   einer 
wirklichen  Biographie  aber  konnte  der  Verfasser  schon  deshalb  nicht 
genügen ,   weil  er   von  Leidenschaftlichkeit  gegen  Ludwigs  Gegner, 
vorzüglich  gegen  Ebo  von  Reims,  erfüllt  war,  und  die  wahren  Ur- 
sachen der  Unruhen   und  inneren  Kriege  verschweigt").    Walahfrid 
freilich,  ein  ebenso  eifriger  Anhänger  Ludwigs,  lobt,  indem  er  die 

')  Nach  Bernaj's  (Zur  Kritik  karoling.  Annal.  S.  47—53)  hätte  T.  auch 
das  Chron.  ]\Ioissiac.  benutzt. 

2)  Am  Schlüsse  folgen  noch  Nachrichten  über  die  Jahre  836  u.  837,  in 
welchen  die  Uebertragunsj  des  h.  Castor  nach  Koblenz  (daraus  entnommen, 
doch  mit  richtigem  Datum,  Anal.  Boll.  1,  119,  vgl.  NA.  Xll,  ÖOB)  auffallend 
hei-vortritt.  Ausgabe  von  Pertz,  MG.  SS.  FI,  585 — 604.  Uebersetzung  von 
.Jasmund,  1850.  1889  (Geschichtschr.  19.  IX,  4).  Ebert  11,359-361.  Eine 
Erwähnung  unter  dem  Namen  T  h  e  g  a  n  b  e  r  t  in  der  Transl.  Chrysanti  et 
Dariae  a.  844;  Urkk.  von  842  u.  847  NA.  XlII,  154.  157,  wo  er  Theigen- 
bert  heifst.  Obitus  Thegani  ep.  im  Necrol.  S.  Maximini  zum  20.  März. 
Ein  Brief  Thegans  Epp.  V,  337.  Ueber  Walahfrids  Vorrede  in  derselben 
Kopenhagener  Handschrift,  welche  auch  dessen  Vorrede  zu  Einhards  Vita 
erhalten  hat,  s.  Archiv  VII.  373;  im  St.  Galler  Catal.  s.  IX.  erscheint  das 
Buch  als  „De  bonitate  Hludouuici  imp.  in  quaternulis".  Weidm.  S.  400. 
Vgl.  B.  Simson,  Ueber  Thegan,  Forsch.  X,  325—352.  ]\Ianitius,  NA.  XI,  71. 
Benutzt  ist  die  Vita  in  der  Domus  Carolingicae  Genealogia  (SS.  IT,  309, 
vgl.  Forsch.  X,  338) ,  den  Ann.  Lobienses  und  Flodoardi  Hist.  Remensis. 
Von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Umwälzung  des  J.  830  ist  auch  der 
Bericht  der  Ann.  Mett.,  verbessert  von  Hampe,  NA.  XXII,  695. 


230  if-  Karolinger.     §  10.    Ludwigs  des  Frommen  Zeit. 

Mängel  des  Ausdrucks  mit  der  seelsorgerischen  Thätigkeit  des  Mannes 
entschuldigt,  gerade  die  Wahrhaftigkeit  desselben :  er  teilte  das  Büch- 
lein in  Kapitel  und  versah  diese  mit  üeberschriften ,  um  sich  und 
andere  an  den  Thaten  des  Kaisers  Ludwig,  heiligen  Andenkens,  um 
so  besser  und  häufiger  erbauen  zu  können. 

Mit  geringerer  Heftigkeit,  doch  mit  nicht  minderer  Parteilich- 
keit für  Ludwig  ist  die  zweite  gröfsere  Lebensbeschreibung  des- 
selben') geschrieben,  welche  ein  unbekannter  Geistlicher  vom  Hofe 
bald  nach  dem  Tode  des  Kaisers  verfafst  hat;  man  pflegt  ihn  den 
Astronomen  zu  nennen,  wegen  einiger  Bemerkungen,  welche  sich 
auf  diese  Wissenschaft  beziehen.  Tiefere  geschichtliche  Einsicht 
dürfen  wir  bei  einem  Anhänger  Ludwigs  überhaupt  nicht  suchen, 
und  auch  der  Stil  dieses  Biographen  ist  entstellt  durch  übertriebenes 
Streben  nach  phrasenhaftem  Schmucke.  So  hat  er  in  dem  mittleren 
Teile  seines  Werkes  von  814 — 829  fast  nur  die  Reichsannalen  aus- 
gemalt und  durch  seine  Schönrednerei  entstellt^).  Schätzbarer  ist 
der  erste  Abschnitt,  wo  Ludwigs  Jugendzeit  nach  den  Erzählungen 
oder,  wie  Ebert  vermutet,  nach  einer  schriftlichen  Aufzeichnung  des 
Mönches  Adhemar  geschildert  ist,  der  mit  dem  Kaiser  auferzogen 
war.  Im  letzten  Teile  endlich  gibt  der  Verfasser  aus  eigener  Kunde 
Nachricht  von  dem,  was  er  erlebt,  und  wenn  auch  seine  Darstellung 
wenig  zu  loben,  die  Chronologie  sehr  verwirrt  ist,  so  ist  doch  der 
Inhalt  von  grofsem  Werte  für  uns.  Auf  den  Tod  des  Königs  Bern- 
hard von  Italien  (f  17.  April  817),   welcher  hier,   übereinstimmend 

')  MG.  SS.  II,  604—648.  Uebers.  mit  Thegan.  Ebert  II,  361—364. 
Ueber  die  Steinfelder  Handschrift,  jetzt  Mus.  Brit.  21109,  Archiv  VII,  365: 
NA.  XXII,  227;  über  die  Petersburger  NA.  V,  221.  Ueber  stilistische  An- 
klänge Manitius,  NA.  XI,  70—73. 

^)  Zuletzt  hat  G.  Meyer  von  Knonau  in  d.  Abb.  über  Nithard  ausführ- 
lich nachgewiesen,  S.  132 — 135,  wie  der  Astr.  c.  23—43,  die  Ann.  Lauriss. 
814—829  benutzend,  sie  entstellt;  S.  129— 132.  135,  wie  er  c.  59—62 
Nithard  c.  6 — 8  in  ähnlicher  Weise  behandelt  hat,  dessen  Benutzung  mir 
jedoch  zweifelhaft  ist;  S.  129—132  ist  die  Verwirrung  der  Chronologie 
c.  54 — 61  beleuchtet.  Für  den  hohen  Wert  des  ersten  Teils  ist  daher 
das  Hauptverdienst  Adhemar  zuzuschreiben.  Diesen  hält  Dorr,  De  bellis 
Francorum  cum  Arabibus  gestis  (Diss.  Regiom.  1861)  p.  51,  nach  einer  Ver- 
mutung Giesebrechts  für  den  wiederholt  genannten  Heerführer  Hadhemar, 
der  im  Alter  Mönch  geworden  sei.  Allein  die  verschiedene  Schreibart  in 
demselben  Buche,  der  Mangel  jeder  Hindeutung  darauf  und  die  Häufigkeit 
des  Namens  in  Aquitanien  sprechen  dagegen.  B.  Simson,  Lud.  d.  Fr.  II, 
294 — 301  behandelt  das  Werk  ausführlich  und  vermutet,  dafs  es  unvoll- 
ständig überliefert  sei.  Benutzte  Verse  von  Virgil  weist  Manitius  nach, 
NA.  IX,  618,  andere  Anklänge  XI,  70 — 73.  Dafs  er  die  Verdienste  Lud- 
wigs als  Klosterstifter  in  Aquitanien  übertrieben  habe,  sucht  Tykocinski 
nachzuweisen:  Quellenkrit.  Beitr.  zur  Gesch.  Ludw.  d.  Fr.  (Leipz.  Diss. 
von  1898)  S.  22—35. 


Der  Astronom.     Benedikt  von  Aniane.     Doda.  231 

mit  Andreas  von  Bergamo  c.  8,  der  Kaiserin  Irmingard  (f  818)  Schuld 
gegeben  wird ,  bezieht  sich  auch  die  Visio  cuiusdam  mulier is 
p  a  u  p  e  r  c  u  1  a  e  '). 

Diesen  Schriften  reihen  wir  noch  das  Leben  des  Abtes  Bene- 
dikt an,  des  Stifters  des  Klosters  Aniane  (1821),  der  das  Ver- 
trauen des  Kaisers  in  so  hohem  Grade  besals;  zuletzt  Abt  des  für 
ihn  erbauten  Klosters  Inden  oder  Cornelimünster,  wurde  er  zugleich 
Obervorsteher  aller  Klöster  im  Frankenreich,  und  entfaltete  eine 
grofse  Wirksamkeit  für  die  Reform  des  Mönchswesens  und  Her- 
stellung der  Schulen.  Sein  Leben  wurde  ein  Jahr  nach  seinem  Tode 
(821)  von  Ar do,  genannt  Smaragdus,  seinem  Nachfolger  als  Abt 
von  Aniane,  in  anschaulicher  Weise  liebevoll  geschildert,  mit  beson- 
ders genauer  Kenntnis  der  früheren  Zeit,  wie  er,  damals  Witiza 
genannt,  ein  edler  Gote,  Sohn  des  Grafen  von  Maguelonne,  ein 
tapferer  Kriegsmann,  Mönch  wurde  und  sich  zuerst  einer  ganz  über- 
triebenen Askese  hingab,  bis  das  Leben  ihn  erzog,  und  nun  seine 
reformatoi'ische  Thätigkeit  weithin  wirksam  wurde,  doch  scheint  die 
ursprüngliche  Fassung  etwas  überarbeitet  worden  zu  sein.  Auch 
die  Bekehrung  des  Grafen  Wilhelm  von  Toulouse  wird  darin  berichtet, 
dessen  Leben  später,  nicht  vor  dem  11.  Jahrhundert  und  im  Gegen- 
satze zu  älteren,  nicht  mehr  vorhandenen  Liedern,  in  denen  er  als 
Guillaume  d'Orange  verherrlicht  wurde,  fabelhaft  ausgeschmückt 
ist^).  Das  Streben  Anianes,  Gellone  in  Abhängigkeit  zu  bringen, 
hat  zu  späteren  Fälschungen  geführt. 

Ein  merkwürdiges  Denkmal  aus  dieser  Zeit  ist  der  Uher  iwtmi- 
alis  Bodarwe,  die  von  Dhuoda,  der  Witwe  des  Grafen  Bernhard  von 
Septimanien,  im  Jahre  841  für  ihren  Sohn  Wilhelm  (I.)  verfassten 
Ratschläge  und  Unterweisungen,  woraus  einst  Mabillon  und  Baluze 
Auszüge  gegeben  haben,  welche  jetzt  mit  Benutzung  einiger  neu- 
gefundenen Fragmente  von  E.  Bondurand  neu  herausgegeben  sind^). 


')  Sie  ist  in  den  früheren  Auflagen  dieses  Buches  abgedruckt,  zuletzt 
in  der  sechsten  S.  277 — 278  und  danach  bei  Malfatti,  Bernardo  re  d'Italia, 
Firenze  1876  (Nuova  Antologia). 

2)  Mab.  IV,  1,  191.  S.  XV,  198—220  von  Waitz,  mit  Exe.  der  Vita 
WilleJnii  monachi  Gellonensi.'^.  Ebert  II,  346—348.  Hauck  II,  575—592. 
Vgl.  Puckert,  Aniane  und  Gellone  S.  104 — 120.  Ueber  Benedikt  v.  An. 
vgl.  Traube,  Reg.  S.  Bened.  S.  722  ff.;  NA.  XX VIT.  738.  Ueber  das  Leben 
des  Adalhard  und  Wala  s.  unten  §  18. 

^)  L'Education  carolingienne.  Le  manuel  de  Dhuoda.  Paris  1887. 
Die  darin  enthaltenen  Rhvthmen  werden  von  Traube  verbessert,  Karol. 
Dichtungen  S.  137—149  und  von  Winterfeld,  NA.  XXV,  402—404.  Vgl. 
auch  Ph.  Aug.  Becker,  Dhuodas  Handbuch.  Zeitschr,  für  Roman.  Philol. 
XXI  (1897),  73—101;  XXIT,  392. 


232  Tl.  Karolinger.     §  10.    Ludwigs  des  Frommen  Zeit. 

Auf  ihn  wahrscheinlich  bezieht  sich  eine  Reihe  von  Trinkliedern, 
■welche  die  Mönche  von  St.  Julien  in  Brioude  ihm  als  ihrem  Wohl- 
thäter  gesungen  haben'). 

In  einer  Zeit  der  erbittei'tsten  Parteiungen  konnte  die  Geschicht- 
schreibung nicht  den  Charakter  ruhiger,  unparteilicher  Schilderung 
bewahren,  den  wir  in  den  Reichsannalen  wahrnehmen;  jede  Erzählung 
nimmt  eine  bestimmte  Farbe  an  nach  dem  Standpunkte  des  Ver- 
fassers, und  es  treten  nun  auch  die  politischen  Streitschi-iften  hinzu, 
in  welchen  die  Gegner  ihr  Verfahren  zu  rechtfertigen,  die  Wider- 
sacher anzuschuldigen  sich  bemühen.  Dahin  gehört  namentlich  das 
beredte  Manifest  des  Erzbischofs  Agobard  von  Lyon,  eines  der  be- 
deutendsten theologisch-politischen  Schriftsteller  dieser  Zeit,  welches 
das  Auftreten  der  Söhne  gegen  ihren  Vater  rechtfertigen  sollte^),  und 
von  der  anderen  Seite  die  Klage  des  Herrn  Kaiser  Ludwig, 
angeblich  von  ihm  selbst  verfafst,  in  Wahrheit  doch  wohl  nur  eine 
Stilübung  aus  dem  Kloster  des  h.  Medardus^).  Ferner  eine  in  Lud- 
wigs Auftrage  im  Jahre  834  verfafste  und  mit  vielen  Bibelstellen 
begründete  Mahnung  Hrabans  an  die  Söhne  zum  Gehorsam  und 
zur  Unterwürfigkeit  unter  den  Vater*). 

Den  Tod  des  Kaisers  und  die  darauffolgende  Zwietracht  beklagte 
in  einer  Elegie  Florus,  der  als  Vorkämpfer  der  kirchlichen  Inter- 
essen gegen  die  weltliche  Gewalt  bekannte  Diakonus  von  Lyon^), 
Agobards  vertrauter  Freund. 

^)  Herausgegeben  von  Dümmler,  NA.  X,  347 — 351,  von  Winterfeld 
Poet.  Car.  IV,  350-353,  vgl.  NA.  XXV,  404. 

'^)  Ajjologeticus  pro  ßliis  Ludovici  Pii  imp.  adv.  patrem,  Bouq.  VI,  248 
u.  a.  m.  Eigentlich  zwei  verschiedene  Schriften,  s.  B.  Simson  I,  398.  II,  67, 
und  als  solche  SS.  XV,  274—279  ed.  Waitz  (vgl.  Epp.  V,  151  n.  3)  als: 
Libri  duo  pro  filüs  et  contra  Judith  uxorem  Lud.  Fii.  Agobards  Schriften 
(ed.  Baluze  1666 ,  Migne  CIV)  beleuchten  vielfach  die  Zeitverhältnisse. 
Briefe  Epp.  V,  150—239.  S.  über  ihn  Baehr  S.  98.  383—388.  C.  v.  Noorden, 
Hinkmar  S.  39.  B.  Simson  1 ,  397—399.  Reuter ,  Gesch.  d.  Aufklärung 
I,  24—41.  Ebert  II,  209—222,  und  die  Gedichte  an  ihn,  Poet.  Car.  II, 
118.  356.  Traube,  Karol.  Dichtungen  150—155.  J.  F.  Marcks,  Die  poli- 
tisch-kirchliche Wirksamkeit  A.  Progr.  d.  Realprogymn.  zu  Viersen  1888. 
Enge,  De  Agobardi  cum  Judaeis  contentione,  Lips.  1888.  Er  starb  840 
Juni  6,  Ann.  Lugdun.  MG.  I,  110. 

*)  Sie  findet  sich  in  der  Translatio  S.  Sebastiani  (oben  S.  218),  ist 
aber  auch  unter  dem  Titel  Conquestio  domni  Chludovici  imjieratoris  et 
augnsti  piissimi  de  crudelitate  et  defectione  et  fidei  ruptione  niiUtum 
suoriim  et  horrendo  scelere  filiorum  suorum  in  sui  deiectione  et  depositione 
patrato  abgesondert  überliefert.  Ausg.  v.  Holder-Egger  SS.  XV,  388.  — 
Dahin  gehört  auch  die  gegen  Ebo  gerichtete,  von  Flodoard  (H.  R.  II, 
c.  19)  aufgenommene    Visio  Raduini,  NA.  XI,  262. 

•*)  Epp.  V,  403 — 415,  woran  sich  noch  eine  zweite  allgemeiner  gehal- 
tene Schrift  verwandten  Inhaltes  anschliefst,  ebd.  416 — 420. 

')    Querela   de   divisione  imiierii  p)Ost  mortem  Ludovici  Pii ,   bei  Mab. 


Nithards  Leben  und  Geschichtswerk.  233 


§  11.     Der  Streit   der   Sühne.     Nithard. 

Nithardi  Historiarum  libri  lY.  od.  Pertz,  MG  SS.  II,  tii9-t)72.  Besonderer  Abdruck 
Hann.  1839:  2.  Ausr.  mit-  neuer  Benutzung  der  Pariser  Handschrift,  sonst  ohne 
Zusatz,  1870;  von  Holder  mit  wiederholter  Benutzung  derselben  1880.  Ueber- 
setzung  von  Jasmund,  Berlin  1851.  1889  (Geschichtschr.  20.  IX,  5;  S.  67  1.  fünften 
statt  15).  —  Die  Eidesformeln  jetzt  auch  bei  Müllenhoft'  und  Scherer  S.  1«7 
(3.  Ausg.  I,  231),  vgl.  S.  170  (II.  3(>5).  Brakelmann  in  Hoepfners  und  Zachers 
Zeitschr.  f.  il.  Philol.  III,  8.')— O.i.  Arbois  de  Jubainville,  Le  Text  tYanc.  etc. 
Bibl.  de  l'Ecole  des  Chartes  XXXII,  321—340.  Faks.  bei  G.  Paris,  Les  plus  anciens 
Monuments  de  la  langue  Fran<.aise  (1875)  pl.  1.  Chr.  Piltz,  De  vita  et  fide  Nit- 
hardi, Diss.  Hai.  1865.  Gerold  Meyer  von  Knonau,  l'eber  Nithards  vier  Bücher 
Geschichten,  Leipz.  1866,  4.  0.  KuiitzemüUer ,  Nithard  u.  sein  Geschichtswerk, 
Diss.  Jen.  1873.  Ebert  II,  370  374.  Die  Handschrift  stammt  aus  Saint-Magloire 
in  Paris,  Hist.  Zeitschr.  XXXI,  220.  Delisle,  Note  sur  le  Catalogue  gen^ral  p.  37, 
ursprünglich  aus  St.  Medard  de  Soissons  nach  Giry,  Mel.  jul.  Havet  p.  722. 
Manitius,  Parallelstellen,  NA.  IX,  618.    XI,  69—73. 

Wir  haben  schon  früher  gesehen,  wie  am  Anfange  des  Mittel- 
alters diejenigen  ^länner,  welche  sich  durch  litterarische  Bildung 
auszeichneten,  wenn  sie  auch  ihr  Wissen  noch  nicht  der  Kirche  ver- 
dankten, doch  zuletzt  dieser  sich  zuwandten,  und  dasselbe  wiederholt 
sich  auch  in  Karls  Zeit.  Die  fränkischen  Ritter  verschmähten  jede 
gelehrte  Bildung,  und  die  Bemühungen  Karls  in  dieser  Beziehung 
blieben  ohne  dauernde  Wirkung.  Die  Kirche  war  gar  bald  wieder 
alleinige  Hüterin  des  Griffels  und  der  Feder.  Auch  Einhard  hatte 
sich  klösterlichem  Leben  zugewandt,  wenn  er  auch  nicht  in  den 
geistlichen  Stand  getreten  war,  und  kriegerische  Waffen  hatte  er  nie 
geführt.  Selbst  Angilbert,  wenn  er  jemals,  wie  man  später  erzählte, 
ein  Kriegsheld  gewesen  war,  zog  doch  die  Kutte  an;  sein  Sohn 
Nithard  aber  bietet  uns  das  einzige  Beispiel  eines  vornehmen  und 
tapferen  Streiters,  der  wirklich  das  Schwert  aus  der  Hand  legte,  um 
auch  mit  der  Feder  die  Sache  seines  Herrn  zu  verteidigen.  Freilich 
hat  seine  Rede  nicht  mehr  den  Wohlklang  von  Angilberts  Muse; 
man  fühlt  ihr  die  Zeit  an,  wo  schon  über  den  Verfall  der  Schulen 
geklagt  wird,  sie  ist  rauh  und  hart,  aber  dafür  entschädigt  der 
tüchtige  Sinn  des  Mannes,  seine  Einsicht  und  Kenntnis  der  Dinge. 
Dafs  auch  seine  Schrift  durchaus  parteiisch  ist,  versteht  sich  von 
einem  Manne,  der  mitten  in  den  heftigsten  Kämpfen  stand,  von 
selbst;  es  konnte  nicht  anders  sein^). 

Anal.  I,  38^,  ed.  TI  p.  413.  Bouq.  VIT,  301.  Poet.  Car.  II,  559—564. 
Vgl.  über  ihn  Ebeit  II,  268— '272.  Dümmler,  NA.  IV,  296—301.  581.  630. 
Poet.  Car.  II,  507—566.  Einen  Nachtrag  (2  Gedichte)  hat  Patetta  ge- 
liefert in  den  Atti  der  Turiner  Akad.  (1891/92)  XXVII,  123—129.  Ueber 
seine  Kanonensammlung  M.  Conrat,  Gesch.  d.  Quellen  u.  Litt.  d.  Rom. 
Rechts  (1889)  I,  253;  vgl.  auch  NA.  XI,  436. 

^)  Kuntzemüller  bekämpft  diese  Auffassung,  allein  es  war  gar  nicht 
anders  möglich  und  ist,  da  seine  Wahrheitsliebe  allgemein  anerkannt  ist, 
auch  kein  Vorwurf. 


234  11-  Karolinger.     §  11.    Streit  der  Söhne. 

Nithard  war  ein  eifriger  Anhänger  Karls  des  Kahlen  und  teilte 
mit  ihm  alle  Wechselfälle  des  Kriegs.  Im  Jahre  840  übernahm  er 
eine  Gesandtschaft  an  Lothar,  und  als  diese  vergeblich  blieb,  zog  er 
mit  Karl  dem  Heere  Lothars  entgegen ;  da,  als  sie  eben  im  Begriffe 
waren,  in  Chalons-sur- Marne  einzureiten,  gab  Karl  ihm  den  Auftrag, 
die  Geschichte  seiner  Zeit  zu  schreiben,  um  sein  Recht  aller  Welt 
darzulegen.  Doch  war  ihm  zunächst  noch  Nithards  Schwert  wich- 
tiger, als  seine  Feder;  am  25.  Juni  841  wurde  die  Entscheidungs- 
schlacht bei  Fontenoy  geschlagen,  wo  auch  Nithard,  wie  er  selbst 
erzählt,  tapfer  kämpfte.  Dann  griff  er  wieder  zur  Feder ;  im  ersten 
Buch  stellte  er  einleitend  die  Ereignisse  dar,  welche  zu  diesen 
Kämpfen  geführt  hatten,  die  Reichsteilungen  und  die  Verwirrung, 
welche  daraus  entstanden  war,  zweckmäfsig  und  übersichtlich  er- 
zählend'). Mit  Ludwigs  Tode  hebt  im  zweiten  Buch  die  ausführliche 
Darstellung  an;  das  Unrecht  Lothars  und  die  Verwerf lichkeit  seines 
Benehmens  gegen  die  Brüder  sind  der  vorzügliche,  auch  in  dem  an 
Karl  gerichteten  Vorwort  ausdrücklich  bezeichnete  Gegenstand.  Die 
Schilderung  des  entscheidenden  Kampfes,  mit  dem  das  Buch  schliefst, 
unterbricht  Nithard  durch  die  Bemerkung,  dafs  eben  jetzt,  während 
er  schreibe^),  am  18.  Oktober  desselben  Jahres,  die  Sonne  sich  ver- 
finstere. Das  dritte  beginnt  er  voll  Unmut:  er  habe  gar  nicht  weiter 
schreiben  wollen,  weil  es  ihn  schmerze  und  ihm  zuwider  sei,  von 
seinem  Volke  Schmähliches  zu  berichten;  doch  damit  nicht  etwa 
jemand  sich  erkühne,  die  Sachen  anders  zu  berichten  als  sie  sich 
ereignet  hätten,  habe  er  sich  entschlossen,  noch  ein  drittes  Buch 
hinzuzufügen  über  dasjenige,  woran  er  selber  teilgenommen,  die 
Verhandlungen  nämlich,  die  ihn  fortwährend  in  Anspruch  nahmen. 
Mit  ähnlichen  Worten  beginnt  er  auch  das  vierte  Buch,  das  letzte, 
welches  leider  nur  bis  zum  Anfange  des  Jahres  843  reicht;  dann 
scheint  er  in  sein  Kloster  zurückgekehrt  zu  sein,  vermutlich  eben 
deshalb,  weil  es  ihm  als  Laienabte  verliehen  war.  Ich  hatte  früher 
ganz  bezweifelt,  dafs  er  Abt  gewesen  sei,  allein  da  die  Grabschrift 
wirklich  von  dem  Zeitgenossen  Micon  zu  sein  scheint,  so  müssen  wir 
ihm  glauben,  dafs  Nithard  kurze  Zeit  {paucissimis  diehus  sagt 
Hariulf )  Abt  gewesen  und  als  solcher  im  Kampf  gefallen  sei.  Da 
schon  im  Sept.  844  Ludwig  Abt  ist,    so    mufs  er   vor   diesem   ein- 

')  Gegen  Pertz  haben  Pätz  und  G.  Meyer  v.  Knonau  Benutzung  des 
Nithard  beim  Astronomus  nachzuweisen  gesucht,  die  mir  doch  noch 
zweifelhaft  ist. 

^)  Wahrscheinlich  im  Lager  Karls  zu  St.  Cloud,  s.  Funck  S.  274, 
Dümmler,  Ostfr.  I,  lü9. 


Nithards  Leben  und  Geschichtswerk.  235 

geschoben  werden,  und  es  mag  die  Vermutung  von  Traube  richtig 
sein,  dafs  Richbod,  nachdem  er  noch  842')  die  feierliche  Erhebung 
Angilberts  besorgt  hatte,  ihm  den  Platz  hat  räumen  müssen,  was 
in  diesem  Kloster  mehrmals  vorkam.  Wir  hören  nichts  weiter  von 
ihm,  als  dafs  im  elften  Jahrhundert,  als  Angilberts  Grab  in  St. 
Riquier  erüfinet  wurde,  man  darin  die  Leiche  Nithards  fand,  in  Salz 
gelegt,  in  dem  hölzernen,  mit  Leder  bedeckten  Sarge,  worin  er  einst 
vom  Schlachtfelde  heimgetragen  war,  an  seinem  Haupte  die  Wunde, 
welche  ihm  den  Tod  gegeben.  Damals  hat  man  ihn  als  Abt  gemalt, 
und  der  Klosterdichter  Micon  verfafste  dazu  ein  Epitaph-).  Als  Todes- 
tag Avird  XVIII.  Kai.  Jun.  angegeben,  was  richtiger  durch  Id.  Mai. 
bezeichnet  wäre.  Dürfte  man  statt  dessen  Jul.  setzen,  so  kämen  wir 
auf  den  14.  Juni.  Merkwürdigerweise  aber  ist  nach  Prudentius 
der  Abt  Richbodo  von  St.  Riquier  am  14.  Juni  844  am  Agout  gefallen, 
und  ist  auch  dieser  ein  Enkel  Karls  des  Grofsen  gewesen.  Leider 
fehlt  es  uns  an  jeder  zuverlässigen  Nachricht  zur  Aufklärung  dieser 
Verhältnisse;  wenn  Nithard  mit  ihm  zugleich  gefallen  wäre,  so 
mufs  man  doch  annehmen,  dafs  er  sicherlich  auch  hätte  erwähnt 
werden  müssen. 

Ungern  trennen  wir  uns  von  diesem  Büchlein,  dem  Werke  eines 
wackeren  Kriegshelden  und  einsichtigen  Staatsmannes,  welcher  so 
recht  aus  der  Mitte  der  Begebenheiten  mit  Ernst  und  Wahrheitsliebe 
berichtet,  was  er  selbst  durchlebt,  woran  er  selbst  den  bedeutendsten 
Anteil  genommen  hat.  Unwillkürlich  knüpft  sich  daran  der  Ge- 
danke, wie  ganz  anders  die  Geschichtschreibung  sich  hätte  entwickeln 
können,  wenn  die  Laien  der  folgenden  Jahrhunderte  es  nicht  ver- 
schmäht hätten  zu  schreiben ,  wenn  nicht  die  Feder  ausschliefslich 
der  Geistlichkeit  überlassen  wäre,  der  wir  zwar  viel  schöne  und 
treffliche  Werke  zu  danken  haben,  die  aber  mit  Notwendigkeit  ihre 
einseitig  kirchliche  Auffassung  auf  alle  Verhältnisse  übertrug.  Wir 
möchten  ihre  Werke  nicht  missen,  aber  gar  gerne  hätten  wir  daneben 
auch  die  Stimmen  einsichtiger  Laien. 

Doch  ist  Nithard  nicht  der  einzige  von  den  Kämpfern  in  der 
Schlacht  bei  Fontenoy,  dessen  Worte  uns  vorliegen :  auch  von  Lothars 
Seite  ist  uns  eine  Schilderung  der  Schlacht  erhalten  in  dem  Klage- 
liede  jenes  Angilbert,  der,  im  ersten  Treffen  kämpfend,  von  vielen 
allein  übrig  geblieben  war.  Voll  tiefen  Grames  sind  seine  Worte, 
nirgends   tritt   uns  so  lebendig  der  bittere  Schmerz  entgegen  über 

\)  Arn  24.  Okt.  nach  Meyer  v.  Knonau,  Anm.  292.  dem  Traube  (für 
den  5.  Nov.)  widerspricht,  Poet.  Gar.  III,  268. 

'-)  Jetzt  Poet.  Car.  IIJ,  310  von  Traube  herausgegeben. 


236  II'  Karolinger.     §  11.    Streit  der  Söhne. 

diese  allzu  hai-te  Nacht,  in  welchei-  die  Tapfei'sten  gefallen  sind,  die 
Kundigsten  des  Krieges^).  Die  Form  dieser  Verse  ist  rhythmisch, 
die  Sprache  diejenige,  welche  uns  schon  aus  der  merowingischen  Zeit 
bekannt  ist,  lateinisch,  wie  es  ein  Romane  sprechen  und  schreiben 
konnte,  ohne  es  schulmäfsig  erlernt  zu  haben.  Daher  haben  wir 
auch   dergleichen    Dichtungen   nur   aus  Frankreich")   und  Italien^), 

')  „Ubi  fortes  ceciderunt,  proelio  doctissimi. "  Anf.  Aurora  cum.  Ge- 
druckt in  der  Oktavausgabe  des  Nithard  S.  55  f.  u.  sonst  häufig.  Cousse- 
maker,  Hist.  de  Tharmonie  (1852)  86  u.  Faks.  pl.  I,  3.  Erste  vollständige 
Ausgabe  (2  neue  Strophen)  bei  Dümmler  in  den  philol.  Abh.  zu  Ehren 
Th.  Mommsens,  1877,  besser  Poet.  Car.  11,  138.  Die  Verse  fangen  nach 
der  Keibe  mit  den  Buchstaben  des  Alphabets  an,  reichen  aber  nur  bis  P. 
Eine  üebersetzung  mit  Erläuterungen  bei  Meyer  von  Knonau  S.  139,  und 
nebst  anderen  im  Anhange  zu  dessen  Schrift:  Die  schweizerischen  hist. 
Volkslieder  des  15.  Jahrb.  (Zürich  1870)  S.  66.  Ebert  II,  318.  Vgl.  über 
die  histor.  Lieder  Seemüller,  Stud.  zu  den  Ursprüngen  der  altd.  Historio- 
graph.  in  Abhandl.  zur  German.  Philol.  für  Heinzel  S.  45 — 61. 

-)  Bei  Dumeril,  Poesies  populaires  Latines  anterieures  au  douzieme 
siede  finden  sich  S.  251  ein  Klagelied  um  den  Tod  des  Abtes  Hugo  844 
Hug  dulce  nomen  (auch  bei  Coussemaker  92  mit  Faks.  pl.  II,  2,  Poet.  Car. 
II,  189,  vgl.  Puckert,  Aniane  u.  Gellone  S.  272  A.  16,  s.  über  ihn  Sickel, 
Acta  Karol.  1 ,  96) ;  S.  258  eine  Klage  Gotschalks  in  seiner  Verbannung 
846  oder  847  Ut  quid  iube.'i  (Couss.  49  u.  pl.  II,  3;  Poet.  Car.  III,  731, 
vgl.  Bibl.  de  l'ec.  des  eh.  IX,  143,  a.  1899,  Ebert  II,  166);  S.  255  Verse 
auf  die  Zerstörung  des  Klosters  Montglonne  oder  Saint-Florent-le-Vieil 
durch  die  Bretonen  853,  Vulces  niodos  (neue  Ausgabe  nach  dem  MS.  von 
Midlehül  von  Dom  Pitra,  Archives  des  Missions  scientifiques  IV,  182 
a.  1856;  Poet.  Car.  II,  147,  vgl.  W.  Meyer,  Fragm.  Bur.  S.  168—169); 
S.  266  Sigloards  Klagelied  um  Fulko  von  Reims  0  Fulco  (900)  (Poet. 
Car.  IV,  174 — 175).  Anderer  Art  sind  Theodulfs  Oden  auf  Ludwigs  des 
Frommen  Ankunft  in  Orleans  und  in  Tours,  Poet.  Car.  I,  529.  578. 

')  Rhythmische  Beschreibung  von  Verona  aus  Pippins  Zeit,  von  Rather 
mitgebracht  und  nebst  einem  Stadtplane  von  Verona  in  eine  (verschollene) 
Handschrift  des  Klosters  Lobbes  eingetragen ,  Magna  et  praeclara ,  Poet. 
Car.  I,  119.  Traube,  Karol.  Dicht.  S.  122—129.  Verse  auf  K.  Pippins 
Sieg  über  die  Avaren  796  (Omnes  gentes)  in  Pertz'  Oktav-Ausgabe  von 
Einhards  V.  Caroli  p.  35,  Poet.  Car.  I,  116,  vgl.  Zeitschr.  f.  D.  Altert. 
XLIII,  148,  W.  Meyer,  Fragm.  Bur.  S.  168.  Paulinus'  Klage  über  Her- 
zog Erichs  Tod  (799  Mecum  Timavi)  v.  c.  p.  87,  Dumeril  S.  241,  Cousse- 
maker S.  87  und  Faks.  pl.  I,  4.  Sinner,  Catal.  Bern.  I,  148 — 157  mit 
Erläuterungen,  Poet.  Car.  I,  131.  Planctus  Caroli  (814,  A  soUs  ortu) 
vermutlich  aus  Bobbio ,  bei  Einhard  S.  41 ,  Dumeril  S.  245 ,  Cousse- 
maker S.  91  mit  Faks.  pL  II,  1,  Poet.  Car.  I,  435;  darauf  bezieht  sich 
Thietm.  IX,  30  (VIII,  15),  indem  er  den  darin  als  Patron  des  Klosters 
angeredeten  Columban  für  den  lebenden  Abt  zu  halten  scheint.  Ganz 
verschieden  davon  ist  das  viel  jüngere  oft  gedruckte  Kirchenlied  Vrbs 
Aquensif!,  welches  auch  auf  Zürich  und  Frankfurt  angewandt  ist.  —  Klage 
um  Aquileja,  Ad  flendos,  Paulinus  zugeschrieben,  Poet.  Car.  I,  142  Spott- 
verse auf  dasselbe,  Aquilegia  gloriosa ,  ib.  II,  150,  verb.  von  Traube, 
Karol.  Dichtungen  134 — 135,  zwischen  844  und  855  von  einem  Venetianer 
zur  Verteidigung  der  Gradenser  Rechte  verfafst,  s.  AV.  Meyer,  Abhandl. 
der  Gott.  Ges.,  N.  F.  II,  6.  Ueber  Ludwigs  II.  Gefangenschaft  (871, 
Audite  omneft)  Dumeril  S.  264.   Poet.  Car.  III,  404;  ib.  p.  405  sein  Epitaph 


Rliytbniische  Dichtunf^en.     Audradus.  237 

aus  Deutschland  nur  Kunstpoesie  gelehrter  Geistlicher')-  Daneben 
sang  das  Volk  seine  deutschen  Lieder,  die  wohl  gelegentlich  erwähnt 
werden,  die  aber  niemand  autschrieb.  Nur  der  Ludwigsieich, 
gedichtet  auf  die  Normannenschlacht  bei  Saucourt  (881),  bildet 
davon  eine  Ausnahme^). 

Ein  höchst  eigentümliches  Erzeugnis  jener  traurigen  Zeiten ,  in 
denen  durch  die  Zwietracht  der  Brüder  alle  Ordnung  gestört  war 
und  besonders  die  Kirchen  fortwährender  Beraubung  und  IMilshand- 
lung  ausgesetzt  wurden,  wo  dann  auch  Karl  der  Kahle  die  anfangs 
noch  an  ihn  geknüpften  Hoffnungen  in  zunehmender  Weise  täuschte, 
sind  die  Schriften  und  vorzüglich  die  ßevelationen  des  Audradus 
Modicus  aus  dem  Martinskloster  zu  Tours,  der  847  vom  Erz- 
bischof  Wenilo  zum  Landbischof  von  Sens  eingesetzt  wurde,  im 
Nov.  849  aber  mit  seinen  meisten  Amtsbrüdern  diese  Stelle  wieder 
verlor.  Im  März  849  überreichte  er  seine  gesammelten  Schriften 
in  Rom  dem  Papste  Leo  IV.,  welcher  sie  im  Archive  von  St.  Peter 
niederlegte;  die  angeblichen  Visionen  aber  setzte  er  noch  bis  853 
fort.  Diese  nur  fragmentarisch  erhaltenen  Schriften  sind  kürzlich 
durch  neugefundene  Fragmente  verständlicher  geworden  und  von 
L.  Traube  in  scharfsinniger  Weise  erläutert;  sie  enthalten  nicht 
unbedeutende  Beiträge  zur  Geschichte  der  Zeit^). 

§   12.     Frechulfs   Weltchronik    und    andere    Chroniken. 

Wir  haben  oben  S;  lü  die  ersten,  noch  recht  unvollkommenen 
Versuche  betrachtet,  die  fast  verlorene  Verbindung  mit  der  Ver- 
gangenheit  herzustellen.      Die    Ereignisse    der   Gegenwart    nahmen 

Ilic  cuhat.  Das  Wächterlied  aus  Modena  vor  der  Belagerung  durch  die 
Ungarn  892  0  tu  qui  bei  Dumeril  S.  268;  Poet.  Car.  III.  703—705;  vgl. 
NA.  XXVII,  233—236.  Job.  Merkel  NA.  I,  572  hielt  es  für  älter.  —  Das 
von  Baronius  auf  Lothar  (855)  bezogene  Epitaphium  Caesar  tuntus  eras 
ist  von  Dümmler  NA.  I,  179  auf  Heinrich  III.  bezogen,  auf  Lothar  wieder 
von  De  Rossi,  Inscriptt.  Christ.  II,  1.  302,  und  von  Traube,  der  den  Vf. 
für  einen  Nachahmer  des  Sedulius  hält,  mit  Beziehung  auf  Poet.  Car. 
III,  158  u.  234. 

*)  Ueber  diese  rhythmische  Poesie  überhaupt   s.  Ebert  II,   311 — 328. 

'^)  Müllenhoff  und  Scherer  I,  24,  vgl.  II,  71  ed.  III,  übersetzt  bei 
Dümmler,  Ostfr.  III,  155.  Denselben  Ludwig  feierte  nach  Mabillon  in 
lateinischen  Versen  Abt  Angilbert  von  Corbie  bei  Uebersendung  einer 
Abschrift  von  Augustin  de  doctrina  christiana,  aber  Traube  hat  dieselben 
für  Angilbert  von  St.  Riquier  u.  Ludwig  d.  Fr.  in  Anspruch  genommen, 
0  Roma  nobilis,  S.  322  ff. 

*)  Audradi  Modici  Carmina  ed.  Traube,  Poet.  Car.  III,  67—122.  739 
bis  745.  748.  Ders.,  0  Roma  nobilis  p.  374—391,  wo  die  Revel.  gesam- 
melt  und   erläutert  sind.     Bedeutende  Fragmente  hat  Albricus  gerettet. 


238  I^-  Karolinger.     §  12.    Frechulfs  AVeltchroiiik. 

zunächst  alle  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  und  mit  ihrer  Aul- 
zeichnung begann  man ;  doch  regte  sich  auch  bald  das  Bedürfnis 
in  den  gröfseren  Zusammenhang  einzutreten  und  einen  Ueberblick 
über  die  Weltgeschichte  zu  gewinnen.  Bei  der  raschen  Ausbildung 
formaler  Gewandtheit  konnten  die  in  der  Form  noch  halb  barbari- 
schen und  innerlich  unverarbeiteten  Kompilationen  sehr  bald  nicht 
mehr  genügen,  und  es  ist  begreiflich,  dafs  man  sich  dieser  grol'sen 
und  schwierigen  Aufgabe  von  neuem  und  mit  besserem  Erfolge  zu- 
wandte. 

Ganz  anderer  Art  nun,  als  jene  Kompilationen,  und  das  Werk 
eines  wirklich  bedeutenden  Mannes  ist  die  Weltchronik  des  Bischofs 
Frechulf  von  Lisieux.  Unbekannter  Herkunft  nennt  er  Heli- 
sachar,  den  vielvermögenden  Kanzler  Kaiser  Ludwigs  ^),  seinen  Lehrer, 
und  die  Freundschaft,  welche  ihn  mit  Hraban  verband,  wird  wohl 
schon  damals  geschlossen  sein,  als  dieser  noch  zu  Alcvins  Füfsen 
safs^).  Vermutlich  aus  dem  Kreise  der  Hofgeistlichkeit  wurde  Frechulf 
auf  den  Bischofstuhl  erhoben;  in  Lisieux  fand  er  eine  in  tiefe  Un- 
wissenheit versunkene  Herde  zu  weiden,  und  einen  solchen  Bücher- 
mangel, dafs  nicht  einmal  die  Bibel  vorhanden  war.  Er  wandte  sich 
deshalb  an  seinen  Freund  Hraban,  seit  822  Abt  von  Fulda,  mit  der 
Bitte  um  einen  Kommentar  zum  Pentateuch,  der  die  Erklärungen 
der  alten  Kirchenlehrer  mit  Beifügung  ihrer  Namen  enthalten  sollte, 
und  Hraban  erfüllte  seine  Bitte.  Wohl  bald  nachher  sandte  der 
Kaiser  ihn  824  an  den  Papst  Eugen  IL  wegen  des  damals  lebhaft 
geführten  Streites  über  den  Bilderdienst;  bis  852  wird  noch  seine 
Teilnahme  an  verschiedenen  Synoden  erwähnt^),  853  aber  erscheint 
sein  Nachfolger  Eirard. 

Ohne  Zweifel  hat  Frechulf  seine  Verbindungen  und  wohl  auch 
die  Reise  nach  Rom  benutzt,  um  dem  Büchermangel  abzuhelfen,  so 
dafs  er  bald  im  stände  war,  auf  Helisachars  Wunsch  und  Antrieb 
mit  einer  für  die  damalige  Zeit  nicht  unbedeutenden  Gelehrsamkeit 
und  Kunst  ein  Werk  über  die  alte  Geschichte  zu  stände  zu  bringen, 
in    welchem    die   ausc^ehobenen    Stellen    der   benutzten  Autoren   zu 


^)  Ueber  diesen  s.  Sickel,  Acta  Karol.  I,  86—88.  Simson  II,  234. 
Ein  Brief  von  ihm  über  Verbesserung  des  Antiphonars  NA.  XI,  564 — 568, 
Epp.  V,  307—309. 

^)  Dafs  Prechulf  ein  Sachse  und  Mönch  in  Fulda  gewesen  sei,  beruht 
allein  auf  dem  Trithemischen  Meginfrid  von  Fulda,  und  ist,  da  dieser 
erdichtet  ist,  wohl  nur  ein  Schlufs  aus  dem  Freundschaftsbunde  mit 
Hraban.  Die  Briefe  beider,  Epp.  V,  391—400,  enthalten  aber  nicht  die 
geringste  Hindeutung  daraut. 

*)  852  erwähnt  bei  Quantin,  Cartulaire  de  l'Yonne  I,  64. 


Frechulfs  Weltchronik.  231> 

einer  ausführlichen  Darstellung  nicht  ungeschickt  verbunden  sind. 
Griechisch  verstand  er  jedoch  nicht,  wie  Huemer ')  aus  den  griechi- 
schen Stellen  des  von  ihm  benutzten  Hieron.  de  viris  illustr.  nach- 
weist. Zu  diesem  ersten  Teile  fügte  er  sodann  noch  einen  zweiten, 
welcher  die  Geschichte  des  römischen  Reiches  von  Christi  Geburt 
bis  zur  Vertreibung  der  römischen  und  gotischen  Obrigkeiten  aus 
Gallien  und  Italien  und  der  Aufrichtung  völlig  selbständiger  Reiche 
diirch  die  Franken  und  Langobarden  fortführt;  die  Geschichte  der 
christlichen  Kirche  fand  ihren  Abschluls  durch  Gregors  des  Grofsen 
Pontifikat'-).  Diese  zweite  Abteilung  seines  Werkes  überreichte  er 
830  oder  etwas  früher^)  der  Kaiserin  Judith,  deren  Gelehrsamkeit 
auch  von  Hraban  und  Walahfrid  gepriesen  wird^),  um  davon  für 
den  Unterricht  des  noch  zarten  Knaben  Karl  Gebrauch  zu  machen. 
Ueberaus  merkwürdig  ist  es,  dal's  Frechulf  hierdurch  die  sonst  so 
ängstlich  festgehaltene  Fortdauer  des  römischen  Reiches  gänzlich 
aufgab,  dafs  er  es  wagte,  die  neuen  Reiche  auf  römischem  Boden 
als  etwas  wirklich  Neues,  ihre  Stiftung  als  den  Beginn  einer  neuen 
Zeit   zu   betrachten"').     Nachfolger   hat  diese  Abweichung  von  dem 

1)  Serta  Harteliana  (Wien  1896)  S.  39—43. 

^)  Ausg.  der  Chronik  Heidelberg  (ap.  Commelin)  1597  und  in  den 
Bibl.  patr.  Die  Vorreden  Epp.  V,  317 — 320.  Probe  einer  Hs.  aus  Deutz 
bei  V.  Heinemann,  Katal.  der  Hss.  zu  Wolfenb.  VI,  63. 

')  Nach  Büdinger  a.  a.  0.  S.  12  erst  838 ,  was  ganz  unwahrschein- 
lich ist. 

■*)  Dümmler,  Ostfr.  I,  41.  Akrostichische  Verse  Hrabans  ihr  zu  Ehren 
bei  H.  Hagen,  Garmina  Medii  Aevi  p.  126—128.     Poet.  Car.  II,  165. 

'')  Vgl.  Büdinger,  Hist.  Zeitschr.  VII,  115;  Denkschr.  der  bist.  Kl.  der 
Wiener  Akad.  XL  VI  (1898),  II.  Abt.  S.  10—17.  Ebert  II,  381—384.  Ueber 
die  Benutzung  des  Jordanes,  Auctt.  antt.  V,  1,  p.  XLVI.  Die  gründlichste 
Untersuchung  über  Frechulfs  Werk  mit  genauer  Analyse  desselben  nach 
den  von  ihm  benutzten  Quellen  hat  Emil  Grünauer  aus  Winterthur  ge- 
geben in  seiner  Diss.  de  fontibus  historiae  Frechulphi  ep.  Lixoviensis, 
1864.  Frechulph  und  Freohulf  ist  die  Schreibart  der  ältesten  und  besten 
(St.  Galler)  Handschrift,  aus  welcher  hier  nebst  Faks.  die  in  den  Ausgaben 
fehlenden  Kapitel  mitgeteilt  sind.  Sein  Todestag  (Oktober  8.  Frehholfi 
ep.)  im  Würzb.  Nekrol.  ed.  Dümmler,  Forsch.  VI,  117.  Eine  unvollständige 
und  dem  Julius  Florus  zugeschriebene  Hs.  in  Avranches  2428,  s.  Ravaisson, 
Rapport  sur  les  bibl.  de  l'Ouest  (1841)  p.  20;  die  Widmung  an  Judith 
S.  361.  Vgl.  unten  §  20  über  die  Translatio  Ragnoberti.  —  Die  von 
Fr.  Haase  im  Breslauer  Ind.  lectt.  hiem.  1860  gedruckte  Widmung  einer 
Abschrift  des  Vegetius  an  einen  König  (wiederholt  Veget.  ed.  Lang 
p.  XXIII,  Epp.  V,  618 — 619)  kann  doch  wohl  nur  von  Frechulf  sein, 
nach  den  Worten:  post  lihros  ab  inicio  »lunäi  usque  ad  regna  Fruncorum 
in  Gallia  a  parvitate  mea  congestos  ex  hagiographoriim  sive  gentilium 
historiis ,  und  das  wird  durch  übereinstimmende  Ausdrücke  bestätigt. 
Der  König  ist  dann  Karl  der  Kahle.  Vgl.  auch  Dümmler,  Ostfr.  I,  404. 
und  in  Haupts  Zeitschr.  XV,  452,  wo  44.3 — 450  ein  von  Hraban  für 
Lothar,  wahrscheinlich  IL,  im  Jahre  855  verfafster  Auszug  aus  Vegetius, 


240  II-  Karolinger.     §  12.    Frechulfs  Weltchronik. 

herrschenden  Systeme  nicht  gefunden ;  nur  Notker,  der  Mönch  von 
St.  Gallen  (I,  1)  ist  kühn  genug,  die  Bildsäule  als  zertrümmert,  das 
römische  Reich  als  vergangen  zu  betrachten  und  Kaiser  Karl  als 
den  Herrscher  eines  neuen  Weltreichs  hinzustellen. 

In  dem  herkömmlichen  Geleise  blieb  auch  Ad o,  Erzbischof  von 
Vienne  (859 — 874),  der  Verfasser  des  Martyi'ologiums  (S.  67),  welcher 
sich  gleichfalls  an  einer  Weltchronik  versuchte')-  Er  verband  zu 
diesem  Zwecke  mit  der  Chronik  des  Beda  Auszüge  der  gewöhnlichen 
Quellen,  die  er  jedoch  stilistisch  zu  einer  zusammenhängenden  Er- 
zählung überarbeitete.  Den  Faden  für  die  Verbindung  des  Ganzen 
gab  ihm  die  Folge  der  Kaiser ;  an  Konstantin  und  Irene  knüpft  sich 
unmittelbar  Karl  der  Grofse,  dann  Ludwig,  Lothar,  Ludwig  II. :  so 
wird  der  Gedanke  der  Einheit  des  römischen  Reiches  durchaus  fest- 
gehalten. Die  Erhebungen  der  Söhne  gegen  Ludwig  den  Frommen 
erscheinen  nur  als  unberechtigte  Revolutionen;  dann  wird  Karl  der 
Kahle  als  trefflicher  und  weiser  Regent  gepriesen,  alle  aber  über- 
strahlt die  Hoheit  des  Papstes  Nikolaus.  Es  ist  die  Geschichte  vom 
Standpunkte  der  Autorität  und  der  vorgefafsten  Meinungen,  der 
sie  so  lange  beherrscht  hat  und  eine  unbefangene  Auffassung  der 
Ereignisse  unmöglich  machte. 

Auch  eine  Volksgeschichte  der  Franken  liegt  uns  vor,  wahr- 
scheinlich aus  dem  Jahre  816,  die  einem  übrigens  unbekannten 
Erchanbert,  doch  ohne  genügende  Sicherheit,  zugeschrieben 
wird^).  Doch  ist  kein  grofser  schriftstellerischer  Ruhm  daran  zu 
verliei-en  oder  zu  gewinnen;  sie  beruht  ganz  und  gar  auf  den 
Gesta  Francorum,  und  der  angehängte  Schlufs  ist  über  alle  Mafsen 
dürftig;    nur   die   sagenhafte  Erzählung  über   die   Beseitigung   des 

mit  einigen  Notizen  über  fränkische  Sitten,  mitgeteilt  ist  (vgl.  Epp.  V,  515). 
Den  lebhaften  praktischen  Gebrauch  des  Vegetius  bezeugt  auch  Sedulius 
Scottus  und  noch  Salimbene  S.  197. 

')  Erste  Ausg.  cura  M.  Flacii,  Basiliae  1568.  Auszüge,  und  von  814 
an  vollständig  MG.  SS.  II,  315—323;  die  beiden  unbedeutenden  Fort- 
setzungen S.  324.  325.  Eine  weitere,  ebenfalls  unbedeutende  Fortsetzung 
aus  dem  11.  Jahrhundert  S.  326.  Die  erste  Fortsetzung  ist  grofsenteils 
entnommen  aus  der  kurzen  Francorum  regum  hif^toria  840 — 869 ,  fort- 
gesetzt bis  885  (gedr.  MG.  II,  324.  325)  und  aus  den  Ann.  Floriacenses; 
benutzt  von  Folcvin  im  Chartul.  Sith.  nach  B.  Simson ,  Ludw.  d.  Fr.  I, 
192  Anm.  8.  Serien  episcoporum  Vienn.  ed.  Waitz ,  SS.  XXIV,  811,  wo 
auch  die  früher  ausgelassenen  Stellen  aus  Ado  über  die  ältesten  Vienner 
Bischöfe  nachgetragen  sind.  —  Ebert  II,  384. 

^)  Erchanberti  Breviarium  regum  Francorum  ed.  Pertz ,  MG.  SS.  II, 
327;  nur  der  letzte  Teil  ist  abgedruckt  nach  Ussermann.  Uebers.  bei 
dem  Mönche  von  St.  Gallen.  Die  Handschrift  (MG.  Legg.  I,  267.  III,  9) 
ist  jetzt  in  Stuttgart  Cod.  Jur.  qu.  134,  s.  Haenel  in  den  Berichten  der 
K.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1865. 


Erchanbert.     Gesta  abb.  Fontanellensium.  241 

letzten  Merowingers  zieht  unsere  Aufmerksamkeit  auf  sich,  weil  sie 
uns  zeigt,  wie  früh  sich  eine,  der  Wirklichkeit  nicht  entsprechende, 
stark  kirchlich  gefärbte  Auffassung  ausbildete. 

Die  Lokalgeschichten,  welche  später  zu  so  bedeutender 
Entwickelung  gelangten,  zeigen  sich  in  dieser  Zeit  noch  kaum  in 
schwachen  Anfängen.  Wir  erwähnten  schon  des  Paulus  Diakonus 
Geschichte  der  Bischöfe  von  Metz;  aul'serdem  ist  nur  noch  die 
zwischen  834  und  845  verfai'ste  Geschichte  der  Aebte  von  St.  Wan- 
drille zu  nennen'),  bis  zum  Jahre  833,  mit  einer  Fortsetzung  bis 
zum  Jahre  850.  Sie  enthält  manchei-lei  merkwürdiges,  z.  B.  über 
Einhards  Stellung  als  Aufseher  der  königlichen  Bauten ,  und  ist 
besonders  ausführlich  über  die  Thätigkeit  des  Abtes  Ansegis,  jenes 
bedeutenden  Mannes,  dessen  Kapitulariensammlung  so  grosses  An- 
sehen gewann'-). 


§  13.     Deutschland    unter   den    Karolingern. 
Reichsannalen. 

Mit  dem  äufsersten  Widerstreben  hatten  die  deutschen  Stämme 
sich  der  Herrschaft  der  Franken  unterworfen,  welche  von  ihrer 
niederrheinischen  Heimat  aus  sowohl  am  Oberrhein  wie  am  Main 
festen  Fufs  fafsten  und  in  grölseren  Massen  sich  ansiedelten,  während 
einzelne  Herren  dieses  herrschenden  Stammes  überall  im  ganzen  Lande 
zu  finden  waren.  Mit  ihnen  kam  die  fremde,  römische  Kirche,  und 
die  rein  deutsche,  ureigne  Entwickelung  wurde  durch  das  üeber- 
gewicht  der  fremden  Bildung  erdrückt.  Doch  ist  es  fraglich,  ob 
wir  überhaupt  berechtigt  sind,  hier  von  einer  Entwickelung  zu 
sprechen;   so   lange   wir   von    den  Deutschen  Nachricht   haben,    ist 

*)  Gesta  abhatutn  Fontauellensium,  ed.  Pertz  (nach  Dacherj')  MG.  SS. 
II,  270—301,  nebst  einem  Fragmentum  Chronici  Font.  841—859  S.  301 
bis  304.  Ebert  IT,  377.  Nach  der  lange  vermil'sten  Hs.  im  Hävre  (welche 
aber  die  Fortsetzung  nicht  enthält)  neue  Ausg.  von  S.  Loewenfeld,  Hann. 
1886;  vgl.  denselben  Forsch.  XXVI,  193—215,  und  über  die  Mängel  der 
Ausgabe  Hokler-Egger ,  NA.  XVI,  602—606.  Ueber  das  Verhalten  zu 
Fredegars  Fortsetzern  Breysig,  Karl  Martell,  S.  114  und  oben  S.  222. 
Im  Münchener  historischen  Jahrbuch  1865  von  P.  Roth  benutzt,  um 
seine  Ansicht  über  die  Säkularisation  unter  den  Karolingern  zu  untei*- 
stützen.  Auch  die  der  Vita  S.  Wandregisili  (oben  S.  118)  angehängten 
Miracula  (Mab.  II,  547.  Acta  SS.  Jul.  V,  281),  von  verschiedenen  Ver- 
fassern bis  nach  895  fortgeführt,  sind  nicht  unwichtig;  Ausz.  SS.  XV.  1. 
406—409. 

^)  In  ihm  vermutet  neuerdings  auch  Werniinghoff  den  \"erfasser  der 
umfangreichen  Satzungen  für  Kanoniker  u.  Nonnen,  welche  die  Aachener 
Synode  von  816  erliefs,  s.  NA.  XXVIT.  611. 

Wat  teubach,  Gescliichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  16 


242      II-  Karolinger.     §  13.    Deutschland  unter  den  Karolingern. 

eine  solche,  wo  sie  unberührt  blieben,  kaum  wahrzunehmen,  und 
gerade  das  am  spätesten  unterworfene  sächsische  Heidentum  ist 
völlig  starr  und  jeder  Veränderung  widerstrebend ;  das  waren  Zu- 
stände, die  ungestört  viele  Jahrhunderte  ohne  merkliche  Umwande- 
lung  fortbestehen  konnten. 

Gewaltsam  wurden  die  Schwaben,  Bayern,  Sachsen  dem  Franken- 
reiche einverleibt;  aber  nachdem  bei  ihnen  die  Kirche  durch  Boni- 
fatius  sicher  gegründet  und  durch  Karls  feste  Hand  auch  über 
Sachsen  ausgebreitet  war,  nahmen  sie  nun  auch  an  dem  Leben 
innerhalb  derselben,  an  der  Entfaltung  aller  der  durch  Karl  gelegten 
und  gepflegten  Keime,  den  lebhaftesten  selbstthätigen  Anteil.  Als 
das  grofse  Reich  zerfiel,  hatte  diese  Pflanzung  bereits  so  tiefe  Wurzeln 
bei  ihnen  geschlagen,  dafs  die  Trennung  keinen  nachteiligen  Einflufs 
darauf  äufserte;  auch  blieb  ja  die  Einbeit  der  Kirche,  welche  die 
einzelnen  Glieder  schützte  gegen  das  Schicksal  jener  alten,  in  ihrer 
Vereinzelung  verkommenden  Gemeinden  der  irischen  Glaubensboten. 

Ludwig  dem  Deutschen  fehlte  es  nicht  an  Bildung');  er  fand 
Freude  und  Geschmack  daran  und  scheint  namentlich  auch,  wie  sein 
Vater,  den  Wunsch  gehabt  zu  haben,  den  Deutschen  das  Christentum 
durch  Werke  in  der  Volkssprache  näher  zu  bringen.  Ihm  selber 
glaubt  man  die  Aufzeichnung  des  deutschen  Gedichtes  vom  Jüngsten 
Tage  in  einer  ihm  gewidmeten  Handschrift  zuschreiben  zu  dürfen-); 
ihm  übersandte  auch  Otfrid  um  865  sein  Evangelienbuch.  Nicht 
minder  nahm  aber  auch  Ludwig,  wie  sein  Vater  und  seine  Brüder, 
lebhaften  Anteil  an  den  Fragen  und  Untersuchungen,  welche  die 
gelehrten  Theologen  seiner  Zeit  beschäftigten,  in  so  eingehender 
Weise,  wie  es  nur  bei  der  gründlichen  Schulbildung  der  Karolinger 
möglich  war.  Der  Erzbischof  Adalram  von  Salzburg  (821 — 836) 
übersandte  ihm  die  Abschrift  einer  Predigt  des  heiligen  Augustin, 
dieselbe,  welcher  die  eben  erwähnten  deutschen  Verse  beigefügt  sind; 
ein  Priester  Regimar    mehrere  Schriften    des   heiligen  Ambrosius^). 

')  S.  Dümmler,  Ostfr.  II,  417  ff.  Seine  Grabschrift  hei'ausgeg.  von 
Winterfeld,  NA.  XXIII,  177. 

2)  Müllenhoff  u.  Scherer,  Denkmäler  3.  Aufl.  I,  7.  II,  30  (Abbildung 
bei  Enneccerus ,  Die  ältesten  deutschen  Sprachdenkmäler  Taf.  11 — 16). 
Wackernagel,  Litteraturgesch.  2.  Ausg.  S.  71.  S.  auch  Steinmeyer,  Fest- 
schrift der  Gesellsch.  f.  Deutsch.  Philol.  1902  S.  214.  Vgl.  über  die  ver- 
mutlich auch  ihm  gewidmete  Wiener  Handschr.  .552  von  Karajan  in  den 
SB.  der  Wiener  Akad.  XXVIII,  311  und  über  die  Berliner  Hs.  theol. 
fol.  58  Psalter.  Gallican.  Val.  Rose,  Verz.  der  latt.  Hss.  II,  1,  22.  Das  theo). 
Gutachten  NA.  XI,  457,  Epp.  V,  633—635  ist  nicht  an  ihn  gerichtet, 
sondern  westfränk.  Ursprungs. 

")  Cod.  S.  Galli  98.     S.  Dümmler,  Ostfr.  II,  418.     Poet.  Cur.  11,  480. 


Gelehrte  bei  Ludwig  dem  Deutschen.  243 

Besonders  aber  stand  er  in  lebhaftem  Verkehre  mit  Hraban,  der 
ihm  mehrere  seiner  Werke  teils  aus  eigenem  Antriebe,  teils  auf 
ausdrückliche  Aufforderung  des  Königs  überreicht  hat ;  im  Prologe 
zum  Daniel  erwähnt  er  peritissimos  lectores  an  seinem  Hofe').  Auch 
zu  der  Unterredung  mit  seinem  Bruder  Karl  im  Jahre  865  führte 
Ludwig  den  scharfsinnigen  Bischof  Altfrid  von  Hildesheim  mit  sich 
und  benutzte  die  Anwesenheit  des  gelehrten  Hinkmar,  um  diesen 
beiden  Männern  einige  schwierige  Stellen  der  heiligen  Schrift  zur 
Erklärung  vorzulegen.  Dadurch  veranlafst,  verfafste  Hinkmar  seine 
Auslegung  des  17.  Verses  des  103.  Psalmes,  welche  er  dem  Könige 
übersandte-).  Auch  fehlte  es  am  ostfränkischen  Hofe  wohl  nicht 
ganz  an  einer  Hofschule  für  die  vornehmen  Jünglinge,  welche  nach 
alter  Sitte  dort  sich  auszubilden  suchten.  Erzkanzler  war  von  829 
bis  833  der  gelehrte  Abt  Gozbald  von  Nieder-Altaich,  welcher  später 
(842 — 855)  das  Bistum  Würzburg  erhielt.  Ihn  nennt  Ermenrich 
von  Ellwangen  seinen  Lehrer,  vorzüglich  aber  kann  er  nicht  Worte 
genug  finden  zum  Preise  des  weisesten  der  Lehrer,  des  Erzkaplans 
Grimald,  der  noch  an  Karls  Hofe  gebildet  war  (man  sagte  sogar, 
dafs  er  noch  Alcvins  Unterricht  genossen  habe),  dann  in  der  Reichenau 
höhere  Ausbildung  suchte,  und  von  833 — 870,  wenngleich  nicht 
ohne  Unterbrechung,  der  Kanzlei,  bald  auch  der  Kapelle  Ludwigs 
vorstand.  Mit  drei  Abteien,  Weissenburg,  St.  Gallen  und  Ellwangen  ^), 
bedacht,  hielt  er  sich  doch  noch  immer  vorzüglich  am  Hofe  auf,  wo 
die  wichtigsten  Geschäfte  ihm  anvertraut  wurden.  Er  war  ein  Nefife 
des  Erzbischofs  Hetti  von  Trier,  und  der  Bruder  von  dessen  Nach- 
folger Thietgaud'').  Zu  den  bedeutendsten  Gelehrten  der  Zeit  stand 
er  in  freundschaftlichen  Beziehungen;  so  übersandte  Hraban  ihm 
sein  ^laityrologium  mit  einer  poetischen  Widmung-'),  und  nie  ver- 
säumte Grimald   über  den  Staatsgeschäften   die  Pflege  der  Wissen- 

'I  Kunstmann,  Hrabanus  Maurus,  S.  212.     Epp.  V,  468. 

-)  Dümmler  II,  418.  Wenn  dieser  S.  434  die  Existenz  einer  Hof- 
schule für  Laien  schon  unter  Ludwig  bestreitet,  so  ist  zuzugeben,  dal's 
kein  Zeugnis  dafür  vorhanden  ist ;  doch  möchte  ich  glauben ,  dal's  für 
die  dem  König  kommendierten  Jünglinge  einiger  Unterricht  nicht  ge- 
fehlt haben  wird. 

^)  Fast  zweifellos  nach  Bessert,  Württemberg.  Vierteljahrshefte  1889, 
S.  142—144. 

■•)  In  der  Grabschrift  seiner  Tante  Warentrudis,  Aebtissin  von  Pfalzel, 
Schwester  Hetti's,  heilst  es  von  Thietgaud:  ,Cuius  germanus  vir  clarus 
in  Omnibus  extat.  Nomine  Grimaldus.  ore  et  honore  potens."  Poet.  Car. 
II,  661;  SS.  XIV,  106. 

^)  Dümmler.  Poet.  Car.  II,  169;  St.  Gall.  Denkmale  (Mitt.  der  Ant. 
Ges.  XII,  6)  S.  215;  S.  248— 250  über  Gozbald  u.  Grimald  oder  Grimold, 
und  über  diesen  Ostfr.  I,  92.  II,  434 — 438.    üeber  die  ihm  beigemessene 


244      TI-  Karolinger.     §  13.    Deutsehland  unter  den  Karolingern. 

Schaft.  Veranlafst  war  Hraban  zu  jenem  Werke  durch  Ratleik,  einst 
Einhards  Schreiber,  dann  dessen  Nachfolger  als  Abt  von  Seligen- 
stadt  und  von  839 — 853  Kanzler  an  Grimalds  Stelle').  Auch  Witgar, 
Abt  von  Ottobeuern,  der  von  858—860  Kanzler  war,  dann  Bischof 
von  Augsburg  wurde,  zeichnete  sich  durch  Liebe  zu  gelehrten  Studien 
aus:  nicht  minder  auch  Grimalds  Nachfolger  Liutbert,  der  Erzbischof» 
von  Mainz"),  Otfrids  Gönner. 

Allein  der  Königshof  war  doch  nicht  mehr  wie  in  Karls  Zeit 
der  Mittelpunkt  aller  litterarischen  Bestrebungen,  welche  sich  nun 
vielmehr  an  die  Stätten  anschlössen ,  wo  die  bedeutendsten  Lehrer 
der  Zeit  wirkten,  und  namentlich  bei  dem  bald  nachher  eintretenden 
Verfalle  des  Reiches  kann  man  es  nur  als  eine  glückliche  Entwicke- 
lung  betrachten,  dafs  diese  Studien  in  voller  Unabhängigkeit  an  den 
verschiedensten  Orten  feste  Wurzeln  getrieben  hatten.  Naturgemäfs 
verbreiteten  sie  sich  im  ganzen  Reiche,  erblühten  bald  hier  bald  da 
zu  reicher  Entfaltung,  und  folgten  so  derselben  Richtung  der  Ver- 
einzelung und  Absonderung,  welche  im  deutschen  Reiche  sich  überall 
und  immer  von  neuem  geltend  macht.  Daher  ergibt  sich  denn  auch 
die  Betrachtung  nach  landschaftlichen  Gruppen  als  die  einzige  für 
die  deutsche  historische  Litteratur  anwendbare. 

Aber  wie  überhaupt  die  Zeit  der  deutschen  Karolinger  sich  aufs 
genaueste  den  Zuständen  des  gesamten  Frankenreiches  anschliefst, 
so  finden  wir  auch  unter  Ludwig  und  seinen  Söhnen  noch  eine  Fort- 
setzung der  alten  Reichsannalen.  Denn  wenn  auch  die  Annalen 
von  Fulda ^)  zuerst  aus  einem  Kloster  hervorgegangen  sind  und 
diesen  örtlichen  Ursprung  nicht  verleugnen,    so  umfafst  doch  auch 

Fortführung  des  Sacram.  s.  P.  Suitbert  Bäumer,  Hist.  Jahrb.  d.  Görresges. 
XIV,  253  ff.,  Epp.  V,  579. 

')  An  ihn  ist  eine  zweite  Widmung  gerichtet,  Epp.  V,  502,  vgl. 
Dümmler,  Ostfr.  II,  432.  Auch  Lupus  von  Ferrieres  war  mit  ihm  in 
litterarischem  A'erkehr,  ep.  60  ed.  Bai.,  Ejjp.  VI,  61,  und  sein  Epitaph 
von  Hraban  (Poet.  Car.  II,  240)  erwähnt,  dafs  er  die  Schreiber  unterwies 
und  dafs  er  jung  starb. 

2)  Dümmier,  Ostfr.  II,  438.     Rethfeld,  Urspr.  d.  Fuld.  Ann.  S.  36. 

'')  Annales  Fuldenses  ed.  Pertz,  MG.  SS.  I,  337—415.  Neue  Ausg. 
von  Fr.  Kurze,  Hann.  1891,  vgl.  dessen  Abh.  NA.  XVII,  83—158.  Ueber- 
setzt  von  Rehdantz,  Berl.  1852.  1889  (Geschichtschr.  23.  IX,  8).  Spuren 
von  Benutzung  der  Ann.  Fuld.  769 — 814  im  Cod.  E  der  angelsächs. 
Chronik  nachgewiesen  von  R.  Pauli,  GGA.  1866,  S.  1416.  Zum  Sprach- 
gebrauch M.  Manitius,  NA.  XI,  68.  73.  Die  Fulder  Fortsetzung  der  Laur. 
min.  bis  817  ist  oben  S.  224  erwähnt,  die  Ann.  Fuldenses  antiqui  S.  167. 
Eine  schon  um  830  in  Fulda  entstandene  Komijilation ,  welche  im  An- 
schlufs  an  eine  A'ermutung  von  Waitz  H.  Lorenz  wegen  der  Ueberein- 
stimmung  der  Ann.  Hersfeld,  mit  Marianus  Sc.  annimmt,  ist,  wie  G.  Buch- 
holtz,  HZ.  LXV,  141,  bemerkt,  unwahrscheinlich,  weil   sich  in  den  Ann, 


Ludwigs  Hof.     Annalen  von  Fulda.  245 

ihr  Gesichtskreis  das  ganze  Reich,  und  die  Klostei'geschichte  erscheint 
ganz  als  Nebensache.  Die  Verfasser  müssen  in  naher  Verbindung 
mit  dem  Hofe  gestanden,  unter  dem  Einflüsse  desselben  geschrieben 
haben,  wenn  sich  auch  kein  Zeugnis  dafür  beibringen  läfst;  sie 
zeigen  sich  aufserordentlich  gut  unterrichtet  und  beobachten  auch 
als  offizielle  Reichshistoriographen  dieselben  Rücksichten,  welche 
schon  in  den  Fortsetzungen  des  Fredegar  und  in  den  Lorseher 
Annalen  wahrzunehmen  sind.  Uebrigens  haben  sie  vortrefflich  ge- 
schrieben in  jener  schon  an  Karls  Hofe  festgestellten  Weise;  dieselbe, 
in  ruhiger  Würde  völlig  objektiv  gehaltene  Darstellung,  von  Jahr 
zu  Jahr  fortschreitend,  mit  der  deutlichen  Absicht,  der  Nachwelt 
Kunde  von  den  Ereignissen  zu  hinterlassen  und  zugleich  ihr  Urteil 
zu  bestimmen.  Nicht  jedes  Jahr  ist  daran  geschrieben  worden,  aber 
doch  geschah  es  ziemlich  bald  nach  den  Ereignissen,  und  deshalb 
haben  wir  an  ihnen  eine  unschätzbare  Quelle  ersten  Ranges,  bei 
der  wir  nur  die  Absichtlichkeit  der  Darstellung  nicht  aufser  acht 
lassen  dürfen.  Die  Form  ist  anspruchslos ,  doch  mufs  man  bei 
näherer  Betrachtung  die  Kunst  anerkennen,  welche  dazu  gehörte, 
in  diesen  wirren  Zeiten  alles  im  Auge  zu  behalten,  sich  durch  Neben- 
sachen nicht  abwenden  zu  lassen,  und  mit  knapper  Beschränkung  das 
Wichtigste  übersichtlich  zusammenzustellen. 

Ein  allem  Anscheine  nach  fuldischer  Mönch  war  es,  der  zuerst 
die  Aufgabe  übernahm,  die  829  abgebrochenen  Königsannalen  für 
Ludwigs  Reich  weiterzuführen.  Er  besafs  jedoch  dieselben ,  wie 
es  scheint,  nicht  vollständig,  sondern  wie  in  der  Wiener  Handschrift 
612  (bist.  prof.  989,  cod.  6  bei  Pertz)  nur  von  771  an;  dazu  die 
Laurissenses  minores  von  714  an  und  die  Sithienses  741 — 823. 
Gewifs  war  es  wünschenswert,  hieraus  ein  übersichtliches  Handbuch 
zusammenzustellen,  und  zu  diesem  Zwecke  empfahlen  sich  ihm  vor- 
züglich die  Sithienses  durch  ihre  knappe  und  nicht  inkorrekte  Form : 
die  für  ihn  notwendige  Aufgabe,  die  alten  Lorscher  Annalen  zugleich 
zusammenzuziehen  und  ihrer  rohen  Gestalt  zu  entkleiden,  war  hier 
bereits  erfüllt;  nur  für  den  Anfang  hatte  er  es  noch  nachzuholen. 
Der  übergrofsen  Kürze  und  Dürftigkeit  wurde  durch  Zusätze  aus 
der  kleinen  Lorscher  Frankenchronik,  von  771  an  überwiegend  und 
bald  ausschliefslich  aus  den  Reichsannalen  abgeholfen;  diesen  vertraut 
er  sich  nun  ganz  an,  ohne  doch  bis  823  die  Führung  der  Sithienses 
völlig   zu  verlassen.     Als   weitere  Quellen   weist  Kurze   sowohl    die 


Fuld,  keine  Spur  davon  findet,  und  deshalb  eher  mit  Kurze  eine  Arbeit 
des  10.  Jahrhunderts  anzunehmen. 


246      II-  Karolinger.     §  13.    Deutschland  unter  den  Karolingern. 

von  ihm  konstruierte  Chronik  bis  796,  wie  die  von  ihm  nach  Saint- 
Denis  benannte  Kompilation  bis  805  nach,  der  vielleicht  schon  eine 
Fortsetzung  sich  anschlofs;  auch  den  ersten  Teil  der  Annales  Ber- 
tiniani  zieht  er,  wohl  schwerlich  mit  Recht,  heran.  Aus  derTranslatio 
SS.  Marcellini  et  Petri  (826  und  828)  ist  einiges  zugesetzt');  vor- 
züglich aber  verfehlte  er  nicht,  die  Hausgeschichte  seines  Klosters 
mit  Hilfe  der  alten  Annalen  in  die  Reichsgeschichte  zu  verflechten. 
Die  wenig  reichhaltige  Fortsetzung  bis  838  berührt  jedoch  nur  die 
allgemeinen  Angelegenheiten,  aber  von  einer  Einwirkung  des  Hofes 
ist  noch  nichts  zu  spüren,  ein  eigenes  Urteil  nur  leise  angedeutet. 
Der  Verfasser  hatte  wohl  nur  die  Belehrung  seiner  Klosterbrüder 
im  Auge,  und  nachdem  einmal  die  völlig  ausgebildeten  Annalen 
vorlagen,  mufste  auch  ohne  einen  äufseren  Antrieb  überall,  wo  man 
eine  Abschrift  besafs,  der  Wunsch  sich  geltend  machen,  diese  wert- 
volle Quelle  wichtiger  Belehrung  weiter  zu  führen.  Für  diese  Zeit 
und  in  einem  Kloster  von  hervorragender  Bedeutung  war  eine 
solche  Arbeit  auch  für  Mönche  nicht  mehr  zu  schwierig. 

Das  Verhältnis  zu  den  Annales  Sithienses,  wie  es  hier  angenommen 
ist,  beruht  auf  dem  von  B.  Simson  gegebenen  Nachweis,  dafs  den 
Annales  Sithienses  gerade  alles  dasjenige  fehlt,  was  die  Annales 
Fuldenses  wörtlich  den  Laurissenses  minores  entnommen  haben,  da 
doch  unmöglich  angenommen  werden  kann ,  dafs  gerade  alle  diese 
Zusätze  bei  einem  Auszuge  weggelassen  wären;  zugleich  weist  der 
Zusatz  zu  der  Notiz  über  die  Rinderpest  810  auf  einen  Zeitgenossen 
im  letzten  Teile  ^). 

Ich  sehe  mich  leider  hier  wieder  genötigt,  wie  schon  in  den 
früheren  Ausgaben,  von  dem  sonst  immer  schwerwiegenden  Urteil 
von  Waitz  abzuweichen,  obgleich  sich  derselbe  Forsch.  XVIII, 
354  ff.  speziell  an  mich  gewandt  hat,  um  mich  von  der  entgegen- 
gesetzten Sachlage  zu  überzeugen.  Es  war  auch  bei  mir  nicht  etwa 
eine  aus  Simsons  Paralleldrucke  hervorgegangene  „Täuschung  des 
Auges";  ich  hatte  mir  vielmehr  selbst  den  Text  der  Fulder  Annalen 

*)  B.  Simson  bemerkt  (Ludw.  d.  Fr.  11,  300)  mit  Recht,  dafs  die  vor- 
handenen Anklänge  an  den  sog.  Astronomus  nicht  auf  Benutzung  des- 
selben beruhen  können,  weil  er  jünger  ist. 

^)  Vgl.  Waitz  im  Archiv  VT,  739.  Simson,  Ueber  die  Ann.  Enhardi 
Fuld.  und  Ann.  Sithienses,  Jenaer  Habilitationsschr.  1863.  Waitz,  Gott. 
Nachrichten  I8fi4,  N.  3.  Simson,  Forsch.  IV,  ,")75.  Waitz,  Forsch.  VI,  653. 
Nachr.  1873,  S.  587—599.  Simson,  Ludw.  d.  Fr.  I.  400—404.  Waitz, 
Forsch.  XVIII,  354—361.  Simson  ib.  S.  607—611.  Bernays,  Zur  Kritik 
karol.  Ann.  S.  109  ff.  Simson.  Karl  d.  Gr.  I,  655.  Holder-Egger,  NA. 
XIV,  206.  Eine  Anzahl  abgerissener  Sätze  ist  wörtlich  wiederholt  in 
den  Ann.  Blandinienses. 


Annales  Fuldenses  et  Sithienses.  247 

für  diesen  ganzen  Abschnitt  in  seine  Elemente  /erlegt,  und  war 
dadurch  zu  demselben  Ergebnisse  gekommen,  welches  Simson  ge- 
wonnen hat,  und  welches  durch  Is.  Bernays  von  neuem  mit  grofser 
Schärfe  begründet  ist.  Die  Ueberspringung  so  vieler  sicher  aus  den 
Lauriss.  min,  entnommener  Stellen  in  den  Sithienses  scheine  mir 
unleugbar,  und  mit  der  Annahme,  dafs  diese  aus  den  Fuldenses 
excerpiert  wären,  unvereinbar.  Die  vorhandenen  Schwierigkeiten 
müssen  deshalb  auf  andere  Weise  erklärt  werden,  wie  es  in  mehreren 
Fällen  Bernays  mit  Erfolg  versucht  hat.  Fr.  Kurze,  welcher  sich 
diesem  Standpunkte  durchaus  angeschlossen  hat,  vermutet  die  Be- 
nutzung einer  besseren  und  vielleicht  etwas  reichhaltigeren  Hand- 
schrift, welche  auch  weiter  fortgesetzt  sein  konnte,  üebrigens  ist 
die  ganze  Frage  sachlich  ohne  Bedeutung. 

Die  Annales  Sithienses  haben  diesen  Namen  nur  deshalb 
erhalten,  weil  sie  von  Mone  in  einer  Handschrift  des  Klosters  Sithiu 
oder  Saint-Bertin  entdeckt  und  dai-aus  verötfentlicht  sind^).  Lokale 
Beziehungen  aber  fehlen  durchaus.  Sie  beginnen  mit  Königsnamen 
von  548 — 726;  von  741 — 823  liegen  fortlaufende  Reichsannalen  vor, 
von  welchen  schon  Mone  richtig  bemerkte,  dafs  sie  anfangs  zum 
Teil  auf  den  Ann.  Petav.  beruhen,  übrigens  aber  durchgehende  Ver- 
wandtschaft mit  den  Ann.  Lauriss.  und  Einhardi  zeigen.  Der  Text 
schwankt  zwischen  beiden  Texten.  Das  aber,  und  der  Anklang  an 
verschiedene  andere  Quellen  wird  von  Kurze  zurückgeführt  auf  die 
Benutzung  der  oft  erwähnten  Kompilation  bis  796.  Der  Auszug 
ist  nicht  ohne  Geschick  gemacht,  aber  sehr  dürftig,  so  dafs  der 
Fulder  Annalist,  wie  bereits  erwähnt,  aus  anderen  Quellen  sich 
reicheren  Stoff  verschaffte. 

lieber  die  kühnen  Hypothesen  Dünzelmanns  glaube  ich  jetzt 
weggehen  zu  dürfen,  da  seine  Ansicht  von  einer  Teilung  der  Annales 
Fuldenses  in  einen  schon  um  793  verfai'sten  und  einen  späteren  Teil 
widerlegt  wird  durch  die  zweifellose  Benutzung  der  Lauriss.  min. 
und  den  von  Waitz  geführten  Beweis,  dafs  diese  erst  um  806  ver- 
fafst  sind. 

üeber  den  Verfasser  dieser  Annalen  nun  werden  wir  belehrt  durch 
eine  Randnote  in  dem  um  909  geschriebenen  Schlettstadter  Kodex 
zum  Jahre  838:  hucusquc  KnJiardus,  sowie  in  den  Ann.  Yburg.  und 
bei  dem  Mönch  von  Kirschgai'ten ,  wo  er  Einhardus  heilst.  Dafs 
hiermit   kein    anderer   gemeint   ist,    als    der    berühmte   Einhard, 


^)  Anzeiger  für  Kunde  der  teutschen  Vorzeit  (183G)  V,  5— IL    Neue 
AvLSs.  von  Waitz.  SS.  XIII.  34—38. 


248      H-  Karolinger.     §  13.    Deutschland  unter  den  Karolingern. 

können  wir  als  sicher  betrachten ;  ein  Mönch  Enhard  ist  weder  in 
den  Fulder  Totenannalen  noch  im  Reichenauer  Nekrolog  zu  finden. 
Für  seine  Autorschaft  hat  sich  nun  in  bestimmtester  Weise  Kurze 
erklärt^),  indem  er  sich  besonders  darauf  stützt,  dafs  zum  Jahre  836 
in  das  Itinerar  des  Kaisers  die  Angabe  eingeschoben  ist,  derselbe 
sei  ,ad  sanctos  Marcellinum  et  Petrum"  gekommen.  Darum  müfsten 
die  Aunalen  in  Seligenstadt  geschrieben  sein.  Allein  ich  denke,  der 
Ruf  dieser  Heiligen  und  ihrer  Wunderthaten  müfste  damals  weit 
verbreitet  und  auch  in  Fulda  wohlbekannt  gewesen,  der  Besuch 
des  Kaisers  auch  da  als  sehr  denkwürdig  erschienen  sein.  Deshalb 
erscheinen  mir  Pückerts  (S.  158)  Gegengründe  gegen  die  Fulder 
Ueberlieferung  doch  überwiegend,  die  Abfassung  nur  in  Fulda  selbst 
anzunehmen.  Und  dafs  derselbe  Mann  nun  auch  noch  die  Ann. 
Sithienses  für  seine  Genter  Mönche  verfafst  haben  sollte,  damit 
scheint  mir  ihm  wirklich  zu  viel  zugemutet  zu  werden.  Dürfte 
man  in  ihm  den  Verfasser  der  grofsen  Reichsannalen  sehen ,  so 
könnte  man  vollends  diese  annalistische  Vielgeschäftigkeit  nicht 
glaubhaft  finden. 

Von  der  Fortsetzung  der  Annalen  war  schon  längst  erkannt 
worden,  dafs  sie  nicht  aus  dem  Kloster  Fulda  herstammen  können, 
obgleich  der  Verfasser  der  ersten  Fortsetzung  (838 — 863)  Rudolf 
uns  als  Mönch  des  Klostei-s  bekannt  ist;  wir  werden  noch  auf  ihn 
zurückkommen.  Er  ist  aber  so  sehr  in  die  Denkweise,  die  Gesichts- 
punkte und  Absichten  des  Hofes  eingeweiht,  so  gleichmäfsig  unter- 
richtet über  die  wichtigeren  Begebenheiten  in  allen  Teilen  des 
Reiches,  dafs  ein  näheres  Verhältnis  zum  König  nicht  zu  verkennen 
ist;  er  stellt  denselben  stets  in  das  günstigste  Licht  und  zählt  zum 
Jahre  858  sich  selbst  zu  den  ,consiiiorum  regis  conscii".  Aber 
andererseits  findet  sich  doch  keine  Spur  eines  Aufenthaltes  am  Hofe, 
etwa  der  Zugehörigkeit  zur  Kanzlei,  und  wir  finden  ihn  auch  später 
wieder  im  Kloster.  Hatte  nun  schon  Duchesne  bemerkt,  dafs  einige 
den  Mainzer  Ursprung  dieser  Annalen  behaupten,  und  in  der  That 
tritt  die  Beziehung  zu  Mainz  oft  sehr  stark  hervor,  so  hat  doch  erst 
A.  Rethfeld  in  seiner  scharfsinnigen  Abhandlung-)  die  richtige  Lösung 
gefunden.  Nachdem  eine  Urkunde  vom  27.  Jan.  849  (Mühlb.  1350), 
worin  Rudolf  vom  König  als  sein  Beichtvater,  zugleich  aber  auch 
als  Vorsteher  der  Schule  zu  Fulda  bezeichnet  ist,  schon  längst  als 

')  NA.  XVII,  133—138;  Einhard  S.  63  ff. 

■-)  Ueber  den  Ursprung  des  2.,  3.  und  4.  Teiles  der  sog.  fuldischen 
Annalen  v.  838—887,  Hall.  Diss.  1886.  Vgl.  dazu  Fr.  Kurze,  NA.  XVII, 
138—146. 


Annales  Fuldenses.     Rudolf  und  Meginhard.  249 

unecht  beseitigt  "war,  zeigen  uns  die  Urkunden  des  Klosters,  dafs 
Rudolf  in  denselben  zwar  hiiufig  vorkommt,  aber  nur  bis  841. 
Unzweifelhaft,  dürfen  wir  wohl  sagen,  hat  er  in  der  Folgezeit  sich 
lange  auswärts  aufgehalten,  und  es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dafs 
Hraban  847  bei  seiner  Erhebung  zum  Erzbischof  ihn  nach  Mainz 
mit  sich  nahm.  Aber  für  die  Zwischenzeit  fehlt  jeder  Anhalt.  Kurze 
hat  jedoch  auf  den  Bericht  der  Annalen  von  dem  Aufenthalte  König 
Ludwigs  838  in  Frankfurt  hingewiesen,  welcher  schon  auf  eine  ver- 
trauliche Beziehung  hindeutet:  es  scheint,  dafs  Rudolf  selbst  anwesend 
war,  und  schon  damals  nach  der  löblichen  Sitte  der  älteren  Könige 
den  Auftrag  erhielt,  Reichsannalen  zu  schreiben.  Durch  seine  gelehrte 
Bildung,  einen  lateinischen  Stil,  der  sich  mit  dem  von  ihm  gelegent- 
lich nachgeahmten  Einhard')  wohl  vergleichen  läfst,  vind  eine  be- 
sonnene und  billige  Denkweise  war  er  dazu  besondei'S  geeignet; 
möchten  wir  allei'dings  gern  sehr  viel  mehr  von  ihm  erfahren ,  so 
darf  man  nicht  vergessen,  dafs  seine  Aufgabe  eine  knappe  und  über- 
sichtliche Darstellung,  verbunden  mit  vorsichtiger  Zurückhaltung, 
erforderte.  Setzte  nun  sein  Aufenthalt  am  erzbischöflichen  und 
öftere  Berührung  mit  dem  königlichen  Hofe  ihn  in  den  Stand, 
vielerlei  Nachrichten  zu  erfahren,  so  mag  ihm  doch  oft  auch  die 
Ruhe  zur  Ausarbeitung  gefehlt  haben,  denn  man  brauchte  seine 
Feder  auch  für  andere  Aufgaben ;  nicht  jedes  Jahr  schrieb  er  seine 
Fortsetzung,  und  Kurze  hat  wahrscheinlich  gemacht,  dafs  er  gerade, 
wenn  er  sich  einmal  wieder  in  Fulda  aufhielt,  seine  Notizen  sorg- 
fältig ausgearbeitet  hat,  so  853,  wo  er  die  seit  849  gelassene  Lücke 
ausfüllte.  Zuletzt  860  zog  er  sich,  wohl  durch  seine  Kränklichkeit 
veranlafst,  ganz  nach  Fulda  zurück. 

Vermutlich  von  dem  Fortsetzer  rühren  die  Randnoten  her,  welche 
Enhaid  und  Rudolf  als  Verfasser  der  früheren  Teile  nennen;  ihn 
selbst  kennen  wir  nicht,  aber  es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dafs  es 
Meginhard  war,  der  auch  Rudolfs  anderes  unvollendetes  Werk 
vollendete  und  mit  einer  gleichlautenden  Randbemerkung  versah. 
Die  Gegengründe  von  Pertz  sind  durch  Rethfeld  und  Kurze  wider- 
legt. Er  schrieb  ganz  in  derselben  Weise  und  in  demselben  Geiste, 
wie  sein  Vorgänger,  wenn  auch  mit  geringerer  Kunst  des  Ausdrucks, 
gleichmäfsig  die  Reichsgeschichte  nach  allen  Richtungen  verfolgend, 
auch  nicht  minder  beflissen,  die  Könige  in  günstigem  Lichte  erscheinen 
zu  lassen.    Einen  merkwürdigen  Gegensatz  bildet  daher  eine,  wie  es 


')    S.  Simsen   im   NA.  XXV,    186    und   vorher   schon  Manitius   ebd. 
Vir,  564. 


250      11-  Karolinger.     §  13.    Deutschland  unter  den  Karolingern. 

scheint,  besondere  Aufzeichnung,  nicht  das  Fragment  eines  gröfseren 
Werkes,  über  Ludwigs  des  Jüngeren  Krieg  gegen  die  Söhne  Ludwigs 
des  Stammlers,  welches  Boehmer  auf  dem  letzten  Blatt  einer  aus 
Augsburg  stammenden  Handschrift  saec.  IX  in  München  fand'). 
Dafs  Meginhard  in  Mainz  seine  Annalen  geschrieben  hat,  ist  voll- 
kommen klar;  869  erscheint  er  zuletzt  in  den  Urkunden  von  Fulda; 
870  wurde  der  Erzbischof  Liutbert  Erzkaplan,  und  damals  wird  er 
Meginhard  den  Auftrag  gegeben  haben,  die  Annalen,  welche  mit  Ru- 
dolfs Tode  liegen  geblieben  waren,  fortzusetzen.  Er  besorgte  zu  dem 
Zwecke  eine  Abschrift  von  Rudolfs  Werk,  worin  drei  Stellen  geändert, 
die  nach  Rudolfs  Tode  864  und  865  in  Fulda  gemachten  Zusätze 
freier  überarbeitet  sind,  und  verfafste  nun  den  Bericht  über  die 
Zwischenzeit,  welcher  dürftig  und  lückenhaft,  auch  nicht  fehlerfrei 
ausgefallen  ist;  dann  aber  schrieb  er  von  Jahr  zu  Jahr  und  zeigt 
sich  vollkommen  gut  unterrichtet.  Liutberts  Persönlichkeit  steht 
durchaus  im  Vordergrunde,  allein  als  882  Ludwig  der  Jüngere 
starb,  behielt  Karl  IIL  seinen  fi'üheren  Erzkaplan  Liutward,  und 
Liutbert  mufste  zurücktreten ;  das  Original  der  noch  immer  als 
königlich  betrachteten  Reichsannalen  wird  abgegeben  sein.  Nun 
besorgte  sich  Meginhard,  von  dem  wir  wohl  als  erwiesen  ansehen 
können,  dafs  auch  die  weitere  Fortsetzung  von  ihm  ist,  eine  Ab- 
schrift, in  welcher  fünf  gröfsere  Stellen  geändert  sind  (Red.  II  bei 
Kurze),  und  schrieb  weiter,  jetzt  aber  ohne  alle  höfische  Rücksicht, 
mit  scharfem  Tadel  des  Königs  und  seiner  Räte,  vorzüglich  Liut- 
wards.  Im  Jahre  887  wurde  dieser  gestürzt,  aber  auch  Arnulf  hatte 
schon  seinen  Erzkaplan,  den  Erzbischof  Theotmar  von  Salzburg,  und 
Liutbert  wurde  wieder  in  den  Hintergrund  gedrängt.  Da  ist  die 
Mainzer  Annalistik  erlahmt;  Meginhard  selbst  starb  888  und  im 
folgenden  Jahr  auch  Liutbert. 

Aber  auch  Karl  blieb  bei  dem  alten  Herkommen,  und  auch  er 
fand  einen  Historiographen,  der  sich  kein  tadelndes  Wort  über  den 
Kaiser  entschlüpfen  läf'st,  und  ihm  schliefslich  seine  Belohnung  im 
Himmel  anweist.  Auch  die  Absetzung  des  Kaisers  wird  von  ihm 
noch  mit  loyalem  Unwillen  berichtet,  Arnulf  jedoch  mit  grofsem 
C4eschicke  geschont,  und  von  dem  Augenblicke  seiner  Erhebung  an 
tritt  dieser  in  die  gebührende  Stellung  des  rechtmäfsigen  Königs 
ein.  Der  Verfasser,  dem  bei  dem  raschen  Verfalle  der  Schulen  bereits 
alles  Gefühl  für  grammatische  Korrektheit  abhanden  gekommen  ist. 


')  Cod.  lat.  Monac.  3851.     Gedr.  MG.  SS.  III,  159;  Regino  ed.  Kurze 
p.  180. 


Die  Fortsetzungen  der  Annalen  von  Fulda.  251 

mul's  dem  Hofe  nahe  gestanden  haben'),  seine  Heimat  aber  scheint 
Bayern  zu  sein.  lieber  dieses  Land  sind  seine  Nachrichten  aus- 
führlich und  genau,  die  Mährer  trifft  sein  leidenschaftlichster  Hafs. 
Ungeachtet  der  rohen  Sprache,  der  Mangelhaftigkeit  der  Darstellung, 
wird  doch  von  ihm,  und  den  897  eintretenden  Fortsetzern,  so  lange 
Arnulf  lebt,  die  Würde  der  Reichshistoriographie  ungemindert  auf- 
recht gehalten.  Man  versuchte  sogar  noch  unter  dem  Kinde  Ludwig 
in  alter  Weise  fortzufahren,  allein  bei  der  rasch  überhand  nehmenden 
Zerrüttung  verschwand  auch  diese  Erbschaft  aus  dem  Reiche  des 
grofsen  Karl,  und  mit  dem  Jahre  901  erlischt  die  Fackel,  welche 
bis  dahin  unsei-em  Wege  so  treulich  leuchtete,  Adam  von  Bremen 
hatte  eine  bis  911  reichende  Handschrift,  führt  jedoch  aus  dem 
letzten  Teile  nichts  mehr  an''). 

Dieser  letzte  Teil  ist  uns  nur  in  einer  aus  dem  Kloster  Nieder- 
altaich  stammenden  Handschrift  erhalten,  welche  von  897  ab  Auto- 
graph zu  sein  scheint.  Hier  hat  merkwürdigexnveise  der  ältei*e  Teil 
eine  ganz  besondere  Beschaffenheit  (Red.  III),  indem  die  ursprüngliche 
Aufzeichnung  Rudolfs,  welche  vielleicht  nach  Kurzes  Vermutung  bei 
einem  Besuch  des  Klosters  Fulda  im  August  897  dem  Hofe  bekannt 
geworden  war,  mit  der  zweiten  Redaktion  verbunden  ist,  so  dafs 
wir  an  einigen  Stellen  nur  hiei'aus  den  alten  Text  erkennen  können. 
Da  diese  Handschrift  Pertz  noch  unbekannt  war,  konnte  mit  Hilfe 
derselben  Fr.  Kurze  seine  Ausgabe  auf  einer  besser  gesicherten 
Grundlage  ausarbeiten. 

S  U.     Fulda,   Hersfeld,   Mainz. 

Kunstmaun,  Hrabanus  Magnentius  Maurus,  Mainz  1841.  Rettberg  I,  370—374.  605 
bis  «33.  Vgl.  auch  F.  Falk,  Die  ehemalige  Dombibliotliek  zu  Mainz  1897.  Bibel- 
studien, Bibelhss.  u.  Bibeldrucke  in  Mainz  1901.  Beitr.  zur  Rekonstruktion  der 
alten  Bibl.  Fuldensis  u.  Bibl.  Lauresham.  1902. 

Die  litterarische  Thätigkeit  der  Mönche  zu  Fulda  beschränkte 
sich  nicht  auf  die  Reichsannalen ;  sie  ist  umfangreich  genug,  um 
einen  eigenen  Abschnitt  in  Anspruch  zu  nehmen,  und  die  Bedeutung 
des  Klosters  für  die  Anfänge  gelehrter  Bildung  auf  deutschem  Boden 
ist  so  grofs,  dafs  wir  auch  seiner  Geschichte  eine  etwas  umständ- 
lichere Betrachtung  widmen  müssen. 


')  Ueber  das  im  Jahre  891  fehlende  Datum  der  Schlacht  bei  Löwen 
s.  A.  Dopsch  in  den  Mitteil,  des  Inst.  XV,  367—372. 

^)  Einige  sonst  unbekannte  Nachrichten  für  die  Jahre  869 — 900  hat 
neben  Benutzung  der  Ann.  Fuld.  Gobelinus  Person  in  seinem  Cosmidro- 
mius  (ed.  .Jansen  p.  19 — 22). 


252  II.  Karolinger.     §  14.   Fulda,  Hevsfeld,  Mainz. 

Die  Gründung  Fuldas  wurde  veranlafst  durch  Bonifaz,  welcher 
sich  seine  Ruhestätte  dort  erwählte,  und  wohl  auch  noch  bei  Leb- 
zeiten sich  dahin  zurückgezogen  hätte,  wenn  nicht  schon  früher  die 
Märtyrei-krone  ihm  zu  teil  geworden  wäre.  In  schmuckloser,  aber 
ausführlicher  Erzählung  wird  uns  mit  anmutiger  Schlichtheit  die 
Geschichte  der  ersten  Gründung  berichtet  in  dem  Leben  des  ersten 
Abtes  Sturmi,  der,  von  Geburt  ein  Bayer,  schon  als  Jüngling 
Bonifaz  übergeben,  in  Fritzlar  von  Wigbert  unterwiesen  war,  und 
nach  dreijähriger  Wirksamkeit  als  Pfarrer,  von  der  Sehnsucht  nach 
dem  klösterlichen  Leben  in  der  Einsamkeit  ergriffen  wurde.  Bereit- 
willig förderte  Bonifaz  sein  Streben,  und  sandte  ihn,  nachdem  in 
Fulda  die  neue  Stiftung  begründet  war,  nach  Italien,  um  an  der 
Quelle  die  rechte  Einrichtung  des  Klosterlebens  kennen  zu  lernen; 
er  hielt  sich  deshalb  längere  Zeit  in  Montecassino  auf'),  welches 
als  des  Abendlandes  Mutterkloster  von  fränkischen  Pilgern  häufig 
aufgesucht  wurde.  Unter  königlichen  und  päpstlichen  Schutz  ge- 
stellt und  bald  auch  durch  den  Leib  des  hochverehrten  Apostels 
der  Deutschen  geheiligt,  gewann  das  Kloster  Fulda  rasch  eine 
kräftige  Entwickelung  und  nahm  zu  an  Glanz  und  Reichtum.  Sturmi 
verteidigte  nach  manchen  Wechselfällen,  die  ihn  eine  Zeitlang  in 
die  Verbannung  nach  Jumieges  führten,  doch  zuletzt  mit  glücklichem 
Erfolge,  die  Freiheit  und  Unabhängigkeit  des  Stiftes  gegen  den  Erz- 
bischof Lul.  Am  Ende  seines  Lebens,  in  den  Jahren  778 — 779,  war 
er  mit  der  Bekehrung  der  Sachsen  beschäftigt,  unter  denen  Karl 
ihn  zu  gröfserer  Wirksamkeit  bestimmt  hatte. 

Sein  Nachfolger  Baugulf  (779—802)  schmückte  Fulda  mit 
Bauwerken,  und  erst  jetzt  begann  auch  das  wissenschaftliche  Leben 
in  seinen  Mauern  sich  zu  entwickeln,  obwohl  es  an  einer  Schule 
von  Anfang  an  nicht  gefehlt  hatte.  Alcvin  hat  damals  Fulda  be- 
sucht, und  Karls  berühmtes  Rundschreiben  über  die  Notwendigkeit 
gelehrter  Bildung  für  die  Geistlichen  ist  uns  gerade  in  der  an 
Baugulf  gerichteten  Ausfertigung  erhalten ;  er  ist  es  auch,  der  Ein- 
hards  glückliche  Anlagen  früh  erkannte  und  ihn  deshalb  an  des 
Königs  Hof  sandte.  Die  ältesten  Fulder  Anualen  (oben  S.  167) 
beginnen  mit  angelsächsischen  Namen  und  in  ihren  Handschriften 
begegnen  uns  die  Schriftzüge  der  Angelsachsen  -) ;  es  kann  nicht 
ohne  günstigen  Einflufs  geblieben  sein,  dafs  diese  höher  gebildeten 
Mönche    gerne    bei    den    Reliquien    ihres    gefeiertsten    Landsmanns 

')  Ruodolfi  V.  Liobae  c.  10.  Libellus  supplex  §  10.  Vgl.  Wattenbach, 
AUg.  D.  Biogr.  XXXVn,  1—2. 

-)  Vgl.  Traube,  NA.  XXVJI,  265  fg. 


Die  Aebte  Stunni,  Baugulf,  Ratf,'ar.  EijCfil.  253 

weilten,  und  auch  gelehrte  Schotten  fanden  sich  schon  bald,  des 
alten  Gegensatzes  ihrer  Kirche  vergessend,  an  Winfrids  Grabe  ein, 
wie  Probus.  der  Freund  des  Lupus  undWalahfrids.  Baugulfs  Nach- 
folger Rat  gar  (802 — 817)  sandte  die  fähigsten  Mönche  seines  Stiftes 
zu  den  berühmtesten  Lehrern  der  Zeit,  Hraban  und  Hatto  nach  Tours 
zu  Alcvin,  Brun  zu  Einhard,  Modestus  nebst  mehreren  anderen  zu 
dem  Schotten  Clemens  ')•  Vielleicht  schon  dieser  Zeit  gehört  der 
Johannes  Foldensis  didasculus  an,  welcher  in  ungeschickten 
Versen  als  grämlicher  Alter  gegen  den  Heiden  Virgil  eiferte  und 
dagegen  des  Arator  christliches  Gedicht  pries'-'). 

Es  zeigt  sich  uns  hier  der  Gegensatz,  in  welche  die  der  Geist- 
lichkeit zu  ausschliefslicher  Pflege  überwiesene  Gelehrsamkeit  zu  dem 
urspi-ünglichen  Zweck  des  Klosterlebens  trat,  und  nicht  minder  litt 
die  stille  Beschaulichkeit  desselben  durch  den  fürstlichen  Hofhalt, 
den  Fremdenverkehr,  die  Unruhe  und  den  Lärm  der  Bauten.  Ratgar 
warf  man  ungemessene  Baulust,  Härte  und  Hoffart  vor;  heftige 
innere  Zerwürfnisse  waren  die  Folge ^),  und  der  Friede  kehrte  erst 
wieder,  als  817  Ratgar  abgesetzt  wurde.  Es  war  das  Jahr,  in 
welchem  der  Kaiser  sich  ernstlich  der  Reform  der  Klöster  annahm 
und  auf  der  Aachener  Versammlung  die  Kapitel  verordnete,  welche 
lange  Zeit  fast  gleiches  Ansehen  mit  der  Regel  selber  genossen.  Zwei 
westfränkische  Mönche,  Aaron  und  Adalfrid,  führten  diese  Reform 
auch  in  Fulda  ein ;  als  sie  sich  hinlänglich  befestigt  hatte,  erlaubte 
der  Kaiser  eine  neue  Wahl,  wobei  vielleicht  Einhard  seine  Hand  mit 

1)  Catalogus  abbatum  in  Böhmers  Fontes  III,  162;  MG.  SS.  XIII,  272. 
Clemens  wird  als  Lehrer  an  Ludwig  des  Frommen  Hofe  erwähnt,  er 
widmete  in  recht  guten  Versen  dem  jungen  Lothar  ein  grammatisches 
Werk,  Grammatici  Lat.  ed.  Keil  I  p.  XXI.  Poet.  Car.  II,  670;  cf.  Dümm- 
1er,  Ostfr.  II,  649.  Haureau,  Singularites  p.  23.  Keil,  De  grammaticis 
quibusdam  latinis  inf.  aet.  (Erlanger  Univ.-Progr.  1868).  p.  9 — 17-  Stein- 
meyer, Abd.  Glossen  IV.  539. 

2)  MG.  Poet.  Car.  I,  392.  Trithemius  nennt  als  Schüler  Hrabans  (Vita 
I,  cap.  3):  „Joannes  monachus  Fuldensis,  patria  Francus  orientalis.  poeta 
et  musicus  insignis;  qui  et  plura  scripsit  et  cantum  ecciesiasticum  primus 
apud  Germanos  varia  modulatione  composuit."  Angef.  von  Gerbert,  De 
cantu  et  musica  sacra  1 ,  282.     Leider   eine   ganz   unzuverlässige  Quelle. 

^)  Libellus  siqjplex  MonacJiorum  Fiildensinm,  Carolo  Mayno  Imperatori 
porrectuf!  (vielleicht  von  Eigil  verfafst).  Broweri  Antt.  Fuld.  p.  212. 
Schannat,  Cod.  Probb.  p.  84.  Mab.  IV,  I,  260—262.  Epp.  IV,  548—551. 
Vgl.  über  diese  Vorgänge  B.  Simson,  Ludw.  d.  Fr.  1,  871  —  374.  Die 
S.  373  Anm.  9  angef.  Stelle  des  Libellus  kann  ich  aber  nur  darauf  be- 
ziehen, dafs  keine  Akte  weltlicher  Gerichtsbarkeit  und  kein  Marktver- 
kehr auf  dem  Klosterplatz  stattfinden  sollen.  Die  Worte  des  Cod.  Fuld. 
Ann.  Lauriss.  min.  a.s07:  ^Aufugiunt  pueri  puerorum  et  pessime  custos 
Consiliis  pravis"  sind,  wie  Simson  ])emerkt,  vielleicht  aus  einem  verlore- 
nen Gedichte. 


254  II-  Karolinger.     §  14.    Fulda,  Hersfeld.  Mainz. 

im  Spiele  hatte ^),  und  Eigil  übernahm  die  Leitung  des  Stiftes. 
Dieser  war  noch  ein  Schüler  Sturmis;  ein  Bayer,  wie  er,  und  sein 
Verwandter,  war  er  schon  als  Kind  nach  Fulda  gebracht  und  der 
Klosterschule  übergeben  :  über  20  Jahre  hatte  er  unter  Sturmis  Zucht 
gelebt,  und  in  dankbarer  Erinnerung  schrieb  er  das  Leben  seines 
Meisters^),  auf  Bitten  der  Angildruth,  vielleicht  einer  Nonne  von 
Bischofsheim,  dem  ebenfalls  von  Bonifaz  gestifteten  grofsen  Nonnen- 
kloster. Die  Sprache  Eigils  ist  nicht  frei  von  Germanismen,  sie  trägt 
noch  den  Stempel  der  älteren,  vor  Alcvins  Wirksamkeit  liegenden 
Zeit.  Doch  verletzt  sie  nicht  mehr  durch  die  groben  Fehler  der 
merowingischen  Zeit,  und  reichlich  entschädigt  für  die  Mängel  des 
Stils  der  einfach  fromme  Sinn  des  Mannes,  seine  ansprechende  und 
ungesuchte  Erzählung  dieser  Begebenheiten,  welche  er  teils  noch 
selbst  erlebt,  teils  aus  dem  Munde  der  älteren  Brüder  und  seines 
Meisters  erfahren  hatte.  Nach  seiner  Anordnung  wurde  diese  Legende 
jährlich  an  Sturmis  Gedenktage  (17.  Dez.)  während  der  Mahlzeit  den 
Mönchen  vorgelesen. 

Das  Leben  des  zweiten  Abtes  Baugulf  schrieb,  durch  Eigil 
veranlafst,  Bruun,  mit  dem  Beinamen  C and idus,  wohl  derselbe, 
den  Ratgar  zu  Einhard  gesandt  hatte,  noch  in  seiner  ersten,  guten 
Zeit,  als  er  erst  kürzlich  in  wunderbarer  Einigkeit  von  den  Brüdern 
zum  Abt  erwählt  war,  wie  Bruun  berichtet.  Leider  ist  dieses  Leben 
Baugulfs  verloren^);    erhalten    aber   ist   uns   das  Leben  Eigils''), 

^)  S.  Tangl  im  NA.  XXVII,  .31—32.  Seine  vermeintliche  Erwähnung 
in  einem  Briefe  Einhards  (Epp.  V,  138)  wird  jedoch  von  Hampe  mit  Recht 
bekämpft,  s.  NA.  XXI,  630. 

2)  Vita  S.  Sturmi  ed.  Pertz  MG.  SS.  II,  365—377  (vgl.  Epp.  IV,  557), 
mit  nicht  genügender  Benutzung  der  beiden  Hss.  in  Erlangen  u.  Würz- 
burg s.  E.  Richter,  Die  ersten  Anfänge  der  Bau-  und  Kunstthätigkeit  des 
Kl.  Fulda  (Fulda  1900)  S.  21  ff.  Zur  Kritik  vgl.  Tangl  in  den  Mitteil,  des 
Inst.  XX,  224  ff.  Bei  Migne  CV,  421—444  nach  Mabillon.  Uebersetzt 
von  W.  Arndt  mit  dem  Leben  des  heiligen  Bonifatius;  von  K.  Schwartz 
mit  beachtenswerten  Erläuterungen  in  2  Fulder  Programmen ,  1856  und 
1858.     Ebert  II,  104—106. 

^)  Waitz  bezweifelt,  ob  es  überhaupt  vollendet  war.  Vgl.  0.  Cl.  Th. 
Richter,  Wizo  und  Bruun,  2  Gelehrte  im  Zeitalter  Karls  d.  Gr.  und  die 
ihren  gemeinsamen  Namen  Gandidus  tragenden  Schriften,  Progr.  d.  Leipz. 
städt.  Realgymn.  1890. 

*)  Vita  Eigilis,  Broweri  Sidera  Germaniae.  Schannat,  Cod.  Probb.  88 
bis  114.  Daraus  Mab.  IV,  1,  217—246;  Migne  CV,  381—422.  Waitz  (nur 
die  Prosa)  SS.  XV,  221—233,  aber  auch  ohne  handschriftliche  Hilfs- 
mittel. Eine  Verweisung  auf  Gregors  Dialoge  trägt  Puckert  nach,  Aniane 
u.  Gell.  S.  184  A.  59,  auf  eine  Homilie  des  Pseudochrysost.  S.  194.  Uebers. 
von  Grandaur  1888,  Geschichtschr.  25  (IX,  10).  Ebert  II.  330.  In  der 
Würzb.  Bibliothek  ist  eine  von  einem  Bruun  geschriebene  Regula  S.  Be- 
nedict, For.^ch.  VI,  119,  vgl.  Traube,  Reg.  S.  Bened.  S.  660—661. 


Leben  Sturmis  und  Eigils.  255 

von  demselben  Verfasser  auf  Hrabans  Veranlassung  geschrieben,  als 
dieser  noch  Abt  war,  also  vor  842.  Der  Verfasser  war  schon  hoch- 
betagt, 845  ist  er  gestorben.  Er  befand  sich  auf  einer  einsamen 
Pfarre,  und  Hraban  hatte  ihn  ermahnt,  sich  im  Lesen  zu  üben  und 
etwas  Nützliches  zu  schreiben.  Die  Lebensbeschreibung  ist  nicht 
ohne  Geschick  verfafst,  iind  wenn  auch  nicht  fehlerfrei,  lässt  sie 
doch  in  der  anspruchsvolleren  Form  den  Schüler  Einhards  wohl 
erkennen.  Besonders  gelungen  ist  die  sehr  lebensvolle  Schilderung 
der  Bewegung,  welche  die  Abtswahl  im  Kloster  hervorruft;  die 
Ansichten  und  Aeufserungen  der  verschiedenen  Wortführer  werden 
in  der  gewöhnlichen  Umgangssprache  wiedergegeben,  und  ein  Kampf 
der  Meinungen  und  Wünsche,  wie  er  sich  ohne  grofse  Veränderungen 
noch  heutigen  Tages  bei  solcher  Gelegenheit  beobachten  läfst,  stellt 
sich  uns  mit  grofser  Lebendigkeit  dar.  Darauf  versucht  sich  der 
Verfasser  in  langen  Reden,  die  man  nun  einmal  ganz  nach  dem 
Vorbilde  des  Altertums  als  notwendig  betrachtete,  wenn  man  schön 
schi-eiben  wollte,  Reden  des  Kaisers  und  des  Erzbischofs  von  Mainz, 
in  denen  Bruun  die  Betrachtungen  niedex-gelegt  hat,  zu  welchen  ihn 
Ratgars  Amtsführung  und  die  dadurch  hervorgerufenen  Wirren  ver- 
anlafsten.  Zu  Grunde  gelegt  sind  hier  nach  Eberts  Ansicht  wirkliche 
Ansprachen  des  Kaisers.  Der  Verfasser  sagt  es  im  Vorwort,  und 
auch,  dals  er  sie  so,  wie  sie  gehalten  wurden,  doch  nicht  wieder- 
zugeben vermöge.  Vollkommen  zutreffend  hat  aber  dagegen  Waitz 
bemerkt,  dafs  eine  solche  Rede  voll  gelehi'ter  Zitate  der  Kaiser  nicht 
halten  konnte,  dafs  ferner  Bruun  nicht  zugegen  und  Jahrzehnte  seit- 
dem vergangen  waren.  Den  Hauptinhalt  dessen,  was  der  Biograph 
dann  von  Eigils  eigener  Thätigkeit  berichtet,  bilden  wiederum  dessen 
Bauten,  namentlich  die  noch  jetzt  stehende  achteckige  Rotunde,  die 
uns  wieder  an  die  Freundschaft  mit  Einhard  erinnert;  Bruun, 
Einhards  Schüler,  nahm  selbst  an  diesen  Arbeiten  teil:  die  Apsis 
über  dem  Grabe  des  h.  Bonifaz  hatte  seine  Hand  mit  Gemälden 
geschmückt. 

Der  prosaischen  Biographie  schliefst  sich  eine  zweite  in  Hexa- 
metern an,  welche  früher  geschrieben  zu  sein  scheint'):  der  Inhalt 
ist  fast  ganz  derselbe,  und  die  Form  gibt  ein  neues  Zeugnis  von 
der  im  früheren  Mittelalter  so  sehr  verbreiteten  Fertigkeit  in  dieser 
Kunst,  deren  wir  schon  bei  Karls  Zeitgenossen  häufig  zu  gedenken 
hatten.  In  jeder  Schule  bildete  die  L^ebung  im  Versemachen  einen 
stehenden  Teil  des  Unterrichts,  und  dadurch  entstand  die  Vorliebe 

1)  Auch  bei  Dümmler,  Poet.  Car.  II,  94—117. 


25G  I^-  Karolinger.     §  14.    Fulda,  Hersfelcl,  Mainz. 

für  die  poetische  Einkleidung,  die  so  oft  dem  inneren  Gelialte  nach- 
teilig geworden  ist. 

Zugeeignet  hat  Candidus  oder  Bruun  sein  Werk  dem  Modestus, 
oder  mit  deutschem  Namen  Reccheo,  der  die  ünthaten  des  Ratgar, 
des  Einhorns,  welches  in  die  fromme  Hesrde  eingebrochen  war,  durch 
beigefügte  Zeichnungen  noch  anschaulicher  machte;  leider  ist  die 
Handschrift  verloren  und  wir  kennen  nur  die  Abbildungen  in  Bro- 
werus  sehr  dankenswertem  Buche')- 

Am  15.  Juni  822  starb  Eigil;  ihm  folgte  sein  Freund  Hraban, 
geboren  um  784  in  Mainz,  der  bis  dahin  der  Klosterschule  vor- 
gestanden hatte,  einer  der  grofsten  Gelehrten  seiner  Zeit^),  dessen 
Ruhm  sich  schon  durch  das  ganze  Frankenreich  verbreitet  hatte. 
Man  bewunderte  namentlich  auch  seine  Verse,  obgleich  sie  gegen  die- 
jenigen mancher  Zeitgenossen  sehr  zurückstehen,  arm  an  Inhalt  sind, 
und  voll  von  grammatischen  und  metrischen  Fehlern,  wie  man  sie 
bei  ihm  nicht  erwarten  sollte,  voll  auch  von  Plagiaten,  die  er  u.  a. 
auch  an  seinem  Lehrer  Alcvin  verübt  hat,  aber  nicht  minder  ent- 
behren seine  Prosaschriften  der  Selbständigkeit.  Er  war  ein  Schüler 
Alcvins:  Ratgar  hatte  ihn,  wie  oben  erwähnt,  nach  Tours  gesandt, 
nachdem  er  im  Jahre  801  zum  Diaconus   geweiht   war^);   doch   ist 


*)  Daraus  wiederholt  bei  Jul.  v.  Schlosser,  Eine  Fulder  Miniat.  Hs.  d. 
Hofbibl.  Jahrb.  d.  kunsthist.  Sammlungen  d.  A.  H.  Kaiserh.  XITI.  mit 
Studien  über  die  Fulder  Kunstschule. 

^)  Kunstmann  1.  1.  Wackernagels  Litteraturgeschichte  2.  Ausg.  S.  66. 
Bach,  Hrabanus  Maurus,  der  Schöpfer  deutschen  Schulwesens,  Zimmer- 
manns Zeitschr.  f.  Alt.  II,  636.  Türnau,  Rabanus  Maurus,  München  1900 
(vgl.  Dümmler,  DLZ.  1900  S.  285).  Ebert  II,  120—146.  Hauck  II.  1-52 
bis  153,  620—641.  Dümmler,  Hrabanstudien.  Berl.  SB.  1898  S.  24—40. 
Will,  Regesten  der  Mainzer  Erzbb.  I,  p.  XIX  — XXIV.  Opera  ed.  Col- 
vener.  1627.  Migne  CVII— CXII.  Seine  Gedichte,  unter  denen  manche 
von  geschichtlicher  Bedeutung,  gab  Chr.  Brower  1617  als  Anbang  zum 
Venantius  Fortunatus :  daraus  schöpften  die  Späteren ;  jetzt  Poet.  Car. 
II,  154—258.  Seine  Briefe  Epp.  V,  379—516.  Vgl.  NA.  IV.  286-294. 
5-^1.  Dümmler,  Ostfr.  I,  315—320.  404—410.  Allgem.  D.  Biogr.  XXVIL 
66 — 74.  Derselbe  über  eine  verschollene  Fuldaer  Briefsammlung 
des  9.  Jahrhunderts,  Forsch.  V,  369—395  (Nachtr.  XXIV,  421—429). 
Epp.  V,  517 — 533;  eine  Sammlung  der  von  den  Magdeb.  Centuriatoren 
erhaltenen  Fragmente  einer  wichtigen  Fuldischen  Briefsammlung  von 
c.  818—870.  S.  auch  oben  S.  239  über  Vegetius.  —  Ueber  die  von 
Koeberlin  bekannt  gemachte  Würzb.  Hs.  seines  Komm,  zum  Matthaeus 
s.  L.  Traube,  NA.  XVII,  458.  Ueber  seine  Briefe  an  Hinkmar  (Epp.  V, 
487—500)  SchepIs,  NA.  XI,  130. 

^)  Dieses  Datum  der  Ann.  Laur.  min.  in  der  Fulder  Handschrift  stimmt 
gut  zu  seiner  Absendung  durch  Ratgar,  denn  dafs  dieser  schon  802  Abt 
wurde,  müssen  wir  doch  wohl  den  Ann.  Fuld.  und  ant.  Fuld.  glauben, 
und  also  in  den  Urkunden  bei  Dronke  S.  100.  101  vom  1.  u.  5.  Mai  803, 
welche  noch  Baugulf  nennen,  einen  Fehler  annehmen;  sie  sind  aus  dem 


Hrabanus  Maurus.  257 

es  fraglich,  ob  diese  kurze  Zeit  genügte,  um  ein  warmes  Freund- 
schaftsband zwischen  ihm  und  dem  allverehrten  Lehrer  zu  knüpfen, 
vielmehr  wahrscheinlicher,  dafs  er  schon  vorher  unter  Baugulf  sich 
bei  ihm  (im  Jahre  796  flg.)  aufgehalten  habe.  Alcvin  nannte  ihn 
Maurus  nach  dem  Lieblingsjünger  des  heiligen  Benedikt,  und  nach 
seiner  Heimkehr  schrieb  er  ihm  einen  Brief,  in  welchem  er  erwähnt, 
dafs  er  einst  (olim)  eine  Schrift  unter  seinem  und  seines  Mitschülers 
Samuel  Namen  verfafst  habe');  sehr  bald  darauf  (19.  Mai  804)  mufs 
Alcvin  gestorben  sein.  Mit  Hatto,  seinem  Nachfolger  als  Abt,  damals 
seinem  Mitschüler  in  Tours,  noch  erfüllt  von  Verehrung  gegen 
Alcvin,  der  auf  dem  Widmungsbilde  für  den  heiligen  Martin  segnend 
neben  ihm  steht,  verfafste  Hraban  um  814  in  seinem  dreifsigsten 
Jahr  sein  Werk  zum  Preise  des  heiligen  Kreuzes,  dessen  versbild- 
liche Spielereien  im  Mittelalter  viel  bewundert  wurden.  In  Pi-acht- 
handschriften  schickte  er  es  dem  Papste,  Erzbischof  Otgar  u.  a.,  und 
es  haben  sich  deren  mehrere  erhalten^).  Als  Alcvin  ihm  zuletzt 
schrieb,  stand  Hraban  bereits  der  Klosterschule  in  Fulda  vor,  welche 
nun  eine  Pflanzstätte  gelehrter  Bildung  für  ganz  Deutschland  wurde, 
denn  ungestört  durch  die  Bedenklichkeiten  seines  alternden  Lehrers 
erklärt  Hraban  in  seiner  Schrift  I)c  insfitutione  clericorum''^)  auch 
das  Studium  der  heidnischen  Autoren  für  unentbehrlich  zum  Ver- 
ständnis der  heiligen  Schrift;  bei  Lupus  und  in  den  Annalen  von 
Fulda  findet  sich  nach  Vogel  zuerst  wieder  nach  langer  Zeit  Bekannt- 
schaft mit  den  Schriften  Sallusts,  welche  jetzt  einen  rasch  wachsenden 


Elsafs,  wo  man  vielleicht  den  Wechsel  noch  nicht  erfahren  hatte.  Ebert 
glaubte  annehmen  zu  müssen,  dafs  er  schon  vorher  längere  Zeit  bei 
Alcvin  gewesen  sei,  womit  Dümmler  übereinstimmt,  s.  NA.  XVIII,  67. 

')  Dafs  dieser  Brief  an  Hraban  gerichtet  sei,  beruht  freilich  auf  \'er- 
rautung,  s.  Bibl.  VI,  876.  Epp.  IV,  132.  Sicher  an  ihn  ist  nur  gerichtet 
der  Brief  Bibl.  VI,  801.  Epp.  IV,  223.  Samuel  wird  der  unter  diesem 
Namen  vorkommende  Erzbischof  Beornrad  von  Sens  sein.  Hraban  richtet 
(Poet.  Car.  II,  188)  mehrere  Gedichte  an  einen  Presb.  Samuel,  seinen 
sodalis.  Das  mag  der  Abt  von  Lorsch,  841  Bischof  von  Worms  sein, 
der,  wie  Pf.  Falk  bemerkt,  im  Chron.  Lauresh.  „a  puero  ibidem  edu- 
catus"  heilst ,  und  ohne  Grund  für  Fulda  in  Anspruch  genommen  ist. 
Er  starb  nicht  859 ,  wie  Schannat  nach  den  Urkunden  Mühlbaeher  Reg. 
Kar.  1373,  1374,  1378  annahm,  aber  die  Urkk.  sind  unecht,  s.  Sickel, 
Wiener  SB.  XXXVI,  396.  Das  Chron.  Lauresh.  hat  855,  Ann.  Fuld. 
steht  die  Notiz  am  Rande  bei  856  am  Ende  des  Jahres,  Ann.  necrol. 
cod.  2  (SS.  XIII,  177)  856.  Als  Todestag  wird  der  6.*  und  7.  Februar 
bezeichnet,  s.  Necr.  Laurcsham.,  Fontes  III,  145. 

^}  S.  die  oben  angef.  Abb.  von  J.  v.  Schlosser,  mit  schönen  Abbil- 
dungen. Er  hält  Hatto  für  den  ausschmückenden  Künstler,  doch  kaum 
mit  Recht,  vgl.  Epp.  V,  381  n.  2. 

^)  Herausgeg.  von  Knöpf  1er,  Monachii  1901. 

Wattenbach,  Geschichtsfiuellen.    I.    7.  Aufl.  17 


258  II-  Karolinger.     §  14.    Fulda,  Hersfeld,  Mainz. 

Einflufs  auf  den  Stil  gewannen ').  Auch  durch  die  Ungunst  der 
Zeiten  unter  Eatgar  wurde  die  Schule  nur  teilweise  in  ihrer  segens- 
reichen Wirksamkeit  gehemmt.  Fuldische  Mönche  finden  wir  bald 
in  den  angesehensten  Stellungen;  so  wurde  Baturich  (817 — 848) 
Bischof  von  Regensburg  und  Erzkaplan,  Hemmo  (840 — 853)  Bischof 
von  Halberstadt ;  Hrabans  Schüler  war  Otfrid,  der  Mönch  von  Weifsen- 
burg,  mit  seinen  Gefährten  Werinbert  und  Hartmut  aus  St.  Gallen"). 
Einhard  sandte  ihm  den  Vussinus,  den  er  seinen  Sohn  nennt,  doch 
wahrscheinlich  nur  in  kirchlichem  Sinn;  Aldrich,  Abt  von  Ferrieres, 
später  (829 — 841)  Erzbischof  von  Sens^),  den  Lupus,  der  später 
als  Abt  von  Ferrieres  im  Sprengel  von  Sens  einen  groFsen  Namen 
gewann,  und  von  dem  eine  durch  ihr  klassisches  Latein  ausgezeich- 
nete Briefsammlung'')  voll  reicher  Belehrung  sich  erhalten  hat;  auf 
seine  Bitte  schrieb  Hraban  ein  CoUecfarmm  in  e2)istolas  Pai(li(E-pT[>-^, 
429 — 431).  Auch  Frechulf  von  Lisieux  war  mit  Hraban  befreundet, 
doch  vermutlich  schon  seit  seiner  Lehrzeit  in  Tours  (oben  S.  238). 
Ermenrich  von  Ellwangen  übersandte  seinem  Lehrer  Eudolf,  der 
Hraban  zur  Seite  stand,  das  von  ihm  verfafste  Leben  des  heiligen 
Solus.     Vor  allem  aber  glänzt  unter  Hrabans  Schülern  Walahfrid, 

1)  Fr.  Vogel,  Acta  sem.  Erlang.  II,  416.  Manitius,  NA.  VIT,  197,  sucht 
auch  bei  Einhard  die  Bekanntschaft  nachzuweisen. 

^)  Von  den  beiden  letzteren  ist  es  freilich  zweifelhaft,  ob  sie  auch  in 
Fulda  waren.  Otfrid  bezeichnet  als  seinen  Lehrer,  vielleicht  in  Fulda, 
auch  Salomon  I.  von  Konstanz,  s.  Dümmler,  Formelbuch  Salomons  III, 
S.  138.  Vgl.  auch  Meyer  v.  Knonau.  Die  Beziehungen  O.'s  zu  St.  Gallen, 
Forsch.  XIX,  187-191. 

')  Er  war  Lehrer  der  Hofschule  unter  Ludwig  dem  Frommen  nach 
seiner  Vita,  Mab.  IV,  1,  568—575.  Acta  SS.  Jun.  I,  753—758.  Vgl.  oben 
S.  227  und  Sickel,  Acta  Kar.  I,  84. 

*)  Servati  Lupi  opera  ed.  Baluzius,  Par.  1664,  Autv.  1710.  Lettres 
de  Servat  Loup.  Texte,  notes  et  introd.  par  Desdevises  du  Dezert,  Paris 
1888  (BibL  de  l'Ecole  des  hautes  et.  T.  77),  Epp.  VI,  1—114.  Er  ver- 
fafste 836  auf  den  Wunsch  des  Abts  Bun  von  Hersfeld  die  Vita  Wigberti 
(s.  unten  S.  264).  Ferner  839  auf  Bitten  des  Abts  Waldo  (wahrscheinlich 
von  Schwarzach  im  Strafsb.  Sprengel,  der  861  entsetzt  wurde,  869  als  Abt 
von  St.  Maximin  vorkommt)  die  Vita  S.  Maximhn.  SS.  Meroving.  III, 
71 — 82.  Nach  der  Rückkehr  aus  Deutschland  wurde  er  837  durch  die 
Kaiserin  Judith  dem  Kaiser  vorgestellt,  841  erhielt  er  nach  Odos  Ab- 
setzung die  Abtei  Ferrieres  und  ist  nach  861  gestorben.  Nach  ep.  93 
hat  er  K.  Karl  Imperato^'um  genta  hrevixsime  comprfhensa  überreicht,  wo- 
mit nur  Aurelius  Victor  gemeint  ist.  Vgl.  Dümmler,  NA.  IV,  314.  Ebert 
II,  203—209.  Sprotte.  Biographie  des  S.  L.  Regensb.  1880.  E.  Marck- 
wald,  Beitr.  zu  Servat.  Lupus.  Strafsb.  Dissert.  1885,  gedr.  1894.  Levillain, 
Etüde  sur  les  lettres  de  Loup  de  Ferrieres,  Bibl.  de  Tee.  des  eh.  1901 
S.  445—509,  1902  S.  69—118.  Ueber  die  verfehlte  Vermutung  Langens, 
der  ihm  den  Ps.  Isidor  zuschreibt,  s.  NA.  VIII,  412.  Ueber  seine  philo- 
logischen Studien  L.  Traube.  Münch.  SB.  1891,  S.  389  ff.  Sein  und 
Hemmos  Schüler  war  Heirich  von  Auxerre. 


Hrabaii.     Die  Fiilder  .Schule.  259 

der  Abt  von  Reichenau,  der  bald  selbst  das  Haupt  einer  neuen  Schule 
wurde.  Auch  Bernhard,  der  unglückliche  König  von  Italien,  war 
ihm  zur  Erziehung  übersandt  worden.  Nicht  zu  den  unbedeutendsten 
Schülern  Hrabans  gehört  endlich  auch  der  Mann,  der  ihm  und  der 
ganzen  Reichsgeistlichkeit  in  der  Folge  so  viel  zu  schaffen  machte, 
der  Mönch  Godschalk,  der  ungeachtet  seines  Standes  den  Mut  hatte, 
eine  unabhängige  Ueberzeugung  auszusprechen  und  zu  verfechten'). 
Wie  glückliche  Erfolge  für  das  eigene  Kloster  Hrabans  Wirksam- 
keit hatte,  haben  wir  schon  an  den  Verfassern  der  Annalen  gesehen. 
Unter  seinen  eigenen  Werken  sind  keine  geschichtlichen,  wenn  man 
nicht  etwa  das  schon  früher  erwähnte  Martyrologiwn  so  bezeichnen 
will;  wohl  aber  enthalten  seine  Vorreden,  Widmungen^)  und  Gedichte 
viele  schätzbare  Nachrichten  über  sein  Kloster  und  über  seine  rait- 
strebenden  Zeitgenossen ,  und  mehrere  seiner  Schriften  stehen ,  wie 
schon  oben  bemerkt,  in  Verbindung  mit  den  Zerwürfnissen  der 
kaiserlichen  Familie.  Nach  Eigil  wurde  er  Abt  des  Stifts;  da  er 
aber  dem  Kaiser  Ludwig  treu  ergeben,  Lothar  befreundet  war'^), 
verliefs  er  842  sein  Kloster,  wo  statt  seiner  Hatto,  genannt  Bonosus, 
einst  sein  Mitschüler  in  Tours,  erwählt  wurde,  und  widmete  sich 
nun  ungestört  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten,  die  ihm  ohnehin 
mehr  zusagten.  Mit  den  Fuldern  blieb  er  in  freundschaftlichem 
Verkehr,  und  söhnte  sich  bald  auch  mit  König  Ludwig  aus,  der 
ihn   gegen    seine  Neigung   nach  Otgars  Tode   zum  Erzbischofe   von 

')  S.  über  ihn  Dümmler,  Ostfr.  1,  327—336.  40-5—409.  NA.  IV.  320. 
Ebert  II,  166—169.  Seine  Gedichte  nebst  einem  Briefe  an  den  Bischof 
Lupus  von  Chälons  mit  sehr  beachtenswerter  Einleitung-  herausgeg.  von 
Traube.  Poet.  Car.  III,  707 — 738.  Noch  ein  Brief  mit  Versen  an  einen 
Bischof,  Epp.  VI,  180—183. 

-)  Ein  Bericht  von  ihm  über  die  am  1.  Nov.  819  vollzogene  Ein- 
weihung der  Fulder  Kirche  steht  in  Broweri  Antiq.  Fuld.  p.  110 — 112. 
Poet.  Car.  II,  205;  vgl.  NA.  IV,  260.  290.  Vgl.  auch  die  Notae  dedica- 
tionum  Fuldenses  812—1168  von  Holder-Egger ,  SS.  XV,  2,  1287.  1288. 
In  Hrabans  Zeit  fällt  auch  die  am  1.  Sept.  8-52  vollzogene  Einweihung 
der  Salvatorkirche  zu  Frankfurt  a.  a.  0.  S.  1284. 

^)  Ihm  widmete  er  sein  Werk  über  Jeremias;  ein  auf  Anordnung  des 
Abts  Majolus  von  Cluni  geschriebenes  Exemplar  ist  im  Brit.  Mus.  Add. 
22,820,  Epp.  V,  442 — 444.  Faks.  in  Libris  Catal.  of  the  extraordinary 
collection  of  manuscr.  1859  pl.  XVI.  A'erse  an  die  Kaiserin  Irmingard 
vor  dem  Kommentar  zu  Judith  und  Esther  und  Begleitbrief  des  letzteren 
e  cod.  Darmst.  749,  Epp.  V,  500 — 501.  Lothar  II.  widmete  er  eine  Be- 
arbeitung der  „Cena  Cypriani"  zur  Uebuug  für  Schulzwecke,  wo  alle 
Anspielungen  auf  den  Kreis  der  heiligen  Schrift  beschränkt  sind ,  ed. 
H.  Hagen  1884  in  Hilgenfelds  Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  XXVII.  164—187. 
Epp.  V,  506;  vgl.  Traube,  Textgesch.  der  Reg.  S.  Ben.  S.  701..  Auch 
der  Verf.  der  Visio  Caroli  (oben  S.  207)  beruft  sich  auf  eine  Mitteilung 
Hrabans. 


260  II-  Karolinger.     §  14.    Fulda,  Hersfeld,  Mainz. 

Mainz  (847 — 856)  erhob.   Wie  diese  Beförderung  den  Reichsannalen 
zugute  gekommen  ist,  haben  wir  oben  schon  gesehen. 

In  hohem  Grade  teilte  Hraban  das  eifrige  Streben  der  deutschen 
Geistlichkeit,  den  an  solchen  Schätzen  noch  armen  Boden  dieses 
Landes  mit  Gebeinen  der  Heiligen  zu  bereichern;  die  italienischen 
Reliquienkrämer  hatten  an  ihm  ihren  besten  Kunden.  Seit  alter 
Zeit  bewahrte  Fulda  den  Leib  der  heiligen  Lioba  oder  Leobgyth; 
diesen  liels  Hraban  nach  dem  Petersberge  bringen,  und  veranlafste 
schon  vorher  Rudolf,  ihr  Leben  zu  beschreiben^).  Ihm  standen 
dazu  die  Aufzeichnungen  des  fünf  Jahre  vorher  (831)  verstorbenen 
Priesters  Mago  zu  Gebote,  welche  die  Erzählungen  von  Schülerinnen 
der  Heiligen  enthielten.  Anderes  hatte  sich  noch  in  mündlicher 
Tradition  erhalten.  Leobgyth  war  eine  Verwandte  des  Bonifaz,  und 
von  ihm  aus  England  berufen,  um  in  dem  Kloster  Bischofsheim 
(oben  S.  154)  einen  Mittelpunkt  geistlicher  Belehrung  für  Nonnen  zu 
errichten;  auch  ihnen  waren  die  lateinische  Sprache  und  mancherlei 
andere  Wissenschaft  unentbehrlich  zum  Verständnis  der  heiligen 
Schriften  und  des  Gottesdienstes.  Rudolfs  Nachrichten  geben  daher 
eine  erwünschte  Ergänzung  für  die  Kenntnis  von  der  Wirksamkeit 
des  Bonifaz;  später  war  Leobgyth  auch  mit  der  Königin  Hildegard 
befreundet.  Diese  Nachrichten  sind  nun  verbunden  mit  einer  Fülle 
von  Wundergeschichten;  so  wenig  in  Rudolfs  An nalen  der  kirchliche 
Standpunkt  hervortritt,  so  sehr  zeigt  er  sich  hier  von  der  die  Zeit 
beherrschenden  Richtung  erfüllt.  In  noch  höherem  Grade  tritt  das 
hervor  in  seiner  Schrift  über  die  Wunder  der  unter  Hraban  nach 
Fulda  gebrachten  Reliquien^),  welche  auch  einige  geschichtliche 
Nachrichten  enthält,  übrigens  aber  eine  Fülle  jener  sich  immer 
und  überall  in  ermüdendster  Eintönigkeit  wiederholenden  Wunder- 
geschichten, welche  nur  durch  die  Namen  der  Personen  und  Ort- 
schaften und  gelegentliche  Angaben  über  Sitten  und  Gebräuche  der 
Zeit  einigen  Wert  erhalten.  Die  Zeit  der  berichteten  Geschichten 
fällt  in  die  Jahre  835 — 838;  geschrieben  ist  das  Buch  zwischen  842 

1)  Rudolfi  Vita  S.  Leohae,  ed.  Waitz,  SS.  XV,  118—131.  Sie  starb 
nach  dem  Necrol.  Fuld.  (SS.  XIII,  167)  am  23.  September  780,  nach  der 
Vita  am  28.  September  und  wird  urkundlich  noch  782  als  lebend  er- 
wähnt. Im  Auszug  übersetzt  von  W.  Arndt  hinter  der  V.  Bonifatii. 
Zell,  Lioba  und  die  frommen  angels.  Frauen,  Freib.  1860.  Hahn,  Bonifaz 
und  Lul,  S.  131  fiF. 

2)  Schannat,  Cod.  Probb.  p.  117—132  aus  Browers  Antiquitates  Ful- 
denses,  der  einzigen  Originalausgabe,  da  die  Handschrift  verloren  ist. 
Unter  dem  falschen  Titel  V.  Rabani  auch  bei  Mab.  IV,  2.  1.  Acta  SS. 
Feb.  I,  500.  SS.  XV,  328—341 ,  von  Waitz,  als  Miracula  Sanctorum  in 
Fuldenses'  ecclesia.i  translatorum,  vgl.  Hauck  II,  751  A.  1. 


Vita  Liobae.     Translatio  Alexandri.  261 

und  847 ,  als  Hraban  in  seiner  Zelle  auf  dem  Petersberge  lebte ; 
vielleicht  jedoch  etwas  später,  da  die  Schilderung  von  Hrabans 
litterarischer  Thätigkeit  daselbst  im  letzten  Kapitel  im  Praeteritum 
gehalten  ist,  und  der  letzte  Schlufs  fehlt. 

Dieses  Werk  Rudolfs  war  es  wohl,  welches  Wultbraht,  den  Enkel 
Widukinds,  der  im  Jahre  851  den  Leib  des  heiligen  Alexander 
von  Rom  nach  Wildeshausen  brachte,  zu  dem  Wunsche  und  der 
Bitte  veranlalste,  dafs  Rudolf  auch  diesen  Gebeinen  eine  ähnliche 
Schrift  widmen  möchte').  Aber  erst,  als  er  im  Alter  sich  wieder 
in  sein  Kloster  zurückzog,  kam  er  zur  Ausführung.  Die  Art,  wie 
er  diese  Aufgabe  erfafste,  zeigt  seinen  geschichtlichen  Sinn;  erfüllt 
davon,  dafs  hauptsächlich  diese  üebertragungen  von  Reliquien  das 
Christentum  unter  den  Sachsen  ausbreiteten  und  befestigten,  ging 
er  zurück  auf  die  alte  Heidenzeit,  um  zu  zeigen,  von  welchen  Irr- 
tümern das  Volk  durch  die  Einführung  des  Christentums  befreit 
sei.  Er  begann  mit  einem  kurzen  Abrisse  der  Stammsage,  die  W^idu- 
kind  von  Corvey  ausführlicher  erhalten  hat;  dann  aber  entlehnt  er 
die  näheren  Angaben  über  Glauben  und  Sitten  der  Sachsen  aus  der 
Germania  des  Tacitus").  Das  ist  ein  guter  Beweis  für  die  gelehrten 
Studien  der  Fuldischen  Klosterschule;  zugleich  aber  ist  es  auch 
charakteristisch  für  Rudolf  nicht  allein,  sondern  für  die  mittelalter- 
lichen Gelehrten  überhaupt,  dafs  er  in  Fulda,  wo  doch  noch  kürz- 
lich das  Hildebrandslied  aufgeschrieben  war,  über  das  sächsische 
Heidentum  nichts  aus  eigener  Kunde  und  Beobachtung  mitteilt, 
sondern  sich  genau  an  die  Worte  des  Tacitus  hält. 

Rudolf  fügte  noch  eine  kurze  üebersicht  der  Bezwingung  der 
Sachsen  durch  Karl  den  Grofsen  nach  Einhard  hinzu,  wofür  er 
auch  die  Ann.  Fuld.  benutzte;  dann  rief  ihn  der  Tod  am  8.  März 
865  von  dem  wohlangelegten  Werke.  In  den  Annalen  ist  ihm  ein 
kurzer  Nachruf  gewidmet,  wo  er  als  Historiker  und  Dichter  gefeiert 
wird,  und  man  vermutet,  dafs  auch  der  Maler  Rudolf,  dessen  Werk 
Hraban  in  einem  Epigramme  rühmt,  kein  anderer  gewesen  ist.  Die 
Fortsetzung  des  begonnenen  Werkes  übernahm  sein  Schüler  Megin- 

1)  Translatio  S.  Alexandri  ed.  Pertz,  SS.  II,  673—681.  üebersetft 
von  Richter,  1856,  2.  Ausg.  1889  (Geschichtschr.  21.  IX,  6).  Vgl.  dazu 
R.  Wilmans,  Kaiserurkunden  der  Prov.  Westf.  I,  388  flF.  Ohne  Grund  ver- 
dächtigt von  Wetzel:  Die  Tr.  AI.,  Kiel  1881,  aber  mit  einem  wichtigen 
Nachtrage  zum  Text;  vgl.  NA.  VII,  228  und  Waitz,  GGA.  1881,  Juni. 
Simson  im  NA.  XXV,  184 — 186.  —  Ein  Brevier  saec.  XV,  vielleicht  aus 
Wildesbausen,  NA.  XV,  208. 

^)  Die  einzige  sicher  nachweisbare  Benutzung  derselben  im  Mittelalter, 
nach  Waitz,  Forsch.  X,  602.  Vgl.  E.  Cornelius,  Quomodo  Tacitus  in 
hominum  memoria  versatus  sit,  Marb.  1888. 


262  If-  Karolinger.     §  14.    Fulda,  Hersfeld,  Mainz. 

hard.  Die  Taufe  Widukinds,  mit  der  Rudolfs  Erzählung  abbricht, 
gab  diesem  den  Uebergang  auf  dessen  Enkel  Waltbraht,  der,  an 
Lothars  Hofe  erzogen,  sich  mit  vollem  Eifer  dem  Christentume  zu- 
wandte, und  um  das  Christentum  in  Sachsen  besser  zu  befestigen, 
auszog,  um  aus  Rom  Reliquien  zu  holen.  Die  Empfehlungsbriefe, 
welche  ihm  Kaiser  Lothar  mitgab,  hat  Meginhard  vollständig  auf- 
genommen, hält  sich  dann  aber  bei  den  Vorfällen  der  Reise  nicht 
lange  auf,  sondern  geht  bald  zu  seinem  eigentlichen  Gegenstande, 
den  Wundern,  über.  Eine  zweite  Schrift  ähnlicher  Art,  über  den 
heiligen  Ferrutius  und  dessen  Uebertragung  von  Castel  nach 
Bleidenstadt,  nördlich  von  Wiesbaden,  durch  den  Erzbischof  LuP), 
ist  eine  Predigt  und  hat  deshalb  einen  ganz  überwiegend  erbau- 
lichen Charakter ;  eine  grofse  Fülle  von  Phrasen  verdeckt  den  Mangel 
an  geschichtlichem  Inhalte,  der  nur  aus  den  Inschriften  von  Bleiden- 
stadt stammt. 

Meginhard,  der  sich  in  der  Widmung  einer  theologischen  Ab- 
handlung an  den  Erzbischof  Günther  von  Koeln  als  Schulmeister 
bezeichnet^),  ist,  wie  wir  schon  oben  sahen,  ohne  Zweifei  auch  der 
Portsetzer  der  Reichsannalen  gewesen.  Nur  aus  diesen  sehen  wir, 
dafs  die  litterarische  Thätigkeit  in  diesem  Kloster  noch  nicht  ganz 
erstarb.  Blofs  aus  dem  Anfange  des  folgenden  Jahrhunderts  haben 
wir  noch  eine  Geschichte  der  Aebte  von  Fulda  ^),  einen 
sehr  kurzen  und  gedrängten,  aber  recht  hübsch  geschriebenen  Be- 
richt, der  jedoch  nur  mit  Vorsicht  zu  benutzen  ist,  da  er  durchaus 
panegyrischer  Natur  und  keineswegs  geschichtlich  ganz  zuverlässig 
ist.  Der  Abt  Huoggi  (891 — 915)  erlangte  von  Kaiser  Arnulf  die  noch 
jetzt  erhaltene  insulare  Evangelienhandschrift,  die  man  fälschlich  dem 
Bonifatius,  statt  mit  mehr  Recht  einem  seiner  Genossen,  zuschrieb'*). 
Sonst  aber  ist  von  litterarischer  Thätigkeit  in  diesem  Kloster  nichts 


')  Sermo  de  S.  Ferrutio,  bei  Surius  zum  28.  Oktober.  Acta  SS.  Oct. 
XII,  538-542.  Exe.  ed.  Holder-Egger,  MG.  SS.  XV,  148—150.  Das  Lob 
von  Mainz  ist  darin  bemerkenswert.  Vgl.  C.  Will,  Mon.  Blidenstat. 
Innsbr.  1874,  4.     Dümmler,  Poet.  Car.  I,  431.  II.  225. 

2)  In  Casparis  Kirchenhist.  Anekd.  (1883),  S.  251.   Epp.  VI,  163—165. 

^)  Acta  vetusta  Abbntum  Fuldensium  a.  744 — 916.  Schannat,  Cod. 
Probb.  1—3.  Böhmers  Fontes  III.  XXVIII  und  161—164  aus  Dronke, 
Traditt.  Fuld.  p.  162—164.  MG.  SS.  XIII,  272  als  Catalogus  ahb.  Ful- 
densium. Das  kurze  Verzeichnis  SS.  III,  117  n.  ist  berichtigt  XIII,  340. 
—  Acta  abb.  bis  ins  15.  Jahrhundert  und  auch  annal.  Aufzeichnungen 
bei  Brouwer  sind  nachgewiesen  von  Pflugk-Harttung.  Forsch.  XIX,  397 
bis  442. 

*)  Schannat,  Vind.  lit.  I,  226.  Nürnberger,  Aus  der  litt.  Hinterlassen- 
schaft des  Bonifat.     Neisse  1888,  S.  16  ff. 


Fulder  Kompilation.     Hersfeld.  263 

auf  uns  gekommen.  Es  hat  jedoch  schon  Waitz')  erkannt,  dafs  den 
Hersfelder  Annalen  bis  in  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  eine  in 
Fulda  verfatste  Kompilation  zu  Grunde  liegt,  welche  aus  den  ältesten 
Lorscher  Annalen,  der  kleinen  Frankenchronik  (Lauriss.  min.)  und 
einheimischen  Aufzeichnungen  zusammengesetzt  war,  und  auch  von 
Marianus  Scotus  benutzt  wurde.  H.  Lorenz  hat  das  weiter  ausgeführt 
und  glaubte  das  Endjahr  zwischen  830  u.  840  ansetzen  zu  können^), 
wogegen  G.  Buchholz  ^)  geltend  machte,  dafs  dann  der  Mangel  einer 
Verwandtschaft  mit  dem  älteren  Teile  der  sogenannten  Ann.  Fuld. 
nicht  zu  erklären  sei.  Fr.  Kurze  bemerkte,  dafs  die  Uebereinstimmung 
mit  Marianus  sich  noch  weiter  erstrecke,  und  andererseits,  dafs  für 
die  erste  Hälfte  des  zehnten  Jahrhunderts  dem  Fortsetzer  des  Regino 
eine  Fulder  Quelle  vorgelegen  habe;  beide  schienen  zusammen  zu 
gehören^).  So  kommen  wir  auf  eine  Fulder  Kompilation  des  aus- 
gehenden neunten  oder  des  zehnten  Jahrhunderts  mit  annalistischer 
Fortsetzung,  Klosterannalen,  in  denen,  wie  es  bei  diesen  Jahrbüchern 
der  Fall  zu  sein  pflegt,  einzelne  geschichtliche  Nachrichten  mit  Be- 
gebenheiten aus  der  Hausgescbichte  verbunden  waren.  Dafür  wird 
der  erste  Teil  der  Annales  S.  Bonifacil  von  716 — 830  in  Anspruch 
genommen  '■').  Eine  ausführlichere  Geschichte  des  Klosters  (oder 
eines  Abtes?),  die  spurlos  verschwunden  ist,  erwähnt  und  lobt 
Lambert  in  der  Vorrede  zu  seiner  Hersfelder  Geschichte,  SS.  V,  137 
(ed.  Holder-Egger  p.  345). 

Litterarische  Thätigkeit  finden  wir  auch  in  dem  nahe  gelegenen, 
ebenfalls  hessischen  Kloster  Hersfeld,  welches  um  770  von  Lul 
begründet  wurde,  als  Fulda  mit  Erfolg  seine  Selbständigkeit  gegen 
ihn  behauptete,  und  bald  zu  kräftiger  Entwickelung  gelangte®). 
Auch  von  seiner  Schule,  seinen  gelehrten  Mönchen  würde  wohl 
manches  zu  berichten  sein,  wenn  nicht  die  Ueberlieferungen  dieses 

1)  Archiv  VI,  681. 

^)  Die  Annalen  von  Hersfeld.  S.  70. 

3)  HZ.  LXV,  Ul. 

*)  Die  Hersfelder  und  die  gröfseren  Hildesh.  Jahrbücher  bis  984,  S.  8. 
NA.  XXIV,  446. 

^)  MG.  SS.  III.  117;  der  zweite  Teil  910—1024  ist  fast  ganz  identisch 
mit  den  Ann.  Lobienses.  Berichtigungen  e  cod.  Lugd.  Bat.  von  Dümmler, 
Forsch.  XVI,  169.  —  Ann.  S.  Bon.  brevisshm  936—1011  ib.  S.  118. 

")  Rettberg  I,  602—605.  Hafner,  Die  Reichsabtei  Hersfeld,  1889. 
Hauck  IL  58.  Ueber  den  Besitz  s.  das  Bre\üarium  Lulli  archiepiscopi  bei 
Landau,  Zeitschr.  des  Ver.  f.  Hess.  Gesch.  X  (1865)  S.  184 — 192,  zuerst 
bis  786  reichend,  mit  Nachträgen,  vgl.  Schröder  in  den  Mitteil,  des  Inst. 
XX,  861—376  und  das  Hersfelder  Zehntenverzeichnis  aus  der  Mitte  des 
9.  Jahrhunderts  herausg.  und  erläutert  von  E.  Schröder.  Mitteil,  des  Inst. 
XVIII,  1—13,  gegen  Waitz,  Heinrich  I.  S.  92  A.  1. 


264  ^I-  Karolinger.     §  14.    Fulda.  Hersfeld,  Mainz. 

Klosters  ein  besonders  ungünstiges  Geschick  betroffen  hätte;  die 
Hersfelder  Annalen,  Lamberts  Geschichte  von  Hersfeld,  sind  ver- 
loren, und  auch  von  Lamberts  Jahrbüchern  ist  keine  alte  Handschrift 
vorhanden;  da  mag  noch  anderes  spurlos  für  uns  verschwunden  sein. 
Der  Abt  Balthard  (f  796)  kann  vielleicht  derselbe  sein,  an  welchen 
zwei  Briefe  seiner  Schwester  Berthgyth  in  der  Bonifazischen  Samm- 
lung sich  erhalten  haben').  Abt  Bun  bewog  836  den  gelehrten 
Lupus,  ein  Leben  Wigberts  zu  schreiben^),  den  Bonifaz  als  Abt 
von  Fritzlar  eingesetzt  hatte;  seine  Gebeine  waren  nach  Hersfeld 
übertragen,  und  in  den  Wundergeschichten  finden  sich  einige  ge- 
schichtliche Nachrichten.  Eine  Handschrift,  welche  leider  verschollen 
ist,  enthielt  auch  eine  poetische  Bearbeitung  dieser  Vita  in  sehr 
barbarischer  Sprache,  von  einem  Hersfelder  Mönch,  welcher  sie  Buns 
Nachfolger  Brunward  (843 — 875)  gewidmet  hatte ^).  Dieser  Brunward 
war  befreundet  mit  Hraban,  welcher  an  ihn,  als  er  noch  Landbischof 
war,  Verse  richtete^.  Die  Annalen,  welche  von  besonderer  Wichtig- 
keit für  uns  sind,  gehören  überwiegend  der  folgenden  Periode  an. 
Beide  Klöster,  Fulda  und  Hersfeld,  blieben  in  innigster  Ver- 
bindung mit  dem  Erzbistume  Mainz;  ihr  Teil  war  die  Pflege  der 
Wissenschaft,  während  die  Metropole,  schon  damals  eine  glänzende 
Handelstadt^),  zu  sehr  in  die  politischen  Händel  verwickelt  wurde, 
um  in  litterarischer  Beziehung  eine  hervorragende  Stelle  einzu- 
nehmen, wenn  wir  von  den  Reichsannalen  absehen.  Auf  Luis  Nach- 
folger Riculf  (786—813),  den  der  Mönch  von  St.  Gallen  als  dumm 
und  hochmütig  schildert,  wohl  übertreibend,  da  er  unter  dem  Namen 
Damoetas  zu  Karls  Hofgelehrten  gehörte^),  folgte  zuerst  Luis  Schüler 
Haistulf  (813 — 825),  dem  Hraban  mehrere  Werke  zueignete'),  dann 
bis  847  Otgar,  ein  Verwandter  Eiculfs  und  eifriger  Parteimann. 
Er  ist  es,  welcher  den  Diaconus  Benedikt  zur  Ergänzung  der  Kapitu- 
lariensammlung  des  Ansegis  veranlafst  haben  soll,  und  man  hat  ihn 
deshalb  für  den  Mitschuldigen  der  hierin  enthaltenen  Fälschungen 
gehalten,  eine  Ansicht,  welche  von  P.  Hinschius  als  unbegründet 
widerlegt  ist,   da  Benedikts  Werk  erst  nach  Otgars  Tode  vollendet 

')  Bibl.  III,  312.     Epp.  III.  428.  429. 

2)   Vita  Wighcrtl,  ed.  Holder-Egger,  MG.  SS.  XV,  36—43.   Epp.  VI,  107. 

^)  So  berichtet  der  Jesuit  Busaeus.  erster  Herausgeber  der  V.  Wigberti, 
8.  Hinemari  epp.  ed.  Busaeus,  Mog.  1602.    NA.  IV,  314. 

*)  Poet.  Car.  II,  184;  vgl.  p.  111.    Epp.  V.  527.  528. 

"•)  S.  Megenharti  V.  Ferrucii,  SS.  XV,  1.  149;  Dümmler,  Ostfr.  I,  312. 

«)  Vgl.  Dümmler,  NA.  IV,  150.  Poet.  Car.  I,  431.  432  und  II,  694. 
Zum  Geschichtschreiber  will  ihn  Kurze  machen,  NA.  XXV,  309,  jedoch 
ohne  jeden  Beweis. 

')  Epp.  V,  385.  388.  391.  526. 


Mainz.     Translatio  Severi.  265 

worden  und  die  ganze  Notiz  nur  betrüglich  erfunden  ist')-  Seine 
Gelehrsamkeit  wird  gepriesen,  und  auch  ihm  widmete  Hraban  Bibel- 
kommentare und  Gedichte,  wie  er  ihm  auch  eine  Grabschrift  setzte*). 
Zu  verdanken  haben  wir  ihm  wahrscheinlich  den  Abschluls  der 
Mainzer  Briefsammlung,  in  welcher  der  Korrespondenz  des  Bonifatius 
Briefe  von  Lul  und  Otgar  sich  anschliefsen^).  Für  seine  Metropole 
brachte  Otgar  von  seiner  Gesandtschaft  an  Lothar  nach  Pavia  83G 
die  Reliquien  des  heiligen  Severus,  Bischofs  von  Ravenna,  nebst 
Frau  und  Tochter  heim;  ein  französischer  Spekulant,  der  solch 
kostbare  Ware  durch  Lug  und  Trug  sich  diebischerweise  zu  ver- 
schaflfen  und  dann  teuer  zu  verkaufen  pflegte,  fand  an  Otgar  einen 
Kunden,  denn  um  so  heiligen  Besitz  zu  gewinnen,  galt  auch  den 
frömmsten  Männei'n  Meineid  und  Diebstahl  für  zulässig'').  Grofs 
war  die  Freude  in  Mainz  und  in  Erfurt,  wohin  zur  Beförderung 
des  Christentums  in  Thüringen  S.  Severus  abgelassen  wurde,  allein 
man  hatte  noch  keine  Kunde  von  dem  Leben  des  Heiligen,  bis  der 
Priester  Liudulf  eine  Pilgerfahrt  nach  Rom  mit  einem  Besuche 
in  Ravenna  verband,  und  die  dort  gewonnene  Auskunft  mitteilte; 
hinzugefügt  ist  von  ihm  die  geschichtlich  nicht  ganz  unwichtige 
Erzählung  von  der  Erwerbung  der  Reliquien  durch  Otgar ■^).  Er 
schrieb  unter  Hrabans  Nachfolger  Karl  (856 — 863),  dem  aquitani- 
schen  Prinzen,  von  dessen  gelehrten  Studien  nichts  bekannt  ist. 

Die  Bedrängnis    der  Kirchen    durch    die  Verteilung   ihrer  Güter 
an  Kriegsleute  veranlafste  einen  Mainzer  Geistlichen  zur  Aufzeichnung 


')  Vgl.  Fr.  Maafsen,  Zwei  Excurse  zu  den  falschen  Capitularien  des 
Benedictus  levita.  NA.  XVIII,  294 — 302,  über  dessen  diu-chtriebene  Pfiffig- 
keit. M.  verwirft  durchaus  seine  Zugehörigkeit  zur  Mainzer  Kirche,  eben 
weil  er  sich  so  bezeichnet. 

2)  H.  Hahn,  Forsch.  XV,  113. 

3)  S.  über  ihn  die  Brieffragmente  Epp.  V.  -518—520,  Hrabans  Wid- 
mungen ebd.  425—428.  462—465,  das  an  ihn  gerichtete  Gedicht  Poet. 
Car.  II,  182—184  und  das  Epitaph,  ebd.  238.  Dafs  er  aus  Rom  die 
Reliquien  des  Sergius  und  Bachus  erwarb  —  wir  wissen  nicht  wann  — , 
geht  aus  den  metrischen  Inschriften  einer  unbekannten  Kirche  hervor, 
ebd.  219. 

■*)  Diese  Aeufserung  ist  wiederholt  gerügt  worden,  zuletzt  Katholik 
1875  S.  443,  aber  sie  ist  wahr;  ich  habe  einige  Beispiele  in  d.  SB.  der 
Berl.  Akad.  vom  4.  Dez.  1884  zusammengestellt.  Vgl.  Beifsel,  Die  Ver- 
ehrung der  Heiligen  und  ihre  Reliquien,  Freib.  1890;  Hauck  IV,  77. 

^)  Vita  et  Tratislatin  S.  Severi  aitct.  Liudulfo  presbijtero,  Acta  SS.  Feb. 
I,  88—91.  JafFe,  Bibl.  ITI,  507—517.  MG.  SS.  XV,  289—293,  ed. 
L.  V.  Heinemann.  B.  v.  Simsen  macht  darauf  aufmerksam ,  dal's  in  c.  4 
(SS.  p.  293)  die  Worte  Ubi  dum-enarrari  aus  den  Ann.  Fuld.  a.  826  (p.  24 
ed.  Kurze)  entlehnt  sind.  Briefe  Liutberts  in  Jaffes  Bibl.  III,  826.  333; 
Epp.  VI,  165. 


266  II-  Karolinger.     4?   14.    Mainz. 

der  Visio  CaroU  aus  Ingelheim  (S.  207),  welche  er  noch  mündlich 
von  Hraban  erfahren  haben  wollte.  Nach  Karl  verwaltete  Liutbert 
26  Jahre  lang  das  Erzbistum,  ein  wohlgesinnter  und  nicht  ungelehrter 
Herr,  der  sich  auch  der  Reichsannalen  wieder  annahm,  aber  die 
wii-ren  Zeiten ,  die  immer  schrecklicheren  Einfälle  der  Normannen, 
drängten  alle  wissenschaftliche  Beschäftigung  in  den  Hintergrund : 
im  Kampfe  gegen  diese  Unholde  verlor  891  Liutberts  Nachfolger 
Sunderold  oder  Sunzo  nach  kurzer  Amtsdauer  das  Leben,  ein  Fulder 
Mönch,  dem  einst,  da  er  noch  einfacher  Priester  war,  Meginhard  die 
Erzählung  von  der  Uebertragung  des  heiligen  Alexander  gewidmet 
hatte.  An  seiner  Statt  erhob  Kaiser  Arnulf  Hatto,  den  Abt  von 
Reichenau,  berühmt  dui'ch  seine  Klugkeit  und  Thatkraft,  auch  wegen 
seiner  kirchlichen  Gelehrsamkeit  hoch  gefeiert,  aber  die  äusseren 
Sorgen  für  Kirchenzucht  und  Reichsregierung  nahmen  ihn  vollständig 
in  Anspruch;  diesen  Zwecken  diente  auch  das  Werk  de  synodaMhus 
causis,  welches  Regino  ihm  zueignete  \). 

In  dem  damals  zum  Speiergau  gehörigen  Kloster  Weissenburg, 
dem  Wohnsitze  Otfrids,  wurde  unter  dem  Abte  Grimald  (s.  oben 
S.  243)  nach  einem  Brande  die  Kirche  neu  aufgebaut.  Wir  be- 
sitzen von  dort  dürftige  Annalen  für  die  Jahre  763 — 846  ohne 
besondere  Beziehung  auf  das  Kloster,  dagegen  mit  Hervorhebung 
des  Bischofs  Drogo  von  Metz^). 

§  15.     Schwaben. 

Stalin  I,  235—240.  Baehr  S.  118—122.  Ild.  v.  Ars,  Geschichte  von  St.  Gallen.  Weid- 
mann, Geschichte  der  Bibliothek  von  St.  Gallen,  1841.  G.  Scherrer,  Verz.  der 
Handschriften  d.  Stiftsbibl.  Halle,  1875.  F.  Keller,  Bilder  und  Schriftzüge  in 
den  irischen  Manuskripten  der  Schweizer  Bibliotheken,  in  den  Mitteilungen  der 
Antiquarischen  Gesellschaft  in  Zürich  YIl ,  3.  1851.  Dümmler.  Das  Formelbuch 
des  Bischofs  Salomo  IH.  von  Konstanz,  1857.  Derselbe,  St.  Gallische  Denkmale 
aus  der  Karolinger  Zeit,  Mitteilungen  der  Antiquarischen  Gesellschaft  XII,  ti. 
1859.    G.  Meier,   Gesch.  der  Schule  von  St.  Gallen   im  Mittelalter,   im  Jahrb.  f. 

J)  S.  Über  Liutbert  und  Sunzo  Dümmler,  Ostfr.  III,  328—331;  über 
Hatte  S.  352.  497.  Vgl.  auch  desselben  S.  256  angeführte  Abhandlung 
über  die  Fulder  Briefsammlung ,  und  die  betr.  Abschnitte  in  Wills 
Regesten.  Das  Schreiben  Hattos  über  die  Wahl  Ludwigs  des  Kindes  an 
P.  Johann  IX.  vom  Jahre  899  (Mansi,  Coli.  conc.  XIII,  203),  zuletzt  von 
Lindner  (Die  deutschen  Königswahlen  S.  215 — 219)  gegen  frühere  Zweifel 
in  Schutz  genommen,  ist  nach  Brefslau  dennoch  als  eine  Stilübung  des 
12.  Jahrhunderts  zu  verwerfen.  Eine  gleichzeitige  Aufzeichnung  über 
eine  Zusammenkunft  Hattos  mit  dem  llrzb.  Heriveus  v.  Pieims  im  Jahre 
902  gab  WerminghofF  heraus :  NA.  XXVII,  598. 

2)  MG.  SS.  I,  111  aus  dem  Cod.  Weifsenburg.  81  in  Wolfenbüttel. 
Berichtigungen  von  Mone  nebst  kalendarischen  Weifsenburger  Nach- 
richten aus  derselben  Hs.  in  der  Zeitschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  XIII, 
492.     Abtsreihe  SS.  XIII,  319. 


Kloster  St.  Gallen.  207 

Schweizer  Gesch.  X.  St.  Gallische  Geschichtsquellen  ,  neu  heniusf?egebeii  von 
G.  Meyer  von  Knonau,  1S70— 1877.  Rec.  von  Düinmler,  HZ.  XXXVIII,  327—343. 
Uebers.  von  Ekk.  Casus  nelist  Proben  aus  den  übrif^en  Teilen,  von  M.  v.  Knonau, 
1878.  Geschichtschr.  38  (X,  11).  üeber  Sanctgall.  FormelsamnilunpMi  Zeuiner, 
NA.  VIII,  505—553. 

Wenden  wir  unsern  Blick  nach  dem  Süden  Deutschlands,  so 
zieht  vor  allem  St.  Gallen  unsere  Aufmerk.samkeit  auf  sich,  nebst 
dem  nahe  gelegenen  Reichen  au.  Hatten  wir  früher  schon  in  dem 
alten  Leben  des  heiligen  Gall  wenigstens  einen  ersten  Versuch  litte- 
rarischer Thätigkeit  zu  erwähnen,  so  finden  wir  nun  auch  hier  einen 
Schüler  Alcvins,  Grimald,  als  Abt  (841—872);  Sanktgaller  Mönche, 
wie  Werinbert  und  Hartmut,  Otfrids  Mitschüler,  besuchen,  wie  es 
scheint,  die  berühmte  Schule  des  Klosters  Fulda,  und  Hrabans  Schüler 
Walahfrid  wird  Abt  von  Reichenau  (842 — 849).  Hierzu  kommt  noch 
der  Unterricht  gelehrter  Iren,  welche  auch  die  Kenntnis  des  Griechi- 
schen hier  heimisch  machen,  während  der  lebhafte  Verkehr  mit 
Italien  nicht  minder  anregend  wirkt.  Die  Sanktgaller  Schule  war 
vielleicht  von  allen  die  bedeutendste,  und  glücklicherweise  besitzen 
wir  zugleich  von  ihr  das  lebendigste  Bild  in  der  reichhaltigen  Kloster- 
chroiiik^),  welche  von  verschiedenen  Verfassern  bis  1330  fortgefühx-t 
wurde.  Die  Schule  war  hier  lange  Zeit  der  Mittelpunkt  des  Kloster- 
lebens, der  Stolz  und  die  Freude  der  Sanktgaller  Mönche,  und  die 
Lebensnachrichten  von  den  namhafteren  Lehrern  nebst  mannig- 
fachen Schulgeschichten  verschiedener  Art  nehmen  einen  sehr  her- 
vorragenden Raum  in  der  Chronik  ein.  Doch  die  Aufzeichnung  dieses 
Teiles  derselben  gehört  einer  späteren  Zeit  an:  Ekkehard  (IV.)  im 
elften  Jahrhundert  nach  mündlicher  üeberlieferung,  sie  ist  in  allen 

')  Casus  S.  GaUi  ed.  Ild.  v.  Arx,  MG.  SS.  II,  59—183  (bi.s  zum  Jahre 
1233).  Zwischen  833  und  890  ist  ein  Stück  verloren,  auf  welches  sieh 
Ekkehard  in  seiner  Forsetzung  MG.  II,  83  mit  den  Worten  bezieht: 
Kerlialclo  (corr.  Bernhardo)  itaquc  abbat e ,  ut.  alias  in  alio  lib7-o  relatum 
est,  deposito  (890).  In  d.  neuen  Ausg.  c.  11  S.  37  fehlen  die  Worte  in 
alio  libro.  Nach  G.  Scherrer,  Verz.  S.  9  u.  166,  hat  Jod.  Metzler  (f  1639) 
noch  eine  verlorene  Quelle  gehabt.  —  Ratperti  Casus  S.  Calli  nach  obiger 
Ausgabe  bei  Migne  CXXVI,  1055—1080.  Neue  Ausg.  von  G.  Meyer  von 
Knonau  in  den  St.  Galler  Mitteilungen  zur  vaterl.  Gesch.  XIII,  mit  aus- 
führl.  Kommentar  und  Exkursen.  Desgleichen  Ekkeharti  (IVj  Casus  S. 
GalU  ebenda  XV.  XVI.  1877.  Mit  den  Vitis  et  miraculis  Galli  et  Otmari 
auch  besonders  ausgegeben  als  St.  Gall.  Geschichtsquellen.  —  Catal.  abb. 
S.  Galli,  Äugiensium,  epp.  Constantt.  MG.  II,  34—39;  ersterer  neu  her- 
auso-egeben  und  bearbeitet  von  G.  Meyer  von  Knonau ,  Mitteil.  XI ,  125 
bis  138;  v.  Holder-Egger,  SS.  XIII,  326—330;  Aug.  ib.  p.  331;  Const. 
p.  324.  —  Mitteil.  XI,  1—124  St.  Galler  Todtenbuch  u.  Verbrüderungen, 
von  E.  Dümmler  und  H.  Wartmann;  S.  6  über  das  um  817  angelegte 
Verbrüderungsbuch.  Dieses  ist  jetzt  von  P.  Piper  herausgegeben ,  MG. 
Libri  Confraternitatuni,  1884,  4.  Verz.  der  Konstanzer  Domgeistlichkeit 
s.  XI.  NA.  XI,  408. 


208  II-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

Einzelheiten  unzuverlässig,  gibt  aber  doch  ein  kulturhistorisch  un- 
schätzbares, im  Gesamteindruck  auch  sicher  zutreffendes  Bild.  Der 
erste  Teil  dagegen  bis  zum  Jahre  883,  von  Ratpert  verfafst,  ist  er- 
füllt von  den  äufseren  Schicksalen  des  Klosters,  den  langen  Kämpfen 
um  seine  Unabhängigkeit  und  Selbständigkeit,  welche,  den  Bischöfen 
von  Konstanz  nur  mit  Mühe  abgei'ungen,  gegen  verschiedene  An- 
fechtungen vei'teidigt  wurde.  Das  Verhältnis  zu  den  Bischöfen, 
welche  formell  völlig  im  Rechte  waren,  hat  Ratpert,  der  schon 
ganz  entstellten  Klostertradition  folgend,  durchaus  umgekehrt  dar- 
gestellt, wie  erst  Sickel,  auf  die  Urkunden  gestützt,  nachgewiesen 
hat');  seine  Aufmerksamkeit  aber  war  diesem  Gegenstande  so  vor- 
wiegend zugewandt,  dafs  er  auch  aus  der  späteren  Zeit  der  Blüte 
wenig  über  das  innere  Leben  des  Klosters  berichtet. 

Die  ersten  Zeiten  des  angestrengten  and  oft  unglücklichen  Kampfes 
waren  der  litterarischen  Entwicklung  nicht  günstig.  Eine  Zierde 
des  Klosters  war  jedoch  schon  damals  Waldo,  der  zum  Abt  erhoben, 
nach  Ratperts  Darstellung  wegen  der  Bedrängung  durch  den  Bischof 
nach  l'|2  Jahren  (784)  die  Abtei  Reichenau  erhielt,  welcher  er 
22  Jahre  vorstand,  endlich  aber  als  Abt  von  Saint-Denis  bis  an 
seinen  Tod  813  an  dem  litterarischen  Treiben  des  Hofes  teilnahm -j. 

Die  neu  gewonnene  Freiheit  unter  dem  selbständigen  Abte 
Gozbert  (816 — 837)  erwies  sich  für  das  Gedeihen  des  Klosters 
sehr  förderlich;  830  begann  Gozbert  den  Bau  der  neuen  Kirche,  zu 
welcher  er  den  noch  vorhandenen  Grundrifs^)  entwerfen  liefs;  der 
Urheber  desselben,  welcher  den  Musterplan  eines  grofsen  Benediktiner- 
klosters darstellt,  ist  unbekannt,  eine  Widmung,  gerichtet,  wie  es 
scheint,  an  den  jüngeren  Gozbert,  des  Abtes  gleichnamigen  Neffen. 
Dieser  beschrieb  um  diese  Zeit  das  Leben  des  ersten  Sankt  Galler 
Abtes  Othmar,  welcher  am  16.  November  759  in  der  Verbannung 
gestorben   war,    und    fügte   auch    zuq^   Leben    des   heiligen  Gallus, 

')  Th.  Sickel ,  St.  Gallen  unter  den  ersten  Karolingern ,  in  den  Mit- 
teilungen zur  vaterl.  Gesch.  IV.  1865.  Dafs  die  Bischöfe  doch  auch  über 
ihre  formelle  Berechtigung  hinaus  sich,  wie  es  fast  immer  geschah,  Ueber- 
griffe  erlaubt  haben  mögen ,  hebt  Monod  zu  Ratperts  Gunsten  hervor, 
Revue  crit.  1873,  II,  409—413.     Hauck  II.  59. 

^)  Verse  von  König  Ludwig  und  von  dem  Schotten  Dungal  an  Baldo 
hat  Dümmler  herausgegeben  im  Arch.  d.  W.  Ak.  XXII,  289,  vgl.  S.  283, 
und  (mit  Frohen)  auf  ihn  bezogen,  folgt  jedoch  Poet.  Car.  I,  412.  II,  643. 
Foltz,  Gesch.  d.  Salzb.  Bibl.  S.  13,  welcher  den  Salzburger  Lehrer  i$aldo 
unterscheidet;  s.  unten  S.  292  unter  Bayern. 

^)  F.  Keller,  Baurifs  des  Klosters  St.  Gallen  vom  Jahre  820,  Zürich 
1844.  Von  dem  etwas  späteren  Bau  Grimalds  heifst  es  im  cod.  397: 
Aula  palatinis  perfecta  est  ista  magistris,  |  Insula  pietores  transmiserat 
Augia  clara. 


Leben  des  Othmar  und  Gallus.     Abt  Grimald.  269 

welches  der  Reichenauer  Wetti  für  Gozbert  bearbeitet  hatte  (oben 
S.  134),  ein  Buch  über  die  Wunder  desselben  hinzu.  Doch  genügten 
ihm  selber  diese  Arbeiten  nicht,  und  er  bat  den  berühmten  Abt 
von  Reichenau,  Walahfrid,  beide  zu  überarbeiten')-  Uns  liegt  daher 
das  Leben  Othmars  nur  in  Walahfrids  reiner  Sprache  vor;  es  enthält 
einige  schätzbare  Nachrichten  über  die  damaligen  Verhältnisse  von 
Alamannien,  doch  tilgte  leider  Walahfrid  die  Namen  der  Gewährs- 
männer als  zu  barbarisch.  Begreiflich  ist  es,  dafs  man  daneben  auch 
des  heiligen  Gallus  Leben  in  seiner  schlichten  unsauberen  Gestalt 
nicht  mehr  ertragen  konnte:  wenn  es  bei  der  Mahlzeit  oder  am 
Gedächtnistage  des  heiligen  Mannes  verlesen  wurde,  störten  die  Ger- 
manismen und  Sprachfehler  die  Andacht  der  Zuhörer.  Walahfrid 
mufste  deshalb  auch  dieses  Buch  nebst  den  dazu  gefügten  Wunder- 
geschichten in  eine  zeitgemäfse  Form  umgiefsen-);  doch  hat  sich 
auch  Wettis  Arbeit  erhalten.  Auch  in  Versen  wollte  Walahfrid  den- 
selben Gegenstand  behandeln,  ist  aber  nicht  mehr  dazu  gekommen. 
Dagegen  hat  es  auf  das  ungestüme  Andrängen  des  jüngeren  Gozbert, 
des  Kahlkopfs,  ein  ungenannter  Mönch  unternommen  und  in  der 
That  Walahfrids  Werk  im  Jahre  850  in  Hexameter  umgesetzt,  doch 
stand  sein  Können  bei  weitem  tiefer  und  entsprach  nicht  seinem 
guten  Willen^). 

Nach  dem  Bürgerkriege  verlieh  Ludwig  der  Deutsche  die  Abtei 
seinem  Erzkaplane  Grimald  (841—872),  der  sich  das  Wohl  der- 
selben sehr  angelegen  sein  liefs,  so  dafs  jetzt  die  rechte  Blütezeit 
des  Klosters  und  namentlich  der  Schule  beginnt^).    Da  er  selbst  nicht 


')  Sie  sind  nur  in  dieser  Form  vorhanden,  V.  S.  Othmari  MG.  II.  41 
bis  47,  und  von  G.  Meyer  von  Knonau,  Mitteil.  XII,  94—113.  Uebers. 
von  Pofcthast  mit  Vita  S.  Galli.  Miracula  S.  Galli  ib.  21—31  u.  62—93. 
Ueber  Othmar  s.  Hauck  II,  60— fil. 

2)  Gedruckt  bei  Mabillon  Act.  II,  227-250.  Neue  Ausg.  von  R.  Thuli, 
St.  Gall.  Mitteil.  XXIV  (1890)  S.  1—76,  von  Krusch,  SS.  Merov.  I)",  280 
bis  337.  Daran  knüpft  sich  eine  Kritik  in  dem  merkwürdigen  Dialoge, 
welcher  Notker  u.  Hartmann  in  den  Mund  gelegt  wird,  bei  Canis.  Lect. 
ant.  V,  790,  Weidmann,  Gesch.  d.  Stiftsbibl.  S.  483—493  (S.  486  1.  ■■<troi)ha 
statt  soopha),  in  Bruchstücken  erhalten  und  von  Winterfeld  siegreich  für 
Notker  in  Schutz  genommen.  Neue  Jahrb.  für  klass.  Philol.  III,  360,  NA. 
XXVII,  744—7-51. 

')  Nur  der  Anfang  MG.  II,  31.  Vollständig  zuerst  herausgegeben  von 
Dümmler,  Poet.  Car.  II,  428—473,  vgl.  p.  266. 

^)  Vgl.  oben  S.  243.  Gegen  Scherers  einseitige  Hervorhebung  des 
Einflusses  der  Fulder  Schule,  s.  Dümmler,  Ostfr.  III,  655.  Libri  quos  Gr. 
de  suo  dedicavit.  bei  Weidmann  S.  396—400.  Vgl.  Stettiner,  Die  illustr. 
Prudentiushss. ,  Berlin  1895  S.  94—96,  111—117.  Ein  Recept  de  libro 
Grim.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XX.  214.  Eine  Sammlung  von  Rezepten  in 
der  Hs.  von  Poitiers  184  (288)  f.  70:    Inc.  opusculum  Grimaldus  baiulus 


270  IJ-  Karolmger.     §  15.    Schwaben. 

Mönch  war  und  in  der  Regel  am  Hofe  lebte,  vertraute  er  Hrabans 
Schüler  Hartmut  die  unmittelbare  Verwaltung  des  Klosters  an,  und 
nach  Grimalds  Tode  stand  dieser  demselben  bis  883  als  Abt  vor. 
Beide  sorgten  eifrig  für  die  Bereicherung  der  Bibliothek,  und  als 
der  erste  bedeutende  Lehrer  wird  unter  ihnen  Iso  genannt*),  ihm  zur 
Seite  der  Schotte  Moengal,  auch  Marcel lus  genannt"),  welcher 
in  der  inneren  Schule  die  für  das  Mönchskleid  bestimmten  Knaben 
unterwies,  während  jener  in  der  äufseren  Schule  die  Söhne  des  Adels 
für  ihren  Beruf  als  Domherrn  und  Bischöfe  vorbereitete. 

Im  Jahre  864  wurde  Othmars  Leib  erhoben  und  in  der  neuen 
Kirche  des  heiligen  Gallus  feierlich  beigesetzt,  bis  867  die  ihm 
bestimmte  eigene  Kirche  vollendet  war,  welche  auch  Grimalds  Ruhe- 
stätte wurde,  der  870  zuletzt  als  Kanzler  erscheint,  und  den  Rest 
seiner  Tage  in  St.  Gallen  zubrachte.  Von  jener  Erhebung  Othmars 
mit  den  Wundern,  die  dabei  natürlich  nicht  fehlten,  berichtet  uns 
eine  bald  nachher  verfafste  Schrift  Isos^).  Später  soll  dieser  jedoch 
das  Kloster  verlassen  und  als  Lehrer  im  Kloster  Grandval  eine 
grofse  Wirksamkeit  und  aufserordentlichen  Ruf  erlangt  haben,  bis 
er  am  14.  Mai  871  starb. 

Die  volle  geistliche  Bildung  der  inneren  Schule  erhielten  zwei 
Schüler  des  Iso,  welche  Marcellus  von  ihm  übernahm,  und  nicht 
minder  als  in  der  Wissenschaft,  auch  in  der  Musik  und  anderen 
Künsten  unterwies,  deren  er  als  Irländer  Meister  war.  Diese  waren 
der  berühmte  Erfinder  der  Sequenzen,  Notker  der  Stammler^),  später 

(verb.  -i  -i)  et  comitis  sacri  palatii  ad  Karulum  regem  de  dieta  ciborum 
et  nutritura  aneipitrum  (Tr.). 

^)  Urkundlich  in  St.  Gallen  erwähnt  von  852  —  868. 

-)  Von  848 — 865  urkundlich  erwähnt.  Er  war  vorher  Abt  von  Bangor 
in  Ulster  und  starb  871  (nach  Zimmer)  NA.  XVII.  211;  vgl.  desselben 
Pelagius  in  Irland  S.  222  und  449.  —  Sehr  barbarische  Verse  von  Dub- 
duin  zum  Preise  seiner  Landsleute  NA.  X,  341. 

^)  Ysonis  de  miracitlis  S.  Othmari  libri  II,  MG.  SS.  II,  47—54.  Mitteil. 
XII,  114 — 139  im  Auszug.  Ekkehards  Erzählung  von  Isos  Wirksamkeit 
in  Burgund  bezweifelt  Dümmler ,  Denkm.  S.  260 .  weil  er  868  noch  in 
St.  Gallen  war.  M.  v.  Knonau  jedoch,  der  zum  Ekkeh.  S.  116 — 126  über 
Iso  handelt,  hält  seine  Thätigkeit  in  Moutier-Grandval  für  gesichert  durch 
die  Tradition,  nur  kann  nicht  Rudolf  von  Burgund  ihn  eingeladen  haben, 
sondern  der  Bischof  von  Basel.  Vgl.  Traube  im  NA.  XVIII,  96,  der  ihn 
erst  um  876  sterben  läfst,  worauf  ihm  Heirich  folgte. 

*j  S.  über  ihn  Dümmler,  Denkm.  S.  244  ff.  258  ff.  NA.  IV.  546.  Meyer 
v.  Kn.  zu  Ekk.  S.  126  ff.  und  Der  heil.  Notker  v.  St.  Gallen,  Neujahrsbl. 
1877.  Ebert  IV,  145—152.  Er  starb  912.  Autograph  von  ihm  bei 
W.  Arndt,  Schrift.  15  b.  Von  Notkers  Brief  an  Lantbert  über  die  Be- 
zeichnung des  musikal.  Vortrags  durch  Buchstaben  ist  eine  mit  tiron. 
Noten  gemischte  Abschrift  in  Berlin  verzeichnet  bei  Rose,  Verzeichnis 
der  lat.  Meermanhss.  S.  30  (Berl.  1892). 


Iso.     Notker.     Ratpeit.  271 

Marcellus"  Gehilfe,  Verfasser  des  oben  erwähnten  Martyrologiums 
und  anderer  Werke,  die  wir  gleich  zu  erwähnen  haben  werden,  und 
der  kunstreiche  Tutilo').  Als  dritten  nennt  Ekkehard  auch  Rat- 
pert,  einen  Züricher,  der  aber  vielmehr  sein  Zeitgenosse  war,  und 
bis  an  das  Ende  des  neunten  Jahrhunderts  der  Klosterschule  vor- 
stand. Dieser  hat,  wie  schon  erwähnt,  den  ersten  Teil  der  Kloster- 
chronik verfafst.  Die  Einweihung  der  von  der  Aebtissin  Bertha, 
Ludwig  des  Deutschen  Tochter,  neu  erbauten  Fraumünsterkirche  in 
Zürich  verlockte  ihn  zu  einer  Wallfahrt,  die  er  in  Versen  ausführ- 
lich beschrieb-);  übrigens  aber  war  er  so  eifrig  in  seinem  Amte, 
dafs  er  jede  Entfernung  vom  Kloster  dem  Tode  gleich  achtete  und 
nicht  mehr  als  zwei  Schuhe  im  Jahre  verbrauchte ;  selbst  die  Messen 
und  Gebete  versäumte  er  darüber,  denn,  sagte  er,  wir  hören  die 
besten  Messen,  wenn  wir  andere  lehren  sie  zu  feiern.  Unnachsichtig 
handhabte  er  den  Stock,  der  überhaupt  in  diesen  Jahrhunderten 
eine  grofse  Rolle  in  der  Erziehung  spielte^),  und  doch  wufste  er  sich 
durch  seine  Berufstreue  und  wahres  Wohlwollen  auch  die  Liebe 
seiner  Schüler  zu  gewinnen.  Als  er  auf  seinem  Todbette  lag,  hatte 
gerade  das  Fest  des  heiligen  Gallus  (Okt.  16)  die  Geistlichkeit  Ala- 
manniens  im  Kloster  versammelt,  und  40  seiner  Schüler  umgaben 
das  Sterbelager  ihres  Lehrers^). 


^)  Dessen  berühmtes  Diptychon  abgebildet  in:  Das  Kloster  St.  Gallen  L 
Herausgegeben  vom  historischen  Verein  in  St.  Gallen,  1863,  und  bei 
Alwin  Schultz,  Tuotilo  von  St.  Gallen  in :  R.  Dohme.  Kunst  und  Künstler 
des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  I.  1877 ;  doch  vgl.  dazu  Rahn,  Nachlese 
zur  Gesch.  der  bildenden  Künste  in  der  Schweiz ,  S.  787 — 790 ,  und  M. 
v.  Knonau  zu  Ekkeh.  S.  93  u.  129.  Jul.  v.  Schlosser.  Wien.  SB.  CXXIII, 
180—185;  Mantuani,  Tuotilo  und  die  Elfenbeinschnitzerei,  Strafsb.  1900. 

^)  Erhalten  ist  nur  ein  Bruchstück,  die  Beschreibung  der  neuen  Kirche 
und  der  Uebertragung  von  Reliquien  der  hh.  Felix  et  Regula  vom  Grofs- 
münster  nach  Fraumünster,  herausgegeben  von  G.  v.  Wyfs,  Geschichte 
der  xVbtei  Zürich  (Mitteil.  VIll),  Beilagen  S.  11.  Poet.  Car.  IV,  335-336; 
vgl.  Dümmler,  Denkm.  S.  255.  Ostfr.  II,  427.  G.  Meyer  von  Knonau  in 
der  Vorrede  der  Casus.  Sein  Lobgesang  auf  den  heiligen  Gallus  in 
Ekkehards  lat.  Uebersetzung  bei  MüUenhoff  und  Scberer  I,  217.  II,  78. 
Vgl.  Dümmler,  NA.  IV,  541.  G.  R.  Zimmermann,  Ratpert  der  erste 
Zürchergelehrte  (Basel  1878),  ohne  wissensch.  Wert  nach  Dümmler  im 
Centralbl.  Sp.  1314.     Ebert  III.  156—159. 

^)  S.  die  zuerst  von  A.  Mai,  Auctt.  class.  V,  425  (Poet.  Car.  I,  403) 
herausgegebenen  Regeln  der  Schulzucht: 

Grandevi  torquendi  dulci  carendo  lyeo, 
At  pigri  infantes  saeva  flagella  ferent, 
und  das  von  Traube  mitgeteilte  Schülerlied  NA.  XXV,  622.  623 ;  Zeitschr. 
f.  Deutsches  Altert.  XIV,  45. 

*)  Das  Jahr  des  Todes  ist  wegen  der  vielen  gleichnamigen  Mönche 
ganz  ungewifs. 


272  ^^-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

Als  Karl  III.  833  das  Kloster  besuchte'),  fand  er  in  St.  Gallen 
einen  älteren  Mönch,  dessen  Gedächtnis  noch  in  die  Zeit  des  grofsen 
Karl  reichte  und  der  die  Geschichten  zu  erzählen  wulste,  welche  er 
einst  von  des  tapferen  Gerolds  WaflFengefährten,  von  Adalbert  und 
dessen  Sohne,  dem  Priester  Werinbert,  gehört  hatte.  Karl  III.,  von 
dem  sonst  wenig  Löbliches  zu  berichten  ist,  hatte  an  diesen  Ge- 
schichten solche  Freude,  dafs  er  den  guten  Bruder  veranlafste,  sie 
aufzuschreiben;  emsig  ging  er  an  die  Arbeit,  scheint  sie  aber  nicht 
vollendet  zu  haben.  In  diesem  Mönche  hat  man  schon  bald  Notker 
den  Stammler  erkannt^),  aber  Pertz  widersprach  dieser  Annahme, 
weil  der  Stil  gar  zu  roh  und  grammatisch  fehlerhaft  ist,  und  weil 
Notker  (geboren  um  840)  damals  noch  nicht  alt  genug  war,  um 
durch  Zahnlosigkeit  zum  Stammler  geworden  zu  sein.  Es  scheint 
jedoch,  dafs  er  durch  einen  Naturfehler  gestammelt  und  überdies 
an  der  Gicht  gelitten  hat,  und  die  Vergleichung  der  Ausdrucks- 
weise hat  den  vollkommen  überzeugenden  Nachweis  gestattet,  dafs 
wirklich  Notker  der  Verfasser  dieses  anmutigen  Buches  gewesen 
ist,  an  welchem  man  schon  früh  und  vielfach  Gefallen  gefunden 
und  das  man  daher  trotz  seiner  mangelhaften  Form  mit  Einhards 
Meisterwerke  verbunden  hat  (vgl.  oben  S.  206). 

Ferner  aber  ist  es  wegen  der  auffallendsten  TJebereinstimmungen 
in  Ausdruck  und  Auffassung  als  vollkommen  sichergestellt  anzu- 
sehen, dafs  Notker  auch  der  Fortsetzer  der  oben  S.  240  erwähnten 
Chronik  Erchanberts  gewesen  ist^).  Er  fügte  nämlich  eine  kurze 
Uebersicht  über  die  Teilungen  und  die  Regentenfolge  im  karolingi- 
schen  Reiche  hinzu,  bald  nach  der  Kaiserkrönung  Karls  III.  (881), 

')  Hierbin  gehören  wohl  die  Verse  von  Ratpert ,  Hartmann ,  Notker 
Balbulus  u.  a. ,  die  sich  vielleicht  zum  Teil  auf  diese  Gelegenheit  be- 
ziehen, neu  herausgegeben  von  Dümmler,  Denkm.  S.  218 — 221,  vgl.  255  ff. 
von  Winterfeld,  Poet.  Car.  IV,  315-334.  Das  von  Waldram  verfafste 
Rex  henedicte  S.  220  (Poet.  Car.  328) ,  ist  aber  Weihn.  911  an  Konrad 
gerichtet,  nach  Heidemann  S.  454,  vgl.  M.  v.  Knonau,  Jahrbuch  1867 
S.  129.  Litanei  aus  König  Konrads  Zeit  bei  Dümmler,  Denkm.  S.  222, 
vgl.  258,  Poet.  Car.  IV,  348.  Ein  Lehrgedicht  Notkers  über  die  7  freien 
Künste  nach  Martianus  Cap.  NA.  V,  627—029,  Poet.  Car.  IV,  339—343. 
Ihm  gehört  nach  Winterfeld  auch  das  Lügenmärchen  an  Poet.  Car.  II. 
474,  verbessert  in  den  N.  Jahrb.  für  das  klass.  Alt.  und  Pädagogik  III, 
347  ff.    Andere  Verse,  von  Schwalm  herausgeg.,  NA.  XXVII,  740 — 743. 

^)  S.  jetzt  Zeumer  in  den  Waitz-Aufsätzen  S.  97 — 118.  Zu  demselben 
Ergebnis  kam  Graf  Zeppelin:  Wer  ist  der  Mon.  Sangallensis?  Schriften 
des  Vereins  f.  Gesch.  des  Bodensees  XIX,  33  ff.,  dagegen  Kögel,  Gesch. 
der  D.  Litter.  I,  2,  221  ungenügend. 

^)  MG.  SS.  II,  329.  Uebers.  bei  dem  Mönch  von  St.  Gallen.  Notkers 
Autorschaft  nachgewiesen  von  B.  Simson,  Zeitschr.  f.  die  Gesch.  d.  Ober- 
rheins, N.  F.  II,  59—68. 


Biscliuf  Saloiuü  111.  vun  Kuristuuz.  273 

von  dem  er  mit  lebhafter  Verehrung  spricht,  wie  denn  auch  damals 
noch  kein  Grund  war,  an  seinen  guten  Erfolgen  zu  zweifeln. 

Des  Kaisei's  Besuch  erschien  als  ein  Höhepunkt  der  Blüte  des 
Klosters,  und  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit  vermutet  Meyer  von 
Knonau,  dafs  eben  hierdurch  Ratpert  zur  Abfassung  der  Gesta 
veranlafst  sei,  welche  mit  diesem  Besuche  abschliefsen.  Auch  mit  des 
Kaisei's  Günstling,  Bischof  Liutward  von  Vercelli,  einem  geborenen 
Schwaben,  standen  die  Mönche  in  gutem  Vernehmen,  und  Notker 
widmete  ihm  seine  Sequenzen'),  um  deren  willen  man  ihn  wohl 
einen  der  gröfsten  Dichter  des  Mittelalters  genannt  hat. 

Am  Schlüsse  dieser  Periode  steht  Notkers  berühmtester  Schüler'^) 
Salomo  III.,  von  890 — 920  Bischof  von  Konstanz  und  zugleich  Abt 
von  St.  Gallen,  zuvor  Notar  in  der  Kanzlei  Karls  III.,  ein  Mann 
von  den  glänzendsten  Geistesgaben,  der  kluge  und  gelehrte  Freund 
Hattos  von  Mainz,  der  das  schöne  und  blühende  Kloster  wie  seinen 
Augapfel  liebte  und  hegte.  Mehrere  uns  erhaltene  Briefe  und  Ge- 
dichte zeugen  von  Notkers  Liebe  zu  ihm  und  zugleich  von  der 
Sorge  des  treuen  Lehrers  um  das  Seelenheil  seines  Schülers  in  den 
Gefahren  der  Welt,  denen  er  am  Königshofe  ausgesetzt  war.  Eine 
Mustersammlung  von  Urkundenformeln  und  Briefen^),    in    welcher 


»)  Vgl.  Meyer  v.  Knonau,  Mitteil.  XlII,  60.  XV,  161.  Winterfeld,  NA. 
XXV,  386. 

-)  Diese  Ansicht  Dümmlers  bekämpft  Dämmert,  Forsch.  VIII,  327  bis 
366  und  will  vielmehr  Roudker,  den  Ekkehard  als  Mentor  Salomons  be- 
zeichnet, auch  die  Briefe  zuschreiben.  Meyer  v.  Knonau  hat  diese  An- 
sicht St.  Gall.  Geschichtsq.  III,  21  als  chronologisch  unmöglich  wider- 
legt. Ebenso  bekämpft  er  S.  4  auch  Notker,  aber  die  Gründe  für 
Notker  sind  ganz  überwiegend;  so  auch  Zeumer,  NA.  VIII,  513 — 517  und 
Zeppelin.  —  Ueber  Salomons  Familie  s.  Graf  Zeppelin ,  Thurgauische 
Beitr.  XXX,  42. 

^)  Früher  Formulae  Alsaticae  genannt.  Zum  ersten  Mal  kritisch  und 
vollständig  herausgegeben  von  Dümmler,  Das  Formelbuch  des  Bischofs 
Salomo  III.,  Leipzig  1857.  Verbesserungen  St.  Gallische  Denkm.  S.  261. 
Verse  von  Notker  an  Salomo  S.  225.  Ueber  Salomo  Formelbuch  103  ff. 
Denkm.  262  ff.  Winterfeld  in  den  N.  Jahrb.  f.  das  klass.  Altert.  III,  358  ff. 
Eine  populäre  Schilderung  in :  Das  Kloster  St.  Gallen,  vom  historischen 
Verein  II,  1864,  mit  schöner  Abbildung  seines  grofsen  C  in  Sintrams 
Evangelium  longum.  Das  Formelbuch  nach  der  Münchener  Handschrift 
ed.  Rockinger,  Quellen  zur  bayerischen  und  deutschen  Geschichte  VII, 
und  in  De  Rozieres  Sammlung.  Vgl.  auch  Heidemann,  Salomon  III.  von 
Constanz  vor  Antritt  des  Bisthums.  Forsch.  VII,  425 — 462.  Dämmert  ib. 
VIII,  327—366.  Vorzüglich  aber  jetzt  Zeumer,  Fonnulae  Salomonis,  NA. 
VIII,  506—540,  und  seine  Ausgabe  MG.  Form.  p.  390— 437.  Die  dazu 
gehörigen  Gedichte  Notkers  Poet.  Car.  IV,  343 — 347  von  Winterfeld. 
Hierher  gehört  das  mehrfach  überlieferte  Psalterium ,  welches  Salomo 
909  schreiben  liefs,  mit  3  lateinischen  Versionen  und  dem  griechischen 
Text  in  lateinischen  Buchstaben,  mit  einem  einleitenden  Gedicht;  dieses 

AVatte  üb  ach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  18 


274  II-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

uns  einige  auch  für  die  Geschichte  der  Zeit  wichtige  Schreiben  auf- 
bewahrt sind,  während  die  Urkunden  über  mannigfache  Verhältnisse 
reichen  Aufschlufs  gewähren,  schrieb  Dümmler  Salomo  um  das  Jahr 
896  zu,  während  nach  Zeumers  Ansicht  Waldo  mit  seinem  Bruder 
Salomo  sie  877  und  878  während  ihres  Aufenthalts  bei  Salomo  II. 
von  Konstanz  und  Liutbert  von  Mainz  zusammengebracht  haben, 
Notker  nachträglich  noch  einige  Briefe  hinzugefügt  hat.  Schon  war 
man  in  Reichenau^)  und  an  andern  Orten  mit  ähnlichen  Samm- 
lungen vorangegangen,  aber  die  Sanktgaller  Sammlung  läfst  sie 
durch  ihren  Inhalt  wie  durch  ihre  Form  weit  hinter  sich.  Aus  der 
späteren  Zeit  besitzen  wir  von  Salomon  zwei  schöne  poetische  Episteln 
an  den  Bischof  Dado  von  Verdun,  deren  ansprechender,  von  wahrem 
Gefühle  getragener  Inhalt  die  ziemlich  inkorrekte  Form  übersehen 
läfst.  In  der  einen ^)  beklagt  der  Bischof  in  elegischen  Versen  voll 
tiefer  Trauer  den  Tod  seines  letzten  Bruders,  des  Bischofs  Waldo  von 
Freising  (906),  an  den  mehrere  der  Briefe  in  der  Formelsammlung 
gerichtet  sind;  in  der  anderen^),  schon  früher  geschriebenen,  schildert 
er  mit  den  lebhaftesten  Farben  das  Unglück  des  Vaterlandes,  dessen 
König  ein  Kind  ist,  dessen  Gaue  erfüllt  sind  von  allgemeiner  Zwie- 
tracht, von  innerem  Kampfe  in  allen  Ständen  des  Volkes,  während 
die  Ungern  ungehindert  das  Land  verheerend  durchziehen.  Auch 
St.  Gallen  wurde  von  ihnen  926  heimgesucht.  Der  ersten  Elegie 
fügte  Salomo  ein  paar  Trostschreiben  des  ihm  vertrauten  Mönches 
Waldram  bei,  die  aus  Fortunatus  und  Boethius  zusammengestop- 
pelt sind. 

Ekkehards    lebendige    Schilderung    hat    die    Sanctgaller    Schule 

neu  herausgeg.  von  Dümmler,  Ostfr.  (1.  Ausgabe)^  II,  681,  von  Hamann: 
Canticum  Moysi  ex  psalterio  quadruplici  Salomonis  III  (Lips.  1874),  p.  18. 
Poet.  Car.  IV,  347—348.  Berger,  Hist.  de  la  Vulgate  S.  130—131.  S.  über 
Salomon  auch  Tangl,  NA.  XXV,  353  ff. 

1)  Zeumer,  Reichenauer  Form.,  NA.  VIII,  481—505.  Daselbst  S.  547  ff. 
Nachweis,  dafs  Iso  nur  irrtümlich  Formeln  zugeschrieben  sind.  S.  weiter 
unten  S.  277  Anm.  3. 

2)  Nach  Canis.  (II,  3,  245)  berichtigt  nach  der  Handschrift  von  Dümm- 
ler, Denkm.  S.  239,  v.  Winterfeld  in  den  Poet.  Car.  IV,  307—314,  mit 
dem  Trostgedichte  Waldrams,  und  anderen  Gedichten  desselben.  Vgl. 
Scherrers  Verz.  73  über  den  Cod.  197.     NA.  IV,  550-554. 

3)  Bei  Dümmler,  Denkm.  S.  230—239.  Poet.  Car.  IV,  296—306;  vgl. 
W.  Giesebrecht,  Geschichte  der  Kaiserzeit  I,  174;  Dümmler,  Ostfr.  HI, 
527.  Ueber  die  Salomo  zugeschriebene  Encyklopädie  (Glossae  Salomonis) 
s.  Stalin  I,  404,  Scherrers  Verz.  S.  321-323.  Sie  ist  von  älterem  Ur- 
sprung und  die  Benennung  ungerechtfertigt,  doch  könnte  S.  vielleicht 
diese  Sammlung  veranlafst  haben.  Als  Ableitung  eines  älteren  Glossars 
nachgewiesen  von  G.  Götz,  Der  über  glossarum,  Leipz.  1891  (Abb.  der 
philol.-hist.  Kl.  der  K.  Sachs.  G.  d.  W.  XIII). 


Reichenau.    Reginbert.    Heito.  275 

unsterblich  gemacht;  ohne  ihn  würden  wir  nicht  so  gar  viel  Zu- 
sammenhängendes davon  wissen ,  und  ohne  Zweifel  herrschte  in 
manchem  andern  Kloster  ein  ganz  ähnliches  Treiben ,  von  dem 
nur  niemand  uns  Nachrichten  aufbewahrt  hat.  So  wurde  vor 
allem  Reichenau  von  St.  Gallen  verdunkelt.  Abt  Waldo  (784 
bis  806),  ein  vornehmer  Herr,  mit  Griraald  nahe  verwandt  und 
vorher  Abt  von  St.  Gallen  (oben  S.  268),  hatte  schon  den  Mönch 
Wadilcoz  nach  dem  Martinskloster  zu  Tours  geschickt,  der  von  dort 
Bücher  für  die  Bibliothek  übersandte,  welche  Waldo  mit  grofsem 
Eifer  zu  bereichern  bestrebt  war');  unter  ihm  begann  der  fleifsige 
Reginbert  seine  musterhafte  Thiitigkeit  für  dieselbe,  welche  er 
bis  an  seinen  Tod  846  rastlos  fortsetzte,  teils  durch  eigene  Arbeit, 
teils  durch  Geschenke  die  Sammlung  zu  sehr  ansehnlichem  Umfange 
vermehrend").  Ihm  übersandten  seine  Schüler  Grimald  und  Tatto 
die  Klosterregel  nebst  den  Beschlüssen  des  Reichstages  von  817, 
der  wohl  ihre  Aussendung  veranlafst  hatte ^).  Auf  seinen  Antrieb 
schrieb  Walahfrid  das  bedeutende  "Werk  De  rebus  ecclesiasticis, 
wie  dieser  es  in  den  Worten  ausspricht :  Dura  Bef/inherti  iussio 
aclegit  cum. 

Als  Lehrer  war  neben  ihm  Heito  thätig,  ein  Bruder  jenes 
Wadilcoz,  Waldos  Nachfolger  als  Abt  und  Bischof  von  Basel, 
welches  Bistum  Waldo  ebenfalls  verwaltet  hatte.  Karl  der  Grofse 
sandte  ihn  811  nach  Konstantinopel,  und  über  diese  Sendung  ver- 

*)  Neugart,  Ep.  Coiist.  I,  142  aus  Oheims  Chronik,  und  jetzt  Gallus 
Oheims  Chronik  von  Reichenau  ed.  Barack  (18ü6)  S.  43,  Oehem  ed.  Brandi 
S.  41.  Oheim  mufs  über  die  Bereicherung  der  Bibliothek  und  eingetretene 
Mönche  in  dieser  Zeit ,  von  Waldo  bis  Rudhelm ,  eine  jetzt  verlorene 
Quelle  gehabt  haben ,  die  bis  um  840  reichte  und  vielleicht  von  Regin- 
bert herrührte  (S.  8— 50  bei  Brandi),  s.  0.  Breitenbach,  NA.  II,  201. 
Waldo  hat  danach  eine  Zeitlang  auch  das  Bistum  Pavia  verwaltet.  In 
der  Yisio  Wettini  büfst  er  für  die  Sünde  des  Geizes.  Das  Diptychon 
aus  Erlebalds  Zeit,  NA.  [V,  72,  ist  das  von  Piper  herausgegebene  Ver- 
brüderungsbuch. 

2)  S.  den  821  begonnenen  Katalog  bei  Neugart  I.  536—552,  vgl.  S.  152 
und  Mommsen,  Die  Chronik  des  Cass.  Senator  S.  573 — 585  über  die  von 
ihm  angelegte  bist,  mathematische  Sammlung.  Auch  die  Karlsruher  Vita 
Bonif.  stammt  daher,  s.  d.  Inschrift  MG.  ll',  332,  Jaffe,  Bibl.  III,  425. 
Fragment  des  Liber  sextus  in  Libris  Auktionskatalog  (1859)  S.  246  mit 
Faksimile.  Die  Verse,  welche  er  in  die  Bücher  eintrug,  Poet.  Car.  II,  424, 
vgl.  NA.  XIII,  665.  XV,  229.  Wibel,  Beitr.  zur  Kritik  der  Ann.  regni 
Franc,  Strafsb.  1902,  S.  219—225. 

3)  Baluzii  Capit.  II,  1382.  Epp.  V,  302.  Traube,  Textgesch.  der  Reg. 
Ö.  Ben.,  692,  vgl.  031.  664—667.  723—724.  Reginbert  wird  von  ihnen 
fios  iiivenion  forma  speciosKS  amoena  genannt.  Das  Buch  nebst  einem 
zweiten  von  denselben  geschenkten  im  Kataloge  S.  550.  Das  Martyrolo- 
gium  ed.  A.  Holder,  Rom.  Quartalschr.  III,  S.  204—261.     Oben  S.  67. 


276  I'f-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

fafste  er  eine  ReisebesclireibungO,  die  leider  verloren  ist;  823  ent- 
sagte er  seinem  Bistum  und  zog  sich  in  sein  altes  Kloster  zurück, 
wo  er  836  gestorben  ist.  An  Heido,  doch  wohl  diesen  Heito,  ist 
•aus  der  Zeit  nach  seinem  Verzichte  eine  nicht  vollständig  erhaltene 
Vision  über  die  Höllenstrafen  des  Abtes  Fulrad  gerichtet^),  woi'in 
auch  ein  Theodulf  getadelt  wird. 

Die  Abtei  übergab  er  Erlebold  (823 — 838),  der  bei  einem 
leider  ungenannten  Schotten  grofse  Gelehrsamkeit  erworben,  und 
Heito  auf  seiner  Reise  begleitet  hatte.  Der  Schule  standen  jetzt 
Tatto  (t  847)  vor,  den  Walahfrid  seinen  Lehrer  nennt,  in  dessen 
Namen  er  Verse  an  Ebo  von  Reims  und  an  Thegan  richtete^),  und 
Wetti,  ein  naher  Verwandter  Grimalds  und  Waldos.  Wie  mangel- 
haft jedoch  noch  seine  grammatische  und  metrische  Bildung  gewesen 
ist,  haben  wir  jetzt  erst  mit  Verwunderung  erfahren,  seit  durch 
das  von  Bücheier  entdeckte  Akrostichon  (oben  S.  134)  festgestellt 
ist,  dafs  er  der  Verfasser  der  Vita  S.  Galli  und  ihrer  Widmung  in 
ganz  barbarischen  Hexametern  ist,  welche  man  für  viel  älter  gehalten 
hatte.  Wetti  hatte  kurz  vor  seinem  Tode  am  3.  November  824  eine 
Vision,  indem  er,  wie  so  viele  andere  vor  und  nach  ihm,  Himmel 
und  Hölle  zu  durchwandern  glaubte,  und  was  er  in  diesen  Regionen 
gesehen  zu  haben  vermeinte,  den  gläubigen  Brüdern  berichtete. 
Heito  hatte  diese  Vision  in  Prosa^),  Walahfrid  in  Versen  bearbeitet^), 
und  der  Eindruck  derselben  auf  die  Zeitgenossen  war  aufserordent- 
lich  grofs;  hatte  er  doch  sogar  den  grofsen  Kaiser  Karl  im  Fegefeuer 
Schlimmes  leiden  gesehen,  auch  Waldo.  Beide  werden,  nebst  einigen 
anderen,  von  Walahfrid  nur  durch  Akrosticha  bezeichnet.  Unter 
den  Märtyrern  dagegen  erscheint  darin  Gerold,  der  Königin  Hilde- 
gard Bruder,  welcher  im  Kampfe  gegen  heidnische  Avaren  gefallen 

')  Herrn.  Contr.  a.  811,  vgl.  über  ihn  Neugart  I,  142—148,  Rettberg 
II,  93—96,  und  die  Reichenauer  Inschriften  bei  Mone,  Quellens.  III,  183. 
Dümmler,  NA.  IV,  284.  Poet.  Car.  II,  425.  0.  Seebafs  vermutet  in  ihm 
den  Verf.  der  Statuta  Murbacensia,  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  XII,  322 
(NA.  XVI,  645).  —  Gleichzeitige  Aufzeichnung  darüber,  dafs  am  21.  Dez. 
823  das  Bistum  Basel  Odalrich  kommendiert  wurde,  in  Mones  Zeitschr. 
f.  Gesch.  d.  Oberrheins  II,  .384 ;  MG.  SS.  XIII,  374  cum  catal.  epp.  Basil. 

2)  Herausgeg.  von  Hampe.  NA.  XXII,  628—633.  vielleicht  durch  die 
Visio  Wettini  veranlafst. 

3)  Poet.  Car.  II,  350-     Ein  Brief  von  Tatto  Bibl.  III,  328,  Epp.  V,  338. 
^)  Heifonift  Visio  Wettini,  abgedr.  mit  dem  Prologe  bei  Dümmler,  Poet. 

Car.  II,  267—275.    Walahfrids  Bearbeitung  ist  durch  seine  Zuthaten  be- 
sonders wichtig   für  die  Geschichte  des  Klosters.     Vgl.  über  die  Anspie- 
lungen auf  Bedränger  desselben,  und  über  die  Nachahmung  des  Prüden - 
tius,  Bock  im  Jahrb.  d.  Altertumsfr.  im  Rheinland  L,  (1871)  S.  7. 
•"')  Canis.  Ant.  lect.  VI,  505.     Poet.  Car.  II,  301—834. 


Wetti.     Walahfrid  Strabo.  277 

war,  ein  geborner  Alamanne,  und  des  Klosters  Hort  und  Beschirmer. 
Eine  vielleicht  von  Walahfrid  verfafste  Grabschrit't  auf  ihn')  findet 
sich  in  einer  Handschrift  neben  dem  Epitaph  des  Bernald,  an  den 
die  Reichenauer  ebenfalls  mit  Stolz  zurückdachten.  Dieser  Bernald 
war  nämlich  ein  geborner  Sachse,  aber  in  Reichenau  erzogen:  er 
kam  dann  in  die  kaiserliche  Kapelle,  und  erhielt  um  das  Jahr  821 
das  Bistum  Stralsburg.  Zu  den  treuen  Anhängern  des  alten  Kaisers 
gehörend,  wurde  er  825  als  Gewaltbote  nach  Rätien,  832  nach  Rom 
gesandt,  und  starb  am  17.  April  840.  Man  rühmte  ihn  als  einen 
klugen  und  gelehrten  Mann,  der  auch  die  deutsche  Sprache  zur  Unter- 
weisung des  Volkes  verwandte-). 

Den  gröfsten  Glanz  aber  vei'breitete  über  Reichenau  der  Abt 
Walahfrid,  mit  dem  Beinamen  Strabo  oder  Strabus,  einer  der 
besten  Lateiner  seiner  Zeit,  ein  viel  bewunderter  Gelehrter  und 
formgewandter  Dichter^).  Ueber  sein  Leben  haben  wir  leider  nur 
wenig  sichere  Nachrichten ,  und  so  befreundet  er  auch  mit  den 
Sanktgaller  Gelehrten  war  —  man  kann  ihn  den  Vater  der  St. 
Gallischen  Dichterschule  nennen  —  wird  er  doch  in  der  Kloster- 
chronik gar  nicht  genannt;  doch  ist  nach  und  nach  durch  neu- 
gefundene Verse  mehr  Licht  über  ihn  gewonnen.  Er  war  ein 
Schwabe  von  armer  und  geringer  Herkunft,  um  808  geboren ;  früh 
ins  Kloster  gekommen,  dichtete  er  schon  mit  15  Jahren  eine  Epistel 
an  Ebo  von  Reims  im  Namen  seines  Lehrers  Tatto''),    aber   dieser 


')  Herausgegeben  von  Mommsen  im  Rhein.  Museum  1854,  IX,  299. 
Poet.  Car.  I.  114. 

2)  Vgl.  Dümmler,  Ostfr.  I,  322.     Poet.  Car.  II,  420. 

2)  S.  über  ihn  Dümmler,  NA.  IV,  270—286.  580  und  die  gesammelten 
Gedichte  Poet.  Car.  II,  259—423.  Ebert  II,  145—166.  Hauck  II,  654  ff. 
V.  Winterfeld,  Die  Dichterschule  St.  Gallens  und  der  Reichenau  in  den 
N.  Jahrb.  für  das  klass.  Altert.  III  (1900)  S.  342—346.  Opera  Migne 
CXIII.  CXIV.  Eine  Anleitung  zur  Metrik  mit  Beispielen,  v.  Huemer,  NA. 
X,  166 — 169.  Der  von  ihm  besungene  Blaithmaic  st.  827;  es  kamen 
flüchtige  Mönche  von  Hy  nach  Reichenau  NA.  XVII,  210.  Ueber  Nach- 
ahmung des  Prudentius  s.  P.  v.  Winterfeld,  NA.  XXII,  755.  —  Dümmler, 
NA.  VII,  402,  Zeumer  ib.  VIII,  496 — 507,  über  die  sehr  rohen  Reichenauer 
Briefformeln  (Formulae  ed.  Zeumer  364 — 377),  aus  Erlebolds  u.  Walahfrids 
Zeit  mit  geschichtlich  nicht  unwichtigen  Briefen,  darunter  einer  auf  den 
Bürgerkrieg  im  Jahre  833  bezüglich.  Vgl.  dazu  Dümmler,  NA.  XXI, 
301 — 303.  —  Im  Jahresbericht  über  die  Erziehungsanstalt  des  Benedik- 
tinerstifts Maria-Einsiedeln  1856/7  ist  ein  Versuch  gemacht,  die  Jugend- 
geschichte Walahfrids  von  ihm  selbst  schildern  zu  lassen,  welcher  zuweilen 
irregeführt  hat,  als  ob  ein  Original  von  ihm  zu  Grunde  liege.  Eine 
angebl.  ürk.  von  W.  von  843  ist  Fälschung  d.  12.  Jahrhunderts,  s.  Brandi, 
Die  Reichenauer  Urkundenfälschungen,  Heidelb.  1890  S.  55.  69. 

*)  Poet.  Car.  II,  350;  eine  andere  auch  in  Tattos  Namen,  an  den 
Landbischof  Degan,  S.  351. 


278  ^^-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

war  hart  und  strenge,  und  auch  der  Abt  Erlebold  war  ihm  nicht 
gewogen.  In  Wetti  verlor  Walahfrid  seinen  väterlichen  Freund  und 
Wohlthäter;  nach  dessen  Tode  (824)  litt  er  sogar  an  Nahrung  und 
Kleidung  Mangel  und  hatte  häufig  Schläge  zu  erdulden.  Er  klagte 
seine  Not  an  Grimald,  dessen  Wohlwollen  er  schon  früher  gewonnen 
hatte,  und  dieser  forderte  ihn  auf,  die  Vision  Wettis,  welche  wahr- 
scheinlich er  selbst  auf  Wachstafeln  aufgezeichnet  hatte,  dichterisch 
zu  beai'beiten.  Dieselbe  Auffordex'ung  kam  auch  von  dem  Priester 
Adalgis,  wie  wir  wissen,  seitdem  K.  Plath  das  Akrostichon  der  seiner 
Antwort^)  zugefügten  Verse:  Ädalgiso  danda  erkannt  und  die  ganze 
Sachlage  scharfsinnig  entwickelt  hat^).  Walahfrid  bat  ihn  um  bessere 
Kleidung  und  um  Pergament,  da  er  das  Werk  heimlich  ausführen 
müsse;  er  bat  ihn,  selbst  zu  kommen,  und  Adalgis  kam.  Unter 
hartem  Drängen  vollendete  er  (nicht  vor  826)  sein  Werk^),  in 
welchem  er  reichliche  Lobsprüche  auf  Heito,  Erlebold  und  Tatto 
anbrachte,  und  übersandte  es  an  Grimald.  Nach  solcher  Leistung 
und  mit  solchen  Fürsprechern  wird  er  nun  auch  im  Kloster,  und 
bei  dem  Abt,  obgleich  dieser  kein  Freund  von  Visionen  war,  mehr 
Anerkennung  gefunden  haben.  Grimald  hat  er  auch  das  anmutige 
Gedicht  de  cidtura  hortorum  gewidmet^),  und  in  dem  Gedichte  de 
imagine  Tetrici  (v.  228)  feiert  er  ihn  unter  dem  Namen  Homer. 
Später  hat  er  in  Fulda  Hrabans  Unterricht  genossen,  doch  verliefs 
er  es  bald  wieder,  vielleicht  infolge  seiner  Freundschaft  mit  dem 
von  Hraban  verfolgten  Mönche  Gotschalk. 

Im  Sommer  829  finden  wir  ihn  auf  Empfehlung  des  Erzkanzlers 
Hildvin  am  Hofe  zu  Aachen;  von  Kaiser  Ludwig,  sagt  er  einmal, 
sei  er  „paupere  de  fovea  protractus "'''),  mag  sich  das  nun  auf  diese 
Zeit  seines  Hoflebens  oder  auf  die  Verleihung  der  Abtei  Reichenau 
839  beziehen.  In  Aachen  beschrieb  er  damals  in  einem  merkwür- 
digen, etwas  dunkeln  Gedichte  die  aus  Ravenna  hingeführte  Reiter- 
statue Theodorichs "),  der  hier  im  Anschlufs  an  Boethius  als  Tyrann 

')  Formulae  ed.  Zeumer  p.  376  n.  25. 

2)  NA.  XVII,  261—279. 

3)  Poet.  Car.  11,  301—833. 

*)  Erste  Ausg.  1509  von  Vadianus,  s.  Arbenz,  Die  Vadianische  Brief- 
samml.  III,  1.34.  Vgl.  dazu  Fischer-Benzon,  Altdeutsche  Gartenflora,  Kiel 
u.  Leipz.  1894.     Ueber  seine  Quellen  s.  Manitius  im  NA.  XXVI,  745  —  750. 

5)  Ad  Loth.  V.  31.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XIX,  463.  Poet.  II,  414,  und 
S.  259  weitere  Belege  für  seine  geringe  Herkunft. 

«)  Versus  de  imagine  Tetrici,  Poet.  Car.  II,  370—378,  dazu  kritische 
Bemerkungen  Traubes,  der  Benutzung  des  Lucrez  nachweist  im  NA.  XVIII. 
664.  Früher  von  C.  P.  Bock  in  den  Jahrbüchern  des  Vereins  von  Alter- 
tumsfreunden im  Rheinland  V  (1844),  von  Dümmler  in  d.  Zeitschr.  f.  D. 


^Valahfl•ids  Leben  und  Schriften.  279 

aufgefafst  wird  im  Gegensatze  zu  Ludwig,  feiert  Hildvin,  Grimald, 
Einhard,  widmet  aber  vor  allem  dem  Kaiser,  der  Kaiserin  Judith 
und  dem  kleinen  Karl  überschwengliches  Lob ;  er  wird  als  Kaplan 
der  Kaiserin  und  als  Lehrer  des  kleinen  Karl  bezeichnet.  Den 
Ruadbern,  welcher  834  dem  Kaiser  zuerst  Nachricht  von  der  in 
Tortona  gefangenen  Judith  unter  grol'sen  Gefahren  brachte,  feierte 
er  in  einem  längeren  Gedicht')-  Mit  Thegan,  dem  Diacon  Florus 
und  anderen  der  klassisch  und  kirchlich  gebildeten  Männer  jener 
Zeit  war  er  befreundet,  Prudentius  rühmt  er  als  seinen  Lehrei", 
bittet  ihn  aus  der  Ferne  um  Bücher  und  eigene  Gedichte;  zugleich 
übersendet  er  ihm  Gedichte  „Modoini  magni",  den  er  auch  in 
andern  an  ihn  selbst  gerichteten  Versen  feiert^).  Kaum  hatte  er 
839  die  Abtei  Reichenau  erhalten  —  bei  seiner  geringen  Herkunft 
eine  ganz  ungewöhnliche  Auszeichnung  — ,  so  wurde  er  auch  in 
die  politischen  Wirren  hineingezogen ;  als  eifriger  Anhänger  Lothars 
und  der  Reichseinheit,  deren  Herstellung  er  noch  von  ihm  hoffte, 
flüchtete  er  nach  Ludwigs  Tod  und  der  Ueberwältigung  Alamanniens 
durch  Ludwig  den  Deutschen  nach  Speier,  wo  er  ein  Gedicht  voll 
Lobpreisung  an  Lothar  richtete,  in  welchem  er  seinen  Klagen  und 
seinen  Hoffnungen  Ausdruck  gab^).  Lothar  hatte  in  früheren  Zeiten 
einmal  persönlich  den  vermeintlichen  Leib  des  heiligen  Januarius 
nach  Reichenau  gebracht,  was  rnerkwürdigerweise  im  Kloster  ganz 
vergessen  wurde  und  nur  durch  eine  sehr  schöne  Sapphische  Ode 
Walahfrids  bekannt  ist*). 

Sehr  bald,  hat  sich  Walahfrid  doch  auch  mit  Ludwig  dem 
Deutschen  ausgesöhnt,  und  vielleicht  durch  Grimalds  Einflufs  erhielt 
er  842  die  Abtei  Reichenau  von  neuem:  im  Jahre  849  wurde  ihm 


Alt.  XII,  461—470,  vgl.  XIX,  466.  Sehr  gewagte  Hypothesen  von  H.  Grimm, 
Das  Reiterstandbild  des  Th.  zu  Aachen  und  das  Gedicht  des  W.  darauf, 
Berlin  1869.  Dagegen  die  lehrreiche  Abh.  von  Bock  im  angef.  Jahrbuch, 
L  (1871)  S.  1—52.  Wieder  abweichend  Jul.  v.  Schlosser,  Wiener  SB. 
CXXIII  (1891)  S.  164—175.  Vgl.  auch  Schneege,  Zeitschr.  f.  D.  Geschichts- 
wiss.  XT,  28—30. 

')  Bouq.  VI,  269;  vgl.  B.  Simson  Lud.  d.  Fr.  II,  99,  Dümmler,  Hist. 
Zeitschr.  XXXVII,  134;  Poet.  II,  388.  Judith,  hier  loda  genannt,  schmückte 
für  Ludwig  ein  Prachtgewand,  welches  Karl  der  Kahle  der  Rom.  Pauls- 
kirche schenkte,  seine  Gemahlin  Irmintrud  vollendete  mit  gepriesener 
Kunstfertigkeit  dieses  und  andere  Gewänder,  ähnlich  Lothars  Gemahlin 
Ermengarde,  s.  die  von  Dümmler  mitgeteilten  Verse,  Zeitschr.  f.  D.  Alt. 
XIX,  146—148.     Poet.  Car.  III,  687. 

2)  Dümmler  in  d.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XXI,  82—86.    Poet.  II,  403.  355. 

^)  Dümmler  in  d.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XXI,  462—466.    Poet.  II,  413. 

*)  Dümmler  im  Anz.  d.  Germ.  Mus.  XXIII  (1876)  177—180.  Poet. 
II,  415. 


280  II'  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

eine  Botschaft  des  Königs  an  dessen  Bruder  Karl  anvertraut.  Auf 
dieser  Reise  starb  er,  kaum  vierzigjährig,  am  18.  August  durch 
einen  Unfall  beim  Ueberschreiten  der  Loire'). 

Die  von  Walahfrid  überarbeiteten  Lebensbeschreibungen  des  Gallus 
und  Othmar,  sein  Vorwort  zu  Einhards  und  zu  Thegans  Werken  er- 
wähnten wir  schon  (S.  206.  230) ;  selbständige  geschichtliche  Werke 
hat  er  so  wenig  wie  Hraban  verfafst ,  aber  sein  Buch  über  Ur- 
sprung und  Entwickelung  der  kirchlichen  Einrichtungen  enthält 
viel  Beachtenswertes  über  die  Verfassung  der  Kirche  in  jenen 
Zeiten,  ähnlich  dem  Werke  Hrabans,  aber  vollständiger  und  noch 
lehrreicher,  weil  er  durchgängig  die  kirchlichen  Einrichtungen  mit 
den  weltlichen  vergleicht^).  Sein  Auszug  aus  Hrabans  Kommentaren 
zum  Pentateuch  fand  das  ganze  Mittelalter  hindurch  die  gröfste 
Verbreitung^). 

Eines  der  merkwürdigsten  Zeugnisse  für  den  ernstlichen  Eifer, 
mit  welchem  man  in  diesen  Klöstern  damals  das  Studium  des 
klassischen  Altertums  betrieb,  bietet  uns  die  durch  Mabillon  be- 
kannt gewordene  Handschrift  von  Einsiedeln,  deren  Urschrift 
aus  Reichenau  zu  stammen  scheint.  Wohl  ein  Schüler  Walahfrids, 
im  vollen  Besitz  der  klösterlichen  Schulbildung  und  auch  des  Griechi- 
schen kundig,  hat  mit  einer  Beschreibung  des  damaligen  Rom  und 
des  Zeremoniels  der  kirchlichen  Feste  auch  antike  Inschriften  aus 
Pavia  und  Rom  mit  gröfster  Genauigkeit  und  Sorgfalt  nach  älteren 
Vorlagen  hier  zusammengestellt'*). 

Durch  besondere  Lernbegierde  zeichnete  sich  auch  Ermenrich 
aus,  ein  Ellwanger  Mönch,  dessen  Leben  uns  recht  anschaulich  die 
Beweglichkeit  der  jungen  mönchischen  Studenten  in  jener  Zeit  vor 


1)  Epitaphium  ed.  Dümmler,  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XIX,  113.  Poet. 
II,  423. 

^)  Das  sprachlich  interessante  Kap.  7  in  d.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XXV, 
99.  Neue  Ausg.  v.  AI.  Knoepfler,  München,  1890,  vgl.  Dümmler,  NA. 
XVII,  224,  besser  herausg.  von  Krause,  MG.  Capitularia  II,  471 — 516. 
541.  Vgl.  Jundt,  Walafrid  Strabon  (These),  Gabors  1900.  Eine  Predigt 
Walahfrids  ,De  subversione  Hierusalem"  gab  Canisius  heraus.    Lect.  ant. 

VI    329 343. 

'  3)  S.  die  Vorreden  Epp.  V,  515.  516. 

■*)  Mab.  Anal.  p.  858.  Hänel  in  Jahn  und  Seebodes  Archiv,  5.  Sup- 
plementband, S.  115.  Mommsen  in  den  Berichten  über  die  Verhandlungen 
d.  K.  Sachs.  G.  d.  W.  Phil.  Gl.  1850,  IV,  287.  Rhein.  Museum  1854,  IX, 
296.  Urlichs,  Godex  urbis  Romae  topographicus,  Wirceb.  1871,  S.  59  — 78. 
H.  Jordan,  Topogr.  d.  Stadt  Rom  II  behandelt  den  topographischen  Teil. 
De  Rossi,  Inscriptt.  christt.  II,  1.  1888.  Den  Einsiedler  Godex  behandelt 
nach  der  topographischen  Seite  R.  Lanciani  in  den  Monumenti  antichi 
(Mailand,  Hoepli  1891)  I,  3,  437—552  s.  NA.  XVIII,  719. 


Handschrift  von  Einsiedeln.     Ermenrich  von  Ellwangen.         281 

Augen  führt').  Wie  Walahfrid,  ging  auch  er  nach  Fulda,  wo  er 
Hrabans  und  Rudolfs  Schüler  wurde.  Besondere  Freundschaft  ver- 
band ihn  mit  Hrabans  Neffen,  dem  Diacon  und  königlichen  Kaplan 
Gundram,  welcher  der  fuldischen  Zelle  Solenhofen  an  der  Altmühl 
im  Eichstädter  Sprengel  vorstand,  und  diesem,  der  den  Stifter  seiner 
Kirche,  Sualo,  feierlich  erhoben  hatte,  zuliebe,  schrieb  er  das 
inhaltlose  Leben  desselben  und  übersandte  es  Hraban  zur  Durch- 
sicht"); Rudolf,  den  er  als  seinen  Lehrer  preist,  sollte  die  Fehler 
verbessern.  Sualo,  den  Ermenrich  willkürlich  Solus  nannte,  gest. 
3.  Dezember  794,  gehörte  angeblich  zu  den  Begleitern  des  heiligen 
Bonifaz;  Ermenrich  standen  aber  nur  mündliche  Erzählungen 
über  ihn  zu  Gebote,  und  der  geschichtliche  Wert  seiner  Nach- 
richten ist  daher  unbedeutend.  Wo  er,  damals  noch  Diaconus, 
dieses  Werk  geschrieben  hat,  wissen  wir  nicht;  es  ist  sehr  wahr- 
scheinlich, dafs  er  auch  zu  den  Hofkaplänen  gehört  hat,  und  von 
dieser  Zeit  her  den  Erzkanzler  Gozbald  (829 — 833)  als  seinen  Lehrer 
bezeichnet,  sowie  er  auch  Grimald  als  seinen  Herrn  und  Meister 
verehrt^). 

An  Gozbald,  jetzt  (842—855)  Bischof  von  Würzburg,  sandte  er, 
schon  als  Priester,  eine  kleine  Schrift,  in  Form  eines  Dialoges  der 
Consolatio  des  Boethius  nachgebildet,  dem  Inhalte  nach  völlig  sagen- 
haft, über  die  Gründung  seines  Klosters  Ellwangen,  das  Leben 
des  Stifters  Hariolf,  König  Pippins  Zeitgenossen,  Bruders  und 
später  Nachfolgers  des  Bischofs  Erlolf  von  Langres,  und  die  Wun- 
der, welche  man  ihm  zuschi'ieb^).  Er  gehörte  nämlich  zu  Gozbalds 
Familie. 

Im  Jahre  849  finden  wir  Ermenrich  wieder  im  Kloster  Reichenau 
als  Schüler  Walahfrids;  als  dieser  seine  unglückliche  Reise  nach 
Frankreich  antrat,  schickte  ihn  Grimald  nach  St.  Gallen,  um  dort 
seine  Studien  fortzusetzen.  Hier  verfafste  er  zum  Danke  für  die 
gute  Aufnahme,  die  er  in  beiden  Klöstern  gefunden,  und  zum  Preise 

')  Vgl.  über  ihn  E.  Dümmler,  Ueber  Ermenrich  von  Ellwangen  und 
seine  Schriften,  Forsch.  XIII,  473—485.  XIV,  403.  404.  NA.  IV,  32  L 
Er  schrieb  den  Stiftungsbrief  Salomons  für  Wiesensteig  nach  Bossert, 
Württ.  Vierteljahrshefte  1889.  S.  142. 

2)  Als  Hraban  noch  Abt  war,  also  vor  s42.  Enn.  Sermo  de  Vita  S. 
Sualonis,  ed.  Holder-Egger  SS.  XV,  151—163.  Im  Anfang  ist  Sedulii 
Carmen  paschale  benutzt,  nach  Manitius,  Wiener  SB.  CXXI,  6. 

*)  Dümmler,  St.  Gall.  Denkm.  S.  248.  Gundram  nennt  er  eximii 
minixterii  conlevita. 

*)  Vita  Hariolfi  ed.  Pertz,  MG.  SS.  X,  11  —  15.  Ermanrich  u.  Mahtolf, 
die  Träger  des  Dialogs,  sind  beide  im  St.  G.  Verbrüderungsbuch  ed.  Piper, 
p.  44.  col.  111.  —  Ausg.  V.  Giefel,  Württ.  Geschichtsqu.  IT.  1888. 


282  II-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

Grimalds  ein  Sendschreiben  an  denselben,  geschrieben  zwischen  850 
und  855,  in  welchem  er  seine  ganze  Gelehrsamkeit,  die  nicht  un- 
bedeutend, aber  schlecht  verarbeitet  war,  zur  Schau  trägt,  von 
Philosophie,  Grammatik  und  vielen  anderen  Dingen  handelt,  in  der 
schwülstigen,  gezierten  Weise  vieler  Gelehrten  der  damaligen  Zeit; 
eine  Schreibart,  die  auch  das  Leben  des  heiligen  Solus  entstellt  und 
am  wenigsten  in  dem  Leben  Hariolfs  hervortritt^).  Er  prahlt  mit 
Griechisch,  das  er  aber  offenbar  nicht  versteht,  und  eignet  sich  aus 
Alcvin,  Priscian  und  Ausonius  falsche  Gelehrsamkeit  an,  kennt  aber 
Homerus  latinus  und  Lucretius  nebst  vielen  anderen  Schriften. 
Verse  von  Theodulf  und  Naso  verwendete  er  ohne  Scheu.  Es  ent- 
hält aber  dieser  Brief  auch  einige  wichtige  geschichtliche  Daten  und 
eine  Lobpreisung  Gx'imalds  und  der  gelehrten  und  kunstreichen  Sankt- 
galler  Mönche,  welche  zur  Ergänzung  der  dortigen  Klosterchronik 
dient.  Am  Schlufse  geht  er  in  Verse  über,  und  feiert  den  heiligen 
Gallus,  wozu  ihn  auch  Gozbert,  der  Kahlkopf,  gedrängt  hatte.  Doch 
ist  dieser  Teil,  der  des  Humors  nicht  ganz  entbehrt,  mehr  entworfen 
und  begonnen,  als  wirklich  ausgeführt^). 

In  der  Aufschrift  dieses  Briefes  hat  eine  etwas  spätere  Hand 
zu  dem  Namen  Ermenrich  das  Wort  Bischof  gesetzt,  und  man  hat 
deshalb  mit  grofser  Wahrscheinlichkeit  geschlossen,  dafs  der  Ver- 
fasser identisch  ist  mit  dem  gleichnamigen  Bischof  von  Passau,  den 
Ludwig  der  Deutsche  867  zu  den  Bulgaren  sandte,  und  dessen  Tod 
am  26.  Dezember  874  sich  in  alamannischen  Jahrbüchern  und  im 
Totenbuche  von  Reichenau  verzeichnet  findet^). 

Ermenrichs  Name  ist  auch  gemifsbraucht  in  einer  häfslichen 
Betrügerei,  dem  Leben    des   heiligen  Magnus,    eines  der  an- 

')  Dieses  erwähnt  Ermenrich  in  dem  Briefe  (p.  567)  mit  folgenden 
Worten:  „Adiunxi  autem  et  huic  operi  breve  opusculum,  quod  de  incoep- 
tione  nostri  coenobii  et  fratrum  ibidem  Deo  famulantium  vita  conscripsi 
ipsaque  dicta  viro  per  omnia  doctissimo  Gozbaldo  episcopo  vel  approbanda 
seu  refutanda  comrüendavi."  Diese  Worte  lassen  kaum  daran  zweifeln,  dafs 
die  Vita  Hariolfi  gemeint  ist,  obgleich  von  den  Ellwanger  Mönchen  nur 
wenig  darin  vorkommt;  es  spricht  auch  dafür  die  Stelle  der  Vita  1.  c. 
p.  11 :  „quis  primus  huius  loci  cum  Deo  inceptor  fuerit,  quantique  viri 
Deo  amabiles  sub  eo  exstiterint".  Dafs  ein  anderer  Ermenrich  aus 
Reichenau  zu  derselben  Zeit  eine  Geschichte  dieses  Klosters  verfafst  und 
ebenfalls  an  Gozbald  gesandt  haben  sollte,  ist  unglaublich. 

^)  Das  Sendschreiben  ist  vollständig  zuerst  herausgegeben  von  Dümm- 
1er  im  Hallischen  Preisverteilungsprogramm  von  1873,  und  bes.  Abdruck, 
besser  Epp.  V,  534 — 579.  Es  ist  voll  von  grammatischen  Fehlern,  die 
zum  Teil  vom  Abschreiber  herrühren  mögen.  Vgl.  M.  Haupt  im  Hermes 
I,  403  und  Dümmler  in  d.  Forsch,  a.  a.  0.  Winterfeld  in  den  N.  Jahrb. 
für  das  klass.  Altert.  (1900)  S.  346. 

')  Dümmler,  Pilgrim  von  Passau  S.  144. 


Ermenrich.     Magnus  und  Genesius.  283 

geblichen  Genossen  von  Columban  und  Gallus,  von  Theodorus,  das 
bei  der  Ueberti'agung  der  Gebeine  in  der  Mitte  des  neunten  Jahr- 
hunderts in  St.  Magnus'  Grab  soll  gefunden  sein.  Der  Bischof  Lanto 
von  Augsburg  soll  dann  um  851  den  Ell  wanger  Münch  Ermenrich 
veranlalst  haben,  das  kaum  noch  lesbare  Denkmal  zu  erneuen.  Die 
Art,  wie  sein  Name  hier  erwähnt  wird,  macht  es  nicht  wahrschein- 
lich, dafs  wirklich  er  selbst  zu  dieser  Fälschung  seine  Hand  geboten 
habe.  Wattenbach  hielt  die  angebliche  ältere  Legende  überhaupt  für 
leeres  Vorgeben  des  Fälschers,  welcher  ein  von  den  gröbsten  chrono- 
logischen Fehlern  erfülltes  Plagiat  aus  den  Vitae  Columbani  und  Galli 
für  das  Werk  eines  Zeitgenossen  ausgab').  Maginald  und  Theodor, 
die  aus  diesen  bekannten  Schüler  des  heiligen  Gallus,  sind  hier  mit 
Magnus,  dem  sagenhaften  Stifter  der  Zelle  Füssen,  dessen  Tod  in 
das  Jahr  750  gesetzt  wird,  und  mit  dessen  Gefährten  Theodor,  dem 
vermeintlichen  Gründer  von  Kempten,  verschmolzen.  Diese  Ver- 
wirrung kam  in  St.  Gallen  zu  stände,  als  dort  unter  Salomo  III. 
eine  Magnuskirche  um  890  erbaut  wurde,  für  welche  man  Reliquien 
aus  Füssen  erworben  hatte  und  nun  auch  einer  Lebensgeschichte 
bedurfte. 

Auch  Reichenau  bezog  wie  Fulda  seine  Reliquien  aus  Italien, 
doch  scheint  man  damit  wenig  Glück  gehabt  zu  haben.  Die  älteste 
dieser  Geschichten  (Miracula  S.  Genesii)  ist  von  Alfred  Holder  in 
Karlsruhe  in  einem  von  Reginbert  herrührenden  Kodex  entdeckt,  und 
von  Wattenbach  in  der  Zeitschrift  für  Geschichte  des  Oberrheins  XXIV, 
1 — 21,  herausgegeben-).  Sie  berichtet  von  der  Uebertragung  der 
heiligen  Genesius  und  Eugenius  aus  Jerusalem  durch  den  Grafen 
Gebahard  von  Treviso,  der  798  seine  Boten  aussandte,  aber  vor 
deren  Rückkunft  starb.  Der  heimkehrende  Diacon  fand  in  Porto 
seinen   Bruder,    der    den    Grafen   Sci'ot   von   Florenz^)    nach    Rom 

1)  Canis.  Lect.  ant.V,  913—947.  Goldast  SS.  rer.  Suevic.  I,  2,  189—203. 
Acta  SS.  Boll.  Sept.  Tl.,  735—759.  Mabillons  treffliche  Kritik,  Acta  SS. 
II,  484  ff. ,  ist  bestätigt  und  ergänzt  durch  Rettberg  IT,  147 — 151,  wo 
Plac.  Brauns  Versuch,  den  zweiten  Teil  zu  retten,  widerlegt  ist.  Für 
denselben  sind  neuerdings  eingetreten  Fr.  Pfeiffer,  Freie  Forschung  S.  295 
aus  Germania  I,  und  Friedrich  KG.  II,  854 — 366.  Das  letzte  Stück  mit 
der  Translationsgeschichte  MG.  SS.  IV,  382.  425—427.  Ueber  eine  jüngere 
Bearbeitung  Archiv  XI,  270.  Vgl.  besonders  Baumann,  Gesch.  d.  Allgäus, 
I,  93 — 98.  Hauck  II,  328.  Den  h.  Magnus  besangen  damals  die  Sanct- 
galler  Dichter,  Poet.  Car.  IV,  329—331. 

^)  Im  Sanctgaller  Cataloge  saec.  IX  bei  Weidmann  S.  385  erwähnt  als 
Commemoratio  de  miraculis  S.  Genesii.  Als  Ex  Miracidis  S.  Genesii  ed. 
Waitz,  SS.  XV,  1G9— 172. 

^)  Bei  Herrgott,  Geneal.  III,  832,  als  Wohlthäter  von  Reichenau  er- 
wähnt, erscheint  er  im  Verbrüderungsbuche  S.  294,  col.  466. 


284  II-  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

begleitet  hatte ;  mit  Einwilligung  des  Papstes  Leo  erhält  Graf  Scrot 
den  rechten  Schenkel  des  Genesius,  während  der  Rest  nach  dem  bei 
Treviso  dafür  schon  bereiteten  Kloster  gebracht  wird.  Graf  Scrot 
aber  bringt  seinen  Teil  in  seine  Heimat  am  Bodensee,  und  stiftet 
hier  das  Kloster  Schienen,  welches  durch  Ludwig  das  Kind  an 
Reichenau  gekommen  ist.  Da  Wunder  nicht  ausblieben,  veranlafste 
Abt  Erlebold  (822 — 838)  einen  ungenannten  Mönch  zur  Aufzeichnung 
dieser  denkwürdigen  Begebenheiten. 

Während  nun  aber  von  diesen  Reliquien  weiterhin  nicht  mehr 
die  Rede  ist,  behauptete  man  später  in  Reichenau,  dafs  die  ganzen 
Leiber  der  heiligen  Senesius  und  Theopompus,  welche  in  unklarer 
Weise  an  die  Stelle  von  Genesius  und  Eugenius  getreten  sind,  830 
durch  Bischof  Ratolf  von  Verona  nach  Radolfzell  übertragen  seien, 
da  doch  ganz  unbekümmert  darum  dieselben  911  von  Treviso  aus 
dem  inzwischen  durch  die  Ungern  zerstörten  Kloster  nach  Nonantula 
übertragen  wurden.  Ebenso  wenig  wollte  man  ihnen  glauben,  dafs 
der  heilige  Valentin,  von  dem  ihre  alten  Annalen  noch  allein  reden, 
der  heilige  Markus  selber  sei ,  welcher ,  wie  sie  behaupteten ,  in 
demselben  Jahr  830  aus  Venedig  zu  ihnen  gekommen  sein  sollte;  und 
ihre  eigene  Erzählung  läfst  den  Betrug  deutlich  genug  erkennen^). 
Den  heiligen  Januarius  sollte,  wie  wir  oben  S.  279  sahen,  Kaiser 
Lothar  selbst  gebracht  haben;  davon  verlautet  weiter  nichts,  dagegen 
aber  ein  Bericht,  nach  welchem  ihn  und  seine  Genossen  im  Jahre  871 
ein  wackerer  Reitersmann  aus  Schwaben  auf  einer  Heerfahrt  unter 
Kaiser  Ludwig  II.  aus  einer  verödeten  Kirche  geraubt  und  nach  der 
Reichenau  geschafft  habe.  Man  traute  ihm  aber  dort  vermutlich 
selbst  nicht,  da  in  jüngeren  Handschriften  anstatt  ihrer  die  heilige 
Fortunata  mit  ihren  Brüdern  in  derselben  Erzählung  erscheint. 
Aber  auch  diese  waren  bereits  780  nach  Neapel  in  das  Nonnen- 
kloster des  heiligen  Gaudiosus  übertragen,  wo  sie  fortfuhren,  die 
schönsten  Wunder  zu  thun^).  Unbestritten  blieb  den  Reichenauern 
nur  ein  Krug  von  der  Hochzeit  zu  Cana,  den  ein  griechischer  Mönch 
ihnen  aufgeschwatzt  hatte  ^). 

^)  Miracula  S.  Marci  bei  Mone  Quellens.  I,  62 — 67;  im  Auszug  MG. 
SS.  IV,  449-452.     Vgl.  auch  Quellens.  III,  135. 

2)  Mone,  Quellens.  I,  232  cf.  Acta  SS.  Sept.  VI,  787.  Auf  Fortunata 
und  das  Jahr  874  angewandt  auch  in  der  ersten  Ausgabe  dieses  Buches 
S.  150  aus  2  Münchener  Handschriften,  da  ich  sie  für  ungedruckt  hielt ; 
vgl.  Oehem  ed.  Brandi  8.  XL  XII.  Acta  SS.  Oct.  VI,  456.  Beide  MG. 
SS.  XV,  478,  ed.  Holder-Egger. 

^)  Auszüge  aus  der  gänzlich  fabelhaften  Vita  Simeonis  Ächivi  ed. 
Waitz  MG.  SS.  IV,  459.  Annales  Aug.  breviss.  541—817  ib.  III,  136 
sind  ohne  Wert. 


Reichenauer  Reliquien.     Findan.     Meginrat.  285 

Sehr  deutlich  tritt  uns  in  diesen  Geschichten  die  lebhafte  Ver- 
bindung mit  Italien  entgegen,  welche  in  hohem  Grade  anregend  wir- 
ken mufste*);  Reichenau  lag  gerade  an  einer  der  besuchtesten  Pilger- 
strafsen  nach  Rom,  und  auch  Schottenmünche  haben  nicht  gefehlt, 
wenn  sie  auch  in  Reichenau  nur  ihre  Handschriften  als  Andenken 
hinterlassen  haben-).  Dagegen  wurde  gegen  das  Ende  dieses  Jahr- 
hunderts das  Leben  eines  Schottenmönches,  des  heiligen  Findan 
in  Rh  ein  au,  von  einem  Landsmanne  nach  persönlicher  Kunde  auf- 
gezeichnet (gest.  15.  Nov.  878),  welches  für  das  Treiben  dieser  frem- 
den Pilger  recht  charakteristisch  und  durch  einige  Stellen  in  irischer 
Sprache  merkwürdig,  übrigens  aber  geschichtlich  wenig  bedeutend 
ist').  Gröfserer  Ruhm  ist  dem  heiligen  ^Meginrat  zu  teil  geworden, 
dessen  Leben ,  wie  aus  dem  Alter  der  Handschriften  hervorgeht, 
schon  im  10.  Jahrhundert  ein  Reichenauer  Mönch  beschrieben  hat*). 
Er  wurde  nach  dessen  Bericht  in  Reichenau  von  Erlebold  unter- 
richtet, und  da  dieser  als  Abt  auf  Heito  folgte,  als  Mönch  ein- 
gekleidet. Der  Abt  schickte  ihn  nach  einer  Reichenauer  Zelle  am 
Züricher  See,  nach  der  Tradition  Ober-Bollingen,  richtiger  Benken, 
um  da  Schule  zu  halten.  Er  aber  ging  statt  dessen  als  Eremit  ins 
Gebirge,  wo  Räuber  ihn  861  erschlugen.  Das  noch  jetzt  blühende 
Kloster  Meinradszell  oder  Einaiedeln  bewahrt  sein  Andenken. 

Doch  fehlte  es  auch  in  St.  Gallen  und  Reichenau  nicht  ganz 
an  Annalen.  Die  in  ihrem  älteren  Teil  aus  Murbach  stammenden 
Annales  Alamannici  (oben  S.  164)  enthalten  802 — 858  dürftige 
Reichenauer  Notizen ;  860 — 926  werden  sie  mit  zunehmender  Reich- 
haltigkeit in  St.  Gallen  fortgesetzt.  Die  aus  denselben  Annalen  ent- 
nommenen   Annales    Sangallenses    breves    708—815^)    ge- 

')  Vgl.  darüber  das  schöne  Werk  des  Prof.  F.  Adler,  Baugeschicht- 
liche Forschungen  in  Deutschland.  I.  Die  Kloster-  und  Stiftskirchen  auf 
der  Tnsel  Reichenau,  Berlin  1870  folio.  Mai-mor,  Kurze  Geschichte  der 
kirchlichen  Bauten  und  deren  Kunstschätze  auf  der  Insel  Reichenau, 
Konstanz  1873.    Der  Text  ist  selbst  für  einen  praktischen  Arzt  zu  schlecht. 

^)  Irische  Hss.  aus  Reichenau  .jetzt  in  Karlsruhe,  SchafFhausen, 
St.  Paul  in  Kärnten,  vgl.  Zimmer,  Glossae  hibernicae;  Silvestre,  Pal. 
univ.  pl.  220,  221;  Adamnanus  ed.  Reeves  pl.  1:  Arndt.  Schrifttaf.  ed. 
Tangl,  Taf.  42. 

^)  Vita  Findani,  Mone  Quellensamml.  LI,  56 — fil.  ed.  Holder-Egger, 
SS.  XV,  502—506.  Vgl.  Zeuss,  Gramm.  Celt.  ed.  II,  p.  1003.  Ebert  III. 
195 — 197.  Die  von  ihm  in  Aussicht  gestellten  Wunder  fehlen.  Vgl. 
E.  Egli,  Das  sogen.  Fintan-Martyrolog. ,  Anz.  f.  Schweizer.  Gesch.  XXII 
(1891),  136—141. 

*)  Vita  S.  Meginrati  ed.  Holder-Egger,  SS.  XV,  444—448,  vgl.  Ring- 
holz im  Anzeiger  für  Schweiz.  Gesch.  1897  S.  473  ft'. 

'=)  Edd.  Ild.  V.  Ars  et  G.  H.  Pertz,  MG.  I,  63—66;  ed.  Henking,  St. 
Gall.  Mitt.  XIX,    220 — 223.     Local,   aber   sehr  dürftig  sind  die   Annale^ 


286  IT.  Karolinger.     §  15.    Schwaben. 

währten  den  Anfang  (bis  791)  der  Annales  Augienses,  welche 
bis  939  in  Reichenau  fortgesetzt  wurden.  Sie  waren  auf  den  Rand 
der  Ostertafeln  geschrieben,  welche  Reginbert  in  seine  oben 
S.  275  erwähnte  historisch-mathematische  Sammlung  aufgenommen 
hatte,  die  er  von  820  bis  gegen  sein  Todesjahr  846  zusammen- 
gebracht hat.  Diese  jetzt  verlorene  Handschrift  benutzte  Hermann 
der  Lahme.  Für  Friedrich  von  Mainz  abgeschrieben,  wurde  sie  zu 
937  mit  einer  Notiz  über  Friedrichs  Weihe,  953,  954  mit  Auf- 
zeichnungen des  Erzbischofs  Wilhelm  vermehrt;  benutzt  wurde  diese 
Handschrift  vom  Fortsetzer  des  Regino,  von  Marianus  Scottus,  und 
nebst  den  eingehefteten  Annales  S.  Albani  vom  Verfasser  der  Disi- 
bodenberger  Annalen').  Wir  finden  ferner  die  Annales  Augienses 
bis  ^39  benutzt  in  den  Annales  Colonienses,  jedoch  so,  dafs  einzelne 
Eintragungen  vielmehr  auf  die  Ann.  Alamannici,  Sangallenses  und 
Hermann  deuten,  wodurch  die  Vermutung  entsteht,  dafs  eine  reich- 
haltigere Aufzeichnung  allen  zu  Grunde  liegt^). 

Auch  in  der  Bischofstadt  Augsburg  war  ein  gelehrter  und 
ausgezeichneter  Bischof,  Adalbero  (887 — 910),  der  Erzieher  Lud- 
wigs des  Kindes,  ein  vertrauter  Freund  der  Sanktgaller  Lehrer, 
derselbe,  welchem  Regino,  der  seiner  mit  grofsem  Lobe  gedenkt, 
seine  Chronik  widmete;  wir  haben  eine  Biographie  von  ihm,  sie  ist 
aber  erst  im  zwölften  Jahrhundert  von  üdalschalk  geschrieben  und 
gewährt  uns  keine  Belehrung^). 

Im  Elsafs  beschrieb  ein  ungenannter  Mönch  von  Neuweiler 

bei  Zabern    die  Uebertragung   des   Bischofs  Adelphus  von  Metz, 

"den  ihnen  Erzbischof  Drogo  abgelassen  hatte,  mit  Wundern,  worin 

viele  Ortsnamen  vorkommen^).     Murbach  besafs  gegen  die  Mitte 

des  9.  Jahrhunderts    schon    eine  besonders  an  Klassikern  (darunter 


hrevissimi  Sangallenses  768—889  (MG.  I,  69.  70,  ed.  Henking,  p.  206—209 ; 
Vf.  nach  S.  208  Albrieh)  und  814-961  (ib.  S.  210-212),  während  die 
Fortsetzung  der  Ann.  S.  G.  Baluzii  (oben  S.  141)  768 — 814  allgemeiner 
Art  ist.  Kurze  Aufzeichnungen  an  Ostertafeln  690—856  ed.  Dümmler. 
NA.  V,  428. 

')  S.  die  berichtigte  Ausgabe  von  Jaffe,  Bibl.  III,  700  —  706. 

^)  Ecclesiae  Colon.  Codd.  p.  127.  Mit  dieser  beschäftigt  sich  W.  Erben, 
NA.  XVI,  613  flF. 

^)  S.  unten  IV  §  9.  Ueber  Adalberos  Besuch  in  St.  Gallen  908  und 
seine  reichen  Schenkungen  s.  das  Verbrüderungsbuch  S.  15.  Jul.  Hans, 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Augsburger  Schulwesens  in  der  Zeitschrift 
des  hist.  Vereins  f.  Schwaben  u.  Neuburg  II,  1  (1875)  stellt  die  dürftigen 
Nachrichten  darüber  zusammen. 

*)  Trunslatio  et  Miracida  S.  Adelj)hi  ed.  L.  v.  Heinemann,  SS.  XV, 
293  —  296,  mit  einem  Wunder  von  1198  aus  der  Fehde  zwischen  Heinrichs  VI. 
Bruder  Otto  u.  B,  Conrad  v.  Strafsbur". 


Schwäbische  Annalen.     Freising  und  Weihenstephan,  287 

sogar  Jjucrez)  reichhaltige  Bibliothek,  die  unter  dem  Abte  Isker 
(vor  876)  noch  ansehnlich  vermehrt  wurde.  Ihr  Katalog  ist  uns  in 
humanistischer  Abschrift  erhalten  und  jüngst  von  Bloch  erläutert 
worden  ')•  Reichenau  vornehmlich  war  die  Quelle,  aus  der  Murbach 
seine  geistige  Nahi-ung.  schöpfte. 


§  16.     Bayern   und   Franken. 

Bayern,  wo  schon  unter  den  Agiloifingern  eine  rege  litterarische 
Thätigkeit  begonnen  hatte,  zeigt  avich  in  diesem  Abschnitte  Spuren 
derselben,  und  es  wird  an  geschichtlichen  Aufzeichnungen  in  den 
zahlreichen  und  blühenden  Klöstern  des  Landes  nicht  gefehlt  haben, 
obgleich  im  ganzen  die  Bedürfnisse  des  praktischen  Lebens,  der 
Geschäftsthätigkeit  und  des  Schulunterrichts,  die  Kräfte  überwiegend 
in  Anspruch  nahmen.  Doch  ist  auch  in  den  Verheerungen  des  Landes 
durch  die  Ungern  ohne  Zweifel  vieles  zu  Grunde  gegangen. 

In  Freising  zeugen  die  zahlreichen  grammatischen  Hand- 
schriften aus  dem  neunten  und  zehnten  Jahrhundert^)  von  eifrigen 
Studien.  Nach  Aribo,  dessen  wir  schon  früher  gedachten,  machte 
sich  hier  der  Bischof  Hitto  (810 — 835)  sehr  verdient;  er  ver- 
anlafste  seinen  Notar  Cozroh  das  höchst  schätzbare  Traditions- 
buch der  Kirche  anzulegen,  welches  von  demselben  unter  seinem 
Nachfolger  Erchanbert  (bis  853)  fortgesetzt  wurde ■'^).  An  seinem 
Bischofsitze  gründete  Hitto  das  Kloster  Weihenstephan,  dem 
er  aus  Rom  824  den  heiligen  Alexander  zuführte;  die  von  einem 
angeblichen  Genossen  dieser  Uebertragung  in  recht  gutem  Latein 
und  nicht  ohne  Kenntnis  profaner  Autoren  verfafste  Geschichte  der- 
selben hat  Wattenbach  zuerst  herausgegeben^),  doch  stammt  sie 
erst  aus  dem  11.  Jahrhundert.     Wenig  später  hielt  dort  der  Pfalz- 

^)  Strafsburger  Festschrift  zur  Philologenversamml,  S.  257 — 285.  Das 
Geistesleben  im  Elsafs  zur  Karolingerzeit  in  der  Illustr.  Elsäss.  Rundschau 
B.  III  Heft  4.  Verzeichnis  seiner  Aebte  im  8.  bis  9.  Jahrhundert  aus  dem 
liber  Vitae  von  Remiremont  NA,  XIX,  77. 

2)  B.  Pez.  Thes.  I,  Praef.  p.  XXVII.  Steinmeyer,  Ahd.  Glossen  IV, 
523  flg. 

^)  Meichelbeck,  Hist.  Fris.  I,  1,  115.  116.  Eine  neue  Ausgabe  von 
Bitterauf  in  den  Quellen  und  Erörterungen  ist  in  Vorbereitung.  Jos. 
Zahn  im  Archiv  der  W.  Ak.  XXVII,  200  f.,  wo  auch  K.  Roths  Arbeiten 
über  Cozroh  aufgezählt  sind.  MG.  SS.  XXIV,  314  seine  Vorrede,  p.  316 
Notae  de  privilegiis.  Aufserdem  liefs  Hitto  viele  theologische  Schriften 
für  die  Bibliothek  abschreiben. 

*)  SB.  der  Berl.  Akad.  1884,  Dez.  4.  MG.  SS.  XV,  286—288.  Andere 
schlechtere  Hs.  NA.  XIII,  -584,  vgl.  v,  Winterfeld  NA.  XXVI,  751  flF. 


288  II-  Karolinger.     §  16.    Bayern  und  Franken. 

graf  Timo  Gericht,  wobei  sein  Hund  den  Frevel  beging,  aus  dem 
heiligen  Quell  zu  trinken.  Rascher  Tod  war  die  Strafe,  und  dieses 
Wunder  feiert  ein  Gedicht,  welches  merkwürdig  ist  durch  die  Be- 
schreibung des  Gerichtsverfahrens,  der  strengen  Justiz,  die  dort 
geübt  ward,  und  durch  sehr  entschiedene  Bekämpfung  der  Ordalien')- 
Als  man  es  im  11.  Jahrhundert  von  der  Rolle,  aufweiche  es  geschrieben 
war,  in  ein  Buch  übertrug,  war  leider  der  Anfang  derselben  schon 
beschädigt  und  verloren.  Auch  Bischof  Anno  (854 — 875)  liefs  ein 
Werk  für  die  Bibliothek  abschreiben  2);  Waldo  (884—906),  ein 
Bruder  Salomons  III.  von  Konstanz,  zeichnete  sich  durch  seine 
wissenschaftliche  Bildung  aus,  und  scheint  auch  als  Bischof  in  dieser 
Richtung  thätig  gewesen  zu  sein^).  In  dem  Kloster  zu  Tegernsee, 
welches  in  der  Zeit  Pippins  von  den  Brüdern  Adalbert  und  Otkar 
gegründet  war  zu  Ehren  des  heiligen  Quirinus,  dessen  Reliquien 
sie  von  dem  Papste  Zacharias  erbalten  haben  wollten,  wurde  im 
Jahre  921  eine  Passio  des  heiligen  Quirinus  aufgezeichnet*)  und 
dieser  weitere  Wundergeschichten  hinzugefügt,  von  denen  die  letzte 
von  dem  Abte  Megilo  handelt  und  sich  auf  den  Bischof  Arn  von 
Würzburg  (855 — 893)  als  seinen  Zeitgenossen  bezieht.  Diese  an 
sich  wenig  glaubwürdige  Legende  bildete  die  Grundlage  für  viele 
weitere  Fabeleien. 

In  Regensburg  war  Baturich  (817—848)  Bischof  und  Abt 
zu  St.  Emmeram,  zugleich  Erzkaplan  des  Königs,  ein  geborner  Bayer, 
der  in  Fulda  gebildet  wurde,  daher  mit  Hraban  befreundet,  und 
der  durch  die  Besorgung  von  Abschriften  kirchlicher  Werke  seinen 
wissenschaftlichen  Eifer  bewies'^).    Schon  unter  Embricho  (864 — 891) 

^)  Neue  Ausgabe  von  Dümmler,  Poet.  Car.  II,  120—124,  wo  V.  108 
Limfa  zu  lesen  ist. 

2)  Cod.  lat.  Mon,  6262,  s.  Catal.  I,  3,  81. 

^)  S.  Dümmler,  Formelbuch  Salomons  III,  S.  154.  Müllenhoff  und 
Scherer  S.  297.  451  (3.  Ausg.  II,  90.  335)  und  oben  S.  275.  Der  Priester 
Sigihard  schrieb  für  ihn  den  Otfrid  ab. 

*)  Abgedr.  von  Th.  Mayer  im  Arch.  für  Kunde  Oesterr.  Geschichtsq. 
III,  291—808,  ed.  Krusch,  SS.  Meroving.  III,  8—20,  vgl.  Wattenbacb, 
Ueber  die  Quirinalien  des  Metellus,  SB.  d.  Berl.  Akad.  1897  S.  785. 

5)  Dümmler,  Ostfr.  II,  438.  Müllenhoff  und  Scherer  S.  448.  460. 
(II,  331.  344.)  Faks.  des  Cod.  lat.  Monac.  14,468  a.  821,  Palaeograph. 
Soc.  122;  von  14,437  a.  823  ib.  123;  14,288  schenkte  ihm  Hiring.  Ueber 
seine  Beziehungen  zu  Hraban  s.  Epp.  V,  517  flg.,  Poet.  Car.  II,  173.  Eine 
Benedictio  Dei  betitelte  Schrift  über  den  Gebrauch  der  Psalmen,  mit  einer 
Vorrede  an  Baturich,  Bibl.  Patr.  Lugd.  XXVII,  575.  Migne  CXXIX. 
1399.  Epp.  V,  359—360.  K.  Ludwig  ertauschte  später  für  seine  Kapelle 
von  der  Regensburger  Kirche  den  Kleriker  Gundpert  wegen  seiner  litte- 
rarischen Bildung,  B.  Pez,  Thes.  I.  3.  199.  Die  unbedeutenden  Annalen 
s.  oben  S.  166. 


Regensburg,  Würzburg.  289 

begann  hier  An  am  od  die  Urkunden  über  Schenkungen  an  das 
Kloster  St.  Emmeram  zu  sammeln,  und  eignete  das  vollendete  Werk 
dessen  Nachfolger  Aspert  (891 — 893)  zu,  welcher  Kaiser  Arnulfs 
Kanzler  gewesen  war^).  Hier  verwahrte  man  auch  jene  merkwür- 
dige Aufzeichnung  über  die  Gaue  der  Slaven  im  Norden  der  Donau, 
wahrscheinlich  kurz  vor  873  verfal'st,  bekannt  als  Geographus 
B  a  w  a  r  u  s ,  welche  aus  einer  Handschrift  von  St.  Emmeram  durch 
Hormayr  zuei'st  bekannt  gemacht  ist"). 

In  Nieder-Altaich  und  Würzburg  wird  Gozbald  (842 
bis  855),  einst  Erzkanzler  Ludwigs  des  Deutschen  und  immer  in 
hoher  Gunst  bei  ihm,  ein  gelehrter  Mann,  den  Ermenrich  von  Ell- 
wangen seinen  Lehrer  nennt,  ohne  Zweifel  die  Studien  befördert 
haben,  wenn  uns  auch  nichts  darüber  bekannt  geworden  ist.  Einer 
Handschrift  von  Nieder-Altaich  verdanken  wir  jene  geschichtlich 
wichtige,  wenn  auch  in  der  Form  verwilderte  Fortsetzung  der  Fulder 
Annalen  von  882 — 901,  welche  in  Bayern,  aber  schwerlich  in  einem 
Kloster,  geschrieben  ist^).  Für  seine  Kirche  in  Isarhofen  bei  Nieder- 
Altaich  erbat  Gozbald  von  Gregor  IV,  die  Gebeine  der  Märtyrer 
Agapitus  und  Felicissimus,  und  vielleicht  ist  es  ihre  Translation, 
wovon  sich  ein  Fragment  erhalten  hat,  merkwürdig  durch  die  Er- 

^)  Ueber  ihn  S.  Dümmler ,  Ostfr.  III ,  482.  Der  Codex  Traditionum 
c^edv.  bei  B.  Pez,  Thes.  I,  ö,  191—286;  Migne  CXXIX,  900.  Vgl.  Bretholz, 
Die  Traditionsbücher  von  St.  Emmeram,  Mitteil.  d.  Inst.  XII,  1  ff.  (NA. 
XVI,  648^.  S.  auch  Karl  Roth,  Tauschverträge  der  Abtei  Sanctemmeram 
(Beitr.  IV.  1865),  wo  S.  42—46  Caf.  abb.,  S.  47—50  Caf.  epp.  Bafisponen- 
fium;  andere  SS.  XIII,  359.  Ein  Distichon  mit  Lob  des  Bischofs  Tuto 
(894—930)  NA.  I,  185.  Ueber  eine  unter  ihm  geschriebene  Hs.  Stein- 
meyer, Althd.  Glossen  IV,  551. 

'^)  Archiv  für  österreichische  Geschichte  1827,  S.  282.  Boczek,  Cod. 
Dipl.  Moraviae  I,  67.  Zeufs,  Die  Deutschen  u.  die  Nachbarstänime  S.  600. 
Bielowskis  Monumenta  Poloniae  I,  10.  Die  Hs.  ist  Cod.  lat.  Monac.  560 
saec.  XI.  Faks.  bei  Schiemann.  Rufsland  etc.  (Berl.  1886)  zu  S.  29,  Er- 
läuterungen dazu  von  Kralicek,  Zeitschr.  f.  d.  Gesch.  Mährens  u.  Schlesiens 
(1S99)  II,  216—235.  340—360. 

3)  S.  oben  S.  250.  251.  Ueber  Gozbald  Dümmler,  Ostfr.  II,  428. 
Forsch.  VI,  122.  Handschriften,  die  er  für  seine  Kirche  schreiben  liefs, 
sind  jetzt  in  Oxford,  s.  Zangemeister,  AVien.  SB.  LXXXIV,  .59.  61 ;  Faks. 
von  Aug.  de  civ.  Dei  Pal.  Soc.  II,  67.  68,  Traube,  Reg.  S.  Ben.  S.  661. 
Eine  andere  in  Würzb.  s.  Schepss  in  Briegers  Zeitschr.  f.  Kirchengesch. 
1886,  S.  458,  Anm.  Seinem  Vorgänger  Humbert  von  Würzburg  (832  bis 
842)  widmete  Hraban  den  Kommentar  zu  den  Büchern  der  Richter  und 
Ruth  und  beantwortete  ihm  Fragen  aus  der  Kirchenzucht  (Ejjp.  V,  439 
bis  442 .  445 — 448 ,  vgl.  523 — 526) ;  auch  er  liefs  eine  Hs.  abschreiben, 
Steinmeyer,  Ahd.  Gl.  IV,  592.  Der  Nachfolger  Arn  wird  Gozbalds 
Schüler  genannt;  s.  über  ihn  Dümmler,  Ostfr.  II,  430,  und  denselben 
Forsch.  VI,  123  über  die  gelehrten,  aber  nicht  der  Geschichte  zugewandten 
Studien  in  Würzburg. 

Wat  t  enb  a  ch,  Greschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  19 


290  II-  Karolinger.     §  16.    Bayern. 

wähnung  der  Aufschriften  des  P.  Damasus  „rotundis  litteris"  und 
der  von  Karl  dem  Grofsen  gestifteten  Schola  Francorum  in  Rom^)- 

Zum  Würzburger  Sprengel  gehört  Lauffen  am  Neckar,  wo  man 
S,  Reginswind  verehrte,  Tochter  des  Markgrafen  Ernst,  welche 
als  siebenjähriges  Mädchen  837  von  ihrer  Wärterin  aus  Rache  im 
Neckar  ertränkt  sein  soll;  ihre  sagenhafte  Geschichte  ist  aber  erst 
im  zwölften  Jahrhundert  aufgezeichnet^). 

In  Eichstätt  liefs  B.  Erchanbald  (882—912)  nicht  nur 
viele  Bücher  abschreiben,  sondern  er  veranlafste  auch  den  Priester 
Wolfhard,  das  Leben  der  heiligen  Wal  bürg a^)  zu  verfassen,  deren 
Reliquien  er  893  nach  Monheim  übertragen  hatte,  der  Schwester 
Willibalds  —  eine  der  zahlreichen  Aufzeichnungen  solcher  Art,  welche 
diese  Zeit  mit  ihrer  immer  wachsenden  Heiligenverehrung  hervor- 
brachte, weniger  durch  geschichtlichen  Sinn  als  durch  das  Bedürfnis 
einer  Legende  veranlafst  und  mit  Wundergeschichten  ausgestattet. 
In  ausgedehntestem  Mafse  sorgte  aber  Wolfhard  für  die  Befriedigung 
dieses  Bedürfnisses  durch  das  ebenfalls  auf  Veranlassung  des  Bischofs 
Erchanbald  von  ihm  gesammelte,  schon  früher  (S.  68)  erwähnte  grofse 
Legendarium. 

Die  Passauer  Kirche  erwarb  903  durch  Tausch  die  ansehnliche 
Bibliothek  des  Landbischofs  Madalwin "*).  Vielleicht  aufErmenrich 
zurückzuführen  ist  das  vorzüglich  aus  Hrabans  Schriften  geschöpfte 
Lehrbuch,  welches  sich  in  einer  Tegernseer  Handschrift  erhalten  hat^). 
Einem  Abt  Engilmar,  den  er  als  „venerabilis  doctor  et  gram- 
maticae  rhetor"  bezeichnete,  widmete  ein  ungenannter  Verfasser  in 
ziemlich  mangelhaften  Versen  eine  Versifikation  der  Vita  S.  Herasmi: 
vielleicht  könnte  dieser  später  Bischof  von  Passau  geworden  sein, 
wo  wir  von  874 — 899  einen  Engelmar  finden^). 

Aus  Salzburg  endlich  ist  uns,  aufser  urkundlichen  Aufzeich- 
nungen und  der  Erzählung  von  der  Uebertragung  des  heili- 

1)  NA.  XIII,  2.3.5. 

2)  V.  Eeginswindis  Acta  SS.  Jul.  IV,  90—96.     MG.  SS.  XV,  359. 

3)  Acta  SS.  Feb.  IIT,  523.  Mab.  III,  2,  787.  Vgl.  den  Anon.  Haser. 
c.  3.  10,  MG.  SS.  VII,  255.  256.  Rettberg  II,  359.  Die  893  beginnenden 
Mirakel  sind  geschichtlich  nicht  unwichtig.  Ausg.  von  Holder-Egger, 
MG.  SS.  XV,  535-555. 

'')  Mon.  B.  XXVIII,  2,  200—203.  Vgl.  Gottlieb,  Ueber  mittelalterl. 
Biblioth.  S.  60. 

^)  Einige  Formeln  mit  der  Ueberschrift  Epistolae  Alati  ed.  Rockinger, 
Quellen  zur  baierischen  Geschichte  VII,  169—185,  vgl.  21—29,  und  E.  de 
Roziere,  Revue  bist,  de  droit  fran^ais  et  etranger,  IV;  Zeumer,  Form. 
S.  456  ff.  Nach  Passau  weist  die  bischöfliche  Kirche  des  heil.  Stephan. 
Vgl.  Müll.  u.  Scherer,  3.  Ausg.  II,  355. 

«)  Dümmler,  NA.  V,  429;  ed.  Harster,  Novem  vitae  p.  20—37. 


Eichstätt,  Passau,  Salzburg.  291 

gen  Hermes')  aus  Rom  vom  Jahr  851,  ein  überaus  wertvolles 
Denkmal  erhalten,  eine  Denkschrift,  welche  durch  die  Errichtung 
eines  selbständigen  mährischen  Erzbistums  veranlafst,  vermutlich  870 
verfafst  wurde'-),  in  demselben  Jahr,  in  welchem  die  Verfolgung 
gegen  Methodius  begann.  Die  Verdienste  und  Berechtigungen  der 
Salzburger  Kirche  sollten  darin  dargestellt  werden,  und  wie  billig 
steht  deshalb  an  der  Spitze  das  Leben  des  heiligen  Rupert  (oben 
S.  136),  eine  Ueberarbeitung  der  älteren  Vita  mit  Benutzung  der 
brev.  not.  Salisb.  und  Einschiebung  einer  Reise  nach  Pannonien. 
Die  weitere  Erzählung  stützt  sich  durchweg  auf  Urkunden  und 
andere  Aufzeichnungen  der  Kirche,  es  ist  mehr  eine  rechtliche  Aus- 
führung, als  ein  eigentliches  Geschichtswerk,  und  weil  der  Verfasser 
sich  streng  auf  das  beschränkt,  was  für  seinen  Zweck  von  Wichtig- 
keit war,  anderes,  wie  namentlich  die  ganze  Wirksamkeit  des  Bonifaz, 
völlig  mit  Stillschweigen  übergeht,  genügt  die  Schrift  unseren 
Wünschen  nicht  ganz,  aber  was  sie  gibt  ist  unschätzbar,  und  bei 
dem  fast  gänzlichen  Mangel  anderer  Quellen  über  die  Verhältnisse 
dieser  südöstlichen  Lande,  bei  dem  Verluste  der  Annalen,  von  denen 
nur  geringe  Reste  übrig  geblieben  sind,  ist  jedes  Wort  des  Verfassers 
von  hohem  Werte  für  uns^).  Noch  im  Jahre  900,  als  das  mährische 
Reich  durch  die  Magyaren  schon  in  Trümmer  ging,  verfocht  in 
einem  Schreiben  an  Papst  Johann  IX.  die  bayrische  Geistlichkeit  mit 
dem  Erzbischof  Theotmar  an  der  Spitze  ihre  Rechte  auf  die  mähri- 
sche Kirche'*). 

')  Translatio  S.  Hermetis ,  ed.  Waitz,  MG.  SS.  XV,  410.  *Auch  in 
Bamberg  glaubte  man  den  heil.  Hermes  zu  besitzen,  V.  Ott.  11,  14  bei 
JaflFe.  Bibl.  V,  639. 

^)  Wattenbach  liefs  zuletzt  dahingestellt,  ob  sie,  wie  er  annahm,  für 
den  König  bestimmt  war  oder  für  den  Papst,  wie  Dümmler,  Ostfr.  II,  379 
(dem  Hauck  II,  701  A.  2  beistimmt)  aufrecht  hält,  ungeachtet  der  gänz- 
lichen Verschweigung  aller  päpstlichen  Anordnungen.  Sicher  ist  sie  ihrer 
Form  nach  nicht  an  den  Papst  gerichtet. 

^)  Ausgabe  von  Wattenbach,  MG.  SS.  XI,  1 — 17,  mit  den  Computa- 
tiones  saec.  XII.  de  tempore  S.  Rudberti,  auf  welchen  die  fehlerhafte 
sogenannte  Tradition  beruht  (oben  S.  136  A.  2).  Ueber  das  Fehlen  einer 
älteren  Tradition  s.  auch  Meiller,  Salzb.  Regesten  S.  439.  Der  erste,  von 
Wattenbach  übersehene  Herausgeb.  war  Flacius  Illyricus,  Catalogi  testium 
veritatis  (1597)  II,  121—129  aus  der  Wiener  Handschrift  hist.  eccl.  73. 
Wegen  der  weiteren  Litteratur  s.  die  2.  Aufl.  von  Dümmlers  Ostfr.  und 
Hauck  II,  695 — 704.  Ueber  die  slavischen  und  deutschen  Personennamen 
in  der  Conversio  handelt  Jagic,  Zur  Entstehungsgesch.  der  kirchenslav. 
Sprache,  Denkschr.  der  Wiener  Akad.  XLVII,  L  85—88.  Nach  Jar.  Goll, 
Mitteil,  d.  Inst.  XI,  443 — 446,  hätte  er  seine  Angaben  über  Samo  nur 
aus  Fredegar  geschöpft,  ohne  lokale  Tradition. 

■*)  Chronic,  monasterii  Reichersp.  ed.  Gewold  app.  p.  33 — 38,  vgl. 
Dümmler,  Ostfr.  III,  511—514. 


292  II-  Karolinger.     §  16.    Bayern. 

Unter  den  Nachfolgern  des  ei'sten  Erzbischofs  Arn  wird  Adal- 
ram  (821—836)  sehr  gepriesen,  und  Liuphram  (836 — 859)  folgte 
Arns  Vorgang,  indem  er  durch  Abschriften  die  Bibliothek  zu  be- 
reichern bemüht  war^).  Aus  seiner  Zeit  stammt  auch  eine  Samm- 
lung, in  welcher  formelartig  zugerichtete  Briefe  Alcvins,  die  meistens 
an  Arn  gerichtet  waren,  mit  allerlei  Versen  verbunden  sind,  für 
den  Zweck  des  Unterrichts  bestimmt^).  Am  Anfange  stehen  Verse 
von  Dungal  an  einen  „clarus  magister"  Baldo,  von  welchem  man 
in  Salzburg  auch  eine  Handschrift  hatte  mit  der  Inschrift:  „Hunc 
humilis  librum  fecit  perscribere  Baldo,  Reddat  in  aeternum  mitis  cui 
praemia  Christus".  Aehnliche  Verse  finden  wir  in  den  Unterschriften 
der  von  Liuphram  besorgten  Bücher.  Mit  Dümmler  hatte  Watten- 
bach diesen  Baldo  für  den  Abt  Waldo  von  Saint-Denis  gehalten,  aber 
später  hat  Dümmler  sich  mit  Foltz'')  für  eine  Unterscheidung  beider 
Personen  ausgesprochen,  wofür  sich  auch  Traube  erklärt^),  und  es 
wird,  wenn  Baldo  damals  in  Salzburg  thätig  war,  vielmehr  anzuneh- 
men sein,  dafs  wir  unter  Dungal  nicht  den  alten  berühmten  Lehrer 
(oben  S.  170.  268)  verstehen  dürfen.  Auch  König  Ludwig  dankte 
ihm  in  Versen  für  übersandte  Schriften,  wünschte  aber  über  die 
zuletzt  erhaltenen,  die  er  nicht  verstehen  könne,  Aufschlufs.  Andere 
Stücke  jener  Sammlung  verherrlichen  den  alten  Bischof  Virgilius, 
Arn,  Adalram,  Liuphram:  Kalendergedichte  nach  Art  Wandalberts 
schildern  und  erklären  die  einzelnen  Monate,  eine  besondere  Klasse 
stellt  sich  uns  dar  als  Inschriften  für  einen  Bischofshof,  der  ver- 
mutlich damals  (zwischen  855  und  859)  in  Salzburg  gebaut  wurde, 
und  erinnert  dadurch  an  die  unten  (S.  318)  zu  erwähnenden  Lütticher 
Gedichte,  wie  denn  auch  hier  (III,  11)  der  Dichter  sich  als  einen 
armen  Fremdling  bezeichnet;  es  liegt  die  Vermutung  nahe,  dafs 
Genossen  jener  Lütticher  Schottenkolonie  auf  ihrer  Reise  nach 
Mailand  in  Salzburg  einige  Zeit   sich  aufgehalten   haben.     Die  ein- 

1)  S.  darüber  Karl  Foltz,  Geschichte  der  Salzburger  Bibliotheken. 
Wien  1877 ;  Chroust,  Mon.  palaeograph.  Fase.  VII. 

2)  Beiträge  zur  Geschichte  des  Erzb.  Salzburg,  Archiv  der  Wiener 
Ak.  XXII,  279—304.     Die  Verse  in  Poet.  Gar.  II,  644—646. 

3)  A.  a.  0.  S.  13;  vgl.  Dümmler,  Poet.  Gar.  I,  412.  Von  dem  Salz- 
burger Baldo  ist  auch  die  aus  Salzburg  stammende  Grazer  Hs.  790  ge- 
schrieben (s.  oben  S.  187),  da  sie  nach  Mitteilung  Levisons  auf  der  letzten 
Seite  (f.  238)  die  Inschrift  hat : 

Hunc  humilis  thomum  Baldo  craxare  rogavit, 

Cui  rogo  mercedem  alt[i]thronus  tribuat. 
Eine  ähnliche  Inschrift  hat  die  aus  Tegernsee  stammende  Münchener  Hs. 
18524  b,  s.  B.  Pez,  Thesaur.  I  p.  XV;  Catal.  codd.  Latin.  Monac.  II,  3,  170. 
M.  Enneccerus,  Die  ältesten  Sprachdenkm.  Taf.  8. 
•')  0  Roma  nobilis  S.  336. 


Salzburg.     Gregor  von  Utrecht.  293 

zelnen  Sut'tragane  gaben,  wie  es  scheint,  verschiedenen  Hallen  ihren 
Namen ,  deren  Wände  mit  Darstellungen  ihrer  Bischofsitze  ge- 
schmückt sein  mochten,  und  hier  waren  auch  Verse  über  die  Folge 
dieser  Bischöfe  angebracht,  welche  aber  bei  Passau  und  Sehen  nicht 
vollständig  ausgeführt  sind'). 

§  17.     Sachsen.     Münster,  Bremen,  Hamburg. 

J.  H.  Gall6e,  Altsächs.  Spvaclulenkmäler,  Leiden  1891  (Einleit.  u.  Tafeln).    Val.  Rose, 
Verzeiclin.  der  lat.  Hss.  der  kün.  Bibl.  zu  Berlin  II,  l,  B.  1901. 

Als  Sturmi  zuerst  in  Hersfeld  sein  neues  Kloster  gründen  wollte, 
verwarf  Bonifaz  diesen  Vorschlag  wegen  der  Nähe  der  heidnischen 
Sachsen.  Karl  aber  zog  auch  dieses  Volk  in  den  Kreis  der  christ- 
lichen Bildung,  und  wie  gewaltsam  immer  die  neue  Pflanzung  be- 
gründet wurde,  sie  schlug  doch  bald  starke  Wurzeln,  und  die  Söhne 
der  Bekehrten  gaben  sich  bereits  mit  regem  Eifer  der  neuen  Lebens- 
richtung hin.  Lange  schon  hatten  die  Angelsachsen  sich  danach 
gesehnt,  hin  und  wieder  auch  versucht,  ihren  alten  Stammesbrüdern 
das  Evangelium  zu  bringen ;  jetzt  drangen  sie  unter  dem  Schutze 
Karls  vor,  und  pflanzten  den  Baum  der  neuen  Lehre,  der  in  dem 
frischen  Erdreiche  bald  kräftig  und  segensvoll  gedieh. 

Einer  der  hervorragendsten  unter  ihnen  war  Liudger,  von 
Geburt  zwar  ein  Friese,  aber  ein  Schüler  der  angelsächsischen 
Glaubensboten.  Er  selbst  hat  uns  in  dem  Leben  seines  Lehrers, 
Gregor  von  Utrecht^),  die  Werkstatt  geschildert,  wo  ein  grofser 
Teil  der  Lehrer  für  das  Sachsenvolk  ausgebildet  wurde;  ergänzt 
werden  seine  Nachrichten  durch  seine  eigene  Lebensbeschreibung 
von  Altfrid. 

Liudgers  Grolsvater  Wursing,  ein  reicher  und  vornehmer  Friese, 
hatte  sich,  von  Radbod  vertrieben,  zu  den  Franken  geflüchtet  und 
die  Taufe  angenommen ;  als  dann  Karl  Martell  nach  der  Besiegung 
des  Landes  das  Bistum  Utrecht  begründete,  siedelte  er  auch  Wursing 

^)  Versus  de  ordine  comprovincialium  episcoporum,  Arch.  d.  W.  A.  XXII, 
283—285.  MG.  SS.  XIII,  341—343.  Poet.  Car.  II,  637—648  mit  anderen 
Versen  der  Sammlung.  Vielleicht  rühren  jene  aus  Karls  d.  Gr.  Zeit  her, 
und  wurden  nur  fortgesetzt;  dann  hätten  wir  Erneuerung  älterer  Dar- 
stellungen anzunehmen.  Ueber  die  damit  verbundenen  Kalendergedichte 
s.  Riegl  in  den  Mitteil,  des  Instit.  X,  37—40. 

2)  Erste  kritische  Ausgabe  von  Holder-Egger,  SS.  XV,  63—79.  Uebers. 
V.  Grandaur,  Geschichtschr.  14,  nach  V.  WilHbrordi.  —  Vgl.  Ebert  TI,  106 
bis  108.  Hauck  II,  344—348.  —  Die  Liudger  bei  Rettberg  I,  333  zuge- 
schriebene V.  Bonifacii  ist  Mifsverständnis  der  Stelle  V.  Liudg.  II,  6 
über  die  in  der  V.  Gregorii  enthaltenen  Nachrichten  von  Bonifaz. 


294  ^I-  Karolinger.     §  17.    Sachsen. 

mit  den  Seinen  dox't  an,  und  an  ihnen  fand  Willibrord  die  kräftigste 
Stütze.  Nach  Willibrords  Tode  nahm  Bonifaz  sich  des  verwaisten 
Bistums  an;  dann  ward  es  der  Pflege  Gregors  übergeben,  der  lange 
Zeit  ein  treuer  Begleiter  und  Gehilfe  seines  Lehrers  Bonifaz  gewesen 
war  und  nun  als  Abt  dem  Martinstifte  vorstand.  Die  bischöflichen 
Geschäfte  versah  neben  ihm  der  Angelsachse  Aluberht.  Dieser  war 
wie  so  viele  seiner  Landsleute  zur  Mission  gekommen,  und  kehrte 
auf  Gregors  Wunsch  mit  Utrechter  Geistlichen  heim  nach  York,  wo 
er  767  vom  Erzbischof  Aethelberht  ad  Ealdsexos  zum  Bischof  ge- 
weiht wurde,  mit  ihm  Liudger  zum  Diaconus.  Durch  diese  Ver- 
bindung sind,  wie  K.  Pauli  nachgewiesen  hat,  Nachrichten  über  Karls 
des  Grofsen  Sachsenkriege,  dann  auch  durch  Alcvin  andere  nicht 
unwichtige  Angaben,  in  die  nordenglischen  Annalen  gekommen'). 

Liudger  hatte  sich,  wie  mehrere  \on  Wuisings  Nachkommen, 
der  Kirche  gewidmet,  er  genofs  schon  damals  Alcvins  Unterweisung, 
und  kehrte  später  dieses  Unterrichtes  wegen  noch  einmal  nach  York 
zurück,  bis  ihn  nach  drei  Jahren  und  sechs  Monaten  ein  Streit  zwischen 
den  Friesen  und  Angeln  nötigte,  nach  Utrecht  heimzukehren,  wo 
Gregor  zahlreiche  Schüler  aus  allen  deutschen  Stämmen,  nach  Liud- 
gers  Angabe  auch  Sachsen,  um  sich  versammelte.  Unter  Gregors 
Neffen  und  Nachfolger  Alberich  war  die  Leitung  dieser  Schule  in 
solcher  Weise  verteilt,  dafs  abwechselnd  Alberich  selbst,  Liudger, 
Adalgar  und  Thiatbrat'),  jeder  ein  Vierteljahr,  derselben  vorstanden. 
Die  übrige  Zeit  verwandten  sie  auf  die  Seelsorge  und  die  weitere 
Ausbildung  des  Volkes.  Der  Aufstand  der  Sachsen  unter  Widu- 
kind  782  brachte  auch  in  Friesland  das  Heidentum  wieder  zum 
Siege,   und  Liudger  begab  sich   damals   nach  Montecassino,   dessen 

')  S.  R.  Pauli,  Karl  d.  Grofse  in  northumbrischen  Annalen,  Forsch. 
XIL  137—166.  441.  Vgl,  L.  Theopold,  Krit.  Untersuchungen  über  die 
Quellen  zur  angels.  Gesch.  d.  8.  Jahrhunderts  (Lemgo  1872)  S.  102.  R. 
Pauli  hat  in  d.  Gott.  Nachr.  1878,  S.  1 — 15,  neben  den  nordengl.  Nach- 
richten andere  aus  Winchester  nachgewiesen;  nach  der  Eroberung  sind 
auch  die  Sanctgalliseh-Kölner  Annalen  über  die  Normandie  nach  England 
gekommen.  Excerpta  ex  Ann.  Anglosaxonicis  von  Pauli,  SS.  XIII,  92  ff. 
Ch.  Plummer  gab  heraus  Two  of  the  Saxon  chronicles,  I.  II  1892.  1899, 
vgl.  Liebermann  im  Arch.  für  das  Stud.  der  neueren  Sprachen  u.  Litter. 
CIV.  —  Gegen  Hahns  Hypothesen,  Forsch.  XX,  55.3—569,  W.  Diekamp, 
ib.  XXII,  425—432. 

^)  Dieser  scheint  der  Besitzer  des  später  nach  Lorsch  gekommenen 
Wiener  Livius  gewesen  zu  sein,  nach  der  Inschrift:  „Iste  codex  est  Theat- 
berti  episcopi  de  Dorostat".  Nach  Gitlbauer  wäre  er  Vorsteher  der  Kirche 
zu  D.  gewesen  und  nach  dem  damals  noch  schwankenden  Gebrauche 
Bischof  genannt,  weil  er  bischöfliche  Rechte  übte.  Denselben  hält  G. 
für  den  Nachfolger  Alberichs ,  der  Theodard  genannt  wird.  Gitlbauer 
de  cod.  Liv.  (Vind.  1876)  p.  2—21,  vgl.  Hauck  II,  355  A.  5. 


Das  Bistum  Utrecht.     Liudger.     Liafwin.  295 

klösterliche  Einrichtung  er  später  auf  seine  Stiftung  Werden  Über- 
trag. Karl  der  Grofse  aber  vertraute  ihm  die  geistliche  Leitung  von 
fünf  friesischen  Gauen  an  und  verband  damit  im  Anfange  des 
neunten  Jahrhunderts  das  neu  errichtete  Bistum  Mimigardeford  in 
Westfalen,  für  welches  seit  dem  11.  Jahrhundert  der  Name  Münster 
an  Stelle  jenes  heidnischen  üblich  wurde.  Am  30.  März  804  geweiht'), 
wirkte  er  hier  für  die  Befestigung  der  neuen  Lehre  bis  zu  seinem 
Tode  am  26.  März  809. 

Die  von  ihm  verfafste  Biographie  Gregors  ist  in  dem  gewöhn- 
lichen Legendenstile  geschrieben,  aber  die  hergebrachten  Phrasen 
sind  hier  von  wirklicher  Wärme  erfüllt,  von  inniger  Liebe  zu  seinem 
Lehrer  und  einer  kindlichen  Demut,  wo  er  seines  eigenen  Wirkens 
gedenkt.  Es  finden  sich  darin  einige  schätzbare  Nachrichten  über 
Bonifaz  sowie  über  das  Bistum  Utrecht;  geschichtlicher  Sinn  zeigt 
sich  jedoch  wenig,  es  kommen  arge  Fehler  vor,  und  auch  die  Sprache 
ist  schwerfällig  und  gesucht.  Als  Geschichtsquelle  ist  Liudgers 
eigenes  Leben  von  Altfrid^)  weit  vorzuziehen,  obgleich  auch  dieses 
von  dem  Verfasser,  Liudgers  Verwandtem  und  zweitem  Nachfolger 
(839 — 849),  auf  Bitten  der  Mönche  von  Werden  zunächst  zum  Zwecke 
der  Erbauung  geschrieben  wurde.  Die  Darstellung  ist  einfach  und 
ansprechend,  und  die  ganze  Missionsthätigkeit  tritt  hier  mit  beson- 
derer Anschaulichkeit  uns  entgegen.  Noch  in  demselben  Jahrhunderte 
wurden  in  Werden  zwei  neue  Bearbeitungen  der  Vita  verfafst.  Auch 
von  Altfrids  Vorgänger  Gerfrid  hat  man  eine  Biographie  gehabt, 
von  welcher  aber  eine  Erwähnung  in  der  Bistumschronik  die  einzige 
Spur  ist^).  Altfrids  Nachfolger  Liutbert,  ein  geborner  Lothringer 
(t  871),  war  vielleicht  der  Bischof  Leutbert,  welchem  Sedulius 
eine  sapphische  Ode  gewidmet  hat^). 

Dem  Kreise  dieser  Männer  gehöi't  auch  Liafwin  oder  Lebuin 
an,  ein  Angelsachse,  der  zu  Gregor  nach  Utrecht  kam  und  sich,  nach- 


^)  Diekamp  im  Hist.  Jahrbuch  V,  257.  Ueber  Liudger  vgl.  Hauck  II, 
349  ff.  406—408. 

-)  V.  IJudgeri  aiict.  Altfrido  ed.  Pertz,  MG.  II,  403—425  mit  Zusätzen 
und  Mirakeln  aus  den  späteren  Biographieen.  Vitae  S.  Liudgeri  ed. 
Diekamp,  4.  Bd.  der  Geschichtsquellen  d.  Bist.  Münster,  1881,  mit  Be- 
nutzung des  von  Pertz  nicht  verglichenen  Cod.  Vossianus.  Uebersetzung 
bei  Hüsing,  Der  h.  Liudger,  Münster  1878,  S.  174—200,  und  Pingsmann, 
Der  h.  Ludgerus,  Freiburg  1879,  S.  199—228;  von  Grandaur  bei  V.  Willi- 
brordi.     Vgl.  Ebert  II,  888.  —  Catal.  abb.  SS.  XIII,  288. 

^)  Diekamp,  Vitae  Liudgeri,  p.  XXI.  Anm.  1.  Zu  unterscheiden  ist 
ein  älterer  Gerfrid,  welcher  eine  Bibel  schreiben  liefs,  deren  Widmungs- 
verse sich  erhalten  haben,  Poet.  Car.  I,  285. 

^1  Dümmler,  Sedulii  Scotti  Carmina  XL  p.  28.     Poet.   Car.  III,   219. 


296  n-  Karolinger.     §  17.    Sachsen. 

dem  er  eine  Zeit  lang  an  der  Yssel  gewirkt  hatte,  nach  Sachsen  begab, 
wo  er  auf  dem  Landtage  zu  Marklo  unerschrocken  das  Christentum 
verkündete.  Seine  Legende,  welche  besonders  durch  die  Nachricht 
über  diese  Landtage  und  die  Verfassung  der  Sachsen  merkwürdig 
ist,  wurde  jedoch  erst  am  Anfange  des  zehnten  Jahrhunderts  von 
Hukbald  von  St.  Amand  verfafst,  nicht  in  Münster,  dessen  wir 
nach  diesen  so  viel  versprechenden  Anfängen  nicht  wieder  zu  ge- 
denken haben  werden'). 

üeber  die  Stiftung  des  Klosters  Werden  an  der  Ruhr  ist  eine 
eigentümliche  Aufzeichnung  vorhanden,  welche  trügerisch  zwei  Be- 
gleitern Liudgers  in  den  Mund  gelegt,  in  den  wesentlichen  That- 
sachen  aber  richtig  und  in  ihrem  ältesten  Teile  vielleicht  schon  um 
die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  geschrieben  ist,  als  nach  Altfrids  Tode 
die  Familie  des  Stifters  vom  Bistum  abkam  und  die  Unabhängigkeit 
des  Klosters  bedroht  war^). 

Ein  anderer  Angelsachse  war  Will  eh  ad  aus  Northumberland, 
der  ebenfalls  seine  Missionsthätigkeit  in  Friesland  begann  und  780 
von  Karl  dem  Grofsen  über  den  Gau  Wihmodia  gesetzt  wurde.  Auch 
ihn  vertrieb  der  Aufstand  Widukinds  782,  dem  ein  grofser  Teil  seiner 
Schüler  und  Gehilfen  zum  Opfer  fiel.  Er  selbst  flüchtete  nach  Fries- 
land und  pilgerte  nach  Rom;  dann  lebte  er  eine  Zeit  lang  in  stiller 
Zurückgezogenheit  in  Echternach;  Karl  aber  rief  ihn  nach  der  Be- 
siegung der  Sachsen  zu  seiner  früheren  Thätigkeit  zurück  und  erhob 
ihn  787  zum  Bischöfe  von  Bremen,  wo  er  am  8.  November  789 
gestorben  ist.    Sein  Leben ^)  ist  in  einer  kurzen  und  einfachen  Dar- 


')  Ueber  Lebuin  s.  Hauck  11,  348 — 349.  Zu  diesem  Kreise  gehört 
auch  die  Legende  über  die  Stiftung  des  Klosters  Freckenhorst  oder 
VHa  S.  Thiadildis,  ed.  Jo.  Gamans,  Acta  SS.  Jan.  II,  1156—1160  (Kind- 
linger,  Münst.  Beitr.  II,  9;  deutsch  in  Dorows  Denkm.),  welche  aber  erst 
im  15.  Jahrhundert  aufgezeichnet  und  von  geringem  Werte  ist.  Vgl. 
Wilmans,  Kaiserurkunden  der  Provinz  Westfalen  I,  416.  W.  Diekami), 
Forsch.  XXIV,  629—653. 

^)  Fundatio  monasterii  Werthinensis  bei  Ficker,  Die  Münsterisclien 
Chroniken  (1851)  S.  352—355.  Diekamp,  Vitae  Liudgeri,  p.  286—294, 
mit  neuen  Hilfsmitteln ;  vgl.  AI.  Schulte,  Mitteil.  II,  637.  Diekamp  in 
d.  Zeitschr.  f.  Westf.  Gesch.  u.  Alt.  XLI,  148 — 164,  u.  Erläuterung  einer 
Urk.  K.  Arnulfs,  Mitteil.  d.  Inst.  V,  622.  Ausg.  v.  Waitz  MG.  SS.  XV, 
164 — 168.  —  Eine  von  Liudgers  Neffen  Hildegrimus  diaconus,  853 — 888 
Bischof  von  Halberstadt,  geschriebene  Hs.  NA.  X,  336.  Brief  Hildegrims  II. 
an  den  Probst  Reginbert  von  Werden  aus  dem  J.  876/877,  Erhard,  Cod. 
diplom.  Westfaliae  1.  Epp.  VI,  194—195.  Wilmans,  Kaiserurk.  I,  220. 
Vgl.  W.  Effmann,  Die  karoling.-ottonischen  Bauten  zu  Werden  I,  Strafs- 
burg  1899. 

2)  F.  Willehadi  auct.  Anskario  ed.  Pertz,  MG.  SS.  II,  378—390.  Ueber- 
setzt  von  Laurent,  1856.  1888.  Geschichtschr.  14  (VIII,  3).     Hs.  in  einem 


Werden.     Willchad.     Anskarius.  297 

Stellung  beschrieben,  welche  von  seinem  berühmteren  Nachfolger 
Anskarius,  dem  Apostel  des  Nordens,  verfafst  sein  soll,  wie 
Adam  von  Bremen  berichtet.  Doch  hat  G.  Dehio')  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dafs  die  beiden  Bücher  (Vita  und  Miracula)  nicht 
von  einem  Verfasser  sein  können,  und  nur  das  zweite  von  Anskar 
sein  wird.  Er  hat  ferner  nachgewiesen,  dafs  die  einzigen  chrono- 
logisch bestimmten  Nachrichten  787  und  789  wörtlich  ebenso  im 
Chron.  Moissiacense  stehen,  einige  Worte  über  Widukind  aber  nicht 
nur  da,  sondern  auch  in  den  Ann.  Laureshamenses.  So  ergibt  sich 
auch  hieraus,  dafs  dem  Chron.  Moissiac.  ein  vollständigerer  Text  der 
Ann.  Lauresham.  vorgelegen  hat;  die  Herkunft  der  besonderen 
sächsischen  Nachrichten  aber  vermutet  Dehio  in  einer  Aufzeichnung, 
welche  auch  in  den  von  Adam  angeführten  liber  donationum 
Bremensis  ecclesiae  aufgenommen  sein  möchte,  ein  Buch, 
welches  nach  V.  Ansk.  c.  41  von  Anskar  angelegt  sein  dürfte.  Simson 
dagegen,  Forsch.  XIX,  134,  nimmt  einfach  die  Lauresham.  in  voll- 
ständigerer Form  als  Quelle. 

Wir  gedachten  schon  oben  der  grofsartigen  Idee  Kaiser  Karls, 
an  den  äufsersten  Grenzen  seines  Reiches  Metropolen  zu  errichten, 
welche  das  Christentum  weit  über  die  Marken  hinaus  tragen  und 
den  geistlichen  Einflufs  des  Kaisertums  dahin  erstrecken  sollten, 
wo  man  seine  Waffen  nicht  mehr  fürchtete.  Das  Heidentum  war 
der  christlichen  Kirche  unversöhnlicher  Feind,  es  hing  genau  zu- 
sammen mit  der  alten  freien  Gemeindeverfassung,  und  aus  beiden 
entsprangen  die  unablässigen  Raubzüge,  von  denen  die  germanischen 
Nationen  jetzt  abgelassen  hatten,  vor  denen  sie  nun  aber  in  ihren 
gefährdeten  Grenzen  keine  Ruhe  fanden,  bis  die  Ausbreitung  des 
Christentums  dem  alten  Unwesen  ein  Ende  machte. 

Hamburg  war  dazu  bestimmt,  der  kirchliche  Mittelpunkt  des 
Nordens  zu  werden-).  Ludwig  achtete  nicht  sogleich  auf  den  un- 
ausgeführt gebliebenen  Gedanken  seines  Vaters ;  als  aber  der  flüchtige 
Dänenkönig  Harald  die  Taufe  verlangte  und  Anskarius  oder 
Ansgarius,  der  ihn  als  Lehrer  der  Seinen  begleitete,  bald  auch 
auf  Schweden  seine  Wirksamkeit  ausdehnte,  da  lebte  der  alte  Plan 

alten  Sanctgaller  Catalog,  NA.  X.  169.  Ebert  II,  340.  Hauck  II.  350 
bis  352. 

^)  G.  Dehio,  Gesch.  des  Erzb.  Hamburg-Bremen  bis  zum  Ausgang  der 
Mission  (Berl,  1877)  Ib  S.  51 — 53.  Alcvin  läfst  789  „dilectissimum  meum 
Uilhaed  episcopum"  grüfsen,  ep.  13  JafFe.    Epp.  IV,  31. 

-)  Rimberts  bestimmte  Angaben  über  Karls  Absicht  zu  bezweifeln, 
sehe  ich  keinen  Grund,  wenn  auch  zuzugeben  ist,  dafs  sie  keine  völlig 
genügende  Sicherheit  gewähren. 


298  II-  Karolinger.     §  17.    Sachsen. 

wieder  auf  und  Anskar  wurde  831  zum  Erzbischofe  von  Hamburg 
geweiht.  Doch  fehlte  Karls  starke  Hand  zum  Schutze  der  neuen 
Schöpfung,  welche  dem  in  Dänemark  und  Schweden  neu  ei'starkten 
Heiden  tume  gegenüber  keine  erhebliche  Wirksamkeit  gewinnen  konnte. 
Die  Reichsteilung  entzog  Anskar  die  Einkünfte  der  ihm  angewiesenen 
Zelle  Turholt  in  Flandern,  und  845  wurde  Hamburg  selbst  von  den 
Dänen  verwüstet^),  eine  Zerstörung,  welche  Kunik  (mit  Adam  von 
Bremen)  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  839  stattfinden 
lassen  will.  Da  vereinigte  Ludwig  der  Deutsche  847  das  ei-ledigte 
Bistum  Bremen  mit  dem  Erzbistum  und  sicherte  dadurch  dessen 
Bestand.  Anskarius  konnte  nun  mit  ausreichenden  Mitteln  seine 
Wirksamkeit  fortsetzen  und  starb  nach  einem  Leben  voll  rastloser 
Thätigkeit  am  3.  Februar  865. 

Einst  hatte  er  in  seiner  Zelle  Turholt  in  Flandern  einen  Knaben 
bemerkt,  der  ihm  besonders  hoffnungsreich  erschien;  es  war  Rimbert, 
den  er  zum  Geistlichen  erziehen  liefs,  und  der  dann  bald  als  sein 
treuester  und  liebster  Jünger  sein  unzertrennlicher  Gefährte,  zu- 
letzt sein  Nachfolger,  wurde.  Dieser  ist  es,  der  mit  einem  andern 
Schüler  Anskars  zusammen ")  in  Hamburg  das  Leben  des  Meisters 
bald  nach  dem  Tode  desselben  geschrieben  hat^),  voll  warmer  und 
inniger  Liebe,  zugleich  aber  reicher  an  Inhalt,  als  die  Mehrzahl  der 
übrigen  Biographien  ähnlicher  Art.  Anskars  Leben  gehört  ohne 
Frage  zu  den  bedeutendsten  Quellenschriften  des  Mittelalters;   die 

^)  Fr.  Karl  Kraft,  De  Ansgario  aquilonarium  gentium  apostolo  (kl. 
Schulschriften,  Stuttg.  1843)  vermutet,  dafs  das  inzwischen  wieder  er- 
baute castellum  845  zerstört  worden  sei,  und  bezieht  die  Worte  „unde 
digressi"  bei  Prudentius  845  auf  die  Sachsen. 

2)  Diese  Angabe  der  V.  Rimb.  c.  9  bekämpft  Koppmann,  Die  mittel- 
alterlichen Geschichtsquellen  in  Bezug  auf  Hamburg  (1868)  S.  25.  86 — 38. 
Doch  scheint  mir  der  Verfasser  jener  Vita  noch  eine  bestimmte  Ueber- 
lieferung  gehabt  zu  haben,  und  eine  Ungleichheit  im  Stile  braucht  des- 
halb nicht  hervorzutreten. 

3)  V.  Rimb.  c.  9.  Adam  Br.  I,  36.  V.  Änskarii,  MG.  II,  683—725, 
herausgegeben  von  Dahlmaun,  der  in  den  Anmerkungen  leider  noch  das 
unechte  Chron.  Corbejense  benutzt  hat.  Oktavausgabe  v.  Waitz  1884; 
vgl.  die  Bemerkungen  von  Kunik.  Forsch.  XXIV,  191—197  (der  das  in 
c.  30  erwähnte  Apulia  in  dem  heutigen  Apule  oder  Opule  im  Nordwesten 
des  Kownoschen  Gouvernements  wiederfinden  will).  Ueber  eine  ehemals 
dem  Kloster  Nordhorn  gehörige  Hs.  der  V,  Änskarii  s.  Hist.  Jahrb.  XV, 
373.  Uebersetzt  von  Laurent,  1856.  1889.  Geschichtschr.  22  (IX,  7). 
Ueber  die  neueren  Bearbeitungen  s.  H.  A.  Schumacher  im  Brem.  Jahr- 
buch II,  444—468,  und  jetzt  ausführlich  über  diese  und  über  A.  über- 
haupt G.  Dehio  a.  a.  0.  Ebert  II,  341— .343.  Anskars  Pigmenta  (Gebete 
zu  den  Psalmen)  hat  Lappenberg  herausgegeben.  Zeitschr.  f.  Hamb. 
Gesch.  II,  1  £F.  Vgl.  Koppmann,  AUg.  D.  Biogr.  I,  480—483.  Hauck 
[I,  673—685.     H.  von  Schubert,  Ansgar,  Kiel  1901. 


Anskarius  und  Rimbert.  299 

ganze  reiche  Wirksamkeit  des  glauben sstai-ken  Erzbischofs,  das  volle 
Bild  seiner  grofsartigen,  kindlich  demütigen  und  doch  so  verstän- 
digen Persönlichkeit  tritt  uns  lebensvoll  darin  entgegen,  und  über 
die  Zustände  des  Nordens  verbreiten  die  einfachen  und  zuverlässigen 
Aufzeichnungen  Rimberts  das  erste  Licht.  Dafs  auch  Träume,  Visionen, 
Wunder  einen  grofsen  Raum  darin  einnehmen,  liegt  in  der  Natur 
der  Verhältnisse;  geschrieben  wurde  das  Buch  für  die  Mönche  des 
Klosters  Corbie,  aus  dem  Anskar  hervorgegangen  war,  dessen  Mönche 
ihn  begleitet  hatten,  und  diesen  lag  mehr  daran,  ihren  grofsen  Kloster- 
bruder als  einen  Heiligen  geschildert  zu  sehen,  als  von  den  nordischen 
Heiden  genaue  Nachrichten  zu  erhalten.  Man  darf  es  bei  der  Be- 
urteilung dieser  Litteratur  nie  vergessen,  dafs,  was  wir  am  meisten 
darin  zu  finden  wünschen,  gewöhnlich  von  den  Verfassern  wie  von 
den  Lesern  als  Nebensache  betrachtet  wurde. 

Hier  aber  brachte  es  die  ganze  Art  der  Thätigkeit  Anskars  mit 
sich,  dafs  auch  die  äufseren  Verhältnisse,  in  denen  er  sich  bewegte, 
geschildert  werden  mufsten,  und  uns  zum  Glücke  hat  Rimbert  vieles 
von  dem,  was  er  berichtet,  selbst  mit  durchlebt  und  gesehen.  Dai'um 
reiht  sich  dieses  Leben  an  Fülle  dem  früheren  Severins,  dem  späteren 
Ottos  von  Bamberg  an.  Unbedeutend  dagegen  ist  des  wackeren 
Rimbert  eigene  Lebensbeschreibung  0,  von  unbekanntem  Verfasser. 
Geschrieben  ist  sie  zu  Lebzeiten  seines  Nachfolgers  Adalgar,  Erz- 
bischofs von  888—909. 

Eine  fabelhafte  Legende  läfst  die  Gebeine  der  in  der  Normannen- 
schlacht am  2.  Februar  880  gefallenen  Sachsen,  die  man  als  Märtyrer 
zu  verehren  anfing,  von  dem  Kloster  Ebstorf  in  der  Lüneburger 
Heide  nach  Hamburg  übertragen  werden.'  Zu  dieser  angeblichen 
Translation  (Leibn.  SS.  I)  sind  Supplemente  gegeben  im  Catal.  codd. 
hagiogr.  Brux.  II,  122 — 124.  Merkwürdig  ist,  dafs,  als  drei  weitere 
Köpfe  gebracht  werden,  die  andern  „laudem  quae  vulgo  herwis 
dicitur"  sangen. 

§18.     Fortsetzung.     Corvej.     Gandersheim. 

In  Fulda,  wie  in  Friesland,  in  Münster  und  Bremen,  waren  es 
Angelsachsen,    welchen    die    Grundlagen    der    neuen    Entwickelung 

^)  F.  Rimberti  ed.  Pertz,  MG-.  II,  764—775.  Ausg.  von  Waitz  mit  der 
V.  Anskarii.  Uebersetzt  von  Laurent  1856.  1889  mit  Anskars  Leben. 
Ebert  III,  193—195.  Brief  von  Ratramnus  an  Rimbert  über  die  Hunds- 
köpfe in  Hilgenfelds  Zeitschr.  f.  wiss.  Theol.  1881.  Ein  zweiter  bei  Wil- 
mans  Kaiserurkk.  I.  566,  beide  Epp.  VI.  155—158. 


300  II-  Karolinger.     §  18.    Corvey.     Gandersheim. 

verdankt  wurden;  bei  Anskar  aber  war  ein  solcher  Einflufs  nicht 
nachzuweisen.  Von  Kindheit  an  im  Kloster  Corbie  an  der  Somme 
erzogen,  übernahm  er  dort  schon  früh  die  Leitung  der  Kloster- 
schule und  wurde  dann  der  erste  Vorsteher  der  Schule  in  dem  neu 
gegründeten  Tochterkloster  Corvey  in  Sachsen. 

Diese  Stiftung  war  eine  Frucht  der  nicht  blofs  äufserlich  durch 
Zwang  und  Eroberung,  sondern  auch  innerlich  vollzogenen  Einigung 
des  fränkischen  und  des  sächsischen  Stammes.  Schon  König  Pippins 
Bruder  Bernhard  hatte  eine  sächsische  Gemahlin  und  Bernhards 
Söhne,  Adalhard  und  Wala,  nahmen  sich  eifrigst  der  Bekehrung 
und  Belehrung  ihres  Volkes  an. 

Adalhard  hatte  Karls  Hof  verlassen,  als  dieser  die  Tochter 
des  Königs  Desiderius  verstiefs,  war  in  Corbie  Mönch  geworden, 
und  weil  hier  die  Besuche  seiner  vornehmen  Verwandten  die  klöster- 
liche Ruhe  störten,  nach  Montecassino  entwichen.  Aber  Karl  rief 
ihn  von  da  zurück;  er  wurde  Abt  von  Corbie  und  mufste  von 
neuem  an  den  Reichsgeschäften  teilnehmen.  Namentlich  hat  er 
längere  Zeit  hindurch  eine  sehr  bedeutende  Stellung  in  Italien  ein- 
genommen.   Wala  aber  war,  als  Karl  starb,   über  Sachsen  gesetzt. 

Karl  wünschte  aus  den  Sachsen  selbst  Lehrer  des  Christentums 
zu  erziehen,  und  deshalb  hatte  er  gefangene  und  als  Geiseln  über- 
geben e  Sachsenknaben  in  verschiedene  Klöster  verteilt;  viele  derselben 
waren  Adalhards  Obhut  in  Corbie  übergeben,  und  dieser  gedachte  in 
Sachsen  selbst  ein  Kloster  zu  gründen,  aber  seine  Sendung  nach 
Italien  verhinderte  die  Ausführung.  Als  Ludwig  zur  Regierung  kam 
und  mit  dem  kleinlichsten  Hasse  die  Staatsmänner  seines  Vaters 
verfolgte,  wurde  Adalhard  nach  Noirmoutiers  verbannt'),  Wala  aber 
Mönch  in  Corbie.  Dieser  betrieb  nun  mit  dem  gröfsten  Eifer  die 
Stiftung  eines  Klosters  unter  dem  Volke,  dem  er  durch  seine  Mutter 
angehörte;  schon  815  wurde  zu  Hethis  im  Solling')  eine  Zelle  erbaut, 
aber  der  Ort  war  ungünstig  und  das  neue  Kloster  fing  erst  an  zu 
gedeihen,  als  Adalhard  wieder  Einflufs  gewonnen  hatte  und  Kaiser 


^)  Dort  liefs  er  die  Historia  tripartita  abschreiben:  „Hie  codex  Hero 
insula  scriptus  fuit  iubente  sancto  patre  Adalhardo  dum  exularet  ibi". 
Mab.  de  re  dipl.  tab.  V.  Jetzt  ist  die  Hs.  in  Petersburg,  NA.  V,  248 ; 
eine  andere  S.  252.  Adalhards  Statuten  von  Corbie  herausg.  von  Levillain. 
Moyen  äge  2.  ser.,  IV,  .383.  —  Ein  prächtiges,  auf  Befehl  Rodrads  von 
Corbie  853  für  B.  Hilmerad  von  Amiens  geschriebenes  Sacramentar  be- 
schreibt Delisle,  Sacram.  p.  128.     Poet.  Car.  II,  677.  678. 

^)  Dahin  gehört  das  in  Pfeiffers  Germania  XIII,  77 — 80  e  cod.  Vat. 
gedr.  Mönchsverzeichnis  s.  IX.  nach  Enck  in  der  Zeitschr.  f.  vat.  Gesch. 
Bd.  37,  S.  212—218,  Münster  1879. 


Adalhard  und  Wala.  301 

Ludwig  822  die  Stiftung  und  den  Neubau  auf  dem  Königshofe 
Höxter  gestattete ').  Hier  erblühte  nun  die  neue  Corbeja,  wohin 
auch  Anskar  damals  als  Lehrer  ging,  rasch  und  kräftig;  nach  Adal- 
hards  Tode  (2.  Januar  826)  wurde  Warin-)  zum  Abt  erwählt.  Auch 
er  hatte  bereits  das  Schwert  geführt  und  es  erst  im  späteren  Alter 
mit  der  Mönchskutte  vertauscht.  Lu  Jahre  830  empfing  er  in 
seinem  Kloster  einen  vornehmen  Gast,  Hildvin,  den  Abt  von  St.  Denis, 
der  nach  Corvey  verbannt  war.  Die  liebevolle  Aufnahme,  welche 
dieser  bei  Warin  fand,  dankte  er  ihm  später  nach  seiner  Rückkehr 
durch  ein  kostbares  Geschenk,  den  Leib  des  heiligen  Veit,  der  836 
nach  Corvey  gebracht  und  hinfort  als  der  Hort  und  Schutz  des 
sächsischen  Volkes  betrachtet  wurde. 

Ueber  diese  Ereignisse  berichtet  uns  ein  ungenannter  Mönch  von 
Corvey  in  der  Erzählung  von  der  Uebertragung  des  heiligen 
Veit^),  der  er  selbst  beigewohnt  hatte.  Es  kann  wohl,  obgleich 
Jaffe  es  nicht  gelten  lassen  wollte,  nicht  zweifelhaft  sein,  dafs  dem 
Berichte  von  der  Uebertragung  und  den  Wundern  die  Erzählung  der 
Stiftung  des  Klosters  erst  nachträglich  vorangestellt  ist,  doch  ver- 
mutlich von  demselben  Verfasser  oder  mindestens  einem  Zeitgenossen. 
In  Corbie  dagegen  schrieb  Radbert,  mit  dem  Beinamen  Paschasius, 
einer  der  bedeutendsten  unter  den  gelehrten  Theologen  dieser  Zeif), 


')  So  Simson,  Ludw.  d.  Fr.  II,  2f)6.  Wilmans  Kaiserurkunden  I. 
463  ff.,  scheint  der  Y.  Adalhardi  zu  viel  Glauben  geschenkt  zu  haben, 
und  überschätzte  Alter  und  Autorität  der  Fundatio  Corbejcnsis,  gedr.  ib. 
T,  507.  Vgl.  Kodenberg.  Die  Vita  Walae,  S.  97—104.  Gegen  beide 
verwirft  Holder-Egger  in  der  neuen  Ausg.  SS.  XY,  2,  1043 — 1045  die 
Annahme  einer  älteren  Gründungsgescliichte ,  er  sieht  in  der  2.  Form 
nur  eine  Erweiterung  der  ersten.  Diese,  kurz  vor  1158  geschrieben, 
wurde  zu  den  Zusätzen  zu  Thietmar  benutzt,  welche  der  Annalista  Saxo 
aufnahm.     Vgl.  NA.  XIX.  252. 

^)  Ihm  (Placidius)  widmete  Paschasius  Radbertus  zwei  seiner  Schriften, 
Ebert  II,  232.  235.     Epp.  VI,  132. 

^)  Historin  Tramlationis  S.  Viti  ed.  Papebroch,  Acta  SS.  Jun.  II,  1029 
bis  1037.  Pertz  MG.  II.  576—585  wiederholte  die  ältere  Ausgabe 
Mabillons,  welcher  der  Prolog  fehlt;  Handschriften  fehlen.  Neue  kritische 
Ausgabe  von  Jaffe,  Bibl.  I,  1 — 26.  üebers.  v.  Grandaur  1888  nach  V. 
Eigilis.  Vgl.  Enck,  De  S.  Adalhardo  abb.  (Diss.  Monast.  1873)  S.  60: 
Translatio  S.  Viti  quo  tempore  scripta  quaeque  ei  fides  tribuenda  esse 
videatur.  Ebert  II,  336-338;  Hauck  III,  297.  Der  Verfasser  hat  die  V. 
Adalhardi  schon  benutzt.  Späten  Ursprungs  und  kaum  brauchbar  ist 
S.  Justini  translatio  Roma  Corbejam  891,  wozu  949  sein  Kopf  von  Magde- 
burg kam,  ed.  Meibom  SS.  I,  769;  cfr.  Acta  SS.  Aug.  I,  33. 

*)  Seine  Briefe  Epp.  VI,  132—149.  Dümmler,  NA.  IV,  301-305. 
Ebert  II,  230—244;  ib.  244—247  über  Ratram,  Mönch  von  Corbie.  Epitaph 
des  Abts  Ratold  (986)  NA.  V,  622.  —  V.  Pascasii  liadberti  aus  dem  12. 
oder  13.  Jahrhundert  ed.  Holder-Egger,  SS.  XV,  452—454. 


302  II-  Karolinger.     §  18.    Corvey.     Gandersheim. 

aus  einer  trüben  Gegenwart  heraus  das  Leben  der  grofsen  Brüder 
Adalhard  und  Wala,  jedoch  so  übei-laden  mit  rednerischem  Schmucke, 
dafs  die  Thatsachen  nur  mühsam  herauszufinden  sind.  Adalhards 
LebenO  ist  bald  nach  seinem  Tode,  noch  bei  Lebzeiten  des  Wala 
geschrieben;  es  ist  eigentlich  nur  eine  Totenklage,  nach  Traubes 
Vermutung  mit  dem  Rotulus  an  die  verbrüderten  Klöster  versandt, 
und  nachträglich,  als  Wala  nicht,  wie  er  gewünscht,  Abt  von  Corvey 
geworden  war,  mit  Zusätzen  versehen.  Die  hinzugefügte  Egloga, 
ein  Wechselgesaug  der  alten  und  der  neuen  Corbeja,  ist  ohne  die 
Vita  unverständlich  und  gehört  notwendig  dazu.  Schwülstiger  und 
schwer  verständlich  ist  das  sogen.  Leben  des  Wala^)  (f  836), 
richtiger  Epitaphium  Arsenii,  welches,  vielleicht  aus  Nachahmung 
des  Cicero^)  in  Gesprächsform  verfafst,  aus  Furcht  vor  Karl  dem 
Kahlen  die  Namen  und  Dinge  durch  Verschleierung  in  absichtliche 
Dunkelheit  hüllt;  aufserdem  war  der  Verfasser  nichts  weniger  als 
unbefangen  und  folgte  zur  Verherrlichung  seines  Helden  und  zur 
Erbauung  seiner  Leser,  wie  billig,  kirchlichen  Gesichtspunkten, 
politische  lagen  ihm  ferner,  aber  er  ist  doch  z.  T.  als  Augenzeuge 
auf  das  genaueste  unterrichtet  und  sein  Werk  bleibt  daher,  richtig 
verstanden,  eine  der  wichtigsten  Quellen,  namentlich  für  die  Jahre 
830—834. 

Natüi-lich  begannen  schon  unter  Adalhard  Schenkungen  dem 
neuen  Kloster  zuzuströmen;  diejenigen  Traditionen,  über  welche 
eigene  Urkunden  nicht  ausgestellt  waren,  was  damals  noch  selten 
geschah,  wurden  bis  1037  unter  Abt  Druthmar  auf  eine  Rolle  ge- 
schrieben und  von  dieser  durch  den  Bruder  Johannes  abgeschrieben. 
Es  begegnete  ihm  aber  dabei  das  Unglück,  dafs  er  mit  der  Rück- 
seite anfing,  weshalb  die  ältesten  Traditionen  unter  Adalhard  erst 
§  225  beginnen^). 

1)  Acta  SS.  Jun.  I,  96—111.  Mab.  IV,  1,  308—344.  Excerpte  MG.  II, 
524 — 532.  Die  Egloga  mit  anderen  Versen  Radberts  ed.  Traube,  Poet. 
Gar.  III,  38—53.  746—747;  vgl.  dens.  0  Roma  nob.  S.  310—312.  Vgl. 
Hauck  II,  172—174. 

2)  Mab.  IV,  1,  455—522.  Excerpte  MG.  II,  533—569.  Radberts  Epi- 
taphimn  Arsenii,  herausg.  von  Dümmler,  Abhandl.  der  Berl.  Akad.  von 
1900  mit  Schrifttafel  (vgl.  NA.  XXVII,  291).  Vgl.  Himly,  Wala  et  Louis 
le  Deboimaire,  Paris  1849.  C.  Rodenberg,  Die  Vita  Walae  als  bist.  Quelle, 
Gott.  1877.  Anspielungen  auf  Zeitgeschichte  auch  in  Radberts  Bibel- 
commentaren.  —  Gedichte  des  Engelmod  von  Corbie,  Bischofs  von 
Soissons  (862—864),  ed.  Traube,  Poet.  Gar.  III,  54—66.  747. 

3)  Nach  Traube,  Poet.  Gar.  III,  42. 

*)  Nachgewiesen  von  H.  Dürre,  Ueber  die  angebliche  Ordnungslosig- 
keit  und  Lückenhaftigkeit  der  Traditiones  Corbejenses,  im  Progr.  d.  Gymn. 
in  Holzminden,  1877,  u.  Zeitschr.  f.  Westf.   Gesch.   Bd.  36,  II,  164—185. 


Wala.     De  ovd.  palatii.     Translationen,  303 

Verloren  sind  uns  leider  Adalhards  Briefe,  und  nur  in  einem 
Auszuge  Hinkmars  erhalten  seine  Schrift  über  die  Hof  Ordnung 
Karls  des  Grofsen^),  welche  auch  so  noch  zu  den  lehrreichsten 
Denkmälern  dieser  Zeit  gehört,  deren  Zuverlässigkeit  aber  durch 
die  Ueberarbeitung  ungewifs  geworden  ist.  Hinkmar  war  nän:lich 
damals  aus  seiner  einfluFsreichen  Stellung  verdrängt  und  sehr  un- 
zufrieden; er  kämpfte  vergeblich  für  die  Unabhängigkeit  der  Bischofs- 
wahlen und  klagte  über  den  ungeordneten  Einflufs  von  Günstlingen. 
Deshalb  stellte  er  hier  Karlmann,  dem  Sohne  Ludwigs  des  Stammlers, 
882  ein  ideales  Bild  der  guten  alten  Zeit  vor  Augen.  Mit  der  Wahr- 
heit nimmt  Hinkmar  es  auch  sonst  nicht  eben  genau,  und  Vorsicht 
ist  daher  dringend  geboten.  Im  allgemeinen  aber  entspricht  die 
Darstellung  den  wirklichen  Verhältnissen,  wie  sie  uns,  freilich  un- 
vollkommen genug,  aus  Karls  Zeit  bekannt  sind. 

Das  Andenken  Walas  hat  sich,  wie  R.  Wilmans  sehr  scharf- 
sinnig nachgewiesen  hat,  in  dem  Nonnenkloster  Herford,  einer 
von  dei-selben  Familie  ausgegangenen  Stiftung,  erhalten.  Man  nannte 
ihn  Walder  oder  Waltger  und  Wigand,  ein  Landpfarrer,  viel- 
leicht von  Kirchdornberg,  schrieb  im  13.  Jahrhundert  seine  Legende, 
in  welcher  freilich  von  der  wirklichen  Geschichte  nur  noch  schwache 
Spuren  geblieben  sind')- 

Das  Leben  der  I  d  a ,  der  Mutter  Warins  (welche  Verwandtschaft 
aber  sehr  zweifelhaft  ist),  ist  erst  auf  Anlafs  ihrer  Erhebung  980 
durch  den  Bischof  Dodo  von  Münster  unter  Abt  Liudolf  von  üffing, 
einem  Werdener  Mönche,  geschi'ieben  und  erscheint  wenig  glaub- 
würdig^). 

Einige  Nachrichten  über  diese  ersten  geistlichen  Stiftungen  im 
Sachsenlande  sind  uns  ferner  noch  erhalten   in  den  Berichten   über 


Eine  grössere  Lücke  zwischen  beiden  Hälften  erwies  Mart.  Meyer,  Zur 
alt.  Gesch.  Corveys  S.  1—10.  Ausgabe  von  Wigand  1843.  Wertvolle 
Erläuterungen  gibt  E.  Schröder,   Mitteil.   d.  Inst.  XVIH  (1897),  27—52. 

^)  Hincmari  epistola  de  ordine  palatii,  gedr.  u.  a.  in  Walters  Corp. 
Jur.  Germ.  III,  761—772.  Gengier,  Germ.  Rechtsdenkmäler,  S.  692. 
Migne  CXXV.  Ausg.  v.  Prou,  Bibl.  de  l'Ecole  des  hautes  etudes  58.  1884; 
von  Krause  MG.  Capitul.  reg.  Franc.  II,  517—5.30  und  einzeln  1894.  Vgl. 
Pernice,  De  Comitibus  palatinis  (1863)  p.  47—50.  C.  v.  Noorden,  Hinkmar 
S.  885.     Waitz,  Verfassungsgesch.  III,  412. 

2)  Vita  WaJtgeri,  im  Auszuge  bei  Heinrich  von  Herford.  Neue,  erste 
krit.  Ausg.  bei  R.  Wilmans  Kaiserurkk.  I,  488—501 ;  dazu  S.  275—318 
wichtige  Untersuchungen  über  die  merkwürdige  Familie  und  ihre  Stif- 
tungen. 

^)  Erste  zuverlässige  Ausgabe  von  R.  Wilmans  a.  a.  0.  469 — 488, 
vgl.  S.  539  flg.  Ebert  III,  463—465.  Vgl.  Hüsing,  Genealogie  der  h.  Ida, 
Zeitschr.  f.  vaterl.  Gesch.  38,  Münster  1.880. 


304  II-  Karolinger.    §  18.    Corvey.     Grandersheim. 

die  Erwerbung  und  Uebertragung  der  Reliquien,  welche  zu  ihrem 
Gedeihen  nun  einmal  unerläfslich  waren;  so  erhielt  Herford  860 
die  heilige  Pusinna^),  Paderborn  schon  836  aus  Le  Mans  den 
heiligen  Liborius^);  die  Erzählungen  davon  sind  aber  erst  gegen 
das  Ende  des  neunten  Jahrhunderts  verfafst,  die  letztere  durch  den 
Bischof  Biso,  einen  Zeitgenossen  des  Kaisers  Arnulf,  veranlafst, 
während  die  uebertragung  ein  Werk  des  Bischofs  Badurad  war. 
Ein  gleiches  Verhältnis  beider  Bischöfe  begegnet  uns  darin,  dafs  zu 
Badurads  Zeit  Mainulf,  ein  vornehmer  Sachse,  Kanonikus  in 
Paderborn  geworden  war  und  das  Nonnenkloster  Boeddeken 
gestiftet  hatte.  Biso  aber  dessen  Leib  feierlich  erheben  liefs,  ver- 
mutlich auch  eine  Lebensbeschreibung  veranlafste.  Diese  ist  jedoch 
verloren;  wir  besitzen  nur  eine  Ueberarbeitung,  welche  von  dem 
Verfasser  S i  g e  w a r  d  einem  nicht  näher  bezeichneten  Alb  in  us  zu- 
geeignet ist.  Der  Herausgeber  C.  Byeus  vermutet  in  jenem  den 
Abt  von  Fulda  (1039 — 1043)  vor  seiner  Erhebung  zur  Prälatur, 
wofür,  wie  Holder-Egger  bemerkt,  keinerlei  Gründe  vorhanden  sind, 
in  Albin  den  berühmten  Lehrer  Albwin  von  Hersfeld,  welcher  1043 
Abt  von  Nienburg  wurde.  Die  Sprache  ist  jener  Zeit  angemessen. 
Reimprosa  mit  übertriebenem  Streben  nach  Schönrednerei,  durch 
Brocken  aus  Horaz  und  Virgil  geschmückt;  es  war  nicht  des  Ver- 
fassers Schuld,  dafs  ihm  geschichtliche  Thatsachen  fast  gar  nicht 
vorlagen,  und  die  Wundergeschichten,  welche  er  zu  berichten  hatte, 
noch  alberner  waren  als  gewöhnlich  ^). 

Auch  das  Leben  der  heiligen  Llutbirg"*),  einer  Klausnerin 
zu  Michaelstein  unweit  Blankenburg,  die  bis  zu  den  Zeiten  König 
Ludwigs  des  Jüngeren  (876 — 882)  lebte  und  als  Lehrerin  der 
weiblichen  Jugend  wirkte,  gibt  Kunde  von  dem  Eifer,  mit  welchem 


^)  Translcäio  S.  Pimnnae,  in  berichtigtem  Abdruck  bei  Wilmans  a.  a.  0. 
541—546.  Auszug  SS.  II,  681.  Bei  Henr.  de  Hervordia  ed.  Potthast  p.  59 
sind  noch  mehr  Wunder. 

2)  Translatio  S.  Liborli,  MG.  SS.  IV,  149—157.  Uebers.  von  Grandaur 
bei  V,  Eigilis.  Vgl.  Conr.  Mertens,  Der  h.  Liborius.  Sein  Leben,  seine 
Verehrung  u.  seine  Reliquien.  Paderborn  1873.  Ebert  III,  204 — 200. 
Hüffer,  Koi-veier  Stud.  22 — 47.  51 — 55  sucht  in  nicht  überzeugender 
Weise  Agius  als  Verfasser  zu  erweisen. 

3)  Vita  S.  Mainulfi  ed.  Corn.  Byeus,  Acta  SS.  Oct.  III,  209—216. 
Dann  folgt  die  neue  Bearbeitung,  welche  von  Gobelinus  Person  (s.  die 
Ausg.  des  Cosmidrom.  von  Jansen  S.  XXXVII)  verfafst  ist,  wie  Holder- 
Egger  durch  die  Trierer  Hs.  sichert.  Ausg.  d.  älteren  Vita  SS.  XV, 
411—417. 

■»)  Bei  A.  Lang,  De  Sanctis  0.  S.  Benedicti.  B.  Pez  Thes.  II,  3,  146. 
Eccard,  Hist.  genealog.  princip.  Saxoniae  super,  col.  525  —  548.  MG.  SS. 
IV,  158—164  im  Auszuge. 


Mainulf.     Liutbir^'.     Corvey.  305 

die  Neubekebrten  sich  der  Kirche  zuwandten,  und  ist  merkwürdig 
durch  die  darin  enthaltenen  Angaben  über  die  Nachkommen  jenes 
Hessi,  des  Fürsten  der  Ostfalen,  welcher  sich  775  Karl  dem  GroTsen 
unterworfen  hatte.  Mancherlei  Schwiei'igkeiten  in  dem  Berichte 
des  Halberstädter  Geistlichen ,  dem  wir  dies  Leben  verdanken, 
namentlich  der  ^Yiderspruch  zwischen  der  Eingeschlossenheit  Liut- 
bii'gs  und  ihrem  anscheinend  freien  Verkehr  mit  der  Aufsenwelt, 
sowie  Anspielungen  auf  erst  später  entstandene  Gebäude,  bewogen 
Alb.  Reinecke,  zumal  da  die  handschriftliche  Ueberlieferung  erst 
dem  15.  Jahrhundert  angehört,  diese  Schrift  der  zweiten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  zuzuweisen '),  dennoch  bleibt  gleichzeitige  Ab- 
fassung wahrscheinlicher. 

In  Corvey  wurden  zu  Ostertafeln,  die  man  zu  Werden  oder 
Münster  mit  der  dort  gepflegten  insularen  Hand  begonnen  und  mit 
einigen  Nachrichten  bis  840  ausgestattet  hatte,  weitere  zunächst 
bis  879  hinzugefügt.  Als  Geschichtswerk  kann  man  diese  kurzen 
Notizen  nicht  betrachten,  und  auch  der  materielle  Inhalt  ist  für 
die  vorliegende  Periode  fast  ohne  Bedeutung^).  Dagegen  hat  der 
Abt  Bovo  I.  (879 — 890),  ein  Neffe  Warins,  oder  nach  Wilmans 
minder  glaublicher  Vermutung  vielmehr  Bovo  II.  (900 — 916),  ein 
Werk  geschrieben ,  aus  welchem  Adam  von  Bi'emen  (1 ,  41)  ein 
wertvolles  Bruchstück  über  die  Normannenschlacht  von  884  er- 
halten hat^).  Er  führt  es  ein  mit  den  Worten  „de  sui  tem- 
poris  actis  scribens  non  reticuit  dicens",  und  danach  möchte  man 
an  ein  W^erk  über  die  Geschichte  seiner  Zeit  denken,  doch  fällt 
es  auf,  dafs  nirgend  sonst  sich  eine  Spur  davon  findet,  auch  Adam 
nur  diese  eine  Anführung  hat.  Die  Hauptsache  ist  das  Verdienst 
des  Erzbischofs  Rimbert,  von  welchem  ein  Brief  über  denselben 
Vorfall  in  die  Fulder  Annalen  aufgenommen  war,  aber  leider 
in  unserer  Handschrift  ausgelassen  ist.  Adam  bezeichnet  den  Vor' 
gang  als  ein  Wunder,   und  vielleicht  waren  Wundergeschichten  der 

^)  Das  Leben  der  heil.  Liutbirg,  Zeitschr.  des  Harzvereins  XXX, 
1—34,  vgl.  NA.  XXIII,  582. 

*)  Annales  Corbejense.f,  MG.  SS.  III,  1 — 18;  berichtigte  Ausgabe  von 
Jaffe,  Bibl.  I,  28—65,  wo  7  Notizen  809—840  als  Ann.  aiä  Monaxterienses 
mit  Werthinenses  ausgeschieden  sind.  Von  anderer  Hand  sind  Ann.  Corb. 
822 — 879  eingetragen,  dann  gleichzeitige  Fortsetzungen  880 — 1117.  Vgl. 
oben  S.  166.  Zu  warnen  ist  vor  der  Verwechselung  mit  dem  unechten 
Chron.  Corbejense.  Gröfseres  Facs.  mit  den  Veränderungen  der  Schrift 
vom  7.  bis  12.  Jahrhundert  in  Wigands  Arch.  f.  Gesch.  Westf.  V. 

^)  Abgesondert  als  Bovonis  de  sui  temporis  actis  fragmentum,  heraus- 
gegeben von  Jaffi-,  Bibl.  I,  27.  vgl.  Wilmans  a.  a.  0.  S.  304,  dagegen 
Hauck  III,  298  A.  4. 

Wattenbach,  Gesehichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  20 


306  iT-  Karolinger.     §  18.    Corvey.     Ganclersheim. 

Inhalt  des  Werkes.  Derselbe  Bovo  IL  zeichnete  sich  durch  seine 
Kenntnis  des  Griechischen  aus  und  erregte  allgemeines  Erstaunen, 
als  er  dem  Könige  Konrad  ein  griechisches  Schreiben  auszulegen 
vermochte,  vermutlich  913,  als  der  König  das  Kloster  besuchte'). 
Wir  besitzen  aber  noch  eine  Schrift  von  ihm,  welche  durch  Gelehr- 
samkeit und  vortreffliche  Latinität  der  besten  karolingischen  Schule 
vollkommen  würdig  ist,  und  auch  griechisch  geschriebene  Wörter 
enthält,  welche  Kunde  der  Sprache  zeigen,  nämlich  einen  Kommentar 
zu  Boeth.  de  consol.  phil.  III  metr.  IX.  Diesen  schrieb  er  auf  den 
Wunsch  des  Bischofs  Bovo,  seines  viel  jüngeren  Blutsverwandten, 
der  unter  ihm  in  Corvey  Mönch  geworden^),  und  jetzt  durch  weite 
Länderstrecken  (longinqua  nimis  terrarum  intercapedine)  von  ihm 
getrennt  war;  er  schrieb  ihm  trotz  schwerer  Sorgen,  ,inter  müserias 
et  aerumnas,  quas  inter  civilia  bella  yt  paganorum,  ut  prophetice 
loquar,  velociores  aquilis  incursiones  sine  cessatione  patimur"  ^). 

Begreiflich  ist  es,  dafs  bei  noch  wachsender  Bedrängnis  auch  hier 
die  Feder  ruhen  mufste,  dafs  von  Bovos  Ruhm  und  seinen  Werken 
nur  eine  dunkle  Erinnerung  blieb,  und  dafs  eine  neue  Zeit  erst 
anbrach,  als  die  Thaten  der  Ottonen  neuen  Anstofs  zu  schrift- 
stellerischer Thätigkeit  gaben. 

Dasselbe  war  der  Fall  in  einem  andern  Kloster,  welches  den 
Ludolfingern  noch  näher  stand  als  Corvey,  in  Gandersheim,  wo 
Graf  Ludolf  selbst  um  850  eine  ältere  Stiftung  erneuert  hatte  und 
Prinzessinnen  seines  Hauses  als  Aebtissinnen  walteten.  Die  erste, 
bis  zum  Jahre  874,  war  Ludolfs  Tochter  Hathumod,  deren  Leben 
von  ihrem  Bruder  Agius  beschrieben  wurde,  der  nach  einer  Yer- 

^)  ,Qui  Crraecas  litteras  coram  Cuonrado  rege  legendo  f actus  est 
clarus."  Cod.  Steinveld.  ad  Widuk.  III,  2,  vgl.  über  ihn  Hauck  III, 
298.  299. 

^)  Nach  dem  sehr  wertvollen,  vom  Beginne  des  Klosters  bis  1146  fort- 
geführten Verzeichnis  der  Aebte  und  der  unter  jedem  aufgenommenen 
Mönche,  neu  herausgegeben  bei  Jaffe,  Bibl.  I,  66—72,  MG.  SS.  XIII, 
274.  Vgl.  dazu  Wilmans,  Kaiserurkk.  der  Prov.  Westf.  I,  511.  Eine 
Ergänzung  bildet  das  von  Delisle  herausgegebene  Bruchstück  des  über 
eonfraternitat.  von  St.  Bertin  aus  dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts,  Bibl. 
de  l'ec.  des  eh.  LX ,  215 — 227,  welches  das  Verzeichnis  der  Corveyer 
Mönche  bis  in  die  Zeit  des  Abtes  Gerbern  (965—983)  enthält.  Bovo 
war  wahrscheinlich  Bischof  von  Chälons-sur-Marne,  f  947,  Bruder  der 
Königin  Frideruna,  Oheim  des  B.  Berengar  von  Cambrai,  s,  MG.  SS.  VIT, 
431,  im  Necr.  Merseb.  zu  Dec.  20,  Neue  Mitt.  XI,  250. 

^)  Herausgegeben  von  A.  Mai,  Class.  Auct.  III,  332—342,  aus  einer 
vatik.  Hs.  Ueber  eine  andere  in  London  ohne  Widmung  und  Schlufs 
s.  Catal.  of  anc.  Manusc.  in  the  Brit.  Mus.,  Part.  II  Lat.  (London  1884) 
S.  74  und  Taf.  57.  Der  Abt  ist  nur  durch  B.  bezeichnet,  kann  aber  kaum 
ein  anderer  sein. 


Hathumod.     Toeta  Saxo.  307 

mutung  von  Pertz  wahrscheinlich  Mönch  in  dem  nahe  gelegenen 
Kloster  Lammspring  war,  aber  ebenso  gut  Corvey  angehört  haben 
kann.  In  der  Form  ahmte  er,  wie  Traube  bemerkt'),  das  Vorbild 
des  Paschasius  Radbertus  nach,  indem  er  zu  der  in  Prosa  geschriebenen 
Biographie  Elegieen  hinzufügte,  die  eine  tiefgefühlte  rührende  Toten- 
klage enthalten-).  Sowohl  die  reine  und  fehlerfreie  Sprache,  die 
gewandte  Ausdrucksweise,  der  fliefsende,  wenn  auch  nicht  ganz 
korrekte  Versbau,  wie  das  zarte  und  sinnige  Gemüt  des  Verfassers, 
den  die  innigste  Liebesgemeinschaft  mit  seiner  Schwester  verbunden 
hatte,  verleihen  diesen  Schriften  einen  ganz  besonderen  Reiz;  die 
mancherlei  Nachrichten  über  die  verschiedenen  Mitglieder  dieser 
zahlreichen  und  ausgezeichneten  Fürstenfamilie  geben  ihnen  aufser- 
dem  noch  einen  grölseren  Wert  für  den  Geschichtsforscher. 

Pertz  hat  die  Vermutung  ausgesprochen,  dafs  wohl  derselbe 
Agius  jener  sächsische  Dichter  sein  möge,  welcher  Einhards 
Jahrbücher  metrisch  bearbeitete.  Dieselben  Vorzüge  des  Ausdruckes 
finden  sich  darin  wieder,  und  die  älteste  vorhandene  Handschrift 
stammt  aus  dem  Kloster  Lammspring ^).  Doch  ist  sie  kein  Original, 
und  jene  Annahme  nicht  ohne  Bedenken,  obwohl  G.  Hüffer  sie  mit 
neuen  Gründen  zu  stützen  versucht  hat^).  Deutlich  aber  bezeichnet 
der  ungenannte  Dichter  sich  als  einen  Sachsen,  den  in  den  ersten 
Jahren  der  Regierung  König  Arnulfs  die  Dankbarkeit  gegen  den 
grofsen  Sachsenbekehrer ,  welchem  er  nicht  allein  den  Glauben, 
sondern  auch  die  litterarische  Bildung  allein  verdankte,  zu  dem 
Unternehmen  getrieben  habe,  Karls  Leben  und  Thaten  in  Versen  zu 
verherrlichen.  Er  hält  sich  dabei  ganz  genau  an  die  Einhardischen 
Annalen  und  an  das  ausdrücklich  citierte  Leben  Karls  von  Einhard, 
welchem  das  letzte,  in  Distichen  verfafste  Buch  entnommen  ist;  nur 
wenige  Schilderungen  aus  eigener  Kenntnis  beleben  die  reizlose  Para- 
phrase.   Von  801  an  haben  ihm  jedoch,  wie  Bernhard  Simson  nach- 


')  0  Roma  nobilis,  S.  310. 

2)  A(/ü  Vita  Hathtcmodae  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  165—189.  Ueber- 
setzung  von  Rückert,  Stuttg.  1845,  von  Grandaur  bei  Vita  Eigilis.  Be- 
nutzung des  Fortunat,  NA.  IV,  527 ;  in  der  Prosa  der  V.  Martini  ib.  XIV, 
166.  Die  Stelle  üijer  den  weibl.  Schmuck  im  2.  Cap.  ist  aus  Isai.  3, 
18—23,  vgl.  Hüffer,  Korveier  Stud.  S.  55—62.  —  Ausg.  des  Dial.  von 
Traube,  Poet.  Car.  III,  369—388. 

*)  Die  nachträglich  gefundene  Brüssler  Handschrift  (Archiv  III,  379) 
stammt  nicht  von  der  Lammspringer,  obgleich  sie  dieselben  Lücken  hat. 
Zur  Zeit  des  Probates  Gerhard  u.  der  Aebt.  Judith  (1178— 1191j  schrieb 
hiev  die  Nonne  Krmengarde  einige  Scliriften  des  h.  Augustin  ab,  Cod. 
Heimst.  204,  s.  0.  v.  Heinemanns  Wolfenb.  C'atalog  I,  S.  185. 

■*)  Korveier  Studien.  Münster  1898  S.  21—47.  62—71. 


308  ^^-  Karolinger.     §  19.    Lotliringen. 

gewiesen  hat,  jene  Annalen  nicht  mehx-  vorgelegen,  sondern  dürftigere, 
den  Hersfeldern  verwandte,  vermutlich  Halberstädter  Annalen,  aus 
welchen  die  falsche  Angabe  über  den  803  zu  Salz  mit  den  Sachsen 
abgeschlossenen  Frieden  sich  erklärt^).  Puckert  (S.  172 — 180)  nimmt 
Benutzung  des  verlorenen  Werkes  (oben  S.  222)  in  einer  Metzer 
Bearbeitung  und  Angehörigkeit  des  Verfassers  zu  St.  Arnulf  in 
Metz  an. 

Aus  andern  Orten  Sachsens  ist  von  geschichtlichen  Leistungen 
in  dieser  Zeit  noch  nichts  zu  melden.  In  Halberstadt,  in  dessen 
Sprengel  auch  Liutbirga  lebte,  wirkte  von  840 — 853  Hemmo  als 
Bischof,  ein  Freund  Hrabans,  als  gelehrter  und  fruchtbarer  theo- 
logischer Schriftsteller  gefeiert,  der  unter  anderm  aus  Rufins  Kirchen- 
geschichte einen  Auszug  in  zehn  Büchern  verfalste;  doch  ist  es 
zweifelhaft,  ob  diese  Schriften  ihm  mit  Recht  zugeschrieben  werden^). 
In  Hildesheim  wurde  für  Bischof  Reginbert  (834—835?  Febr.  12.) 
eine  kanonistische  Handschrift  geschrieben^). 

§  19.     Lothringen. 

Richbodo,  Erzbischof  von  Trier  (795—804),  zugleich  Abt  von 
Lorsch,  wo  er  sich  durch  seine  Bauten  verdient  machte^),  ist  als 
Schüler  Alcvins  bekannt,  und  wird  als  ein  Mann  von  gründlicher 
Gelehrsamkeit  und  Bildung  gerühmt;  Alcvin  warf  ihm  vor,  dafs 
er  die  Aeneide  besser  kenne  als  die  Evangelien.  Ohne  Zweifel 
wird  er  sich  der  Schulen  in  seinem  Sprengel  angenommen  haben  ^). 
Auch  Bischof  Amalarius  (809—814),  der  später  nur  als  Abt  und 
Priester  erscheint,  machte  sich  als  Schriftsteller  bekannt"),  nament- 

')  Poefae  Saxonis  Annalex  de  Gestis  Caroli  magnl  imperatoris ,  ed. 
Pertz,  MG.  I,  225—379.  Wieder  abgedruckt  bei  Migne  XCIX,  6x3—736. 
Jaffe,  Bibl.  IV,  542—627.  Poet.  Car.  IV,  1—71  von  Winterfeld.  Ebert 
III,  125 — 129.  Simsen,  Der  Poeta  Saxo  und  der  Friede  zu  Salz,  Forsch. 
I,  301 — 326.  Pannenborg  vermutet,  dafs  der  Verfasser  der  Gesta  Heinrici  IV. 
dieses  Werk  gekannt  und  nachgeahmt  habe.  Brieden,  Geschichtl.  Werth 
des  Poeta  Saxo.     Progr.  des  Laurentianums  zu  Arnsberg,  1878. 

2j  Hauck  II,  597  Anm.  3  (in  der  1.  Ausg.).  Traube.  Poet.  Car.  III,  422 
Anm.  Der  Lehrer  Heirichs  von  Auxerre  kann  er  nicht  gewesen  sein. 
Vgl.  Bloch  NA.  XXII,  122.  Hraban  widmete  ihm  sein  Werk  De  universo, 
Epp.  V.  470. 

^)  Diese  Hs.  schenkte  später  Biso  von  Paderborn  an  B.  Sigismund 
von  Halberstadt.  W.  Arndt,  Schrifttafeln,  t.  41.  42.  Steinmeyer,  Ahd. 
Gl.  IV,  484. 

*)  Necrol.  Lauresham.  Fontes  III,  150.     MG.  SS.  XXI,  352. 

^)  Kurze  will  ihn  auch  zum  Geschichtschreiber  und  Verfasser  der 
Lorscher  Annalen  machen,  NA.  XXV,  311—313,  aber  ohne  Beweis. 

^)  Seine   Briefe    Epp.   V,   240—274.     Aufser   seinen    Schriften   kirch- 


Trier  und  Prüm,  309 

lieh  durch  seine  weit  verbreiteten  vier  Bücher  über  den  katholischen 
Kultus  (De  ecclesiastic.  officiis),  die  er  Ludwig  dem  Frommen 
widmete.  An  Amalars  Nachfolger  Hetti  (814 — 847)  schickte  Ein- 
hard  mit  einem  freundschaftlichen  Briefe  (ep.  10,  Epp.  V,  132) 
einen  Teil  seiner  kostbaren  Relitiuien ,  vermutlich  für  die  von 
ihm  gestiftete  Kirche  zu  Vallendar.  Von  ihm  hat  sich  eine  An- 
leitung zum  kirchlichen  Unterricht  in  Gesprächsform  erhalten  0; 
ihm  zur  Seite  stand  als  Landbischof  Thegan,  der  schon  erwähnte 
Biograph  Ludwigs  des  Frommen.  Sein  Neffe  und  Nachfolger  war 
Thietgaud  (847  —  863),  Grimalds  Bruder,  aber  sehr  unvorteilhaft 
bekannt  durch  seine  Mitschuld  an  Lothars  IL  Scheidungsgeschichte. 
Am  Ende  des  Jahrhunderts,  nach  der  entsetzlichen  Verheerung  durch 
die  Normannen  882,  war  Katbod  Erzbischof  (883 — 915),  ein  Ala- 
manne,  welcher  885  das  Fest  des  Schutzheiligen  in  St.  Gallen  feierte 
und  sich  in  die  Verbrüderung  aufnehmen  liels').  Er  war  es,  der 
den  vertriebenen  Abt  von  Prüm,  Regln o^,  zu  gelehrten  Arbeiten 
veranlaCste. 

Dieser  Regln o  war  von  Jugend  auf  im  Kloster  Prüm  erzogen, 
wo  schon  unter  dem  Abte  Mark  ward  (829 — 853)  litterarische 
Thätigkeit  bemerkbar  wird.  Verwandt  mit  Lupus,  war  nämlich 
auch  Markward  in  Ferri^res  Mönch  geworden,  wo  damals  Aldrich, 
später  Erzbischof  von  Sens,  Abt  war,  und  nach  Markwards  Erhebung 
zum  Abte  von  Prüm  folgte  sein  Klosterbruder  Ado,  der  als  Erz- 
bischof von  Vienne  seine  Neigung  zur  Geschichtschreibung  bewährt 
hat,  der  Einladung,  eine  Zeit  lang  in  Prüm  zu  wirken.  Markwai'd 
selbst  war  Hüter  und  Lehrer  Karls  des  Kahlen  gewesen,  als  dieser 


liehen  Inhalts,  über  welche  er  mit  Agobard  und  Florus  in  Streit  geriet, 
schrieb  er  nach  der  Gesandtsehaftsreise,  die  er  813  mit  Abt  Peter  von 
Nonantula  nach  Konstantinopel  unternahm,  die  dunkeln  und  in  der  Ueber- 
lieferung  verderbten  f^ersiis  niarini,  gedruckt  in  Alcvins  Werken,  ed. 
Frohen  II,  .325;  Jaffe,  Bibl.  IV,  426;  Dümmler,  Poet.  Car.  I,  426.  Dafs 
die  beiden  früher  unterschiedenen  Amalare  eine  Person  seien,  suchte  D. 
Germ.  Morin  zu  erweisen  in  der  Revue  benedict.  (von  Maredsous)  1891 
S.  433  flg..  1892  S.  337  flg.  vgl.  NA.  XVII,  456;  XVIII,  699,  dagegen 
Mönchemeier,  Amalar  v.  Metz,  Münster,  Schöningh  1893  u.  Hauck  II,  180 
nicht  überzeugend,  vgl.  auch  R.  Sahre,  Der  Liturgiker  Amalar,  Dresden 
1S93,  Osterprogr.  der  Kreuzschule. 

')  Herausgegeben  von  Dr.  Noite  im  Jahresbericht  d.  Ges.  f.  nütz). 
Forsch,  in  Trier  f.  1872/73  (1874)  S.  50—58  und  abermals  von  A.  E.  Burn, 
Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  XXIII  (1902)  S.  85— 97. 

')  Libri  confraternitat.  ed.  Piper  p.  136. 

3)  Baehr  S.  184—186.  535—538.  Dümmler  in  der  Vorrede  zur  Ueber- 
setzung  der  Chronik.  H.  Ermisch,  Die  Chronik  des  Regino  bis  813. 
Gott.  1872.     Ebert  IIT,  226—231.     Vgl.  unten  S.  312. 


310  JI-  Karolinger.     §  19.    Lothringen. 

833  nach  dem  Siege  Lothars  nach  Prüm  verwiesen  war');  Lupus 
(ep.  85)  sendet  ihm  Grüfse  von  demselben  und  schickte  ihm  Knaben 
zur  Ausbildung.  Schon  bevor  er  Abt  wurde,  hatte  Lupus  839  das 
Leben  des  heiligen  Maximin  verfafst  und  seinem  Freunde  Waldo 
gewidmet,  demselben,  welcher  später  Abt  von  St.  Maximin  wui'de 
(oben  S.  258). 

In  Prüm  verfafste  auf  Markwards  Veranlassung  Wandalbert 
(geb.  813)  839  die  geschichtlich  nicht  ganz  unwichtigen  Wunder  des 
heiligen  Goar,  welche  er  zu  der  Ueberarbeitung  der  alten  Legende 
hinzufügte;  den  Schlufs  bildet  ein  ausführlicher  Bericht  über  die 
Erwerbung  der  Cella  S.  Goaris  durch  Verleihung  Pippins  und  Be- 
stätigung Karls  des  Grol'sen^).  Auch  besitzen  wir  von  Wandalbert 
das  schon  oben  (S.  67)  erwähnte  metrisch  bearbeitete  Martyrologium, 
welches  er  auf  Antrieb  eines  sonst  nicht  bekannten  Otricus  begann, 
als  er  sich  in  Köln  aufhielt,  und  nachdem  es  vollendet  war,  mit 
einer  Kommendation  an  Lothar  versah,  5  lustra  nachdem  dieser 
Kaiser  geworden,  also  848.  Die  künstlichen  Versmafse  der  dazu 
gehöx'igen  Gedichte  zeugen  von  seiner  Gelehrsamkeit,  und  während  die 
Hauptmasse  ihrer  Natur  nach  fast  reine  Prosa  ist,  bieten  uns  nament- 
lich die  Beschreibungen  der  Monate  anziehende  Schilderungen  länd- 
licher Beschäftigung  in  leicht  fliefsenden  Versen^).  Markward  aber 
übertrug  im  Jahre  844  die  Gebeine  der  heiligen  Chrysanthus  und 
Daria  nach  Münstereifel,  welches  damals  zu  Prüm  gehörte;  Theganbert 
oder  Thegan  war  es,  der  sie  hier  am  25.  Oktober  feierlich  beisetzte, 
und  der  Abt  versäumte  nicht,  für  die  Aufzeichnung  dieser  Be- 
gebenheit zu  sorgen  oder,  wie  Holder-Egger  vermutet,  sie  selbst 
aufzuzeichnen'*),  unter  Abt  Eigil  (853 — 860)  brachte  der  Tod  des 
Kaisers  Lothar   in   der  Kutte  eines   Prümer  Mönches   dem   Kloster 


^)  Vgl.  darüber  B.  Simson,  Ludwig  d.  Fr.  II,  63,  Anm.  2. 

^)  Die  geschichtlich  wertlose  alte  Vita  S.  Goarift  bei  Mab.  II,  276—280, 
bei  Krusch,  SS.  Merov.  IV,  402—423;  dann  folgt  bei  Mabillon  die  von 
Wandalbei't  überarbeitete  mit  den  Wundern.  Miracnla  S.  Goaris,  ed. 
Holder-Egger,  SS.  XV,  361 — 373,  mit  der  Vorrede  der  Vita. 

3)  S.  über  ihn  Dümmler,  NA.  IV,  30-5-312.  Ebert  II,  185—191;  das 
Martyrol.  Poet.  Car.  II,  .567—622.  Die  von  Rettberg  bezweifelten  Verse 
über  die  Kölner  Märtj-rerinnen  sind  sicher  echt.  Uebersetzung  der  Verse 
über  die  Monate  von  Paul  Herzsohn  in  d.  AVestd.  Zeitschr.  I,  277 — 290. 
Vgl.  über  diese  und  über  die  röm.  Hs.  Wandalberts  Christ,  reg.  438,  aus 
der  zwei  Monatsbilder  mitgeteilt  werden,  AI.  Riegl  in  den  Mitt.  des  Inst. 
X,  35—87.  40-51. 

*)  Historia  trcmslationis  ChrisantJii  et  Dariae,  Mab.  IV,  1,  611  —  618. 
Acta  SS.  Oct.  XI,  490—495  ed.  B.  Bossue,  Annalen  f.  d.  Gesch.  d.  Nieder- 
rheins XX,  96—217,  Ausg.  u.  Abhdlg.  von  Flols.  Auszug  MG.  SS.  XV, 
373.  374. 


Prüm.     Wauilalbert  und  Regino.  311 

hohen  Ruhm  und  reiches  Gut');  Eigil  selbst,  ein  gelehrter  Mann,  an 
den  Hraban  eine  Abhandlung  gerichtet  hat^),  entsagte  800  seiner 
Würde,  vielleicht,  wie  Mabillon  vermutete,  weil  er  die  Entscheidung 
gegen  Thietberga  unterzeichnet  hatte.  Er  folgte  dann  einer  Ein- 
ladung Karls  des  Kahlen  und  erhielt  die  Abtei  Flavigny,  wohin  er 
8(J4  von  Alise-Sainte-Reine  die  heilige  Kegina  übertrug;  die  Geschichte 
der  Uebertragung  samt  den  Wundern  liefs  er  aufzeichnen,  nachdem 
er  865  Erzbiscbof  von  Sens  geworden  war^). 

Auch  Annalen  sind  um  diese  Zeit  in  Prüm  geschrieben;  anfangs 
aus  älteren  Annalen  ausgezogen,  bringen  sie  lokale  Nachrichten  bis 
860,  bis  zu  welchem  Jahre  sie  in  Stablo  ausgeschrieben  sind,  und 
wurden  dann  in  Prüm  bis  922  fortgeführt;  damals  hat  sie,  wie  es 
scheint,  der  zum  Bischöfe  von  Lüttich  erhobene  Abt  Kicharius  nach 
Lüttich  mitgenommen,  wo  sie  weiter  fortgesetzt  wurden.  Aus  der 
Chronik  des  Regino  sehen  wir,  dafs  es  ein  ausführlicheres  Exemplar 
dieser  Annalen  gegeben  haben  mufs,  welches  Regino  benutzte^). 

Allein  im  Jahre  882  und  noch  einmal  892  erlag  auch  dieses 
herrliche  Kloster  den  räuberischen  Dänen;  der  Abt  Farabert  legte 
nach  der  Zerstörung  desselben  sein  Amt  nieder,  und  zu  seinem 
Nachfolger  wurde  Regino  gewählt.  Aber  die  Parteikämpfe,  welche 
damals  Lothringen  zerrissen,  liefsen  auch  ihm  keine  Ruhe;  er  mufste 
899  seinen  Gegnern  weichen,  und  fand  eine  Zuflucht  in  Trier,  wo 
er  im  Kloster  St.  Maximin  915  bestattet  ist^).  Der  Erzbischof  über- 
gab ihm  das  ebenfalls  von  den  Normannen  verwüstete  Martinskloster, 
welches  unter  seiner  Leitung  hergestellt  sein  soll");  vorzüglich  aber 
scheint  er  sich  seiner  Gelehrsamkeit  bei  der  Verwaltung  seines  kirch- 
lichen Amtes  bedient  zu  haben.  Oft,  sagt  Regino,  habe  er  gesehen, 
wie  der  Erzbischof  sich  erzürnt  habe  über  den  unmelodischen  und 
fehlerhaften  Gesang  in  den  Chören  seiner  Sprengel,  zu  welchen  er 
ihn  also  vermutlich  auf  Visitationsreisen  begleitet  hat.    Und  wie  er 

')  Ueber  ein  von  Lothar  der  Abtei  geschenktes  Evanyeliar  aus  Tours 
s.  NA.  XXYII,  738. 

2)  Epp.  V,  513. 

3)  Tramlatio  S.  Reginae  bei  Mab.  IV,  2,  238 ;  Acta  SS.  Sept.  III,  40, 
nebst  einer  Urk.  Eigils  über  eine  daran  sich  schliessende  Stiftung  zu 
Corbiniacum.     Auszug  v.  Holder-Egger  SS.  XV,  1,  449— 45L 

•«)  Annales  Prumienses  a.  122—1044  von  Goldmann  NA.  XII,  403-407, 
ed.  0.  Holder-Egger,  SS.  XV,  2,  1289—1292.  Es  folgen  noch  Ann.  Prüm, 
hrerissinn  a.  906-919.     1226—1238.     Vgl.  F.  Kurze,  NA.  XV,  318. 

*)  Weil  sein  Grabstein  da  gefunden  ist,  hat  man  geglaubt,  dafs  er 
in  diesem  Kloster  Aufnahme  gefunden  habe,  aber  es  lag  damals  nach 
der  Verwüstung  durch  die  Normannen  in  Trümmern. 

ß)  Vita  S.  Magnerici,  MG.  SS.  VIII,  208;  vgl.  Archiv  III,  291.  Regino 
soll   nach   späteren  Aufzeichnungen   aus  Altrip   am  Rhein  gebürtig  sein. 


312  n.  Karolinger.     §  19.    Lothringen. 

diesem  Mangel  dui'ch  seine  Schrift  De  harmonica  instituüone^)  abzu- 
helfen suchte,  so  verfafste  er  auf  Ratbods  Wunsch  sein  umfassendes 
und  lehrreiches  Werk  über  die  Kirchenzucht  zu  dem  praktischen 
Zwecke,  bei  Visitationen,  welche  wegen  der  argen  Verwilderung  der 
Geistlichkeit  wie  der  Laien  dringend  notwendig  waren,  alle  erforder- 
lichen Vorschriften  des  kanonischen  Rechtes  in  mäfsigera  Umfange 
darzubieten  -).  Diese  um  906  unternommene  Schrift  widmete  er 
Hatto  von  Mainz,  dem  damaligen  Regenten  des  Reiches;  an  den 
Erzieher  des  jungen  Königs,  den  gelehrten  Bischof  Adalbero  von 
Augsburg,  sandte  er  908  seine  Chronik  von  Christi  Geburt  bis  zum 
Jahre  906.  Dieses  Werk  verdient  unsere  Beachtung  als  einer  der 
frühesten  Versuche ,  die  Weltgeschichte  in  einer  ziemlich  ausführ- 
lichen Erzählung  zusammenzufassen,  eine  Aiifgabe,  an  welche  sich 
damals  nicht  leicht  jemand  wagte  und  deren  Schwierigkeiten  aul'ser- 
ordentlich  grofs  waren.  Die  Ausführung  ist  freilich  auch  sehr 
mangelhaft  geblieben  und  namentlich  die  Chronologie  in  der  höch- 
sten Verwirrung;  auch  versucht  Regino  gar  nicht  wie  Frechulf  eine 
Verarbeitung  seiner  Quellen,  sondern  begnügt  sich  mit  wörtlichem 
Ausschreiben,  was  von  nun  an  immer  mehr  üblich  wurde.  Beda,  die 
Thaten  der  Frankenkönige,  und  andere  bekannte  Schriften  bilden 
die  Grundlage  seines  Werkes,  welches  anfangs  nach  den  Regierungen 
der  Kaiser  angeordnet  ist;  weiterhin  geht  er,  der  Natur  seiner  Vor- 
lagen folgend,  in  die  annalistische  Form  über  und  fährt  auch  selbst 
in  dieser  Weise  fort.  Darin  ist  seine  Chronik  den  auch  von  ihm 
benutzten  Reichsannalen  ähnlich,  aber  sie  unterscheidet  sich  sehr 
wesentlich  dadurch,  dafs  er  nicht  gleichzeitig  mit  den  Begebenheiten 
schrieb  und  deshalb  auch  gerade  in  der  zeitlichen  Anordnung  der- 
selben wenig  zuverlässig  ist^). 

^)  Gedruckt,  doch  ohne  den  tonarius  bei  Gerbert,  SS.  eccl.  de  musica 
sacra  I,  230—247.  Neue  Ausg.  mit  Facs.  des  tonarius  bei  Coussemaker, 
Scriptores  de  Musica  Medii  Aevi  Paris  (1867)  II,  1—73.  Hs.  s.  X.  in 
Brüssel  2751.  Die  Schrift  war  für  den  Erzbischof,  als  gelehrten  Musiker, 
und  für  tüchtige  Sänger  bestimmt,  nicht  fürWalcaud:  frustra  enimlyra 
asino  ccuiitur  (aus  Hieron.  ep.  ad.  Marceil.  27,  1).  —  Walcaud  presb.  im 
Cal.  S.  Maximini  zum  10.  August,  Archiv  XI,  290.  Vgl.  W.  Brambach, 
Die  Musiklitteratur  des  Mittelalters  bis  zur  Blüte  der  Reichenauer  Sänger- 
schule (500 — 1050)  1883,  wo  die  Abhängigkeit  Reginos  von  Boethius  und 
anderen  Schriftstellern  nachgewiesen  ist. 

^)  Reginonis  libri  duo  de  synodalihus  causis  et  disciplinis  eccUsiasticis, 
ed.  Wasserschieben,  Lips.  1840.  Gegen  den  Verdacht  der  Fälschung  in 
Betreff  der  Canones  der  Triburer  Synode  von  895  hat  Em.  Seckel  R. 
gerechtfertigt  durch  Entdeckung  der  von  ihm  benutzten  Hs.  s.  NA.  XVIII, 
365—409. 

^)  Reginonis  Chronicoii,  ed.  Pertz,  MG.  T,  536—612.  Ausg.  von  Fr. 
Kurze  1890,  8.     Vgl.   von    dems.  Ueberlieferung  u.  Quellen   der  Chronik 


Die  Chronik  des  Regino.  313 

In  dieser  Beziehung  hat  bei  ihm  wie  bei  manchem  anderen  das 
Vorbild  der  Annalen  nachteilig  gewirkt;  denn  für  die  Aufzeichnung 
unbestimmt  gewordener  Ueberlieferungen  ist  die  annalistiscbe  Form 
nicht  nur  hinderlich,  sondern  die  scheinbare  Bestimmtheit  verleitet 
auch  dazu,  den  Angaben  mehr  Gewicht  beizulegen,  als  ihnen  zu- 
kommt. Bis  zum  Jahre  814  hat  Regino  die  sog.  Lorscher  Annalen 
benutzt;  von  da  an  aber  fehlten  ihm  aul'ser  den  oben  erwähnten 
kurzen  Annalen  seines  Klosters  schriftliche  Hilfsmittel,  was  wohl 
nur  durch  die  Verheerungen  der  Normannen  zu  erklären  ist,  und 
er  mufste  sich  zur  Ausfüllung  der  grofsen  Lücke  von  Karls  des 
Grofsen  Tode  bis  auf  seine  Zeit  allein  auf  die  so  unsichere  münd- 
liche Tradition  verlassen ;  nur  über  die  Händel,  welche  Lothars  IL 
ärgerliche  eheliche  Verhältnisse  veranlassten,  standen  ihm  Urkunden 
zu  Gebote^). 

Auffallend  und  für  die  Stellung  Lothringens  charakteristisch  ist 
es  dabei,  wie  wenig  Regino  von  dem  Ostfrankenreiche  zu  sagen 
weifs,  während  er  von  den  Westfranken  viel  und  eingehend  erzählt, 
und  namentlich  die  Bretagne  besonders  berücksichtigt,  ein  Umstand, 
den  Dümmler  durch  die  dort  gelegenen  Besitzungen  der  Mönche 
von  Prüm  erklärt.  Ueber  das,  was  er  selbst  mit  erlebt  hat,  gibt 
Regino  sodann  ausführliche  und  schätzbare  Nachrichten.  Dafs  er 
von  den  entfernteren  Ereignissen  nur  unsichere  Kunde  erhalten  hat, 
wird  man  ihm  nicht  zum  Vorwurfe  machen;  über  Lothringen  aber 
war  er  genau  und  zuverlässig  unterrichtet  und  würde  gewifs  noch 
tiefer  in  die  dortigen  Verhältnisse  blicken  lassen,  wenn  ihn  nicht 
die  Besorgnis  vor  dem  Zorne  der  Machthaber  verhindert  hätte,  die 
ganze  Wahrheit  zu  sagen.  Als  diesen  Machthaber,  welchen  er  fürchtete, 
hat  Harttung  mit  Wahrscheinlichkeit  Karl  den  Einfältigen  nach- 
gewiesen, der  nach  einer  Angabe  des  Trithemius  seine  Absetzung 
veranlafste,  weil  er  ein  Anhänger  von   König  Odos  Bruder  Robert 

Reginos  u.  seines  Fortsetzers,  NA.  XV,  293—330.  Ueber  die  Hs.  von 
Durham  NA.  XXIV,  456.  Eine  Verbesserung  zum  J.  775  bringt  B.  von 
Simson,  Die  Zusätze  ex  Ann.  Mett.  Zeitschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins 
N.  F.  IX,  215  flg.  üebersetzung  von  Dümmler,  1857.  1890.  Geschicht- 
schr.  IX,  12,  Bd.  27.  Ueber  Benutzung  d.  Justin  s.  Rühl,  Verbreitung 
des  Justin  im  Mittelalter,  S.  12—14.  Von  der  Fortsetzung  s.  unten  III,  7. 
^)  Die  Aktenstücke  hierüber  und  besonders  über  die  nach  Gunthars 
Absetzung  am  7.  Jan.  870  vollzogene  Wahl  Williberts  von  Köln  sind  ver- 
mehrt durch  die  von  Flofs,  Die  Papstwahl  unter  den  Ottonen  (Leonis 
papae  VIII  privileg.  de  investituris) ;  Urkunden  S.  24—102  herausgegeb. 
Schreiben.  Epp.  VI,  241-25»;.  —  Dümmler,  Ostfr.  TU,  S.  170  gab  aus  einer 
Londoner  Handschrift  der  Chronik  des  Regino  die  von  Lappenberg  ent- 
deckte Grabschrift  des  Grafen  Heinrich  (+  886);  jetzt  auch  m  d.  Ausgabe 
V.  Kurze,  S.  126,  Poet.  Car.  IV.  137. 


314  II-  Karolinger.     §  19.    Lothringen. 

war.  Sein  Nebenbuhler  war  Richar,  der  Bruder  von  Gerhard  und 
Matfrid,  später  Bischof  von  Lüttich;  durch  verleumderische  An- 
gaben über  schlechte  Verwaltung  soll  er  ihn  verdrängt  haben,  nach 
Inhalt  eines  Briefes  von  Eegino,  der  den  Magdeburger  Centuriatoren 
noch  bekannt  und  wahrscheinlich  in  einem  Exemplare  der  Chronik 
abgeschrieben  war.  Zur  Zeit  aber,  als  Regino  seine  Chronik  schrieb, 
gehörte  Lothringen  zu  Karls  Reiche^).  Seine  Zurückhaltung  hat 
Regino  jedoch  nicht  davor  schützen  können,  dafs  aus  seinem  Werke 
zum  Jahre  892  ein  bedeutendes  Stück,  in  welchem  er  von  seinen 
eigenen  Schicksalen  erzählte,   ausgeschnitten  und  vernichtet  wurde. 

Seine  Schreibart  ist  einfach  und  dem  Gegenstande  angemessen, 
Justin  war  vielfach  sein  Muster  für  den  Stil^),  und  wenn  es  ihm 
auch  keineswegs  gelungen  ist,  die  Weltgeschichte  in  wirklich  histo- 
rischer Weise  zu  bearbeiten,  so  zeigt  er  doch  für  die  ihm  näher 
liegenden  Zeiten  und  Verhältnisse  einen  freien  Blick  und  gesundes 
Urteil;  die  eigenen  Erfahrungen  und  die  freundschaftliche  Beziehung" 
zu  einem  hochstehenden  Kirchenfürsten  erhoben  ihn  über  die  gewöhn- 
lichen Annalisten,  und  sein  Werk  steht  am  Ende  der  karolingischen 
Zeit  als  eine  bedeutende  Erscheinung  da,  der  sich  wohl  weitere  Fort- 
schritte angeschlossen  haben  würden,  wenn  nicht  gerade  jetzt  die 
äufsere  Not  für  lange  Zeit  alle  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
erdrückt  hätte. 

Als  die  bei  allen  ihren  Mängeln  doch  bei  weitem  beste  um- 
fassende Behandlung  der  Weltgeschichte  ist  Reginos  Chronik  bis 
ins  zwölfte  Jahrhundert  viel  benutzt  worden  und  hat  grofse  Ver- 
breitung gefunden,  wobei  denn  auch  seine  grofsen  chronologischen 
Irrtümer  manchen  irregeleitet  haben. 

Man  kann  wohl  nicht  bezweifeln,  dafs  Lothringen  mit  seinen 
bedeutenden  Kirchen  und  Klöstern  noch  manches  andere  Geschichts- 
werk hervorgebracht  hat,  welches  in  den  furchtbaren  Verheerungen 
des  Landes  durch  Normannen  und  Ungarn  zu  Grunde  gegangen 
ist;  die  blühendsten  Klöster  verödeten  und  kamen  in  Laienhände, 
so  dafs  eine  Periode  tiefer  Dunkelheit  eintrat,  welche  später  der 
kecken  Erdichtung  freien  Spielraum  darbot.  Merkwürdig  sind  auch 
in  dieser  Beziehung  die  Annalen  von  Xanten^),  weil  sie  nirgends 

^)  Harttung,  Forsch.  XVIII,  362— 36S. 

2)  S.  oben  S.  312  A.  3  und  M.  Manitius,  Regino  u.  Justin,  NA  XXV, 
192 — 201,  wo  auch  Benutzung  des  Paulus  nachgewiesen  wird. 

^)  Annale.^  Xantenses  ed.  Pertz,  MG.  II,  217 — 235.  Verbesserungen 
aus  der  Handschr.  von  Hampe  NA.  XXII,  634.  Uebers.  bei  den  Fulder 
Annalen.  Hans  Steffen,  Beiträge  zur  Kritik  der  X.  Annalen,  NA.  XIV, 
87 — 109.     Der   Anfang    640  bis  789    ist  jüngeren  Ursprungs,   von  einem 


Regino.     Annalen  von  Xanten  und  Köln.  315 

erwähnt  oder  benutzt  sind,  und  völlig  spurlos  verschollen  sein 
würden,  wenn  nicht  Pertz  sie  1827  in  einer  angebrannten  Hand- 
schrift der  Cottonschen  Bibliothek  entdeckt  hätte.  So  war  auch 
dieser  vereinzelte  Rest  der  höheren  Ausbildung  jener  Periode  dem 
gänzlichen  Untergange  schon  ganz  nahe  gewesen.  Nach  Xanten 
sind  diese  Annalen  benannt,  weil  die  Zerstörung  des  Stiftes  durch 
die  Normannen  863  ausführlich  erzählt  ist,  aber  sonst  ist  gar  nicht 
von  Xanten  die  Rede,  und  auch  hier  findet  sich  die  falsche  Jahres- 
zahl 864,  wie  überhaupt  eine  Verschiebung  der  Jahreszahlen,  welche 
annehmen  läfst,  dafs  nur  eine  Kompilation  uns  vorliegt.  Einem 
Auszuge  aus  den  Reichsannalen  schliefst  sich  hier  eine  selbständige 
Fortsetzung  von  831 — 873  an,  von  verschiedenen  Verfassern  gleich- 
zeitig aufgezeichnet,  hin  und  wieder  ziemlich  ausführlich.  Reichs- 
geschichte zu  geben  war  die  Absicht,  aber  es  fehlte  die  Verbindung 
mit  dem  Hofe;  Zusammenkünfte  der  Könige  werden  erwähnt,  aber 
die  Beschlüsse  bleiben  dem  Schreiber  unbekannt ;  zu  gleichmäfsiger 
Berichterstattung  fehlen  ihm  die  Hilfsmittel.  Viel  ist  von  Himmels- 
erscheinuugen ,  üeberschwemmungen,  Heuschrecken  die  Rede,  vom 
Elend  der  Zeiten  sind  die  Verfasser  sehr  erfüllt.  Der  Kölner 
Sprengel  wird  vorzüglich  berücksichtigt,  daneben  der  benachbarte 
von  Münster.  Vielleicht  hat  einer  der  vertriebenen  Xantener  Chor- 
herren, die  nach  Köln  flüchteten,  dort  Aufzeichnungen  vorgefunden 
und  fortgesetzt. 

In  Köln  hat  Karls  des  Grofsen  Erzkaplan  Hildebald'),  der  von 
Theodulf  unter  dem  Namen  Aaron  gefeiert  wird,  wissenschaftliche 
Studien  begründet.  Er  liefs  die  vom  Papst  an  Karl  geschickten 
Manuskripte  für  seine  Kirche  abschreiben;  viele  davon  sind  noch  vor- 
handen und  jetzt  dem  Kölner  Domkapitel  zurückgegeben^).    Es  sind 


Mönche  des  Klosters  Egmond,  von  wo  die  Hs.  stammt,  und  nach  Bonneil, 
Anfänge  S.  149,  aus  Sigebert  genommen  (aufser  dem  J.  752),  mit  Ein- 
schaltungen aus  Regino ,  Beda  und  Legenden.  Bestätigend  Oelsner, 
Pippin  S.  518.  Doch  vgl.  B.  Simson,  NA.  II,  628,  wo  Verwandtschaft 
mit  den  Ann.  Maximin.  nachgewiesen  ist;  Waitz  ib.  V,  493.  Ueber  die 
Ortsbezeichnung  Gromieonim  s.  Meyer  von  Knonau  über  Nithard  S.  143. 
—  Kirchweihnotizen  aus  Xanten  1081 — 1411  als  Xotae  S.  l'idoris  Xant. 
MG.  SS.  XlII,  43—45. 

')  Die  Angaben  über  sein  Sterbejahr  schwanken  zwischen  818  u.  819, 
Sept.  8.     B.  Simson,  Ludw.  d.  Fr.  S.  232  für  818. 

2)  Hartzheim,  Catal.  bibl.  Colon.  (Col.  1752);  cf.  Archiv  VIlI,  617  ff. 
Rettbei-g  I,  540.  '  Jaffe  et  Wattenbach.  Ecclesiae  Colon.  Codices  manu- 
scripti,  Berol.  1874;  A.  Decker,  Die  Hildeboldsche  Manuskriptensamml. 
des  Kölner  Domes  mit  einem  neuen  Katal.  vom  Jahre  833,  in  der  Fest- 
schrift der  43.  Versamml.  d.  Philol.  u.  Schulmänner,  dargeb.  v.  d.  höh. 
Lehranst.  Kölns,  Bonn  1895  S.  217 — 251;  vgl.  das  Verz.  der  „libri  praestiti 


316  iJ-  Karolinger.     §  19.    Lothringen. 

auch  kurze  Annalen  daraus  gewonnen').  Die  Erzbischöfe  Hildvin 
(842 — 849)  und  Gunthar  (863  entsetzt)  werden  von  Sedulius  ge- 
priesen, Gunthar  machte  selbst  Verse,  und  bei  ihm  erhielt  sein 
Neffe  Radbod,  später  Bischof  von  Utrecht,  den  ersten  Unten-icht^). 
Willibert  (870 — 889)  liefs  für  sich  den  Codex  Carolinus  abschreiben^), 
und  sorgte  auch  für  die  Aufbewahi'ung  der  Korrespondenz,  welche 
durch  Gunthars  Entsetzung  und  die  folgenden  Ereignisse  veranlafst 
war'').  In  Köln  lebte  auch  jener  Otricus,  dem  Wandalbert  sein 
Martyrologium  widmete.  Aber  von  litterarischen  Erzeugnissen,  wozu 
jene  kleinen  Annalen  kaum  zu  rechnen  sind,  ist  nichts  auf  uns 
gekommen,  wenn  nicht  vielleicht  die  Xantener  Annalen  hierher 
gehören. 

Etwas  mehr  hat  sich  aus  Lüttich  erhalten,  dessen  später  so 
berühmte  Schule  in  ihren  ersten  schwc^chen  Anfängen  schon  jetzt 
hervortritt.  Noch  war  es  ein  unbedeutender  Ort,  als  ihm  der  Leib 
des  um  672  erschlagenen  Bischofs  Theodard  von  Mastricht,  welchen 
sein  Nachfolger  Landebert  oder  Lambert  dort  bestatten  liefs, 
ein  höheres  Ansehen  gab.  An  seinem  Grabe  wurde  Lambert  selbst 
705  (?)  erschlagen;  er  hatte  Pippin  und  seiner  Beischläferin  Alpais 
Vorwürfe  gemacht,  Pippin  war  erschüttert  und  dachte  daran,  seine 
rechtmäfsige  Gemahlin  Plectrudis  wieder  zu  sich  zu  nehmen,  da 
vollbrachte  Dodo,  der  Bruder  der  Alpais,  die  Blutthat.  Nachdem 
eine  Kiixhe  dort  erbaut  und  die  Gebeine  des  Märtyrers  feierlich 
erhoben  waren,  mufste  eine  Legende  geschrieben  werden,  aber  noch 
fehlte  es  an  geeigneten  Kräften.    Der  Autor,  welcher  die  Ausführung 


de   armario  S.  Petri"  saec.  XI,  ed.  Dümmler   e  cod.  Ampi.  64,  Zeitschr. 
f.  D.  Alt.  XIX,  466. 

')  Davon  gehören  hierher  Ana.  S.  Fetri  Coloniensis  798.  810 — SlS, 
nur  einzelne  Notizen  e  cod.  8.3,  II,  MG.  SS.  XVI,  730,  Codd.  p.  29.  30, 
und  bei  Krusch,  Studien  zur  christlich-mittelalterlichen  Chronologie  (Leipz. 
1880)  S.  197.  Amt.  Col.  hrevis^imi  814—870,  I,  97  aus  Eckharts  Comm. 
de  rebus  Franciae  orientalis.  Grabscbrift  des  862  verstorbenen  Kölner 
Landbischofs  Hildebert  bei  Kraus,  Inscr.  christ.  II,  261,  vgl.  Poet.  Car. 
III,  751. 

■^)  Dümmler,  Ostfr.  II,  10.  Höchst  wahrscheinlich  ist  er  der  Gunthar, 
dem  Meginhard  ein  Werk  widmete,  s.  oben  S.  262.  Ein  gleichzeitiges 
Gedicht  eines  Iren  in  roher  Form  zum  Preise  Gunthars  ed.  Dümmler 
im  Anz.  d.  Germ.  Mus.  XVIII,  10;  wiederholt  von  Traube.  Poet.  Car. 
III    238 

'  ^)  Jaffe,  Bibl.  IV,  2.  Epp.  III,  469.  Auch  im  Wiener  Cod.  der 
Bonifaz.  Briefe  ist  eine  auf  Williberts  AVeihe  bezügliche  Notiz,  Ej^p. 
III,  221. 

*)  S.  oben  S.  318  Anm.  1.  Zu  der  bei  Flofs,  Urkk.  S.  124,  erwähnten 
Verwüstung  durch  die  Normannen  881  ist  zu  bemerken,  dafs  nomina  die 
Reliquien  sind. 


Lambert  von  Lüttich.     Hubert.  317 

nach  dem  Slalse  seiner  schwachen  Kräfte  in  barbarischem  Latein 
unternahm,  griff  zur  Vita  Eligii  und  In-achte  mit  starker  wörtlicher 
Ausnutzung  derselben  sein  Werk  zu  stände ').  Der  erbauliche  Zweck 
ist  durchaus  vorherrschend.  Aber  noch  regierte  Karl  Martell,  der 
Sohn  der  Alpais,  und  aus  Furchtsamkeit  verschwieg  er  den  wahren 
Anlafs  des  Todes.  Auch  God esskalk,  ein  Lütticher  Domherr, 
welcher  auf  Befehl  des  Bischofs  Agilfrid  sein  Werk  um  770  über- 
ai'beitete,  folgt  einfach  seiner  Vorlage  und  beschränkt  sich  auf 
stilistische  Verbesserung.  Aber  im  Volke  erhielt  sich  die  Erinnerung 
der  That,  und  Ado  in  seinem  Martyrologium  hat  sie  kurz  berichtet, 
vielleicht  kannte  er  schon  eine  Aufzeichnung,  deren  später  Anselra 
von  Lüttich  gedenkt,  und  deren  Inhalt  durch  ihn  überliefert,  nun 
auch  in  die  späteren  Bearbeitungen  überging;  auch  schon  der  Ver- 
fasser einer  poetischen  Version  im  Anfang  des  zehnten  Jahrhunderts^) 
deutet  darauf  hin.  Lange  Zeit  ist  der  Hergang  in  entgegengesetzter 
Weise  aufgefafst  worden;  man  glaubte  hier  ein  recht  deutliches 
Beispiel  davon  zu  haben,  wie  die  Legenden  mit  der  Zeit  wachsen 
und  mit  Absicht  entstellt  werden ,  bis  God.  Kurth  in ,  wie  mir 
scheint,  durchaus  schlagender  Weise,  gestützt  auf  den  aus  einer 
neugefundenen  Handschrift  ergänzten  Text  des  Anselm^),  den  rich- 


')  Nachgewiesen  von  Kurth  in  der  gleich  zu  erwähnenden  Schrift. 
S.  102 — 112;  es  ergibt  sich  daraus  auch,  dass  die  Translation  und 
Mirakel  von  dems.  Vf.  sind.  Als  diese  älteste  Vita  Lamherti  betrachtet 
Kurth  die  bei  Mabillon,  Act.  III,  1,  69 — 76,  gedruckte,  welche  bisher 
Godescalc  zugeschrieben  wurde.  Vgl.  Fr,  Scheibelberger,  Die  älteste 
Vita  S.  Lantperti,  Oest.  Vierteljahrsschr.  f,  Kath.  Theol.  (1871)  X,  222 
bis  224,  über  den  älteren  einfacheren  Text  eines  Linzer  Codex.  NA.  II, 
256  über  den  Brüsseler  Cod.  9368.  Im  Compte  rendu  de  la  Comm.  roy, 
d'hist,  III,  n.  .3,  5  serie  behandelt  G.  Kurth  die  früher  schon  gedruckte, 
aber  unbeachtet  gebliebene,  von  B.  Krusch  (NA.  XVIII,  601)  wieder  ab- 
gedruckte Stelle  aus  der  Schrift  De  virtutibus  et  miraculis  macarii 
Areopagitae  Dionysii,  welche  unter  der  Herrschaft  Karls  des  Kahlen 
geschrieben  ist;  darin  wird  von  einem  Godobald  aus  Avroy  (Arbrido)  in 
Hesbaye  berichtet,  welcher  unter  Graf  Dodo  (nach  Kurth  von  Hesbaye)  an 
Lantberts  Tod  beteiligt  war  und  als  Büfser  nach  St,  Denis  kam,  wo  er 
Mönch  und  endlich  Abt  wurde.  Kurth  setzt  danach  die  Ermordung 
frühestens  in  das  J.  705.  —  Ein  Plagiat  aus  der  V.  Lamberti  und  Vita 
Trudonis  mit  Nachrichten  über  die  Stiftung  von  Stablo  und  Malraedy  ist 
die  älteste  V.  Remacli,  wie  Kurth  nachgewiesen  hat  im  Bulletin  de  la 
Commission  roy.  d'histoire,  4.  Serie,  tome  III,  n.  3. 

")  Poet    Car.  V,  141 — 159  herausg.  von  Winterfeld  s.  unten. 

^)  in  Anselms  c.  8,  MG.  SS.  VII,  195,  mul's  es  am  Schlüsse  der  aus 
Regino  (der  aus  Ado  schöpfte)  entlehnten  Stelle :  ,ab  iniquissimo  Dodone 
et  aliis  viris  de  palatio  missis  improvise  conclusus  intra  domum  ecclesiae 
in  Leodio  vico  occiditur"  heissen:  Qua  vero  de  causa  regiam  domum  in- 
crepaverit,  sie  habet  adhuc  alterius  scripturae  relatio  nobis  a  prioribus 
relicta  u.  s.  w.     Notice  sur  un  manuscrit  d'Hari^er  et  d'Anselme  conserve 


318  II-  Karolinger.     §  19.    Lothringen. 

tigen  Sachverhalt  nachgewiesen  hat^).  Dieselbe  Verschweigung  finden 
wir  auch  in  der  Vita  Theodardi,  obgleich  sie  erst  um  die  Mitte 
des  8.  Jahrhunderts  geschrieben  wurde-). 

Lambert  aber  wurde  nun  der  Schutzheilige  von  Lüttich,  wohin 
von  Mastricht  der  Sitz  des  Bistums  verlegt  wurde.  Auch  das  Leben 
seines  Nachfolgers,  des  727  verstorbenen  Bischofs  Hugbert  oder 
Hubert,  ist  von  einem  Zeitgenossen  beschrieben  und  noch  in 
seiner  ursprünglichen,  sehr  barbarischen  Form  vorhanden^),  nebst 
dem  Bericht  über  seine  erste  Translation  743,  Wie  darin  die  Vita 
Arnulfi  und  Vita  Lamberti  ausgeplündert  sind,  haben  Demarteau  und 
Krusch  gezeigt. 

Bischof  Waltcaud  (810—831)  übertrug  825  den  heiligen  Hubert 
nach  dem  neugestifteten  Kloster  Andagium,  später  Saint-Hubert 
in  den  Ardennen,  und  nun  bedurfte  man  einer  Biographie,  welche 
den  gesteigerten  Anforderungen  der  karolingischen  Zeit  genügte. 
Dazu  gelang  es  ihm,  den  Bischof  Jonas  von  Orleans  zu  bewegen, 
der  zugleich  auch  diese  neue  Translation  beschrieb'*).  In  der  Widmung 
sagt  Jonas  zu  ihm:  cum  nssit  vohis  pcdatina  scolasticorum  facnncUa. 
Doch  ist  das  vielleicht  nur  Phrase,  oder  bezieht  sich,  wie  Dümmler, 
Ostfr.  III,  650  annimmt,  auf  die  Hofschule.  Lüttich  war  eine  Station 
für  die  nach  Rom  pilgernden  Irländer,  und  es  haben  sich  noch 
Bittschreiben  solcher  Wanderer,  namentlich  eines  Priesters  Electus, 
erhalten'^).    Wenn  aber  in  dem  einen  der  Bittsteller,  auf  die  Empfeh- 

ä  l'abbaye  d'Averhode.  Bull,  de  la  Comm.  roy  4.  Serie,  II,  n.  7.  Kurth, 
vermutet  eine  Aufzeichnung  in  Stablo,  wo  Lambert  früher,  als  er  aus 
Mastricht  vertrieben  war,  eine  Zuflucht  gefunden  hatte;  keine  Vita 
Lamberti. 

\)  Etüde  critique  sur  S.  Lambert  et  son  j^remier  biographe.  Mem. 
couronne.     Anvers  1876. 

')  Kurth,  Etüde,  p.  67  ff. 

^)  W.  Arndt.  Kleine  Denkmäler  aus  der  Merowingerzeit  (1874)  S.  52 
bis  70.  Ausg.  von  De  Smedt,  Acta  SS.  Nov.  I;  vgl.  Krusch,  HZ.  LXV, 
10.3—105. 

■•)  Translntio  S.  Huherü  Mab.  IV,  1,  295  (278  ed.  Ven.).  Vorrede  zu 
dem  ganzen  Werke  Forsch.  VI,  126,  Ei3p.  V,  348,  und  bei  Arndt  a.  a.  0. 
nebst  Inhaltsverzeichnis  u.  Translatio,  S.  70—82;  Transl.  MG.  SS.  XV, 
234—237,  von  L.  v.  Heinemann;  ed.  de  Smedt,  Acta  SS.  Nov.  I,  817.  818. 
L'eber  Jonas  s.  Ebert  II,  225—230.  Seine  Vorreden  Epp.  V,  346—347. 
349  —  353,  seine  Schi-iften  de  institutione  laicali  und  de  institutione  regia 
(834  für  K.  Pippin  verfafst)  sind  sehr  lehrreich  für  die  Kenntnis  der 
damaligen  Zustände;  vgl.  darüber  B.  Simson,  Ludw.  d.  Fr.  I,  381;  K. 
Amelung,  Leben  u.  Schriften  des  Bisch.  Jonas  v.  Orleans,  Progr.  d.  Vitz- 
thumschen  Gymn.  zu  Dresden  1888  (NA.  XIV,  219).  Er  verfafste  auch 
die  Denkschrift  der  Aachener  Synode  von  836  an  Pippin,  s.  Revue  des 
bibl.  1898.   NA.  XXVI,  14. 

*)  Dümmler,  NA.  XIII.  360—369  (vgl.  Poet.  Gar.  III,  690);  Epp.  VI, 
195—197,  aus  d.  Zeit  d.  Bischofs  Franco  (f  901). 


Die  Lütticher  Schule.     Christian  von  Stablo.  319 

lung  des  Kaisers,  vermutlich  Karls  des  Kahlen,  sich  berufend,  mit 
bitterer  Klage  über  die  allzu  schmale  Kost,  den  Brüdern  der  Kirche 
gleichgestellt  zu  werden  wünscht,  so  ist  auf  einen  dauernden  Auf- 
enthalt und  Verwendung  der  gelehrten  Fremdlinge  für  den  Unter- 
richt zu  schliefsen. 

Schon  Bischof  Hart  gar  (840—854),  der  Erbauer  eines  neuen, 
mit  Gemälden  schön  geschmückten  Bischofshofes,  nahm  in  Lüttich 
den  Iren  Sedulius  und  vier  seiner  Landsleute  auf;  wir  werden  sie 
oder  ihre  Genossen  in  Mailand  wiederfinden,  und  vielleicht  machten 
sie  unterwegs  Station  in  Salzburg  (oben  S.  292).  Sedulius,  der  Ver- 
fasser verschiedener  theologischen  Werke  und  eines  Fürstenspiegels'), 
war  nicht  ohne  mancherlei  Gelehrsamkeit  und  metrische  Gewandt- 
heit, des  Griechischen  kundig,  aber  doch  inkorrekt,  oft  schwülstig 
und  dunkel,  ein  Freund  willkürlich  neugebildeter  Worte.  Seine 
schmeichlerische  Hofpoesie,  der  es  zuweilen  nicht  an  ergötzlichem 
Humor  fehlt,  feiert  Hartgar  (auch  auf  seiner  Reise  nach  Rom)  und 
seinen  Nachfolger  Franco  (854—901),  Günther  von  Köln,  bei  dem 
er  sich  auch  einige  Zeit  aufgehalten  hat,  Adventius  von  Metz,  den 
gelehrten  Markgrafen  Eberhard  von  Friaul,  dem  Hartgar  eine  Hand- 
schrift des  Vegetius  zueignete,  und  andere  Zeitgenossen;  besonders 
auch  Kaiser  Lothar  und  dessen  Familie.  Ohne  Zweifel  gebührt  ihm 
und  seinen  Genossen  ein  Anteil  an  der  späteren  Blüte  der  Lütticher 
Schule,  aber  vielleicht  auch  an  der  gesuchten  und  verkünstelten 
Schreibart,  welche  dort  lange  herrschend  blieb"). 

Bischof  Franco  erhob  in  Eika  (Aldeneyk  bei  MaaseykJ  die 
ersten  Aebtissinnen  Herlindis  und  Reinila,  welche  angeblich 
von  Willibrord  und  Bonifatius  geweiht  waren,  deren  Leben  bald 
darauf,  noch  vor  der  Verwüstung  durch  die  Normannen,  beschrieben 
ist    und  für   den   Mangel  an   geschichtlichem  Inhalt   durch   kultur- 

^)  Sedulii  Über  de  rectorihus  chri.'<iioniy,  ed.  A.  Mai,  Spicil.  Rom.  VIII. 
1—69.  Migne  CHI,  291—330.  Nach  Dümmlers  Vermutung  für  Lothar  II. 
bestimmt ;  ältere  Handschriften ,  welche  die  Entstehung  nach  Ludwigs 
d.  Fr.  Tod  bestätigen,  NA.  III,  188.  Entlehnungen  aus  der  Hist.  Aug. 
stammen  nach  Mommsen  im  Hermes  XIII,  298 — 301,  aus  der  von  Sedu- 
lius selbst  angelegten  Sammlung  von  Excerpten ,  welche  sich  in  einer 
Cusaner  Hs.  erhalten  hat,  s.  Traube,  0  Roma  nobilis  S.  364  ff.,  Ein- 
leitung Epp.  VI,  206.  —  Vgl.  Ebert  II,  191—202.  Dümmler,  NA.  IV, 
815—320. 

2)  Nachdem  die  Gedichte  des  Sedulius  von  Dümmler,  Grosse,  Nolte, 
Pirenne  einzeln  herausgegeben  waren,  sind  sie  jetzt  vereinigt  von  Traube, 
Poet.  Car.  III,  151 — 237,  und  über  die  sehr  merkwürdige  Persönlichkeit 
des  Sedulius  handelt  ders.  in  0  Roma  nobilis,  S.  338  ff.  Vgl.  auch 
Morin  in  der  Revue  benedict.  X.  1893  Mai  über  die  griechischen  Studien 
des  S. 


320  il-  Karolinger.     §  19.    Lothringen. 

historische  Züge  entschädigt^).  Aus  dem  Kloster  Lobbes  besitzen 
wir  für  diese  Zeit  nur  ein  Verzeichnis  der  Aebte  und  Mönche^). 

Einen  merkwürdigen  Mann  finden  wir  in  der  zweiten  Hälfte  des 
neunten  Jahrhunderts  in  der  Brüderschaft  der  Klöster  Stablo  und 
Malmedy,  Christian,  nach  Sigebert  aus  Aquitanien  stammend, 
einen  würdigen  Vertreter  karolingischer  Bildung.  Mit  umfassender 
Gelehrsamkeit,  auch  der  griechischen  Sprache  nicht  ganz  unkundig, 
hat  er  mit  auffallend  freier  Denkweise  und  nüchterner  Verständig- 
keit einen  Kommentar  zum  Matthaeus  geschrieben,  aus  welchem 
Dümmler  allerlei  für  die  Zeitgeschichte  lehrreiche  Aeufserungen 
zusammengestellt  hat^).  Ausserdem  besitzen  wir  eine  bald  nach  850 
geschriebene  Beschreibung  der  Wunderthaten  des  heiligen  Remaclus, 
zu  welcher,  nachdem  das  Kloster  von  der  Zerstörung  durch  die  Nor- 
mannen 881  sich  erholt  hatte,  weitere  Zusätze  gemacht  sind^). 

Das  Bistum  Utrecht  wurde  von  den  Normannen  gleichfalls  gar 
arg  heimgesucht  und  zeitweise  ganz  zerstört.  Radbod,  von  mütter- 
licher Seite  ein  Abkomme  des  alten  Friesenfürsten  Radbod,  folgte 
899  dem  Bischof  Odilbald,  mufste  aber  vor  den  Dänen  nach  Deventer 
entweichen.  Ein  Neffe  des  Erzbischofs  Gunthar  von  Köln,  war  er 
bis  zu  dessen  Entsetzung  868  bei  ihm,  dann  in  der  Hofschule  Karls 
des  Kahlen  gebildet  als  Schüler  des  Manno,  und  hat  einige  Homilien 
zum  Preise  von  Heiligen  verfafst^),  wie  z.  B.  auf  Amalberga  und 
Servatius*'),  ferner  Verse  und  Gedichte  zu  Ehren  derselben,  von 
denen  besonders  Liutbert  und  Liafwin  hervorzuheben  sind'),  doch 
hatte  er  von  jenem  nur  aus  Beda,  von  diesem  ganz  oberflächliche 
Kunde.  Trithemius  schreibt  ihm  auch  Laudes  S.  Bonifacii  zu,  und 
eine  Gothaer  Handschrift  (fol.  64)  nennt  ihn  als  Verfasser  der  Legende 

')  Acta  SS.  Mart.  III,  386— .392,  und  daraus  Mab.  III,  1,  654—663. 
Ueber  die  Bestätigung  der  Nachrichten  durch  Denkmäler  Friedrich, 
Kirchengeschichte  II,  346. 

^)  Aus  dem  Liber  vitae  von  Remiremont,  NA.  XIX,  63 — 6-5. 

^)  Ueber  Chr.  von  Stavelot  u.  seine  Auslegung  zum  Matthaeus,  Berl. 
SB.  1890,  S.  935—952.  Ueber  die  Hs.  in  Cheltenham  NA.  XXII,  677 
und  in  Paris  ib.  XXIII,  648.     Epp.  VI,  177—179. 

*)  Ex  Miraculis  S.  Remacli  Stabulemihus,  ed.  0.  Holder-Egger,  SS.  XV, 
1,  431—443. 

5)  S.  Moll,  Kerkgeschiedenis  I,  370.  Ebert  III.  184—188,  u.  v.  Winter- 
felds  Ausgabe  seiner  Gedichte,  Poet.  Car.  IV,  160—173.  Migne  CXXXII, 
Ö47— 560. 

")  Sermo  de  vita  Amelbergae,  Mab.  Acta  III,  2,  241—243.  Acta  SS. 
lul.  III,  88—90:  Sermo  de  S.  Servatio  Anal.  Boll.  I,  104—111. 

'')  Ueber  Suidbert  a.  a.  0.  166—169,  über  Lebuin  169—172,  beide 
mit  Glossen.  Recht  schön  sind  die  Versus  de  hirundine,  herausg.  von 
Dümmler,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XIX,  388  und  besser  Poet.  Car.  IV, 
172—173. 


Kadbod  von  Utrecht.     Verdau  und  Metz.  321 

des  sog.  Presbyter  Ultraiectensis'),  was  entschieden  falsch  ist^).  Er- 
halten bat  sich  eine  Aufzeichnung  von  ihm  über  die  Schrecknisse 
des  Jahres  900^),  und  eine  andere  über  die  Belagerung  der  Stadt 
Tours  durch  die  Normannen  im  Jahre  903  und  ihre  Errettung  durch 
ein  Wunder  des  heiligen  Martin,  des  gemeinsamen  Schutzheiligen^). 
Zur  Feier  desselben  Ereignisses  verfafste  er  auch  einen  Cantus  noctur- 
nalis,  der  sich  im  Antiphonar  der  Marienkirche  erhalten  hat^).  Sein 
eigenes  Leben  ist  zur  Zeit  seines  Nachfolgers  beschrieben  worden, 
und  wenn  auch  nicht  eben  reichhaltig,  doch  nicht  unwichtig*').  Er 
starb  917. 

Aufser  der  kurzen,  vom  Probst  Liuthard  verfafsten  Erzählung 
von  der  Ueber tragung  des  heiligen  Justus  bald  nach  900 
nach  Malmedy')  ist  schliefslich  nur  noch  die  Bistumsgeschichte 
von  Verdun"")  zu  erwähnen,  von  Berthar,  der  erste  Versuch 
einer  Lokalgeschichte,  an  denen  später  Lothringen  so  reich  war, 
nach  der  traurigen  Zeit  der  feindlichen  Verwüstungen,  denn  der 
Verfasser  schrieb  erst  nach  dem  Brande  der  Domkirche  im  Jahre 
916  oder  917;  sein  Werk  reicht  aber  nur  bis  in  die  Zeit  des  Kaisers 
Arnulf  und  ist  wegen  des  fast  gänzlichen  Mangels  an  älteren  Quellen 
sehr   dürftig^).     Veranlafst   war   er  zu  seinem  Unternehmen   durch 

^)  Jacobs  u.  ükert,  Beiträge  III,  262. 

^)  Da  dieser  Biograph  noch  eine  alte  Frau ,  die  bei  Bonifazens  Tod 
zugegen  gewesen  war ,  o-esproclien  haben  will ,  muls  er  viel  älter  sein, 
s.  Rettberg  I,  332.  Ausg.  Acta  SS.  lun.  I.  477—481.  Ein  Stückchen  bei 
Jaffe  Bibl.  III,  506. 

3)  MG.  SS.  LI.  218,  Poet.  Car.  IV,  161—162  mit  einigen  Versen  von 
ihm,  Heda  Hist.  Ultraj.  p.  71.  Er  veranlafste  914  zur  Bestätigung  der 
Privilegien  durch  K.  Konrad  die  älteste  Kopie  der  K.  Privilegien,  s.  S. 
Muller,  Het  oudste  Cartularium  van  het  Sticht  Utrecht  1892. 

'')  Libellus  cuiusd.  ep.  Traiect.  Radbodi  nomine  de  quod.  S.  Martini 
miraculo  bei  Andre  Sahnon,  Supplem.  aux  Chroniques  de  Touraine  p.  1 
bis  13,  MG.  SS.  XV,  2,  1239—1244.  Vgl.  Em.  Mabille,  des  invasions 
Normandes  dans  la  Loire  et  les  peregrinations  du  Corps  de  S.  Martin. 
Bibl.  de  Tee.  des  eh.  VI,  5,  149—194. 

■^)  W.  Moll,  Kerkhist.  Archief  v.  Kist  u.  Moll  III.  213—221,  Poet. 
Car.  IV,  163—165. 

'')  Nach  Surius  und  Mabillon  besser  von  Holder-Egger  (mit  der  Transl.) 
SS.  XV,  1,  568—571,  Anal.  Boll.  VI,  5—15,  benutzt  von  Adam.  Brem. 
I,  40. 

')  Martene  Coli.  VI,  838;  MG.  SS.  XV.  1,  566.  Spät  geschrieben 
und  fabelhaft  ist  die  Translatio  S.  Quirini  Malmundarium,  angeblich  808, 
mit  einem  erdichteten  Briefe  Hildebalds  von  Köln  an  Karl  den  Grofsen. 
Mart.  Thes.  III,  16S5— 1690. 

^)  Bertharii  Gesta  episcoporum  Virdunensium,  ed.  Waitz,  MG.  SS.  IV, 
36.  Benutzung  von  Fortunats  Gedichten  NA.  XII,  591.  Nomina  epp. 
Virdnn.  SS.  XIII,  307. 

®)  Ueber  die  fabelhafte   Vita  S.  Mengoldi,   des  im  J.  892  ermordeten 

Wattenbacli,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  21 


322  n.  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

den  Bischof  Dado  (880 — 923),  den  Freund  Salomons  III.  von  Kon- 
stanz (oben  S.  274),  von  dessen  eigenen  Aufzeichnungen  über  seine 
und  seiner  Vorgänger  Geschichte  ein  Fragment  sich  erhalten  hat. 
Aus  Metz  besitzen  wir  Briefe  und  ein  Epitaphium  des  Bischofs 
Adventius  (S58 — 875),  eines  Schülers  Drogos,  den  auch  Sedulius 
gepriesen  hat  ^),  Zu  seinen  Nachfolgern  gehörte  der  Alamanne 
Ruotpert,  von  seinem  Landsmanns  Radbod  am  22.  April  883  ge- 
weiht, ein  Freund  Notkers  und  also  vermutlich  aus  der  Schule 
von  St.  Gallen.     Er  starb  am  2.  Januar  917 -). 

Aus  Toul  sind  uns  mehrere  Briefe  des  Bischofs  Frothar  (813 
bis  848)  erhalten^).  An  den  Bischof  Hildoard  von  Cambrai  (um 
800)  i'ichtete  Dungal  der  Ire  einige  Verse:  er  liefs  Bedas  Kommentar 
zum  Lucas  abschreiben  und  ein  Sacramentarium  schreiben  '). 


Der  Vertrag  von  Vex'dun  besiegelte  zwar  die  politische  Teilung 
des  karolingischen  Reiches,  aber  er  zerstörte  nicht  die  Gemeinsam- 
keit der  litterarischen  Entwickelung.  Diese  beruhte,  besonders  in 
Deutschland  und  Frankreich,  jahrhundertelang  ausschliefslich  auf 
der  Geistlichkeit,  die  von  dem  Gefühl  erfüllt  war,  eine  grofse 
Körperschaft  zu  bilden,  deren  Mitglieder  in  den  verschiedenen  Län- 
dern sich,  wie  noch  heute,  einander  näher  verbunden  fühlten  als 
mit  den  Laien  ihres  Volkes.  Dieses  Gefühl  der  Gemeinschaft  tritt 
auch  in  späterer  Zeit  häufig  aufserordentlich  stark  hervor;  ganz 
besonders  lebhaft  aber  war  es,  so  lange  die  Karolinger  herrschten 
und  die  Erinnerung  an  die  Einheit  des  Kaiserreiches  noch  die 
Gemüter  erfüllte.     In  der  Litteratur  sind  es  jedoch  die  kirchlichen 

Grafen  vom  Maienfelde,  der  in  Huy  verehrt  wurde,  Acta  SS.  Febr.  II, 
191—196.   MG.  SS.  XV,  556—563,  s.  Dümmler.  De  Arnulfe  p.  201—204. 

1)  NA.  IV,  526.  Poet.  Car.  III.  225.  Ueber  Adventius  s.  Baehr  S.  110; 
aus  einer  Trierer  (aus  Metz  stammenden)  Briefsammlung,  die  sich  auf 
Lothars  IL  Eliehandel  bezieht,  sind  bei  Baronius  nach  Brower  noch  mehr 
Briefe,  jetzt  von  Dümmler  herausgeg.  Epp.  VI,  207 — 240. 

^)  S.  Notkers  ihm  gewidmete  Hymnen  auf  den  h.  Stephan,  Poet.  Car, 
IV,  337—389.  In  dem  oben  S.  269  angeL  Dialoge  heisst  es  S.  489: 
jNobilissimo  atque  scolasticissimo  Ruodperto  nuper  in  Metensis  ecclesiae 
sede  pontificatus  honore  sublimatus."  Er  kommt  auch  in  den  Reichen- 
auer  Verbrüderungen  vor,  ed.  Piper  p.  158. 

')  Du  Chesne  II,  712—728.  Bouquet  VI,  386—397.  Epp,  V,  275—298. 
VgL  Cb.  Pfister  in  Annales  de  l'Est  1890,  S.  261  if.;  Hampe  im  NA.  XXI, 
747—760. 

*)  Poet.  Car.  III,  411.  Bedae  opp.  ed.  Giles  X  p.  X.  Catal.  gen.  des 
mscrts.  de  France  XVII,  112.     Delisle  Anc.  Sacrament.  p.  400. 


Annales  Bertiniani.     Hofschule  Karls  des  K.  323 

Fragen,  in  denen  die  Gemeinsamkeit  der  Bildung  wie  der  Interessen 
sich  vornehmlich  zeigt;  die  überaus  reiche  und  bedeutende  theo- 
logische Litteratur  des  neunten  Jahrhunderts  UUst  sich  gar  nicht 
getrennt  behandeln.  In  der  historischen  dagegen  verhält  es  sich 
anders;  diese  wird  naturgemäl's  von  der  politischen  Trennung  weit 
stärker  berührt  und  sondert  sich  rascher  in  verschiedene  Zweige. 
Alles  was  die  Lokalgeschichte  betrifft,  gewinnt  nur  noch  in  einzelnen 
Fällen  Bedeutung  für  das  Nachbarland;  die  wichtigeren  Werke  all- 
gemeiner Art  aber  dürfen  nicht  aufser  acht  gelassen  werden,  und  bei 
der  engen  Verbindung  der  karolingischen  Teilreiche  finden  wir  in 
diesen  immer  auch  die  Nachbarländer,  wenn  nicht  gleichmäfsig,  so 
doch  mit  wenig  geringerer  Sorgfalt  berücksichtigt,  als  die  Heimat. 
Vor  allem  gilt  das  von  der  Reichshistoriographie  der  Annalen. 
Wie  die  Fulder  Annalen  auch  für  Frankreich  von  Wichtigkeit  sind, 
so  noch  mehr  die  Be  rtinian  ischen ')  für  Deutschland. 

Die  alten  Reichsann alen  bilden  für  beide  Reiche  gleichmäfsig 
den  Ausgangspunkt;  während  man  aber  am  ostfränkischen  Hofe 
diese  Aufgabe  erst  nach  einiger  Zeit  wieder  aufnahm,  trat  im  west- 
lichen Franken  keine  Unterbrechung  ein,  und  wir  finden  schon  in 
den  Jahren  830—835  eine  gleichzeitige  Fortsetzung.  Das  Kloster 
St.  Bertin  hat  nur  deshalb  den  Namen  dazu  hergegeben,  weil  diese 
Annalen  zuerst  aus  einer  Handschrift  desselben  bekannt  wurden; 
sie  tragen  ein  durchaus  universelles  Gepräge  und  haften  an  keinem 
bestimmten  Oi*te. 

Die  Hofschule  bestand  unter  Ludwig  dem  Frommen,  wie  wir  sahen, 
ebenso  wie  unter  seinem  Vater.  Nicht  minder  unter  dem  geistig  sehr 
angeregten  Karl  dem  Kahlen,  an  dessen  Hofe  Johannes  Scotus'-) 
glänzte,  einer  der  gröfsten  Gelehrten  dieses  Zeitalters,  bekannt  durch 


1)  Annales  Bertiniani  ed.  Pertz,  MG.  SS.  I,  419—515.  Neue  Ausg. 
V.  G.  Waitz,  Hann.  1883,  8;  vgl.  dens.:  Ueber  die  Ueberlieferung  der 
Ann.  Bertiniani,  Berl.  SB.  1883,  S.  113—121.  Benutzt  sind  aufser  den 
Hss.  das  Chron.  Vedastinum,  Cont.  Aimoini,  der  einige  Zusätze  von 
zweifelhaftem  Ursprung  hat,  Ann.  Mettenses,  über  deren  jetzt  in  Berlin 
befindl.  Hs.  Wattenbach  NA.  XYI,  607—609  berichtet  hat.  Wenig  Hülfe 
bietet  das  fast  ganz  aus  Ann.  Bertin.  u.  Vedastini  geschöpfte  Chronicon 
de  gestis  Normannorum  in  Francin,  MG.  I,  532  —  536,  in  ganz  unbestimm- 
ter Zeit  in  St.  Omer  verfafst.  Uebers.  der  Ann.  Bertin.  von  Jasmund 
1857.  1890.     Geschichtschr.  Bd.  24  (IX,  9). 

^)  Reuter,  Gesch.  d.  Aufklärung  I,  54  —  64.  Briefe  von  ihm  Epp.  V, 
680.  VI,  158 — 162;  seine  Gedichte  Versus  lohannis  Sapientissimi  in  der 
Ausgabe  seiner  Werke  von  Floss,  Migne  CXXXII,  .593—610.  1221—1240 
ex  cod.  Vat.  Christ.  1587.  von  Traube,  Poet.  Car.  III,  518—553.  757  mit 
sehr  beachtenswerter  Einleitung.  Die  Spottverse  auf  Rom :  Nobilibus 
quondam  bei  Migne  1194,  Traube  555. 


324  II-  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

seinen  Anteil  an  dem  Prädestinationsstreite,  wie  durch  seine  üeber- 
setzungen  aus  dem  Griechischen,  da  er  einer  der  seltenen  Kenner 
dieser  Sprache  war.  In  den  Jahren  859 — 869  verfafste  er  zur  Ver- 
herrlichung Karls  und  seiner  Gemahlin  Irmintrud  eine  Reihe  von 
lobpreisenden  Gedichten,  darunter  sogar  mehrere  griechische.  Karl 
widmete  auch  ein  unbekannter  Autor  ein  geographisches  Werk, 
welches,  ganz  aus  Stellen  alter  Schriftsteller  zusammengesetzt,  Zeugnis 
für  die  eifrig  betriebenen  Studien  in  jener  Zeit  ablegt^).  Seine  Sorge 
für  wissenschaftliche  Bildung  wird  hoch  gepriesen,  und  zu  seiner 
Zeit  wird  Manno  aus  Laon  als  Vorsteher  der  Hofschule  genannt, 
von  dem  gleichnamigen  Probste  von  Saint-Oyan  (später  Saint-Claude) 
im  Jura  zu  unterscheiden,  der  diesem  Stifte  mehrere  noch  jetzt  er- 
haltene Handschriften  dargebracht  hat^).  An  den  theologischen  Lehr- 
streitigkeiten nahm  Karl  den  wärmsten  und  eifrigsten  Anteil ,  wie 
seine  Beziehungen  zu  Jonas,  Lupus,  Radbert,  Ratramnus,  Hink- 
mar  u.  a.  beweisen,  nicht  minder  liebte  er  die  Gaben  der  Muse  eines 
Heirich,  Milo,  Hukbald  u.  a.  —  „rex  atque  theologus  idem"  heilst 
er  deshalb  bei  Joh.  Scottus  (Poet.  Car.  III,  545). 

In  der  Schule  Ludwigs  ist  auch  der  Spanier  Galindo  ausgebildet, 
welcher  den  Namen  Prudentius  annahm^);  ein  vornehmer  Jüng- 
ling, welcher  frühzeitig  ins  Frankenreich  gebracht  war.  Aus  dieser 
Zeit,  noch  vor  817,  haben  sich  an  ihn  gerichtete  Verse  eines  un- 
bekannten Dichters  erhalten,  leider  nur  teilweise  verständlich^). 
Theodulf,  Clemens  und  Thomas  werden  darin  erwähnt.  Als  die 
Kaiserin  Judith  sich  einst  in  Gefahr  befand,  hat  er  für  sie  auf 
ihren  Wunsch  Floi'es  psalmorum  zusammengestellt^).  Die  Verse 
Walahfrids   ad  Prudentium  magistrum  (oben  S.  279)   werden   doch 

M  Anonymi  de  situ  orbis  libri  duo,  ed.  M.  Manitius,  Stuttg.  1884. 
Der  Prolog  NA.  IV,  176;  von  Heirich  benutzt  s.  Poet.  Car.  III,  438, 
Solinus  ed.  Mommsen  ed.  alt.  p.  XXVIII. 

^)  „Voto  bonae  memoriae  Mannonis  liber  ad  sepulcrmn  sancti  Augendi 
oblatus."  S.  Dümmler,  Ostfr.  III,  652.  Probst  war  er  schon  870.  Mit 
Manno  beschäftigt  sich  Traube  „Zur  Ueberlieferung  der  Elegien  des 
Maximianus"  im  Rhein.  Mus.  für  Philol.  N.  F.  XLVIII,  284—289,  wo  der 
Probst  von  Saint-Oyan  völlig  von  dem  Lehrer  an  der  Hofscliule  zwischen 
864  und  893,  geb.  843,  Priester  876,  unterschieden  wird,  üeber  seinen 
Kollegen  Joseph  s.  unten  S.  330.  Merkwürdige  Verse  und  Briefe  aus 
Karls  d.  K.  Zeit,  worin  auch  Manno  erwähnt  wird,  NA.  XIII,  343—3-57, 
herausgeg.  von  Dümmler,  jetzt  Epp.  VI,  180 — 187. 

=*)  Ebert  II,  267,  u.  S.  365—368  über  die  Annalen.  Dümmler,  NA. 
IV,  314. 

*)  Poet.  Car.  I.  579.  Dafs  der  Verf.  Prudens  geheifsen,  widerlegt 
L.  Traube,  Karol.  Dicht.  S.  65,  u.  gibt  Verbesserungen  zum  Texte. 

'•')  Poet.  Car.  II,  701.  Der  Prolog  gedruckt  bei  A.  Mai.  Nova  Coli. 
IX,  369,  Epp.  V,  323-324. 


Annales  ßertiniani.  325 

wohl  sicher  an  denselben  Galindo  gerichtet  sein,  welcher  zwischen  843 
und  84G  Bischof  von  Troyes  geworden,  am  <5.  April  801  gestorben 
ist.  Von  ihm  selbst  haben  wir  Verse  aus  einem  von  ihm  seiner  Kirche 
gewidmeten  Evangelienbuch'),  und  kirchliche  Schriften. 

Dieser  Prudentius  wird  von  Hinkmar  als  der  Fortsetzer  der 
Annalen  genannt,  auch  861  von  ihm  der  Tod  desselben  mit  scharfem 
Tadel  seiner  in  den  letzten  Jahren  ketzerischen  Haltung  angemerkt. 
J.  Girgensohn-)  hat  sich  bemüht  zu  erweisen,  dafs  der  Inhalt  der 
Annalen  genau  zu  dem  stimmt,  was  wir  von  Prudentius  wissen, 
indem  er  835 — 840  dem  alten  Kaiser  treu  ergeben  ist,  bis  853 
Karls  des  Kahlen  Handlungen  möglichst  zu  beschönigen  sucht,  nach 
der  Synode  von  Quierzy  aber,  wo  er  die  seiner  früheren  Lehre 
widerstreitenden  Artikel  unterschreiben  mufste,  auch  rücksichtslosen 
Tadel  nicht  scheut.  Der  Brief  Hinkmars,  welcher  allein  uns  die 
Kunde  von  Prudentius'  Autorschaft  erhalten  hat,  zeigt  zugleich,  dafs 
die  Urschrift  des  Werkes,  welches  schon  vielen  bekannt  geworden 
war,  sich  in  des  Königs  Händen  befand,  und  bestätigt  dadurch  den 
offiziellen  Charakter  desselben.  Nur  darf  man  nicht  vergessen,  wie 
selbständig  die  Bischöfe  Frankreichs  ihrem  Könige  gegenüber 
standen,  und  es  ist  deshalb  nicht  zu  verwundern,  dafs  Prudentius 
seine  eigene  Meinung  mit  einer  Entschiedenheit  ausspricht,  welche 
Rudolf  von  Fulda  ganz  fern  liegt.  Noch  weit  unabhängiger  er- 
scheint die  Fortsetzung,  welche  der  Erzbischof  Hinkmar  von 
Reims  bis  zum  Jahre  882,  dem  Jahre  seines  Todes,  fortgeführt  hat. 
Sie  bietet  uns  die  Reichsgeschichte  aus  dem  Standpunkte  des  Ver- 
fassers, des'bedeutendsten  Staatsmannes  im  Reiche  Karls  des  Kahlen, 
der  unablässig  bis  an  seinen  Tod  für  das  Wohl  des  Reiches  und 
die  Selbständigkeit  der  westfränkischen  Kirche  auch  gegen  König 
und  Papst  gearbeitet  und  gekämpft  hat,  nicht  immer  mit  redlichen 
Mitteln  allein,  obgleich  freilich  Schrörs  (S.  307.  507—512)  ihn  von 
dem  Verdachte  zu  befreien  sucht,  dafs  er  zur  Erreichung  seiner 
Zwecke  auch  Fälschungen  und  Erdichtungen  nicht  verschmäht  habe ; 


')  Die  von  mir  unbenutzt  gebliebene  Hs.  befindet  sich  jetzt  in  Paris, 
s.  Delisle,  Anc.  Sacramentaires  p.  297.  —  Briefe  des  Prudentius  Epp.  V, 
f)31 — 633  an  Wenilo  v.  Sens,  Formulae  ed.  Zeumer  p.  .336  (Mabillon 
Anal,  vet  p.  418)  an  Walahfrid,  vgl.  dazu  die  an  ihn  gerichteten  Verse 
p.  375. 

2)  Prudentius  und  die  Bert.  Annalen,  Riga  1875.  Vgl.  d.  Rec.  von 
F.  Bahn  in  Lit.  Centralbl.  1876  S.  848.  Baehr  S.  453—456.  C.  v.  Noorden, 
Hincmar  S.  152.  Sein  Latein  ist  mangelhafter  als  man  von  Pr.  er- 
warten sollte.  Aber  auch  Hinkmar  hat  auf  die  Form  wenig  Sorgfalt 
verwandt. 


326  ^^-  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

ein  sicheres  Beispiel  kecker  Fälschung  hat  Krusch  ia  der  Vita  Re- 
migii  nachgewiesen'):  verfafst  im  Jahre  878,  enthält  sie  in  der 
Translatio  einige  Nachrichten  aus  der  karolingischen  Zeit.  Sicher 
aber  sind  seine  Annalen  von  solchen  Flecken  rein,  wenngleich  au 
manchen  Stellen  nicht  frei  von  Parteilichkeit,  und  als  die  hervor- 
ragendste Geschichtsquelle  dieser  Zeit  zu  betrachten'). 


1)  Auctt.  antt.  IV.  2  p.XXII,  die  Ausgabe  SS.  Merov.  III,  239—341. 
ausführlich  Reimser  Remigiusfälschungen  NA.  XX,  509 — 5B8. 

^)  Als  Verfasser  der  Annalen  nennt  ihn  Richer  im  Prolog  seiner  Ge- 
schichte. Ueber  deren  Glaubwürdigkeit  v.  Noorden  S.  153.  E.  Büchting, 
Glaubwürdigkeit  Hincmars  v.  R.  im  3.  Teil  der  Ann.  Bert.  Hall.  Diss. 
1887.  —  Hincmari  Opuscula  et  epp.  ed.  Cordesius.  Par.  1615,  4  (dem 
mit  einigen  Schreiben  H.s  schon  Flacius  vorausgegangen  war).  Opera 
ed.  Sirmond  1645,  f.  Neuer  Abdruck  bei  Migne  Vol.  CXXV.  CXXVI. 
Verz.  bei  Schrörs,  S.  512 — 588.  Zwei  neu  entdeckte  Schriften  hat  Gund- 
lach  herausgegeben,  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  X,  S.  92 — 145.  258—310, 
das  Gutachten  gegen  Rothad,  Schrörs  n.  134,  und  die  erste  Schrift  gegen 
Gottschalk  (849  oder  850)  an  die  „filii  simplices"  seiner  Gemeinde. 
Was  von  Hinkmars  Versen  sich  erhalten  hat,  ist  von  L.  Traube  heraus- 
gegeben Poet.  Gar.  III,  406 — 420.  Die  wichtige  Schrift  De  villa  Novilliaco 
von  Holder-Egger  SS.  XV,  2,  1167—1169,  dazu  Verbesserungen  NA.  XXIII. 
196 — 198.  Dafs  H.  die  CoUectio  de  raptoribus  im  Capitul.  von  Quierzy 
857  verfafst  habe,  weist  Krause  nach,  NA.  XVIII,  303—308,  vgl.  XX, 
493.  Vgl.  C.  v.  Noorden,  Hincraar  Erzb.  von  Rheims  1863,  rec.  von 
Wenck,  Hist.  Zeitschr.  XI.  222,  von  Dümmler  im  Litt.  Centralbl.  1864 
Sp.  1197.  Dümmler,  Ostfr.  III,  210—213.  Heller,  Allg.  D.  Biogr.  XII, 
438 — 456.  Schrörs,  H.  v.  R.  Sein  Leben  u.  seine  Schriften,  Freib.  1884, 
rec.  V.  Dümmler  im  Centralbl.  1884,  Sp.  1197.  In  diesen  Werken  sind 
auch  die  übrigen  geschichtlich  wichtigen  Schriften  Hinkmars  besprochen 
und  ausgebeutet.  Seine  für  Karlmann  geschriebene  Darstellung  der  Re- 
gierungsweise Karls  des  Grofsen  ist  oben  S.  303  erwähnt.  Vgl.  Dirksen, 
Hinterlassene  Schriften  II,  130 — 841:  H.  als  Kenner  der  Quellen  des 
römischen  Rechts,  Conrat  über  eine  Quelle  der  röm.  rechtl.  Texte  bei 
Hinkmar  NA.  XXIV,  349—357.  Ueber  die  von  H.  gestifteten  Prachthss. 
und  andere  ältere  aus  Reims  vgl.  NA.  XXVII,  273.  Hinkmar  befahl  seinem 
Klerus  852  §  8,  den  compotus,  d.  h.  die  Osterberechnung  zu  lernen 
(Marlot.  Hist.  Rem.  I,  418).  Damit  verbindet  Bock  bei  Weifs,  K.  Alfred 
S.  31,  die  Inschrift  bei  Varin,  Archives  admin.  de  Reims  I,  334,  wonach 
der  Probst  Sicfarius  von  Saint-Remi,  der  kurz  vor  Hinkmar  dem  Kloster 
vorstand  und  Gregors  Moralien  abschreiben  liel's,  eine  Schule  baute: 
^Huic  claustro  pollent  studio  loca  compotis  apta'^  etc.  Compotis  als  Gen. 
nach  Traube,  0  Roma  p.  373.  847  war  Sigloardus  presb.  caput  scholae 
S.  Remensis  ecclesiae,  Marlot  I,  390.  Polyptyque  de  l'abb.  de  St.  Remi 
et  Guerard  p.  57.  —  Geschichtlich  wichtig  sind  auch  die  Parteischriften : 
Narratio  clericorum  Remensiuni,  qualiter  Ebbo  Rem.  archiep.  deposifus, 
niox  restitufus  ac  iterum  deiectus  est,  bei  Duchesne  II,  340.  Bouquet  VII, 
277,  und  Apologeticon  Ebhonis,  NA.  XXV,  361—378.  —  Die  Translatio  S. 
Remigii,  der  882  wegen  der  Normannen  nach  Epernai,  von  da  nach  Or- 
bais, 883  von  Fulco  zurückgebracht  wurde  (Acta  SS.  Oct.  I,  170)  enthält 
fast  nichts ,  was  nicht  auch  bei  Flodoard  steht.  Die  griech.  Verse  im 
cod.  Laudun.  444  sind  an  Hinkmar  von  Laon  gerichtet  nach  L.  Traube, 
0  Roma  nob.  p.  363,  Poet.  Car.  III,  696. 


Annales  Vedastini  und  Chronicon  Vedast.  327 

Von  dem  einflufsreichsten,  nur  vorübergehend  beiseite  gedrängten 
Staatsmanne  herrührend,  unterscheiden  Hinkniars  Annalen  sich  noch 
wesentlich  von  einfachen  Privatarbeiten;  mit  seinem  Tode  versiegte 
in  Frankreich  noch  früher  als  in  Deutschland  diese  Art  der  Geschicht- 
schreibung, wie  denn  auch  der  Verfall  des  Reiches  hier  noch  rascher 
und  unaufhaltsamer  eintrat. 

Allein  in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  wir  in  Deutschland  neben 
den  Reichsannalen  die  Jahrbücher  von  Xanten  finden,  wie  auch  nach 
dem  üebergange  der  amtlichen  Geschichtschreibung  an  die  Bayern 
die  Jahrbücher  von  Fulda  unabhängig  aus  freiem  Antriebe  weiter 
fortgesetzt  wurden,  so  stehen  auch  in  Frankreich  den  Annalen 
Hinkmars  die  Jahrbücher  von  St.  Vaast')  bei  Arras  zur  Seite.  Sie 
reichen  von  874 — 900;  vielleicht  ist  aber  was  uns  vorliegt,  nur  ein 
Bruchstück.  Auf  das  Kloster  des  heiligen  Vedast  weisen  mehrere 
Stellen  hin,  aber  die  Absicht  des  Verfassers  war,  die  Geschichte  des 
westfränkischen  Reiches  zu  schreiben ;  die  Darstellung  ist  ausführ- 
lich und  umfassend,  und  dabei  frei  von  den  Rücksichten,  welche 
in  den  Bertinianischen  Annalen  unverkennbar  sind.  Die  Zwietracht 
im  Reiche  und  die  Heimsuchungen  durch  die  Normannen  werden 
mit  lebhaften  Farben  geschildert.  Wie  in  Deutschland  die  Xantener 
Annalen,  so  blieben  auch  hier  die  Vedastiner  fast  unbekannt;  in  Reims 
Wulste  man  nichts  von  ihnen,  als  Richer  seine  Geschichte  schrieb, 
lind  wir  haben  ihre  Erhaltung  als  einen  besonderen  Glücksfall  zu 
betrachten.  Aufserdem  beschäftigte  man  sich  hier  angelegentlichst 
mit  dem  Schutzheiligen,  dessen  W^under  um  850  der  Küster  und 
Schulvorsteher  Haimin  beschrieb,  ein  gefeierter  Gelehrter,  welchem 
sein  Schüler  Milo  das  metrische  Leben  des  heiligen  Amandus  widmete. 
Bei  der  wachsenden  Kriegsgefahr  wurde  der  heilige  Vedast  852 
feierlich  erhoben  und  wieder  wurde  ein  Buch  über  seine  Wunder 
geschrieben.  Die  Normannen  jedoch  fürchteten  sich  nicht  vor  ihm, 
880  wurde  er  nach  Beauvais  geflüchtet,  893  heimgeführt,  und  auch 
darüber  von  Ulmar  eine  Schrift  verfafst;  allerlei  für  die  Zeit- 
geschichte nicht  unerhebliche  Nachrichten  hat  daraus  Holder-Egger 
ausgehoben"-). 


•)  Annales  Vedastini  ed.  Pertz,  MG.  SS.  I,  516—531,  und  nach  Auf- 
findung der  Brüsseler  Handschrift  in  verbessertem  Abdruck  II,  196 — 290, 
Faks.  in  Arndts  Schriftt.  18.  Vgl.  Düramler,  de  Arnulfo  rege  p.  176. 
Uebersetzt  von  Jasmund  bei  den  Ann.  Bert. 

^)  Monumenfa  Vedastina  minora,  SS.  XV,  896 — 405:  I.  Ex  Miraculorum 
1.  I.  auct.  Haimino.  II.  Ex  libro  II.  auct.  Ulmaro  aliisque  (vgl.  aber 
S.  1315).     III.   Sermo   de   relatione  S.   Vedasti.     IV.  Ex  Apparitione   S. 


328  II-  Karolinger.    §  20.    Frankreich. 

Die  Annalen  kannte  man  im  eigenen  Kloster  wohl,  und  mufs 
auch  eine  grofse  Fülle  von  historischem  Materiale  gehabt  haben, 
denn  gegen  das  Ende  des  elften  Jahrhunderts  ist  hier  eine  grofse 
weltgeschichtliche  Kompilation  bis  899  aus  vielerlei  Quellen  ohne 
viel  Geschick  zusammengearbeitet,  welche  sich  in  einer  jetzt  in 
Douai  befindlichen  Handschrift  erhalten  hat,  aus  der  sie  erst  kürzlich 
bekannt  geworden  ist;  jetzt  hat  den  wesentlichen  Inhalt  mit  Fort- 
lassung des  Anfangs  und  der  wörtlich  entlehnten  Stellen  Waitz; 
(SS.  XIII,  674—709)  als  Chronicon  Vedastinum  herausgegeben  0- 
Aufser  Hieronymus,  Orosius,  Beda,  Isidor,  Nennius,  Jordanis, 
Gregor  von  Tours  ist  Fredegar  mit  seinen  Fortsetzungen  benutzt, 
und  die  Keichsannalen  mit  den  Bertin.  und  Vedast. ,  welche  fast 
ganz  aufgenommen  sind,  so  dafs  die  Handschrift  zur  Verbesserung 
des  Textes  benutzt  werden  kann.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist 
die  Benutzung  der  oben  S.  221  erwähnten  Kompilation  bis  805,  von 
der  Waitz  vermutet,  dafs  sie  noch  höher  hinaufgereicht  habe,  da 
schon  im  siebenten  und  achten  Jahrhundert  gleiche  Quelle  mit  den 
Ann.  Mett.  wahrzunehmen  ist;  doch  mufs  für  die  Zeit  Karl  Martells 
die  Vorlage  eine  Lücke  gehabt  haben.  Einige  Stellen  stimmen  mit 
der  Bistumsgeschichte  von  Cambrai  überein,  Avas  für  die  Zeit  der 
Abfassung  entscheidend  sein  würde;  doch  nennt  der  Verfasser  diese 
Quelle  Gesta  Remensium,  und  ganz  sicher  ist  die  Benutzung  nicht. 
Er  gibt  aber  manchmal  seinen  Quellen  falsche  Benennungen,  weicht 
auch  im  Wortlaut  ab,  und  hat  allerlei  Nachrichten,  deren  Her- 
kunft nicht  festzustellen  und  deren  Wert  zweifelhaft  ist.  Guiman 
von  St.  Vaast  um  1170,  Hermann  von  Tournai  und  Andreas  von 
Marchiennes  haben  das  Werk  benutzt;  früher  als  ins  elfte  Jahr- 
hundert kann  es  nach  der  Beschaffenheit  der  allem  Anscheine  nach 
erhaltenen  Originalhandschrift  unmöglich  gesetzt  werden. 

Gehört  nun  diese  Bearbeitung  schon  späterer  Zeit  an,  so  stammen 
dagegen  die  oben  S.  120  erwähnten  Gesta  Dagoberti  aus  dem  Ende 

Vedasti  auctore  Huberto  presbytero,  Haimin  gewidmet.    Ueber  Haiminus 
vgl.  Poet.  Car.  III,  557.  682. 

^)  S.  682,  32  1.  campi  sucla;  der  angeführte  Vers  ist  Prudentii  Psychom. 
637.  688.  Die  Ausgabe  von  Dehaisnes,  Les  Annales  de  Saint-Bertin  et 
de  Saint-Vaast,  suivis  de  fragments  d'une  chronique  inedite,  1871,  war 
verfehlt,  s.  Monod,  Revue  crit.  1872,  I,  S.  242—254;  G.  Waitz,  GGA. 
1873,  S.  1—9;  W.  Arndt,  HZ.  XXXI,  167—171.  Eine  ältere  Kompilation 
bis  zum  6.  Jahr  des  Heraclius,  welche  hierin  benutzt  scheint,  beschreibt 
Mommsen  NA.  XVI,  430.  —  MG.  SS.  XIII,  710:  Ex  Guimanni  libro  de 
possessionibus  S.  Vedasti;  p.  750:  Catal.  epp.  Atrebafensium;  p.  382:  Serles 
nbbatum  S.  Vedasti,  e  cod.  saec.  IX.  abweichend  von  der  sonst  über- 
lieferten Folge. 


Westfränkische  Annalen.     Abbo.  329 

des  neunten  Jahrhunderts,  und  um  900  war  nach  B.  Krusch  auch 
schon  die  Bearbeitung  vollendet,  welche  aus  Gregor  von  Tours 
mit  der  unter  Fredegars  Namen  bekannten  Sammlung  und  deren 
Fortsetzern  eine  einigermafsen  lesbare  Frankengeschichte  herstellte 
(S.  222). 

Wir  finden  also  auch  in  Frankreich  eine  nicht  unbedeutende 
Beschäftigung  mit  der  Geschichte,  und  namentlich  die  annalistische 
Form  der  gleichzeitigen  Geschichtschreibung  reich  entwickelt,  bis 
sie  durch  den  Verfall  des  Reiches  erstickt  wird.  So  u.  a.  frühzeitig 
in  dem  Kloster  der  heiligen  Columba  zu  Sens  Annalen,  die  in 
späteren  Werken  verwertet  wurden').  Von  Aufzeichnungen  anderer 
Art  ist  nur  noch  die  poetische  Behandlung  der  Belagerung  der 
Stadt  Paris  durch  die  Normannen  vom  November  885 — 886  und  der 
weiteren  Kämpfe  bis  896  zu  erwähnen,  verfafst  von  Abbo^),  einem 


'j  Ann.  S.  Columbae  Senonensis  708—1218  ed.  Pertz  MG.  SS.  I, 
102 — 109,  bis  840  in  den  Ann.  Maximini  ausgeschrieben,  s.  unten  III  §  7. 
Nach  einem  vollständigeren  P]xemplare  bis  922  sind  sie  von  Albricus 
benutzt,  s.  SS.  XXIII,  661.  Verwandte  Notizen  aus  einem  Martyrologium 
bei  Delisle,  Not.  et  extr.  XXXI,  1,  68—70,  Sacrament.  p.  114.  164.  Von 
den  unbedeutenderen  kleinen  Annalen ,  welche  doch  häutig  einzelne 
schätzbare  Nachrichten  enthalten,  erwähne  ich  Ann.  S.  Quintini  Vero- 
mandenses  ed.  Bethmann  SS.  XVI,  507,  von  793—994  meist  gleichzeitig, 
aber  dürftig;  Engolismenses  ed.  Pertz  SS.  XVI,  485,  von  815—870  und 
noch  dürftiger  fortgesetzt  886-930-  940—991  (daraus  mit  einigen  Zu- 
sätzen Chron.  Aqnitanicum  SS.  II,  2-52,  und  Ann.  Engoli^tmenses  SS.  IV,  5; 
vgl.  dazu  Delisle  in  den  Not.  et  extr.,  XXXV,  1,  300,  Lemoiic.  II,  251 
von  838 — 1060,  Faksimile  von  Lair,  Etudes  crit.  I.);  Lugdunen.^es  I,  110 
von  769—841  (Catal.  archiepp.  Lugd.  s.  IX.  s.  NA.  VIII,  624);  Masciacenses 
SS.  III,  169  von  732—824  und  fortgesetzt  832—1013,  von  Massai  im 
Berry;  Verse  auf  dieses  Kloster  unter  dem  Abt  Odo  (935-967)  vei-falst, 
bei  Senebier,  Catal.  des  Manuscrits  de  Geneve  p  130,  u.  H.  Hagen,  Carm. 
med.  aevi,  p.  112;  Ann.  S.  Medardi  a.  497 — 987  und  Auszüge  aus  der 
Fortsetzung  bis  1249  ed.  Waitz,  SS.  XXVI,  518—522;  Ann.  Floriacenses 
II,  254  von  864—1060;  Nivemense.^  a.  509—1188,  SS.  XIII.  88— 91;  S. 
Victoris  Mas^iliense-^  (darin  Barcinonenses)  538 — 1542,  SS.  XXIII,  1 — 7; 
vgl.  Arnold  S.  61;  Kritik  d.  Ausgabe,  u.  Ausgabe  von  Albanes,  Melanges^ 
d'Arch.  et  d'hist.  VI.  de  l'Ecole  fmn?.  de  Rome.  Zwischen  1330  u.  1338, 
angeblich  nach  einer  verlorenen  Chronik  über  und  aus  Karls  d.  Kahlen 
Zeit  verfafst,  in  der  That  aber  ganz  fabelhaft,  begründet  auf  ein  zur 
Bewirkung  der  Kanonisation  spät  verfafstes  Leben  ist :  Le  roman  en  vers 
de  tres  excellant,  puissant  et  noble  homme  Girard  de  Rossillon,  jadis  duc 
de  Bourgogne,  publie  par  Mignard,  ä  Paris  1858;  vgl.  Revue  bist.  VIII, 
216;  Paul  Meyer:  La  Legende  de  Girart  de  R.  in  d.  Zeitschr.  Romania, 
1879.  Uebers.  mit  Einl.  von  dems.  1884.  A.  Stimming:  Ueber  die 
provenz.  G.  de  R.  18S8. 

2)  Abbonis  de  hellh  Parixiacae  urhi^  libri  111  ed.  Pertz,  MG.  SS.  II, 
776—805.  Sep.-Abdr.  1871,  besser  v.  Winterfeld  Poet.  Car.  IV,  71—122. 
Vgl.  E.  A.  Freemans  Essay:  The  early  sieges  of  Paris.  Das  dritte  Buch, 
hinzugefügt,    um    der  heiligen  Dreizahl  zu  genügen,    ist  nur  allegorisch 


330  If-  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

Mönche  von  St.  Germain-des-Pres,  zur  Verherrlichung  seines  Heiligen ; 
schätzbar  durch  ihren  Inhalt  und  belehrender  als  manches  Geschichts- 
werk, da  der  Dichter  diese  Ereignisse  selbst  mit  durchlebt  hatte,  in 
sehr  gezierter  und  gesuchter,  oft  kaum  verständlicher  Sprache.  Im 
allgemeinen  überwog  in  Frankreich  noch  mehr  als  in  Deutschland 
die  Richtung  auf  theologische  und  philosophische  Gelehrsamkeit;  die 
kirchlichen  Fragen  beschäftigten  die  Geister  im  höchsten  Grade  und 
die  wissenschaftliche  Thätigkeit,  welche  Karl  der  Kahle  bei  aller 
Schwäche  seiner  Regierung  zwar  lebhaft  begünstigte^),  kam  der 
Geschichte  weniger  zu  gute.  Denn  die  üeb  er  arbeitung  oder  auch 
neue  Aufzeichnung  älterer  Heiligenleben,  welche  auch  hier  vielfach 
vorkommt,  hatte  mehr  einen  liturgischen  oder  doch  erbaulichen 
Zweck;  die  Form  ist  die  Hauptsache  dabei  und  von  ernstlicher 
geschichtlicher  Forschung  nicht  die  Rede. 

In  Chelles  liefs  die  Aebtissin  Hegilwich,  die  Mutter  der  Kaiserin 
Judith,  833  den  Leib  der  Königin  Baltechildis  erheben,  worüber 


gramm.  Inhalts  und  besteht  fast  ganz  aus  seltenen,  schwer  verständlichen 
Worten.  Doch  ist  es  mit  Glossen  für  den  Unterricht  versehen  und  auch 
abgesondert  öfter  abgeschrieben,  gedr.  in  Mangearts  Catal.  de  Valenc. 
S.  656 — 659.  Abbos  Klosterbruder  A  i  m  o  i  n  gibt  in  seinen  zwei  Büchern 
de  S.  Germani  miraculift  ebenfalls  Nachrichten  über  frühere  Verheerungen 
der  Normannen;  s.  über  seine  Schriften  Baehr  S.  243;  Ebert  II,  352, 
NA.  IV,  543.  Vgl.  NA.  XII,  447,  über  eine  K.  Odo  gewidmete  poet. 
Bearbeitung.  Die  von  Aimoin  aufgenommene  Translatio  S.  Germani 
a.  845  Anal.  Boll.  II,  69-98,  MG.  SS.  XV,  10—16.  Trandafio  S.  Medenci 
(Mab.  III,  1,  14.  Acta  SS.  Aug.  VI,  524)  in  Paris  884  durch  Bischof 
Oauslin,  Abt  von  St.  Germain  und  St.  Denis,  enthält  sonst  keine  Nach- 
richten. Translatio  S.  Bertae  (Mab.  III,  1,  454.  Acta  SS.  Jul.  II,  54)  von 
Blangi  bei  Amiens  895  nach  Erstein  im  Elsafs,  um  sie  vor  den  Nor- 
mannen zu  retten,  gedenkt  einer  Synode  zu  Tribur,  wo  die  Aebtissin 
Rotrudis  von  Erstein  anwesend  war.  Auszug  Ex  Miraciilis  et  transl.  S.  B. 
ed.  L.  de  Heinemann,  SS.  XV,  564. 

')  Graf  Vi  vi  an  Laienabt  von  St.  Martin  und  Marmoutiers,  widmete 
ihm  850  die  herrliche  Bibel  Paris  Lat.  1.  mit  den  Versen  bei  Traube,  Poet. 
Lat.  III,  243.  Joseph,  in  Tours  unter  Erzbischof  Amalrich  (von  vor 
849— S55) ,  der  früher  Vorstand  der  Schule  gewesen  war,  gebildet  mit 
Paul,  849 — 855  Erzbischof  von  Rouen,  war  847  und  848  Kanzler  Pippins  IL 
von  Aquitanien,  dann  „incljrti  regis  Ludowici  (des  Stammlers)  liberalium 
litterarum  praeceptor  atque  eiusdem  sacri  palatii  cancellariorum  mini- 
sterio  functus".  Er  schrieb  auf  Bitten  jenes  Paul  Translatio  S.  Ragno- 
herti,  der  847  von  Bayeux  mit  Frechulfs  Rat  nach  St.  Victor  d.  Lexov. 
und  dann  in  die  neugebaute  Kirche  in  Suiacum,  vermutlich  Notre-Dame- 
d'Epines,  gebracht  wurde,  wo  Frechulf  den  Hauptaltar  weihte;  gedr.  bei 
d'Achery  SpiciL  XII,  600-621.  II,  127—133  ed.  IL  Acta  SS.  Mai  III, 
620 — 624,  Er  erwähnt  den  Tod  beider  Erzbischöfe  gleich  nach  Beginn 
seiner  Arbeit.  Vermutlich  schrieb  er  auch  die  betrüglich  dem  Lupus 
untergeschobene  Vita  S.  Rarpioherti,  ein  Plagiat  der  Vita  S.  Reverentii; 
ed.  Jules  Lair,  Bibl.  de  l'Ecole  des  Chartes  V,  3,  89—124. 


Translationen.     Caimina  Centulensia.  331 

bald  nach  856  berichtet  wurde').  Etwas  später  finden  sich  hin  und 
wieder  Nachrichten  über  die  Unthaten  der  Normannen  in  den  Samm- 
lungen vonWundergeschichteu  und  den  Berichten  über  die  Irrfahrten 
der  vor  den  gottlosen  Feinden  geflüchteten  Reliquien.  So  in  den 
Miracula  S.  Benedicti  und  S.  Filiberti,  welche  letzteren  nebst  den 
Uebertragungen  Ermentarius  zuerst  als  Mönch,  dann  als  Abt  von 
Noirmoiitier  aufgezeichnet  hat,  ferner  in  des  Abts  Od  o  von  Glan- 
feuil  Geschichte  der  üebertragung  des  heiligen  Maurus  von  Saint- 
Maur-sur-Loire  nach  Saint-Maur-des-Fosses  bei  Paris-)  868,  welche 
wohl  etwas,  doch  nicht  viel  mehr  Glauben  verdienen  mag,  als  des- 
selben Odo  angeblich  nach  einem  gleichzeitigen  Werke  des  Faustus 
erneuertes  Leben  des  heiligen  Maurus ■'),  und  mit  besonderer  Leb- 
haftigkeit und  Anschaulichkeit  in  den  Wundergeschichten  vom 
heiligen  Bertin  US'*).  Nicht  minder  in  den  Wundern  des  heiligen 
Quintinus  und  dem  Berichte  über  seine  und  seiner  Genossen 
Victorius  und  Cassianus  Bestattung,  worin  verloi'ene  Annalen  be- 
nutzt sind.  In  die  kurze  Regierung  Karls  III.  über  das  westfrän- 
kische Reich  fallen  rhythmische  Gedichte  auf  die  üebertragung 
der  Heiligen  Cyprianus  und  Cornelius  aus  Senlis,  wohin  sie 
vor  den  Heiden  geflüchtet  waren,  nach  Compiegne  aus  den  Jahren 
886—887  -'). 

Hierher  gehören  auch  die  schon  oben  S.  193  erwähnten  Auf- 
zeichnungen aus  dem  Kloster  Saint-Riquier  oder  Centulum.  Aus 
diesem  aber  hat  sich  auch  noch  eine  nicht  unwichtige  Sammlung 
von  Gedichten  erhalten,  mit  welchen  ja  die  Mönche  des  neunten 
Jahrhunderts  sich  überaus  gerne  beschäftigten;  sie  beziehen  sich 
grofsenteils  auf  Aebte  des  Klosters,  welche,  ohne  Ausnahme  Laienäbte, 
der  kaiserlichen  Familie  angehörten,  und  dienen  zur  Berichtigung 
der  chronologischen  Angabe  Hariulfs.  Die  Hauptmasse  rührt  von 
demDiaconus  Micon  her  und  umfafst  die  Jahre  825 — 853:  er  wirkte 


1)  Ex  translatloni:  S.  Baltechildls,  ed.  Holder-Egger,  SS.  XY,  284. 

-)  Auszüge  aus  Ermentarius  von  Holder-Egger  SS.  XV,  1,  297 — 303. 
1315.  Ti'anslatio  S.  Mauri  Mab.  lY,  2,  165 — 183.  Ex  Odonis  miracidis 
S.  ilauri  sive  restauratione  nioti.  Glannafoiiensis,  SS.  XV,  461 — 472.  Vgl. 
Ebert  II,  351. 

^)  Schon  von  Papebroch  aufgegeben,  doch  noch  häufig  benutzt;  s.  P. 
Roth,  Gesch.  des  Benefizialwesens,  S.  438;  Bonneil,  Die  Anfänge,  S.  200. 
Zeumer,  NA.  XI,  316,  Traube  Reg.  S.  Bened.  S.  697. 

^)  Miracula  S.  Bertini  bis  891,  mit  späteren  Fortsetzungen,  MG.  SS. 
XV,  507 — 534,  von  Holder-Hgger.  Daselbst  auch  Ex  miracidis  S.  Martialis, 
S.  280 — 283.  Mirac.  S.  Quintini  und  Sermo  de  tumulat.  Quirini  Acta 
SS.  Oct.  XIII,  818.     SS.  XY,  265—273. 

5)  Herausgeg.  von  Winterfeld.  Poet.  Car.  lY,  2.36—241. 


332  IJ-  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

als  Lehrer  und  hat  auch  eine  Zusammenstellung  von  Versen  älterer 
Dichter  zu  prosodischen  Zwecken  auf  überlieferter  Grundlage  verfal'st. 
Verbunden  sind  damit  Gedichte  des  Spittlers  Fredigardus  aus 
den  Jahren  861 — 871  und  vermutlich  auch  seines  Zeitgenossen,  des 
Kustos  Odulfus,  welchem  Traube  einen  von  Hariulf  in  seine 
Chronik  (III,  11.  12.  14)  aufgenommenen  Bericht  über  die  von 
ihm  gesammelten  Reliquien  zuschreibt.  Nachdem  einige  wenige 
dieser  Gedichte  an  verschiedenen  Orten  veröffentlicht  waren  und 
Bethmann  schon  vor  60  Jahren  die  ganze  Sammlung  abgeschrieben 
hatte,  ist  sie  jetzt  von  L.  Traube  vollständig  herausgegeben  und 
schai'fsinnig  erläutert'). 

Zu  den  berühmtesten  Gelehrten  dieser  Zeit  gehörte  Heirich 
aus  Auxerre,  841  geboren  und  seit  850  zum  Diener  des  heiligen 
Germanus  geschoren;  859  wurde  er  zum  Subdiaconus  geweiht  und 
hat  dann,  nach  der  Sitte  der  lernbegierigen  jungen  Mönche  jener 
Zeit  verschiedene  Lehrer  aufgesucht,  namentlich  auch  Schotten - 
mönche,  nach  Traubes  wahrscheinlicher  Vermutung  in  Laon,  wo 
eine  irische  Sippe  ihren  Mittelpunkt  hatte.  Eine  alte  Aufzeichnung^) 
nennt  ihn  einen  Schüler  des  Schotten  Elias,  Bischofs  von  Angoul6me 
(t  860),  und  als  seine  Schüler  wieder  Remigius,  der  die  Reimser 
Schule  herstellte,  und  Hukbald  den  Kahlkopf  von  St.  Amand'). 
Er  selbst  nennt  Lupus,  den  Abt  von  Ferrieres,  und  Haimo,  ver- 
mutlich in  Auxerre,  seine  Lehrer,  in  den  Versen,  mit  welchen  er 
dem  Bischof  Hildebold  von  Soissons  die  Collectaneen  überreichte, 
die  er  jenen  verdankte,  Auszüge  aus  Valerius  Maximus  und  anderen 
Schriftstellern'^).     Sogar  den  unsauberen  Petronius  hat  er  studiert, 

')  Carmina  Centuhnsia,  Poet.  Car.  III,  265—368,  7.53  —  754.  Zu  Micon 
und  den  übrigen  Dichtern  von  S.  Riquier  gibt  M.  Manitius  Citate  und 
Anklänge,  Wochenschrift  für  klass.  Philol.  1893  S.  629—634,  Rhein.  Mus. 
L  (1895)  S.  315 — 320.  Ueber  eine  Pariser  Hs.  des  Micon  s.  Bonnet  in  der 
Revue  de  Philol.  Nouv.  ser.  t.  XVIII,  159. 

-)  Bethmann,  Archiv  X,  333 ;  ohne  Kenntnis  dieses  Abdrucks  wieder- 
holt von  Lucian  Müller  im  Rhein.  Mus.  NF.  XXII,  635,  korrekter  bei 
Delisle,  Not.  et  extr.  XXXV,  1,  311.  Quelle  des  Ademarus  Caban.  III,  5. 
Der  Codex  stammt  von  einem  Mönch  S.  Martialis  Lemovicensis ,  wo 
Ademar  studiert  hat,  Arch.  VIII,  575,  Delisle  a.  a.  0.  803 — 309.  Ueber 
Elias  vgl.  Delisle,  Anc.  Sacram.  p.  94. 

^)  Mab.  Anal.  p.  422.  Kommentar  zu  Mart.  Capeila,  Bandini  II,  538, 
soll  von  Remigius  sein.  Vgl.  über  Heirichs  Gelehrsamkeit  auch  Prantl, 
Gesch.  d.  Logik  II,  41 — 44,  vorzüglich  aber  L.  Traube  in  der  Einleitung 
zur  Ausgabe  seiner  Gedichte,  Poet.  Car.  III,  421—517.  755—757.  Ueber 
Heirich  hat  sehr  eingehend  L.  Traube  gehandelt  NA.  XVIII,  71 — 105. 
„Computus  Helperici"  (s.  die  Briefe  Epp.  VI,  117 — 124).  Ueber  seine 
Excerptensammlung  nach  Diktaten  des  Lupus,  Haimo  und  vielleicht  des 
Iren  Elias  Traube,  Rhein.  Mus.  für  Philol.  NF.  XLVII,  558—568.    Ueber 


Heiiich  von  Auxerre.    Acta  episcoi).  Cenomanens.  333 

und  Verse  von  ihm  zum  Preise  des  heiligen  Germanus  benutzt'). 
Denn  dessen  Legende  in  Verse  zu  bringen,  das  war  die  grofse  Auf- 
gabe, welche  ihm  der  jugendliche  und  früh  (865)  verstorbene  Abt 
Lothar,  Karls  des  Kahlen  Sohn,  gestellt  hatte,  als  er  eben  der  Schule 
entwachsen  war.  In  langer  Arbeit  hat  er  das  Werk  vollführt,  und 
dem  Kaiser  Karl  (also  zwischen  875  und  877)  mit  vielen  Lobsprüchen 
überreicht;  hinzugefügt  sind  zwei  Bücher  in  Prosa  über  die  Wunder 
des  heiligen  Germanus,  welche  auch  geschichtlich  brauchbar»  Angaben 
enthalten-).  In  ihnen  stützt  er  sich  gelegentlich  auf  das  Zeugnis 
des  ihm  befreundeten  britischen  Bischofs  Marcus  in  Soissons^). 
Später  war  er  selbst  ein  gefeierter  Lehrer;  eine  Vermutung  von 
Traube,  der  ihn  für  den  Verfasser  des  in  den  Handschriften  bald 
einem  Heiricus,  bald  einem  Helpericus  zugeschriebenen  Computus 
hielt  und  deshalb  glaubte,  Heiricus  habe  später  auch  in  Granfelden 
gelehrt,  wird  von  ihrem  Urheber  zurückgezogen.  Wahrscheinlich 
hat  man  in  Auxerre  in  Erinnerung  an  den  berühmten  Lehrer  seinen 
Namen  an  die  Stelle  des  unbekannteren  Helpericus  gesetzt.  Seine 
ungewöhnliche  Gelehrsamkeit  hat  Heirich  auch  durch  seine  in  tiro- 
nischen  Noten  geschriebenen  Bemerkungen  zu  astronomisch-chrono- 
logischen Schriften  von  Beda  und  anderen  bewiesen,  während  die 
kurzen  Annalen  von  826 — 875  in  derselben  Handschrift  wenig  Sinn 
für  geschichtliche  Aufzeichnungen  verraten'').  Doch  hat  Heirich 
sich  auch  an  der  Geschichte  der  Bischöfe  von  Auxerre  beteiligt, 
die  er  in  Gemeinschaft  mit  den  Domherren  Rainogala  und  Alagus 
verfafste,  ein  Werk,  das  als  einer  der  frühesten  Versuche  der  Art 
Beachtung  verdient,  übrigens  aber  für  die  ältere  Zeit  unzuverlässig, 
für  die  näher  liegende  dürftig  ist^). 

Eine  zweite  Bistumsgeschichte  haben  wir  ausLeMans,  wo  832 

eine  unvollständige  Hs.  der  poet.  V.  Germani  aus  Hautmont  s.  Anal. 
Boll.  XV,  278. 

')  Petronius  ed.  Buecheler,  p.  XL 

2)  Labbe,  Bibl.  I,  531—569.  Acta  SS.  Jul.  VII,  221,  die  Wunder 
S.  255—283.  Daraus  Duru,  Bibl.  bist,  de  rVonne  II  (1863)  S.  1—248. 
Ex  Heirici  Miraculis  S.  Germani,  MG.  SS,  XIII,  401,  die  Vorrede  Epp. 
VI,  124—126.     Vgl.  Dümmler  NA.  IV,  529. 

')  S.  über  diesen  Mommsen  in  den  Auctt.  antt.  XIII,    120.  172—176. 

*)  Sickel,  Lettre  sur  un  Manuscrit  de  Melk,  Bibl.  de  TEcole  des 
Charles,  5.  Serie,  Tome  III,  p.  35.    MG.  SS.  XIII,  80. 

°)  Gesta  episcoporiim  Autisiodorensium  fortgesetzt  bis  1593,  bei  Labbe. 
Bibl.  I,  411 — 526,  neue  Ausgabe  von  Duru.  Bibl.  bist,  de  I'Yonne,  I, 
Auxerre  1850.  Excerpte  MG.  SS.  XIII,  393;  Forts.  XXVI,  584.  Vgl.  P. 
Roth,  Benefizialwesen  S.  444—450.  Für  ihren  Wert  als  gleichzeitige 
Quelle  im  10.  Jahrhundert  Wold.  Lippert .  König  Rudolf  von  Frankr. 
(Leipzig  1886)  S.  123. 


334  II-  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

bis  856  Aldricli  Bischof  war,  von  vornehmer  Herkunft  aus  Sachsen, 
wodurch  es  sich  erklärt,  dafs  er  seinen  Vorgänger,  den  heiligen 
Liborius,  nach  Paderborn  abliefs.  In  der  Hofschule  und  im  Metzer 
Klerus  hatte  er  seine  gelehrte  Bildung  erhalten,  und  sein  Wirken 
in  Le  Mans,  zu  dessen  Bischöfe  Ludwig  der  Fromme  ihn  erhoben 
hatte,  wird  sehr  gerühmt,  sowohl  in  Prosa,  wie  in  Versen,  die  ein 
eifriger  Verehrer  mit  fleifsiger  Benutzung  älterer  Dichter  leidlich 
korrekt,  wenn  auch  nicht  fehlerfrei,  ihm  zu  Ehren  verfafste'). 
Beide  schrieben  bei  seinen  Lebzeiten  und  überschreiten  nicht  das 
Jahr  841.  Verbunden  ist  mit  der  Biographie  die  Geschichte  seiner 
Vorgänger;  leider  steht  dieses  Werk  einzig  in  seiner  Art  da  durch 
die  erstaunliche  Fülle  gefälschter  Urkunden,  welche  es  enthält. 
Vorzüglich  gilt  es  dem  Besitz  der  Abtei  Anisola  oder  Saint-Calais, 
welcher  mit  diesen  Mitteln  erstrebt  wurde;  dann  aber  auch  der 
Sicherung  Aldrichs,  welcher  eine  Zeitlang  entsetzt  war,  gegen 
weitere  Anfechtung.  Aus  diesen  Verhältnissen  ist  nach  einer  be- 
sonders von  B.  Simson  verfochtenen ,  jedoch  wenig  überzeugenden 
Ansicht  die  pseudo-isidorische  Sammlung  hervorgegangen,  und  Ald- 
rich  der  Beteiligung  an  dieser  grofsartigen  Fälsch erei  verdächtig 'O. 
In  Reims  waren  die  beiden  Schulen  der  Domherren  und  der 
Landgeistlichkeit  nach  Flodoards  Angabe  (IV,  9)  gänzlich  verfallen, 
als  Hinkmars  Nachfolger  Fulko  (882—900)  zu  ihrer  Herstellung 
zwei  Schüler  Heirichs  von  Auxerre  berieft).    Meister  Remigius  von 

^)  Zuerst  von  D.  Piolin  in  der  Geschichte  des  Bistums,  II,  535 — 546, 
herausgegeben,  dann  von  Dümmler,  Poet.  Car.  II,  623 — 636. 

^)  Acta  episcoporum  Cenomanensium;  s.  darüber  P.  Roth,  Gesch.  des 
Benefizialwesens,  S.  451—461;  Sickel,  Acta  Karol.  II,  286—290.  Ausg. 
der  Gesta  Aldrici,  auszugsweise  von  Waitz.  SS.  XV,  304 — 327 ;  vollst,  von 
Charles  und  Froger,  Mamers  1890.  B.  Simsons  letzte  Aeufserung  HZ. 
LXVIII,  193—210.  Dagegen  J.  Havet,  Bibl.  de  Fee.  des  eh.  LIV,  597  ff., 
LV,  5  ff.  Les  actes  des  eveques  de  Mans  und  in  Oeuvres  I,  271 — 416. 
Die  Gesta  Aldrici  (bis  c.  44)  sind  eine  um  840  geschriebene  Selbstbiogr., 
die  Actus  pontif.  Cenoman.  eine  zwischen  850  und  856  entstandene  Arbeit 
des  Chorbischofs  David. 

^)  Ademari  Chron.  III,  5.  Remigius,  als  theol.  Schriftsteller  bekannt 
(Hist.  litt,  de  la  France  VI,  99  ff.,  vgl.  Prantl,  Gesch.  der  Logik  II,  44; 
Rendiconti  della  Accad.  dei  Lincei  ser.  5  vol.  XI,  175 — 198:  Commentar 
zu  den  Dist.  Caton.  SB.  der  Münchener  Akad.  1900  S.  535),  selbst  auch 
ein  Schüler  des  Schotten  Dunchad  (s.  Traube  im  NA.  XVIII,  103—104), 
ging  nach  Fulkos  Tode  nach  Paris,  wo  Odo  von  Cluny  sein  Schüler 
war  (V.  Odonis  1.  I,  §  19).  Andere  Schüler  von  ihm  sind  die  in 
der  Vita  loh.  Gorz.  erwähnten  Hildebold  (zu  S.  Mihiel)  und  Blidulf, 
Archidiaconus  der  Metzer  Kirche,  auch  Erzb.  Seulf  v.  Reims,  Flod.  IV, 
18.  Vgl.  Huemer.  Ueber  ein  Glossenwerk  zum  Sedulius,  Wiener  SB. 
XCVI,  505—551.  Ein  von  Sigebert  fc.  123)  erwähnter  Brief  von  ihm  Epp. 
V,  635—640,  vgl.  NA.  XXVI,  565—567.    Von  R.  scheinen  die  zwei  Briefe 


Hukbald  von  St.  Amand.  335 

Auxerre,  der  die  jungen  Kleriker  in  den  freien  Künsten  unterwies, 
während  der  Erzbischof  selbst  mit  ihnen  Theologie  trieb,  und  Huk- 
bald den  Kahlkopf  von  St.  Amand.  Dieser  war  ein  Mönch  in  jenem 
merkwürdigen  Kloster,  welches,  auf  der  Grenzscbeide  beider  Sprachen 
im  Hennegau  gelegen,  uns  zugleich  das  deutsche  Ludwigslied  und 
das  älteste  Denkmal  französischer  Dichtung  aufbewahrt  hat').  Ein 
NeflFe  und  Schüler  des  Milo  -) ,  der  zu  Karls  des  Kahlen  Zeit  als 
Schriftsteller  gefeiert  war  (f  871  oder  872),  übersandte  er  diesem 
um  876  seines  Oheims  Werk  de  sobrietate  mit  einer  poetischen 
Widmung-')  und  liefs  bald  sein  ebenso  künstliches  wie  geschmack- 
loses Gedicht  in  laudem  calvorum  folgen"),  in  welchem  jedes  Wort 
mit  C  anfängt,  mit  einer  Zueignung  an  Erzbischof  Hatte  von  Mainz. 
Nachdem  Fulko,  früher  Abt  von  St.  Bertin,  zum  Erzbischofe  von 
Reims  erhoben  worden  war,  erbat  dessen  Nachfolger  Rodulf  ihn 
vom  Abte  Gauscelin  von  St.  Amand,  um  seine  mangelhaften  Schul- 
kenntnisse zu  ergänzen"');  bald  nachher  aber  mufs  er  jenem  Rufe  nach 
Reims  gefolgt  sein,  wo  er  eine  Zeitlang  als  Lehrer  wirkte,  bis 
sein  Gönner  Fulko  starb.  Aus  dem  Kreise  dieses  Erzbischofs,  der, 
von  dem  Priester  Sigloard  beklagt,  sein  Leben  frühzeitig  durch 
Mörderhand  verlor,  stammt  vielleicht  eine  um  899 — 900  verfafste, 
Kaiser  Karl  III.  zugeschriebene  Vision"),  welche  zur  Empfehlung 
der  Nachfolge  Ludwigs,  des  Sohnes  Bosos,  im  Reiche  dienen   soll, 


zu  sein,  in  deren  einem  an  Bisch.  Dado  v.  Verdun  von  der  Herkunft  der 
Ungern  die  Rede  ist,  Dachery  Spicil.  XII,  349,  Martene  Coli.  I,  320. 
A  Magyar  Honfoglalas,  Pest  1900,  S.  329—334. 

^)  Fragmenta  Elnonensia,  von  HofFmann,  Gent  1837.  4.,  Neue  Aufl. 
1845.  Faks.  bei  G.  Paris,  Les  plus  ancients  Monuments  de  la  langue 
Francjaise,  1875  und  Enneccerus,  Zur  lat.  und  franz.  Eulalia,  Marb.  1897, 
von  dem  Ludwiegsliede  bei  Enneccerus,  Die  ältesten  D.  Sprachdenkm., 
Taf.  40—43;  Versbau  u.  gesangl.  Vortr.  Frankf.  1901. 

=)  S.  über  ihn  Dümmler,  NA.  IV,  521—526.  Ebert  II,  277—285.  Von 
einer  zwischen  845  und  855  verfassten  V.  S.  Amandi  wird  noch  eine  Hs. 
aus  Hautmont  nachgewiesen,  Anal.  Bolland.  XV,  280.  Ausg.  von  Traube. 
Poet.  Car.  III,  561—610. 

')  Diese  allein  bei  Martene,  Tlies.  I,  45.  Vollständige  Ausg.  von 
Desplanque,  Etüde  sur  un  poeme  inedit  de  Milon,  moine  de  St.-Amand. 
Lille  1871,  von  Traube,  Poet.  Car.  III,  610—675. 

*)  Ausg.  von  Isidore  Desilve,  Valenciennes  1875;  von  Winterfeld,  Poet. 
Car.  IV,  265-271;  Hs.  aus  Hautmont,  Anal.  Boll.  XV,  280  mit  Vorrede. 
Vgl.  Jul.  Desilve,  De  schola  Elnonensi  (These)  Lovanii  1890. 

■"■)  Zur  Sicherung  seines  Unterhaltes  wies  der  Abt  ihm  889  ein  Land- 
gut an,  welclies  er  später  den  Mönchen  von  St.  Bertin  überliel's,  MG. 
SS.  XIII,  623. 

^)  Abgedr.  aus  Wilhelm  von  Malmesbury  SS.  X,  458,  vgl.  über  Zweck 
und  Zeit  ihrer  Entstehung  Levison  im  NA.  XXVII,  399—408.  493-502. 
vgl.  Poupardin,  Royaume  de  Provence  p.  324 — 332. 


336  II-  Karolinger.     §  20.    Frankreich. 

im  Gegensatze  zu  Berengar.     Nebenbei  gibt  sich   darin  das  Macht- 
bewufstsein  der  Reimser  Kirche  kund. 

Nach  St.  Amand  heimgekehrt,  verfafste  Hukbald  aufser  andern 
erbaulichen  Schriften  907  ein  Leben  der  heiligen  Rictrudis,  der 
ersten  Aebtissin  von  Marchiennes '),  welches  er  dem  Bischöfe  Stephan 
von  Lüttich  übersandte  und,  wenn  die  Vermutung  des  Herausgebers 
richtig  wäre,  auf  Veranlassung  desselben  Bischofs,  die  metrische 
Vita  S.  Lamberti^),  worin  zuerst  die  von  den  früheren  Biographen 
verschwiegene  Ursaclie  seiner  Ermordung  berührt  wird,  doch  stammt 
diese  nach  v.  Winterfelds  Urteil  vielmehr  von  einem  andern  gleich- 
zeitigen Verfasser  her.  Ausserdem  verdanken  wir  Hukbald  ein  Leben 
des  angelsächsischen  Glaubensboten  Liafwin  (Lebuin),  welches  be- 
sonders durch  die  Erwähnung  der  altsächsischen  Landesversammlung 
merkwürdig,  als  Quelle  aber  wertlos  ist^).  Dieses  in  Anlehnung 
an  Altfrids  Leben  Liudgers  mit  grofser  Belesenheit  und  sorgsamem 
Fleifse  ausgearbeitete  Werk  widmete  er  dem  Bischöfe  Balderich 
von  Utrecht  und  teilte  es  aufserdem  dem  Archidiaconus  Peter  von 
Cambrai  und  dem  Mönche  Odilo  von  St.  Medardus  zur  Prüfung 
mit.  Neunzigjährig  soll  er  930  gestorben  sein.  Um  sein  Kloster 
machte  er  sich  auch  dadurch  verdient ,  dal's  er  die  Gebeine  des 
von  seinem  Vater,  Karl  dem  Kahlen,  geblendeten  und  um  876  ver- 
storbenen Prinzen  Karlmann  von  Echternach  nach  St.  Amand  brachte, 
was  in  einem  Epitaphium  auf  seine  und  Milos  gemeinsame  Grab- 
stätte berichtet  wird"*). 


')  Vita  S.  Rictrudis,  Mab.  II,  939-950.  Acta  SS.  Mai  III.  81—89, 
s.  Ann.  Elnon.  mai.  SS.  V,  12. 

^)  Vie  de  S.  Lambert  ecrite  en  vers  par  Hucbald  de  St.  Amand,  et 
documents  du  X.  siecle  par  J.  Demarteau.  Liege  1878.  Poet.  Carol.  IV, 
141 — 159  von  Winterfeld  mit  angehängten  Hymnen. 

3)  Hucbaldi  V.  S.  Lebuini  ed.  Pertz  MG.  SS.  V,  360—864  im  Aus- 
zuge aus  Surius  VI,  277 — 286,  doch  nach  der  Hs.  berichtigt.  Der 
Rest  ist  aus  den  Lebensbeschreibungen  von  Willibroi'd,  Bonifaz,  Gregor 
und  Liudger  erweitert,  vgl.  Winterfeld  zum  Radbod  Poet.  Car.  IV, 
171  V.  55.  Uebersetzung  des  Auszugs  von  Arndt  hinter  der  V.  ßoni- 
fatii.  Vgl.  über  seine  Quellen  und  besonders  die  Versammlung  von 
Marklo,  W.  Kentzler,  Forsch.  VI.  343—354  und  Entgegnung  von  S.  Abel 
855—356.     S.  oben  S.  296. 

")  Poet.  Car.  IV,  679.  S.  über  Hukbald  Hist.  liter.  de  la  France  VI, 
210 — 221.  —  Hans  Müller,  Hukbalds  echte  und  unechte  Schriften  über 
Musik  (Leipz.  1884.  4),  weist  nach,  dafs  die  Schrift  De  harmonica  Institut., 
aber  nicht  die  Musica  enchiriadis  von  ihm  ist.  Dieselbe  wird  ihm  eben- 
falls abgesprochen  von  Morin,  Revue  benedict.  1891  t.  VIII,  vgl.  auch 
Winterfeld  in  der  Zeitschr.  f.  Deutsches  Altert.  XLV,  146. 


Studien  am  römischen  Hofe.  337 


§  21.     Italien. 

W.  Giesebrecht,  De  litterarum  studiis  upud  Italos,  1815,  4.  Kaisergesch.  I,  313— 3öl. 
821.  Ozanam.  Des  öcoles  eii  Italio  aux  temiis  barbares,  Oeuvres  compl.  II.  3.53. 
Beide  übersetzt  in  der  Bibliot.  critica  della  lett.  Ital.  diretta  di  Franc.  Tor- 
raca  1.  2.  1866.    Balzani,  S.  87— 117. 

In  auffallendem  Gegensätze  gegen  die  beiden  fränkischen  Reiche 
steht  Italien.  Hier  war  die  Geistlichkeit  unberührt  von  der  Bonifazi- 
schen  Reform;  ihr  fehlte  der  wissenschaftliche  Sinn,  welcher,  vornehm- 
lich von  den  Angelsachsen  ausgehend,  die  fränkische  Kirche  durch- 
drungen hatte,  und  an  den  theologischen  Fragen,  die  dort  im  neunten 
Jahrhundert  so  eifrig  erörtert  wurden,  nimmt  sie  keinen  Anteil.  Eben- 
so wenig  übt  der  königliche  Hof,  der  mit  dem  Tode  Kaiser  Ludwigs  II. 
(t  875)  für  Italien  auf  längere  Zeit  erlosch,  hier  eine  bedeutende 
Einwirkung,  und  niemand  machte  auch  nur  den  Versuch,  die  Reichs- 
geschichte in  zusammenhängender  Darstellung  für  die  Nachwelt  auf- 
zuzeichnen. Weit  bedeutender  tritt  der  römische  Hof  hervor,  wo 
die  amtlichen  Aufzeichnungen  über  dieThätigkeit  der  einzelnen  Päpste, 
deren  wir  schon  früher  gedachten,  immer  fortgesetzt*),  und  gerade 
in  diesem  Jahrhundert  ausführlicher  und  reicher  wurden,  so  dafs  sie 
sich  mit  den  Reichsannalen  vergleichen  lassen.  In  Bezug  auf  die 
Darstellung  und  historische  Kunst  stehen  sie  aber  weit  dagegen 
zurück;    es   scheint  den  Verfassern  ein  solches  Bestreben  ganz  fern 

')  Statt  der  älteren  Ausgaben  von  Bianchini,  Romae  1718,  4  Voll. 
und  Vignolius^  Romae  1724,  3  Voll.  4.  unvollendet  (Murat.  SS.  III  nach 
Bianchini;  vgl.  Baehr  S.  261—271),  Ist  jetzt  Duchesne  II  zu  benutzen 
(oben  S.  65) ,  der  bis  zur  Vita  Stephani  V  (885—891)  reicht  und  die 
späteren  Bearbeitungen  umfafst.  Nach  Sehürer,  Hi-st.  Jahrb.  XI,  425  ff. 
ist  die  V.  Stephani  IL  von  dem  Primicerius  Christophorus  verfafst, 
welehor  den  Papst  als  Notarius  regionarius  auf  seiner  Reise  in  Frank- 
reich begleitet  hat.  Nach  Kr.  in  der  Rec.  von  Mock,  de  donatione  Caroli 
Magni  (Centralbl.  1862  Sp.  76)  ist  die  V.  Hadriani  I.  (772—795)  erst 
20—30  Jahre  nach  dessen  Tode  abgefasst  und  scheint  von  demselben 
Verf.  wie  die  V.  Leonis  III.  (795—816) ;  nach  F.  0.  Krosta,  de  donationibus 
a  Pippino  et  Carolo  Magno  sedi  apostolicae  factis,  Königsb.  Dis.s.  1862 
S.  46  erst  nach  829.  Vermutungen  über  Interpolation  der  V.  Hadr. 
(c.  41—43)  s.  NA.  VII,  22>!.  X,  201.  XIII,  236.  Scheffer-Boichorst  hält  die 
Vita  für  gleichzeitig,  aber  die  Grenzbestimmung  ,.id  est  a  Lunis-Beneven- 
tanum"  für  Interpolation;  zustimmeud  Diekamp ,  Hist.  Jahrb.  VI,  637. 
Stücke  der  verlorenen  V.  Eugenü  II.  (824—827)  vielleicht  in  Pauli  D. 
Cont.  Romana  ed.  Waitz  200—203,  vgl.  B.  Simsen.  Ludwig  d.  Fr.  I,  230, 
Waitz  S.  200  über  die  in  d.  Cont.  benutzten,  aus  Lauresh.  und  Lauriss. 
gemischten  Aunalen,  ähnlich  denen  im  cod.  Christ.  213.  Die  von  Wide 
von  Osnabrück  im  Cod.  Udalr.  (Bibl.  V,  340.  Libelli  de  lite  I,  467)  er- 
wähnte Scriptura  de  queritnonia  Eomanonim  über  Ludwigs  II.  Gewalt- 
thaten  864  scheint  verloren  zu  sein. 

Wattenbach,  Geschichtsqiielleu.    I.    7.  Autl.  22 


338  n.  Karolinger.     §  21.    Italien. 

gelegen  zu  haben.  Doch  finden  wir  auch  hier  in  der  zweiten  Hälfte 
des  neunten  Jahrhunderts  eine  nicht  unbedeutende  wissenschaftliche 
Thätigkeit,  einen  Kreis  von  gelehrten  Geistlichen,  wie  er  uns  lange 
nicht  wieder  begegnet.  Der  Bibliothekar  Anastasius^)  (f  879), 
dem  man  früher  die  ganze  Sammlung  der  Papstleben  zuschrieb,  ein 
gelehrter  Mann  und  schlauer  Fuchs,  der  verschiedene  Werke  aus 
dem  Griechischen  übersetzt  hat,  ist  vielleicht  der  Verfasser  des 
Lebens  Nikolaus'  I.,  jenes  gewaltigen  Papstes,  der  den  schwachen 
Karolingern  gegenüber  die  Weltherrschaft  des  römischen  Stuhles 
schon  dem  Ziele  nahe  führte.  Auf  den  Wunsch  des  Diaconus 
Johannes,  der  eine  Kirchengeschichte  schreiben  wollte,  stellte  er 
nach  dem  Vorgange  des  Cassiodor,  den  er  jedoch  nicht  nennt,  aus 
griechischen  Quellen  nach  872  eine  neue  Historia  frlparüta  zu- 
sammen^). Johannes  verfafste  auf  Befehl  Johanns  VIII.  mit  Benutzung 
der  schon  früher  gemachten  Auszüge  aus  dem  Registrum  die  Vita 
Gregorii  Magni;  die  hinzugefügten  Wunder  enthalten  einiges  für 
die  Zeitgeschichte^).  Die  von  ihm  begonnenen  Gesta  S.  Clementis 
vollendete  Bischof  Gauderich  von  Velletri^). 

Vorzüglich  besafs  man  am  römischen  Hofe ,  wo  man  sich  nie 
durch  ideale  Bestrebungen  von  den  praktischen  Zwecken  ablenken 
liefs,  eine  aufserordentliche  Sicherheit  in  der  Behandlung  der  kirch- 
lich-politischen Angelegenheiten ,  und  der  Geschäftstil  der  Kurie 
gewann  eine  ungemeine  Ausbildung  und  Festigkeit.  Die  Briefe  der 
Päpste  geben  davon  Zeugnis,  und  die  erhalteneu  gröfseren  Samm- 
lungen aus  den  Zeiten  "Nikolaus"  I.  und  Johanns  VIII.-),  von  denen 
nach  dem  Nachweise  Lapötres  jene ,  ebenso  wie  die  Hadrians  IL, 
Anastasius  als  Diktator   gröfstenteils  verfafst  hat,  sind  in  ihrer  Art 


^)  Hergenröther,  Photius  II,  228 — 241;  Arth.  Lapotre,  De  Anastasio, 
biblioth.  sedis  apost.  Paris  1885,  ist  nicht  im  Buchhandel.  Ueber  ihn  als 
Uebersetzer  griech.  Legenden  Usener,  Jahrb.  f.  protestant.  Theol.  (1887) 
XIII,  240-244. 

^)  Ueber  sein  Verhältnis  zu  Theophanes  Car.  De  Boor,  Theophanis 
Chronographia  II,  400.  Ueber  seine  satirische  Cena  Cypriani  s.  Lapotre, 
Mel.  d'archeol.  et  d'hist.  1901  p.  305—395. 

2)  Mabillon  Acta  SS.  I,  398-496.  Gregorii  opp.  edd.  Benedict.  IV, 
1,  19—188.     Ueber  Hss.  s.  NA.  XXV 1,  323—330. 

*)  Mab.  Mus.  Ital.  I,  2,  78.  Acta  SS.  Mart.  II,  p.  *  15.  Vorrede  und 
Varianten  im  Floril.  Bibl.  Casin.  IV,  p.  373—390,  e  cod.  Casin.  234. 
S.  den  Brief  des  Anastasius  an  Gauderich  über  die  Abfassung  der  Vita 
herausgeg.  von  J.  Friedrich,  Münchener  SB.  1892  S.  393— 442,  wieder- 
holt bei  Goetz,  Gesch.  der  Slavenap.  Konstant,  u.  Method. ,  Gotha  1897, 
vgl.  NA.  XVIII,  712.   XXII,  582. 

•^)  Ueber  das  Registrum  Johanns  VIII.  s.  Lapotre,  Le  pape  Jean  VIII. 
Etudes  religieuses  (a.  1891)  LH,  252—287. 


Studien  am  römischen  Hofe.  339 

wahrhaft  bewunderungswürdig.  Davon  erhielt  sich  auch  später  bei 
zunehmender  Barbarei  die  Tradition ,  obgleich  mit  dem  Ende  des 
9.  Jahrhunderts  die  Einwirkung  des  päpstlichen  Hofes  auf  die 
Kirche  diesseits  der  Alpen  fast  ganz  verschwand,  und  wie  hier  die 
Annalen,  so  verstummten  auch  in  Rom  die  Papstleben  mit  dem 
Jahre  891. 

In  der  nächstfolgenden  Zeit  veranlafsten  noch  die  Streitigkeiten 
über  die  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhles  und  die  Geschicke  des 
Papstes  Formosus,  vornehmlich  über  die  Gültigkeit  der  von  ihm 
erteilten  Weihen,  die  höchst  merkwürdigen  Streitschriften  des  Auxi- 
lius  und  Vulgarius.  Sie  berühren  eine  der  dunkelsten  Seiten  der 
Papstgeschichte,  die  unheilbarsten  Widersprüche  infallibler  Kirchen- 
fürsten ').  Auxilius  war  ein  von  Formosus  geweihter  fränkischer 
Priester,  der  in  Neapel  lebte,  wahrscheinlich  als  Münch  in  Monte- 
cassino  gestorben  ist.  Freimütig  und  mit  tüchtiger  gelehrter  Bildung 
ausgerüstet,  verteidigte  er  um  908—912  Formosus  und  die  von 
ihm  geweihten  Priester  in  verschiedenen  Schriften.  Eugenius 
Vulgarius  hat  in  demselben  Sinne  geschrieben,  später  aber 
Sergius  III.,  der  Theodora  u.  a.  kriechend  geschmeichelt,  endlich  in 
der  Invectiva  in  Eomam  (wenn  sie  von  ihm  ist)  unter  Johann  X. 
(914 — 928)  noch  einmal  für  Formosus  geeifert.  Er  war  ein  gelehrter 
italienischer  Grammatiker,  der  wahrscheinlich  auch  in  Neapel  lebte; 
sein  Latein  und  vorzüglich  seine  Verse  sind  unerträglich  gesucht 
und  verkünstelt. 

Nach  diesen  letzten  Regungen  versinkt  nun  hier ,  während  die 
Faktionen  der  römischen  Grofsen  über  den  Stuhl  Petri  streiten,  alles 
in  Schweigen ,  und  für  lange  Zeit  geht  keine  Erscheinung  der 
Litteratur  von  Rom  aus  ^). 

Nicht  auf  den  Vorrang  in  wissenschaftlicher  Ausbildung  begrün- 

')  Volles  Licht  über  diese  schmählichen  Vorgänge  und  die  betreffende 
Litteratur  verbreitet  die  Schrift :  Auxilius  und  Vulgarius.  Quellen  und 
Forschungen  zur  Geschichte  des  Papsttums  im  Anfange  des  10.  Jahr- 
hunderts, von  E.  Dümmler,  Leipz.  1866,  wo  auch  aus  der  Bamberger 
Handschrift  ungedruckte  Schriften  von  beiden  mitgeteilt  sind,  jetzt  er- 
gänzt von  Winterfeld,  Poet.  C'ar.  IV,  305 — 444.  Die  Invectiva  in  Romain 
gab  Dümmler  zu  den  Gesta  Berengarii  S.  137 — 154,  vgl.  66 — 72,  in  neuer 
Ausgabe  nach  der  einzigen  Veroneser  Handschrift.  Ausbeutung  der  Tra- 
gödien des  Seneca  weist  dem  Vulg.  R.  Peiper  nach,  Rhein.  Mus.  f.  Philol. 
N.  F.  XXXII,  .")36  und  in  der  Festschrift  zum  250jährigen  Jubiläum  des 
Magdalenengymn.  zu  Breslau  1893,  De  Senecae  tragoediarum  lectione 
vulgata  p.  14. 

-)  Die  Fortdauer  einer  Rechtsschule  in  Rom  behauptet  Fitting,  Zur 
Geschichte  der  Rechtswissenschaft  am  Anfang  des  Mittelalters,  Halle  1875; 
Juristische  Schriften  des  früheren  Mittelalters,  Halle  1876. 


340  II-  Karolinger.     §  21.    Italien. 

dete  man  in  Rom  den  Anspruch  auf  Beherrschung  der  Kirche;  die 
grammatischen  Studien  betrachtete  man  hier  wegen  ihres  heidnischen 
Urspi'ungs  und  der  Beschäftigung  mit  den  heidnischen  Schriftstellern 
stets  mit  Abneigung  und  völlig  bewufst  verachtete  man  die  feinere 
litterarische  Bildung.  Es  gibt  nichts  Charakteristischeres  dafür, 
als  die  Worte  des  päpstlichen  Legaten  Leo,  mit  denen  er  bald  nach 
991  der  gallischen  Kirche  entgegentrat.  Diese  hatte  durch  Gerbert 
ausgesprochen,  es  sei  in  Rom  niemand,  der  eine  litterarische  Bildung 
empfangen  habe,  und  folglich  auch  niemand,  der  nach  den  kanoni- 
schen Vorschriften  auch  nur  die  Weihe  zum  Thürhüter  erhalten  dürfe. 
Leo  erklärt  das  kurzweg  für  Ketzerei ;  auch  Petrus  habe  sich  um 
das  Vieh  von  Philosophen  nicht  bekümmeret  und  sei  doch  Pförtner 
des  Himmels  geworden  ^). 

Die  blühendsten  Klöster  Italiens  erlagen  alle  gegen  das  Ende  des 
9.  Jahrhunderts  den  Sarazenen  oder  verkamen  durch  die  inneren 
Kriege  und  die  allgemeine  Unsicherheit  und  Verwilderung;  bis  da- 
hin finden  wir  auch  in  ihnen  einige  Pflege  der  Wissenschaft,  welche 
sich  jedoch  mit  der  litterarischen  Bedeutung  der  transalpinischen 
Klöster  nicht  vergleichen  läfst.  Von  einem  angeblich  im  Mutter- 
kloster Montecassino  zur  Zeit  des  Fürsten  Sico  (814 — 833)  verfafsten 
Bericht  über  die  Translation  der  heiligen  Benedikt  und  Scholastica 
nach  Frankreich^)  hat  0.  Holder-Egger  nachgewiesen,  dafs  er  von 
einem  Cassinesen  spätestens  gegen  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  her- 
rührt ^). 

In  der  Folgezeit  wurden  hier  Nachrichten  über  die  Geschichte 
des  Klosters  und  der  Fürsten  von  Benevent  aufgezeichnet  *),  welche 
bis  872  und  in  den  Regententafeln  auch  weiter  reichen,  gesammelt 
vom  Abt  Johannes  (914 — 934)   und   deshalb  auch  von  Leo  nach 

V  „Et  quia  vicarii  Petri  et  eius  discipuli  nolunt  habei-e  magistrum 
Platonem  neque  Virgilium  neque  Terentium  neque  ceteros  pecudes  phi- 
losophorum,  qui  volando  süperbe  ut  avis  aerem  et  emergentes  in  pro- 
fundum  ut  pisces  mare ,  et  ut  pecora  gradientes  terram  descripserunt : 
dicitis  eos  nee  hostiarios  debere  esse,  quia  tali  carmine  imbuti  non  sunt. 
Pro  qua  re  sciatis  eos  esse  inentitos,  qui  talia  dixerunt.  Nam  Petrus 
non  novit  talia,  et  hostiarius  ooeli  effectus  est."  MG.  SS.  III,  687.  Vgl. 
Baxmann,  Politik  der  Päpste  II,  144.  Aehnlich  schreibt  Alexanders  VIII. 
Sekr.  Sergardi  1690  an  Mabillon :  „Pauci  sunt,  qui  in  hac  aula  operam 
dent  inutilibus,  ut  aiunt,  studiis.  Nostrorum  ingeniorum  occupatio  forum 
est  clientumque  defensio,  quique  ab  infeliei  pupillo  plus  auri  corrodit, 
litteratior  habetur."  Valery,  Correspondance  inedite  de  Mabillon  et  de 
Montfaucon  avec  I'Italie  (Paris  1847)  II,  240. 

2)  Trandatio  S.  Benedicti,  Anal.  Bolland.  I,  75—84. 

3)  NA.  XII,  129—141. 

*)  Nach  Traube,  0  Roma  nob.  S.  360  ini  Jahre  867  verfafst. 


Montecassino.     Neapel.  341 

ihm  benannt.  Die  Nachriubten  sind  materiell  für  uns  sehr  wichtig, 
aber  die  Form  ist  in  hohem  Grade  roh  und  man<(elhaft').  Im  Jahre 
883  wurde,  wie  schon  früher  St.  Vincenz  am  Volturno ,  so  auch 
Montecassino  von  den  Sarazenen  verwüstet,  und  die  Cassinesen 
flüchteten  nach  Capug,;  hier  schrieb  Erchempert  eine  Geschichte 
der  langobardischen  Fürsten  von  Benevent  seit  Arichis"),  an  das 
Werk  des  Paulus  Diaconus  und  dessen  Cassineser  Fortsetzung'')  an- 
knüpfend, bis  zum  Jahre  889.  Die  weitere  Fortsetzung  ist  verloren. 
In  schlichter  und  zuverlässiger  Erzählung  berichtet  er  von  den 
Schicksalen  dieser  Laude ,  von  den  Kriegen ,  durch  welche  sie  ver- 
heert wurden  ,  und  den  Verwüstungen  der  Sarazenen ;  sein  eigenes 
Urteil  über  die  Anstifter  des  Uebels  hält  er  nicht  zurück,  sondern 
spricht  es  häufig  mit  biblischen  Worten  aus.  Die  feinere  karolin- 
gische  Bildung  ist  ihm  fremd,  aber  seine  Sprache  ist  doch  reiner, 
als  wir  sie  sonst  bei  den  Italienern  dieser  Zeit  zu  finden  gewohnt 
sind,  und  sein  Werk  zeichnet  sich  daher  sehr  voi'teilhaft  aus.  Der 
Salernitaner  Chronist,  Johann  von  St.  Vincenz,  und  Leo  von  Ostia 
haben  ihn  gekannt  und  benvitzt. 

In  Neapel  versuchten  sich  verschiedene  Verfasser  an  einer 
Bistumsgeschichte.  Von  einem  wohlbelesenen  Geistlichen,  der  trotz 
der  Unzialschrift  in  diesem  Teile  des  Codex  schon  dem  9.  Jahr- 
hundert zugerechnet  werden  mufs,  wurden  die  dürftigen  Notizen  des 
alten  Kataloges  durch  Auszüge  aus  den  römischen  Papstleben  *), 
Paulus  Diaconus  u.  a.  angeschwellt;  bis  754  ist  die  Arbeit  erhalten, 
dann  fehlt  ein  Blatt,  und  es  schliefst  sich  von  762  beginnend  die 
Fortsetzung  des  Johannes  Diaconus  bis  872  an,  welcher  aus 
Tradition  und  eigener  Kenntnis  schöpfte;  seine  Darstellung  ist 
lebhaft  und  wahrhaftig,  nicht  ohne  Freimut.  Von  der  weiteren 
Fortsetzung   des    Subdiaconus   Petrus   ist   nur   ein  kleines  Bruch- 

^)  Nach  früheren  mangelhaften  und  zerstückten  Ausgaben  SS.  III  u. 
sonst,  als  Chronica  Sancti  Benedictl  Casinensis  bei  Waitz,  SS.  Rer.  Langob. 
et  Ital.  p.  467—488.  Beschreibung  der  Hs.  353,  jetzt  175,  Bibl.  Casin. 
IV,  17 — 31,  u.  V.  Bethmann,  Arch.  X,  389  ff.,  wo  auch  von  den  übrigen, 
jetzt  bei  Waitz  gesammelten  Geschichtsquellen  des  langobardischen  Italiens 
aus  dieser  Zeit  Nachricht  gegeben  ist. 

2)  Hystoriola  Langobardorum  Beneventum  degentium  ed.  Pertz,  MG.  SS. 
III,  240 — 264.  Vgl.  Bethmann  S.  374.  Als  Erchempert i  historia  Lango- 
bardorum Beneventanorum  bei  Waitz,  S.  231 — 264,  wo  die  Sprache  nach 
der  ursprünglichen  Lesart  der  überarbeiteten  Handschrift  fehlerhafter 
erscheint.  Er  war  vermutlich  der  Verf.  des  S.  67  erwähnten  Martyrol. 
u.  eines  computus  von  904  (Arch.  VIII,  768.     NA.  VI,  285). 

^)  SS.  Langob.  p.  198;  sie  ist  meist  den  Gestis  Pontificum  entnommen 
vmd  von  Leo  Ost.  und  im  Chron.  Vulturn.  benutzt. 

^)  Vgl.  Lib.  pontific.  ed.  Mommsen  I  p.  CVI. 


342  n.  Karolinger,     §  21.    Italien. 

stück  erhalten,  die  einzige  Handschrift  auch  vorher  lückenhaft'). 
Von  dem  letzten  Bischof  Athanasius  (850 — 872)  ist  auch  eine  aus- 
führlichere Biographie  -)  vorhanden,  mit  welcher  die  in  unbestimmter 
Zeit  geschehene  Translation  verbunden  ist,  etwa  im  10.  Jahrhundert 
geschrieben;  was  in  den  Gesten  und  bei  Erchempert  zu  lesen  ist, 
wird  hier  rhetorisch  ausgeschmückt,  zugleich  aber  doch  einige  neue 
Umstände  mitgeteilt.  Jener  Johannes  Diaconus  aber  verfafste 
auch  eine  Geschichte  der  üebertragung  des  heiligen  Severin  im 
Jahre  902  von  dem  Castrum  Lucullanum  (oben  S.  53),  welches  aus 
Furcht  vor  den  Sarazenen  zerstört  war,  nach  dem  neuen  Kloster  in 
Neapel^),  eine  Schrift,  wertvoll  durch  ausführliche  Nachrichten 
über  den  furchtbaren  Angriff  des  Emir  Ibrahim,  welcher  Taormina 
zerstöi'te,  wobei  Bischof  Prokop  den  Märtyrertod  erlitt;  durch 
Ibrahims  plötzlichen  Tod  wurde  von  Neapel  die  drohende  Gefahr 
abgewandt.  Nach  demselben  Kloster  wurde  auch  aus  dem  von  den 
Sarazenen  zerstörten  Misenum  im  Jahre  910  der  heilige  Sossius 
gebracht,  wobei  Johannes  zugegen  war,  und  er  berichtet  darüber 
in  seiner  Schrift  über  das  Leben  des  heiligen  Januarius  ■*). 

Petrus  SU b diaconus,  von  dessen  Fortsetzung  der  Gesta  nur 
der  Anfang  noch  vorhanden  ist,  war  bei  der  üebertragung  des 
Sossius  910  zugegen,  und  erwähnt  in  den  Wundern  des  heiligen 
Agrippinus  den  Angriff  der  Sarazenen  auf  Neapel  vom  Jahre  960 '"). 
Auch  verfafste  er  noch  andere  Wundergeschichten.  Sehr  merkwürdig 
ist  der  wissenschaftliche  Eifer  des  Herzogs  Johannes  (928  ff.),  von 
dem  der  Archipresbyter  Leo  im  Vorworte  zu  seiner  Vita  Alexandri 
Magni  berichtet  '^). 

Auch  in  Ravenna  verfafste  gegen  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts 

')  Gesta  ejjp.  Nea/t.  Waitz,  SS.  Langob.  p.  398 — 439.  Capasso,  Monu- 
menta  ad  Neapolitani  ducatus  historiam  pertinentia,  1881. 

^)  Vita  et  Translatio  Athanasii  ep.  Neap.  Waitz,  SS.  Langob.  p.  439 
bis  452.     Ed.  Gu.  Cuper,  Acta  SS.  Jul.  IV,  77-89. 

^)   Translatio  S.  Sevefini,  Waitz  jd.  452 — 459. 

^)  Nur  diese  Translatio  S.  Sosii  abgedr.  bei  Waitz,  p.  459 — 463.  Im 
Text  heilst  er  Sossius.    Vgl.  über  Job.  Diac.  Ebert  III,  206—209.  225. 

^)  Ex  Miraculis  S.  Ägrip2}ini,  Waitz  p.  463.  Eine  Anzahl  anderer 
dort  und  bei  Capasso  gesammelter  kleinerer  Stücke  zur  Geschichte  von 
ünteritalien  übergehe  ich  hier,  ohne  sie  einzeln  aufzuführen.  —  Zu  unter- 
scheiden ist  ein  anderer  Petrus  subdiac.  Neap.,  welcher  für  den  Bischof 
Petrus  von  Neapel  (1094)  u.  dessen  Nachf.  Gregor  (1116)  Legenden  aus 
dem  Griechischen  übersetzte  und  bearbeitete,  s.  De  Rossi  zur  Passio  SS. 
IV  Coronatorum,  die  er  auch  überarbeitete.  Ueber  die  Spottverse  „Nobi- 
libus  quondam"  s.  oben  S.  323  Anm.  2. 

®)  Arch.  IX,  692.  Die  Vita  selbst  hat  Landgraf  herausgegeben,  Er- 
langen 1885.  Vgl.  0.  Hartwig,  Die  Uebersetzungslitteratur  Unteritaliens 
(1886)  S.  6. 


Agnellus.     Farfa.     Andreas  von  Bergamo.  343 

Agnellus  eine  Bistumsgescliicbte '),  in  welcher  schwülstiger  Bom- 
bast mit  treuherzig  einfältiger  Erzählung  abwechselt;  die  Sprache 
ist  voll  von  Solöcismen.  Der  Inhalt  liegt  der  deutschen  Geschichte 
fern,  doch  sind  über  Kaiser  Karl  und  seine  Nachfolger,  besonders 
über  die  Schlacht  bei  Fontenoy,  einige  merkwürdige  und  wichtige 
Stellen  darin.  Den  römischen  Päpsten  gegenüber  äufsert  Agnellus 
sich  sehr  freimütig,  was  vielleicht  Anlafs  gegeben  hat,  die  Chronik 
schon  frühzeitig  zu  verstümmeln.  Agnellus  war  um  805  aus  vor- 
nehmer und  reicher  Familie  geboren,  und  erhielt  schon  mit  11  Jahren 
eine  Abtei;  für  die  frühere  Zeit  benutzte  er,  aufser  vielen  In- 
schriften ,  Gefäfsen  und  anderen  Denkmälern ,  die  er  sorgfältig  be- 
schreibt, der  Langobardengeschichte  des  Paulus  Diaconus  und  den 
Konsularfasten  auch  die  oben  S.  G3  erwähnte  Chronik  des  Maximian, 
welcher  um  498  geboren,  durch  Justinian  546  Bischof  von  Ravenna 
geworden  war,  und  eine  Chronik  bis  auf  seine  Zeit  schrieb  (f  556  557), 
fortgesetzt  bis  572. 

Im  mittleren  Italien  war  im  Anfange  des  9.  Jahrhunderts  das 
Kloster  Farfa  in  blühendem  Zustande,  bis  auch  hier  die  Sarazenen 
alles  wüste  legten.  Von  Franken  gestiftet,  hatte  es  auch  immer 
fränkische  Aebte").  Die  Geschichte  der  Gründung  des  Stiftes  und 
seiner  Aebte  bis  zum  Jahre  857  glaubte  Bethmann  gefunden  zu 
haben  ^) ,  doch  ist  neuerdings  von  I.  Giorgi  nachgewiesen ,  dafs 
diese  einem  Lektionarium  entnommenen  Stücke  wohl  aus  derselben 
herstammen ,  unmöglich  aber  das  ursprüngliche  Werk  selbst  sein 
können,  über  dessen  sprachliche  Beschaffenheit  wir  deshalb  nicht 
unterrichtet  sind. 

Ganz  aul'serordentlich  barbarisch  dagegen  und  an  die  Werke  des 
8.  Jahrhunderts  erinnernd  ist  die  Langobardengeschichte  des  Priesters 
Aridreas  von  Bergamo,  welcher  877  einen  Auszug  aus  der  Ge- 

')  Neue  Ausg.  von  Holder-Egger,  SS.  Langob.  265 — 301 ,  vgl.  Auctt. 
antt.  IX,  256  ff.  273;  Ferrai,  Agnello  Ravennate  e  11  pontificale  Ambro- 
siano  im  Arch.  stör.  Lombardo  ser.  3  vol.  3  a.  22  (Mil.  1895)  S.  277—302. 
Ueber  die  besondere  Bedeutung  von  monasterium  bei  ihm  s.  F.  Wickhoff, 
Mitteil,  des  Inst.  IX,  34 — 45.  Aus  Ravenna  stammen  auch  die  aus  dem 
Rotulus  gewonnenen,  zuerst  von  Ceriani  veröffentlichten  acht  Briefe  aus 
K.  Berengars  Zeit,  NA.  IX,  513—539,  vgl.  XI,  599—608. 

^)  Ueber  ein  Homiliar  des  Alanus  von  Farfa  aus  dem  8.  Jahrhundert 
vgl.  Yal.  Rose,  Verz.  d.  Meermanhss.  S.  81  und  A.  Ratti,  Rendiconti  del 
R.  ist.  Lombardo  ser.  II  vol.  XXXIII  (1900).  Verse  des  Spaniers  Taio 
liegen  nach  Traube  dabei  zu  Grunde. 

3)  Coitfitructio  Farfensis,  ed.  Bethmann,  MG.  SS.  XI,  520—530.  Vgl. 
Giorgi  im  Archivio  della  Societä  Romana  di  storia  patria,  II,  409 — 473. 
Von  dem  Registrum  Farfense  ist  in  Rom  (1879)  eine  Ausgabe  von 
I.  Giorcri  nnd  U.  Balzani  erschienen. 


344  n.  Karolinger.     §  21.    Italien. 

schichte  des  Paulus  Diaconus  machte  und  ihn  bis  auf  seine  Zeit 
fortsetzte  ').  Nach  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  sind  seine  Nach- 
richten durch  Genauigkeit  wertvoll ;  das  Ende  ist  leider  unvoll- 
ständig erhalten.  Und  dieses  ist  fast  das  einzige  litterarische  Erzeugnis 
der  Lombardei  im  9.  Jahrhundert,  da  Claudius  von  Turin  und  Dungal 
von  Bobio  und  Hildemar  von  Civate  als  Ausländer  nicht  zu  rechnen 
sind^).  Schottenmönche,  mit  jenen,  die  in  Lüttich  hausten, 
gleicher  Art,  und  mit  des  Sedulius  Gedichten  vertraut,  vielleicht 
seine  Jünger,  fanden  auch  in  Mailand  Aufnahme  und  feierten  ihre 
Herren  und  Wohlthäter  in  sapphischen  Oden  und  in  Distichen  von 
ungewöhnlicher  Korrektheit.  Vorzüglich  der  Erzbischof  T  a  d  o  (860 
bis  868)  wird  von  ihnen  verherrlicht  und  ihm  werden  ihre  Bitten 
und  Wünsche  vorgetragen,  dazu  der  Kaiser  Lothar  und  Herzog 
Leodfrid,  ein  Schwager  Lothars.  Diese  einzige  Spur  ihres  Daseins 
ist  erst  kürzlich  aufgetaucht,  weiteres  nicht  bekannt*).  Sehr  ge- 
rühmt wird  in  einem  Epitaphium  der  Abt  Petrus  IL  vom  Ambrosius- 
kloster^)  (858 — 899),  und  dieser  wird  es  wohl  sein,  zu  dessen  Zeilen 
ein  mit  lateinischen  Buchstaben  geschriebener  griechischer  Psalter 
zu  stände  gebracht  wurde,  als  dessen  Besitzer  (oder  Urheber?)  sich 
in  höchst  barbarischem  Griechisch  ein  Mönch  Symeon  nennt'').  Ein 
anderer  des  Griechischen  kundiger  Ire,  vielleicht  ein  Schüler  des 
Sedulius,  beschäftigte  sich  mit  der  Kritik  von  Hieronymus'  üeber- 
setzung  der  Psalmen^). 

^)  Andreae  presh.  Bergomatis  Chronicon,  ed.  Pertz,  MG.  SS.  III,  231. 
Bethmann,  Arch.  X,  367  ergänzt  den  Anfang.  Neue  vollständige  Ausg.  v. 
Waitz,  SS.  Langob.  220—280. 

")  Ebensowenig  kann  man  das  sogenannte  Chronicon  Brixiense,  oder 
wenigstens  was  uns  davon  erhalten  ist,  zu  den  Geschichtswerken  rechnen, 
MG.  SS.  III,  288;  SS.  Langob.  501—503  als  Catalogus  Brixiensis,  doch 
enthält  es  wichtige  und  brauchbare  Nachrichten.  Verfafst  zwischen  879 
und  883  von  einem  Mönche  des  Klosters  Leno,  nur  zu  komputistischen 
Zwecken,  wurde  es  von  G.  Mercati  nach  der  in  Padua  wieder  aufgefun- 
denen Hs.  herausgegeben  in  der  Rom.  Quartalschr.  IX,  337 — 849.  —  Die 
Translatio  S.  Habundii  Mart.  von  Foliguo  nach  Berceto  (Mab.  III,  1,  487 
ed.  Ven.)  gedenkt  einer  Synode  zu  Pavia  unter  Lothar. 

3)  Carmina  Medii  Aevi  ed.  H.  Hagen  (Bern  1877)  S.  1—10.  Neue 
Ausgabe  von  Traube,  Poet.  Car.  III,  231—237.  S.  7  (236  Tr.)  Inschrift 
eines  von  Tados  Vorgänger  Angelbert  erneuten  Kelches.  —  üeber  Margi- 
nalien mit  Spuren  der  gelehrten  Thätigkeit  dieser  Mönche  in  dem  (jetzt 
vollständig  photographierten)  Cod.  Bern.  363  s.  Gottlieb,  Wiener  Studien 
IX,  151—159.     Traube,  0  Roma  nob.  S.  348-353,  Reg.  S.  Bened.  S.  712. 

^)  Giulini,  Mem.  di  Milano  II,  76. 

=)  NA.  VIII,  340.  üeber  die  Hs.  Berl.  Hamilton  552  vgl.  Corssen  in 
Bursians  Jahresber.  101  (1900)  S.  47. 

^)  Dom  Germ.  Morin  beschreibt  in  der  Revue  benedict.  vom  15.  Mai 
1893  S.  193—197  den  Cod.  lat.  Monac.  343   saec.  IX,   der  eine  mit  auf- 


Oberitalien.    Lobgedicht  auf  Berengar.  345 

Durch  seinen  wissenschaftlichen  Sinn  zeichnete  sich  der  später 
als  heilig  verehrte  Abt  Eidrad  des  im  8.  Jahrhundert  im  Thale  von 
Susa  gegründeten  Klosters  Novalese  aus,  ein  Zeitgenosse  Lothars  I. 
(um  825 — 827) ,  der  sich  mit  dem  gelehrten  Diaconus  Florus  von 
Lyon  (oben  S.  232)  in  Verbindung  setzte  und  ihn  um  ein  berich- 
tigtes Exemplar  des  Psalters  des  heiligen  Hieronymus  bat ') ,  doch 
übei-liefs  dieser  ihm  selbst  die  Ausführung.  Einige  Verse,  die  zum 
Preise  des  Bischofs  Azo  von  Ivrea  um  876  verfafst  und  im 
folgenden  Jahrhundert  einer  Kopie  in  Goldschrift  würdig  erachtet 
wurden ,  sind  fast  nur  wegen  der  äulserst  barbarischen  Form  be- 
merkenswert '-). 

Es  würde  jedoch  ein  grofser  Irrtum  sein,  wenn  man  nach  diesen 
Proben  arger  Barbarei  den  allgemeinen  Standpunkt  der  Bildung 
in  Italien  beurteilen  wollte.  Gelehrte  Studien  wurden  namentlich 
in  Verona  gepflegt,  wo  ein  Archidiaconus  Pacificus  (f  844) 
dessen  Gelehrsamkeit  gepriesen  wird,  218  Handschriften  zusammen- 
gebracht hatte  ^).  Von  dort  besitzen  wir  ein  langes  Gedicht  zum 
Preise  des  Bischofs  Adalhard  in  sapphischem  Versmafse,  zwischen 
877  und  878  von  einem  Schotten  verfafst ,  dessen  Korrektheit  für 
diese  Zeit  in  Erstaunen  setzt,  wenn  auch  einzelne  Fehler  vorkommen^). 


fallender  Kenntnis  des  Griechischen  verfafste  Kritik  der  Uebersetzung  des 
Psalters  enthält.  Der  dazu  gehörige  griecb.  und  latein.  Text  desselben 
fehlt  diesem  Exemplare.  Verschiedene  Umstände  weisen  nach  Mailand, 
und  Morin  vermutet  in  Sedulius  den  Urheber,  doch  dürfte  das  bemerkens- 
werte AVerk  eher  der  dortigen  Schottenkolonie  zuzuweisen  sein.  Vgl.  das 
auch  schon  ■  früher  gedruckte  Schreiben  Epp.  VI,  201 — 205  nach  dieser 
und  2  anderen  Hss. 

^)  S.  die  A'erse  des  Florus  an  den  Abt  Eidrad  Poet.  Car.  II,  549 
Monum.  Novalic.  ed.  Cipolla  II,  217 — 221  und  in  einer  Hs.  aus  Com 
postella  mit  falscher  Ueberschrift,  Bibl.  de  l'ec.  des  chart.  1901  S.  377  ff. 
712  und  den  darauf  bezüglichen  Brief  Epp.  V,  340—343.  Monum.  Noval 
II,  206 — 216,  wozu  noch  eine  Hs.  aus  Ivrea  kommt  (nach  Morin,  Bibl 
de  l'ec.  des  chart.  1901  p.  713).  Ueber  die  Bedeutung  der  Psalterkritik 
des  Fl.  vgl.  C'orssen  a.  a.  0.  S.  61.  Ueber  die  verschiedenen  Vitae  Heldradi 
s.  Bethmann,  SS.  VII,  73  A.  5  und  die  kurze  Vita  in  einer  Hs.  vom 
Martyrol.  Adonis  aus  Novalese  bei  K.  Müller  in  der  Zeitschr.  f.  Kirchen- 
gesch.  IV,  253 — 256  und  bei  Cipolla,  Mon.  Noval.  1,  375.  Fragmente  d. 
rhythm.  Vita  b.  Eldradi  abb.  Novalic.  bei  Bethmann,  SS.  VII,  128—130. 
Cipolla  I,  356  ff. 

^)  Dümmler,  Gesta  Berengarii  S.  75  und  159.     Poet.  Car.  IV,  403. 

^)  Epitaphium  Pacifici ,  Poet.  Car.  II,  655,  vgl.  das  Schreiben  des 
Priesters  Hildemar  an  ihn,  Epp.  V,  355 — 358;  Traube,  0  Roma  nob. 
S.  309.  Derselbe  setzte  die  antikisierenden  Gedichte  0  Roma  und  O  admi- 
rabile  Veneris  nach  Verona  ins  10.  Jahrhundert. 

•*)  Bei  Baronius  ed.  Luc.  XV,  480;  korrekter  bei  Biancolini  dei  ves- 
covi  S.  35—37,  bei  Dümmler,  Gesta  Berengarii  S.  134 — 136,  bei  Traube, 


346  II-  Karolinger.     §  21.    Italien. 

Und  im  überraschendsten  Gegensatze  zu  der  Barbarei  eines  Andreas 
von  Bergamo  tritt  uns  aus  dem  Anfange  des  10.  Jahrhunderts 
(zwischen  916  und  922)  ein  Werk  entgegen,  welches  in  Rücksicht 
der  Form  den  meisten  Dichtungen  karolingischer  Zeit  ebenbürtig 
zur  Seite  steht,  nämlich  das  Lobgedicht  auf  den  Kaiser  Be- 
rengar^),  dessen  ungenannter  Verfasser  die  Sprache  nicht  ohne 
Gewandtheit  behandelt  und  regelrechte  Hexameter  ohne  Anstofs  zu 
fertigen  verstand.  Andere  freilich  finden  sich  darunter,  welche  hol- 
perig genug  sind  -),  und  gesuchte  Ausdrücke,  verkünstelte  Konstruk- 
tionen verdunkeln  nicht  selten  den  Sinn.  Der  Unterschied  ist  nicht 
schwer  zu  bemerken,  wenn  plötzlich  der  melodische  Wohllaut  Vir- 
gils  oder  die  kunstvollen  Verse  des  Statius  sich  vernehmen  lassen. 
Das  sind  fremde  Federn,  mit  denen  der  Autor  sich  geschmückt  hat; 
Bilder  und  einzelne  Schlachtenscenen  machte  er  sich  auf  solche 
Weise  zu  eigen. 

Die  Thaten  und  Schicksale  Berengars,  seine  Kämpfe  um  die 
Krone  Italiens  sind  es,  welche  er  schildert,  und  allem  Anscheine 
nach  schrieb  er  bald  nach  der  Kaiserkrönung  seines  Helden  im 
November  oder  Dezember  915.  Er  war  also  ein  Zeitgenosse  und 
sein  Werk  ist  in  manchen  Einzelheiten  nicht  ohne  geschichtlichen 
Wert.  Doch  ist  er  zu  sehr  Lobredner  und  zu  ungenau,  um  als  eigent- 
liche Geschichtsquelle  gelten  zu  können.  Die  Verhältnisse  sind  nicht 
ohne  Geschick,  aber  mit  arger  Entstellung,  so  gewandt,  dafs  Berengar 
als  der  allein  berechtigte,  einheimische  und  legitime  Herrscher  er- 
scheint, Wido  als  ein  fremder  Eindringling.  Es  ist  merkwürdig, 
dafs,  während  thatsächlich  die  Gewalt  allein  den  Ausschlag  gab,  doch 
nachträglich  man  ängstlich  bemüht  war,  vor  der  Welt  den  Anschein 
einer  formellen  Berechtigung  zu  gewinnen.  Wir  haben  Aehnliches 
schon  in  Bezug  auf  die  Karolinger  gesehen  und  werden  es  in  noch 
auffallenderer  Weise  bei  den  Magyaren  v/iederfinden. 


Poet.  Car.  III,  693—695,  vgl.  61—05.  Traube  findet  auch  hier  einen 
irischen  Verfasser. 

^)  Cai'men  panegi/ricum  Berengaril,  ed.  V^alesius,  cum  Adalberonis  ep. 
Laudun.  carmine  ad  Rotbertum  regem,  Paris  1663.  MG.  SS.  IV,  189  bis 
210.  Jetzt  zuerst  mit  erschöpfender  Benutzung  der  Handschrift  in  Venedig 
mit  der  vollständigen  Glosse,  und  allseitig  erläutert  in:  Gesta  Berengarii 
Imperatoris.  Beiträge  zur  Geschichte  Italiens  im  Anf.  des  10.  Jahrhunderts 
von  E.  Dümmler,  Halle  1871.  und  bei  v.  Winterfeld,  Poet.  Car.  IV,  354 
bis  401 ,  vgl.  NA.  IV,  558.  Benutzung  der  Ilias  lat.  des  sogenannten 
Pindarus  Thebanus,  weist  Dümmler  nach.  Forsch.  XIII,  415 — 417,  s.  Ebert 
HI,  138—144. 

*)  Oft  sind  sie  auch  schon  gereimt;  vgl.  über  seine  Metrik  E.  Bern- 
heim, Forsch.  XIV,  142, 


Lobgedicht  auf  Berengar.    Bildung  in  Italien.  347 

In  der  Form  der  Darstellung  schliefst  sich  der  Panegyrist 
durchaus  den  alten  heidnischen  Mustern  an,  so  gut  er  es  vermochte. 
Er  zeigt  die  genaueste  Bekanntschaft  mit  Virgil,  Statius,  dem 
lateinischen  Homer  und  Juvenal,  und  hat  unverkennbar  eine  gute 
grammatische  Schule  durchgemacht.  Auch  stand  er  mit  diesen 
Kenntnissen  und  dieser  Kunst  keineswegs  vereinzelt  da  :  Niemand, 
sagt  er,  sich  selbst  anredend,  kümmert  sich  jetzt  um  deine  Verse; 
dergleichen  wissen  die  Leute  auf  dem  Lande  wie  in  der  Stadt  zu 
machen. 

Ob  der  Verfasser  ein  Geistlicher  oder  ein  Laie  war ,  geht  aus 
seinem  Werke  nicht  mit  Sicherheit  hervor;  wahrscheinlich  ist  er 
Schulmeister  in  Verona  gewesen.  Für  die  Schule  ist  auch  dieses 
Werk  bestimmt,  und  ist  deshalb  wie  das  des  Abbo  mit  einer  er- 
läuternden Glosse  versehen,  welche  derselben  Zeit,  grofsenteils  dem- 
selben Verfasser,  angehört').  Darin  tritt  eine  ausgebreitete  Ge- 
lehrsamkeit, doch  ohne  Kenntnis  der  griechischen  Sprache,  deut- 
licher als  im  Gedichte  selbst  hervor.  Einige  wertvolle  geschichtliche 
Erklärungen  werden  gegeben ,  vorzüglich  aber  grammatische ,  bei 
denen  Servius  und  Isidor  stark  benutzt  sind.  Bei  der  Erläuterung 
der  Mythen,  welche  in  allen  Kommentaren  des  früheren  Mittelalters 
eine  Hauptrolle  spielt ,  übergeht  der  Glossator  vieles ,  weil  das  ja 
allgemein  bekannt  sei. 

Wir  begegnen  hier  einer  Bildung,  die  durchaus  nicht  von  der 
Kirche  herrührt,  sondern  fortgepflanzt  wird  durch  jene  einzeln  ste- 
henden Grammatiker,  deren  Wirksamkeit  in  Italien  niemals  aufge- 
hört hat.  Es  ist  W.  v.  Giesebrechts  Verdienst,  zum  ersten  Male 
nachgewiesen  zu  haben,  dafs  diese  Schulen  in  Italien  immer  fort- 
bestanden haben  und  unter  den  Laien  einen  Grad  der  Bildung  ver- 
breiteten ,  den  man  diesseits  der  Alpen  nicht  kannte.  In  Italien, 
sagt  Wipo  im  11.  Jahrhundert,  geht  die  ganze  Jugend  ordentlich 
zur  Schule  und  nur  in  Deutschland  hält  man  es  für  überflüssig 
oder  unanständig ,  einen  Knaben  unterrichten  zu  lassen ,  wenn  er 
nicht  zum  geistlichen  Stande  bestimmt  ist.  Der  italienische  Laie 
las  seinen  Virgil  und  Horaz,  aber  er  schrieb  keine  Bücher,  während 
die  Geistlichkeit  teils  in  Roheit  versank,  teils  zu  sehr  in  den 
politischen   Händeln    befangen    war,   um  an  den  wissenschaftlichen 


')  S.  die  Rezensionen  von  Scheffer-Boicliorst ,  Svbels  Zeitschr.  XXVI, 
484,  und  Paimenborg,  GGA.  1871,  S.  1767— 17s3,  Dümmlers  Nachtr.  zu 
Anseimus  Peripatet.  S.  107.  E.  Bernbeim  hat  Forsch.  XIV,  138—154  die 
Glosse  genau  untersucht  und  besonders  auf  die  alten  Glossarien  als  Quellen 
einer  unfruchtbaren  Gelehrsamkeit  hingrewiesen. 


348  II-  Karolinger.     §  21.    Italien. 

Bestrebungen  der  Zeit  teilzunehmen.  Dai'aus  erklärt  sich  der 
Mangel  an  litterarischer  Fruchtbarkeit  und  die  Dürftigkeit  der  vor- 
handenen Litteratur,  während  andererseits  bei  jenem  Panegyristen 
und  etwas  später  bei  Liudprand  plötzlich  eine  überraschende  Fülle 
klassischer  Gelehrsamkeit  und  grofse  Gewandtheit  im  Ausdrucke 
hervortraten,  namentlich  im  Versemachen,  welches  stets  ein  Haupt- 
gegenstand der  Schulbildung  war.  Denn  einzelne  vom  geistlichen 
Stande  naschten  auch  von  jener  verbotenen  Frucht;  im  allgemeinen 
aber  stand  der  Klerus  im  Gegensatze  zu  diesem  Treiben ,  in  dem 
er  nicht  ganz  mit  Unrecht  ein  heidnisches  Element  ei'kannte. 
Die  Wissenschaft  war  hier  nicht  in  den  Dienst  der  Kirche  ge- 
nommen, sie  behaujDtete  einen  unabhängigeren  Standpunkt,  war 
aber  fast  ausschliefslich  formaler  Natur  und  darum  wesentlich  un- 
produktiv. 

Zum  Schlüsse  unseres  Abschnittes  sei  noch  einer  rätselhaften 
kleinen  Schrift  gedacht,  welche  von  Flacius  entdeckt  und  zu- 
erst aus  einer  seitdem  verschollenen  Handschrift  abgedruckt  ^)  unter 
dem  von  Pertz ")  ihr  verliehenen  Namen  des  Libellus  de  im- 
peratoria  potestate  in  urbe  Koma  bekannt  ist.  In  merk- 
würdiger Weise  spricht  sich  darin  das  Verlangen  nach  der  alten 
kaiserlichen  Gewalt  aus ,  wie  Karl  der  Grofse  und  seine  nächsten 
Nachfolger  sie  geübt  hatten.  Erzählt  wird  von  der  guten  alten 
Zeit,  wo  noch  der  Kaiser  oder  sein  Stellvertreter  in  Rom  die  über- 
mütigen Grofsen  im  Zaum  hielt  und  jedem  zu  seinem  Rechte  ver- 
half, wo  man  sogar  gegen  Verwandte  des  Papstes  recht  bekommen 
konnte.  Ueber  die  älteren  Zeiten  ist  der  Verfasser  zwar  schlecht 
unterrichtet,  aber  die  Verhältnisse  unter  den  Karolingern  schildert 
er  aus  genauer  Kenntnis  mit  eindringlicher  Einfachheit  bis  zu  dem 
unglücklichen  Augenblicke,  wo,  wie  er  es  darstellt,  durch  Karls  des 
Kahlen  Erhebung  im  Jahre  875  die  kaiserliche  Autorität  in  Rom 
dahingegeben  wurde.  Während  man  den  Wert  dieser  Nachrichten 
früher  meist  gering  anschlug  und  die  Schrift  selbst  in  die  Mitte 
des  10.  Jahrhunderts  herabrücken  wollte  ^),  wofür  doch  kein  zwin- 


')  Catalog.  testiuni  veritatis  a.  1562  p.  89 — 93  als  „Eutropii  appendix". 

2)  MG.  SS.  III,  719—722  hinter  Bened.  de  St.  Andrea. 

^)  Vgl.  Wilmans  in  Rankes  Jahrb.  des  sächs.  Hauses  II ,  2 ,  235  ß. 
Giesebrecht  I,  344.  782.  Benutzung  bei  Benedikt  und  in  dem  mit  Un- 
recht bezweifelten  Privil.  Ottos  II.  für  Silvester  (DD.  II,  819)  ist  er- 
wiesen von  J.  Jung,  Forsch.  XIV,  409 — 456,  dessen  Ansichten  aber  in 
manchen  Stücken  von  F.  Hii'sch  bekämpft  werden,  Forsch.  XX,  127  bis 
164.     Derselbe   rechtfertigt,   H.   Zeitschr.   LVII,    258—261,   seine  Kritik 


Libellus  de  imperatoria  potestate.  349 

gender  Grund  sprach,  hat  neuerdings  Lapotre  ')  sie  für  das  Werk 
eines  Langobarden  aus  Rieti  erklärt,  der  im  Jahre  897/898,  un- 
mittelbar vor  der  Synode  von  Ravenna,  im  Interesse  der  Kaiserin 
Ageltrude  und  der  spoletinischen  Partei  diesen  Rückblick  über  die 
römischen  Dinsre  verfalst  habe. 


gegen  A.  Gasquet:  Jean  VIII  et  la  fin  de  l'empire  Carolingien,  1886. 
—  Benutzung  bei  Ekkehard  nachgewiesen  von  B.  Simson,  Forschungen 
XXV,   374. 

0   Etudes  relig.  phil.  histor.  LXI,  444—475. 


III.  Die  Zeit  der  Ottonen. 

Ton  Heinrich  I.  bis  zum  Tode  Heinrichs  II.,  919—1024. 


§  1.    Allgemeines. 

Contzen,  Die  Geschichtschreiber  der  säclis.  Kaiserzeit.  Regensburg  1837.  Entstellt 
durch  Benutzung  der  falschen  Corveyer  Chronik,  und  durch  die  neuen  Ausgaben 
der  Quellen  unbrauchbar  gemacht.  —  Stalin,  Wirt.  Gesch.  I,  419—426.  L.  Giese- 
brecht,  Wendische  Geschichten  III,  294—307.  Waitz,  Ueber  die  Entwickelung  der 
deutschen  Historiographie  im  Mittelalter,  in  Schmidts  Zeitschr.  für  Geschichte 
II,  97—103.  —  W.  Giesebrecht,  Geschichte  der  deutscheu  Kaiserzeit  I,  777—791. 
II,  555—559.  E.  von  Ottenthai,  Regesteu  des  sächs.  Hauses  I,  1893.  —  Gull. 
Maurenbrecher,  De  historicis  decimi  saeculi  scriptoribus,  qui  res  ab  Ottone  Magno 
gestas  memoriae  tradiderunt,  Bonnae  1861;  vgl.  Litt.  Centralblatt  1862,  Sp.  837. 
K.  Lamprecht,  Deutsches  Geistesleben  unter  den  Ottonen  in  Quiddcs  Zeitschr. 
für  Geschichtswissenschaft  VIII  (1892),  1—40.  Kleinpaul,  Das  Typische  in  der 
Personenschild,  der  Histor.  des  10.  Jahrh. ,  Leipzig.  Dissert.  1897.  Ueber  die 
Schulen  in  dieser  Zeit:  Hauck  III,  281—287. 

Mit  dem  Jahre  906  endigt  Reginos  Chronik,  ein  Jahr,  bevor 
Herzog  Liutpold  mit  der  Blüte  des  bayrischen  Volksstammes  von 
den  Ungern  erschlagen  wurde.  Ein  schwaches  Kind  safs  auf  dem 
Throne  und  vermochte  nicht  das  Reich  zu  schirmen.  Es  hatte  den 
Anschein,  als  ob  die  ganze  von  Karl  dem  Grofsen  neu  gepflanzte 
Kultur  bereits  dahinsinken  sollte.  Ein  Stift  nach  dem  andern 
wurde  den  Ungern  zur  Beute,  und  was  übrig  blieb,  rissen  die  räube- 
rischen Grofsen  an  sich,  die  in  ihren  gegenseitigen  Fehden  verheer- 
ten, was  dem  äufseren  Feinde  noch  entgangen  war.  Die  Sitze  der 
Bildung  und  Gelehrsamkeit  verstummten;  auch  wenn  sie  der  gänz- 
lichen Verödung  entgingen ,  liefs  doch  die  nagende  Sorge  um  das 
stets  gefährdete  Dasein  keine  wissenschaftliche  Thätigkeit  aufkommen. 

Schlimmer  noch  als  in  Deutschland  sah  es  in  den  Nachbar- 
ländern aus;  die  Normannen,  aus  Sachsen  zurückgeschlagen,  hausten 
in  Frankreich  und  Lothringen  ohne  Widerstand  zu  finden,  während 
der  Süden  von  sarazenischen  Seeräubern  verheert  wurde.  Die  Bre- 
tonen  und  Waskonen  schüttelten  das  fränkische  Joch  ab,  und  die 
Ungern  streiften  auf  ihren  schnellen  Rossen  bis  an  den  Ozean.  In 
Italien  begegneten  spanische  und  afrikanische  Sarazenen  den  Ungern 
und  die  innere  Zwietracht  war  in  beiden  Ländern  noch  ärger  als 
in  Deutschland. 


Berufung  fremder  Gelehrten.  351 

Allein  die  Keime,  welche  einst  Karl  der  Grofse  gelegt  hatte, 
waren  bereits  so  stark  und  kräftig  geworden  und  hatten  so  tiefe 
Wurzeln  geschlagen,  daf's  sie  auch  diese  Heimsuchung  überdauerten. 

Wie  einst  von  Austrasien,  so  ging  jetzt  von  Sachsen  die  Rettung 
aus.  Hier  hatte  man  zuerst  sich  ermannt  und  unter  den  Ludolfingern 
in  festem  Zusammenhalten  die  Kraft  gefunden,  der  Feinde  Herr  zu 
werden.  Reginbern,  aus  Widukinds  Stamm,  der  Bruder  der  Königin 
Mahthild,  schlug  die  Dänen  so,  dafs  sie  nicht  wiederkamen.  Die 
Wenden,  welche  die  Ostgrenze  bedrängten,  wurden  zurückgeworfen. 
Heinrich  I.  stellte,  wie  einst  Karl  Martell  und  Pippin,  das  Reich 
her  und  wies  die  Ungern  zurück ;  was  er  begonnen ,  führte  sein 
Nachfolger  so  lange  fort,  bis  er  die  inneren  und  äufseren  Feinde  be- 
zwungen hatte.  In  dieser  eisernen  Zeit  war  noch  für  die  Feder  kein 
Raum,  aber  nach  dem  Siege  konnte  Otto  an  die  Herstellung  der 
geistigen  Bildung  denken.  Da  sehen  wir  überall  die  verödeten  Klöster 
aus  der  Asche  erstehen,  sie  werden  den  Händen  der  Laienäbte  ent- 
rissen und  ihrer  Bestimnuing  wiedergegeben.  Bald  regt  sich  in  ihnen, 
zunächst  in  denen ,  welche  von  den  Stürmen  dieser  Zeit  weniger 
gelitten  hatten,  von  neuem  wissenschaftliche  Thätigkeit. 

Wie  Karl,  schätzte  auch  Otto  die  Wissenschaften,  ohne  selbst 
eine  gelehrte  Bildung  erhalten  zu  haben ;  seine  Erziehung  war 
kriegerisch  gewesen,  und  erst  spät,  nach  dem  Tode  der  Königin 
Edid  (26.  Januar  946),  lernte  er  lateinische  Bücher  lesen  und  ver- 
stehen'); i'eden  konnte  er  die  Sprache  der  Gelehrten  nicht").  Auf 
der  Synode  zu  Ingelheim  948  wurden  der  Könige  wegen  die  päpst- 
lichen Schreiben  in  deutscher  Sprache  verlesen^),  und  auch  in  seinem 
Alter  liefs  er  sich  einen  lateinisch  geschriebenen  Brief  von  seinem 
Sohne  Otto  II.  übersetzen''). 

Wie  Karl,  suchte  auch  Otto  gelehrte  Ausländer  ins  Land  zu 
ziehen.  So  bemühte  er  sich  lange  vergeblich,  den  Gunzo  von 
Novara,  einen  jener  italienischen  Grammatiker,  nach  Deutschland 
zu  bekommen.  Dieser  Gunzo  war  Diaconus  in  seiner  Vaterstadt, 
und  schrieb  hier,  aufgefordert  von  Bischof  Atto  von  Vei'celli  (f  c.  960), 
eine   Schrift   über   Ehehindernisse ^).      Bei   seiner   persönlichen   An- 

1)  Widuk.  II,  36.  Vgl.  Dümmler,  Otto  I.  S.  .515.  Ich  glaube  nicht, 
dafs  man  bei  litterat<  discere  und  libros  legere  et  uttelligere  an  andere  als 
lateinische  Bücher  denken  darf. 

2)  Liudpr.  Hist.  Ott.  11. 

3)  Flodoard  h.  a.  MG.  SS.  III,  396. 

*)  Casus    S.  Galli    MG.   SS.   II,    139.     Einen    anderen    übersetzt    die 
Kaiserin  Adelheid,  nam  Utteratissima  erat;  ib.  p.  146. 
*)  D'Achery,  Spicil.  I,  437. 


352  III-  Ottonen.     §  1.    Allgemeines. 

Wesenheit  in  Italien  gelang  es  Otto  endlich,  ihn  zu  gewinnen^). 
An  hundert  Bücher  behauptet  Gunzo  mitgebracht  zu  haben,  darunter 
Schriften  von  Plato  und  Aristoteles ;  doch  sicher  nur  in  den  lateini- 
schen Bearbeitungen  von  Chalcidius  und  Boethius.  Trotz  seiner 
Gelehrsamkeit  geschah  es  ihm  zuweilen,  durch  das  Italienische  ver- 
leitet, dafs  er  die  Casus  verwechselte^),  und  deshalb  wurde  er  in 
St.  Gallen  mit  einem  Spottliede  verhöhnt,  denn  er  hatte  statt  eines 
Ablativs  einen  Accusativ  gesetzt.  Dagegen  rechtfertigte  sich  nun 
Gunzo  in  einem  sehr  langen  und  sehr  pedantischen  Briefe  an  die 
Mönche  von  Reichenau,  in  welchem  er  seine  ganze  gelehrte  Schul- 
weisheit zur  Schau  stellt. 

Einen  Landsmann  von  ihm  Namens  Stephan,  der  in  Pavia 
gebildet  war,  in  Novara  und  Pavia  gelehrt  hatte,  beriefen  König 
Otto  und  Bischof  Poppo  von  Würzburg  (941 — 961)  aus  Italien,  und 
der  Ruf  seiner  Vorträge  über  Marcianns  Capella  zog  den  jungen 
Wolfgang  aus  Reichenau  nach  AVürzburg^).  Seine  Bücher,  welche 
aber    nicht   zahlreich   waren,    vermachte   er   dem    heiligen   KilianO- 

^)  So  erzählt  Gunzo  selbst  in  seiner  Epistola  ad  Augienses  fratres  bei 
Martene,  Coli.  I,  294.  Der  Codex  aus  St.  Amand  ist  jetzt  in  Valenciennes, 
Mangeart  p.  302.  Eine  zweite  Hs.  in  Maihingen,  NA.  IX,  286.  Man 
hatte  ihn  auch  in  Stablo,  Gottlieb,  Mittelalt.  Bibliotheken  S.  440  und  in 
Toul,  vgl.  Poet.  Car.  III,  69  adn.  3.  Obgleich  er  Otto  nur  König  nennt, 
ziehen  doch  M.  v.  Knonau  zu  Ekk.  S.  328  und  Ottenthai,  Reg.  S.  176  das 
Jahr  965  vor.  Vgl.  Gatterers  Commentatio  de  Gunzone  Italo ,  Norimb. 
1756.  Bursian,  Gesch.  d.  Philol.  S.  43.  Ebert  III,  370—372.  Hauck  III, 
330.  Dafs  er  der  Ebersberger  Propst  Guntheri  oder  Gunzo  gewesen  sei, 
„Gi-aecis  ac  Latinis  litteris  doctus,  qui  fuit  conscolasticus  Gerberti  pape" 
(Chron.  Ebersperg.  MG.  SS.  XX,  18),  scheint  der  Zeit  nach  kaum  möglieh, 
da  dieser  nach  Gr.  Hundt  von  1002 — 1013  Propst  war. 

-)  -Falso  putavit  S.  Galli  monachus  me  remotum  a  scientia  gramma- 
ticae  artis,    licet    aliquando  retarder   usu   nostrae  vulgaris  linguae  quae 
latinitati  vicina  est."     M.  v.  Knonau  vermutet,  dafs  Ekkehard  II.  (pala- 
tinus)  sein  Gegner  war. 
^)  V.  WoLfkangi  c.  5. 

■*)  Nach  den  Versen  bei  Schannat,  Vind.  litt.  I,  229  u.  Oegg,  Versuch 
einer  Korographie  der  Stadt  Würzburg  I,  542,  die  eine  Art  von  Testa- 
ment enthalten: 

Novaria  genitus  .  .  .  prae  moenibus  alta, 
ütraque  ut  patuit,  doctor  in  urbe  fui. 
Ast  Popo  antistes  hanc  me  perduxit  in  urbeui. 
Qua  sophiae  studiis  dogmata  crebra  dedi. 
^  Quos  habui  paucos  decrevi  tradere  libros, 
Martyr  sancte  Dei,  en  Kiliane  tibi. 
Caetera  quae  restat  mihimet  sat  jjarva  supellex, 

Cedat  fraternis  usibus  apta  nimis. 
Quisquis  ades  nostri,  rogito,  possessor  ovilis, 
^"       Adde  diem  mortis,  quem  deus  ij^se  saj^it. 

Actum  anno  dorn.  ine.  970.  17  Kai.  Aug. 
Das  fehlerhafte  erste  Distichon  ist  nach  dem  Epit.  zu  verbessern. 


Italiener  in  Deutschland.     Otto  II.  353 

Einige  Auskunft  über  sein  Leben  und  Wirken  gewährt  die  Grab- 
schrift, welche  er  für  sich  selbst  verfafst  hat').  Sie  steht  in  einer 
Handschrift  des  Domkapitels  zu  Novara,  einer  von  Stephan  ge- 
schriebenen Canonensanimlung;  denn  er  hat  sich  nach  970  wieder 
in  seine  Heimat  begeben,  wo  er  985  eine  Schenkung  des  Bischofs 
Aupald  unterzeichnete.     Die  Grabschrift  lautet : 

Novariae  natus,  Papiae  moeuibus  altus, 

Urbe  velut  potui,  doctor  utraque  fui. 
Me  rex  Otto  potens  Francorum  duxit  in  urbem, 

Qua  legi  multos  mente  vigente  libros. 
^  Hinc  me  digressum,  proprium  suscepit  alumnum 

Virgo  Salus  mundi,  mater  et  alma  dei. 
Protinus  amissam  studui  rei^arare  sophiam, 

Erudiens  pueros  instituensque  viros. 
His  igitur  cunctis  Christo  tribuente  peractis, 
'"       Sum  pulvis  modicus,  iussit  ut  ipse  deus. 
Quisquis  hac  graderis,  Stephani  memor  esto  iacentis, 

Ac  sibi  posce  poli  regna  beata  dari. 
Insuper  adde  diem  quae  contulit  ultima  finem. 

Hanc  si  scruteris,  hinc  mage  cautus  eris. 

Die  politischen  Verwickelungen  führten  auch  den  gelehrten  Bischof 
Rather  von  Verona  und  vor  Berengar  flüchtend  Liudprand  an 
Ottos  Hof,  wo  sie  gute  Aufnahme  fanden,  und  auch  Gerbert  wurde 
von  Papst  Johann  XIII.  im  Jahre  971  zum  Kaiser  gesandt,  verweilte 
aber  damals  nur  kurze  Zeit  am  Hofe,  weil  er  vorher  noch  in  Reims 
seine  philosophische  Ausbildung  zu  vollenden  wünschte-). 

Gern  gesehen  an  Ottos  Hofe  war  Ekkehard  (II.)  von  St.  Gallen, 
den  man  deshalb  im  Kloster  den  Höfling  (palatinus)  nannte;  er  war 
einer  der  Lehrer  Ottos  11.^).  Dieser  hatte  unter  der  Leitung  Vol- 
colds,  und  nach  dessen  Beförderung  zum  Bischöfe  von  Meifsen,  des 
Willigis^),  einen  vollständigen  wissenschaftlichen  Unterricht  erhalten; 
er  liebte   und   beförderte    die  Wissenschaften   und   nahm  lebhaften 

^)  Nebst  einem  Epitaph  auf  seinen  Vater  Leo,  bei  Giov.  Andres, 
Lettera  al  Sig.  Abbate  Morelli,  Parma  1802,  und  bei  Reift'erscheid,  Wien. 
SB.  LXVIII,  623  mit  Auslassung  des  ersten  Hexameters:  ,Pro  dolor  hoc 
parvo  claudit  sua  membra  locello".  Dagegen  ist  der  Schlufs  von  Ste- 
phans Epitaph  fälschlich  dazu  gezogen.  Faksimile  im  Spicil.  Casin. 
(189.3)  S.  199. 

^)  Richer  III,  44.  45.     Vgl.  Büdinger  über  Gerbert  S.  44. 

^)  Casus  S.  Galli  p.  126.  Bei  der  Unzuverlässigkeit  derselben  u.  den 
chronol.  Widersprüchen  ist  es  unsicher,  ob  Ekk.  nicht  erst  nach  973  an 
den  Hof  kam;    s.  G.  Meyer  v.  Knonau  zu  seiner  Ausg.  p.  LXXI. 

*)  Thietm.  IV,  6  (5).     Vgl.  Uhlirz,  Otto  IL  u.  HL,  I,  2. 

W a  1 1  e  n  b  a  c  h ,  G-eschichtsquellen.    I.    7.  AufL  23 


354  III-  Ottonen.     §  1.    Allgemeines. 

Anteil  an  den  gelehrten  Problemen,  welche  damals  die  Menschen 
beschäftigten^).  Hrotsvit  feiert  ihn  als  einen  zweiten  Salomo.  Er 
zog  Gerb  er  t  wieder  an  sich,  tind  noch  ist  uns  ein  Fragment  der 
Disputation  erhalten,  welche  dieser  980  vor  dem  Kaiser  zu  ßavenna 
hielt  gegen  den  berühmten  Magdeburger  Lehrer  0 trieb,  den  Otto 
ebenfalls  an  seinen  Hof  berufen  hatte  ^).  Auch  der  Abt  Ad  so  von 
Montier-en-Der,  einer  der  angesehensten  Gelehrten  Frankreichs,  war 
dabei  zugegen  nebst  einer  grofsen  Menge  von  Scholastern  oder 
Grammatikern^).  Auch  von  S.  Wolfgang  wird  uns  berichtet,  dal's 
er  vor  diesem  Kaiser  gegen  einen  Ketzer  disputierte.  Den  Bischof 
Gumpold  von  Mantua  veranlafste  er,  das  Leben  des  heiligen  Wen- 
zeslaus  zu  beschreiben. 

Kurz  vor  dem  Tode  des  alten  Kaisers,  im  Jahre  972,  besuchten 
Vater  und  Sohn  das  Kloster  St.  Gallen.  Der  Vater  fragte  nach  dem 
alten  Notker,  dem  gelehrten  Maler  und  Arzte,  mit  dem  Beinamen 
Pfefferkorn;  schwach  und  erblindet  safs  er  auf  einem  Sessel.  Auf 
das  Geheifs  des  Vaters  führte  der  junge  Kaiser  ihn  herbei  und  der 
Alte  leitete  ihn  nach  zärtlicher  Umarmung  sorgsam  ins  Kloster  imd 
setzte  ihn  an  seine  Seite.  Otto  IL  aber  liefs  sich  nun  hier  die 
Bibliothek  öffnen  und  nahm,  von  den  reichen  Schätzen  derselben 
gelockt,  eine  Anzahl  der  besten  Bücher  mit  sich  fort;  einige  gab 
er  auf  Ekkehards  Bitte  später  zurück'*). 

Otto  in.  endlich  wurde  von  seiner  Mutter  Theophano,  von  dem 
Calabresen  Johannes  und  Bernward  von  Hildesheim  auf  das  sorg- 
fältigste erzogen^),  und  sein  wissenschaftlicher  Verkehr  mit  Gerbert 


1)  Richer  III,  67. 

2)  Richer  III,  55  ff.  Vgl.  Büdinger  S.  52  ff.  Uhlirz ,  Jahrb.  unter 
Otto  II.  S.  146—149. 

')  In  Frankreich  soll  um  diese  Zeit  Fulco  bonus  von  Anjou  (938  bis 
958)  vom  König  verlacht  sein,  als  er  in  choro  S.  Martini  mit  den  Cano- 
nikern  sang.  Er  schrieb  darauf  dem  Könige:  „Noveritis  domine,  quia  rex 
illiteratus  est  asinus  coronatus".  Gesta  consulum  Andegavensium  c.  5; 
vgl.  Doctrina  Abaelardi  bei  Wright  und  Halliwell,  Reliquiae  antt.  I,  16, 
und  das  Schachbuch,  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XYII,  205. 

■')  Casus  S.  Galli,  MG.  SS.  II,  147. 

■")  Giesebrecht,  Kaiserzeit  I,  670.  851.  Lüntzel,  Bernward  S.  14.  Vgl. 
H.  Düker,  Der  liber  mathematicalis  des  heil.  Bernward  im  Domschatze 
zu  Hildesheim,  Hildesh.  Progr.  1875.  Dieses  Buch,  welches  B.  für  den 
Unterricht  gebraucht  haben  soll,  ist  die  Arithmetik  des  Boethius  mit 
Glossen.  Bubnov,  Gerberti  opp.  mathem.,  Berl.  1899  S.  148  ff.  Vgl.  die 
Verse  bei  Giesebrecht  I,  897,  aus  dem  Bamberger  in  Tours  hergestellten 
B. ,  die  sich  auf  Karl  den  K.  beziehen;  F.  Leitschuh,  Geschichte  der 
karoling.  Malerei  S.  84.  üeber  die  von  Joh.  Calaber  an  Otto  III.  ge- 
kommenen Bücher  Val.  Rose  im  Hermes  VIII,  46;  Giesebrecht  I,  858; 
Leitschuh,  Führer  durch  die  k.  Bibl.  zu  Bamb.  2.  Aufl.  S.  39. 


Otto  II.  III.     Heinrich  II.  .       355 

ist  weltbekannt;  wie  es  nur  zu  leicht  geschah,  wendeten  ihn  diese 
ganz  auf  fremdländischen  Grundlagen  beruhenden  Studien  vom 
vaterländischen  Wesen  ab  und  störten  die  harmonische  Entwickelung 
seines  Geistes'). 

Heinrich  IL  war  in  seiner  Kindheit  zum  geistlichen  Stande 
bestimmt  und  erhielt  in  Hildesheim,  später  unter  Bischof  Wolfgangs 
Leitung  in  Regensburg,  eine  gelehrte  Erziehung-);  wissenschaftliche 
Thätigkeit  förderte  er  nicht  unmittelbar"),  aber  seine  Bestrebungen 
für  die  Reform  verwilderter  Klöster  kamen  auch  den  Schulen  zu 
gute,  wovon  namentlich  die  Geschichte  des  Bischofs  Godehard  von 
Hildesheim  ein  Beispiel  gibt,  und  die  Stiftung  des  neuen  Bistums 
zu  Bamberg,  welchem  er  es  auch  an  Büchern  nicht  fehlen  liefs, 
eröffnete  den  gelehrten  Studien  eine  neue  Stätte''). 

In  der  Totenklage  um  Constantius,  den  Scholasticus  von 
Luxeuil,  schildert  Gudinus  den  Kummer  des  Kaisers,  dafs  seines- 
gleichen nicht  mehr  zu  finden  sei").  Dem  Kloster  Corvey  schenkte 
ein  Kaiser  Heinrich,  der  auch  ein  späterer  sein  kann,  eine  Hand- 
schrift aus  Unteritalien,  Avelche  das  Autograph  von  Landolfs  Historia 
miscella  (oben  S.  180)  und  Vegetius  enthielt'). 

')  Ueber  ein  von  Liuthar  ihm  dargebrachtes  Evangeliar,  und  über  die 
Bilder  von  Otto  III.  und  Theophano  auf  dem  kostbaren  Einbände  des 
goldgeschriebenen  Evangeliars  in  Echternacb,  jetzt  in  Gotha,  s.  Lamp- 
recht, Der  Bilderschmuck  des  Cod.  Egberti  und  des  Cod.  Eptern.  im 
Jahrbuch  des  Vereins  von  Altertumsfreunden  im  Rheinland  LX  (1881) 
S.  56—112;  Sauerland  und  Haseloff,  Das  Psalter  Erzb.  Egbert  v.  Trier, 
Trier  1901. 

■-)  Hirsch,  Heinrich  II.  I,  90—92.     Giesebr.,  Kaiserzeit  II,  78.  602. 

'I  Giesebr.  II,  605. 

••)  Ausführlich  handelt  darüber  Giesebrecht  H,  52—65,  vgl.  601,  und 
Hirsch,  Heinrich  IL,  Band  II.  Ein  vielleicht  dazu  gehöriger  (?)  Katalog 
NA.  V,  624.    XXI,  194. 

^)  ,Heinricus  in  Romano  residens  palatio  et  arcana  sapientum  com- 
probans  ingenio.  dolet  nusquam  inveniri  similem  Constantio."  Mab.  Anal, 
p.  217.  Dumeril  (1843)  S.  280;  vgl.  über  Constantius  die  Unterschrift  des 
Cod.  Bern.  87:  „Ego  Constantius  peccator  et  indignus  sacerdos  S.  Petri 
Luxov.  coenobii  scripsi  ad  serviendum  ei  hos  libros  Boetii  de  geometria 
diebus  tantum  XI  infra  Idus  Jun.  et  VI.  Kai.  Jul.  a.  M.  IUI.  ab  ine.  Domini, 
conversionis  autem  nostrae  II.  praecepto  pii  patris  Milonis.  Sit  ergo  utenti 
gratia,  scriptori  venia,  fraudatori  anathema."  Cantor,  Mathem.  Beiträge 
(1863)  S.  404,  und  korrekter  bei  Grandidier,  Oeuvres  bist.  (1865)  II,  236. 
Hagen,  Catal.  Bern.  p.  107.  Die  Handschrift  hatte  Bischof  ^^'erinhar  der 
Strafsburger  Kirche  geschenkt. 

«)  Cod.  Pal.  909,  Arch.  XII,  344.  Nach  Bethmann  wäre  die  Inschrift 
aus  dem  11.  Jahrhundert,  nach  H.  Droysen  im  Hermes  XII,  387  (Auctt. 
antt.  II,  p.  LXlI)  aus  dem  Anfange  des  12.  und  hätte  dieselbe  Hand  den 
Text  mit  Randglossen,  wie  cave  princep^^,  attende  princeps,  himitare  prin- 
ceps  versehen,  welche  auf  den  Unterricht  eines  Fürsten  deuten.  Danach 
wäre  ein  späterer  Heinrich  anzunehmen. 


356  ^^T.  Ottonen.     §  1.    Allgemeines. 

Bei  den  Frauen  fand  man  im  früheren  Mittelalter  weit  eher 
als  bei  den  Männern  aus  dem  Laienstande  die  Anfänge  einer  ge- 
lehrten Bildung,  die  schwierige  Kunst  des  Lesens  und  Schreibens, 
nebst  einer  Kenntnis  der  allgemeinen  Schriftsprache,  welche  zum 
Verständnis  des  Psalters  ausreichte').  Leicht  knüpfte  sich  mehr 
daran,  und  auch  der  Einflufs,  welchen  Geistliche  über  weibliche 
Oemüter  so  leicht  erlangen,  begünstigte  ihre  Beschäftigung  mit  dem 
besonderen  Erbteile  dieses  Standes,  den  Büchern.  Die  Frömmigkeit 
der  Königinnen  Mahthild")  und  Edid  ist  bekannt;  Heinrichs  L 
Tochter  Gerbe rga  veranlafste  den  Abt  Adso  zur  Abfassung  seiner 
Schrift  über  den  Antichrist^);  Adelheid  aber,  die  Burgunderin,  und 
Theophano,  die  Griechin,  zeichneten  sich  durch  eine  in  Deutsch- 
land seltene  litterarische  Bildung  aus,  die  sich  auch  in  der  sorg- 
samen Erziehung  ihrer  Kinder  erkennen  läfst.  Ganz  besonders  wird 
uns  die  hohe  Bildung  der  schönen  Herzogin  Hedwig  von  Schwaben 
gerühmt,  der  Tochter  von  Ottos  des  Grofsen  Bruder  Heinrich  von 
Bayern.  Wie  man  sich  in  St.  Gallen  erzählte,  war  sie  als  Kind  zur 
Braut  eines  griechischen  Kaisers  bestimmt  und  wurde  durch  Kämmer- 
linge, welche  dieser  eigens  deshalb  gesandt  hatte,  im  Griechischen 
unterrichtet,  zerrifs  aber  diese  Verbindung,  welche  ihr  milsfiel. 
Diese  Geschichte  freilich  ist  so,  wie  sie  erzählt  wird,  nicht  möglich. 
Später  mit  Herzog  Burchard  vermählt  und  früh  (973)  verwitwet, 
waltete  sie  auf  ihrer  Feste  Hohentwiel  mit  männlicher  Festigkeit,  ja 
mit  Härte,   und   ihre   wechselnden   Launen   waren   sehr   arefürchtet. 


')  Vgl.  Giesebr.  II,  545.  V.  Bardonis  mai.  c.  1  (MG.  SS.  XI,  -323).  Der 
Regensburger  Marianus  Scottus  schrieb  „uiulta  manualia  jjsalteria  viduis 
indigentibus  ac  clericis  pauperibus  eiusdem  civitatis".  Frau  Ute  in  Lorsch 
„las  an  ir  salter  alle  ir  tagezit'",  Diu  Klage  v.  1840.  „Saltere  und  alle 
buche,  di  zu  gotis  dinste  boren,  die  vrowen  phlegen  zu  lesene,"  gehören 
nach  dem  Sachsensi^iegel  I,  24,  3  zur  Gerade.  Verständnis  der  Sprache 
war  jedoch  mit  dem  Lesen  nicht  notwendig  verbunden,  so  verstand  Hilde- 
gard vor  ihrer  Erleuchtung  den  Inhalt  nicht:  „solum  psalterium  legere 
didicerat  more  nobilium  puellarum  a  quadam  inclusa  in  Monte  sancti 
Desibodi".  Albrici  Chron.  ad  a.  1141  (SS.  XXIII,  884).  Im  13.  Jahr- 
hundert wird  einem  Scholaren  der  Rat  gegeben:  ,,Si  vero  grammaticam 
nequis  scire  plene,  Defectu  ingenii,  defectu  crumene,  Horas  et  psalterium 
discas  valde  bene,  Scolas  si  necesse  est  puellarum  tene."  Peiper  in  der 
Zeitschr.  f.  Deutsche  Philologie  V,  183. 

^)  „Domesticos  omnes  famulos  et  ancillas  variis  artibus,  litteris  quo- 
que  instituit;  nam  et  ipsa  litteras  novit,  quas  post  mortem  regis  lucide 
satis  didicit."  Widuk.  III,  74.  Anskar  scliickte  der  Liutbirg  (oben  S.  304) 
junge  Mädchen  zur  Unterweisung  im  Psalmsingen  und  Handarbeit.  Vgl. 
für  die  spätere  Zeit  Weinhold,  Deutsche  Frauen  ^I,  116  ff. 

^)  Sackur,  Sibyllin.  Texte  S.  104;  Rhythm.  Gedicht  auf  sie,  Zeitschr. 
f.  D.  Altert.  XIV,  465—466,  vgl.  NA.  XXV,  406. 


Frauenbildung.  357 

Ihre  liebste  Beschäftigung  aber  bestand  darin,  mit  dem  Sanktgaller 
Mönche  Ekkehard,  den  sie  sich  dazu  vom  Abte  ausgebeten  hatte, 
die  alten  lateinischen  Dichter  zu  lesen.  Den  jungen  Burchard,  der 
später  Abt  wurde,  lehrte  sie  selbst  griechisch  und  beschenkte  ihn 
zum  Abschiede  mit  einem  Horaz'j, 

Ihre  Schwester  Gerbirg,  die  Aebtissin  von  Gandersheim,  war, 
so  sagt  Hrotsvit,  wie  es  der  Nichte  des  Kaisers  gebührte,  von  höherer 
wissenschaftlicher  Bildung  und  unterwies  mich  in  den  Autoren, 
welche  zuvor  die  gelehrtesten  Meister  mit  ihr  gelesen  hatten"). 

Auch  Heinrichs  II.  Gemahlin  Kunigunde  zeichnete  sich  durch 
Kenntnis  und  Verständnis  der  kirchlichen  nicht  nur,  sondern  auch 
der  weltlichen  Schriftsteller  aus,  und  in  der  späteren  Zeit  betrachtete 
man  die  feine  Bildung  der  vornehmen  Frauen  als  einen  besonderen 
Vorzug  dieses  Zeitalters^).  Aber  auch  über  seine  Standesgenossen 
klagte  Graf  Udalrich  von  Ebersberg  (f  1029)  in  seinen  alten  Tagen  : 
in  seiner  Jugend,  sagte  er,  habe  jeder  Edelmann  sich  schämen 
müssen,  wenn  er  die  Rechtsbücher  nicht  zu  lesen  und  anzuwenden 
gelernt  hätte^j. 

Finden  wir  also  das  Ottonische  Kaiserhaus  wissenschaftlicher 
Bildung  geneigt  und  günstig,  so  überstrahlt  doch  alle,  sowohl  durch 
seine  eigene  gründliche  Gelehrsamkeit,  wie  durch  seine  fruchtreicbe 
Thätigkeit  für  Kirche  und  Schule,  der  grofse  Erzbischof  Brun, 
Ottos  des  Grofsen  jüngster  Bruder^). 

')  Casus  S.  Galli  MG.  SS.  II,  122—126.  Vgl.  die  Anmerkungen  von 
Meyer  von  Knonau  S.  319  flf.  u.  Allg.  Deutsche  Biogr.  X,  308. 

-)  „Gerbergae,  cuius  nunc  subdor  dominio  abbatissae;  quae  aetate 
minor,  sed,  ut  imperialem  decebat  neptem,  scientia  provectior,  aliquot 
auctores,  quos  ipsa  prior  a  sapientissimis  didicit,  me  admodum  pie  eru- 
divit."     Praef.  ad  vitam  b.  Mariae,  p.  2  ed.  de  Winterfeld. 

'•")  Im  Chron.  Gozec.  I,  2  (MG.  SS.  X,  142)  heifst  es  von  der  Agnes 
von  Weimar,  Gemahlin  des  1036  verstorbenen  Pfalzgrafen  Friedrich  von 
Sachsen :  more  antiquorum  tam  litteris  quam  diversarum  artium  disciplinis 
apud  Quidelingeburg  pulchre  fuit  instructa.  Ueber  Kunigunde  s.  unten  V 
§  15.  Die  Quedlinburger  Schatzmeisterin  Hazecha  verfafste  eine  Schrift 
zu  Ehren  des  heiligen  Christoph,  welche  sie  Bischof  Balderich  von  Speier 
(970—987)  übergab.     S.  unten  §  6. 

•*)  Chron.  Ebersp.  MG.  SS.  XX ,  14.  Aehnlich  heifst  es  in  der  Vita 
S.  Pauli  Virodun.  (aus  dem  7.  Jahrb.),  in  welcher  Berthar  angeführt  wird, 
Hugo  Flavin.  aber  noch  nicht:  „liberalium  studiis  litterarum,  sicut  olim 
moris  erat  nobilibus,  traditur  imbuendus".  Mab.  Act.  11,  268.  Auch  der 
Vater  Odos  von  C'luny  war  nach  der  Vita  auct.  Joh.  mon.  I,  5  (Mabillon, 
Acta  saec.  V,  152)  ein  angesehener  Rechtskundiger  am  Hofe  des  Grafen 
Wilhelm  von  Poitiers. 

■')  S.  über  ihn  und  seine  Wirksamkeit  W.  Giesebrecht,  Geschichte  der 
Kaiserzeit  I,  821—331,  vgl.  819;  401—403.  431—436,  vgl.  828.  833.  Hauck, 
III,  41  —  47.     Vogel,  Ratherius  I,  156  ff.     Jasmunds  Vorwort   zur  Ueber- 


358  m-  Ottonen.     §  1.    Allgemeines. 

Nachdem  er  in  Utrecht  unter  der  Aufsicht  des  Bischofs  Balderich 
(t  975)  erwachsen  war  und  hier  die  erste  grammatische  Bildung  er- 
halten hatte,  wurde  er  noch  in  früher  Jugend  (940)  zum  Kanzler  und 
953,  als  er  Erzbischof  geworden,  auch  zum  Erzkaplan  ei-hoben ;  bald 
lag  in  seinen  Händen  fast  die  ganze  Verwaltung  des  Reiches,  deren 
Fäden  in  der  königlichen  Kanzlei  zusammenliefen,  vor  allem  aber  die 
Leitung  der  kirchlichen  Angelegenheiten.  Mit  Geschäften  aller  Art 
überhäuft,  hat  er  in  den  Aeufserlichkeiten  der  Urkunden,  den  Daten 
namentlich,  eine  arge  Unordnung  einreifsen  lassen');  dagegen  fand 
er  doch  noch  Zeit  für  seine  geliebten  Bücher,  die  ihn  überall  hin 
begleiteten,  für  den  Verkehr  mit  den  Meistern  der  Wissenschaft, 
die,  wie  Ruotger  sagt,  von  allen  Enden  der  Welt  sich  hier  zusammen- 
fanden, ßatherius,  Liudprand,  der  Spanier  Eecemund,  Bischof  von 
Elvira,  wurden  durch  politische  Ereignisse  diesem  Kreise  zugeführt, 
nahmen  aber  während  ihres  Aufenthaltes  daselbst  ebenfalls  an  den 
wissenschaftlichen  Bestrebungen  teil.  Die  Anwesenheit  gelehrter 
Griechen  benutzte  Brun,  um  von  ihnen,  deren  Sprache  ihm  schon 
vertraut  war,  zu  lernen;  besonders  aber  verehrte  er  als  seinen 
Lehrer  einen  irischen  Bischof  Namens  Israel,  wahrscheinlich  den- 
selben, welcher,  aus  seiner  Heimat  vertrieben,  in  St.  Maximin  Mönch 
wurde  ^). 

Ungeachtet  seiner  hohen  Stellung  verschmähte  Brun  es  nicht, 
auch  selbst  als  Lehrer  zu  wirken;  wieder  gab  es,  wie  zu  Karls  Zeiten, 
eine  Hofschule ^),  wenn  auch  in  anderer  Weise,  weil  für  die  Grund- 
lage des  Lernens  jetzt  an  vielen  Orten  besser  gesorgt  war.  Aber 
die  Söhne  vornehmer  Familien,  welche  nach  alter  Weise  an  den  Hof 
gebracht  wurden,  werden  schwerlich  ganz  ohne  Unterricht  gelassen 
sein,  und  die  königliche  Kanzlei  wurde  zu  einer  Pflanzschule  treff- 

setzung  des  Ruotger.  Ern.  Meyer  de  Brunone  I,  Diss.  Berol.  1867, 
Dümmler,  Otto  1.  S.  396—399.  Bursian,  Gesch.  d.  Philol.  S.  44.  E.  Krüger, 
ßruns  I.  Erzb.  v.  Köln  Einflufs  auf  Kirche  und  Schule  in  Lotbr.  Leipz. 
Diss.  1876.     K.  Martin,  Beiträge  zur  Gesch.  Bruns,  Diss.  Jen.  1878. 

1)  Sickel,  Wiener  SB.  XCIII,  732. 

2)  Hontheim,  Prodr.  bist.  Trev.  II,  975.  Dümmler  in  d.  Neuen  Mitteil. 
XI,  252. 

3)  Mir  scheint  das  aus  Ruotgeri  Y.  Brun.  c.  5  —  7  hervorzugehen.  Frei- 
lich darf  man  kaum  an  eine  dauernde  geregelte  Organisation  denken, 
aber  E.  Meyer  geht  zu  weit,  wenn  er  sie  ganz  leugnet.  Ihm  stimmt 
freilich  auch  Dümmler  bei,  Otto  I.  S.  545;  aber  wenn  Ruotger  sagt: 
„Latialem  eloquentiam  non  in  se  solum,  ubi  excelluit,  set  et  in  multis 
aliis  politam  reddidit  et  inlustrem",  so  mufs  doch  Brun  lat.  Unterricht 
gegeben  haben.  Die  eigentliche  Schule  hatten  die  Hofkapläne  schon 
hinter  sich,  aber  wenn  wir  Ruotger  irgend  glauben  dürfen,  war  doch  am 
Hofe  noch  viel  für  sie  zu  lernen. 


Bruno  von  Köln.  359 

Hoher  Bischöfe,  deren  Wichtigkeit  für  das  Reich  nicht  hoch  genug 
anzuschlagen  ist,  denn  mit  diesen  Bischöfen  regierten  die  Kaiser 
von  nun  an  bis  zu  den  Zeiten  Heinrichs  IV.  ihr  Reich,  und  fast 
allein  in  ihnen  bildete  sich  ein  Element  der  Stetigkeit  in  der  Reichs- 
regierung aus,  welches  von  dem  Wechsel  der  Personen  unabhängig  war, 

Brun  selbst  wurde  im  Jahre  953  Erzbischof  von  Köln,  wo  er 
noch  12  Jahre  wirkte,  ohne  doch  darum  der  kaiserlichen  Kanzlei 
fi'emd  zu  werden,  bis  er  am  11.  Oktober  9ü5,  kaum  40  Jahre  alt, 
starb.  Die  schwierigsten  Aufgaben  ruhten  auf  ihm,  denn  das 
unruhige,  unzuverlässige  Lothringen  war  seiner  Leitung  anvertraut, 
und  seine  Schwester,  die  Königin  von  Frankreich,  baute  fast  allein 
auf  seine  Hilfe.  Aber  während  man  nie  an  ihm  die  Thatkraft 
seines  grofsen  Bruders  vermifste ,  vergafs  er  doch  über  den  welt- 
lichen Sorgen  niemals  sein  bischöfliches  Amt.  Die  ganz  zerrütteten 
Kirchen  Lothringens  richtete  er  aus  ihrer  Versunkenheit  auf;  kirch- 
liche und  klösterliche  Zucht  wurden  erneut,  die  Schulen  mit  gröfster 
Sorgfalt  gepflegt,  und  bald  entfaltete  sich  hier  wieder  das  rege 
litterarische  Treiben,  welches  von  nun  an  Lothringen  besonders 
auszeichnet. 

Nicht  minder  erblühten  nun  auch  in  den  übrigen  Reichslanden 
unter  so  guter  Pflege  alle  die  Keime,  welche  die  vorhergegangenen 
Stürme  noch  überdauert  hatten ;  frisches  Leben  erfüllte  die  alten 
Klöster,  welche,  wie  Corvey,  Gandersheim,  St.  Gallen,  weniger  gelitten 
hatten,  und  neben  ihnen  erhoben  sich  zahlreiche  neue  Stätten  litte- 
rarischer Bildung'). 

Sehr  bald  aber  liefsen  sich  auch  schon  Stimmen  vernehmen,  welche 
die  heidnische  Gelehrsamkeit  als  sündlich  verwarfen  und  gegen  die 
klassischen  Studien  eiferten.  Hatte  schon  Hieronymus  im  Traume 
für  die  Vorliebe  büfsen  müssen ,  womit  er  Plautus  und  Cicero  ge- 
lesen^), ein  Geschichtchen,  welches  immer  wieder  benutzt  wird  und 
noch  bei  der  Bekämpfung  der  Humanisten  eine  Rolle  spielt,  so  finden 


')  Wohl  konnte  deshalb  Brun  zum  König  sagen: 
Deciderat  studium  veterum  At  tua  dextra  ubi   sceptra  tenet, 

Et  vigilancia  paene  patrum,  Publica  res  sibi  tuta  placet. 

Caecaque  saecula  barbaries  Exacuit  calamos  studium 

Saeva  pvemebat  et  error  iners.         Fertque  quod  apparat  ad  solium. 

Verse  hinter  einer  Abschrift  des  Frontin,    bei  Haase.  Ind.  lectt.  Vratisl. 

hiem.  1860.  p.  20.     Leider  bleibt  es  ungewifs,  ob  der  Bruno  tuus  dieser 

Bruno  ist ;    der  Caesar   ist   nicht   genannt.     Diese  Anrede  setzt  übrigens 

nicht  notwendig  die  Kaiserkrönung  voraus. 

-)  Hieron.  ad  Eustochium,  Opp.  ed.  Vall.  I,  113.    Vgl.  im  allg.  Com- 

paretti,  Virgilio  nel  Medio  Evo  I.  cap.  6.   2.  Aufl.  I,  99  ff". 


360  III-  Ottonen.     §  1.    Allgemeines. 

wir  in  karolingischer  Zeit  den  alt  gewordenen  Alcvin  in  gleichem 
Sinne  eifernd ;  so  auch  jenen  alten  Schulmeister  Johannes  zu  Fulda 
(oben  S.  253).  Ermenrich  sah,  wenn  er  den  Virgil  unter  sein  Kopf- 
kissen gelegt  hatte,  im  Traume  den  Dichter  als  Teufel,  in  der  Hand 
ein  Buch,  hinterm  Ohr  die  Feder,  der  ihn  triumphierend  verhöhnte ; 
doch  meinte  er,  dafs  man,  wie  für  den  Ackerbau  den  Dünger,  so 
auch  den  Kot  der  heidnischen  Poesie  mit  Nutzen  verwerten  könne'). 
Notker  dagegen  empfahl  dem  jungen  Salomo  den  Prudentius:  non 
sunt  tibi  necessariae  gentUimn  fahulae^).  Abt  Odo  von  Cluny  wurde 
durch  einen  Traum  von  der  Beschäftigung  mit  Virgil  abgeschreckt^), 
und  ebenso  verwarf,  der  Tendenz  dieser  Kongregation  entsprechend, 
Majolus  die  einst  auch  ihm  lieb  gewesenen  Studien^),  und  ähnliches 
wird  vom  Abt  Hugo  berichtet''). 

Auch  Hrotsvit  schrieb  ihre  Dramen  über  Gegenstände  aus  der 
heiligen  Geschichte,  um  den  Terenz  aus  den  Händen  der  Christen 
zu  verdrängen'^')-  Etwas  später  wurde  der  sterbende  Schüler  Gozo 
von  Dämonen  in  der  Gestalt  des  Turnus  und  Aeneas  beunruhigt')» 
und  als  ein  Mönch  des  Lütticher  Lorenzklosters  mit  seinen  Schülern 
den  Terentius  las,  bemühte  sich  S.  Laurentius  selber,  um  ihn  zu 
züchtigen^).  Auch  Dietrich  von  Amorbach  warnt  die  Mönche  vor 
der  Lesung  heidnischer  Schriftsteller  wegen  ihrer  bestechenden 
Sprache^). 

Wer  könnte  auch  in  Abrede  stellen,  dafs  in  den  römischen 
Dichtern  vieles  zu  lesen  ist,  was  sich  namentlich  für  Klosterschulen 


')  Dümmler,  St.  Gall.  Denkm.  S.  207.    Ermenrici  ep.  Epp.  V,  561—563. 

^)  Dümmler,  Formelbuch  S.  73. 

^j  Vita  auet.  Job.  mon,  I  §  12.  Mabillon,  Acta  V,  153,  vgl.  Sackur, 
Cluniacenser  II,  330. 

■')  „Legerat  isdem  vir  Dom^ini  libros  olim  antiquorum  philosophoruui 
Virgiliique  mendacia,  que  nolebat  nee  ipse  iam  audive  nee  alios  legere : 
Sufficiunt,  inquiens,  divini  poetae  vobis,  nee  egetis  luxuriosa  Virgilii  vos 
pollui  facundia",  Vita  S.  Majoli  I  c.  14  (Mabillon,  Acta  V,  791)  aus  der 
V.  Alcvini  c.  16,  SS.  XV,  193. 

^)  R.  Lehmann  über  die  Vitae  Hugonis  S.  48. 

®)  Die  fleifsige  Beschäftigung  mit  Terenz  wird  auch  bezeugt  durch 
das  wunderliche  Gedicht,  welches  Riese  in  der  Zeitschr.  f.  österr.  Gym- 
nasien 1867,  S.  442 — 446,  e  cod.  saec.  X  herausgegeben  hat,  und  schon 
1840  Magnin  in  d.  Bibl.  de  l'Ecole  des  chartes  I,  524—531 ,  am  besten 
Winterfeld  in  Hrotsvithae  opp.  p.  XXXI— XXXV. 

■)  Vita  Poppouis  c.  32.     MG.  SS.  XL  314. 

*)  Reineri  Palmarium  Virginale  bei  B.  Pez,  Thes.  IV,  3,  85. 

®)  Abhandl.  der  Berliner  Akad.  1894  S.  10:  Non  enim  monachis  vel 
ministris  sacri  altaris  ullo  modo  canonica  auctoritate  permittitur  gen- 
tilium  libros  vel  discei-e  vel  docere ,  quia  ipsa  verborum  alta  vis  facile 
inserpit  üb  ras  cordis. 


Bekämpfung  der  profanen  Studien.  361 

nicht  eignet.  Besonders  beliebt  war  Ovid,  und  nach  einigen  Citaten 
könnte  man  sich  versucht  fühlen  anzunehmen,  dal's  seine  Ars  amandi 
das  gelesenste  Buch  in  den  Klöstern  war,  wobei  jedoch  in  Anschlag 
zu  bringen  ist,  dals  viele  einzelne  Sentenzen  gelehrt  und  gelernt 
wurden,  ohne  dafs  man  wufste,  woher  sie  stammten.  Doch  war  auch 
die  ganz  übermäfsige  Beschäftigung  mit  der  unübersehlichen  Fülle 
von  M3'then,  um  jede  Anspielung  erklären  zu  können,  für  Mönche 
wenig  förderlich,  und  selbst  Boethius  und  Cicero  stimmten  nicht 
immer  mit  den  Kirchenlehrern  überein.  Sogar  den  Erzbischof  Bruno 
sah  der  Hofkaplan  Poppo  in  einer  Vision  wegen  seiner  eifrigen 
Beschäftigung  mit  der  Philosophie  verklagt,  aber  S.  Paulus  trat 
für  ihn  ein'). 

Dennoch  fühlte  man  allgemein,  dafs  man  die  heidnische  Litteratur 
nicht  entbehren  könne,  ohne  in  Barbarei  zu  verfallen  ;  schon  Hraban 
nahm  sie  sehr  entschieden  in  Schutz  ^) ,  und  selbst  Anselm  von 
Canterbury  (ep.  I,  55)  hat  einem  Mönche  geraten,  den  Virgil  zu 
lesen.  War  der  geistliche  Stand  einmal  der  allein  lehrende,  so 
mufste  er  auch  diesen  Gefahren  sich  aussetzen.  Nur  an  einzelnen 
Orten  und  bei  einzelnen  Männern  drang  jene  asketische  Richtung 
durch ;  in  den  Schulen  behaupteten  sich  bis  ins  13.  Jahrhundert 
Virgil  und  Horaz,  Terenz,  Ovid,  Sallust  und  verlockten  immer  von 
neuem  die  jugendlichen  Gemüter  durch  den  Zauber  ihrer  Anmut 
von  den  trockneren  Vätern  der  Kirche. 

Die  Gewandtheit  im  Ausdrucke,  der  leichte  Flufs  der  lateinischen 
Rede,  im  karolingischen  Jahrhundert  so  allgemein  verbreitet,  waren 
jedoch  in  der  fünfzigjährigen  Unterbrechung  schriftstellerischer 
Thätigkeit  verloren  gegangen ;  mit  grofser  Anstrengung  mufste  man 
wieder  von  neuem  beginnen.  Die  mühsam  erworbene  gelehrte  Bildung 
ist  fast  überall  kenntlich;  man  war  stolz  auf  die  neue  Kunst  und 
trug  sie  gern  zur  Schau.  Die  schwerfälligen  Phrasen  sind  erfüllt 
von  ungeschickt  eingefügten  Ausdrücken  der  alten  Schriftsteller,  man 
prunkt  gern  mit  Citaten  und  bringt  die  gelehrten  Brocken  auch  da  an, 
wo  sie  am  wenigsten  passend  sind,  wie  z.  B.  Liudprand  die  Ungern  in 
ihrem  Kriegsrate  mit  pedantischer  Affektation  griechische  Worte  ein- 
mischen lälst.  Schulmäfsig  gekünstelte  Reden  nach  dem  Voi'bilde 
der  Alten  sind  besonders  beliebt,  und  nur  zu  häufig  erschwert  der 
gesuchte  Ausdruck  das  Verständnis  des  Inhaltes.  Aber  die  frische 
Lebenskraft,    welche   jetzt   wiederum    das    von    jugendlichem    Auf- 


1)  Thietmari  Chron.  IT,  10. 

^)  De  Institut,  clericor.  1.  III  c.  18  p.  225  ed.  Knöpf  ler. 


362  III.  Ottonen.     §  1.    Allgemeines. 

Schwünge  erfüllte  Geschlecht  durchdrang,  ist  auch  in  dieser  Ver- 
mummung nicht  zu  verkennen  ')• 

Leicht  genug  scheinen  der  Nonne  Hrotsvit  ihre  Hexameter  ent- 
strömt zu  sein,  aber  die  reiche  Fülle  lateinischer  Gelegenheitsdichtung, 
welche  in  der  karolingischen  Zeit  überall  uns  begegnet,  fehlt  der 
ottonischen.  Wohl  finden  wir  den  Streit  der  Brüder  Ottos  I.  und 
Heinrichs,  nach  andern  Heinrichs  II.  und  Ottos  IL,  in  einem  halb 
lateinischen,  halb  deutschen  Gedichte  behandelt^),  und  auch  die 
Schlacht  auf  dem  Lechfelde  verherrlicht^},  beide  aber  (in  Bezug  auf 
das  erste  freilich  jetzt  bezweifelt)  den  Ereignissen  schon  so  fern 
stehend,  dafs  wir  hinter  ihnen  uns  eine  Fülle  deutscher  Lieder  zu 
denken  haben,  von  jenen  Mimi  gesungen,  deren  Widukind  gedenkt*). 

Wie  nun  unter  den  ersten  Karolingern  die  kräftige  Neugestaltung 
des  Reiches  naturgemäfs  dahin  geführt  hatte,  die  Begebenheiten 
der  Gegenwart  aufzuzeichnen,  weil  man  wieder  Lust  und  Bedürfnis 
empfand,  sie  festzuhalten,  so  geschah  es  auch  nach  langer  Pause  unter 
den  Ottonen.     Auch  jetzt  suchte  man   zunächst   die  Zeitgeschichte 


^)  Vgl.  über  den  Charakter  der  Litteratur  dieser  Zeit  W.  Giesebrecht, 
Kaiserzeit  I,  329. 

^)  Leicli  von  d.  beiden  Heinrichen,  ed.  Lachmann  bei  Koepke,  Jalirbb. 
Ottos  L  S.  97.  W.  Wackernagel,  Lesebuch  4.  Aufl.  I,  110.  Müllenhoff 
u.  Scherer  3.  Ausg.  I,  39,  vgl.  II.  99—106.  Seelmaun  im  Niederd.  Jahrb. 
XII,  75 — 89,  bezieht  es  auf  den  Augsb.  Reichstag  von  952;  Bedenken 
dagegen  von  Steinmeyer  a.  a.  0.  S.  105.  Ueber  weitere  Litteratur  s.  NA, 
XXIV,  780;  XXV,  254.  882. 

^)  Modus  Ottinc,  Magnus  caesar,  auch  Otto  II.  und  III.  feiernd. 
Lachm.  im  Rhein.  Mus.  III,  432.  Coussemaker,  Hist.  de  Tharm.  106  u. 
pl.  VIII,  1.  Müll.  u.  Scherer  3.  Ausg.  S.  46.  W,  Meyer,  Fragm.  Burana 
S.  174  ff. 

*)  Ueber  die  lat.  Hof-  u.  Klosterpoesie  vgl.  Wackernagels  LG.  I,  88  bis 
95.  über  Volkslieder  S.  96—99.  Ueber  die  modi  des  Cod.  Cantabr.  Bartsch, 
Die  lat.  Sequenzen  des  MA.  S.  145—165.  v.  Winterfeld,  NA.  XXV,  404 
bis  406,  weist  für  einige  Gedichte  der  Cambridger  Sammlung  französ. 
Ursprung  nach ,  Schröder,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XLI  Anz.  202  für  eines 
(XXTI)  kölnischen.  Auf  Heriger  von  Mainz  (913  —  926)  Heriger  iirhis, 
nicht  historisch,  Jaffe  in  d.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XIV,  455.  Müll.  u.  Scherer 
3.  Aufl.  S.  53.  —  Kirchliche  Lieder  auf  Heinrich  IL,  Lamentemiir  und 
Iudex  summe,  bei  Jaffe  a.  a.  0.  458 — 461;  Summe  Caesar  NA.  IV,  399. 
Anspielungen  auf  Heinrichs  IL  Zusammenkunft  mit  K.  Robert  von  Frank- 
reich im  Ruodlieb,  bei  Grimm  u.  Schmeller,  Lat.  Gedichte  des  10.  u. 
11.  Jahrb.,  vgl.  Giesebr.  11,  625.  .Jahrbb.  Heinrichs  IL,  11,  225-  111,261. 
Ausgabe  von  F.  Seiler,  Halle  1882,  übers,  von  Heyne,  vgl.  R.  Kögel, 
Gesch.  der  D.  Litteratur  I,  2,  342 — 412.  Ueber  Ecbasis  captivi  s.  unten 
§  6.  Verse  auf  Heribert  von  Köln  zur  kirchlichen  Feier,  doch  noch 
saec.  XI,  Qui  jit'incijiinm  bei  Jaffe  S.  456.  Alpert  von  Metz  schreibt  in 
seinem  Prologe  an  Burchard  (MG.  SS.  IV,  701):  ut  solet  fieri  in  canti- 
lenis,  quod,  veteribus  ex  assiduitate  fastiditis,  novae  frequentius  in  dies 
repetitae  delectabilius  audiuntur. 


Hof-  und  Klosterpoesie.     Sachsen.  363 

zu  verewigen;  die  Weltgeschichte  zu  umfassen  versuchte  man  noch 
kaum.  Aber  überall  begann  man  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts, 
die  Zeitereignisse  aufzuschreiben.  Beziehungen  zum  kaiserlichen  Hofe 
wirkten  auch  hier  anregend,  aber  nirgends  erhob  man  sich  doch  zu 
einem  so  klaren  Ueberblicke  der  Verhältnisse,  wie  ihn  die  karolingi- 
schen  Reichsannalen  zeigen;  nur  der  Fortsetzer  des  Regino  reiht 
sich  denselben  an.  Der  Königshof  übte  wieder  einen  kräftigen  Ein- 
flul's,  die  Reichsgeschichte  ist  überall  im  Vordergrunde,  aber  weit 
mehr  als  in  karolingischer  Zeit  herrschen  doch  lokale  Gesichtspunkte 
vor,  und  es  entwickeln  sich  selbständige  Mittelpunkte  gelehrter 
Thätigkeit.  Deshalb  betrachten  wir  nach  einander  die  einzelnen 
Reichslande  und  beginnen  mit  demjenigen,  von  welchem  die  Herr- 
schaft der  Ottonen  ausging,  mit  Sachsen. 


§  2.     Sachsen.     Corvey. 

Das  Kloster  Corvey,  von  Anfang  an  in  enger  Verbindung  mit 
dem  Hause  der  Ludolfinger  und  ihrer  Gunst  und  ihres  Schutzes 
sich  erfreuend,  hatte  von  der  Ungunst  der  Zeiten  weniger  gelitten 
als  andere  Stifter.  Doch  verschwand  auch  hier  nach  Bovo  II.,  mit 
Ausnahme  der  dürftigen  Annalen '),  jede  Spur  litterarischer  Thätig- 
keit, bis  der  Glanz  von  Ottos  des  Grofsen  Thaten  ein  Geschichtswerk 
aus  diesem  Kloster  hervorrief,  wie  noch  keines  in  Sachsen  ans  Licht 
getreten  war,  dessen  Form  aber  zugleich  einen  bedeutenden  Verfall 
der  grammatischen  Schulbildung  bekundet. 

Widukind. 

Widukindi  Res  gestae  Saxonicae  ed.  Waitz,  MG.  SS.  III,  408—407,  mit  Faks.  d.  3  Hss. 
Bes.  Abdruck,  neue  Ausg.  1882.  Uebersetzuug  von  Schottin,  mit  Einleitung  von 
Wattenbach  18.i2,  18S2,  mit  Nachtr.  1891.  Geschichtschr.  33  (X,  ü)  Faks.  d.  Dresd. 
Hs.  in  E.  Berners  Gesch.  d.  Pr.  Staats  I,  1890  (vgl.  NA.  XXII.  227).  Waitz  in 
Schmidts  Zeitschr.  II,  100.  L.  Giesebrecht,  Wend.  Gesch.  III,  29.5.  W.  Giesebrecht, 
Gesell,  d.  Kaiserzeit  I,  780.  Maurenbrecher  S.  32—43.  W.  v.  Korvei  (Ottonische 
Studien  I)  v.  R.  Koepke,  1867.  Ebert  III.  428-434.  Hauck  III,  311—317.  Watten- 
bach, Widukind  von  Corvey  u.  die  Erzbisch,  von  Mainz,  Berl.  SB.  1896  S.  339 
bis  352.  Vgl.  Waitz,  GGA.  1887  S.  1429—1438.  Waitz,  l'eber  das  Verhältnifs  von 
Hrotsuits  (resta  Oddonis  zu  Widukind,  Forsch.  IX,  335—342.  Alfred  Kirchhoff, 
lieber  den  Ort  der  Ungarnschlacht.  Forsch.  XII.  573—592;  Wyneken,  ib.  XXI, 
239—250:  Grandaur  zur  V.  Udalrici.  Vgl.  auch  .lul.  Voigt.  Die  Pöhlder  Chronik 
und  die  in  ihr  enthaltenen  Kaisersagen,  Diss.  Hai.  1879  (NA.  V,  468).  Zu  I,  12 
(Hirmin)  Krause.  N.\.  XVI.  611;  zu  I,  16  0.  v.  Heinemann,  Die  Niederlage  der 
Sachsen  durch  die  Normannen  880,  Mitteil.  d.  Vereins  für  Hamb.  Gesch.  1880, 
S.  58— 65  (NA.  VI,  203).  Zu  I,  36  (Lunkini)  Virchow,  Verhandl.  d.  Berl.  Anthrop. 
Ges.  1886,  S.  422  ff.  Zu  I,  40  (Chnuba)  R.  v.  Liliencron,  Der  Runenstein  von 
Gottorp,  Kiel  1888  und  Die  vier  Schleswiger  Runensteine  in  d.  Deutschen  Rund- 


^)  Oben  S.  305.  Durch  ihren  Inhalt  sind  sie  bei  dem  Mangel  anderer 
Nachrichten  wichtigr- 


364  III.  Ottonen.     §  2.    Sachsen.    Corvey. 

schau  vom  Apr.  1893  S.  48—59.  H.  Möller,  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  Anz.  XIX,  11— i)2. 
Zu  II.  1  (Krönung  Ottos)  Beissel  über  den  Aachener  Königstuhl,  Ann.  d.  Aach. 
Geschichtsvereins,  1888,  S.  14  ff.  Zu  II,  10  (Schöppenkampf)  B.  Simson,  Forsch. 
XXV,  369—373.  Planck,  Münch.  SB.  1886,  S.  l,öä— 180.  Ueher  den  Ungerntribut 
s.  G.  Caro,  Mitteil,  des  Inst.  XX,  276—282.  0.  Rodenberg,  Die  Städtegründungen 
Heinrichs  I.  ebnd.  XVII,  161—167,  wo  an  karolingische  Einrichtungen  ange- 
knüpft wird. 

Im  Jahre  967,  als  Kaiser  Otto  auf  der  Höhe  seiner  Macht  stand, 
unternahm  es  Widukind,  Mönch  im  Kloster  Corvey,  die  Geschichte 
seines  Volkes  zu  schreiben,  nachdem  er  vorher  sich  mit  der  Be- 
arbeitung von  Heiligenleben  beschäftigt  hatte').  Dadurch,  so  sagt  er 
selbst,  habe  er  seinem  Berufe  genug  gethan;  jetzt  erfülle  er  die 
Pflicht  gegen  seinen  Stamm  und  sein  Volk,  indem  er  die  Thaten 
ihrer  Fürsten  niederschreibe.  In  der  Widmung  an  die  Aebtissin  von 
Quedlinburg,  des  Kaisers  frühreife  Tochter  Mahthild,  bezeichnet  er 
genauer  als  seinen  Gegenstand  die  Thaten  Heinrichs  und  Ottos;  die 
Ueberschi-ift  aber  bezeichnet  sein  Werk  als  die  Geschichte  der 
Sachsen.  Denn  Volk  und  Herrscher  waren  auf  das  innigste  ver- 
bunden, und  in  dem  Ruhme  des  Kaisers  fühlte  das  ganze  Volk  sich 
gehoben,  wie  es  denn  auch  seinen  reichen  Teil  daran  hatte.  Gänzlich 
fern  lag  es  Widukind,  nach  der  Weise  der  Chronisten  an  das  römische 
Reich  anzuknüpfen,  sondern  völlig  dem  Verlaufe  der  geschichtlichen 
Entwickelung  entsprechend,  nimmt  er  zum  Ausgangspunkte  seiner 
Erzählung  die  Urgeschichte  der  Sachsen.  Ihre  alten  Sagen  zeichnet 
er  auf,  und  obgleich  er  es  nicht  lassen  kann,  sie  durch  übel  an- 
gewandte Schulgelehrsamkeit  zu  entstellen,  so  erkennt  man  doch  in 
jedem  Worte  die  Freude  des  Mönches  an  seinen  alten  heidnischen 
Vorfahren,  an  diesem  kraftvollen  Geschlechte,  vor  dem  schon  damals 
die  Franken  sich  fürchteten.  Heiden  freilich  durften  sie  nicht  bleiben, 
und  darum  mu(sten  sie  nach  tapferer  Gegenwehr  den  Franken  unter- 
liegen, um  durch  die  Taufe  nun  mit  ihnen  ein  Volk  zu  werden. 
Aber  das  Gefühl  der  Unterdrückung  lastet  dennoch  auf  ihnen,  bis 
nun  S.  Veit  zu  ihnen  kommt  und  mit  ihm  das  Glück,  welches  die 
Westfranken  jetzt  verläfst").  Unter  seinem  Schutze  gedeihen  und 
erstarken  die  Sachsen  und  werden  unter  ihrem  grofsen  Könige 
Heinrich  aller  übrigen  Völker  und  selbst  der  Franken  Herr;  kein 
fremder  Gebieter  beschränkt  hinfort  ihre  Freiheit. 

Gegen    Otto    erheben    sich    noch    einmal    alle    Stämme,    schon 


')  Es  sind  alte  Legenden,  die  er  nur  stilistisch  umformen  konnte.  Er 
mufs  sich  also  darin  mehr  zugetraut  haben,  als  wir  ihm  zugestehen 
können.  Leider  sind  sie  nicht  bekannt  und  wir  wissen  also  nicht,  ob 
sein  Stil  darin  nicht  ein  ganz  anderer  war. 

-j  Zu  I  c.  33  vgl.  die  merkwürdige  Parallele  bei  Herodot  I  c.  68. 


Widukind  von  Corvey.  365 

schwindet  die  Hoffnung,  da!'s  das  Reich  ferner  bei  den  Sachsen 
bleibe,  aber  mit  Gottes  Hilfe  überwindet  Otto  alle  seine  Wider- 
sacher, er  bündigt  die  Slaven,  die  Ungern,  die  Westfranken,  bringt 
auch  Italien  wieder  ans  Reich,  und  beherrscht  nun,  von  Gott  und 
S.  Veit  beschützt,  mit  seinen  Sachsen  die  Christenheit. 

Durch  diese  durchgehende  Einheit  der  Auffassung  und  durch 
die  naturfrische  Lebendigkeit  der  Darstellung  hat  das  ganze  Werk 
eine  epische  Färbung;  was  in  der  Ferne  vorgeht,  berührt  Widukind 
nur  kurz  und  ist  darüber  auch  wenig  genau  unterrichtet,  so  wie 
er  für  die  älteren  Zeiten  freilich  auf  Beda  und  die  Geschichte  der 
Franken  und  Langobarden  hinweist,  auch  Jordanis  über  den  Ur- 
sprung der  Hunnen  ausschreibt,  Einhards  Leben  Karls  benutzt,  aber 
von  ernstlicher  kritischer  Forschung  doch  kaum  eine  Vorstellung 
hat.  Für  näher  liegende  Zeiten  wird  es  ihm  nicht  ganz  an  annalisti- 
schen Aufzeichnungen  gefehlt  haben,  an  welche  die  noch  erhaltenen 
Corveyer  Annalen  anklingen.  Die  Translatio  S.  Viti  kannte  er,  und 
doch  wohl  auch  Bovos  Werk.  Aber  die  mühsam  und  geistlos  kom- 
pilierende Arbeit  anderer  Chronisten  liegt  seiner  Weise  ganz  fern. 
Dem  Epos  steht  er  auch  darin  nahe,  dafs  er  vorzüglich  bei  der 
Schilderung  der  Schlachten  und  anderer  Begebenheiten  verweilt, 
über  ihre  geschichtliche  Verknüpfung  aber  rasch  hinwegeilt.  Die 
Komposition  des  Werkes  ist  von  R.  Koepke  genau  untersucht  und 
dargelegt:  recht  deutlich  stellt  sich  daraus  die  ganz  einheitliche 
ursprüngliche  Aufzeichnung  dar,  welche  durch  das  gewissenhafte 
Bestreben,  auch  anderen  Thatsachen  ihre  Stelle  anzuweisen,  zer- 
stückt und  oft  unklar  geworden  ist.  Am  auffallendsten  ist  in 
.«olcher  Weise  die  Schildei-ung  der  Schlacht  auf  dem  Lechfelde  zer- 
rissen. In  dem  Autograph  des  Leo  von  Ostia  sehen  wir  ein  solches 
Verfahren  noch  deutlich  vor  uns,  doch  ist  ohne  Zweifel  Koepke  in 
seinen  Folgerungen  und  Behauptungen  vielfach  zu  weit  gegangen : 
an  einen  fertig  geschriebenen  Entwurf  des  ganzen  Werkes  in  dieser 
Weise  ist  gewifs  nicht  zu  denken.  Eingehend  kritisiert  und  zurück- 
gewiesen ist  Koepkes  Annahme  von  .1.  Raase'). 

Einen  seltsamen  Gegensatz  zu  dem  ganz  volkstümlichen  Inhalte 
bildet  der  gesuchte  sallustische  Ausdruck-),  gemischt  mit  den  Worten 
und  Wendungen  der  lateinischen  Bibel.  Mühsam  zieht  er  dem 
widerstrebenden  Gedanken  ein  altrömisches  Kleid  an,   das   oft   nur 


^)  Widukind  von  Korvei.  Rost.  Diss.  1880. 

^)  Dafs  er  auch  Livius  gekannt  habe,  weist  Koepke  S.  175  nach.    Be- 
nutzung des  Tacitus  u.  a.  sucht  Manitius  nachzuweisen,  NA.  XI,  45 — 90. 


366  ni.  Ottonen.     §  2.    Sachsen.    Corvey. 

schwer  und  unvollkommen  erkennen  läfst,  was  er  eigentlich  sagen 
will.  Die  Nachahmung  der  antiken  Redeweise  beherrscht  ihn  so 
sehr,  dafs  er  sogar  Heinrich  wie  Otto  nach  dem  Siege  über  die 
Ungern  vom  Heere  als  Imperator  begrüfsen  läfst,  und  Otto  auch 
von  da  an  so  nennt,  die  Kaiserkrönung  in  Rom  aber  ganz  über- 
geht, wie  denn  überhaupt  der  Papst  in  der  eigentlichen  Geschichts- 
erzählung gar  nicht  genannt  wird'). 

Betrachten  wir  Widukinds  Buch  als  eigentliches  Geschichtswerk, 
so  können  wir  nicht  umhin,  es  für  sehr  mangelhaft  zu  erklären; 
seine  Auffassung  der  Dinge  und  namentlich  seines  grofsen  Kaisers 
ist  keineswegs  richtig;  so  wie  der  Kaiser  selbst  den  Standpunkt 
eines  Sachsen fürsten  verliefs,  wurde  er  dadurch  dem  Gesichtskreise 
Widukinds  entrückt.  Obgleich  Mönch,  übersieht  dieser  fast  ganz  die 
so  überaus  wichtige  kirchliche  Wirksamkeit  Ottos,  und  besonders 
auffallend  ist  sein  Schweigen  über  die  Stiftung  des  neuen  Erzbistums 
in  Magdeburg.  Er  stand  dem  kaiserlichen  Hause  nicht  ganz  ferne, 
wie  seine  Widmung  an  Mahthild  zeigt  —  ein  zwölfjähriges  Mädchen, 
dem  er  fast  ärger  schmeichelt,  als  die  Devotion  gegen  das  Haus  der 
Ottonen  entschuldigen  kann  —  und  es  kamen  ihm  gute  Nachrichten 
zu,  aber  er  blieb  doch  als  Mönch  in  seinem  Kloster  und  war  daher 
nicht  im  Stande,  sich  diejenige  Uebersicht  der  Verhältnisse  zu  ver- 
schaffen, welche  damals  wohl  nur  am  kaiserlichen  Hofe  zu  erlangen 
war.  Deshalb  kann  ich  auch  nicht  der  Auffassung  Koepkes  zustimmen, 
welcher  einen  längeren  Aufenthalt  am  Hofe  annimmt  und  Erzbischof 
Wilhelm  einen  bestimmenden  Einflufs  auf  das  Werk  beimifst:  wir 
müfsten  dann  ganz  andere  Gesichtspunkte  hervortreten  sehen.    Eine 


^)  Mam-enbrecher  S.  40  bemerkt,  dafs  Widukind  einem  im  Mittelalter 
häufigen  Sprachgebrauche  folgend  unter  Imperator  den  Herrscher  über 
mehrere  Völker  versteht,  weshalb  er  auch  Theuderich  so  nennt,  vgl.  Ann. 
Fuld.  a.  869;  Mon.  Sangall.  II.  11  und  die  Titel  des  angelsächsischen 
Königs  Eadgar,  die  Krönung  Alfons'  von  Spanien  1135.  Doch  betrachtet 
er  Theuderich  ganz  nach  der  Analogie  des  karol.  und  säcbs.  Kaisertums, 
und  das  gänzliche  Schweigen  von  der  Kaiserkrönung  ist  darum  nicht 
minder  auffallend.  Absicht  erkennt  darin  Hauck  III,  316  A.  1.  In  Be- 
zug auf  sein  Verhalten  zum  Wunderglauben  seiner  Zeit  ist  zu  bemerken, 
dafs  probare  bei  ihm  nicht  billigen,  sondern  erproben  bedeutet, 
und  er  deshalb  über  S.  Wenzels  Wunder  keine  Mifsbilligung ,  sondern 
nur  einen  kritischen  Zweifel  ausspricht.  Vgl.  hierzu  K.  Hegel ,  Latein. 
Wörter  u.  deutsche  Begriffe,  NA.  XVIII ,  214  ff.  Nur  dagegen  erklärt 
sich  Wattenbach ,  dafs  die  moenia  bei  Wid.  I  c.  35  Befestigungen  be- 
deuten sollen.  Es  sind  Wobnungen  wie  III  c.  46  „cum  moeniis  pariter 
concremantur"  (in  den  Dörfern).  Ebenso  Ann.  Fuld.  869  (ed.  Kurze  p.  69) 
u.  bei  Marcw.  Fuld.  (Fontes  III,  167) :  „in  castello  regio  B.  menia  collo- 
cavi  et  municiones  firmas  construxi". 


Widukind  von  Corvey.  367 

gewisse  vorsichtige  Zurückhaltung  in  Betreff  des  Mainzer  Erzbischofs 
ist  sehr  natürlich.  Wohl  hat  er  den  Kaiser  und  seinen  Hof  gesehen, 
wenn  sie  das  heimatliche  Sachsen  aufsuchten,  aber  von  dem,  was 
jenseits  der  sächsischen  Grenze  liegt,  scheint  ihm  aus  eigener  An- 
schauung kaum  etwas  bekannt  zu  sein.  Selbst  in  Magdeburg  mufs 
er  ganz  fremd  gewesen  sein,  da  er  sonst  doch  wohl  notwendig  für  die 
so  wichtige  Stiftung  der  wendischen  Bistümer  und  die  viel  bestrittene 
Errichtung  des  Erzbistums')  einige  Teilnahme  gewonnen  hätte. 

Dafs  Widukind  Hrotsvits  Gedicht  gekannt,  dafs  er  dazu  eine 
Art  von  Ergänzung  hätte  geben  wollen,  ist  ein  Phantasiegebilde 
von  Koepke,  welches  G.  Waitz  hinlänglich  widerlegt  hat"). 

Kommt  nun  auch  in  Widukinds  Darstellung  das  seinem  Ge- 
sichtskreise entrückte  Reich  zu  kurz,  so  verleiht  ihm  dagegen 
gerade  seine  Einseitigkeit  und  die  lebendige  Wärme  des  Volks- 
bewufstseins  einen  Reiz,  der  den  objektiver  gehaltenen  Annalen 
fehlt,  und  stofflich  betrachtet  sind  seine  Mitteilungen  für  uns  von 
dem  unschätzbarsten  Werte.  In  allem,  was  ihm  nahe  lag,  zeigt  er 
sich  durchaus  zuverlässig,  unbefangen  und  wahrheitsliebend  bei  der 
Schilderung  der  handelnden  Personen,  und  so  sehr  er  auch  für  das 
Ottonische  Haus  begeistert  ist,  liegt  eine  absichtliche  Entstellung 
der  Thatsachen  zu  ihren  Gunsten  ihm  jedoch  gänzlich  fern.  Sogar 
für  jene  kühnen  Recken,  die  im  unbändigen  Trotze  lieber  alles  er- 
dulden, als  der  Herrschaft  ihres  Vetters  sich  fügen  wollten,  bezeugt 
er  eine  offenbare  Teilnahme,  ja  Vorliebe,  wie  auch  beim  A'olke  solche 
Naturen  immer  Anklang  finden;  zuletzt,  wo  er  schon  zum  Schlüsse 
eilt  und  selbst  das  Näherliegende  oberflächlich  behandelt,  zieht  ihn 
doch  noch  Wichmanns  Trotz  und  Untergang  übermächtig  an.  Widu- 
kind ist  eben  mit  seinen  Vorzügen  wie  mit  seinen  Mängeln  ein 
ganzer  Sachse  des  10.  Jahrhunderts,  und  in  ihm  spiegelt  sich  die 
Natur  seines  Stammes  treu  und  wahr.  Aufserhalb  Sachsens  wurde 
sein  Werk  nicht  viel  gelesen ;  seit  dem  12.  Jahrhundert  wurde  es 
nicht  mehr  unmittelbar  benutzt,  sondern  nur  durch  die  Vermittlung 
Frutolfs,  der  es  fast  ganz  in  seine  grofse  Weltchronik  aufgenommen 
hatte  ^J. 

')  Das  Schweigen  darüber  schreibt  Gundlach ,  Heldenl.  1.31,  dem 
Einflüsse  Wilhelms  zu.  Allein  abgesehen  davon,  dafs  dieser  nicht  nach- 
zuweisen und  die  Verhältnisse  ganz  andere  geworden  waren ,  war  Wid. 
gar  nicht  so  furchtsam,  dafs  er  sich  nicht  auch  eine  bedauernde  Aeufse- 
rung  erlaubt  hätte. 

-)  Vgl.  Hrotsvitha  ed.  Winterfeld  S.  227. 

^)  Benutzung  durch  Dietrich  von  Niem  zeigt  Lindner,  Forschungen 
XXI,  90. 


368  lil-  Ottonen.     §  2.    Sachsen.    Corvey. 

Daraus  erklärt  es  sich  wohl,  dafs  uns  nur  drei  Handschriften 
davon  erhalten  sind.  Dafs  die  eine  von  ihnen,  die  jetzige  Dresdener  (A), 
das  Werk  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt^)  enthält,  hat  man  aus 
ihrer  Unvollständigkeit  am  Schlüsse  nicht  mit  Recht  gefolgert,  weil 
das,  was  in  den  andern  noch  nachfolgt,  wie  der  merkwürdige  Brief 
des  Kaisers  aus  Capua  und  die  schöne  Schilderung  vom  Tode  der 
Königin  Mahthild  und  von  des  Kaisers  Heimkehr  und  Tode  sicher 
nicht  erst  später  hinzugefügt  ist.  Dafs  darin  einige  Ausdrücke  ge- 
ändert sind,  vielleicht  auch  die  Stelle  über  des  Erzbischofs  Hatte 
Nachstellungen  gegen  Heinrich  (1 ,  22) ,  in  welcher  die  Dresdener 
Handschrift  von  der  Schuld  des  Erzbischofs  schweigt,  deutet  auf  eine 
fremde  Hand,  denn  es  macht  den  Eindruck  einer  Abkürzung,  und 
es  sind  Worte  dai'in,  welche  nur  durch  die  Vergleichung  mit  Cod.  1 
ihre  Erklärung  finden^).  Die  in  Corvey  gebliebene  Handschrift 
wurde  abgeschrieben  (Cod.  1,  in  Montecassino)  und  vielleicht  von 
Widukind  selbst,  wie  auch  Waitz  annimmt,  vermehrt  um  eine  Notiz 
über  den  Abt  Bovo  und  eine  ausführliche  Erzählung  der  beliebten 
Volkssage  von  dem  Untergange  des  Grafen  Adalbert  von  Babenberg 
durch  Hattos  Verrat^).  In  dieser  Gestalt  findet  sich  das  Werk  in 
der  besten,  der  Steinfelder  Handschrift  (Cod.  2,  jetzt  im  Brit.  Museum 
Add.  21109),  und  in  der  Frechtschen  Ausgabe,  und  so  lag  es  schon 
Frutolf  und  dem  Annalista  Saxo  vor. 

Die  sagenhafte  Erzählung  Widukinds  von  der  Teilnahme  der 
Sachsen  an  dem  Kampfe  der  Franken  und  Thüringer  ist,  auch  hier 
durch  Frutolf  vermittelt,    im  12.  Jahrhundert  benutzt  worden   für 


^)  Vgl.  über  diese  Handschrift  NA.  II,  450,  und  die  zweite  Ausgabe 
von  Waitz.  Eine  neue  Ausgabe  von  Karl  Kehr  mit  verbessertem  Apparate 
ist  in  Vorbereitung. 

^)  Namentlich:  „Hatho  videns  suis  artibus  finem  impositum".  Dafs 
die  Darstellung  der  Dresdener  Handschrift  nicht  in  Widukinds  Stile  ge- 
schrieben ist,  und  man  deshalb  mit  Waitz  die  Hand  eines  Fremden 
erkennen  mufs,  möchte  auch  ich  behaupten.  Für  die  Halsbandgesehichte 
findet  sich  ein  merkwürdiges  Seitenstück  in  Walkenried,  welches  Leibniz, 
Ann.  Imp.  II,  263  erzählt,  und  in  Konrad  Stolles  Erfurter  Chronik,  her- 
ausgegeben von  Thiele  S.  453  c.  349.  Zu  I,  12  vgl.  noch  Mich.  Lindener 
ed.  Lichtenstein  S.  130:  „vermeinet  auch,  unser  Herrgott  hiels  Herman". 

")  B.  Simson  bemerkt,  dafs  2  an  mehreren  Steilen  A  näher  steht, 
was  richtig  ist.  Dem  Schreiber  derselben  kann  das  Original  selbst  vor- 
gelegen haben.  Auch  Waitz  bemerkte  schon,  dafs  der  Text  in  2  besser 
sei  als  in  1.  In  der  Oratio  S.  Viti  I,  34  steht  2  dem  Original  am 
nächsten,  3  aber  stimmt  mit  A  und  1.  B.  Simson,  NA.  XII,  597.  Vgl. 
dens.  NA.  XV,  565—575.  Wenn  Giesebrecht  I,  811— S12  Glossen  im  Text 
erkennen  will,  so  ist  dagegen  doch  zu  bemerken,  dafs  diese  Stellen  sich 
auch  in  A  finden  und  jedenfalls  nur  von  Widukind  selbst  herrühren 
köimen. 


Herkunft  der  Schwaben.     Orientalische  Reiseberichte.  369 

die  seltsame  Geschichte  von  der  Herkunft  der  Schwaben, 
in  welcher  an  die  Stelle  der  Sachsen  die  Schwaben  gesetzt  sind,  die 
wegen  Hungersnot  aus  Schweden  auswanderten.  Diese  von  Goldast 
1604  als  Anoniimus  de  Sncvorum  origine  zuerst  veröffentlichte  Fabel, 
welche  aber  Spuren  wirklicher  alter  Sage  enthält,  ist  von  Müllenhoflf 
nach  der  ziemlich  gleichzeitigen  Handschrift  neu  herausgegeben  0- 
Zugleich  hat  er  nachgewiesen,  dafs  sie  nur  im  sächsischen  Schwaben- 
gaue an  der  Bode  entstanden  sein  kann,  aber  in  Schwaben  auf- 
gezeichnet ist. 

Unerwarteterweise  sind  unsere  Nachrichten  über  diese  Zeiten, 
ganz  vorzüglich  aber  über  die  Zustände  der  Slavenländer,  durch 
einen  sehr  wertvollen  Fund  vermehrt  worden,  nämlich  den  in  einem 
arabischen  Sammelwerke  enthaltenen  Reisebericht  des  Juden  Ibra- 
him ibn  Ja'qüb,  d.  i.  auf  deutsch  Abraham  Jakobsen.  Er  hat, 
wie  er  selbst  erwähnt,  Kaiser  Otto  gesprochen  und  Gesandte  der 
Bulgaren  in  Magdeburg  getroffen  -).  In  einem  anderen  späteren 
arabischen  Sammelwerke  wollte  man  Auszüge  aus  dem  Berichte 
eines  arabischen  Reisenden  entdeckt  haben,  der  sich  am  Hofe 
Ottos  des  Grofsen  mit  Ibrahim  getroffen  habe;  doch  scheint  die 
Uebereinstimmung  mit  dem  Juden,  die  man  so  erklären  will,  eher 
eine  litterarische  Entlehnung  zu  bedeuten  ^). 

§  3.     Fortsetzung.     Gandersheim.     Quedlinburg. 

Während  die  schwerfällige,  von  Fehlern  keineswegs  freie  Sprache 
Widukinds  von  den  gelehrten  Studien  in  Corvey  eben  kein  günstiges 
Zeugnis  ablegt ,  überrascht  im  Kloster  Gandersheim  die  Nonne 
Hrotsvit,  wie  sie  selbst  übersetzt:  damor  validus  Gandeshemensis, 
durch  ihre  klassische  Bildung  und  ihre  grofse  Herrschaft  über  die 

')  Zeitscbr.  f.  D.  Altert.  XVII,  57—71  mit  Nachtrag  XIX,  130.  Uebers. 
bei  der  2.  Ausg.  des  Widukind  S.  1.31-137. 

*)  Man  hat  das  auf  das  .Jahr  973  bezogen,  allein  nach  der  Ansicht 
Kuniks  hat  Ibrahim  seinen  Bericht  schon  965  abgefal'st ,  was  besser  zu 
der  Thatsache  stimmt,  dafs  971  das  Königtum  der  Bulgai-en  sein  Ende 
fand.  Eine  sehr  gründliche  Untersuchung  über  diesen  Bericht,  sowie  eine 
neue  Uebersetzung,  durch  welche  Wattenbachs  Bearbeitung  nach  De  Goeje 
(hinter  der  Uebersetzung  des  Widukind,  2.  Ausg.  S.  138 — 147)  ersetzt  ist, 
hat  Fr.  Westberg  verfafst,  Mem.  de  l'Academie  de  St. -Petersbourg, 
ser.  VIII,  3  (189b). 

')  Ein  arabischer  Berichterstatter  aus  dem  10.  Jahrhundert  über 
Fulda,  Schleswig,  Soest,  Paderborn  und  andere  Städte  des  Abendlandes. 
Artikel  aus  Qazwinis  Athär  al-biläd.  Aus  dem  Arab.  übertragen,  mit 
Kommentar  u.  einer  Einleitung  versehen  von  Georg  Jacob.  Berlin,  Mayer 
u.  Müller,  3.  Aufl.  1896.  Vgl.  dagegen  Westberg  a.  a.  0.,  besonders 
S.  90  ff. 

Wattenbach,  Geschiclitsquelleu.    I.    7.  Aufl.  24 


370  III-  Ottonen.     §  3.    Gandersheim.     Quedlinburg. 

Form  des  Ausdruckes ;  ihr  bedeutendes  Talent  war  durch  eine  sorg- 
fältige Schulbildung  unter  der  Leitung  der  Rikkardis  entwickelt,  und 
sie  hatte  dann  diese  Studien  unter  der  Nichte  des  Kaisers,  Gerberga, 
fortgesetzt.  Sie  bearbeitete  verschiedene  Gegenstände  aus  der  älteren 
Kirchengeschichte  in  metrischer  Form,  darunter  auch  nach  dem 
Berichte  von  Augenzeugen  das  ganz  neue  Martyrium  des  heiligen 
Pelagius  in  Spanien,  und  verfafste  darauf  auch  sechs  Komödien  über 
verwandte  Stoffe,  weil  es  ihr  anstöfsig  war,  dafs  der  leichtfertige 
Terenz  überall  mit  so  grofsem  Vergnügen  gelesen  wurde.  Doch 
diese  Seite  ihrer  dichterischen  Thätigkeit,  in  anderer  Beziehung 
weitaus  die  wichtigste,  liegt  unserer  Aufgabe  fern^). 

In  ähnlicher  Weise  wie  Widukind  wurde  aber  auch  Hrotsvit 
durch  die  glänzenden  Thaten  Ottos  des  Grofsen  der  Geschichte  der 
Gegenwart  zugeführt ;  ihre  Aebtissin  Gerbei'ga  (959 — 1001),  Hei-zog 
Heinrichs  von  Bayern  Tochter,  forderte  sie  auf,  ein  Heldengedicht 
zum  Preise  ihres  Oheims  zu  verfassen-),  welches  dem  Erzbischofe 
Wilhelm  von  Mainz,  dem  Sohne  des  Kaisers,  überreicht  werden 
sollte.  Im  Jahre  967  war  es  vollendet,  und  die  Dichterin  über- 
sandte es  mit  einer  poetischen  Widmung  dem  alten  Kaiser  und  dann 
dem  jüngeren,  welcher  ein  Exemplar  davon  verlangt  hatte.  In 
keinem  Buche,  so  sagt  sie,  sei  bisher  derselbe  Gegenstand  behandelt, 
keinem  sei  sie  gefolgt.  Nach  einer  wahrscheinlichen  Annahme  war 
allerdings  damals  kein  ähnliches  Werk  abgeschlossen,  aber  Hrotsvit 

M  Vgl.  W.  Creizenach.  Gesch.  d.  neueren  Dramas  I  (Halle  1893) 
S.  17.  Uebersetzung  der  Dramen  von  0.  Piltz.  Leipzig,  Reclam.  — 
K.  Strecker.  Hrotsvits  Maria  u.  Pseudo-Matthäus,  Dortmund  1902. 

-)  Hrotsviiliae  Carmen  de  gestis  Oddonis  I  hnperatoris  ed.  Pertz,  MG. 
SS.  IV,  317 — 335.  Die  Werke  der  Hrotsvitlia,  herausgegeben  von  Dr.  K. 
A.  Barack  (mit  Verbesserungen  aus  der  Pommersfelder  Handschr.),  Nürnb. 
1858.  Hrotsvithae  opera  ed.  P.  de  Winterfeld,  Berol.  1902.  Uebersetzung 
der  beiden  historischen  Gedichte  von  Pfund,  1860 ;  Geschichtschr.  2.  Ausg. 
1888,  Bd.  32  (X,  5).  W.  Gundlach,  Heldenlieder  der  deutschen  Kaiserzeit 
I  (1894):  Hrotsvitha's  Ottolied  mit  vielen  Beigaben  und  Exkursen,  vgl. 
dazu  Kurze.  Deutsche  Litteraturzeit.  1894  S.  1335—1337.  Vgl.  W.  Giese- 
brecht,  Gesch.  d.  Kaiserzeit  I,  780  ff.;  Maurenbrecher  S.  57—62;  R.  Koepke, 
Hrotsuit  von  Gandersheim  (Ott.  Studien  II),  1869  mit  Faks.  der  Hand- 
schrift, München  lat.  14485  (auf  der  Rückseite  des  letzten  Blattes  ist 
nach  C.  Hoefler  altglagolitische  Schrift,  was  in  St.  Emmeram  nicht  auf- 
fallen kann,  vgl.  Pfeiffers  Germania  XV,  194);  Ebert  III,  285-329;  Hauck 
III,  301  —  311.'  —  Aschbachs  Angriffe  gegen  die  Echtheit  der  Werke  be- 
dürfen nicht  mehr  der  Erwähnung;  Koepke  hat  endgiltig  damit  auf- 
geräumt, wenn  auch  A.  selbst  in  seiner  Gesch.  der  AViener  Universität 
II,  242  ff'.,  Wien  1877.  es  nicht  zugeben  wollte.  Die  Inhaltsangabe  der 
Handschrift  aus  dem  Katalog  der  Bibl.  von  St.  Emm.  von  1500.  die  wohl 
schon  vor  der  Verleihung  an  Celtis  geschrieben  war ,  bei  Winterfeld 
S.  XIIT,  Anm.  44. 


Hrotsvit  von  Gandersheim.  371 

wufste  wohl  von  der  Arbeit  Widukinds').  Es  sind  die  Mitglieder 
der  kaiserlichen  Familie,  welche  ihr  den  Stoif  gegeben  haben,  und 
so  ist  es  denn  nicht  zu  verwundern,  dals  verschiedene  Rücksichten 
auf  die  Darstellung  eingewirkt  haben.  Ueber  die  Vergangenheit 
Heinrichs  von  Bayern  konnte  hier  nur  mit  der  äufsersten  Vorsicht 
gesprochen  werden.  Es  war  nur  zu  viel  in  der  kaiserlichen  Familie 
vorgefallen,  dessen  man  ungern  gedachte.  Mit  der  Wahrheit  hat 
sie  es  hier  eben  nicht  genau  genommen :  sie  oder  ihre  Bericht- 
erstatter, deren  abweichenden  Angaben  über  schon  fernliegende 
Dinge  sie  in  gutem  Glauben  trauen  mochte.  Daneben  aber  gab  es 
doch  auch  sonst  des  Stoffes  noch  reichlich  genug,  und  hier  hat  Hrotsvit 
nicht  nur  manches,  wie  namentlich  die  Flucht  der  Kaiserin  Adelheid, 
hübsch  behandelt  -,) ,  sondern  sie  hat  auch  geschichtlich  wichtige 
Thatsachen  und  Umstände  aufbewahrt.  Gerade  die  von  Widukind 
vernachlässigten  Vorgänge  in  Italien  und  die  uns  leider  nicht  er- 
haltene Kaiserkrünung  hat  sie  ausführlich  behandelt  ^).  Die  Fa- 
miliengeschichte ist  ihr  die  Hauptsache,  Schlachten  zu  schildern 
weist  sie  als  ihr  nicht  zukommend  ab.  Ausdrücklich  hebt  sie  her- 
vor, dafs  sie  nur  wiedergebe,  was  man  ihr  berichtet  habe.  Wie  in 
ihren  meisten  Werken  —  doch  ist  der  Gongolf  sehr  frei  und  sogar 
mit  einem  gewissen  Humore  behandelt'*)  —  so  hält  sie  sich  auch  hier 
ganz  genau  an  den  ihr  überlieferten  Gegenstand  und  erlaubt  sich 
selten,  ihn  der  poetischen  Darstellung  zuliebe  umzugestalten.  Die 
metrische  Form  bleibt  bei  ihr  nur  ein  äufserliches  Gewand,  und 
wir  können  daher  ihre  Erzählung  geradezu  als  Geschichtswerk  be- 
nutzen. Um  so  mehr  ist  es  zu  bedauern,  dafs  durch  Blätterausfall 
in  der  einzigen  Handschi*ift  etwa  die  Hälfte  ihres  Werkes  verloren 
ist,  und  zwar  namentlich  die  so  inhaltreichen  Jahre  953 — 962 ;  nur 
ein  kleines  Bruchstück  daraus  ist  vorhanden ,  und  keiner  der  uns 
bekannten  mittelalterlichen  Schriftsteller  hat  ihr  Werk  benutzt. 
Lange  Zeit  hat  Hrotsvit  an  der  Dichtung,  die  ihr  offenbar  grofse 

^)  Vgl.  über  das  Verhältnis  zu  Widukind  die  oben  S.  363  angeführten 
Aufsätze  von  Waitz.  v.  Winterfeld  in  seiner  Ausgabe  S.  IX  Anm.  29  und 
NA.  XXVIIf:  Beziehungen  zu  Liudi^rands  Antapodosis  nimmt  an  B.  Zint, 
Ueber  Roswitha's  Carmen  de  gestis  Oddonis.  Königsb.  Diss.  1875. 

^)  Aber  wie  Winterfeld  zeigt  (Ausgabe  S.  XII,  Änm.  39),  im  Anschluss 
an  den  Waltharius. 

^)  Nach  Gundlach  (Heldenl.  I.  333)  schlofs  sie  zwar  mit  der  Weih- 
nachtsfeier in  Pavia  961,  doch  ist  dies  von  Winterfeld  widerlegt  (Aus- 
gabe S.  X,  Anm.  80  und  NA.  XXVIII,  511). 

■•)  Nach  einer  Beobachtung  Streckers  lehnt  sich  Hrotsvit  gerade  hier 
und  im  Pelagius ,  wo  sie  keine  schriftliche  Quelle  hat ,  um  so  enger  an 
den  von  ihr  überall  nachgeahmten  Prudentius. 


372  ITT.  Ottonen.     §  3.    Gandersheim.     Quedlinburg. 

Mühe  machte,  gearbeitet;  später  behandelte  sie  in  einem  dichterisch 
viel  höher  stehenden  Werke  auch  die  Anfänge  ihres  Klosters  und 
dessen  Geschichte  bis  zum  Jahre  919,  bis  zum  Tode  der  Christina, 
der  letzten  von  den  drei  Töchtern  Ludolfs,  welche  nacheinander 
dem  Stifte  vorstanden^). 

Die  Gandersheimer  Nonnen  sind  dem  gewöhnlichen  Geschicke 
reicher  und  vornehmer  Stifter  verfallen ;  von  ihren  Studien  ist  nach 
diesen  vielversprechenden  Anfängen  ferner  nicht  die  Eede.  Ueber 
den  Kii'chenstreit,  welcher  so  viel  Unruhe  erregte,  haben  wir  der 
Hildesheimer  Darstellung  eine  Gandersheimer  nicht  gegenüber  zu 
stellen.  Von  der  Aebtissin  Sophie  (1002—1039),  Ottos  II.  Tochter, 
heifst  es  zwar  noch : 

Danken,  word  unde  werk  wände  se  all  to  gode, 
Under  der  ebtissen  or  nichteln  hode 
Lernde  se  clostertuclit  unde  ok  landrecht  darto; 
De  scrift  to  lernde  was  se  vlitich  spade  unde  vro. 
Dat  b  0  k  seeht,  dat  se  so  vele  wisheit  konde, 
Dat  se  ok  wolgelarden  meistern  wedderstunde. 

Aber  eben  unter  ihr  scheint  die  Hoflfart  dort  eingezogen  zu  sein. 
Das  „Buch"  war  wohl  sicher  von  keiner  Nonne  verfafst.  Es  be- 
handelte die  Stiftung  des  Klosters  und  dessen  Geschichte  bis  zu 
der  Kirchweibe  von  1007  und  der  Schenkung  von  Dernburg,  nebst 
der  aufs  engste  damit  verflochtenen ,  ja  an  die  Pflege  des  Klosters 
geknüpften  Erhebung  des  Hauses  der  Ludolfinger.  Im  Jahre  993 
war  das  Kloster  abgebrannt;  nach  Beilegung  des  langen  Streites  mit 
dem  Erzbischof  Willegis  wurde  der  Neubau  1007  durch  den  Bischof 
Bernward  von  Hildesheim  eingeweiht,  und  ohne  Zweifel  durch  diese 
Vorgänge  wurde  die  Schrift  veranlafst.  Von  Hrotsvit  scheint  der 
Verfasser  nichts  mehr  gewufst  zu  haben.  Dagegen  benutzte  er 
Widukind,  vorzüglich  für  die  Geschichte  des  Königs  Heinrich,  und 
verband  damit  eine  schon  sagenhaft  entstellte  Ueberlieferung  vom 
Ungarnkrieg.  Die  Aebtissinnen  Gerbirg  und  Sophie  werden  sehr 
verherrlicht,  aber  was  von  ihnen  und  ihrem  Verhältnis  zum  Kaiser- 
hause berichtet  wird,  trägt  schon  ein  so  sagenhaftes  Gepräge,  dafs 
eine  geraume  Zeit  dazwischen  liegen  mufs.    Erhalten  ist  uns  dieses 


^)  De  primordiis  coenohii  Gandeshemensis ,  MG.  SS.  IV,  306 — 317; 
bei  V.  Winterfeld  S.  229 — 246.  Die  in  Koburg  vermutete  Kopie  (Arch. 
VIII,  266)  hat  Wattenbach  dort  vergeblich  gesucht,  dagegen  ein  altes 
Verzeichnis  des  Gandersheimer  Kirchenschatzes  gefunden  und  im  Anz. 
d.  Germ.  Mus.  XX,  845—347  mitgeteilt.  Auch  weitere  Nachfragen  blieben 
vergeblich. 


Eberhard  von  Gandersheim.     Leben  der  Königin  Mathilde.      373 

lateinische  Buch  nicht,  wohl  aber  die  deutsche  Bearbeitung  des 
„papen  Everhart"  von  1216  in  wortreicher  Reimerei'). 

Merkwürdig  ist  vorzüglich,  dafs  uns  hier,  wie  es  nach  der  sorg- 
fältigen Untersuchung  von  Paul  Hasse  scheint,  der  erste  Anfang 
jener  sagenhaften  Ausschmückung  der  Geschichte  entgegentritt,  deren 
wir  noch  mehrfach  zu  gedenken  haben  werden :  noch  andere  Spuren 
leiten  dabei  gerade  nach  Gandersheim,  und  die  Darstellung  des 
Sieges  über  die  Ungern  in  der  von  Heinrich  von  Herford  benutzten 
Sachsenchronik  ist  mit  dem  Berichte  bei  Eberhard  verwandt"). 

Zur  Zeit  der  Ottonen  scheinen  auch  andere  Frauenklöster  Sachsens 
in  gelehrter  Bildung  nicht  zurückgeblieben  zu  sein ,  wenn  auch 
gerade  keine  Hrotsvit  ihnen  einen  so  hohen  Ruhm  vor  der  Welt 
verlieh  wie  Gandersheim.  Der  Hazecha  von  Quedlinburg  gedachten 
wir  schon  oben  (S.  357).  Nicht  leicht  traten  die  Nonnen  als 
Schriftstellerinnen  auf,  aber  auch  die  Bildung  der  Priester,  welche, 
wie  Agius,  dem  Stifte  nahe  standen  oder  auch  dem  Kloster  selbst 
angehörten,  erlaubt  einen  vorteilhaften  Schlufs  auf  den  Zustand  der 
Klosterschule. 

Herford  hatten  wir  schon  früher  (S.  304)  zu  erwähnen  wegen 
der  Uebertragung  der  heiligen  Pusinna.  Hier  ward  Hathumod  er- 
zogen, und  es  wird  von  Agius  gerühmt.  Hier  wurde  auch  die  Königin 
Mathild  unter  der  Aufsicht  ihrer  gleichnamigen  Grol'smutter,  der 
Aebtissin  des  Klosters,  erzogen  und  unterrichtet.  Als  Witwe  stiftete 
die  Königin  das  Kloster  Nordhausen,  und  hier  wurde  im  nächsten 
Jahrzehnt  nach  ihrem  Tode  (28.  Februar  968)  ihr  Leben  beschrieben, 
entweder  von  einer  Nonne  des  Stiftes  oder  von  einem  Priester,  der 
ihr  nahe  gestanden  hatte  und  von  der  Aebtissin  Ricburg  die  übrigen 
Nachrichten  erfuhr.  An  den  Kaiser  Otto  II.  ist  es  gerichtet  und 
natürlich  ganz  panegyrischer  Art.  Auch  die  Form  ist  ungeschickt, 
aber  in  dieser  Zeit  war  es  ein  noch  nicht  häufiges  Verdienst,  über- 
haupt schreiben  zu  können.  Der  Inhalt  genügt  freilich  unseren 
Wünschen  bei  weitem  nicht,  obgleich  einige  schätzbare  Nachrichten 
geboten  werden.  Die  gewöhnlichen  Schilderungen  klösterlicher  Fröm- 
migkeit nehmen  den  gröfsten  Raum  ein,  und  wie  Einhard  die  Worte 
Suetons  benutzt  hat,  um  den  Kaiser  Karl  zu  schildern,  so  finden 
wir  hier  ganze  Stellen  aus  Sulpicius  Severus  und  aus  dem  Leben  der 

')  Eberhards  Reimchronik  von  Gandersheim,  neue  Austj.  v.  L.  Weiland, 
MG.  Deutsche  Chroniken  TT,  385—429.  Vgl.  P.  Hasse,  Die  Reimchronik 
des  Eberhard  von  Gandersheim,  Diss.  (jött.  1872. 

-)  Nicht  daraus  abzuleiten,  s.  Waitz,  Jahrbb.  unter  Heinrich  I.,  3.  Ausg. 
S.  259;   Bernheim,  NA.  XX,  77  ff. 


374  III-  Ottonen.     §  3.    Gandeisbeim.     Quedlinburg. 

Radegunde  angewandt;  ja,  Herzog  Heinrich  wird  mit  denselben 
Worten  herausgestrichen,  wie  Pamphilus  in  Terenz'  Andria\).  Das 
Formelhafte  dieser  Lobpreisungen  tritt  so  noch  mehr  als  sonst  her- 
vor, und  an  einer  Stelle  ist  sogar  die  Geschichte  selbst  dadurch  sehr 
wesentlich  berührt  worden,  indem  Otto  I.  eine  gewaltsame  Thron- 
besteigung zum  Vorwurfe  gemacht  wird.  Diese  Behauptung,  welche 
früher  einigen  Anstofs  erregt  hatte,  wird  jetzt  niemanden  mehr 
irren,  da  Jaflfe,  der  jene  fremden  Federn  zuerst  entdeckte,  hier  eine 
Stelle  des  Sulpicius  Severus  nachgewiesen  hat,  welche  den  Kaiser 
Maximus  angeht.  Seitdem  hat  H.  Heerwagen  auch  noch  die  Plün- 
derung der  Vita  S.  Geretrudis  ans  Licht  gebracht  und  die  ganze 
Art  des  überall  vorliegenden  wörtlichen  Plagiierens  gegen  Koepkes 
Ansicht  von  einer  freien  Benutzung  des  Widukind  geltend  gemacht. 
Er  hat  zugleich  auf  die  zahlreichen  Fragmente  von  Hexametern  hin- 
gewiesen, welche  bedeutende  Vertrautheit  mit  alten  Dichtern  zeigen, 
während  dagegen  der  von  Locher  angeregte  Gedanke  an  eine  ur- 
sprünglich metrische  Bearbeitung  durch  die  musivische  Zusammen- 
setzung aus  jenen  Plagiaten  unmöglich  wird^). 

Ueberliefert  ist  die  Vita  Mathildis  nur  als  ein  Bestandteil  der 
Pöhlder  Chronik  ^),  deren  Autograph  in  einer  Oxforder  Handschrift 
erhalten  ist.  Nicht  aus  dieser,  sondern  ihrer  jungen  Göttinger  Ab- 
schrift veranstaltete  E.  Koepke  die  erste  und  bisher  einzige  Aus- 
gabe •*).  Früher  kannte  man  nur  eine  spätere  Ueberarbeitung  der 
Vita,  deren  Verfasser,  ebenfalls  dem  Kloster  Nordhausen  nahe- 
stehend, das  Werk  stilistisch  umformte  und  manches  veränderte, 
namentlich  Heinrich  von  Bayern,  Mahthilds  Lieblingssohn,  ungebühr- 

M  Jaffe,  Forsch.  IX,  343—845;  vgl.  unten  Anm._4. 

^)  Heerwagen,  Einige  Bemerkungen  zu  den  beiden  Lebensbeschrei- 
bungen der  Königin  Mathilde,  Forschungen  VIII,  367—884.  Sehr  be- 
achtenswert für  die  schablonenmäfsige  Natur  der  Legenden  überhaupt, 
und  zur  Warnung,  dafs  man  auf  die  stereotypen  Wendungen  derselben 
kein  Gewicht  zu  legen  hat. 

^)  Vgl.  Bd.  II  S.  435  (6.  Aufl.).  Die  wichtigsten  Varianten  der  Ox- 
forder Hs.  hat  zu  Koepkes  Ausgabe  nachgetragen  H.  Herre,  Deutsche 
Zeitschr.  f.  Geschichtsw.  XI,  53 — 54. 

■*)  Vita  reginae  Mahthildis  nntiquior  ed.  Koepke,  MG.  SS.  X,  573 — 582. 
Uebersetzung  von  Jaffe  1858,  wo  die  Plagiate  aus  Sulpic.  Sev.  und  Vita 
Radeg.  zuerst  nachgewiesen  sind;  2.  Aufl.  1891,  Geschichtschr.  Bd.  81 
(X,  4);  vgl.  Gundlach,  Heldenlieder  I,  157—167.  Verbesserungen  des 
Textes  von  Heerwagen,  Forsch.  VIII,  382 ;  aus  der  Göttinger  Handschrift 
von  Jaffe,  Forsch.  IX,  344.  Vgl.  G.  Waitz  in  den  Gott.  Nachr.  1852,  N.  13. 
Gieseb recht,  Geschichte  der  Kaiserzeit  I.  783—784.  839.  Ebert  III,  451 
bis  454.  R.  Koepke,  Forsch.  VI,  147—171,  verficht  seine  Ansicht,  dafs 
der  Verf.  unter  Otto  III.  schrieb.  Vgl.  auch  Wilinans,  Kaiserurkk.  S.  439  ff. 
über  das  Stift  Enger. 


Leben  der  Königin  Mathilde.     Quedlinburg.  375 

lieh  hervorhob,  dem  Enkel  desselben,  Heinrich  II.,  zuliebe,  welcher 
ihm  diese  Arbeit  aufgetragen  hatte').  Dafs  hierzu  Gumbolds  Wenzel- 
legende benutzt  war,  hat  Koepke  gegen  Loeher,  der  nur  eine  ge- 
meinsame Quelle  annahm ,  festgestellt.  Die  genaueste  und  sehr 
lehrreiche  Analyse  der  ganzen  Vita  hat  aber  Heerwagen  gegeben. 
Die  Bildung  ist  inzwischen  schon  bedeutend  klerikaler  gevrorden. 
Nicht  mehr  Hexameter-Schlüsse  stehen  am  Ende  der  Sätze,  sondern 
es  herrscht  eine  geregelte  Reimprosa.  Der  Ausdruck  ist  geglättet, 
und  die  wörtlichen  Entlehnungen  sind  mehr  verwaschen,  dafür  aber 
andere  dazugekommen,  und  wieder  ist  es  derselbe  gelehrte  Apparat, 
vermehrt  jedoch  durch  Sedulius  (ep.  ad  Macedonium),  mit  welchem 
auch  der  Ueberarbeiter  wirtschaftet.  Recht  lebhaft  tx'itt  uns  hier 
entgegen,  wie  frei  für  kirchliche  Zwecke  und  zur  verzierenden  Aus- 
schmückung die  üeberlieferung  behandelt  und  wie  bereitwillig  der 
Schmeichelei  für  das  regierende  Haus  die  Wahrheit  geopfert  wird. 
Den  Anspruch  auf  geschichtliche  Glaubwürdigkeit  hat  diese  jüngere 
Vita  vollständig  eingebüfst. 

Bedeutender  als  Herford  und  Nordhausen  tritt  Quedlinburg 
hervor,  ebenfalls  eine  Stiftung  der  Königin  Mahthild ;  die  erste  Aeb- 
tissin  (966—999)  war  ihre  Enkelin  gleichen  Namens,  die  Tochter 
Ottos  des  Grofsen ,  welcher  Widukind  seine  Geschichte  widmete. 
Hier  wurde  die  Pfalzgräfin  Agnes  erzogen ,  und  auch  der  Bischof 
Thietmar  von  Merseburg  hat  hier  seine  ersten  Jugendjahre  verlebt, 
wie  denn  häufig  in  damaliger  Zeit  zum  geistlichen  Stande  bestimmte 
Knaben  die  Anfänge  des  Unterrichts  in  Frauenklöstern  erhielten  ^). 
Wir  haben  schon  wiederholt  (S.  357.  373)  die  gelehrte  Nonne 
Hazecha  erwähnt,  von  welcher  es  fast  den  Anschein  hat,  als  ob  sie 
der  Studien  wegen  sich  in  Speier  aufgehalten  habe. 

Die  bedeutende  Stellung,  welche  die  Aebtissin  von  Quedlinburg 
im  Reiche  einnahm ,  besonders  als  Otto  IH.  ihr  während  seines 
Römerzuges  die  Verwaltung  der  Geschäfte  übertrug,  konnte  nicht 
yerfehlen,  hier  das  Bedürfnis  nach  geschichtlichen  Aufzeichnungen 
hervorzurufen,  so  wie  an  Nachrichten  hier  kein  Mangel  sein  konnte. 

Verschiedene  Jahrbücher  hatte  man  zu  diesem  Zwecke  zur  Ver- 

1)  Vita  Mahthildis  rer/inae  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  283—302.  Daraus 
Migne  CXXXV,  889 — 920.  Varianten  der  älteren  und  besseren  Düssel- 
dorfer Handschrift  gibt  B.  Simson  im  Arcb.  f.  Gesch.  d.  Niederrheins 
VII,  159 — 163.  R.  Koepke,  Forsch.  VI,  170,  setzt  die  Abfassung  in  das 
erste  Jahr  Heinrichs  il.  Ranke,  AVeltgesch.  VIII,  S.  628—634,  legt  den 
Angaben  der  jüngeren  Vita  über  Heinrichs  Anspruch  auf  die  Krone 
gröfsere  Bedeutung  bei,  als  ihnen  m.  E.  Widukind  gegenüber  zukommt. 

2)  A^gl.  Specht,  Gesch.  d.  Unterrichtsw.  in  Deutschland  S.  282  f. 


376  Hl-  Ottonen.     §  3.    Gandersheini.     Quedlinburg. 

fügung;  als  bequemste  Grundlage  aber  erwählte  man  die  Hers- 
felder Annalen.  Diese  sind  uns  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt 
nicht  erhalten,  aber,  während  lokale  Nachrichten  die  Herkunft  fest- 
stellen ,  durch  wörtliche  üebereinstimmung  als  gemeinsame  Quelle 
zu  erkennen  bei  dem  Hersfelder  Mönch  Lampei't ,  in  den  Annalen 
von  Hildesheim,  Quedlinburg  und  Weifsenburg,  welche  deshalb  von 
Pertz  bis  984  nebeneinander  abgedruckt  sind  ^).  Als  fünftes  Exemplar 
kommen  die  sog.  Annalen  von  Ottobeuern  hinzu,  welche  hessischer 
Herkunft  sind ;  als  sechstes  die  Altaicher.  In  den  Annalen  von 
Fulda  (S.  Bonifacii),  Lobbes,  Ellwangen,  Münster  im  Gregorienthai 
und  bei  Marianus  Scotus  beschränkt  sich  die  üebereinstimmung  auf 
den  fast  wertlosen  älteren  Teil  und  wird  nur  auf  Benutzung  der- 
selben Fulder  Quelle  beruhen ,  deren  wir  oben  (S.  263)  gedachten. 
Wie  man  nun  in  Hersfeld  auf  Grundlage  dieser  Compilation  das 
so  weit  verbreitete  Annalenwerk  allmählich  aufgebaut  hat,  das  ist 
eine  schwierige  Frage,  welche  den  Scharfsinn  mehrerer  Forscher  be- 
schäftigt hat").  Vielleicht  darf  man  mit  Dieterich  folgenden  Ver- 
lauf annehmen.  Um  970  wurden  unter  Abt  Gozbert,  von  dem 
Lampert  in  seiner  Geschichte  von  Hersfeld  rühmt,  dafs  er  das 
Stift  mit  vielen  Büchern  bereichert  habe,  ältere  Hersfelder  Auf- 
zeichnungen mit  der  Fulder  Compilation  verbunden  und  fortgesetzt. 
Diese  jüngeren  Hersfelder  Annalen  führte  man  mit  einer  gröiseren 
Unterbrechung  bis  1040  weiter.  Eine  um  das  Jahr  997  aus  dem 
Originale  genommene  Abschrift  wurde  die  Vorlage  der  Annalen 
von  Hildesheim  und  Quedlinburg.  Eine  andere  Abschrift,  aus  dem 
Jahre  973 ,  wurde  selbständig  bis  982  fortgeführt  und  diente  als 
Vorlage  für  die  Weifsenburger ').    Aus  dieser  Abschrift  wurde  aber 

')  MG.  SS.  III,  22-66. 

2)  Waitz  im  Archiv  VI,  663—688.  H.  Lorenz,  Die  Annalen  v.  Hers- 
feld, Leipz.  Diss.  1885  (S.  83—103  Herstellung  der  Annalen  von  708—973  ; 
S.  104—105  von  974—984).  F.  Kurze,  Die  Hersfelder  und  die  gröfseren 
Hildesheimer  Jahrbücher,  Programm  des  Gymnasiums  zu  Stralsund  1892. 
Holder-Egger,  Lamperti  opp.  p.  XXXVI  ff.  J.  R.  Dieterich,  Streitfragen 
d.  Schrift-  u.  Quellenkunde,  Marburg  1900,  S.  1  —  112. 

^)  In  Weifsenburg  schliefst  sich  eine  selbständige  lokale  Fortsetzung 
985—1075.  1087.  1147  an,  MG.  SS.  III,  70—72.  Neue  Ausgabe  der  An- 
nales Weissenburgenses  in  Lamperti  opp.  ed.  Holder-Egger  S.  9 — 57;  vgl. 
dort  S.  LXVI  ff.  Bücherverzeichnis  unter  Abt  Folmar  (f  1043)  aus  cod. 
Weifs.  30  bei  Knittel,  Ulphilae  Fragmenta  p.  243—245;  der  ausgeliehenen 
p.  246  aus  cod.  35 ;  dieses  berichtigt  bei  Kelle,  Otfrid,  II,  p.  XVI.  Becker, 
Catalogi  S.  87  u.  133.  Recht  unbeholfene  Schulverse  aus  Weifsenburg 
saec.  X  hat  Dümmler  herausgegeben,  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  XIX,  115 — 118. 
Gedichte  einer  gleichzeitigen  Weissenburger  Hs.  werden  von  Scliwalm 
und  V.  Winterfeld  mit  Wahrscheinlichkeit  Notker  dem  Stammler  beige- 
legt, NA.  XXVII,  740  ff. 


Annalen  von  Hersfeld  und  Quedlinburg.  377 

auch  um  1040  das  Original  selbst  ergänzt  und  in  dieser  Gestalt 
von  den  Altaicher  Annalen  benutzt.  Umgekehrt  wurde  dieselbe 
Abschrift  gleichzeitig  aus  dem  Originale  um  den  Abschnitt  von  982 
bis  1040  vermehrt  und  so  die  Quelle  Lamperts  und  der  Annalen 
von  Ottobeuern. 

Aulser  diesen  Annalen  sind  in  Hersfeld  auch  im  Anfange  der 
Regierung  Ottos  I.  Wunder  des  heiligen  Wigbert  aufge- 
zeichnet woi'den ,  welche  für  Heinrichs  I.  Zeit  einige  Bedeutung 
haben  '). 

Die  Hersfelder  Annalen  selbst  wurden  in  Quedlinburg  als  Grund- 
lage einer  Compilation  benutzt,  welche  durch  andere  Materialien  aus 
den  Einhardschen ,  den  Corveyer  und  Reichenauer  Annalen,  durch 
Notizen  aus  Gandersheim  und  von  781  an  aus  einer  verlorenen 
Halberstädter  Chronik  vermehrt  und  bereichert  wurden  ^).  Den 
Eingang  bildete  hier ,  wie  bei  Lampert  ein  magerer  Auszug  der 
Weltgeschichte,  welche  am  Anfange  der  Hersfelder  Annalen  stand, 
wobei  aber  Bedas  schon  in  den  Annalen  benutzte  Weltchronik  auch 
noch  selbständig  verwex'tet  scheint.  Und  zwar  lag,  wie  Edw.  Schröder 
nachgewiesen  hat,  dem  Compilator  eine  in  England  glossierte  Hand- 
schrift Bedas  vor;  aus  ihr  sind  die  wichtigen  Zeugnisse  zur  Helden- 
sage in  die  Annalen  herübergekommen.  Nur  der  bekannte  Satz 
Thicleric  de  Berne,  de  quo  cantabant  rustici  olirn  (MG.  SS.  ITI,  31) 
ist  eine  Zuthat  des  Verfassers,  der  damit  nicht  den  Heldengesang  als 
erloschen  erklären  wollte,  sondern  vielleicht  wehmütig  der  ent- 
schwundenen Tage  gedachte,  in  denen  er  selbst  Teil  daran  ge- 
nommen^). .Die  annalistische  Form  beginnt  erst  708.  So  wurde 
also,  als  Heinrich  H.  schon  König  war  und  Ottos  KL  Schwester 
Adelheid  dem  Stifte  vorstand ,  eine  Compilation  verfertigt ,  welche 
unter  dem  Namen  Quedlinburger  Annalen  noch  zum  Teile 
erhalten  ist  ^). 


•)  Ex  miraculis  ^■.  WirßerhU  ed.  G.  Waitz,  MG.  SS.  IV,  224—228. 
Ebert  III,  472.  Berichtigung  in  Bezug  auf  den  Abt  Megingoz,  der  schon 
935  sein  Amt  niedergelegt  hat,  bei  H.  Lorenz  S.  55. 

2)  Vgl.  Lorenz  S.  26—32. 

^)  Uebers.  dieser  Stücke  in  der  2.  Ausg.  des  Widuldnd,  Geschichtschr. 
Bd.  33  (X,  6)  S.  127—180.  Vgl.  L.  Hoffmann,  Zur  Geschichte  des  -alten 
Thüringerreiches.  Jahresber.  d.  Rathenower  Bürgerschule  1872.  H.  Lorenz, 
Germania  XXXI  (1886),  137—150.  Schröder.  Zeitschr.  für  D.  Altert. 
XLI,  24—32.     Brefslau.  NA.  XXV,  32. 

*)  Annales  Quedlinhurgense-s-,  MG.  SS.  HI,  22 — 90.  Es  gibt  nur  eine 
Hs,  aus  dem  16.  Jahrh.  mit  Lücken  von  875 — 909  und  von  962 — 983. 
Uebersetzt  (von  984  an)  von  Ed.  Winkelmann,  1862;  2.  Aufl.  1891,  Ge- 
schichtschr. Bd.  36  (X,  9).   Vgl.  Lappenberg  im  Arch.  VI,  635 — 653.   Waitz 


378  '^I-  Ottonen.     §  3.    Gandersheim.     Quedlinburg. 

Der  Verfasser  wird  einer  der  zahlreichen  Geistlichen  gewesen 
sein,  welche  den  Gottesdienst  versahen  oder  als  Kapläne  der  Aeb- 
tissin  zur  Seite  standen.  Ihm  lagen,  als  er  seine  Arbeit  unternahm, 
die  Thaten  der  Frankenkönige  und  Einhards  Leben  Karls  vor ;  auch 
Widukinds  Werk  kann  ihm  kaum  unbekannt  gewesen  sein.  Allein 
er  machte  keinen  Versuch,  nach  der  Weise  dieser  Vorgänger  die 
Geschichte  der  Vorzeit  darzustellen,  sondern  schlofs  sich  einfach  der 
bequemen  Form  der  Hersfelder  Annalen  an.  Diese  excerpierte  er 
in  sehr  roher  Weise  und  vermehrte  sie  wiederum  mit  zahlreichen 
Zusätzen,  aber  es  kam  ihm  doch  nicht  in  den  Sinn,  auch  eine  inner- 
liche Verknüpfung  zu  erstreben. 

Gewifs  fehlte  es  in  Quedlinburg  nicht  an  Hilfsmitteln,  um 
Besseres  zu  leisten,  aber  vielleicht  eben  deshalb  und  weil  der  Ver- 
fasser gar  nicht  daran  dachte,  die  ausführlicheren  Werke  über  die 
Vorzeit  durch  das  seinige  zu  ersetzen,  begnügte  er  sich  mit  dem 
dürftigsten  annalistischen  Gerippe,  welches  ihm  diente,  um  nach 
Bedürfnis  hier  und  da  Bemerkungen  und  Zusätze  einzutragen.  Mit 
Heiürichs  I.  Zeit  werden  die  selbständigen  Eintragungen  häufiger^), 
durchweg  panegyrisch  für  die  Ludolfinger ;  nach  einer  Lücke  von 
961 — 983 ,  die  sich  aus  den  Magdebux'ger  Jahrbüchern  zum  Teile 
ergänzen  läfst,  finden  wir  den  Verfasser  schon  993  als  Augenzeugen 
redend,  und  von  da  an  beginnt  nun  eine  sehr  ausführliche  Ge- 
schichtserzählung, die  von  Jahr  zu  Jahre  fortschreitet,  und  wenn 
nicht  immer  gleichzeitig,  so  doch  nicht  sehr  fern  von  den  Ereig- 
nissen aufgezeichnet  ist.  Von  100-i  an  tritt  bei  ihm  eine  lebhafte 
Abneigung  gegen  Heinrich  IL  hervor,  welche  sich  vorzüglich  an 
seine  rücksichtslose  Klosterreform  anknüpft;  noch  bis  in  den  Anfang 
von  1016  scheint  dieselbe  völlig  gleichzeitige  Hand  kenntlich  zu 
sein.  Der  weitere  Fortsetzer  aber  ist  ein  eifriger  Bewunderer  des 
Kaisers;  die  nächsten  Jahre  sind  viel  kürzer  und  nicht  fehlerfrei, 
wohl  nachträglich  ergänzt  von  demselben,  welcher  1020  mit  breitem 
pomphaften  Redeflusse  fortfährt  ^). 

ebd.  S.  686—688.  W.  v.  Giesebreclit ,  Geschichte  der  Kaiserzeit  I,  785. 
II,  555.     Sprachliche  Anklänge  NA.  Xll.  592. 

^)  Nach  H.  Detmer  (Otto  II.  bis  zum  Tode  seines  Vaters,  Leipz.  Diss. 
1878,*  Excurs)  beginnen  aus  Quedlinburg  selbst  stammende  Notizen  nicht 
vor  913,  und  können  nicht  vor  967  (Kaiserkrönung  Ottos  IL)  geschrieben 
sein.     Vgl.  Jahresberichte  d.  Geschichtswissenschaft  I,  138. 

^)  Ich  folge  hier  jetzt  der  gegen  H.  Pabst  (Exkurs  zu  Hirschs  Hein- 
rich IL,  II,  443 — 449)  gerichteten  Ausführung  von  Usinger,  Forsch.  IX, 
346—360.  Der  Text  von  1014  und  1015  ist  S.  351  in  Ordnung  gebracht 
mit  Hilfe  der  Ann.  Magdeb.,  und  mit  Hinweis  auf  Zeifsberg,  Die  Kriege 
Heinrichs  IL  mit  Bol.  von  Polen,  Wiener  SB.  LVII,  397. 


Anualen  von  Quedlinburif.     Halberstadt.  379 

Vieles  erinnert  in  diesen  Jahrbüchern  an  die  alten  Reichsanna- 
len,  allein  es  fehlt  doch  die  gleichmäfsige  Einheit,  es  fehlt  auch 
der  umfassende  Ueberblick  über  das  ganze  Reich.  Wenn  man  auch 
die  Beziehung  der  fürstlichen  Aebtissin  zum  Kaiserhofe  wahrnimmt 
an  der  zuverlässigen  Kunde  von  entfernten  Ereignissen ,  so  über- 
wiegt doch  die  Teilnahme  für  die  nähere  Umgebung,  namentlich 
die  Kämpfe  mit  den  Slaven,  und  die  unbedeutendsten  lokalen  Vor- 
fälle treten  ohne  Unterscheidung  zwischen  die  grofsen  geschichtlichen 
Begebenheiten.  Zugleich  artet  die  Sprache  häufig  in  unerträgliche 
Schwülstigkeit  aus,  wodurch  vollends  alles  EbenmaCs  verloren  geht. 
Doch  müssen  wir  diese  Jahrbücher  zu  den  bedeutenderen  Erschei- 
nungen der  Historiographie  zählen ,  und  sachlich  sind  sie  vom 
höchsten  Werte :  ihr  plötzliches  Abbrechen  mit  dem  Jahre  1025 
läfst  eine  recht  empfindliche  Lücke  zurück.  Ob  sie  viel  weiter  ge- 
reicht haben,  ist  zweifelhaft ;  uns  ist  nur  eine  Abschrift  aus  später 
Zeit  erhalten,  und  der  gänzliche  Verlust,  der  hier  so  leicht  erfolgen 
konnte,  legt  den  Gedanken  nahe,  wie  manche  andere  Aufzeichnung 
der  Art  spurlos  verschwunden  sein  mag.  Namentlich  läfst  sich  das 
mit  Sicherheit  von  Halberstadt  annehmen,  wo  gewifs  auch  Ge- 
schichtliches geschrieben  wurde.  Von  dem  Bischöfe  Hemmo  (vgl. 
oben  S.  308)  gab  es  eine  Biographie,  von  der  leider  nur  ein  kleines 
Fragment  erhalten  ist^).  Der  Verfasser,  Rochus,  war  jedoch  Mönch 
im  Kloster  Ilsenburg,  welches  erst  998  gegi'ündet  ist ,  und  schx'ieb 
also  mindestens  anderthalb  Jahrhunderte  nach  dem  Tode  des  Bischofs 
(t  853).  Auf  den  wegen  seiner  Frömmigkeit  sehr  verehrten  Bischof 
Bernhard  (924—968)  folgte  Hildeward  (908—994),  welcher  in 
St.  Gallen  höhere  wissenschaftliche  Ausbildung  erhalten  hatte.  Wir 
besitzen  von  ihm  einen  Brief  an  den  Bischof  Adalbero  II.  von  Metz 
(984 — 1005)-),  worin  er  ihm,  eingedenk  der  mit  seinem  Vorfahr 
Dietrich  geschlossenen  Verbrüderung,  ein  Buch  überläfst,  zugleich 
aber  bittet  um  ein  Teilchen  von  dem  Blute  des  heiligen  Stephan 
und  um  Reliquien  der  heiligen  Glodesinde  quatenus  xnetas  divina, 
quae  aliis  in  G-olUa  Hunonim  devastatione  pereuntibus  vestrom 
Jwrum  interventu  civitatem  2)fotexit,  nos  etiam  eorunäem  precihiis 
a  praevalidis  Sclavorum,  quibus  undique  premimiir,  infestationibus 
omnibusque  perictilis  liberare  dignetur.  Beide  Kirchen  verehrten 
den  heiligen  Stephan  als  ihren  Schutzpatron. 


^)  Archiv  XI,  285.  Schon  Leibniz  hatte  es  Papebroch  mitgeteilt,  vgl. 
Lucä,  Der  Chronist  Fr.  Lucae  S.  294. 
2)  Labbe,  Nova  Bibl.  MSS.  I,  682. 


380  IIT-  Ottonen.     §  3.    Gandersheim.     Quedlinburg. 

Unter  diesem  Bischöfe  nun  ist  nach  Scheffer-Boichorsts  und  Wei- 
lands  Forschungen  eine  Bistumschronik  geschrieben,  welche  schon 
Thietmar  benutzt  haben  wird,  der  vielfach  nach  Jahren  der  Halber- 
städter Bischöfe  rechnet;  auch  in  den  Quedlinburger  Annalen  soll 
sie  schon  verwertet  sein.  Diese  Chronik  wurde  bis  1140  fortgesetzt, 
bis  1113  vom  Annalista  Saxo  benutzt.  Andere  Fortsetzungen  folgten; 
erweitert  durch  Benutzung  von  Thietmar,  Frutolf  u.  a.,  wurde  sie 
1209  in  den  Auszug  gebracht,  welcher  allein  uns  erhalten  ist*). 
Ein  Fragment  aus  dem  Anfange  der  ursprünglichen  Chronik  über 
die  Gründung  des  Bistums  glaubt  Holder-Egger  in  einer  Trierer 
Handschrift  gefunden  zu  haben  ^). 

Hildewards  Nachfolger  Arnold  oder  Arnulf  (996 — 1023) 
weihte  die  angeblich  von  Heinrich  IL  aus  Liebe  zu  dem  Einsiedler 
Wanlef  erbaute  Stephanskirche  zu  Wanlefsrode,  welche  später  als 
Probstei  an  das  nahe  Ilsenburg  kam  ^).  Von  ihm  besitzen  wir  einen 
ausführlichen,  vortrefiFlich  geschriebenen  Brief,  durch  welchen  er  im 
Jahre  1007  den  Bischof  Heinrich  von  Würzburg  zu  bestimmen 
suchte,  sich  die  Stiftung  von  Bamberg  gefallen  zu  lassen  *). 

Zu  nennen  ist  von  sächsischen  Klöstern  noch  Werden  an  der 
Ruhr,  wo  Uffing,  geboren  zu  Workum  im  Westergo ,  aufser 
einigen  Versen  zum  Preise  des  heiligen  Liudger '")  und  seines 
Klosters  auch  das  schon  (oben  S.  303)  erwähnte  Leben  der  heiligen 
Ida  zwischen  den  Jahren  980  und  983  verfafste. 

Ein  prachtvolles  Evangelienbuch,  welches  Bischof  Milo  von 
Minden  (969 — 996)  schreiben  liefs,  bewahrt  jetzt  die  Berliner  Biblio- 
thek ").  Dies  ist  derselbe  Milo,  der  dem  Abte  Immo  von  Gorze  die 
Passio  S.  Gorgonii  übersandte.    In  einem  Begleitschreiben  bezeichnet 

^)  Gesta  episcoporum  Halberstadensmm  ed.  Weiland  MG.  SS.  XXIII,  73 
bis  123,  vgl  p.  VII  u.  GGA.  1877  S.  786.  Scheffer-Boiehorst,  Forsch.  XI. 
498 — 506  wies  auf  diese  alten  Halb.  Nachrichten  hin,  die  er  für  Annalen 
hielt.  Vgl.  oben  S.  308  über  vermutete  Spuren  Halb.  Annalen  beim 
Poeta  Saxo. 

^)  NA.  XVII,  169;  herausgeg.  SS.  XXX,  20,  vgl.  ebd.  17.  Versuch 
einer  Wiederherstellung  des  Anfanges  der  Halberstädter  Bistumschronik 
von  G,  Hüffer,  Korveier  Studien  S.  88  ff. 

')  Vgl,  die  merkwürdige  ürk.  des  Erneuerers  der  Kirche,  B.  Rein- 
hard von  Halberstadt,  vom  9.  Mai  1110  bei  Delius,  Untersuchungen  über 
die  Gesch.  d.  Harzburg  (1826),  ürkk.  S.  1—5,  Text  S.  280—287.  Dieselbe 
jetzt  bei  Jacobs,  Urkundenbuch  v.  Ilsenburg  (Geschichtsquellen  der  Prov. 
Sachsen  VI)  S.  11. 

•*)  Ussermann,  Ep.  Bamb.  Ib  S.  8;  JafFe,  Bibl.  V,  472—479.  Vgl,  Giese- 
brecht  II,  59;  Hauck  III,  418  A.  4. 

^)  Geschichtsq.  des  Bist.  Münster  IV,  223;  über  Uffing  vgl.  B.  Bunte 
im  Jahrb.  der  Ges.  f.  bild.  Kunst  u.  s.  w.  zu  Emden  X,  il8. 

«)  Val.  Rose,  Verzeichn.  der  latein,  Hss.  II,  1,  39—40. 


Halberstaclt.     Werden.     Minden.     Hildeshemi.  381 

er  das  Werk  als  eben  in  seiner  Bibliothek  nach  längerem  Suchen 
gefunden.  Doch  wissen  wir  aus  einem  Briefe  des  Bischofs  Adelbert 
(von  Prag?)  an  Milo,  dal's  vielmehr  Adelbert  der  Finder  und  Be- 
arbeiter war.  Milo  scheute  sich  nicht  einmal,  die  an  ihn  selbst  ge- 
richteten Widmungsworte  des  Adelbert  zu  der  Zueignung  an  Immo 
umzubiegen  \). 

§  4.     Hildesheim. 

Hildesheim,  in  der  karolingischen  Periode  noch  nicht  durch 
litterarische  Leistungen  bekannt,  gewann  erst  in  der  zweiten  Hälfte 
des  10.  Jahrhunderts  einen  glänzenden  Namen  unter  den  Pflanz- 
stätten höherer  Bildung,  den  es  dann  lange  behauptete.  Als  erstes 
Denkmal  ist  uns  die  Geschichte  der  Uebertragung  des  heiligen 
Epiphanius  erhalten'-).  Der  Eifer  für  die  Erwerbung  von  Reli- 
quien, der  schon  im  9.  Jahrhunderte  so  manche  kleinere  geschicht- 
liche Aufzeichnung  veranlafst  hatte,  gewann  in  der  folgenden  Periode 
neuen  Anstofs  durch  die  Römerzüge  der  Ottonen ,  und  der  an 
solchen  Schätzen  reiche  italische  Boden  wurde  mit  allen  Mitteln  aus- 
gebeutet. 

Otwin,  einst  Mönch  in  Reichenau,  der  zweite  Abt  des  Mau- 
riciusstiftes  zu  Magdeburg,  der  954  den  Hildesheimer  Bischofsstuhl 
bestiegen  hatte,  begleitete  den  Kaiser  auf  seiner  zweiten  Heerfahrt 
nach  Italien  und  benutzte  962^)  seinen  Aufenthalt  zu  Pavia,  um 
sich  durch  Einbruch  und  Kirchenraub  den  Leib  des  heiligen  Epi- 
phanius zu  verschaifen  ,  den  er  als  herrlichste  Beute  nach  Sachsen 
brachte. 

Allein  nicht  nur  an  Reliquien ,  sondern  auch  an  Büchern  war 
Italien  noch  immer  das  reichste  Land,  und  auch  diesem  Schatze 
stellte  Otwin  eifrig  nach ;  auch  davon  brachte  er  einen  grofsen  Vor- 
rat mit  nach  dem  bis  dahin  bücherarmen'')  Hildesheim,  und  dadurch 
legte  er  den  Grund  zu  der  kräftigen  Entwickelung  der  dortigen 
Schulen  ■').     Die    erste  Frucht  dieser  neuen  Thätigkeit ,    welche  uns 

')  Poncelet  in  den  Anal.  BoUand.  XVIII,  1—21,  wo  auch  der  Brief- 
wechsel abgedruckt  ist.  Milan  i--^  rarias  litteras  ineditas  der  Mindener 
Bibliothek  erwähnt  Bunemann  im  Jahre  1719.  vsrl.  Repert.  f.  Kunstwiss. 
XVI.  199. 

2)  Translaiio  S.  Epiphanii  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  248—251.  Vgl. 
Ebert  III,  473. 

^)  Vgl.  Dümmler,  Otto  I.  S.  343,  wo  er  sich  mit  Leibniz  und  Brower 
gegen  Pertz,  der  9G4  vorzog,  für  962  erklärt. 

*)  Ueber  eine  karolinsische  Hs.  aus  Hildesheim  oben  S,  308  Anm.  3. 
Vgl.  Arndt.  Schrifttafeln,^2.  Aufl.  t.  44,  45;  3.  Aufl.  t.  49. 

^)    „Librorum  nihilominus   tarn  divinae  lectionis  quam  philosophicae 


382  III-  Ottonen.     §  4.    Hildesheira. 

bekannt  geworden  ist,  verherrlicht  eben  jene  Uebertragung ;  es  ist 
eine  im  schlichten  kirchlichen  Stil  der  Zeit  geschriebene  Erzählung, 
die  jedoch  erst  nach  Otwins  Tode  (1.  Dezember  984)  verfafst  ist, 
vielleicht,  wie  Beelte  vermutet,  von  Thangmar. 

Dieser  stand  damals  der  Schule  vor ;  später  wurde  er  Dom- 
dechant  und  nahm  zugleich  als  Bibliothekar  und  Notar  eine  bedeu- 
tende Stellung  ein ;  ein  grofser  Teil  der  bischöflichen  Geschäfte 
ging  durch  seine  Hand ,  und  namentlich  in  den  Jahren  von  1000 
bis  1002  führten  ihn  wichtige  Aufträge  wiederholt  an  den  päpst- 
lichen und  kaiserlichen  Hof.  Seiner  besonderen  Leitung  wurde  der 
junge  Bern  ward  anvertraut,  ein  sächsischer  Knabe  von  vornehm- 
ster Herkunft,  der  schon  in  früher  Kindheit  der  Hildesheimer  Kirche 
übergeben  war.  Nicht  allein  in  den  Wissenschaften,  sondern  auch 
in  den  Künsten ,  der  Schreibkunst ,  Malerei ,  Bildhauerei  und  Bau- 
kunst wurde  der  junge  Bernward  unterrichtet,  und  auch  hierin 
zeichnete  er  sich  bald  in  hohem  Grade  aus.  Denn  wie  wir  das 
besonders  in  St.  Gallen  sahen ,  die  Geistlichkeit  pflegte  und  be- 
wahrte in  Deutschland  damals  in  ihrer  Mitte  alles,  was  überhaupt 
von  höherer  Ausbildung  irgend  vorhanden  war;  noch  mufste  sie 
fast  alles,  dessen  sie  bedurfte,  um  den  hohen  Anforderungen  ihrer 
Stellung  zu  genügen,  selber  leisten. 

Später  hielt  Bernward  sich  einige  Zeit  bei  dem  Erzbischofe 
Willegis  auf,  bei  seinem  Gi'ofsvater  dem  Pfalzgrafen  von  Sachsen, 
und  bei  seinem  Oheime  dem  Bischöfe  Volkmar  von  Utrecht;  dann 
begab  er  sich  987  an  den  kaiserlichen  Hof,  und  hier  vertraute  ihm 
Theophano  die  Erziehung  des  königlichen  Kindes  Ottos  III.  an. 

Am  7.  Dezember  992  starb  in  Como  der  Bischof  Gerdag  von 
Hildesheim,  und  Bernward  wurde  zu  seinem  Nachfolger  erwählt. 
Dreifsig  Jahre  lang  hat  er  dieses  Amt  verwaltet,  und  nicht  leicht 
hat  ein  Bischof  ein  besseres  Andenken  hinterlassen.  Unter  den  treff- 
lichen Bischöfen ,  an  welchen  diese  Zeit  so  reich  ist ,  war  er  einer 
der  hervorragendsten.  In  ihrer  Hand  waren  zum  grofsen  Teil  die 
Reichsgeschäfte ;  Bernward  hatte  schon  als  Hof kaplan  an  der  Re- 
gierung Anteil  gehabt,  und  als  Bischof  nahmen  ihn  die  wichtigsten 
Angelegenheiten  vielfach  in  Anspruch.  Dabei  aber  sorgte  er  für 
seinen  Sprengel  mit  unermüdlichem  Eifer.  Noch  war  Sachsen 
nicht  gesichert  gegen  die  Einfälle  der  Wenden  und  der  Normannen, 
welche  gerade  damals  mit  verstärkter  Wut  sich  erneuten,  und  erst 


fictionis  tantam  convexit  copiam,  ut  qui  illorum  penuria  inerti  ante  tor- 
pebant  otio,  frequenti  nunc  studii  caleant  negotio."     Transl.  c.  2. 


Translatio  S.  Epiphanii.     Bemward.  383 

Bernward  verschaffte  seinem  Gebiete  durch  Befestigungen  und  zweck- 
mäfsige  Einrichtungen  ausreichenden  Schutz,  wie  er  auch  durch 
vielfache  kaiserliche  Begnadigungen  die  Ausbildung  des  Stiftes  zu 
einem  wirklichen  Fürstentume  begründete.  Ueberhaupt  liefs  er 
keine  Eigenschaft  eines  tüchtigen  weltlichen  Regenten  an  sich  ver- 
missen und  war  zugleich  ernstlich  bemüht,  Hildesheim  immer  mehr 
zu  einer  Stätte  geistiger  Bildung  zu  machen.  Er  bereicherte  die 
Bibliothek  des  Stiftes  mit  zahlreichen  Büchern ,  so  dafs  man  mit 
Bezug  auf  die  Schrift  und  die  Miniaturen  einiger  noch  vorhandener 
Exemplare  von  einer  eigenen  Hildesheimer  Schule  gesprochen  hat'). 
Talentvolle  Knaben  liefs  er  in  Wissenschaft  und  Kunst  unter- 
weisen ;  die  begabtesten  führte  er  mit  sich  an  den  königlichen  Hof, 
um  sie  von  der  vielfachen  hier  gebotenen  Gelegenheit  zu  höherer 
Ausbildung  Nutzen  ziehen  zu  lassen.  Mit  herrlichen  Kunstwerken 
hat  er  seine  Bischofsstadt  geziert  ■)  und  ein  bleibendes  Denkmal  er- 
richtete er  sich  durch  die  Stiftung  des  Michaelisklosters  ^),  dessen 
erster  Abt  Goderamnus,  Propst  von  St.  Pantaleon  in  Köln,  ein 
Mann  von  wissenschaftlicher  Bildung  war  •*). 

Tief  betrauert  starb  Bernward  am  20.  November  1022 ,  und 
seinem  alten  Lehi'er  Thangmar,  der  ihn  um  einige  Jahre  überlebte, 
fiel  noch  die  Aufgabe  zu,  ein  Bild  seines  Lebens  zu  entwerfen.  Doch 
ist  es  möglich  ,  wie  Dieterich  nachzuweisen  sucht ,  dafs  Thangmar 
schon  bei  Lebzeiten  Bernwards,  um  1015,  eine  erbauliche  Biographie 
seines  Helden  und,  1007  im  Kampfe  um  Gandersheim,  eine  Streit- 
schrift herausgegeben  hatte,  und  dafs  er,   um  das  Jahr  1023,  nur 


')  Vgl.  oben  S.  354  Anm.  5.  Beissel ,  Des  hl.  Bernward  Evangelien- 
buch. 3.  Ausg.,  Hildesh.  1894.  Swarzenski.  Die  Regensburger  Buchmalerei, 
Leipz.  1901,  S.  84  ff.  Hauck  III,  927  f.  Dieterieb,  Streitfragen  z.  Schrift- 
u.  Quellenkunde  S.  12 — 28.  Ueber  den  Brand  der  Bibliothek  im  Jahre 
1013  vgl.  Forsch.  XVI.  184. 

'^)  Vgl.  A.  Schultz  in  Dohmes  Kunst  und  Künstler  des  Mittelalters  T 
(1877),  85—48.  Beifsel,  Der  hl.  B.  als  Künstler,  Hildesh.  1895.  —  Der 
Vitruv  in  Leiden  Voss.  lat.  F.  88  saec.  X,  der  vielleicht  dem  Michaelskloster 
gehörte,  bietet  eine  alte  Zeichnung  des  von  Bemward  der  Trajanssäule 
nachgebildeten  Monumentes,  vgl.  V.  Rose  in  d.  2.  Ausg.  des  Vitruv  S.  VII, 
—  Im  Anschlufs  an  Berthier :  La  Porte  de  Sainte-Sabine  de  Rome  (Frib. 
Helv.  Ind.  lectt.  1892),  sucht  A.  Bertram  nachzuweisen,  dafs  der  Auf- 
enthalt in  Rom  1001  bei  dem  Kaiser  auf  dem  Aventine  ihn  auch  zu  der 
Schöpfung  der  Bronzethüren  des  Hild.  Doms  angeres^t  habe :  Die  Thüren 
von  St.  Sabina  in  Rom  das  Vorbild  der  Bernward-Thüren,  Hild.  1892. 

3)  Vgl.  Brefslau  in  den  DD.  III,  304—305. 

^)  In  Köln  zeichnete  er  der  dort  zurückgelassenen  Vitruvhandschrift, 
saec.  IX,  jetzt  im  Brit.  Mus.  Harl.  2767,  seinen  Namen  ein,  vgl.  Catal. 
of  ancient  Manuscripts,  IT,  lat.  (1884)  S.  72  u.  das  Faks.  pl.  55.  Thang- 
mar hinterliefs  dem  Michaelskloster  55  Bücher. 


384  ^11-  Ottoneu.     §  4.    Hildesheim. 

diele  früheren  "Werke  in  einer  Schlul'sredaktion  zusammenfafste. 
Einen  grofsen  Teil  dessen ,  was  er  berichtet ,  hatte  er  selbst  mit 
durchlebt  und  an  allen  Geschäften  thätigen  Anteil  genommen ; 
Bernward  aber  war,  wie  Thangmar  selbst  sagt,  von  solchem  Ver- 
trauen zu  ihm  erfüllt,  wie  ein  Kind  zu  seinem  Vater,  und  aus  seinem 
ganzen  Leben  habe  auch  nicht  der  geringste  Umstand  ihm  verborgen 
bleiben  können. 

Thangmar s  Leben  des  Bernward '),  ist  eine  der  wichtig- 
sten Quellen  für  einen  bedeutenden  Zeitraum.  Reiche  Fülle  des 
Stoffes  tritt  hier  an  die  Stelle  jener  immer  wiederkehrenden  Phrasen, 
welche  sonst  so  häufig  die  Armut  des  Schreibenden  verdecken ;  die 
Sprache  ist  schlicht  und  einfach.  Die  warme  Liebe  zu  dem  Ver- 
storbenen, die  das  ganze  Werk  wohlthuend  erfüllt,  hat  es  freilich 
auch  verschuldet,  dafs  die  Zuverlässigkeit  der  Darstellung  bisweilen 
angezweifelt  werden  kann.  In  Bezug  auf  Heinrichs  TL  Wahl,  der 
Bernward  entgegen  war,  ist  Thangmar  nicht  aufrichtig,  und  sein 
Ausehen  bei  Otto  IIL  ist  überschätzt.  Einen  grofsen  Raum  nimmt 
hier,  wie  im  Leben  Godehards,  der  Streit  der  Hildesheimer  mit  den 
Mainzer  Erzbischöfen  wegen  des  Diöcesanrechtes  über  Gandersheim 
in  Anspruch.  Leider  fehlt  es  uns  darüber  ganz  an  einer  Darstellung 
von  der  anderen  Seite ,  aber  eine  gewisse  Einseitigkeit  und  nicht 
gar  zu  offenherzige  Wahrhaftigkeit  werden  wir  dem  Hildesheimer 
zu  gute  halten  müssen. 

Ein  Exemplar  der  Hersfelder  Annalen  ist,  vielleicht  durch  Bern- 
wards  Bemühungen,  nach  Hildesheira  gekommen.  Die  Hildesheimer 
Annalen^)  aber,  in  denen  diese  Hersfelder  benutzt  sind  (vgl.  oben 

')  Thangmari  Vita  Bernwardi  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV',  754—782;  die 
viel  späteren  Miracula  ebd.  p.  782—786.  Acta  SS.  Oct.  XI,  996—1024 
von  Jos.  van  Hecke,  ohne  neue  Hilfsmittel,  mit  ausführlichem  Commen- 
tarius  praevius.  Uebersetzt  von  Hüffer  1858.  2.  Aufl.  1892  (XI,  2) ;  vgl. 
Gundlach,  Heldenlieder  I  S.  192  ff.  Vgl.  W.  Giesebrecht,  Geschichte  d. 
Kaiserzeit  I,  786.  H.  A.  Lüntzel,  Der  heilige  -Beruward,  Hildesh.  1856. 
Ch.  Beelte,  Thangmar,  sein  Leben  und  Beurteilung  seiner  Vita  Bern- 
wardi, Progr.  d.  Gymn.  Joseph,  in  Hild.  1881.  H.  Böhmer,  Willigis  von 
Mainz,  Leipz.  1895.  S.  191  ff.  J.  Dieterich,  Ueber  Thangmars  V.  Bern- 
wardi ep.  im  NA.  XXV,  425 — 451;  ders..  Streitfragen  S.  76  ff.  u.  ö.  Ein- 
hards  V.  Karoli  benutzt  nach  Manitius,  NA.  XIII,  208.  Ueber  eine  in  V. 
Bernw.  u.  Godeh.  benutzte  Urk.  Heinrich  II.  (DD.  III,  293—296)  Bayer, 
Forsch.  XVI,  178 — 193.  Auf  Bernward  bezieht  sich  die  lächerliche,  erst 
dem  14.  oder  15.  Jahrhundert  angehörige  Fabel  über  die  Gründung  des 
Nonnenklosters  Heiningen,  von  Holder-Egger  herausgegeben  als  Fundatio 
nionast.  Heininyeiisis,  SS.  XV,  2,  1054. 

^)  Hier  sei  eiu.stweilen  die  nötige  Litteratur  verzeichnet :  Amiales 
Hildesheimenses  ed.  Pertz,  MG.  SS,  III,  18 — 116.  Neue  Ausgabe  von 
G.  Waitz,  1878.     Uebersetzt  von  Ed.  Winkelmann  1862,  von  Wattenbach 


Adalbert  von  Magdeburg.     Otrich.  385 

S.  376) ,    gehören    erst   der   Zeit   nach    Bernward    an    und   sind   im 
2.  Bande  der  Geschichtsquellen  zu  behandeln. 

Hildesheim  wurde  das  Glück  zu  teil,  dals  auf  Bernward  der 
nicht  minder  ausgezeichnete  Bischof  Godehard  folgte,  und  es  be- 
hauptete auch  in  der  folgenden  Periode  eine  hervorragende  Stellung. 

§  5.     Magdeburg.     Merseburg. 

An  der  Ostgrenze  Sachsens  hatte  Otto,  auch  hierin  Karls  Bei- 
spiele folgend,  Magdeburg  ausersehen  zum  geistigen  Mittelpunkte 
für  die  wendischen  Länder.  In  das  Moritzkloster,  welches  die  Grund- 
lage dazu  bildete,  berief  er  im  Jahre  937  Mönche  aus  St.  Maximin 
bei  Trier  ')»  einem  Kloster ,  das  freilich  auch  verweltlicht  und  ver- 
wildert, aber  schon  934  zur  klösterlichen  Ordnung  zurückgeführt 
war.  Auch  der  erste  Erzbischof  Adalbert  (968  —  981)  war  ein 
Mönch  von  St.  Maximin  und  Abt  von  Weifsenburg;  in  beiden 
Klöstern  zeigt  sich  Sinn  für  Geschichtschreibung,  und  von  Adalbert, 
unter  dem  die  Magdeburger  Schule  einen  hohen  Aufschwung  nahm, 
und  der  höchst  wahrscheinlich  selbst  Verfasser  eines  ausgezeichneten 
Geschichtswei'kes  ist,  möchte  man  annehmen,  er  werde  auch  dafür 
gesorgt  haben,  dafs  die  merkwürdigen  Ereignisse,  deren  Mittelpunkt 
Magdeburg  war,  nicht  in  Vergessenheit  gerieten,  doch  ist  davon 
keine  Spur  vorhanden.  Ohtric  oder  Otrich ,  der  Vorsteher  der 
Domschule ^),  galt  bei  seinen  Verehrern  für  den  gröfsten  Gelehi'ten 
seiner  Zeit;  ein  Schüler  von  ihm  war  jener  Thiadelm,  der  in  den 
Jahren  960  und  961  der  Bremer  Domschule  vorstand.  Otrich  wett- 
eiferte mit  Gei-bert  und  disputierte  mit  ihm  (980)  vor  dem  Kaiser 
Otto  II.  (vgl.  oben  S.  354).  Denn  in  Magdeburg  hatte  er  sich  mit 
dem  Frzbischofe  nicht  vertragen  können;  sein  Ehi'geiz,  wie  es  scheint, 
trieb  ihn  an  des  Kaisers  Hof,  wo  aufser  dem  Ruhme  der  Gelehrsam- 
keit auch  Bistümer  zu  erhaschen  waren :  nach  Adalberts  Tode  traf 


1893  überarbeitet  (Geschichtschr.  .53.  XII,  ö).  Vgl.  Waitz  im  Archiv  VI, 
66otf.;  Brefslau,  NA.  II,  541—566;  XXVI,  241;  XXVII,  293;  J.  R.  Diete- 
rich, Streitfragen  d.  Schrift-  u.  l^uellenkunde  S.  1 — 112. 

1)  Hauck  III,  110. 

^)  Ueber  Otrich  s.  Büdinger,  lieber  Gerbert  S.  54—60;  Oesterreich. 
Geschichte  I,  819.  Hauck  III,  147;  328  fif.  Grosfeld,  Disquisitioues  histo- 
ricae  de  statu  rerum  ecclesiasticarura  in  marcis  Winedis  irup.  Ottone  II, 
im  Programme  des  Gymnasiums  zu  Recklinghausen  1856 — 1857 ,  S.  10, 
macht  es  wahrscheinlich,  dafs  Otrich  979  an  den  Hof  kam.  Für  978 
Uhlirz.  Gesch.  des  Erzbist.  Magdeburg  (1887)  S.  83;  ders.,  Jahrb.  Ottos  IL, 
S.  146.  —  Ueber  Thiadelm  Adam.  Brem.  II  c.  10. 

Wa  1 1  eub  a  ch,  Geschichtsqiielleu.    I.    7.  Aufl.  25 


386  lii-  Ottonen.     §  5.    Magdeburg.     Merseburg. 

ihn  auch  wirklich  die  Wahl,  aber  Gisiler  von  Merseburg  wufste 
ihn  zu  verdrängen ,  und  kurz  darauf  starb  er  in  Benevent  am 
7.  Oktober  981.  In  Magdeburg  hatten  bei  seinem  Abgange  die 
vielen  durch  ihn  dahin  gezogenen  Fremden  die  Stadt  verlassen, 
doch  scheint  die  Schule  unter  Ekkehard  dem  Roten  ')  und  Geddo 
immer  noch  eine  achtungswerte  Wirksamkeit  geübt  zu  haben. 

Von  W.  Giesebrecht  ist  vermutet  worden"),  dafs  bald  nach  dem 
Tode  Gisilers  (1004) ,  dessen  Ehrgeiz  die  kirchlichen  Schöpfungen 
Ottos  in  betrübender  Weise  zerrüttet  hatte  ^) ,  in  Magdeburg  ein 
Geschichtswerk  entstanden  sei,  welches,  nach  Urkunden  und  eigener 
Kenntnis  gearbeitet ,  über  die  Gründung  und  die  nächstfolgenden 
Schicksale  des  Stifts  Auskunft  gab ;  dafs  dieses  schon  Thietmar  vor- 
gelegen habe,  und  in  den  Magdeburger  Annalen  und  im  Annalista 
Saxo  sowie  im  Magdeburger  Chronicon  teilweise  zu  erkennen  sei. 
Darauf  hat  jedoch  F.  van  Hout  behauptet  und  sehr  wahrscheinlich 
gemacht,  dafs  der  erste,  bis  zu  Geros  Tode  1023  reichende,  Teil 
des  Chronicon  Magdeburgense  unter  dessen  Nachfolger  Hunfrid  im 
Zusammenhange  und  mit  Benutzung  der  Chronik  Thietmars  ver- 
fafst  sei,  wie  wir  denn  auch  diesen  Teil  allein  in  den  Magde- 
burger Annalen  wiederfinden  ^),  Wurde  nun  dadurch  die  Möglich- 
keit des  Vorhandenseins  einer  älteren  Gründungsgeschichte  nicht 
ausgeschlossen  ,  so  verloren  doch  andererseits  Giesebrechts  Beweise 
für   sie   teilweise    ihre   Kraft.     Man    begann    sich   der   vorsichtigen 


^)  Vgl.  Holstein.  Gesch.  d.  Domgymn.  in  Magdeburg  (Magdeb.  1875) 
S.  73.  Uhlirz ,  Gesch.  d.  Erzbist.  Magd.  S.  80  ff.  vermutet  in  Ekkehard 
einen  Konzipienten  kais.  Privilegien  für  Magdeburg.  Im  Magdeburger 
Totenbuche  wird  er  „philosophus"  genannt.  Ganz  unmöglich  ist  die  Ver- 
mutung G.  Freytags  (Bilder  aus  der  Deutschen  Vergangenb.  I,  405  Anm.), 
der  ihn  mit  dem  Sanctgaller  Ekkeliard  IL  verschmelzen  möchte. 

-)  W.  Giesebrecht  in  den  Rankeschen  Jahrbüchern  II,  1,  157 — 162, 
vgl.  Kaisergesch.  I,  785.     L.  Giesebrecht,  Wendische  Geschichten  III,  304. 

^)  Vgl.  Fraustadt,  Die  Auflösung  des  Bisthums  Merseburg  u.  dessen 
Wiederherstellung  1004,  Webers  Archiv  f.  Sachs.  Gesch.  N.  F.  IV  fl878), 
S.  133—168. 

*)  Ferd.  van  Hout,  De  Chronico  Magdeburgensi ,  Diss.  Bonn.  1867. 
In  einigen  Punkten,  besonders  über  das  Verhältnis  zu  den  Magd.  Ann., 
abweichend  C.  Günther,  Die  Chronik  d.  Magdeburger  Erzbischöfe,  erster 
Teil:  bis  1142,  Diss.  Gott.  1871;  Zweiter  Teil:  1142—1371,  Progr.  der 
Albinus-Schule  in  Lauenburg  a.  d.  Elbe  1877  (S.  5).  Schum,  Vorr.  zu  den 
Gesta  archiepp.  Magd.  SS.  XIV,  363.  Das  Epitaphium  Ottonis  I.  ist 
entnommen  aus  der  V.  Maliumeti  des  Embricho,  nach  0.  Hertel,  Magd. 
Gesch. -Bl.  1889  S.  869  ff.,  war  aber  thatsächlich  vorhanden,  s.  Sello  ebd. 
1891  S.  130  ff.  —  Die  eingemischten  Hexameter  können  ihrer  metrischen 
Beschaffenheit  nach  frühestens  aus  dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts  sein; 
sie  eignen  sich  daher  nicht  als  Argument  für  die  von  Günther  selbst 
wieder  aufgegebene  Voraussetzung  einer  metrischen  Fundatio. 


Magdeburger  Bistumsgeschichte.     Leben  Adalberts.  387 

Aeufserung  Lappenbergs  zu  erinnern,  dals  über  die  Thietmar  vor- 
liegenden Magdeburger  Aufzeichnungen  ein  sicheres  Urteil  sich  nicht 
gewinnen  lasse,  weil  in  den  uns  zugänglichen  Quellen  überall  schon 
Thietniars  Chronik  wieder  benutzt  sei. 

Trotzdem  behauptete  Fr.  Kurze  ')  wiederum  die  Abfassung  einer 
ältesten  Bistumschronik  bis  1004  und  hielt  den  Erzbischof  Tagino 
selbst  für  den  Urheber,  gestützt  auf  die  Worte  bei  Thietmar  V, 
26  (44),  dafs  Tagino  vom  Papste  persönlich  hätte  geweiht  werden 
sollen,  ut  scripfura  eins  testatiir.  Es  ist  schwer  zu  glauben,  dals 
Thietmar,  wenn  ihm  wirklich  eine  von  Tagino  verfafste  Geschichte 
als  wichtige  und  vielbenutzte  Quelle  vorlag,  das  nicht  irgendwo 
erwähnt  haben  sollte,  und  jene  scriptura  kann  man  nur  auf  ein 
Privileg  oder  eine  Verbriefung  deuten,  da  eben  nur  bei  diesem 
einzigen  Umstände  eine  solche  Berufung  vorkommt').  Aber  auch 
den  anderen  Gründen  Kurzes  und  Giesebreehts  hat  P.  Simson  jetzt 
den  Boden  entzogen^),  und  man  mufs  jene  ältere  Gründungsge- 
schichte gänzlich  fallen  lassen.  Nur  das  wird  nicht  in  Abrede  zu 
stellen  sein ,  dafs  Thietmar  historische  Nachrichten  verarbeiten 
konnte,  die  er  in  Magdeburg  oder  Nienburg  vorfand^). 

Einer  von  Otrichs  Schülern  war  Ad  albert,  der  schwärmerisch 
fromme  Freund  Ottos  III.,  der  vergeblich  als  Bischof  von  Prag  seine 
Landsleute,  die  Böhmen,  zu  lenken  versuchte  und  zuletzt  997  in 
Preufsen  den  ersehnten  Tod  als  Märtyrer  fand.  Sein  Leib  wurde 
durch  Herzog  Boleslaw  nach  Gnesen  gebracht,  wo  man  nicht  säumte, 
das  wunderbare  Ereignis  aufzuzeichnen;  ganz  kurz  wird  hier  der 
frühere  Lebenslauf  des  Märtyrers  berichtet,  dann  etwas  ausführlicher 
die  Umstände  seines  Todes  und  die  Erwerbung  der  Reliquien  mit 
den  beginnenden  Wundern.  Kein  Wort  von  des  Kaisers  Pilgerfahrt 
nach  Gnesen,  der  Stiftung  des  Erzbisturas,  so  dafs  die  Abfassung 
dieser  Legende  wohl  noch  vor  das  Jahr  1000  zu  setzen  ist.  Schmuck- 
los geschrieben  und  ungenügend  für  die  Verehrer  des  Heiligen, 
welche  mehr  von  seiner  Person  erfahren  wollten,  verfiel  sie  bald 
der  Vergessenheit,   nachdem  in  Italien   die  ausführliche  Biographie 


^)  Die  älteste  Magdeb.  Bistumschronik,  Mitteil.  d.  Inst.  Ergänzungs- 
band III.  397—450. 

^)  Vgl.  K.  Uhlirz  gegen  Kurze  und  über  die  Regensburger  Abkunft 
Taginos  in  den  Mitteil,  des  Inst.  XV  (18941,  S.  121—128. 

^)  Zu  d.  ältesten  Magdeburger  Geschichtsquellen,  NA.  XIX,  341 — 368. 

"*)  Wir  besitzen  das  Bruchstück  eines  Verzeichnisses  der  Reliquien, 
die  Otto  I.  aus  Italien  nach  Magdeburg  sandte.  Vgl.  Dümmler,  Otto  I. 
S.  857,  und  Hampe.  NA.  XXV,  672—680.  Es  bringt  zugleich  Nachrichten 
über  den  zweiten  Zug  Ottos  I.  nach  Italien. 


388  III-  Ottonen.     §  5.    Magdeburg.     Merseburg. 

geschi'ieben  war,  deren  wir  später  noch  zu  gedenken  haben.  Den 
Verfasser  hält  Giesebrecht  für  einen  slavischen  Mönch  des  Klosters 
Meseritz,  ich  möchte  Gnesen  vorziehen;  Zeifsberg  ist  geneigt  mit 
W.  V.  Kotrzyiiski  und  Lohmeyer,  denen  sich  auch  Kaindl  an- 
schliefst 0-  anzunehmen,  dals  nur  der  Auszug  eines  deutschen  Geist- 
lichen aus  der  gröfseren  Arbeit  eines  Polen  vorliege,  welche  auch 
der  sogenannte  Martinus  Gallus  benutzt  haben  könnte.  Die  Hand- 
schrift, welche  nach  Giesebrechts  Vermutung  1005  durch  Heinrich  II. 
aus  Meseritz  nach  Tegernsee  gekommen  sein  könnte,  ist  in  München 
zuerst  1857  von  Bielowski,  dann  unabhängig  davon  von  G.  Voigt 
entdeckt  und  zuerst  von  W.  v.  Giesebrecht  herausgegeben  worden'-). 
Durch  jenes  in  Rom  von  Johannes  Canaparius  verfafste  Leben 
Adalberts  (vgl.  unten  §  15)  wurde  aber  auch  einer  seiner  ehemaligen 
Genossen  auf  der  Schule  zu  Magdeburg  angeregt,  aus  eigener  Er- 
innerung und  nach  den  Mitteilungen  von  Adalberts  Freunden  und 
Gefährten  Radla  und  Gaudentius  die  ihm  vorliegenden  Lebens- 
nachrichten zu  ergänzen,  und  so  eine  neue  Bearbeitung  zu  Stande 
zu  bringen,  in  welcher  das  Ende  des  Märtyrers  schon  von  der  ein- 
fachen Wahrheit  sich  weiter  zu  entfernen  scheint.  Der  Verfasser 
derselben  war  Brun,  aus  dem  Hause  der  Edeln  von  Querfurt, 
welcher  von  derselben  weltveracbtenden  Frömmigkeit  und  derselben 
Sehnsucht  nach  dem  Märtyrertode  beseelt  war.  Er  benutzte  aufser 
der  Biographie  des  Johannes  Canaparius  eine  Aufzeichnung  des 
Prager  Domprobstes  Willico ,  die  Johannes  Canaparius  seinerseits 
verwertet  hat. 

Bruns   auch  von   späteren  Schriftstellern    öfter  benutztes  Leben 
Adalberts^)  ist  in  einer  blumenreichen   und   salbungsvollen,    etwas 


')  Mitteil,  des  Inst.  XX,  659—661. 

^)  Eine  bisher  unbekannte  Lebensbeschreibung  des  heiligen  Adalbert 
(Passio  S.  Adalherti),  in  den  Neuen  Preul's.  Provinzialblättern,  3.  Folge, 
Bd.  V  (Königsb.  1860),  S.  71—74.  Wiederholt  in  SS.  Rer.Pruss.I,  235-2.S7; 
vgl.  II,  412.  Aus  demselben  Cod.  lat.  Mon.  18897  in  den  Mon.  Poloniae 
bist.  ed.  Bielowski  I,  1.51 — 156  mit  Faksimile,  und  in  den  Fontes  Rerum 
Bob.  (Pragae  1873)  I,  231—234.  Herausgeg.  von  Kolberg  in  der  Zeitschr. 
f.  die  Gesch.  Ermlands  VlI,  502—514,  vgl.  XII,  267—322.  Ed.  Waitz, 
SS.  XV,  2,  705—708.  üebersetzt  von  Wattenbach,  Geschichtschr.  X,  7 
(Bd.  34)  1891.  Vgl.  Zeifsberg,  Poln.  Geschichtschr.  S.  19— 22.  Giesebr. 
I,  789.  Das  erste  Wunder  der  Passio  wird,  wie  Bielowski  nachgewiesen 
hat,  in  der  Chronik  von  Moyenmoutier  SS.  IV,  92,  doch  nicht  ganz  über- 
einstimmend, erwähnt. 

^)  Die  verkürzte  Ausgabe:  Vita  S.  Adcdbertl  auct.  Brunone  ed.  Pertz, 
MG.  SS.  IV,  577.  596—612.  Die  ältere  und  längere:  ed.  Bielowski  in 
Mon.  Pol.  I,  184—222  mit  Benutzung  einer  Handschrift  aus  Ochsenhausen 
in  Königswarth,  und  in  Fontes  Per.  Boh.  I,  266—304.     Vgl  Giesebr.  I, 


Leben  Adalberts.     Bnm  von  Querfurt.  38U 

dunkeln  Sprache  verfafst,  aber  charakteristisch  für  diese  aufs  äufserste 
getriebene  Asketik  und  in  seinem  Inhalte  lehrreich ;  Brun  verfalste 
es  in  Merseburg  im  Ausgange  des  Jahres  1004,  als  er  im  Begriffe 
war,  dem  Beispiele  seines  Freundes  zu  folgen;  eine  zweite  etwas  ver- 
kürzte Ausgabe  veranstaltete  er  1008  in  Polen.  Zum  Erzbischofe 
der  Heiden  geweiht,  ging  er  nämlich  zuerst  gegen  Ende  des  Jahres 
1007  von  Ungern  aus  durch  RuFsland  zu  den  Petschenegen,  und 
nachdem  er  diese  seiner  Meinung  nach  bekehrt  hatte,  zu  Boleslaw 
von  Polen.  Von  hier  aus  schrieb  er  kurz  vor  der  zweiten  Redak- 
tion der  Lebensbeschreibung  auch  einen  sehr  merkwürdigen  und 
lehrreichen  Brief  an  König  Heinrich  11.^).  Auch  verfafste  er  hier 
im  selben  Jahre  eine  ausführliche  Schrift  über  die  fünf  Einsiedler, 
welche  am  11.  November  1003  in  Polen,  vermutlich  bei  Meseritz 
(nach  K(,'trzynski  in  Kazjmierz  bei  Posen)  von  Räubern  erschlagen 
waren.  Die  inhalti'eiche  Schrift,  welche  in  das  Leben  Ottos  III. 
und  seiner  schwärmerischen  Freunde  Einblick  gewährt ,  ist  von 
R.  Kade  entdeckt  und  zuerst  herausgegeben  worden^). 

Vom  Hofe  Boleslaws  aus  begab  sich  Brun  zu  den  Preufsen  und  drang 
bis  zu  deren  östlichen  Grenzen  vor.  wo  er  den  Tod  fand,  den  er  suchte, 
am  14.  Februar  1009.  Ein  kurzer,  aber  lügenhafter  Bericht  über  seine 


789.  Perlbach ,  Zu  den  ältesten  Lebensbeschreib.  des  heiligen  Adalbert 
im  NA.  XXYII ,  37 — 70 .  widerlegt  die  Zweifel  gegen  die  Urheberschaft 
Bruns,  ebenso  Kaindl  in  den  Mitteil,  des  Inst.  XX,  648 — 658,  beide  gegen 
Ketrzynski.  —  Miracida  S.  Adalberti  aus  dem  l-S.  Jahrhundert,  SS.  IV, 
61-3 — 616,  und  nach  einer  Danziger  Handschrift  verbessert  von  Toppen, 
SS.  Rer.  Pruss.  II,  412 — 420,  wo  c.  4  perterriti  statt  pertriti  zu  lesen  ist 
und  perstiterant  statt  des  unsinnigen  preficierant.  Ferner  in  Fontes  Boh. 
I,  305 — 312  mit  dens.  Fehlern,  und  herausgeg.  v.  Ketrzynski  in  Mon.  Pol. 
IV,  226 — 238.  —  Sequenz :  Annua  recolamus  s.  Adalberti  gaudia  aus  einer 
von  Heinrich  II.  für  Bamberg  in  der  Reichenau  bestellten  Hs.  in  Analecta 
hymnica  von  Blume  u.  Dreves  XXXIV,  144.  Hymnus  Ländern  dignam 
NA.  X.  180—18.5. 

^)  Zuerst  von  Hilferding  nach  der  Hamburger  Kopie  der  Casseler  Hs. 
in  einer  russischen  Zeitschr.  herausgegeben,  mit  Emendationen  von  Jaffe 
bei  Miklosich  u.  Fiedler,  Slav.  Bibl.  II,  307;  von  demselben  nach  dem 
Cassellanus  berichtigt  in  W.  Giesebrechts  fünfter  Ausgabe  II,  702 — 705; 
von  Bielowski,  Mon.  Pol.  I,  223—238  mit  Faksimile.  —  Vgl.  über  Brun 
W.  Giesebrecht.  Deutsche  Reden  S.  29—54 ;  Zeifsberg,  Wiener  SB.  LVII, 
346  ff.;  ders.  in  d.  Zeitschr.  f.  öst.  Gymn.  1867  S.  331  ff.  über  die  von 
Brun  erwähnte  heilige  Lanze,  und  1868  S.  89  ff.,  wo  S.  96 — 98  bemerkt 
wird,  dal's  der  Bericht  über  Misecos  Verheerungen  in  den  Ann.  Magd.  1030 
(SS,  XVT,  169)  eine  direkte  Antwort  auf  den  Brief  Bruns  enthält. 

'-)  Vorläufige  Nachricht  in  R.  Kades  Leipz.  Diss.  De  Brunonis  Quer- 
furt. Vita  quinque  frcdrum  Poloniae  nuper  reperta,  1883.  Ausg.:  ed.  Kade, 
MG.  SS.  XV,  2,  709—738;  ed.  W.  Ketrzynski,  Mon.  Pol.  VI,  1893.  Die 
Hs.  ist  aus  dem  Besitze  Kades  in  die  Berliner  Biblothek  übergegangen 
als  Theol.  Oet.  n.  162. 


390  III-  Ottonen.     §  5.    Magdeburg.     Merseburg. 

Predigt,  seine  Wunder  und  sein  Ende,  der  nichts  als  ein  Bettelbrief 
ist,  wie  dergleichen  auch  sonst  vorkommen,  angeblich  von  seinem 
Begleiter  Wipert,  hat  sich  erhalten ') ;  eine  andere  Schrift  über  ihn, 
die  als  wahrhaft  gerühmt  wird,  kennen  wir  nur  aus  der  späteren 
Magdeburger  Chronik,  wo  sie  benutzt  ist.  Vielleicht  hat  auch  schon 
Thietmar  von  Merseburg  sie  vor  sich  gehabt^),  der  letzte  Schrift- 
steller Sachsens,  den  wir  in  dieser  Periode  zu  betrachten  haben, 
und  der  erste,  bei  dem  eine  Art  gelehrter  Forschung  vorkommt. 
Denn  bei  allen  den  Schriftstellern,  die  uns  bis  jetzt  beschäftigt 
haben,  ist  die  Aufzeichnung  der  Zeitgeschichte  die  Hauptsache,  sie 
schrieben,  was  sie  erlebt  oder  gehört  hatten.  Die  Zusammenstoppe- 
lung  der  älteren  Teile  der  Anualen,  Widukinds  Berufung  auf  Bücher 
am  Anfang  seiner  Geschichte,  lassen  sich  als  gelehrte  Ai'beit  kaum 
in  Anschlag  bringen.  Diesen  ganz  unvollkommenen  Anfängen  gegen- 
über zeigt  uns  die  Chronik  Thietmars  schon  einen  bedeutenden 
Fortschritt. 

Thietmar  von   Merseburg. 

Ausgabe  seiner  Chronik  von  Wagener,  1807.  4.  mit  guten  Anmerkungen.  Erste  kri- 
tisch zuverlässige  von  Lappeuberg,  MG.  SS.  111,723—871.  Mit  weit  genauerer 
Benutzung  der  Hs.  von  Fr.  Kurze,  Haun.  1889.  8:  die  Einteilung  in  Bücher  und 
Kapitel  ist  hier  verändert.  —  Uebersetzuug  von  Ursinus,  Dresden  1790,  mit  nütz- 
lichen Anmerkungen  u.  Benutzung  des  Cod.  Dresdeusis  von  Laurent ,  mit  Vor- 
wort von  Lappenberg  1848;  2.  Ausgabe  von  Strebitzki  1879;  dieselbe  mit  Be- 
richtigungen von  Wattenbach  1892,  Geschichtschr.  XI,  1,  Bd.  39;  vgl.  Guudlach, 
Heldenlieder  I,  114—156.  —  Zum  Leben  Thietmars:  Lappenberg,  Archiv  IX,  438. 
Strebitzki,  Forsch.  XIV,  347—357.  Watteubach,  AUg.  Deutsche  Biogr.  XXXVIII, 
26.  Genealogie:  Brefslau ,  NA.  XXVI,  418  u.  2.  Epitaph:  Burkhardt,  Anz.  für 
Kunde  d.  deutscheu  Vorzeit  1883  S.  80—83.  —  Ueber  die  Chronik:  L.  Giesebrecht, 
Wendische  Geschichten  III,  305.  W,  Giesebrecht,  Geschichte  der  Kaiserzeit  I, 
785.  IL  558.  Strebitzki ,  Thietmarus  quibus  fontibus  usus  sit,  Königsb.  Diss. 
1870.  Ders.,  Zur  Kritik  Thietmars,  Forsch.  XIV,  347—366.  F.  Kurze ,  Abfas- 
sungszeit u.  Entstehungsweise  der  Chronik  Thietmars,  NA.  XIV,  59—86.  Nach- 
lese, XVI,  459-472.  Ders.,  Bisch.  Thietmar  v.  Merseb.  und  seine  Chronik,  Halle 
1890,  Neujahrsbl.  P.  Simson,  Zu  den  ältesten  Magdeburger  Geschichtsquellen, 
NA.  XIX,  341—368.  Hauck,  Kirchengesch.  III,  942  f.  —  Zur  Gesch.  d.  Dresdener 
Hs.:  Schmidt,  N.  Arch.  für  sächs.  Gesch.  1895,  XVI,  129—131.  —  Zu  einzelnen 
Stellen  d.  Chronik  (Zählung  nach  Lappenberg):  fVI,  13)  Brefslau,  Jahrb.  f.  Lothr. 
Gesch.  VI,  283  ff.;  vgl.  NA.  XXI,  319.  (VII,  5—8)  Zeifsberg,  Mitteil.  d.  Inst.  III, 
109—115.  (VII,  20)  Waitz,  Forsch.  XIÜ,  492—494.  (VU,  20)  Bloch,  NA.  XXII,  39. 
—  Ueber  ein  Mefsbuch  und  Kalender  mit  Eintragungen  von  Thietmars  Hand, 
Hesse,  Archiv  IV,  276,  und  Ausgabe  von  Hesse  m  Höfers  Zeitschr.  f.  Archiv- 
kunde I,  111;  Dümmler,  N.  Mitteil.  XI,  223—264. 

Thietmar,  ein  Sohn  des  Grafen  Sigefrid  von  Walbeck,  am 
25.  Juli  975  geboren ,  getauft  vom  Bischof  Hilliward  von  Halber- 
stadt, stammte  aus  einem  der  vornehmsten  Geschlechter  Sachsens; 
er  war  mit  den  bedeutendsten  Fürstenhäusern,  selbst  mit  den  Ottonen 

')  MG.  SS.  IV,  579;  Mon,  Pol.  I,  229.  E.  Kunik  machte  mich  darauf 
aufmerksam,  dafs  der  angebliche  Name  des  Preufsenkönigs  Nethimer  viel- 
mehr slavisch  ist. 

^)  L.  Giesebrecht,  Wendische  Geschichten  III,  303, 


Thietmar  von  Merseburg.  391 

verwandt,  und  die  wichtigsten  Ereignisse  im  Reiche  hatten  deshalb 
eine  persönliche  Beziehung  zu  ihm,  so  dafs  er  frühzeitig  von  allen 
Kunde  erhielt  und  mit  den  Verhältnissen  des  Reiches  vertraut  wurde. 
Von  Enmilde,  einer  Nichte  der  Königin  Mahthild,  erhielt  er  als 
Knabe  den  ersten  Unterricht  in  dem  kaiserlichen  Stifte  Quedlinburg; 
vom  zwölften  Jahre  an  vollendete  er  seine  Schulbildung  im  Kloster 
Bergen  und  in  Magdeburg  selbst.  An  Belesen heit  in  kirchlichen  und 
profanen  Schriftstellern  fehlte  es  ihm  nicht,  einen  guten  lateinischen 
Stil  zu  schreiben  hat  er  aber  nicht  gelernt.  Im  Jahre  1002  wurde 
er  Probst  des  Klosters  Walbeck  an  der  Aller'),  einer  Stiftung  seines 
Grofsvaters,  und  endlich  1009  Bischof  von  Merseburg;  ein  Amt, 
welches  er  löblich,  aber  nur  zehn  Jahre  verwaltete,  denn  er  starb 
schon  am  1.  Dezember  1018  in  seinem  43.  Lebensjahre.  Vom  König 
Heinrich  II.  war  er  schon  1004  in  Allstedt  bei  seiner  Priesterweihe 
beschenkt ;  von  da  an  verkehrte  er  viel  am  Hofe  und  empfing  auch 
als  Bischof  den  König  bei  sich  in  Merseburg. 

Das  Bistum  Merseburg  hatte,  obscbon  erst  von  Otto  I.  gegründet, 
doch  schon  mannigfaltige  und  merkwürdige  Schicksale  erlebt;  zum 
Gedächtnis  der  Ungernschlacht  auf  dem  Lechfelde  dem  heiligen 
Laurentius  zu  Ehren  gestiftet"),  wurde  es  schon  durch  den  zweiten 
Bischof  Gisiler  völlig  zerstört,  um  diesem  den  Weg  zum  Erzbistume 
Magdebui'g  zu  bahnen,  und  ungeachtet  vielfacher  Anstrengungen 
konnte  die  Herstellung  doch  erst  nach  Gisilers  Tode  (1004)  er- 
langt werden. 

Diese  Ereignisse,  so  lange  sie  noch  in  frischer  Erinnerung  hafteten, 
für  die  Nachkommen  durch  schriftliche  Ueberlieferung  festzuhalten, 
war  eine  dringende  Pflicht,  die  Thietmar  zu  erfüllen  übernahm.  Die 
Geschichte  des  Ottonischen  Hauses,  die  verschiedenen  Wechselfälle 
stets  fortgesetzten  Kampfes  mit  den  Wenden  gehörten  mit  Notwendig- 
keit zu  einer  Geschichte  Merseburgs.  Thietmar  aber  beschränkte  sich 
auch  darauf  nicht,  sondern  wie  das  im  ^littelalter  so  häufig  geschah, 
und,  da  so  wenig  geschrieben  wurde  und  ein  Buch  schon  ein  Schatz 

^)  Ein  prachtvolles,  aber  in  den  Bildern  unvollendetes  Evangeliar  aus 
Walbeck  saec.  XI  mit  eingeschriebenen  Statuten  u.  Urkunden,  aus  Libris, 
dann  Batemans  Besitze  in  die  Bibliotheca  Lindesiana  nach  Haigh  Hall, 
von  dort  nach  Manchester  in  John  Rylands  Library  übergegangen,  in 
Libris  erstem  Auktionskataloge  vom  Jahre  1859  n.  .858,  Faks.  pl.  35. 
Ein  schönes  Evangeliar  saec.  X ,  das  zur  Beeidigung  diente ,  in  Magde- 
burg in  d.  Bibl.  d.  Domgymn.  275,  s.  d.  Progr.  1880,  S.  99—101. 

")  Nach  Uhlirz,  Gesch.  d.  Erzb.  Magdeb.  S.  164  und  DD.  Ott.  II.  90,  hat 
Thietmar  diese  Urkunde  gefälscht  (Kehr.  Urkundenb.  des  Bist.  Merseb. 
S.  11),  um  dem  Bistum  einen  strittigen  Wald  zu  erhalten,  was  nach  da- 
maliger Autfassung  als  löblich  gelten  mochte. 


392  III-  Ottonen.     §  5.    Magdeburg.     Merseburg. 

war,  leicht  erklärlich  ist:  da  er  überhaupt  einmal  ein  Buch  schrieb, 
so  legte  er  in  diesem  auch  alles  nieder,  was  ihm  denkwürdig  schien, 
alle  seine  Erlebnisse,  die  kleinsten  wie  die  gröfsten,  und  was  er  zu 
Hause  und  am  Hofe  sah  und  hörte,  oder  was  er  in  anderen  Büchern 
fand.  Noch  hat  sich  seine  eigene  Handschrift,  wenn  auch  nicht  un- 
versehrt, erhalten;  sie  liegt  jetzt  in  der  Königlichen  Bibliothek  zu 
Dresden  und  zeigt  uns  am  deutlichsten,  wie  er  arbeitete,  wie  er 
immer  neue  Zusätze  und  Nachträge  machte.  Bald  trug  er  am 
Rande  nach,  was  ihm  später  bekannt  wurde,  bald  erzählt  er  rück- 
blickend ,  was  eigentlich  an  eine  frühere  Stelle  gehört.  Manchmal 
ist  dadurch  der  Zusammenhang  gestört,  es  sind  Widersprüche  ent- 
standen und  die  Form  ist  überall  mangelhaft :  die  letzte  Hand  fehlt, 
und  auch  durch  wiederholte  Ueberarbeitung  hätte  der  Verfasser  aus 
diesem  lose  aneinander  gereihten  Stoffe  kein  einheitliches  Geschichts- 
werk machen  können.  Aber  die  ihm  vorliegenden  Nachrichten  des 
Widukind,  der  Quedlinburger  Annalen ,  der  Halberstädter  Chronik, 
allerlei  Notizen  aus  Nekrologien  ^) ,  sowie  eine  kurze  Passio  des 
heiligen  Adalbert ")  sind  doch  immer  mit  verständiger  Auswahl  in- 
einander gearbeitet,  und  mit  seiner  aus  mündlicher  üeberlieferung, 
aus  Urkunden  und  späterhin  aus  eigener  Erinnerung  geschöpften 
Kenntnis  verbunden.  Wenn  man  die  rohen  Exzerpte  der  Annalisten 
von  Hersfeld  und  Quedlinburg  dagegen  hält,  so  kann  man  einen 
bedeutenden  Fortschritt  nicht  verkennen,  und  es  hat  noch  lange  ge- 
dauert, bis  man  im  Stande  war,  etwas  Besseres  zu  leisten. 

Als  Geschichtsquelle  betrachtet  hat  aber  Thietmars  Werk  gerade 
einen  besonderen  Wert  dadurch,  dafs  das  Gefüge  seiner  Bestandteile 
so  leicht  zu  erkennen  ist,  wodurch  die  Kritik  wesentlich  erleichtert 
wird ;  doch  bedarf  man  der  Vorsicht,  da  er  nicht  selten  aus  Flüch- 
tigkeit Versehen  begangen  hat.  Andererseits  kommt  es  uns  nicht 
minder  zu  gute ,  dafs  er  auch  geringfügige  Umstände  nicht  ver- 
schmähte und  deshalb  ein  lebendigeres  Bild  der  damaligen  Zustände 
gewährt,  in  dem  wir  dergleichen  kleinere  Züge  nur  ungern  vermissen 
würden. 

Wie  er  nun  eigentlich  gearbeitet  hat,  das  hat  erst  Fr.  Kurze 
festzustellen  versucht  durch  die  genaueste  Untersuchung  der  teils 
von  Thietmar,  teils  von  acht  verschiedenen  Schreibern  geschriebenen 
und   überall    von    ihm    überarbeiteten    und    vermehrten    Dresdener 

')  Ueber  die  Magdeburger  Gründungsgeschichte  vgl.  oben  S.  386 ; 
über  die  Halberstädter  Chronik  zuletzt  Dieterich,  Streitfragen  S.  -55. 

-)  Vgl.  Perlbach  im  NA.  XXVII,  68.  Ruotgers  Leben  des  Erzb.  Brun 
und  S.  Ulrichs  Leben  kannte  er,  ohne  sie  eigentlich  zu  benutzen. 


Thietmar  von  Merseburg.  393 

Originalhandschrift.  Hatte  schon  Bethman  behauptet,  dafs  Thietmar 
nicht  vor  1012  sein  Werk  begonnen  habe,  so  glaubt  Kurze  nach- 
weisen zu  kimnen,  dafs  er  mit  VI,  41—46  (VII,  1 — 15  K.)  ange- 
fangen vind  in  demselben  Jahre  1012  vielleicht  auch  schon  I,  1 — 10 
(18  K.)  geschi-ieben  habe.  Im  Jahre  1013  habe  er  das  zweite  und 
dritte  Buch,  1014  IV,  1—8  (9),  10,  11  (14-17),  16  (23—25),  22—24 
(31—37),  26—34  (39—54),  das  fünfte  Buch  und  vom  siebenten 
1—4  (Vin,  1—3),  im  Jahre  1015  das  sechste  Buch  und  VII,  5  —  13 
(VIII,  4—20)  verfasst.  Er  schrieb  gleichzeitig,  was  er  erlebte,  liels 
aber  Raum  für  Nachträge  und  Zusätze,  mit  welchen  im  vierten 
Buche  eine  ganze  Lage  ausgefüllt  ist;  diese  entfernen  sich  häufig 
ganz  von  der  chronologischen  Folge  und  haben  dadurch  namentlich 
im  vierten  Buche  die  Ordnung  sehr  gestört. 

Zu  solchen  Nachträgen  gab  ihm  vorzüglich  die  Bekanntschaft 
mit  den  Quedlinburger  Annalen  Anlafs,  welche  er  vor  1016  nicht 
gekannt  hat,  weshalb  auch  VII,  1—13  (VIII,  1—20)  keine  Spur 
davon  zu  finden  ist.  Mit  Benutzung  derselben  schrieb  er  1016  die 
Zusätze  zum  zweiten  und  dritten  Buch,  fei'ner  VI,  46 — 61  (VII, 
16-41)  und  VII,  13—25  (VIII,  20—35);  im  Jahr  1017  den  Rest 
des  vierten  Buches  bis  auf  die  erst  1018  geschriebenen  Kapitel 
47—51  (70-75)  und  VII,  25—50  (VIII,  36—69),  auch  I,  15—17 
(26 — 28);  im  Jahre  1018  endlich  was  von  der  Fortsetzung  noch 
übrig  war,  wobei  natürlich  die  Annalen  nicht  mehr  zu  gebrauchen 
waren. 

Diese  Aufstellungen  Kurzes,  welche  das  grofse  Verdienst  haben, 
dafs  sie  sich  auf  Beobachtungen  aufbauen,  die  an  der  Handschrift 
selbst  gemacht  sind,  müssen  doch,  wie  die  Beobachtungen  selbst, 
noch  einmal  genauer  überprüft  werden  ^).  Etwas  rätselhaft  sind 
Zusätze  einer  Hand,  welche  Lappenberg  Thietmar  selbst  zuschrieb, 
während  Kurze  sie  erst  in  die  Zeit  Heinrichs  V.  setzt,  üeberall  wo 
diese  Zusätze  sich  finden,  ist  zugleich  am  Rande  etwas  ausgekratzt; 
doch  sind  sie  zum  grofsen  Teile  von  hohem  Werte  und  können 
nur  auf  gleichzeitigen  Angaben  beruhen. 

Für  die  ersten  drei  Bücher  standen  Thietmar  nur  wenig  Quellen 
zu  Gebote,  die  wir  nicht  auch  noch  besäfsen ;  aber  von  dem  Anfange 
der  Regierung  Ottos  III.  an  werden  seine  eigenen  Mitteilungen 
immer  reichlicher.  Er  schrieb  die  Geschichte  dieser  letzten  Jahre 
gleichzeitig  mit  den  Ereignissen  selbst;   sein  Werk   nimmt  da   fast 


^)  Gundlach,  Heldenlieder  der  Deutschen  Kaiserzeit  I,  153 — 156,  hat 
beachtenswerte  Einwendunscen  erhoben. 


394  III-  Ottonen.     §  5.   Magdeburg.     Merseburg. 

den  Charakter  eines  Tagebuclies  an  und  verbindet  deshalb  die  Zu- 
verlässigkeit der  besseren  Annalen  mit  gröfserer  Fülle  und  Reich- 
haltigkeit. 

Dafs  es  ihm,  dem  Bischöfe,  der  viel  am  Hofe  verkehrte  und  zum 
Rate  des  Kaisers  gehörte,  dem  nahen  Verwandten  der  bedeutendsten 
Fürsten,  nicht  an  Mitteln  fehlte,  sich  über  die  wichtigsten  Vorfälle 
und  den  ganzen  Gang  der  Begebenheiten  genau  zu  unterrichten, 
erwähnten  wir  schon;  auch  entfernte  Begebenheiten  bei  anderen 
Völkern  und  an  den  fremden  Höfen  konnten  daher  zu  seiner  Kennt- 
nis gelangen.  Ebensowenig  ist  aber  auch  ein  Grund  vorhanden, 
seine  Wahrheitsliebe  zu  bezweifeln.  Sich  selbst  schont  er  durchaus 
nicht;  mit  der  rührendsten  Bescheidenheit  deckt  er  seine  eigenen 
Fehler  und  Schwächen  auf,  und  durchgehends  bewährt  er  sich  als 
einen  redlichen  Mann  von  biederer  Gesinnung  und  bestem  Willen. 
Dafür  können  wir  ihm  denn  wohl  die  Unbehilflichkeit  der  Dar- 
stellung, die  grofse  Leichtgläubigkeit,  den  oft  gesuchten  Ausdruck 
und  das  gelegentliche  Prunken  mit  seiner  mühsam  erworbenen  Ge- 
lehrsamkeit verzeihen. 

Wegen  seines  vorherrschend  provinziellen  Charakters  ist  Thietmars 
Werk  zwar  von  sächsischen  Schriftstellern  viel  benutzt  worden,  hat 
aber  weitere  Verbreitung  nicht  gefunden.  Vorzüglich  fleifsig  wurde 
es  vom  Annalista  Saxo  ausgebeutet,  mit  Zusätzen  über  das  Kloster 
Corvey,  wie  sie  sich  wieder  finden  in  der  zweiten  ganz  jungen 
Handschrift  des  Thietmar,  die  jetzt  in  Brüssel  liegt.  Daraus  ergibt 
sich,  dafs  eine  Abschrift  des  Thietmarschen  Werkes  schon  im  12.  Jahr- 
hunderte in  Corvey  verfertigt  sein  mufs,  und  zwar,  wie  R.  Wilmans 
nachgewiesen  hat'),  gegen  das  Jahr  1160. 

Wie  viel  des  für  uns  wertvollsten  Materials  aber  alle  diese  Chro- 
niken unbeachtet  beiseite  gelassen  haben,  davon  gibt  uns  das  von 
Jaffe  entdeckte  Aufgebot  des  Jahres  981  zur  Heerfahrt  nach 
Italien  eine  Probe  ^). 

')  Kaiserurkunden  der  Provinz  Westfalen  I,  109—112,  zu  MG.  SS. 
III,  840  u.  860. 

^)  Ausgaben:  von  Jaffe,  Bibl.  V,  471;  Weiland,  Constit.  imp.  I,  632; 
Ublirz,  Jahrb.  Ottos  II.  S.  247.  Vgl.  Max  Lehmann,  Forsch.  IX.  435—444; 
Giesebr.  I,  842;  G.  Matthaei,  Klosterpolitik  Heinrichs  IL  (Diss.  Gott.  1877) 
S.  91—95;  Uhlirz  a.  a.  0.  S.  248-253.  Ueber  die  in  der  einzigen  Hs. 
des  Aufgebotes  (Bamberg  B.  III,  11)  stehende,  auch  sonst  oft  überlieferte 
Palastbeschreibung  vgl.  Huelsen,  Mitteil.  d.  Archäolog.  Instituts  XVII 
(1902)  S.  255—268. 


Mainzer  Erzbischöfe  und  Lehrer.  395 


§  6.     Mainz.     Hessen   und   Franken. 

In  Mainz  bat  die  Litteratur  nie  recht  gedeihen  wollen,  doch 
zeigt  das  Schreiben  eines  Priesters  G  er  hard  an  den  Erzbischof 
Friedrich  (937 — 954),  der  politisch  so  übel  beleumdet  ist,  über 
die  Bekehrung  der  Judenschaft  und  einige  andere  kirchliche  Fragen '), 
dafs  die  theologische  Wissenschaft  wenigstens  dort  keineswegs  aus- 
gestorben war.  Ganz  ohne  Einflufs  auf  die  Geschichtschreibung 
blieb  Friedrichs  Nachfolger  Wilhelm,  der  eifrige  Gegner  der 
Magdeburger  Pläne,  nicht,  wie  wir  schon  sahen  (oben  S.  286),  doch 
hat  er  selbst  sich  nur  durch  einen  eigenhändigen  Zusatz  zu  den 
Reichenauer  Annalen  ^)  verewigt  über  seine  Erhebung  zum  Erz- 
bischofe  im  Jahre  954  und  den  gleichzeitig  zwischen  dem  Könige 
und  seinem  Sohne  Ludolf  geschlossenen  Frieden.  Willegis,  aus 
der  Kanzlei  der  Ottonen  hervorgegangen  (975 — 1011),  und  seine 
Nachfolger  standen  hinter  ihren  Zeitgenossen  nicht  zurück,  und  der 
Sanktgaller  Ekkehard  (II.  palatinus)  wirkte  in  Mainz,  wo  er 
Probst  und  990  bei  St.  Alban  begraben  wurde'').  Von  Erchanbald 
(1011— 1U20),  vorher  Abt  von  Fulda  (9116—1011),  hatte  man  Pre- 
digten^). Ihm  folgte  von  1020 — 1031  der  königliche  Kaplan  Aribo, 
ein  kraftvoller  Mann  aus  dem  Hause  der  Pfalzgrafen  von  Bayern 
und  nicht  ungelehrt,  über  den  später  zu  handeln  sein  wird.  Um 
diese  Zeit  wirkte  in  Mainz  als  Scholaster  abermals  ein  St.  Galler, 
Ekkehard  IV.,  Fortsetzer  der  Klostergeschichte,  der  für  Aribo 
den  W^altharius  überarbeitete. 

Keiner  dieser  Erzbischöfe  hat  einen  Biographen  gefunden ;  als 
man  nach  anderthalb  Jahrhunderten  in  dem  von  Willegis  gestifteten 
Stepbanskloster  seine  Heiligsprechung  betrieb,  hatte  man  über  ihn 
keine  Nachrichten,  welche  nicht  auch  wir  noch  besitzen.  So  schmerz- 
lich wir  nun  auch  eine  genauere  Kenntnis  dieses  ausgezeichneten 
Mannes  vermissen,  so  erkennen  wir  doch  den  tiefen  Eindruck, 
welchen  seine  Persönlichkeit  und  Wirksamkeit  gemacht  hatten,  —  er 
war  ein  glänzender  Prediger  und  ein  Gönner  der  Kunst  —  in  der 
Lobpreisung,  welche  einer  seiner  Schüler  an  den  Abt  Richard  von 

1)  JafFe,  Bibl.  III,  338—344,  vgl.  Hauck  III,  38  ff. 

^)  Jaffe,  Bibl.  III,  706.     Vgl.    unten   §  9    üljer  die   Annal.  Augienses. 

3)  Grabschrift  bei  Dümmler,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XIV,  48. 

^)  Sen>w>tef>  Erchanbaldi  epifcopi  in  Augsburg  s,  Steichele,  Archiv  f. 
d.  Gesch.  von  Augsburg  I,  14.  Als  Abt  lieh  Erchanbald  dem  Bischöfe 
Heinrich  V.  Würzburg  (995  —  1018)  ein  sehr  schönes  Sakramentar,  welches 
von  diesem  an  B.  Leo  v.  Vercelli  gegeben  wurde  und  jetzt  in  Vercelli 
ist;  vgl.  A.  Ebner,  Iter  Italicum,  Freiburg  1896.  S.  282. 


39(3  III.  Ottouen.     §  6.   Mainz.     Hessen  und  Franken. 

Fulda  (1018—1039)  gerichtet  hat').  Kaum  eine  geschichtliche  That- 
sache  ist  daraus  zu  entnehmen,  ausgenommen  die  eifrige  Pflege, 
welche  Willegis  der  Schule  widmete ;  viele  Bischöfe  und  Pröbste 
waren  derselben  entsprossen.  Eine  sehr  merkwürdige  Urkunde^) 
gibt  uns  Nachricht  von  der  Sorgfalt,  mit  welcher  Willegis  gleich 
in  seinem  ersten  Amtsjahre  die  Schule  zu  Aschaffenburg  ordnete, 
welche  zur  Ausbildung  der  Mainzer  Domherren  bestimmt  war. 
Herward,  Kaiser  Ottos  II.  Notar,  war  daselbst  Lehrer,  und  Alemar 
sein  Secundarius.  Dem  Vorsteher  der  Schule  ward  gestattet,  zwei 
oder  drei  Jahre  mit  Stipendien  ad  Studium  zu  reisen.  Der  Lorscher 
Mönch  Trotmar  (Druhtmax'),  nachmals  Abt  von  Corvey  (1014  bis 
1046),  überreichte  dem  Erzbischofe  und  seinem  Abte  Bubbo  1007, 
was  er  zu  Ehren  des  heiligen  Nazarius  geschrieben  hatte,  mit  schwer- 
fällig gelehrten  Briefen^).  Augustins  Gottesstaat  liefs  Willegis  nicht 
nur  abschreiben,  sondern  verbesserte  auch  selbst  die  Abschrift  mit 
seinen  Schülern^). 

Auch  an  der  St.  Viktorskirche,  wo  Willibald  einst  das  Leben 
des  heiligen  Bonifatius  geschrieben  hatte,  errichtete  Willegis  auf 
Betrieb  des  Stadtkämmerers  und  Probstes  Burchhard  ein  Chorherren- 
stift, und  hier  verzeichnete,  wie  es  scheint,  ein  Angehöriger  dieses 


^)  Elogium  h.  Wülegisi  oder  Ubellus  de  Willlgiai  consuetudinihus ,  ab- 
gedr.  V.  Falk  im  Mainzer  Katholik  1869  I,  224—230,  nach  einem  alten 
Drucke  von  1675;  darnach  von  Waitz,  SS.  XV,  2,  742  —  745.  Bemer- 
kungen dazu  von  C.  Will  im  Kath.  1873  II,  715 — 734;  Mainzer  Regesten 
I  S.  XLII;  H.  Böhmer,  Willigis  von  Mainz,  Leipz.  1895,  S.  178  ff.  lieber 
das  Officium  Willigisi  wird  erst  in  der  staufischen  Zeit  zu  handeln  sein, 
in  der  es  entstand. 

^)  Gudenus  I,  352 — 357,  auf  welche  0.  Zimmermann  in  seiner  Leipz. 
Diss.:  Bruno  I.  Erzb.  v.  Cöln  u.  die  in  den  Schulen  seiner  Zeit  gepflegte 
Wissenschaft,  S.  28,  aufmerksam  gemacht  hat.  Will,  Regesten  1,  119. 
Hauck  III,  327.     Böhmer  a.  a.  0.  S.  144—148. 

*)  Jaffe,  Bibl.  III,  353—358.  Er  sandte  ihm  einen  sermunculum,  den 
er  in  laudem  martirum  verfafst.  In  dem  Necrol.  Lauresh.  heifst  es  da- 
her von  ihm:  XV.  Kai.  Mart.  Drutmari  abbatis;  hie,  istinc  prelatus  Nove 
Corbeie,  congregacioni  composuit  sermonem  et  cantum  in  honore  sancti 
Nazarii.  Eine,  nach  Winterfeld  vielleicht  noch  Ottonische,  Sequenz  auf 
S.  Nazarius  aus  einer  Lorscher  Hs.  in  den  Analecta  hymnica  von  Blume 
u.  Dreves  XXXIV,  240. 

*)  Die  Hs.  jetzt  in  Gotha,  mbr.  I,  58.  Vgl.  Jacobs  u.  Ukert,  Beitr. 
II,  82;  Böhmer  S.  148;  J.  Falk,  Die  ehemalige  Dombibliothek  zu  Mainz, 
Leipz.  1897,  S.  8  (wo  er  ^alumnis"  in  den  Widmungsversen  des  Willegis 
doch  wohl  nicht  richtig  als  „Domherren"  statt  „Schüler"  deutet)  und 
S.  108  ff.  Nach  Mainz  und  in  die  Zeit  des  Willegis  gehört  auch  die 
oben  S.  178  A.  1  erwähnte  Gothaer  Hs.  der  Volksrechte,  die  nur  durch 
ihre  Vorlage  mit  Fulda  zusammenhängt;  vgl.  Falk  S.  110  und  Giemen, 
Die  Portraitdarstellungen  Karls  d.  Gr.,  Aachen  1890,  S.  80.  Im  allge- 
meinen vcrl.  über  die  Mainzer  Bibliothek  die  Litteratur  oben  S.  251. 


Willegis  von  Mainz.     Lorsch.     Worms.  397 

Stiftes  in  ziemlich  ungefüger  Weise  die  Mainzer  Tradition  über  den 
heiligen  Mann').  Wir  verdanken  ihm  die  schätzbare  Nachricht  über 
Willibald,  und  sein  Werk  ist  von  Otloh  benutzt  vforden'^j. 

Aus  Lorsch  haben  wir  aufser  dem  Schriftchen  Trotmars  ganz 
unbedeutende  Annalen,  die  für  die  Jahre  03(j — 97«  gleichzeitig 
sind^),  und  ein  Verzeichnis  der  Mönche  unter  Abt  Gerbodo 
(951 — 972^).  Die  Schrift  eines  Priesters  Adalher  über  Wunder 
des  heiligen  Nazarius  hat  sich  nicht  erhalten'').  Ein  Schreiben  des 
Diaconus  Theotroch  an  den  Priester  Ootbert  über  die  Mefsfeier 
in  Fulda  ist  vielleicht  nach  Lorsch  gerichtet").  Aus  dem  in  karo- 
lingischer  Zeit  so  ausgezeichneten  Fulda  hat  sich  nichts  erhalten 
aui'ser  den  bis  1065  reichenden  Totenannalen.  In  Hersfeld  dagegen 
wurden  Wunder  des  heiligen  Wigbert  aufgezeichnet  (vgl.  oben 
S.  377).  In  demselben  Kloster  wurden  auch  Jahrbücher  geführt, 
die  uns  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt,  wie  wir  sahen  (oben  S.  376), 
nicht  mehr  erhalten  sind ,  und  nur  durch  wörtliche  üebereinstim- 
mung  mehrerer  Annalenwerke  als  deren  gemeinsame  Quelle  sich 
nachweisen  lassen.  Von  den  weiteren  Schicksalen  dieser  Jahrbücher, 
der  Grundlage  Lamperts,  war  bereits  oben  die  Rede. 

Für  Worms  wurde  nach  längerer  Erledigung  von  Otto  IIL  im 
Jahre  1000  Burchard'),  ein  ausgezeichneter  Zögling  der  Schule  zu 

*)  Anoni/mus  Moguntinus  ed.  G.  Henschen,  Acta  SS.  lun.  I,  473—477, 
wiederholt  MG.  SS.  II,  353 — 357;  neue  Aus«?,  nach  der  Ha.  bei  Jaffe, 
Bibl.  III,  471—482  als  Passio  S.  Bouifatü.  Vgl,  G.  Wölbing,  Die  mittel- 
alterl.  Lebensbensbeschreibungen  d.  Bonifatius,  Leipz.  1892;  Nürnberger, 
De  S.  Bonifatii  vitis.  Breslau  1892. 

2)  Nach  Holder  Egger,  NA.  IX.  293  A.  2. 

^)  Herausgeg.  von  Bethmann,  MG.  SS.  XVII,  33  als  AnnaUs  S.  Nazarii, 
dieselben  bei  L.  Delisle,  Anc.  Sacram.  p.  240.  Vgl.  A.  Ebner,  Iter  Ita- 
licum,  S.  247  u.  ö. 

■')  Herausgeg.  von  Reifferscheid  aus  einer  Lorsclier  Hs.  (Rom  Pal. 
lat.  169),  Wiener  SB.  LVI,  443  (=  Bibliotheca  patr.  italica  I,  192).  Eine 
Notatio  stipendiarum  unter  dem  Abte  Bobbo  (1005 — 1018),  abgedr.  von 
Dümmler,  NA.  XXII,  289.  Sehr  reichhaltige  Bibliothekskataloge  aus  dem 
10. — 11.  Jahrhunderte  der  Hs.  Rom  Palat.  lat.  1877  entnommen  von 
A.  Mai,  Spicil.  Rom.  \,  161-200  (vgl.  S.  XI-XIl,  XIV— XVIII)  und 
Wilmanns.  Rhein.  Museum  XXIII,  385—408;  bei  Becker,  Catal.  biblio- 
thecar.  S.  82—125  ;  vgl.  F.  Falk,  Beiträge  z.  Rekonstruktion  d.  Bibliotheca 
fuklensis  u.  Bibliotheca  lauresbamensis,  Leipzig  1902. 

^)  In  dem  Necrol.  von  Lorsch  (Schannat,  Vindemiae  I,  80)  steht  unter 
V  id.  Apr.:  Adalheri  presbiteri;  hie,  dum  scolis  nostris  prefuit,  libeUum 
de  miraculis  sauet i  Nazarii  composuit.  Einige  bedeutungslose  Wunder 
aus  einer  Frankfurter  Hs.  bei  Falk,  Gesch.  von  Lorsch  S.  123 — 124. 

«)  NA.  IV.  409—412  aus  der  Lorscher  Hs.  Rom  Palat.  lat.  1341. 

')  H.  Grosch,  Burchard  1.  B.  zu  Worms,  Leipz.  Diss. ,  Jena  1890; 
Hauck,  Kircheng.  III.  435—440;  H.  Boos.  Gesch.  d.  rheinischen  Städte- 
kultur I,  253—309. 


398  JII-  Ottonen.     §  G.   Mainz.     Hessen  und  Franken. 

Lobbes,  zum  Bischöfe  berufen,  nachdem  er  früher  im  Dienste  des  Erz- 
bischofs Willegis  gestanden;  er  starb  1025.  Als  einer  der  gelehrtesten 
Canonisten  seiner  Zeit  verfafste  er  namentlich  mit  Hilfe  des  Abtes 
Olbei't  von  Gembloux  eine  grofse,  auf  die  Vei'hältnisse  der  Gegen- 
wart berechnete  Canonensammlung\),  während  er  andererseits  durch 
sein  Hofrecht  das  erste  Beispiel  territorialer  Gesetzgebung  gab") 
und  sein  gänzlich  verfallenes  Bistum  zu  neuer  Blüte  erhob.  Freilich 
wird  von  dem  gelehrten  Papste  Gregor  V.  (996 — 999)  gerühmt^), 
dafs  er  in  Worms  gebildet  sei,  ebenso  wie  von  Heribert  von  Cöln'*), 
doch  fand  Burchard  nach  seines  Biographen  übertreibender  Schilde- 
rung die  Stadt  noch  in  Ruinen  nach  ihrer  Verwüstung  durch  die 
Ungern,  und  das  Eingreifen  der  Herzoge  hinderte  jeden  Fortschritt 
zu  besseren  Zuständen.  Durch  die  Darstellung  dieser  Verhältnisse 
und  der  Art,  wie  es  Burchard  gelang,  den  üebelständen  abzuhelfen, 
ist  dessen  Biographie'),  die  allerdings  die  Verdienste  seines  Vor- 
gängers Hildibald  unbillig  in  den  Schatten  stellt*'),  sehr  lehrreich, 
so  wie  andererseits  Burchards  angesehene  und  einflufsreiche  Stellung 
bei  Otto  III.  und  Heinrich  II.  ihr  auch  für  die  Reichsgeschichte 
Bedeutung  verleiht.  Sie  ist  von  einem  Zeitgenossen  verfafst  —  Boos 
vermutet  den  Schulmeister  und  Kustos  Ebbo')  —  und  gehört  zu 
den  besseren  Werken  dieser  Art;    doch  hat  Manitius   nachgewiesen, 

^)  Abdruck  bei  Migne  CXL,  537  ff.  Vgl.  Alb.  Hauck,  Ueber  den  über 
decretor.  Burchards  v.  W. ,  Berichte  der  kön.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  1894 
S.  65  ff. ,  wo  er  ihn  gegen  den  Vorwurf  tendenziöser  Fälschung  recht- 
fertigt. M.  Conrat  (Cohn),  Gesch.  der  Quellen  d.  Rom.  Rechts  im  MA.  I, 
261.  Die  älteste  Handschr.  scheint  der  Vatic.  lat.  1355  zu  sein,  s.  Arch. 
XII,  226. 

^)  Letzte  Ausgabe  von  Weiland,  MG.  Legg.  sect.  IV,  Constitut.  imp. 
I,  639-644. 

^J  Lingua  Teutonicus,  Wangia  doctus  in  urbe,  Epit.  bei  Duchesne, 
Lib.  pontific.  II.  262.  Die  Form  Wangia  auch  in  einem  Hymnus  saec.  XII 
(Geschichtsbl.  der  mittelrhein.  Bist.  S.  23),  in  der  Apologie  für  d.  Würzb. 
Schule  V.  17  (vgl.  unten  S.  400  A.  4),  in  d.  Gest.  Trev.  SS.  VIII,  113,  u.  ö. 

*}  Vita  Heriberti  c.  3,  MG.  SS.  IV,  741.  Vgl.  Kehr,  Die  Urkunden 
Ottos  III.  (1890)  S.  43. 

^)  Vita  Burchard,  Wormaf.  ed.  Waitz,  MG.  SS.  IV,  829—846,  nach 
der  ältesten  Ausg.  von  1548.  Neue  Ausg.  von  H.  Boos,  Quellen  der 
Wormser  Gesch.  (1893)  III,  97—127.  Vgl.  W.  Giesebrecht,  Geschichte 
der  Kaiserzeit  I,  787. 

'^)  Vgl.  über  diesen  und  angeblich  auf  ihn  zurückgehende  Urkunden- 
fälschungen Lechner,  Die  älteren  Königsurkunden  für  das  Bist.  Worms  und 
die  Begründung  der  bischöfl.  Fürstenmacht,  in  den  Mitteil,  des  Instit. 
XXII,  361—419,  529—574;  Uhlirz,  Jahrb.  Ottos  IL,  S.  217—225. 

')  Boos,  Quellen  II  S.  XXVII.  Derselbe  hat  richtig  erkannt  (Quellen 
I,  353),  dafs  der  in  dem  Lorscher  Briefcodex  vorkommende  Ebbo  eben 
dieser  ist,  nicht,  wie  Ewald  ganz  irrig  annahm,  der  spätere  Bischof  von 
Worms  (NA.  IH,  326). 


Burohaid  von  Worms.     Walther  von  Speier.  399 

dafs  in  übermäfsiger  Weise  darin  Alpert  ausgebeutet  und  sogar 
dessen  Lobpreisung  Ansfrids  auf  Burchard  angewandt  ist'),  so  dafs 
nicht  viel  Eigenes  übrig  bleibt.  Gerade  in  seinem  Schreiben  an 
Alpert,  der  ihm  sein  Buch  über  den  Wechsel  der  Zeiten  übersandt 
hatte,  klagt  Burchard  über  die  mangelnde  Neigung  zum  Studium 
in  der  Wormser  Schule'-).  Noch  am  Anfange  des  folgenden  Jahr- 
hunderts feierte  der  Kleriker  Hermann  in  einem  Cartulare  der 
Wormser  Kirche  Burchard  durch  eine  kurze,  aber  inhaltreiche 
Charakteristik  voll  warmer  Dankbarkeit'^). 

Nach  Spei  er,  wo  schon  Bischof  Godefrid  (9')0 — 961)  seiner 
Kirche  ein  Werk  des  Beda  geschenkt  hatte ^),  verpflanzte  Bischof 
Balderich  (970—987),  gebürtig  aus  Säckingen,  die  Studien  der 
Sanktgaller  Schule,  aus  Avelcher  er  stammte.  Sein  Wohlgefallen 
und  seine  Aufmerksamkeit  erregte  der  Knabe  Walt  her,  den  er 
zu  aller  heidnischen  und  christlichen  Wissenschaft  anleitete.  Cum 
primwn  regno  successit  tertius  Otto,  also  983,  übergab  er  ihm, 
der  nun  Subdiaconus  war,  eine  Schrift  zu  Ehren  des  heiligen  Christo- 
phorus,  welche  die  Nonne  Hazecha,  Schatzmeisterin  von  Quedlinburg, 
ihm  zur  Korrektur  überreicht  hatte.  Aber  entweder  wurde  sie 
wirklich  verloren,  wie  Walther  an  Hazecha  schrieb,  oder  er  fand 
sie  zu  schlecht:  genug,  Walther  verfafste  ein  eigenes  Werk  über 
den  heiligen  Christoph  in  Prosa  und  in  Versen ,  ganz  in  dem  ge- 
spreizten ,  mit  Gelehrsamkeit  überladenen  Stile  der  Zeit ;  in  zwei 
Monaten  behauptet  er  beides  vollendet  zu  haben.  Voran  schickte 
er  ein  Buch  mit  dem  Titel  Scholasticus,  worin  er  seinen  eigenen 
Bildungsgang  schildert,  dunkel  und  oft  schwer  verständlich,  aber 
doch  wertvoll  für  die  Kenntnis  der  damaligen  Schulstudien,  in 
welchen  eine  ansehnliche  Zahl  klassischer  Autoren  im  Vordergrunde 
steht.  Walther  schickte  später  nach  des  Bischofs  Tode  sein  Werk'^) 
auch  ad  collegas  urbis  Sedinarum,  d.  h.  doch  wohl  nach  Salzburg, 

')  NA.  XIII,  197-202. 

-)  MGr.  SS.  IV,  701 .  angef.  von  Giesebreeht  II ,  605 :  nostris  pueris 
praesentibus  super  hoc  dolui.  scilicet  quod  his  temporibus  sunt  nulli  vel 
vix  paucissimi,  qui  ad  studendum  inveniantur  idonei  vel  quibus  voluntas 
sufficiat  studendi.  Er  citiert  weiterhin  unter  dem  Namen  Severinus  den 
Boethius  in  Porphyrium  (dial.  1,  Mii^ne  LXIV,  1). 

3)  MG.  SS.  IV,  829. 

■*)  Brit.  Mus.  Addit.  23931 ,  wo  der  erste  von  drei  Widmungsversen 
lautet:  Me  Godefrid  sanctae  presul  dedit  ecce  Mariae.  Diese  Widmungs- 
verse kehren  in  der  Hs.  Wien  806  (aus  der  Wormser  Dioec.)  wieder, 
können  aber  dort  nur  abgeschrieben  sein.  Vgl.  Steinmej-er,  Ahd.  Gl. 
IV,  494. 

^)  Waltherus  S/jirensis  de  pas^ione  S.  Christof >Jiori,  bei  B.  Pez ,  Thes. 
II,  3,  27-122.     Prantl,  Gesch.  der  Logik  II,  .52,  hat  auf   dieses  Werk 


400  ^^^-  Ottonen.     §  6.   Mainz.     Hessen  und  Franken. 

an  Liutfred,  Benzo*)  und  Friedrich.  Damals  scheint  er  demnach 
die  Speierer  Schule  geleitet  zu  haben  ;  von  1004 — 1027  ist  er  selbst 
wahrscheinlich  Bischof  von  Speier  gewesen')  und  wäre  dann  auch 
derselbe,  der  den  Burchard  von  Worms  bei  seineu  Arbeiten  unter- 
stützt hat. 

In  besonderer  Ausführlichkeit  tritt  uns  hier  eine  Richtung  der 
Studien  entgegen ,  welche  wir  noch  an  vielen  Orten ,  wie  z.  B.  in 
Lüttich ,  zu  berühren  haben  werden ;  für  die  Geschichtschreibung 
aber  blieb  Speier  völlig  unfruchtbar. 

Von  der  Wirksamkeit  Stephans  von  Novara  in  W  ü  r  z  b  u  r  g 
war  schon  (oben  S.  352)  die  Eede.  Vom  Bischöfe  Heinrich  (995  bis 
1018)  stammen  die  schönen  Einbände  Würzburger  Handschriften 
mit  Schnitzereien  in  Elfenbein  und  der  Aufschrift:  Devota  mente 
Heinrico  praecipiente  ^).  Aus  der  Zeit  nach  der  Begründung  des 
Chorherrenstiftes  Petri,  Pauli  et  Stephani  im  Jahre  1018  besitzen 
wir  ein  Gedicht  zum  Preise  der  Wüi'zburger  Schule,  welches  gegen 
einen  mifsgünstigen  Wormser  gerichtet  ist'*).  Neben  Würzburg 
freilich  erhob  sich  als  Stätte  der  Wissenschaft  in  wachsendem  und 
verdunkelndem    Glänze   das    von   Heinrich  II.    so    stark  bevorzugte 

aufmerksam  gemacht;  Remling  in  seiner  Gesch.  der  Bischöfe  von  Speier 
I,  252  erwähnt  es  unter  Bischof  Walther.  Mabillon  (Anal.  vet.  p.  11) 
sah  die  Hs.  in  St.  Emmeram;  jetzt  liegt  sie  in  München  als  lat.  14798. 
Vgl.  W.  Harster,  Walther  von  Speier,  ein  Dichter  des  10.  Jahrli.,  Speier 
1877  (Beigabe  zum  Jahresber.  der  k.  Studienanstalt),  wo  nachgewiesen  ist, 
dafs  aus  einer  vielfach  mifsverständlichen  Bearbeitung  des  griechischen 
Textes  sich  die  spätere  Form  der  Legende  entwickelt  hat;  doch  hat 
Schönbach,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XXIV,  Anz.  S.  155 — 172,  Einwendungen 
dagegen  erhoben.  Ausgabe  von  Harster  als  Beigabe  zum  Jahresber.  1878. 
Anz.  von  Pannenborg,  GGA.  1879  Nr.  20;  von  Nolte,  Zeitschr.  f.  öst. 
Gymn.  1879.  XXX,  617 — 629 ;  von  Bursian,  Jahresber.  der  class.  Alter- 
thumswiss.  1878  S.  104  (I  v.  144  lies  Graiugenas).  Vgl.  Ebert  III,  333 
bis  339 ;  Hauck  III,  824—326 ;  Konr.  Richter,  Der  deutsche  S.  Christoph, 
in  Henning  u.  Hoffory,  Acta  Germanica  I  (1896) ,  1 — 34,  und  über  diese 
Schrift  Schönbach,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XLI,  Anz.  S.  159—163. 

^)  Den  Salzburger  Benzo  glaubte  Schepfs  in  einer  Erzählung  Diet- 
richs von  Amorbach  in  dessen  Kommentare  zu  den  kathol.  Briefen  zu 
erkennen,  NA.  XIX,  221;  doch  ist  dies  unmöglich,  weil  Dietrich  von 
einem  Salzburger  Erzbischofe  dieses  Namens  spricht,  bei  dem  man  ge- 
nötigt ist  an  Piligrim  (907 — 923)  zu  denken,  für  den  die  Koseform  Panzo 
vorkommt,  vgl.  Dümmler,  Ahhandl.  d.  Berl.  Ak.  1894  S.  6. 

^)  Ueber  Walther  von  Speier  s.  Brefslau,  Jahrb.  Konrads  II.  I,  465 
bis  466.     Seine  Grabschrift:  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XIV,  46. 

')  Schepfs,  Die  ältesten  Evangelienhandschriften  der  Univ.-Biblioth. 
(Würzburg  1887)  S.  3  u.  30;  Westwood.  Ivories  (London  1876)  S.  475. 

*)  Apoloyia  pro  schola  Wirtzburgensi  ed.  Pez,  Thes.  VI,  1,  189  —  199. 
Vgl.  Zeitschr.  f.  D.  Philol.  XV,  423—430.  Der  Bischof  wird  darin  ge- 
priesen V.  24  „Ipse  poetarum  fulget  decus  omnigenarum"  und  v.  26 
„Praeter  scripturae  Studium  nihil  e.st  sibi  curae". 


Würzburg.     Bamberg.  401 

Bamberg')  (s.  oben  S.  355).  In  54  schwerfälligen  und  schwülstigen 
Hexametern  pries  Abt  Gerhard  von  Seeon  zwischen  1012  und 
1014  die  neue  Stiftung-),  und  mit  nicht  minder  gesuchten  und 
pedantischen  Anreden  in  Prosa  und  in  Versen  begleitete  der  Bam- 
berger Diaconus  B  e  b  o  Abschriften  von  Büchern,  welche  der  Kaiser 
Heinrich  hatte  machen  lassen  ^) :  er  rühmt  darin  Heinrichs  Be- 
mühungen, den  Landfrieden  herzustellen,  und  seine  Schilderung  von 
Benedikts  VIII.  Besuche  in  Bamberg  1020  ist  von  Adalbert  in  seiner 
Biographie  Heini-ichs  11.  benutzt  worden. 

§  7.     Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

Wir  haben  in  Sachsen  die  neue  Entwickelung  litterarischer 
Thätigkeit  unter  der  unmittelbaren  Einwirkung  des  Ottonischen 
Hauses  betrachtet,  und  auch  in  Lothringen  ist  es  ein  Ludolfinger, 
der  Kirche  und  Schule  zu  neuem  Leben  weckt,  unter  dessen  Pflege 
überall  frische  Keime  hervorspringen,  die  bald  zu  reicher  Fülle 
sich  entfalten. 

Noch  mehr  als  Sachsen  war  Lothringen  durch  innere  Zwietracht 
zerrüttet  und  durch  äufsere  Feinde  verwüstet.  Die  alten  Stätten 
der  Kultur,  die  reichen  Bischofsitze  und  Klöster  lagen  grofsenteils 
in  Asche,  und  von  den  Einkünften  der  Stiftsgüter  zehrten  die 
Vasallen,  denen  sie  als  Preis  ihrer  Treue  oder  Untreue  zugefallen 
waren;  kaum  bewahrten  ein  Paar  verwilderter  und  unwissender 
Geistlicher  den  kirchlichen  Charakter  von  Klöstern,  die  man  früher 
weithin  mit  Ehrfurcht  und  Bewunderung  genannt  hatte. 

Durch  Heinrich  und  Otto  wurde  das  fast  verlorene  Land  den 
Westfranken  wieder  entrissen  und  mit  dem  Ostreiche  neu  ver- 
einigt; aber  den  Innern  Frieden  herzu.stellen ,  Ordnung  zu  schaffen 
und  die  beginnende  Reform  der  verwahrlosten  kirchlichen  Zustände 
zu  pflegen  und  zu  befestigen,  das  war  die  schwere  Aufgabe,  welche 
dem  Bruder  Ottos  des  Grofsen,  dem  Erzbischofe  Bruno  von  Köln''), 
zufiel  und  von  diesem  auf  das  glänzendste  gelöst  wurde. 

')  Vgl.  über  die  Bibliothek  von  Kloster  Michelsberg  Brefslau  NA. 
XXI,  141 — 196;  dort  auch  über  die  des  Domes. 

2)  Hirsch,  Heim-ich  II.  1,  554  (vgl.  II,  101).  Jaflfe,  Bibl.  V,  482.  Vöge, 
Deutsche  Malerschule,  Trier  1891,  S.  125. 

^)  Gedr.  v.  Gutenäcker  im  25.  Berichte  d.  bist.  Vereins  zu  Bamberg 
S.  138;  Hirsch  a.  a.  0.  I,  545-554  und  H,  109—112;  Jaffe,  Bibl.  V, 
484 — 497.  Ergänzt  von  Giesebrecht  II,  580  und  im  Kataloge  der  Bam- 
berger Hss.  I,  1  S.  466. 

^)  Ueber  die  beiden  metrischen  Grabschriften  auf  Bruno  vgl.  Dümmler, 
Otto  I.   S.  396   A.  2.     Die  von  Ruotger  (vit.  Brun.  c.  49)   aufgenommene 

W a  1 1  e  u  b  a  c  h ,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  26 


402  III.  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

Wir  haben  schon  oben  (S.  357 — 359)  der  Wirksamkeit  dieses  aus- 
gezeichneten Mannes  gedacht  und  können  um  so  weniger  auf  eine 
ausführliche  Schilderung  eingehen,  da  er  selbst  nicht  als  Schrift- 
steller aufgetreten  ist').  Sein  Leben  hat  uns  einer  seiner  Schüler 
beschrieben,  Ruotger-),  der  Bruno  sehr  nahe  gestanden  hatte 
und  die  ihm  von  dessen  Nachfolger  Folkmar  (965 — 969)  übertragene 
Aufgabe  nicht  ohne  Geschick  gelöst  hat^.  Sein  Werk  gehört  zu  den 
besseren  Biographien  des  Mittelalters,  ist  reich  an  Inhalt,  wenn 
auch  für  unsere  Wünsche  viel  zu  kurz  und  gedrängt,  und  fafst  das 
Wesentlichste  von  Brunos  Leben  und  Wirken  mit  richtiger  Auffassung 
und  wahrheitsgetreu  zusammen.    Die  Sprache  ist  nicht  eben  gewandt, 


steht  auch  in  einer  Hs.  in  Cheltenham ,  vgl.  Cipolla ,  Richerche  suU' 
antica  biblioteca  d.  Novalesa,  Turin  1894,  S.  68  (=  Memorie  Acc.  Tor. 
ser.  II  tom.  XLIV  p.  200)  und  in  einer  Hs.  aus  St.  Bertin,  jetzt  in 
Boulogne.  In  dieser  sind  damit  verbunden  andere ,  mit  griechischen 
Worten  prunkende  Epitaphien  aus  Brunos  Schule,  vielleicht  von  Ruotger; 
eines  wahrscheinlich  auf  die  Aebtissin  Hathuwig  von  Essen  (f  18.  Juli 
947) ,  eines  auf  den  Kölner  Bürger  Wolfrad ;  vgl.  NA.  X,  346.  Ferner 
steht  hier  auch  die  zweite  Grabschrift  auf  Bruno,  herausg.  v.  Dümmler, 
Otto  I.  S.  594.  lieber  Brunos  Grab  s.  Kleinermanns ,  Die  Heiligen  auf 
dem  erzbischöfl.  Stuhle  von  Köln  I,  169 — 174.  —  Das  gleichfalls  von 
Ruotger  überlieferte  Testament  des  Bruno  schrieb  Froumund  v.  Tegernsee 
in  Köln  ab,  vgl.  Schepfs,  HsL  Studien  zu  Boethius,  Würzburg  1881,  S.8; 
über  eine  andere  alte  Lorscher  Abschrift  vgl.  NA.  VIII,  191. 

')  Die  von  Peiffer  aufgewärmte  Nachricht  von  Kommentaren  zum 
Pentateuch  und  zu  den  Evangelien ,  die  er  verfafst  haben  soll ,  ist  un- 
glaublich. Man  kann  Ruotger  und  der  Kölner  Kirche  den  Schimpf  nicht 
anthun,  anzunehmen,  dafs  sie  das  gänzlich  vergessen  haben  sollten.  Da- 
gegen auch  Cardauns,  Städtechroniken  XII  p.  LV. 

2)  Ruotgeri  Vita  Brunonis  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  252—275  und  auch 
besonders  abgedruckt.  Varianten  bei  B.  Simson  im  Archiv  f.  Gesch.  d. 
Niederrh.  VII,  167—172.  Uebersetzung  von  Jasmund,  1851 ;  2.  Aufl.  1890 
in  Geschichtschr.  Bd.  30  (X.  3^;  vgl.  Gundlach,  Heldenlieder  I.  171—183. 
Vgl.  Giesebr.  I,  781 ;  Textkritik  ebd.  S.  830  u.  bei  Dümmler,  Otto  I.  S.  372. 
Ebert  III,  447 — 450.  Janssen  in  den  Annalen  des  Niederrh.  bist.  Vereins 
I,  85.  Joh.  Ph.  Peiffer,  Hist.  krit.  Beitr.  z.  Gesch.  Bruns  L,  Köln  1870. 
Strebitzki ,  Quellenkrit.  Untersuchungen  zur  Gesch.  Erzb.  Br.  im  Progr. 
d.  kath.  Gymn.  v.  Neustadt  in  Westpreufsen,  1875.  Dierauer  in  Büdingers 
Untersuchungen  z.  mittl.  Gesch.  II,  1 — 50.  Maurenbrecher,  De  historicis 
X.  saec.  scriptorib,  S.  24 — 27,  dessen  Tadel  die  ganze  Gattung  der 
kirchlichen  Biographie  trifft.  Seiner  künstlichen  Deutung  der  Stellen 
über  die  Motive  der  Empörer  kann  ich  nicht  beistimmen ;  vgl.  Rommels 
Aufsatz  in  den  Forsch.  IV,  121 — 158,  Maurenbrechers  Entgegnung  ib. 
587—598  und  Dümmler,  Otto  I.  S.  212.  F.  Jung,  Progr._  des  Gymn. 
Friderician.  zu  Schwerin  1901,  handelt  über  die  Glaubwürdigkeit  R.s. 

')  Die  Biographie  mufs  zwischen  968  und  969  entstanden  sein,  da 
sie  Folkmar  (f  969)  gewidmet  ist  und  die  Königin  Mahthilde  (f  968) 
als  ,diva  mater"  erwähnt  (c.  42).  Zugleich  folgt  hieraus,  dal's  Watten- 
bach und  Dümmler  (Otto  I.  S.  466  A.  4)  gegen  Hauck  (III,  31.  987) 
Recht  hatten,  967  als  Todesjahr  Folkmars  abzulehnen. 


Bruno  von  Köln.  403 

sondern  schwülstig  und  von  den  üblichen  Ausdrücken  der  kirchlichen 
Redeweise  erfüllt,  aber  frei  von  Fehlern ;  man  erkennt  die  gute  Schule 
darin,  voa  welcher  auch  die  noch  zahlreich  erhaltenen  Handschriften 
der  Kölner  Dombibliothek  aus  dieser  und  der  nächstfolgenden  Zeit 
Zeugnis  geben.  Dem  Frudentius  entlehnte  er  einen  Vers  zur  Cha- 
rakteristik Ottos  1.,  und  auch  Citate  aus  Virgil  und  Terenz,  aus 
Pei'sius,  Juvenal,  Cicero  und  Sallust  fehlen  nicht'),    wie   dies  jetzt 

A.  Mittag-)  aufs  genaueste  dargelegt  hat,  indem  er  auch  die  Ab- 
hängigkeit von  Augustinischen  Ideen  nachweist.  Ein  jüngeres  Leben 
Brunos  aus  dem  12,  Jahrhundert  ist  nur  fragmentarisch  erhalten 
und  sehr  fabelhaft^). 

Für  diese  eifrigen  Studien  zeugen  auch  die  lihrl  2)restiti  de 
armario    S.  Pefri   (oben    S.  315  A.  2);   unter   den  Entleihern   sind 

B.  Adelbold  (von  Utrecht  1010—1026)  und  Abt  Elias  (von  Grofs- 
Sankt-Martin  1004—1042);  sehr  viele  Bücher  aber,  darunter  2  Bibeln, 
3  Virgile,  2  Lucane,  3  Prisciane,  hat  gerade  ein  Unbekannter,  gewifs 
ein  Scholasticus,  dessen  Name  ausgekratzt  ist.  Eine  reich  geschmückte 
und  mit  Versen  ausgestattete  Evangelienhandschrift  liels  durch  den 
Schreiber  Anno  ein  custos  basilicae  Petri  mit  Namen  Gerhous  an- 
fertigen, den  man  wohl  mit  Recht  für  identisch  gehalten  hat  mit 
dem  Erzbischofe  Gero  (969—976),  dem  Bruder  des  Markgrafen 
Thietmar  *).  Diesem  Erzbischofe  ist  die  oben  (S.  47)  erwähnte 
Ursulalegende  gewidmet. 

^)  Düminler,  Forsch.  XII,  445.  Simson,  Arch.  f.  d.  Gesch.  d.  Niederrh, 
VII,  172.     Manitius,  NA.  XII,  369.  370. 

-)  Die  Arbeitsweise  Ruotgers  in  der  V.  Brunonis.  Osterpr.  d.  Askan. 
Gymnas.   Berl.  1896. 

3)  Vita  Brunonis  altera,  MG.  SS.  IV,  275—279.  Vgl.  Vogel,  Ratherius  II, 
14—18.  Peiflfer  S.  13.  Varianten  bei  Simson  S.  163—165.  Wie  Cardauns, 
Städtechron.  XII,  p.  LVI  bemerkt,  mufs  diese  Vita  doch  schon  im 
12.  Jahrhunderte  entstanden  sein,  da  sie  in  den  Ann.  Col.  max.  benutzt 
ist  (ed.  Waitz  jj.  28.  29) ;  ihr  Inhalt  wird  übrigens  dort  schon  z.  T.  als 
unglaubwürdig  abgelehnt:  quia  in  antiquioribus  cronicis  non  invenimus, 
pretereundum  esse  censemus,  wofür  eine  Kölner  Hs.  saec.  XIII  beschöni- 
gend setzt:  quia  in  gestis  de  ipso  specialiter  conscriptis  continentur,  hie 
non  duximus  ponenda. 

*)  K.  Lamprecht  im  NA.  IX,  620—623,  vgl.  Westd.  Zeitschr.  VII  (1888) 
S.  78 — 79;  Sauerland  und  Haseloff,  Der  Psalter  Erzb.  Egberts  v.  Trier, 
Trier  1901,  S.  119  ff.  u.  ö.;  ebd.  Tafel  62.  Haseloff  weist  nach,  dafs 
für  die  Widmungshilder  der  Hs.  die  entsprechenden  Miniaturen  in  des 
Hrabanus  Werke  de  laudibus  s.  crucis  Vorlage  waren.  Arbeitete .  wie 
Haseloff  glaubt,  Anno  in  der  Reichenau,  so  lernen  wir  den  Namen  eines 
damaligen  Kölner  Schreibers  aus  dem  oben  erwähnten  Ausleiheverzeich- 
nisse kennen :  habet  .  .  .  Adelboldus  episcopus  librum  super  psalterium 
optime  scriptum  ad  manum  Wanizonis  de  S.  Gereone  scriptoris  (Zeitschr. 
f.  D.  Altert.  XIX.  467). 


404  III.  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

Zu  Brunos  Gehilfen  bei  seinen  reformatorischen  Bestrebungen 
gehörte  Christian,  der  erste  Abt  des  von  ihm  gestifteten 
Pantaleonsklosters^),  der  ihn  bis  1001  überlebte.  Der  ei'ste  eil- 
fertig errichtete  Bau  stürzte  zusammen,  man  grub  zu  Erzbischof 
Folkmars  Zeit  (965 — 969)  ein  tieferes  Fundament  und  fand  dabei 
Gebeine,  die  einem  heiligen  Maurinus  zugeschrieben  wurden.  Nie- 
mand wufste  etwas  von  ihm,  auch  Stephan  nicht,  der  auf  Abt 
Christians  Gebot,  als  Erzbischof  Gero  schon  tot  war,  eine  Lobschrift 
auf  den  neuen  Heiligen  verfalste;  aber  die  von  ihm  zugefügte  Ge- 
schichte der  Auffindung  mit  den  unvermeidlichen  Wundern  enthält 
einige  geschichtliche  Umstände^).  Ferner  erhielt  das  Kloster  aus 
Rom  durch  die  Kaiserin  Theophano  einen  heiligen  Albin,  von  dem 
man  gar  nichts  wufste,  auf  den  man  aber  die  fabelhafte  Legende 
des  heiligen  Albanus  übertrug;  diese  Schrift  ist  aber  ei'st  aus  dem 
11.  Jahrhundei-te^).  Erzbischof  Everger  (985 — 999)  widmete  der 
Domkirche  ein  mit  besonderer  Pracht  geschriebenes  Lectionar"*).  Als 
er  am  10.  Juni  999  gestorben  war,  wurden  Boten  nach  Italien  an 
Otto  III.  geschickt,  um  sich  den  Kanzler  Heribert  auszubitten ;  von 
diesen  starb  der  Diaconus  Rudolf  in  Rom,  und  es  wurde  ihm  zu 
Ehren  ein  Epitaph  gedichtet''). 

üebrigens  aber  haben  Brunos  Bemühungen  in  Köln  selbst  am 
wenigsten  Frucht  gebracht;  aufser  den  unbedeutenden  kleinen 
Kölner  Annalen*^)  ist  keine  litterarische  Erscheinung  weiter  an- 
zuführen, denn  auch  die  kleine  Chronik  des  Schottenklosters  Grofs- 
Sankt-Martin  ist  eine  moderne  Fälschung'),  und  die  Grün- 
dungsgeschichte   von  Gladbach   und   das  Leben  des  Erzbischofs 

^)  Ruotgeri  Vita  Brun.  c.  28.  Stephanus  in  der  Widmung  der  Trans- 
latio  S.  Maurini  (SS.  XV,  683):  „Compertum  quantum  praestitistis  sae- 
culo,  cari  invicem  et  noti,  et  in  verbis  prudentiae  saepe  admirati". 

2)  Inventio  et  Translatio  S.  Maurini,  Mab.  V,  336—341.  Acta  SS.  Jun. 
II,  279—283.  Ausz.  MG.  SS.  XV,  2,  683—686.  Noch  unbedeutender  und 
später  geschrieben  sind  die  Transl.  S.  ErergisU  von  Tongern  nach  der 
Caecilienkirche  und  Patrocli  von  Troyes  nach  Soest,  MG.  SS.  IV,  279 
bis  281;  Varianten  zu  beiden  bei  Simson  1.  c.  p.  173.  In  diesen  Kreis 
gehört  auch  die  oben  S.  193  erwähnte  ganz  fabelhafte  Vita  Beinoldi.  — 
Die  Miracula  S.  Panfaleonia ,  Jul.  VI,  421 — 426,  sind  späten  Ursprungs 
und  unbedeutend;  über  eine  Leidener  Hs.  NA.  XXIII,  584. 

3)  Translatio  S.  Albini  ed.  L.  v.  Heinemann,  MG.  SS.  XV,  2,  686—688. 
■*)  Eccl.  Colon.  Codd.  p.  60. 

^)  Aus  einer  Pariser  Hs.  herausgeg.  v.  Dümmler,  NA.  II,  601. 

^)  Ann.  Colonienses  776—1028  e  cod.  CII,  MG.  I,  97—99  mit  unzu- 
länglichen Berichtigungen  SS.  XVI,  731  ;  neue  Ausg.  im  Verz.  d.  Köhier 
Handschriften  S.  127  —  131.  Ann.  Colon,  breves  814.898-964.  überliefert 
im  Vat.  Urb.  290  aus  Brauweiler,  MG.  SS.  XVI,  730;  vgl.  Archiv  XII,  262. 

')  Vul.  Oppermann,  Westd.  Zeitschr.  XIX,  271. 


St.  PantaleoD.     Kölner  Annalen.  405 

Heribert  (990— U'21),  eines  Züglings  der  Schule  von  Gorze,  die 
ihrem  Inhalte  nach  hieher  gehören,  sind  doch  erst  in  der  folgenden 
Periode  verfafst  worden.  Mehrere  an  diesen  Erzbischof  gerichtete 
Schriften  haben  wenigstens  ihren  Ursprung  nicht  in  Köln  '). 

Jene  Kölner  Annalen  aber ,  die  bis  939  auf  gemeinsamer 
C4rundlafie  mit  den  alamannischen ,  Eeichenauer  und  St.  Galler 
Annalen  beruhen ,  von  da  an  heimischen  Ursprungs  sind ,  haben 
merkwürdigerweise  einen  weitreichenden  Einflufs  gehabt,  indem  der 
erste,  von  einer  Hand  aus  einer  älteren  Handschrift  überschriebene 
Teil  von  77G — 957  in  die  Annalen  von  Dijon,  mit  diesen  dann  in 
die  von  Rouen,  Caen,  und  anderen  Orten  der  Normandie,  und  weiter 
in  die  angelsächsische  Chronik  und  in  die  Annalen  von  Lund  über- 
gegangen ist,  sowie  andererseits  in  die  Krakauer  Kapitelsannalen"). 

In  Köln  war  wenig  Boden  für  wissenschaftliche,  wenigstens  für 
geschichtliche  Thätigkeit.  Dagegen  regte  sich  in  Trier,  nachdem 
wieder  bessere  Zeiten  gekommen  waren,  der  alte  Geist  aufs  neue. 
Sogar  mitten  unter  den  Stürmen,  welche  das  unglückliche  Land 
verheerten,    hatte  man   im  Kloster  St.  Maximin,  wie  in  Corvey, 


')  Albuinus  heremita  (vielleicht  aus  Gorze,  Hist.  lit.  d.  1.  France  VI, 
553)  widmete  ihm  (und  wohl  früher  auch  dem  Pariser  Canonicus  Arnold, 
vgl.  V.  Rose,  Verz.  der  lat.  Meerman-Hss.  S.  108  f.  u.  Catalogue  general 
des  mss.  des  bibl.  publ.  des  dep.  VII,  108)  eine  Kompilation  moralischen 
und  theologischen  Inhalts,  die  in  Hss.  sehr  häufig  begegnet,  von  der  aber 
nur  die  Einleitung  (bei  Martene  et  Durand,  Coli.  ampl.  I,  360)  und  ein 
sehr  oft  einzeln  überliefertes  Kapitel  de  Antichristo  (in  den  Supplementen 
zu  Augustin  u.  Zeitschr.  f.  D.  Alt.  X,  265)  gedruckt  ist.  In  diesen  beiden 
Stücken  schreibt  Albuin  die  Epistola  Adsonis  de  AtiticJiristo  aus.  Vgl. 
W.  Meyer,  Münchener  SB.  1882,  S.  3  f. ;  Schum,  Catal.  bibl.  Amplon. 
p.  558;  Haureau ,  Notices  et  Extraits  VI,  87;  Sackur,  Sibyllin.  Texte 
S.  99  f.  —  Eine  Hs.  von  Lamberts  Vita  Heriberfci  saec.  XII  aus  Deutz, 
jetzt  Brit.  Mus.  Add.  2678s  (NA.  IV,  373),  enthält  am  Schlüsse  den  von 
Martene  et  Durand ,  Coli.  ampl.  1 ,  357,  herausgegebenen  Brief  mit  der 
üeberschrift :  „nobilissimae  sedis  archiepiscopo  nobiliori  H.  A.  inquilinus 
civis  urbis  Spirae" ,  worin  der  Speierer  Geistliche  sich  über  die  leicht- 
fertige Weise  beklagt,  in  welcher  auch  gebildete  Priester  in  der  Kirche 
die  Sündenvergebung  verkündigen,  „tanta  facilitate  quanta  forsitan  de 
2:>ecunia  propria  obolos  tres  nollent  cuiquam  relaxare".  Dieser  Brief 
ist  wahrscheinlich  an  Heribert  gerichtet.  Verse  an  Heribert  aus  einer 
Trierer  Hs.,  gekünstelt  und  ohne  Inhalt,  NA.  XVI,  178;  diese  und  andere 
bei  Kleinermanns,  Die  Heiligen  auf  dem  erzb.  Stuhle  von  Köln  II,  76 
bis  84. 

-)  Theopold,  Kritische  Untersuchungen  über  die  Quellen  zur  angel- 
sächsischen Geschichte  (1872)  S.  83 — 87.  Die  betreffenden  Stücke  aus 
Annalen  der  Normandie  nebst  Auszügen  aus  den  Fortsetzungen  bis  ins 
14.  Jahrhundert  gibt  Holder-Egger :  E.r  Annalibus  Normannicis,  MG.  SS. 
XXVI,  488—517.  Ueber  die  Krakauer  Ann.  vgl.  Perlbach,  NA.  XXIV, 
270—273. 


406  III-  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

es  nicht  ganz  unterlassen,   einige  geschichtliche  Nachrichten  aufzu- 
zeichnen'). 

Im  Jahre  882  verwüsteten  die  Normannen  das  Stift,  und  auch 
hier  blieben  nur  einige  Weltgeistliche  ohne  klösterliche  Zucht;  im 
Jahre  933  stürzte  die  Kirche  ein.  Aber  schon  934  wurde  die 
Klosterzucht  hergestellt,  und  unter  dem  Abte  Hugo  oder  Ogo^) 
gedieh  das  klösterliche  Leben  so  gut,  dafs  schon  937  König  Otto  die 
Mönche  für  seine  neue  Stiftung  in  Magdeburg  von  hier  entnahm 
(oben  S.  385).  Anno,  der  erste  Abt  von  St.  Moritz,  wurde  950  zum 
Bischöfe  von  Worms  befördert,  der  zweite,  Otwin,  954  zum  Bischöfe 
von  Hildesheim,  während  Abt  Hugo  selbst  945  Bischof  von  Lüttich 
wurde.  Etwas  später  (972)  wurde  Sandrad,  der  erste  Abt  von 
Gladbach,  aus  St.  Maximin  entnommen,  975  Ramwoid,  978  Hart- 
wich, die  Hersteller  klösterlicher  Zucht  in  St.  Emmeram  und  Tegern- 
see^).  Unter  dem  Abte  Wiker  (957 — 966)  verfafste  Sigehard,  ein 
Mönch  von  St.  Maximin,  eine  Schrift  über  die  Wunder  seines  Heiligen, 
welche  über  den  "Verfall  und  die  Herstellung  der.  lothringischen 
Klöster  nicht  unwichtige  Nachrichten  enthält'').  Um  965  wurde 
daselbst  eine  wichtige  Sammlung  für  kanonisches  Recht  zusammen- 
gestellt^). 

1)  Annales  S.  Maximini,  von  708—987,  MG.  SS.  IV,  5—7.  Sie  sind 
bis  840  von  einer  Hand,  und  bis  dahin,  wie  B.  Simsou  bemerkt,  aus  den 
Ann.  S.  Columbae  Senon.  abgeschrieben.   Ueber  die  Hs.  NA.  XXVII,  738. 

'^)  Die  Namen  der  70  Mönche  unter  Ogo  „qui  monasterium  reparavit", 
MG.  SS.  XIII,  .301.  Vgl.  üümmler,  Otto  I.  S.  65.  Nachrichten  über  Kirch- 
weihen in  St.  Maximin  (Weihe  der  Krypte  952  unter  Willer,  einer  Kapelle 
am  2.  März  1018  unter  Winrich)  hatte  Wiithem  aus  verschiedenen  Hss. 
gesammelt;  Ausg.  von  Sauerland  SS.  XV,  2,  1269 — 1272,  mit  Benutzung 
der  einen  inzwischen  wieder  aufgefundenen  Hs. ,  aus  welcher  der  betr. 
Teil  dieser  Notae  S.  Maximini  Trevir.  einzeln  herausgegeben  ist  in  der 
Bibl.  de  FEcole  des  chartes  XLV  (1884),  S.  578,  in  den  SS.  XV,  2,  967 
und  im  Trierer  Archiv  III,  74. 

')  Notizen  über  Hartwich  in  einem  schönen  alten  Evangeliar  aus 
Tegernsee,  NA.  VIII,  877.  SS.  XV,  2,  1067.  Vgl.  Brefslau  im  NA.  XXV, 
665  A.  2. 

■•)  Miracula  S.  Maxi  mini ,  Acta  SS.  Mai.  VII,  25—33.  Excerpta  ed. 
Waitz,  MG.  SS.  IV,  228—234.  Vgl.  Ebert  III,  472  u.  Schepfs,  Zeitschr.  f. 
D.  Philol.  XV,  423.  Zum  Teile  aus  Sigehard  geschöpft  die  Tituli  eines  un- 
genannten Scholasticus,  ed.  Kraus  im  Rheinl.  Jahrb.  L,  205 — 210.  Zwischen 
968  u.  965  wurde  in  St.  Maximin  das  Diptychon  mit  Namen  der  Ott. 
Familie  geschrieben,  Faks.  in  Papebr.  Propyl.  Antiq.  Acta  SS.  Apr.  II; 
Ausg.  mit  Faks.  von  Fr.  X.  Kraus,  Westdeutsche  Zeitschr.  IV,  188—156. 

^)  M.  Sdralek,  Wolfenb.  Fragmente,  Münster  1891,  S.  86—100.  — 
Die  Bibliothek  von  S.  Maximin  mufs  schon  damals  sehr  reich  gewesen 
sein;  der  älteste  Katalog  gehört  erst  dem  12.  Jahrhunderte  an.  Vgl. 
Keuffer,  Jahresber.  d.  Gesellsch.  f.  nützliche  Forsch,  zu  Trier  1899,  S.  48 
bis  94;  Gottlieb,  Ueber  mittelalterl.  Bibliotheken  S.  344—348;  Traube 
NA.  XXVII,  787—739;    Omont,  Notices  et  extraits  XXXVIII,  341—396. 


St.  Maximiu.     Prüm.     Trier.  407 

Auch  Prüm  erholte  sich  wieder,  scheint  aber  in  Regino  (oben 
S.  311)  seinen  einzigen  Historiker  hervorgebracht  zu  haben;  auch  lag 
es  gar  fern  von  der  Strafse,  doch  sammelte  es  in  dem  goldenen 
Buche,  dessen  erster  Teil  nach  920  abgeschlossen  wurde,  sorgfältig 
seine  Urkunden')-  Ein  Verzeichnis  der  Mönche  aus  der  Zeit  zwischen 
948  und  971  hat  sich  darin  erhalten'-).  In  den  letzten  Jahrzehnten 
dieses  Jahrhunderts,  unter  den  Aebten  Hilderich  (t993)  und  Stephan 
(t  1001),  wurde  hier  auf  Kosten  und  Bitten  des  Mönches  Wicking 
ein  sehr  schönes  Antiphonar  geschrieben^).  Von  weiterer  histori- 
scher Litteratur  ist  aus  Prüm  nichts  zu  melden. 

Vom  Erzbischofe  Rotger  von  Trier  (917 — 930)  ist  eine  Samm- 
lung kanonischer  Vorschriften  für  die  Priester  seines  Sprengeis 
zusammengestellt,  wovon  leider  der  Schlufs  fehlt ■*).  Irrig  ist  ihm 
auch  die  eben  (S.  406)  erwähnte  Maximiner  Materialiensammlung 
ähnlicher  Art  zugeschrieben  worden^). 

Der  Erzbischof  Rodbert  (930 — 956),  ein  Bruder  der  Königin 
Mahthild''),  war  ein  gelehrter  Mann,  der  die  Wissenschaft  liebte; 
ein  Brief  Rathers  an  ihn  zeigt  uns,  dafs  er  diesem  einige  Probleme 
vorgelegt  hatte'),  und  Flodoavd  widmete  ihm  sein  grofses  Gedicht 
über    die   Heiligen   und   römischen   Päpste®).     Unter   seinen    Nach- 


')  Thausing  und  Foltz,  Das  goldene  Buch  v.  Prüm,  Mitt.  d.  Inst.  I, 
93—104. 

2)  Lamprecht,  Deutsches  Wirthschaftsleben  III,  319—321. 

')  Wickingi  fidelis  monachi  impensis  atque  precatu:  Paris  Suppl. 
Lat.  641,  jetzt  Lat.  9448,  ausgelegt  Arm.  XIX  n.  198.  Zwei  Miniaturen 
bei  Jules  Labarte,  Hist.  des  arts  industriels,  Album  II,  pl.  XC.  Ge- 
naue Beschreibung  der  Handschrift  und  Angabe  der  übrigen  Litte- 
ratur bei  E.  Bi-aun,  Geschichte  d.  Trierer  Buchmalerei,  WestcT.  Zeitschr. 
Ergänzungsheft  IX  S.  87.  Die  Behauptung,  dals  der  Schreiber  ein  Prümer 
Mönch  Namens  Notker  (oder  Nother)  war,  scheint  sich  nur  auf  einen 
Eintrag  des  18.  Jahrhunderts  zu  stützen.  —  In  dem  oben  (S.  311  A.  1) 
erwähnten  Evangeliar  stehen  Notizen  über  Prümer  Konsekrationen,  aber 
erst  aus  den  Jahren  1098  und  1229;  vgl.  Delisle,  Jounial  d.  Savants  1902 
S.  474  f.  —  Auch  das  Prümer  Lektionar  der  Bibl.  Lindesiana  (jetzt  in 
Manchester)  ist  erst  von  Abt  Ruotbert  (1056 — 1063)  gewidmet  worden; 
Trierer  Archiv  I,  3—17. 

■»)  Arch.  VII,  813,  ungedruckt.     Vgl.  Sdralek  S.  87  f. 

°)  0.  V.  Heinemann,  Cat.  d.  Wolfenb.  Hss.  I,  356  nach  Wasserschieben ; 
berichtigt  von  L.  Weiland,  Zeitschr.  f.  Kirchenrecht  XX,  99 — 101 ;  vgl. 
Sdralek  S.  88. 

6)  Vgl.  Waitz,  Heinrich  I.  (3.  Aufl.)  S.  108  u.  138. 

')  Migne  CXXXVI.  649—651.  Vgl.  Vogel.  Rather  I,  98.  Die  Worte, 
mit  denen  Rather  seine  Abwendung  vom  Altertume  begründet,  sind  dem 
Prologe  des  Persius  nachgebildet. 

®)  Angeblich  ist  der  Erzb.  Ruotger  genannt  (f  930),  wofür  wegen  des 
chronologischen  Widerspruchs  in  Hist.  litt,  de  la  France  VI,  320  Rodbert 
gesetzt  ist.   Vgl.  Dümmler,  Otto  I.  S.  543  und  unten  bei  Flodoard.  —  Lieber 


408  ni.  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

folgern 0  liat  sich  vorzüglich  Ekbert  oder  Egbert  (977—993), 
ein  Sohn  des  Grafen  Dieti'ich  von  Holland,  ein  dauei'ndes  Andenken 
geschaffen  und  nachhaltig  gewirkt.  Sehr  merkwürdige  von  ihm 
gestiftete  Weihgeschenke  in  Emailarbeit 'verwahren  die  Domschätze 
in  Trier  und  Limburg').  In  der  Trierer  Stadtbibliothek  ist  ein 
Fragment  einer  reichverzierten  Abschrift  von  Gregors  I.  Registrum, 
die  er  wohl  zu  Trier  hat  anfertigen  lassen,  mit  Versen  zu  Ottos  IL 
Preise^).  Ihm  ist  der  berühmte,  wahrscheinlich  in  Reichenau  von 
dem  Mönche  Ruodprecht  hergestellte  Psalter  von  Cividale  gewid- 
met""). Reichenau  brachte  ihm  auch  das  prachtvolle  Evangelistarium 
dar,  welches  sich  jetzt  in  der  Trierer  Stadtbibliothek  befindet"^); 
er  machte  Trier  zu  einem  mitwirkenden  Mittelpunkte  der  Kunst- 
thätigkeit.  Ekberts  Bedeutung  zeigt  sich  auch  darin ,  dafs  die 
ältesten  Bischofskataloge  bis  auf  ihn  reichen®).  Nach  langer  Zeit 
des  schweren  Drucks  und  angestrengter  Kämpfe  regte  sich  wieder 
selbstbewufste  strebsame  Thätigkeit.  Mit  Gerbert  war  Ekbert  in 
Verbindung  und  überlegte ,  ob  er  zu  dem  Kreise  hervorragender 
Männer,  welchen  Otto  IL  in  Italien  um  sich  sammelte,  auch  aus 
Trier  Scholastiker  schicken  sollte'). 


eine  Kirchweihe  Rodberts  in  Udern,  einer  Besitzung  des  Kl.  Mettlach,  (932) 
und  eine  Ekberts  in  Luxemburg  (987)  vgl.  MG.  SS.  XV,  2,  1282. 

^)  Erst  Sigebert.  V.  Deod.  c.  2  nennt  Heinrich  (956—964)  u.  Ekbert 
Schüler  des  Erzb.  Brun,  was  nach  Dümmler,  Otto  I.  S.  399,  grundlos  ist. 

-)  Ausgabe  der  Weihinschriften  u.  Litteraturangaben  bei  F.  X.  Kraus, 
Christliche  Inschr.  d.  Rheinlande  II  n.  353  und  n.  457.  Vgl.  St.  Beissel, 
Egbert  v.  Trier  u.  die  byzant.  Frage,  Stimmen  aus  Maria-Laach  1884, 
II  S.  260  ff.;  F.  X.  Kraus.  Gesch.  d.  christl.  Kunst  II,  43  f.;  Haseloff  i.  d. 
gleich  anzuführenden  Werke  S.  113  u.  145;  Braun,  Geschichte  d.  Trierer 
Buchmalerei  (s.  oben  S.  407  Anm.  3). 

')  E.  Braun,  Gesch.  d.  Trierer  Buchmalerei  S.  78  ff.  Das  zu  den  Versen 
(NA.  II ,  437)  gehörige  Blatt  mit  der  Darstellung  Ottos  II.  und  der 
ihm  huldigenden  Nationen  wurde  von  Haseloff  in  Chantilly  aufgefunden  ; 
vgl.  Sauerland  und  Haseloff,  Der  Psalter  Erzbischof  Egberts  von  Trier, 
Trier  1901  (Festschr.  d.  Gesellsch.  f.  nützl.  Forschungen  zu  Trier)  S.  71  ff. 
und  Taf.  49. 

^)  Vgl.  Sauerland  u.  Haseloff  a.  a.  0.  und  dazu  Vöge  im  Repert.  f. 
Kunstw.  XXIV,  469—478. 

^)  K.  Lamprecht,  Der  Bilderschmuck  des  Cod.  Egberti  und  des  Cod. 
Epternac.  im  Rheinl.  Jahrb.  LX  (1881)  S.  56— 112.  F.  X.  Kraus,  Die 
Miniaturen  des  Cod.  Egberti  in  d.  Stadtbibl.  zu  Trier,  Freiburg  1884. 
St.  Beissel,  Die  Bilder  der  Hs.  d.  K.  Otto  in  xA^achen,  Aachen  1886,  S.  9 
bis  18;  S.  17  gegen  Lamprechts  Datierung.  Haseloff  a.  a.  0.  S.  61  ff. 
Ueber  das  dem  Codex  Egberti  verwandte  Evangelistar  der  Abtei  Poussay 
(Paris  lat.  10514)  Haseloff  S.  81  ff. 

«)  Kraus  im  .Jahrb.  d.  Altertumsfr.  im  Rheinland  XXXVIII,  27  ff. 
XLIV,  163-167.     Vgl.  Boehmer,   Fontt.  IV  p.  LIII.     MG.  SS.  XIII,  296. 

')  Hontheim,  Hist.  Trev.  I,  323  aus  Gerberts  Briefen;  scholasticos  deutet 


Kkbert  von  Trier,  409 

Sehr  begreiflich  ist  es  nun ,  daCs  man  gerade  hier  vorzüglich 
dem  Altertume  sich  zuwandte.  Die  alte  Gröfse  Triers,  welche  aus 
den  gewaltigen  Bauwerken  der  Römerzeit  vernehmlich  redete,  und 
die  vielfachen  Ueberlieferungen  aus  der  früheren  Zeit  eines  blühen- 
den kirchlichen  Lebens  forderten  zur  Erforschung  der  Vergangenheit 
auf,  für  welche  es  aber,  nachdem  in  der  normannischen  Verwüstung 
vieles  zu  Grunde  gegangen  war,  an  zuverlässigen  Hilfsmitteln 
mangelte.  Man  bemühte  sich,  Biographien  der  alten  Trierer  Heiligen 
zu  schreiben,  und  überliels  sich  aus  Mangel  an  echten  Nachrichten 
einer  regellosen  Phantasie,  die  zu  immer  unsinnigeren  Fabeleien 
fühi'te.  So  entstand  in  dieser  Zeit  jene  märchenhafte  Urgeschichte 
Triers,  welche  besonders  aus  der  späteren  Bistumsgeschichte  bekannt 
ist^).  Nicht  viel  besser  begründet  ist  auch  das  Leben  des  Diaconus 
Ad  albert,  eines  Gefährten  des  heiligen  Willibrord,  dem  das  Kloster 
Egmond  gewidmet  ist;  Erzbischof  Ekbert,  der  Sohn  des  Stifters -j, 
liefs  um  985  durch  den  Mönch  Ruopert  von  Mettlach  an  der  Saar 
diese  Arbeit  ausführen^);  von  Adalbert  wufste  er  sehr  wenig,  dieser 
war  aber,  wie  Holder-Egger  vermutet^),  der  erste  Abt  von  Echter- 
nach.  Die  in  den  Wundergeschichten  gegebenen  Nachrichten  über 
die  Klosterstiftung  hat  gleichfalls  Holder-Egger  erläutert  und  als  zu- 
vei'lässig  befunden. 

Im  Matthiaskloster  verfafste  im  Anfange  des  11.  Jahrhunderts 
der  Mönch  Dietrich  eine  Schrift  über  die  Auffindung  und  die 
Wunder  des  heiligen  Celsus,  welche  er  seinem  Abte  Richard  widmete. 
Sie  enthält  einige  geschichtliche  Nachrichten  über  den  Erzbischof 
Egbert,  den  Hersteller  des  Klosters,  unter  dem  jene  Gebeine  erhoben 
wurden'^).  Aus  dem  Martinskloster,  der  Stiftung  des  heiligen 
Magnericus,  besitzen  wir  aus  der  Zeit  Kaiser  Heinrichs  IL  eine 
lehrreiche  Aufzeichnung  über  die  Herstellung  desselben  durch  Erz- 
bischof Dietrich  (964 — 977)    und  Papst  Benedikt  VII.,   sowie   über 

er  als  Schüler,  was  Wattenbach  zweifelhaft  ist,  doch  bedeutet  es  dies 
z.  B.  in  den  Fulder  Totenannalen.     Vgl.  HaselofF  S.  145  ff. 

^)  Vgl.  die  \'orrede  zu  den  Gesta  Trevirorum  von  Waitz. 

^)  üeber  die  Egmonder  Büchei'verzeichnisse,  in  denen  auch  die  Gaben 
Ekberts  vorkommen,  vgl.  Gottlieli,  Ueber  mittelalterl.  Bibliotheken  S.  261 
und  461. 

^)  Vita  et  Miracula  S.  Adalberti  Egmondani  Acta  SS.  Jun.  V,  97 — 109 ; 
Mab.  III.  1,  631 — 646  mit  Weglassung  der  Vita;  Auszug  von  Holder- 
Egger,  MG.  SS.  XV,  2,  699—704,  vgl.  S.  1319  und  NA.  XIII,  29—32. 
Nach  der  Weihe  der  neuen  Kirche  1143  wurden  viele  Wunder  hinzuge- 
fügt; vgl.  darüber  und  über  die  ßenutzunff  dieser  älteren  in  einer 
jüngeren  Vita  Adalberti  NA.  XXVI,  269  n.  41. 

*)  Vgl.  dagegen  Hauck  I,  423. 

'=)  Ex  tramlutione  S.  Celsi  ed.  Waitz,  MG.  SS.  VIII,  204—208. 


410  III.  Ottouen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

die  Unthaten  des  Probates  Adelbero  von  St.  Paulin ,  der  unter 
Liudolf  und  Megingaud  (1008 — 1015)  durch  ungerechte  Vergabungen 
den  Besitz  des  Klosters  wesentlich  schmälerte  0. 

Daneben  aber  wurde  von  einem  Mönche  des  Klosters  St.  Maxim  in 
auch  eine  Geschichte  der  Gegenwart  verfatst,  in  der  Form  ausführ- 
licher Jahrbücher,  welche  wir  wohl  unbedenklich  als  die  beste 
Reicbsgeschichte  dieser  Zeit  bezeichnen  können,  ohne  damit  den 
eigentümlichen  Vorzügen  Widukinds  zu  nahe  zu  treten.  Es  ist  die 
Fortsetzung  der  Chronik  des  Regino,  verfafst  um  das 
Jahr  964  und  bis  967  fortgeführt  von  einem  ungenannten  Mönche 
von  St.  Maximin ,  der  sich  nicht  allein  durch  seine  Schreibart  als 
einen  der  besten  Darsteller  seiner  Zeit  zu  erkennen  gibt,  sondern 
der  auch  aufserdem  eine  ungewöbnliche  Stellung  haben  mufste,  um 
einen  so  klaren  Einblick  in  den  Gang  der  Dinge  zu  erhalten  und 
so  zuverlässige  Nachrichten  sammeln  zu  können.  Dem  Erzbischofe 
Wilhelm  von  Mainz  mufs  der  Verfasser  nahe  gestanden  haben,  be- 
sonders aber  dem  Mönche  Adalbert  von  St.  Maximin,  der  961  als 
Bischof  nach  Rufsland  geschickt  wurde,  966  die  Abtei  Weifsenburg 
im  Elsafs  erhielt  und  endlich  968  auf  den  neuen  erzbischöflichen 
Stuhl  von  Magdeburg  erhoben  wurde,  einem  Manne  also,  der  kein 
gewöhnliches  Mönchsleben  führte^).  Da  nun  gerade  mit  diesem  Jahre 
die  Fortsetzung  abbricht,  so  bat  W.  v.  Giesebrecht^),  besonders  wegen 
des  Berichtes  über  Adalberts  Geschick  in  den  Jahren  961  und  962, 
welchen  kaum  ein  anderer  so  abfassen  konnte,  die  allgemein  ge- 
billigte Ansicht*)  ausgesprochen,  dafs  Adalbert  selbst  als  dieser  Fort- 

^)  Herausgeg.  von  F.  X.  Kraus  in  den  Jahrb.  der  Rheinl.  XLIV,  167 
bis  170,  dann  von  Waitz,  SS.  XV,  2,  739 — 741  als  De  calamitate  abbaiiae 
S.  Martini  Treverensis ;  nicht  von  Eberwin .  aber  in  den  Gesta  Ti-ever. 
benutzt. 

^)  Sickel  im  1.  Ergänzungsband  der  Mitteil.  d.  Inst.  S.  361  hält  ihn 
für  den  Notar  Liutolf  A,  der  953 — 958  und  wieder  seit  962  in  der  k. 
Kanzlei  gearbeitet  hat,  und  diesen  wieder  der  Schrift  nach  für  identisch 
mit  einem  Adalbertus,  der  950  in  Köln  eine  Urk.  des  Erzb.  Wicfrid  re- 
kognosziert (Faks.  Kaiserurkunden  in  Abbildungen,  7.  Lief.  N.  30).  Er 
mufs  sich  dann  aus  der  Kanzlei  ins  Kloster  zurückgezogen  haben,  wo 
wir  959  und  960  als  ürkundenschreiber  einen  Adalbert  finden,  dessen  Stil 
mit  dem  des  Notars  Liutolf  A  die  gröfste  Verwandtschaft  aufweist;  vgl. 
Brefslau,  Zum  Continuator  Reginonis,  NA.  XXV,  664 — 671.  Gegen  Sickels 
Annahme  Uhlirz,  Otto  IL  S.  157  Anm.  20. 

^)  Geschichte  der  Kaiserzeit  I,  778. 

*)  Vgl.  Dümmler,  Otto  I.  S.  321;  H.  Isenbart,  Ueber  den  Verf.  und 
die  Glaubwürdigkeit  der  continuatio  Reginonis,  Diss.  Kiel  1889  (und  dazu 
Kurze,  NA.  XVI,  209);  Dissertation  von  Werra  (unten  S.  411  Anm.  3); 
Ausgabe  von  Kurze  S.  IX  f.;  Gundlach ,  Heldenlieder  I,  200;  Brefslau, 
NA.  XXV,  664;  Sdralek,  Wolfenbüttler  Fragmente  S.  95  ff.;  dagegen  nur 
Ebert  III,  400—401. 


Der  Fortsetzer  des  Regino.  411 

Setzer  der  Chronik  des  Regino  zu  betrachten  sei.  Die  Ereignisse 
in  Italien  sind  ihm  ebenso  gegenwärtig,  wie  die  lothringischen;  er 
teilt,  wie  die  Verfasser  der  alten  Reichsannalen,  die  Gesichtspunkte 
des  Hofes  und  ist  durchaus  nicht  in  provinzieller  Einseitigkeit  be- 
fangen ,  was  bei  einem  Mönche  wie  Widukind ,  der  in  seiner  Zelle 
blieb,  kaum  anders  möglich  war. 

Adalbert  also  kam  962  von  seiner  gefahrvollen  und  gänzlich 
erfolglosen  Sendung  nach  RuI'sland  zurück;  er  fand  jetzt  beim  Erz- 
bischofe  Wilhelm  eine  sehr  liebevolle  Aufnahme  „wie  ein  Bruder 
vom  Bruder".  Wattenbach  hat  daran  die  sehr  zweifelhafte  Ver- 
mutung geknüpft'),  dafs  er  wohl  wirklich  Wilhelms  Bruder  oder 
Halbbruder  gewesen  sein  möge,  ein  Sohn  jener  vornehmen  Wendin, 
welche  Wilhelms  Mutter  war.  Denn  Männer  geringer  Herkunft 
erhielten  damals  nicht  leicht  ein  Bistum,  weil  die  stolzen  Vasallen 
sich  ihnen  nicht  unterordneten,  und  wir  wissen  sonst  gar  nichts 
über  Adalberts  Abkunft.  Der  Erzbischof  befahl  ihm,  die  Ankunft 
des  Kaisers  im  Palaste  abzuwarten,  und  er  wird  sich  dort  wohl, 
trotz  seiner  Erhebung  zum  Abte  von  Weifsenburg,  viel  aufgehalten 
haben;  zuletzt  begleitete  er,  wie  Uhlirz  wahrscheinlich  gemacht  hat^), 
im  Spätherbste  967  den  jungen  Kaiser  Otto  II.  nach  Italien,  wo  er 
zum  ersten  Erzbischofe  von  Magdeburg  erhoben  wurde.  Dadurch 
wird  die  weitere  Fortführung  des  Werkes  verhindert  sein. 

Es  liegt  nun  ferner  die  Vermutung  nahe,  dafs  der  Erzbischof 
Wilhelm  es  war,  welcher,  dem  Beispiele  seiner  Vorgänger  folgend, 
den  Anlafs  zu  diesen  Aufzeichnungen  gab.  Vor  der  Heimkehr  aus 
Rufsland  können  wir  den  Anfang  nicht  ansetzen,  weil  nirgends  vor- 
her die  Aufzeichnung  als  gleichzeitig  erscheint,  vielmehr  die  Kennt- 
nis späterer  Vorgänge  vorausgesetzt  wird  ;  ja,  wie  Werra  ^)  bemerkt, 
setzt  sogar  noch,  was  zu  964  über  den  Grafen  Udo  geschrieben  ist, 
dessen  Unternehmen  im  Jahre  966  voraus.  Es  bedui'fte  also  zur 
Anknüpfung  an  die  Chronik  des  Regino  schriftlicher  Hilfsmittel, 
und  als  solches  diente  vorzüglich  ein  uns  nicht  mehr  erhaltenes 
Exemplar  der  Reichenauer  Annalen ,  reichhaltiger  als  das  uns  be- 
kannte und  kenntlich  durch  die  Benutzung  desselben  Exemplars  in 
Hermanns  Chronik'*).     Sonst  ist  aul'ser  St.  Maximiner  Klosternach- 

')  Einleitung  zur  Uebereetzung  (1890)  S.  VII.  Vgl.  Brefslau,  NA.  XXV, 
671  und  Uhlirz,  Otto  IL  S.  156  Anm.  19 ,  dem  Brefslaus  Einwand  ent- 
gangen ist. 

*)  Gesch.  d.  Erzbistums  Magdeburg  S.  56;  Otto  II.  S.  156. 

^)  Jos.  Werra,  Ueber  den  Continuator  Reginonis.    Diss.  Lips.  1883. 

*)  So  nach  W.  Erben,  NA.  XVI,  613—622,  der  mit  Recht  die  Be- 
nutzung  der  Ann.  Laubac.  und  Sangali.  abweist.     Besonders   beachtens- 


412  111-  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

richten  u.  a.  von  Fr.  Kurze  die  Benutzung  jener  oben  S.  263  er- 
wähnten Fulder  Annalen  nachgewiesen ') ,  die  bis  939  gereicht  zu 
haben  scheinen  und  an  deren  Stelle  er  jetzt  Mainzer  Annalen  setzen 
möchte.  Die  Erzählung  wird  nun  immer  ausführlicher  und  gestaltet 
sich  zu  einer  wirklichen,  wenn  auch  sehr  knapp  gehaltenen  Reichs- 
geschichte ,  ganz  in  der  Weise  der  alten  Reichsannalen.  Der  Ver- 
fasser konnte  aus  eigener  Erfahrung  schöpfen  ;  Mitteilungen  kundiger 
Zeitgenossen  und  Berichte,  besonders  über  die  Vorgänge  in  Italien 
an  den  Kaiserhof,  werden  ihm  nicht  gefehlt  haben,  und  eben  des- 
halb berührt  er  sich  hierin  mit  dem  Bischöfe  Liudprand  von  Cre- 
mona,  der  aus  den  gleichen  üeberlieferungen  schöpfte-).  Für  den 
Zeitraum  von  960  bis  967  ist  keine  andere  Quelle  damit  zu  ver- 
gleichen ^). 

Unter  den  Suffraganen  von  Trier  ist  besonders  Metz  ausge- 
zeichnet durch  wissenschaftliche  Thätigksit  unter  einer  Reihe  treff- 
licher Bischöfe,  welche  den  Glanz  von  Chrodegangs  Zeiten  erneuten. 
Nachdem   der   von  König  Heinrich  927  eingesetzte  Schwabe  Benno 


wert  ist  die  Bemerkung  zum  Jahre  938,  wo  mit  Hermann  „Arnulf  statt 
„Eberhard"  gesetzt,  und  Eberhard  von  Bayern  ganz  aus  der  Geschichte 
gestrichen  wird .  vgl.  jedoch  v.  Ottenthai.  Reg.  des  sächs.  Hauses  S.  45. 
Ueber  andere  Mifsverständnisse  Adalberts  vgl.  Parisot ,  Royaume  de 
Lorraine,  Paris  1899,  S.  594.     Kurze  im  NA.  XXIV,  445—451. 

^)  Dieterich,  Geschichtsquellen  d.  Klosters  Reichenau  S.  193  ff. ,  sieht 
in  Adalbert  auch  den  Verfasser  der  zweiten  Redaktion  der  Compilatio 
Fuldensis. 

^)  E.  V.  Ottenthai  hat  sich  in  den  Mitteil,  des  Inst.  Ergänzungsbd.  IV, 
32 — 76,  viele  Mühe  gegeben,  nachzuweisen,  dafs  die  Nachrichten  über  die 
Einwirkung  des  Kaisers  Otto  auf  den  päpstlichen  Stuhl  bei  dem  Cont. 
Regln.,  Liudprand,  Benedict  von  St.  Andrea  und  im  Liber  pontific.  so 
viel  Uebereinstimmung  zeigen,  dafs  eine  gemeinsame  Quelle  angenommen 
werden  müsse.  Als  solche  vermutet  er  ein  ausführliches  Rundschreiben 
der  Synode  vom  Juni  964.  Aber  auch  schon  Ranke  (Weltgesch.  VIII, 
651 — 655)  wies  die  Aehnlichkeit  von  Liudprands  Hist.  Ottonis  mit  der 
Darstellung  des  Cont.  Regln,  nach,  neben  erheblichen  Verschiedenheiten, 
und  erschlofs  als  Grundlage  eine  offizielle  Relation  (S.  650),  abgefafst 
von  Liudprand  zu  einem  Rundschreiben  für  die  deutschen  Bischöfe. 
Ebenfalls  auf  ein  Rundschreiben  des  Kaisers  als  gemeinsame  Grundlage 
jener  vier  Quellen  verwies  Kortüm  in  einer  Rostocker  Dissert.  von  1899, 
Das  Verwandtschaftsverhältnis  der  vier  Hauptquellen  für  den  Römerzug 
Ottos  I.  Am  meisten  überzeugend  hat  jedoch  K.  Sackur  dargelegt 
(Strafsburger  Festschrift  zur  Philologenvers.  1901  S.  249 — 256),  dafs  die 
gleichzeitige  Anwesenheit  Adalberts  und  Liudprands  am  Kaiserhofe  und 
ihr  mündlicher  Verkehr  jene  Aehnlichkeit  genügend  erkläre. 

^)  Continuator  Reginonis  ed.  Pertz,  MG.  SS.  I,  614—629  und  eine  Er- 
gänzung zum  Jahre  967  SS.  VI,  620.  Neue  Ausg.  von  Fr.  Kurze  1890; 
vgl.  NA.  XV,  324—3.30  und  XXIV,  451—455,  wo  Berichtigungen  zur 
handschriftl.  Ueberlieferung.  Uebersetzung  von  Büdinger  1857;  2.  Ausg. 
1890.  Geschichtschr.  28  (X,  1). 


Mete.     Das  Kloster  Gorze.  413 

im  folgenden  -lahre  von  seinen  Feinden  geblendet  war,  gelang  es 
Adalbero  I.  (929—962),  nach  seiner  anfänglichen  Beteiligung  an 
der  Verschwörung  von  939  eine  gesicherte  Wirksamkeit  zu  gewin- 
nen'). Von  hier  besonders  ging  durch  eigenen  inneren  Antrieb  die 
Klosterreform  aus,  hier  zuerst  fafste  sie  festen  Boden  und  ver- 
breitete sich  dann  auch  weiter  zu  entfernteren  Klöstern :  diese  Er- 
neuerung von  unten  auf  und  von  innen  heraus  ,  welche  allein  für 
die  Wirksamkeit  des  Erzbischofs  Bruno  eine  dauernde  Grundlage 
gewähren  konnte.  Die  Bischöfe  Adalbero  und  Dietrich  beförderten 
die  neue  Richtung  und  die  Thätigkeit  der  Männer,  die  sie  haupt- 
sächlich vertraten ,  auf  alle  Weise ,  und  bald  sehen  wir  die  loth- 
ringischen Klöster  aus  tiefem  Verfalle  sich  zu  einer  neuen  und 
dauernden  Blüte  erheben. 

Der  Mittelpunkt  dieser  Bestrebungen  war  lange  Zeit  das  Kloster 
Gorze  in  der  Nähe  von  Metz,  wo  der  Abt  Eginold  (933—959)2) 
mit  gi'ofser  Anstrengung  und  Aufopferung  die  Zucht  hergestellt 
hatte,  und  nach  ihm  sein  Freund  und  Genosse  Johannes  als  Abt 
(960—974)^)  eine  sehr  einflvifsreiche  Stellung  einnahm,  und  die  neue 
strenge  Zucht  nach  allen  Seiten  verbreitete'').  Schon  941  hatte 
Bischof  Adalbero  mit  König  Ottos  Hilfe  aus  dem  Arnulfskloster 
zu  Metz  die  zuchtlosen  Kanoniker  vertrieben,  und  unter  dem  neuen 
Abt  Arbert,  einem  Mönche  von  Gorze,  die  Benedictinerregel  ein- 
geführt. Dann  war  es  der  Abt  Johannes  von  St.  Arnulf,  welcher 
lange  Zeit  der  Freund  des  Abtes  Johannes  von  Gorze  und  der  Ge- 
nosse seiner  Wirksamkeit  war;  und  dieser  unternahm  es  nach  dem 
Tode  desselben ,  sein  Leben  zu  beschreiben ,  und  begann  die  Aus- 
führung dieser  Aufgabe  mit  besonderer  Liebe  und  gutem  Erfolge, 
wenn  auch  nicht  mit  stilistischer  Glätte.  Die  Wiedergeburt  des 
Klosterwesens  in  Lothringen  liegt  uns  darin  in  sehr  ausführlicher 
Schilderung  vor;  weiterhin  gewinnt  dieses  Werk  noch  eine  ganz 
eigentümliche  geschichtliche  Wichtigkeit  dadurch,  dafs  Johannes  es 
war,  welcher  im  Jahre  953  sich  bereit  finden  liefs,  für  den  König 
Otto  als  Gesandter  zum  Kalifen  Abderrahman  IIL  nach  Cördova 
sich  zu  begeben.  Auch  diese  Reise  ist  hier  sehr  ausführlich  be- 
schrieben,   leider   aber   bricht   unser  Text   mitten   in   dieser  ebenso 

')  Vgl.  Wichmann.  Adalbero  B.  v.  Metz,  Jahrb.  f.  lotbring.  Gesch. 
III,  104. 

2)  „Obitus  Ainokli  abbatis,''  von  dem  Herausgeber  verkannt,  findet 
sich  auch  unter  dem  19.  Aug.  im  Necrol.   S.  Galli  (MG.  Necrol.  I,  479). 

3)  Nach  Dümmler.  Otto  I.  S.  280,  starb  er  am  7.  März  974. 

■*)  Ueber  die  Klosterreform  vgl.  Dümmler,  Otto  I.  S.  303 — 306 ;  Sackur, 
Cluniac.  I,  141  ft'. 


414  ni.  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

merkwürdigen  wie  anziehenden  Darstellung  ab;  das  übrige  ist  ver- 
loren, vielleicht  auch  die  zu  ausführlich  angelegte  Arbeit  nie  ganz 
fertiggestellt  worden.  Schon  einmal,  im  Jahre  978,  als  ein  bedeuten- 
der Teil  vollendet  war,  hatte  der  Verfasser  sie  unterbrochen,  und  es 
bedurfte  des  Zuspruches  der  Bischöfe  Dietrich  von  Metz  und  Folkmar 
von  Utrecht,  um  ihn  zur  Fortsetzung  zu  bewegen;  ob  er  sie  aber 
wii'klich  zu  Ende  geführt  hat,  ist  zweifelhaft  und  kaum  wahrschein- 
lich, zumal  da  er  vor  984  gestorben  ist^). 

Pertz  hat  dem  Abte  Johannes  von  Gorze  verschiedene  Werke 
zugeschrieben,  die  Miracula  S.  Gorgonii,  Vita  und  Miracula  S.  Glo- 
desindis,  endlich  auch  Vita  Chrodegangi;  allein  die  genaue  Unter- 
suchung von  Walther  Schultze^)  hat  ein  ganz  anderes  Verhältnis 
wahrscheinlich  gemacht.  Zunächst  ist  nachgewiesen,  dafs  einzelne 
Erzählungen  der  Mirac.  S,  Gorgonii  mit  der  Vita  Johannis  Gorziensis, 
andere  mit  der  Vita  Chrodegangi  so  weit  übereinstimmen,  dafs  eine 
gemeinsame  Quelle  anzunehmen  ist ;  doch  scheinen  dies  nur  klöster- 
liche Ueberlieferungen  gewesen  zu  sein,  während  man  an  schriftliche 
Aufzeichnungen  nicht  denken  darf.  Die  uns  erhaltenen  Miracula 
S.  Gorgonii^),  die  Wunderthaten  des  Schutzheiligen,  der  schon 
von  Chrodegang  im  Jahre  765  nach  Gorze  gebracht  war,  sind  um 
das  Jahr  965^)  von  einem  Gorzer  Mönche  verfafst,  der  als  Augen- 
zeuge von  dem  Aufstande  des  Herzogs  Konrad  berichtet,  zu  einer 
Zeit,  da  der  Abt  Johannes  in  Spanien  war.  Dagegen  sind  die  Vita 
S.  Glodesindis  und  die  Miracula  S.  Glodesindis '')  um  9b3 
mit  grofser  Vorliebe  für  Adalbero  von  einem  Abte  Johannes  ver- 
fafst, der  in  der  Historia  S.  Arnulfi  als  der  von  St.  Arnulf  be- 
zeichnet ist,  und  es  liegt  kein  Grund  vor,  an  dieser  Nachricht  zu 
zweifeln.     In   der  Vita  Johannis  Gorziensis  hat  er  diese  seine 


')  Vita  Johannis  Gorziensis,  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  335—377.  Die 
Sendung  nach  Cördova  (Vit.  Joh.  Gorz.  115 — 136)  übersetzt  von  Gund- 
lach  ,  Heldenlieder  1 ,  550 — 572.  Vgl.  W.  Giesebrecht ,  Geschichte  der 
Kaiserzeit  I,  506  ff.  784.  842;  Mathieu,  De  Joh.  abb.  Gorz.  vita,  Nancy 
1879.  Dafs  die  Vita  unvollendet  blieb,  sagt  der  Verf.  der  Hist.  S.  Arnulfi 
aus  dem  13.  Jahrhunderte,  für  dessen  Glaubwürdigkeit  Walther  Schultze 
eintritt,  Forschungen  z.  Gesch.  d.  Klosterreform  (Diss.  Hai.  1883)  S.  40 
und  NA.  IX,  507.  Ein  Gedicht  auf  Paulus  und  Seneca  aus  St.  Arnulf 
in  den  Bresl.  philolog.  Abhandl.  II.  3,  63 — 64. 

2)  War  Joh.  von  Gorze  hist.  Schriftsteller?  NA.  IX,  495—512.  Vgl. 
Sackur,  Cluniac.  II,  359—361. 

3)  Miracula  S.  Gorgo7iii  MG.  SS.  IV,  235.  238—247. 

*)  Die  Richtigkeit  dieser  Datierung  schützt  Sackur,  Cluniac.  II,  359 
Anm.  2. 

^)  Miracula  S.  Glodesindis  bei  Mab.  IV,  1,  436;  Auszüge  MG.  SS.  IV, 
236—238;  XXIV,  506  Anm.   Vita  S.  Glodesindis  Migne  CXXXVII,  211—218. 


Johannes  von  Gorze.     Johannes  von  St.  Arnulf.     Kaddroe.       415 

frühere  Schrift  benutzt  und  die  Erzählung  etwas  erweitert;  ebenso, 
wie  es  scheint,  die  Miracula  S.  Gorgonii.  In  beiden  finden  sich 
mancherlei  historische  Nachrichten,  namentlich  über  die  Kloster- 
refonn  im  Sprengel  von  Metz. 

Was  schliefslich  die  Vita  Chrodegangi')  betrifft,  welche 
uns  nur  unvollständig  erhalten  ist,  so  könnte  sie  allenfalls  von 
Johannes  von  Gorze  herrühren ;  sie  ist  aber  mit  einem  grofsen 
Phrasenschwiille  ausgestattet  und  nach  allen  Regeln  der  Rhetorik 
gearbeitet,  was  nicht  zu  der  mangelhaften  Schulbildung  des  Abtes 
Johannes  pai'st,  und  Sackur  will  sie  lieber  dem  9.  als  dem  10.  Jahr- 
hunderte zuschreiben.  Sie  ist  übrigens  nur  aus  denselben  Quellen 
geschöpft,  die  auch  uns  zu  Gebote  stehen,  und  reiht  sich  daher 
den  zahlreichen  Umschreibungen  alter  Heiligenleben  an,  welche 
durch  die  höheren  Anforderungen  der  gebildeteren  Nachfolger  hei-- 
vorgerufen  wurden. 

Eine  kräftige  Stütze  hatte  das  Kloster  Gorze  an  seinem  Schirm- 
vogte Sendebald,  Grafen  von  Toul,  dem  nach  seinem  Tode  eine 
ausführliche  dankerfüllte  Grabschrift  in  ungewöhnlich  guten  Hexa- 
metern gewidmet  wurde-). 

Zu  dem  Kreise  dieser  Reformatoren  gehört  auch  der  Schottenabt 
Kaddroe,  der  zuerst  in  Waulsort  im  Sprengel  von  Lüttich  einem 
Landsmanne  als  Abt  folgte,  von  da  aber  durch  Adalbero  an  das 
Kloster  der  heiligen  Felix  und  Clemens  nach  Metz  berufen  wurde. 
Sein  Leben  ist  auf  Veranlassung  des  Abtes  Immo^)  bald  nach  seinem 
Tode  beschrieben  worden^).  Ihn  und  seinen  Nachfolger  Fingen 
(t  1004)  und  die  Bischöfe,  welche  die  Klöster  und  die  Klosterzucht 
herstellten,  Adalbero    I.   und   Adalbero   IL,   preist    ein  Gedicht   in 

')  Vita  Chrodegangi  ed.  Pertz,  MG.  SS.  X,  552—572.  Pertz,  Ueber 
die  Vita  Chrodegans^i  in  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1852, 
S.  507  ff.  Ebert  III,  469.  Sackur,  Cluniac.  II,  359  A.  1 ;  ein  Anzeichen 
für  höheres  Alter  auch  bei  Traube,  Textgescbichte  d.  Regula  S.  ßenedicti 
S.  728.     Epitaphium  Chrodeganyi  Poet.  Car.  I,  108. 

^)  Herausgeg.  von  Dümmler ,  Zeitschr.  f.  ü.  Alt.  XVIII ,  306 ;  von 
Val.  Rose,  Lat.  Meerman-Hss.  zu  Berlin  S.  241.  Die  Hs.  (Berlin,  Phill. 
1877),  eine  der  bekannten  Martinsammlungen,  in  der  diese  Verse  nach- 
getragen sind,  stammt  aus  Tours  und  wurde  laut  einer  spätei-en  Inschrift 
(bei  Rose  S.  288)  von  B.  Dietrich  an  S.  Vincenz  in  Metz  geschenkt. 

')  Immo  ist  entweder  der  Abt  von  Gorze  (Sackur,  Cluniac.  II,  361) 
oder  der  von  Waulsort  (L.  v.  Heinemann,  SS.  XV.  2,  689). 

'')  Vita  Kaddroae  ahb.  ed.  G.  Henschen,  Acta  SS.  Mart.  I,  474.  Mab. 
V,  489.  Auszüge  MG.  SS.  IV,  483  und  XV,  2,  6«9.  Ueber  die  Glaub- 
würdigkeit der  Vita  vgl.  Sackur.  Deutsche  Zeitschr.  f.  Geschichtsw.  II 
(1889)  S.  342  Anm.  1  u.  Cluniac.  II,  361  f.  Kaddroes Todesjahr  ist  unsicher, 
978  nach  Sackur,  Cluniac.  I,  185  Anm.  1.  und  Scheffer-Boichorst ,  Zur 
Gesch.  des  12.  u.  13.  Jahrh.  S.  357. 


416  III.  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

noch  recht  roher  und  mangelhafter  Form,  welches  vorzüglich  dem 
Ruhme  des  heiligen  Clemens  gewidmet  ist'). 

Wir  erwähnten  schon,  dafs  der  Bischof  Dietrich  I.  von  Metz 
(965 — 984),  ein  Schwestersohn  der  Königin  Mahthild,  der  aus  der 
Schule  des  Erzbischofs  Bruno  stammte-),  nicht  minder  als  Adalbero 
bemüht  war,  seinen  Sprengel  in  jeder  Beziehung  zu  verherrlichen; 
er  beförderte  eifrigst  die  Klosterreform,  und  seinen  Aufenthalt  mit 
dem  Kaiser  in  Italien  970  benutzte  er,  um,  mit  unersättlicher  Gier 
und  in  den  Mitteln  nicht  wählerisch,  zahlreiche  Heiligenleiber  für 
Lothringen  zu  erwerben.  Zugleich  nahm  er  auch  in  der  politischen 
Geschichte  der  Zeit  eine  sehr  bedeutende  Stellung  ein ;  sein  Ruf  war 
auswärts  nicht  der  beste,  Habsucht  wurde  ihm  vorgeworfen;  und 
seine  Untreue  gegen  Theophano,  sein  Abfall  von  Otto  III.  befleckten 
seine  letzten  Jahre  und  gaben  Gerbert,  wenn  er  der  Verfasser  ist, 
Anlafs,  sein  Verhältnis  zu  Karl  von  Lotbringen  in  einem  für  beide 
Teile  gleich  anzüglichen  Briefwechsel  zu  behandeln^). 

Seinen  Aufenthalt  in  Italien  scheint  Bischof  Dietrich  aber  auch 
zu  einer  anderen  Erwerbung  benutzt  zu  haben,  nämlich  zur  Erwer- 
bung der  hinterlassenen  Werke  des  Bischofs  Liudprand  von  Cremona. 
Dieser  soll,  nach  einer  freilich  ganz  unsicheren  Nachricht,  an  der 
Gesandtschaft  teilgenommen  haben ,  welche  971  die  Kaiserbraut 
Theophano  empfing,  und  auf  dieser  Reise  gestorben  sein.  Dietrich, 
der  griechischen  Sprache  nicht  unkundig,  war  zum  Empfange  der 
Prinzessin  972  entsandt.  Nun  enthält  aber,  wie  Fr.  Koehler  nach- 
gewiesen haV),  eine  Metzer  Handschrift  des  10.  Jahrhunderts  aus 
St.  Ai-nulf  Excerpte  griechischer  Stellen  aus  Liudprands  Schriften 
mit  der  Uebersetzung,  und  es  ist  wahrscheinlich,  dafs  in  Metz  auch 
die  Abschrift  angefertigt  ist ,  welche  bisher  irrig  als  Autograph 
Liudprands  betrachtet  wurde '^). 

')  Bis  jetzt  ist  nur  das  Ende  gedruckt,  von  Diimmler.  ISA.  V,  433 
bis  437;  Verbesserungen  NA.  XI,  643. 

^)  Vgl.  über  ihn  Diimmler,  Otto  I.  S.  374;  Reufs,  B.  Theoderich  von 
Metz ,  Eilenburg  1382.  Die  Grabschrift  Dietrichs  aus  einer  Metzer  Hs. 
(jetzt  Berlin  Phill.  1711),  in  der  er  als  Verwandter  des  Kaisers  Otto  ge- 
feiert wird  (cuius  consiliis  iura  dedit  populis)  im  Catalog.  Claromontan. 
p.  173  und  bei  Rose,  Lat.  Meerman-Hss.  S.  226.  Andere  Verse  auf  ihn 
in  der  Metzer  Hs.  215  (Catal.  des  bibl.  des  dep.  V,  95)  mit  dem  Schlüsse: 
me  referente  seiet  Francorum  regia  cortis. 

^)  Olleris,  Oeuvres  de  Gerbert,  p.  19  ff.  und  p.  25—32  d.  Ausg.  von 
Havet,  welcher  aber  nicht  an  die  Autorschaft  Gerberts  glaubt.  Diese 
Briefe  finden  sich  auch  im  Cod.  ep.  Lauresham.,  vgl.  NA.  III,  328.  340. 

*)  Neues  Archiv  VllI,  78. 

•')  Rose  (Lat.  Meerman-Hss.  S.  77)  nimmt  an,  dafs  der  schöne  Codex 
der  Predigten  des  Egino  (B.  v.  Verona,  f  802)  und  des  Ratherius  (jetzt 


Dietrich  uiul  Adalbero  II.  von  Metz.  417 

Die  Stiftung  des  Vincenzklosters  auf  einer  Moselinsel  vor  der 
Stadt  trug  Dietrich  auch  eine  Hiographie  ein'),  welche  aber  nicht 
von  einem  Zeitgenossen,  sondern  erst  ein  Jahrhundert  später  von 
Sigebei't  von  Gerabloux  verfalst  ist.  Aufgenommen  ist  darin  ein 
gleichzeitiger  Bericht  über  die  von  ihm  erworbenen  Reliquien, 
welcher  sich  auch  abgesondert  erhalten  hat").  Auch  das  Kloster 
Epinal  an  der  Mosel  im  Touler  Sprengel  geht  auf  ihn  zurück'). 

Glücklicher  war  sein  nicht  minder  ausgezeichneter  Nachfolger 
Adalbero  II.  (984 — 1005),  der  diese  Wirksamkeit  in  entsprechen- 
der Weise  fortsetzte:  er  fand  einen  ganz  vortrefflichen  Biographen 
an  Constantin,  dem  Abte  des  von  ihm  wiederhergestellten 
Scliottenklosters  St.  Sj-mphorian  zu  Metz'').  Ein  poetisches  Epi- 
taphium, worin  der  Bischof  gar  sehr  gepriesen  wird,  verfafste  Con- 
rad im  Kloster  Saint-Avold  (Sancti  Naboris)  und  überreichte 
es  mit  anderen  Versen  seinem  Abte  Ratram :  beides  steht  in  einem 
Codex  des  Prudentius  (Paris  lat.  8088),  den  er  schön  eingebunden 
und  mit  Randglossen  versehen  hatte,  wofür  er  dieses  Buch  in  einem 
dritten  Gedichte  sich  bedanken  läist:  so  schön  sei  nicht  einmal 
der  Lucan  geziert,  den  Constantin  binden  liefs.  Diesen  Conrad, 
von  dem  es  nicht  sicher  ist,  dafs  er  Mönch  war,  hält  L.  Delisle 
für  den  Metzer  Az'chidiaconus  des  Namens,  welcher  auf  dem  Wege 
nach  Italien  die  eifrigen  Studien  der  Klosterfrauen  in  Zürich  kennen 
gelernt  hatte  und  zugleich  ihren  Kummer,  dafs  der  erste  Band  von 
Gregors  Moralien  ihnen  fehle;  heimgekehrt  übersandte  er  ihn  mit 
einem  artigen  Briefe'^).     Doch  ist   diese  Gleichsetzung   nicht   wahr- 


Berlin  Phill.  1676)  gleichfalls  von  Dietrich  aus  Italien  mitgebracht 
worden  sei. 

^)  Mta  Deodericl  Mettensis  auctore  Sigeherto  Gemblacensi  ed.  Pertz, 
MG.  SS.  IV,  461—484.  Der  p.  477  angeführte  ,quidam  de  neutericis" 
ist  Heirieh  v.  Auxerre.  Verbesserungen  von  Heerwagen,  Forsch.  VIII, 
382.     Erklärung  einzelner  Stellen  von  Dümmler,  Otto  I.  S.  46(i.  483.  491. 

^)  L.  d'Achery,  Spicileg.  V,  139 — 146.  Von  Dietrich  an  St.  Vincenz 
geschenkte  Hss.  sind  Metz  48,  Berlin  Phill.  1622  (Rose  a.  a.  0.  S.  30)  u. 
Phill.   1877  (vgl.  oben  S.  415  Anm.  2). 

')  Eine  Hs.  der  Vita  S.  Goerici  Mett.  ep.  ("y  642  oder  643,  Acta  SS. 
Sept.  VI,  48—54)  aus  Metz,  jetzt  in  Berlin  Phill.  1874  (Rose,  Lat.  Meer- 
man-Hss.  S.  252)  enthält  eine  Nachricht  über  die  Gründung  des  Klosters 
Epinal. 

■•)  Vita  Adalberonis  II.  Mettensis  episcopi  auctore  Constantino  abbate 
ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  658—672;  geschrieben  um  das  Jahr  1015.  Ueber 
Adalbero-;  Todesjahr  1005  (14.  Dez.)  Brefslau  im  Jahrb.  für  Lothring. 
Gesch.  VI  (1894),  283—286;  Hauck  111,  402  A.  5.  Eine  bittere  Klage 
gegen  Dietrich  II.,  den  Nachfolger  des  Nobilis  Ursus  (=  Adalbero)  bei  Val. 
Rose,  Lat.  Meerman-Hss.  S.  9. 

°)   Das  Epitaph,    die  Widmung    an  Ratram    und  die   Verba  libri  bei 

Wattenbacli,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Autl.  27 


418  III-  Ottonen.     §  7.    Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

scheinlicb,  da  jener  Conrad  allem  Anscheine  nach  vielmehr  identisch 
ist  mit  Cuono,  Klosterlehrer  in  St.  Avold,  von  dem  sich  auch  andere 
Verse  auf  einen  von  einem  Uhu  getöteten  Pfau  erhalten  haben  0- 
Solche  Schullehrer  wurden  aber  nicht  Archidiaconen. 

Um  dieselbe  Zeit  schrieb  auch  ein  Mönch  im  Kloster  Horn- 
bach  im  Sprengel  von  Metz  ein  Buch  über  das  Leben  des  heiligen 
Pirmin-),  der  im  8.  Jahrhunderte  das  Kloster  gestiftet  hatte,  und 
widmete  sein  Werk  dem  Erzbischofe  Ludolf  von  Trier  (994; — 1008). 
Es  ist  nur  eine  stilistische  Bearbeitung  der  älteren,  schon  oben 
S.  154  erwähnten  Vita  ohne  geschichtlichen  Wert,  vielleicht,  wie 
schon  Mone  vermutete,  von  dem  Abte  Garemann  von  Hornbach 
(f  1008)  verfafst^).  Dagegen  enthalten  die  von  Mone  zuerst  bekannt 
gemachten  Wunder^)  (bis  1012)  einige  geschichtliche  Nachrichten, 
namentlich  über  Heinrichs  IL  Zug  nach  Lothringen  im  Jahre  1009; 
sie  sind  von  einem  Hornbacher  Mönche  hinzugefügt.  Hier  wurde 
auch  zur  Zeit  Ottos  H.  vom  Schreiber  Eburnant  ein  prächtiges 
Sakramentar  für  den  Abt  Adalbert  hergestellt,  mit  Widmungsbildera 
und  Vei*sen°). 

So  entwickelte  sich  in  Metz  jener  den  Lothringern  besonders 
eigene  Sinn  für  Lokalgeschichte,  der  sich  in  Biographien,  Kloster- 
chroniken und  Schriften  zur  Verherrlichung  der  Ortsheiligen  in  grofser 
Fülle  kundgegeben  hat,  aber  erst  im  folgenden  Zeitalter  zu  voller 
Entfaltung  kommt. 

Schliefslich  ist  noch  ein  Mönch  jenes  schon  erwähnten  Klosters 
des  heiligen  Symphorian  zu  nennen,  der  aber  nur  einen  Teil  seines 
Lebens  im  Metzer  Sprengel  verbrachte,  Alp  er  t  nämlich,  der,  an  das 
Werk   des  Paulus  Diaconus  anknüpfend,   eine    Geschichte   der 

Pertz,  MCt.  SS.  IV,  672;  die  Verba  libri  auch  bei  Delisle,  Cabinet  des 
xnanuscrits:  II.  401.  Der  Brief  bei  G.  v.  Wyfs,  Gesch.  der  Abtei  Zürich, 
Beilagen  S.  37,  N.  37. 

')  Breslauer  Philolog.  Abhandl.  II ,  3  S.  73—74.  In  derselben  Hs. 
akro-,  meso-  und  telestichische  Gedichte  eines  Hatto  miser  an  einen  Abt 
Hardolfus. 

2)  Vita  S.Pirminii,  Mab.  III,  2,  140—153:  Acta  SS.  Nov.  II,  35—47; 
nur  der  Prolog  MG.  SS.  XV,  20.  Vgl.  Mone,  Quellens.  I,  36—38 ;  Stalin 
I,  168;  Rettberg  II,  52.  Ueber  die  geschichtl.  Verhältnisse  vgl.  K.  Brandi, 
Die  Reichenauer  Urkundenfälschungen  (1890)  S.  102  flP. 

2)  De  Smedt  erklärt  sich  wieder  mit  Mabillon  für  Wannann,  späteren 
B.  von  Konstanz  (1026—1034),  als  Verfasser;  Acta  SS.  Nov.  II,  5. 

*)  MiracuJa  S.  Firminii  Hornbaceni<ia ,  Mone,  Quellens.  I,  45—50; 
Holder-Egger,  MG.  SS.  XV,  31—35;  de  Smedt,  Acta  SS.  Nov.  II,  50-54. 

*)  Herausgeg.  von  Dümmler,  NA.  X,  344.  Vgl.  Delisle,  Sacram. 
p.  190;  Sauerland  und  HaselofF,  Ps-alter  Kgberts  v.  Trier  S.  123  f.  Ueber 
diesen  Abt  Adalbert,  den  Wiederhersteller  des  Klosters  Zell,  vgl.  Falk 
im  NA.  XXIII,  557—561. 


Hornbach.     Alpeit  von  Metz,     rtrecht.  419 

Bischöfe  von  Metz')  verfafste,  von  der  leider  nur  zwei  Bruch- 
stücke erhalten  sind.  Er  widmete  sie  dem  Abte  Constantin.  Später 
aber  kam  er  in  den  Utrechter  Sprengel,  und  zwar  nach  Molls  Ver- 
mutung-) in  das  um  diese  Zeit  von  Bischof  Ansfrid  (995 — 1010) 
gegründete  Kloster  bei  Amersfoort.  Es  gibt  nämlich  eine  aus  Alperts 
Werk  abgeschriebene  Vifa  AnsfridP),  die  einem  monachus  Ultraiec- 
tinus  S.Pauli  zugeschrieben  wird;  nach  St.  Paul  aber  wurde  1050 
Amersfoort  verlegt.  Sehr  möglich  ist  es,  dal's  die  Aussendung  einer 
Mönchskolonie  Alperts  Umsiedelung  veranlafste.  An  der  neuen 
Stätte  schrieb  er  um  1022  sein  Buch  über  den  Wechsel  der 
Zeiten  '),  worin  er  in  bunter  Mannigfaltigkeit  von  allerlei  Vorfällen 
aus  diesen  Gegenden  mit  grofser  Lebendigkeit  erzählt:  ein  Vorrat 
geschichtlichen  Stoffes  ohne  bestimmte  Ordnung,  der  um  so  will- 
kommener ist,  da  wir  sonst  nur  wenig  Kunde  von  diesem  entlege- 
neren Teile  des  Reiches  besitzen.  Seinen  Stil  hat  er  besonders  nach 
Caesar  gebildet.  Er  übersandte  das  Werk  dem  Bischöfe  Burchard 
von  Worms,  bei  dem  sein  Bruder  Immo  Diaconus  war.  An  den- 
selben Immo  schickte  auch  der  bald  zu  erwähnende  Gustos  Tielensis 
sein  Werk.  Immo  scheint  dann  an  den  Kaiserhof  gekommen  zu  sein 
und  wurde  um  1036  Bischof  von  Arezzo ;  in  der  Lorscher  Brief- 
sammlung sind  Briefe  von  ihm  und  an  ihn  erhalten^). 

In  Utrecht,  dem  von  den  Normannen  durch  Jahrzehnte  schwer 
heimgesuchten,  folgte  auf  Radbod  (f  917)  Bai  der  ich,  der  Her- 
steller   des  Bistums*^);    ihm    wurde    der  Königsobn  Bruno   zur   Er- 

')  Alperfi  de  episcopi.s-  Metteiisibus  Ubelhis  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  696 
bis  700.  Abgedruckt,  übersetzt  und  erklärt  von  Andr.  Dederich,  Mün.ster 
1859.  Ueber  Benutzung  von  Caesars  Bell.  Gall.  und  anderen  Vorbildern 
in  seinen  Werken  Manitius,  NA.  XIll,  203—208. 

-)  Kerkgeschiedenis  II.  2,  843. 

•=)  Acta  SS.  Mai.  I,  428. 

*)  Älpet-ti  de  diversiiate  temponiw  libri  II  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  700 
bis  723.  Mit  Uebersetzung  u.  Comment.  herausgeg.  von  Dederich,  vgl. 
oben  Anm.  1.  Giesebrecht  II,  557.  Zu  seinen  Quellen  gehört  das  von 
Dümmler  in  Briegers  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  I  (1877) ,  446—450  ab- 
gedr.  Stück:  Jüdische  Proselyten  im  Mittelalter  (I,  c.  7.  II,  c.  22 — 24); 
vgl.  Aronius,  Regesten  d.  Geschichte  d.  Juden  im  fränk.  Reiche   n.  147. 

5)  Vgl.  P.  Ewald,  NA.  III,  824.  Brefslau,  Konrad  II.  Bd.  II  S.  581 
bis  530.  Als  Bischof  von  Arezzo  wird  er  erwähnt  in  der  merkwürdigen 
Kapitelschronik,  NA.  V,  449. 

^)  Seinen  Brief  von  934  an  den  Erzb.  v.  Köln  (bei  Wilhelm  Heda  S.  75) 
nimmt  Moll  I,  271  gegen  Zweifel  in  Schutz.  Bei  dems.  S.  530  u.  MG. 
SS.  XV,  571a  die  Grabschrift  seiner  Eltern.  Unechte  Urk.  von  ihm 
mit  Aufzählung  seiner  Verdienste  um  die  Herstellung  des  Stifts  bei 
S.  Muller,  Het  oudste  Cartular.  van  het  Sticht  Utrecht  S.  222,  vgl. 
S.  LI  f.  Von  Waitz,  Heinrich  I.  (8.  Aufl.)  S.  94  ist  die  Urkunde  zu 
günstig  beurteilt. 


420  ni.  Ottonen.     §  7.   Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

Ziehung  anvertraut.  Er  erneute  die  verwüsteten  Kirchen  und  erhob 
viele  Leiber  der  Heiligen,  holte  auch  964  aus  Veuves  an  der  Loire 
Reliquien^);  seine  Grabschrift  in  der  Martinskirche  rühmte  von  ihm: 

Traiectina  feris  urbs  Denis  versa  latebat, 
Baldricus  priscuin  reddidit  ipse  decus, 

Auspicio  cuius  iam  Pontius,  Agna,  Benignus 
Conservant  urbem,  fulget  et  ecclesia^). 

Es  läfst  sich  erwarten,  dafs  er  in  seiner  langen  Amtsführung 
(bis  976)  wissenschaftliche  Thätigkeit  begünstigt  haben  werde,  wie 
ihm  auch  Hukbald  sein  Leben  des  heiligen  Lebuiu  und  Hukbalds 
Schüler  Judio  Distichen  über  das  Werk  seines  Lehrers  widmeten^); 
Wolbodo  stand  der  Schule  vor,  bis  er  1018  Bischof  von  Lüttich 
wurde,  aber  Erzeugnisse  von  Utrechter  Gelehrten  aus  dieser  Zeit 
haben  sich,  abgesehen  von  dem  schon  (objn  S.  321)  erwähnten  Leben 
Radbods,  nicht  erhalten.  Von  Bischof  Adalbold  werden  wir  bald 
zu  reden  haben. 

Auch  aus  Verdun  verlautet  aus  dieser  Periode  nichts,  mit 
Ausnahme  der  Bistumsgeschichte  von  Berthar,  deren  wir  schon 
(oben  S.  321)  gedachten,  weil  sie  nur  bis  auf  die  Zeit  des  Kaisers 
Arnulf  reicht.  Der  Bischof  Wikfrid  (959 — 984),  ein  geborener  Bayer, 
war  zu  Köln  in  Brunos  Schule  gebildet,  Heimo  (991 — 1024)  unter 
Notker  von  Lüttich.  Aus  St.  Vannes  wurde  bald  nach  962  der 
heilige  Firminus,  ein  alter  Bischof  von  Verdun,  nach  Plavigny  über- 
tragen und  erfüllte  die  auf  ihn  gesetzten  Erwartungen,  indem  er 
von  zahlreichen  Wallfahreim  aufgesucht  wurde  und  der  Ruf  seiner 
Wunderthaten  sich  verbreitete.  Aus  den  umfangreichen  Aufzeich- 
nungen von  drei  Verfassern  im  10.  und  11.  Jahrhunderte,  von  denen 
der  erste  Mönch  von  St.  Vannes  war,  hat  Holder-Egger  Auszüge 
mitgeteilt^). 


^)  Tranf>latio  SS.  Beniqni  et  Agnetis,  Acta  SS.  Jan.  II,  357 — 360.  Aus- 
zug MG.  SS.  XV,  1,  571c. 

')  Kraus  im  Jahrbuch  d.  Altertumsfr.  im  Rheinland  L,  201,  der  v.  2 
irrig  „illi"  statt  des  überlieferten  „illa"  schrieb,  wofür  Wattenbach  „ipse" 
vermutet.  Auch  hat  Kraus  fälschlich  ..Agna"  in  „Agnes"  geändert.  Es  folgt 
noch:  „Obiit  a.  977  cum  vixisset  (leg.  rexisset)  59."  Aehnlich  aus  dem 
alten  Katal.  in  Bijdragen  en  Mededeelingen  XI.  490,  wo  auch  S.  489  das 
eben  erwähnte  Epitaph  seines  Vaters  Ricfrid.  Doch  ist  die  Grabschrift 
Balderichs  schwerlich  alt. 

^)  Ueber  die  Widmung  Hukbalds  in  einer  Werdener.  jetzt  Berliner 
Hs.  vgl.  Val.  Rose,  Verzeichnis  der  lat.  Hss.  zu  Berlin  II,  850;  Judios 
Verse  gab  aus  derselben  Hs.  heraus  P.  v.  Winterfeld,  Poet.  Gar.  IV, 
274—275. 

*)  Ex  TransJatlone  et  Miracitlis  S.  Firmini  FlaviniaceiisibuSj  SS.  XV, 


Utrecht.     Verdun.     Toul.  421 

In  dem  Kloster  S.  Mihiel  an  der  Maas  lehrte  am  Anfange  dieser 
Pei'iode  der  Gi-ammatiker  Hildebold,  ein  Schüler  des  hochgefeierten 
Remigius.  Johannes  von  Gorze  wurde  seiner  Zucht  anvertraut, 
äufserte  sich  aber  ziemlich  ungünstig  über  die  Kenntnisse  seines 
Lehrers  (Vita  c.  10). 

Auch  Toul  besal's  an  Gerhard  (963 — 994),  einem  Schüler 
Brunos,  einen  jener  ausgezeichneten  Bischöfe,  welche  die  Zeit  der 
Ottonen  zieren ;  er  wurde  später  als  Heiliger  verehrt,  und  der  Abt 
Wider  ich  von  St.  Evre  beschrieb  sein  Leben,  jedoch  erst  lange 
nach  seinem  Tode  unter  der  Regierung  Heinrichs  III.  Mit  der 
Klosterreform  hatte  schon  sein  Vorgänger  Gauzlin  (922 — 963)  be- 
gonnen; angeregt  durch  die  vom  Abt  Odo  von  Cluny  zu  Stande 
gebrachte  Reform  des  Klosters  Fleury  hatte  er  936  das  Kloster 
St.  Evre  (S.  Apri)  hergestellt  und  eine  Schule  darin  errichtet,  zu 
deren  Leitung  er  den  noch  jugendlichen  Mönch  Adso')  berief,  welcher 
in  Luxeuil  seine  Bildung  erhalten  und  sich  bereits  durch  seine  Ge- 
lehrsamkeit einen  Namen  gemacht  hatte.  Nicht  ohne  heftige  Kämpfe 
konnte  eine  solche  Reform  durchgeführt  werden ,  und  in  St.  Evre 
wurden  dieselben  in  einem  höchst  eigentümlichen  Gedichte  dar- 
gestellt, der  Ecbasls  cajMvi,  in  einer  der  Tierfabel  entlehnten  Ein- 
kleidung''). Bald  aber  konnten  die  Mönche  von  St.  Evre  schon  dem 
heruntergekommenen  Kloster  Montierender  (monasterium  Der- 
vense)  im  benachbarten  Sprengel  von  Chälons-sur-Marne  aufhelfen. 
Dieses  war  schon  einmal  nach  gänzlichem  Verfalle  unter  Ludwig  dem 
Frommen  827  durch  den  Abt  Hauto  von  Stablo  hergestellt,  aber  nach 
wiederholter  Verwüstung  durch  Ungern  und  Normannen  wieder  völlig 
verwildert.  Jetzt  sandte  Gauzlin  Mönche  von  St.  Evre  unter  dem 
Abte  Alberich  hin,  und  dieser  nahm  auch  Adso  mit  sich,  welcher 
ihm  967  oder  968  als  Abt  folgte.  Befreundet  und  im  regen  Verkehre 
mit  Adalbero  von  Reims  und  Gerbert,   mit  Abbo  von  Fleury  und 


2,  803 — 811.  Vollständig  bei  Calmet,  Hist.  de  Lorraine  III  (nouv.  edit. 
a.  1748)  p.  CCCXXXVII  bis  CCCLXXII. 

')  Ueber  Adso  im  allgemeinen  Sackur,  Cluniac.  I,  176  ff.  und  II,  362. 

^)  Ecbasis  captivi,  Ausgabe  von  Jak.  Griium,  Lat.  Gedichte  des  10.  u. 
11.  Jahrhunderts,  Göttingen  1838;  neue  Ausgabe  von  E.  Voigt,  Strafs- 
burg 1875  (Quellen  u.  Forschung,  z.  Sprach-  u.  Kulturgesch.  d.  germ. 
Völker  VIII).  Vgl.  A'oigt  i.  Jahresber.  d.  Berl.  Friedrichs-Gymn.  1874; 
Zamcke  (gegen  Entstehung  in  St.  Evre).  Berichte  der  sächs.  Gesellsch.  d. 
Wissensch.  1890,  S.  109 — 126;  Peiper,  Anzeiger  f.  deutsches  Altertum  II 
(1876),  S.  87-114;  Traube,  Zeitschr.  f.  deutsch.  Altert.  XXXII  (1888), 
S.  389.  Piper  in  Kürschners  D.  National-Litteratur  I,  289.  Kelle,  Gesch. 
d.  deutschen  Litteratur  I,  Berlin  1892,  S.  209—213.  Ueber  Benutzung 
Fortunats  darin  Manitius,  NA.  XII,  592. 


422  ITI.  Ottonen.     §  7.   Lothringen.     Köln.     Trier.     Metz. 

anderen  hervorragenden  Männern  der  Zeit,  war  er  für  Herstellung 
kirchlicher  Zucht  mit  Erfolg  thätig,  bis  er  endlich  992  auf  einer 
Pilgerfahrt  nach  Jerusalem  seinen  Tod  fand').  Schon  früh  (vor  954) 
hat  er  auf  den  Wunsch  der  Königin  Gerberga  eine  Schrift  über  den 
Antichrist  verfalst"),  und  wahrscheinlich  auch  auf  Bitten  des  Abtes 
Odo  von  Moutier-la-Celle  das  Leben  und  die  Wunder  des  Bischofs 
Frodobert  von  Troyes,  des  Begründers  dieses  Klosters^).  Auf 
Bischof  Gerhards  Wunsch  beschrieb  er  das  Leben  des  heiligen  Man- 
suetus,  dessen  Kloster  Gerhard  hergestellt  hatte.  Wert  haben  nur 
die  hinzugefügten  Wunder  durch  einige  geschichtliche  Nachrichten. 
Dasselbe  gilt  von  dem  Leben  und  den  Wundern  des  heiligen  Basolus, 
welche  Gerbert  und  Adso,  Abt  von  St.  Basle,  von  ihm  erbeten  hatten, 
und  von  einem  ähnlichen  Werke  über  den  heiligen  Aper,  dessen  Autor- 
schaft Waitz  ihm  abspricht,  das  aber  um  dieselbe  Zeit,  nach  der 
Translation  von  978  geschrieben  ist.  Ein  Buch  über  die  Wunder 
des  heiligen  Waidebert,  Eustasius'  Nachfolger,  würde  seine  Anhäng- 
lichkeit an  Luxeuil  bezeugen,  wenn  er  wirklich  der  Verfasser  wäre, 
doch  ist  dies  sehr  fraglich.  Zuletzt  nahm  er  noch  den  heiligen 
Bercharius  vor,  den  Stifter  seines  Klosters,  aber  er  hinterliefs  diese 
Aufgabe  unvollendet;  die  Beschreibung  der  Wunder  wurde  auf  Ver- 
anlassung des  vom  Papste  Leo  IX.  geweihten  Abtes  Bruno  durch  einen 
ungenannten  Mönch  hinzugefügt  und  mit  einigen  schätzbaren  Nach- 
richten über  Adso  versehen*).     Für  die  Klosterschule  von  St.  Evre 

')  Hi  sunt  lihri  domni  abh.  Adsonis ,  quos  in  arca  eins  repperinnis, 
postquam  ipse  Hierosolimam  petiit:  unter  dieser  Ueberschrift  erhielt  sich 
ein  Verzeichnis  seiner  Bibliothek  aus  dem  Jahre  992,  her.  von  Omont,  Bibl. 
de  l'jfjcole  des  eh.  XLII  S.  157—160.  Vgl.  Havet,  Lettres  de  Gerbert  p.  (i. 

^)  Epistola  Adsonis  ad  Gerbergain  regiiuim  de  ortu  et  tempore  Anti- 
christi,  herausg.  von  Sackur,  Sibyllin.  Texte  u.  Forsch.  S.  104 — 113;  vgl. 
W.Meyer,  Ludus  de  Antichristo,  Münchener  SB.  1882,  I,  3  ff.;  Haureau, 
Notices  et  extraits  de  quelques  manuscrits  latins  I,  371.  Ueber  die  Fort- 
wirkung dieser  Schrift  vgl.  oben  S.  405  Anm.  1  und  Riezler,  Hist.  Zeitschr. 
XXXII,  67  ff. 

3)  Vita  S.  Frodoherti,  Acta  SS.  lan.  I,  506—513;  Mab.  II,  626—639 
{=  Migne  CXXXVII,  599—620;  es  folgen  hier  Abdrücke  der  anderen 
hagiographischen  Schriften  Adsos).     Vgl.  Sackur,  Cluniac.  II,  363. 

*)  Miracula  S.  Bercharii,  Mab.  II,  844—861,  ein  Stück  daraus  MG. 
SS.  IV,  487.  Miracula  S.  Mansueti  bei  Calmet,  Hist.  de  Lorraine  I.  Pr. 
p.  86—106;  Acta  SS.  Sept.  I,  637;  Exe.  MG.  SS.  IV,  509—514.  Miracida 
S.  Basoli,  Mab.  IV,  2,  137—142;  vgl.  MG.  SS.  IV,  517.  Miracula  S.  Apri 
bei  Calmet  1.  c.  p.  107—126;  Acta  SS.  Sept.  V,  70;  Exe.  MG_.  SS.  IV,  515 
bis  520  (für  die  Abfassungszeit  beweist  die  von  Sackur,  Cluniac.  II  S.  365 
A.  3  angeführte  Stelle  nichts,  weil  der  Verf  nicht  vom  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts, sondern  vom  Ende  der  Welt  spricht).  Miracula  S.  Waideberti, 
Mab.  III,  2,  452—460;  Acta  SS.  Mai.  I,  277-282;  MG.  SS.  XV,  2,  1170 
bis  1176. 


Adso.     Aynard.  423 

verfafste  969  Aynard,  ihr  Lehrer,  ein  Glosarium  ordine  elemen- 
torum  agregaium  mit  Citaten  aus  Nonius  Marcellus,  Servius,  Horaz 
u.  A.').  Einige  Bücher  aus  seinem  Besitze,  Virgil,  Persius,  Arator, 
Boethius,  erbte  St.  Evre'). 

Im  Anfange  des  11.  Jahrhunderts  wird  die  Schule  des  Bistums 
als  blühend  und  ausgezeichnet  gerühmt;  Brun,  des  elsässischen  Grafen 
Hugo  Sohn,  später  als  Papst  Leo  IX.  genannt,  und  Adalbero  IIL, 
Bischof  von  Metz,  erhielten  hier  ihre  Erziehung.  Wir  erkennen 
darin  wieder  die  Einwirkung  der  beginnenden  Blütezeit  Lüttichs, 
wo  Bischof  Hermann  oder  Hezelo  von  Toul  (lOlS— 1026)  unter 
Notker  gebildet  war. 

§  8.     Lüttich. 

In  Lüttich  hatte,  wie  wir  sahen  (oben  S.  319),  die  gelehrte  Thätig- 
keit  sich  lange  erhalten;  die  Verwüstung  durch  die  Normannen  881 
wird  aber  auch  hier  die  Musen  zum  Schweigen  gebracht  haben.  Am 
Anfange  dieser  Periode  finden  wir  dort  einen  Bischof,  der  sich  als 
Schriftsteller  versucht  hat  und  durch  gelehi-te  Bildung  ausgezeichnet 
war,  Stephan  (901 — 920),  der  in  der  französischen  Hofschule  unter 
Probst  Manno  ein  Mitschüler  Radbods,  dann  Domherr  zu  Metz  ge- 
wesen war^).  Er  selbst  hat  das  Leben  des  heiligen  Lambert  neu 
bearbeitet*)  und  samt  Liedern  zu  Ehren  desselben  Heiligen  dem 
Erzbischofe  Hermann  von  Köln  (890 — 923)  gewidmet,  und  wohl 
schon  vorher  eine  metrische  Bearbeitung  desselben  Stoffes  veran- 
lafst').  Einen  Über  de  divinis  of'ficiis  übersandte  er  Bischof  Ruot- 
bert  von   Metz'').     Hukbald,    der   gelehrte  Mönch   von    St.  Amand, 

1)  Archiv  VII,  1014.  Catal.  des  depart.  V,  187.  Götz,  Berl.  philol. 
Wochenschr.  1889  Nr.  42  S.  1.S31  und  Corpus  Glossarior.  lat.  V.  XXXIV 
und  615—62.5. 

^)  Hi  sunt  libri  inventi  in  armario  S.  Apri  temporibu.t  abh.  Widonis, 
sehr  fehlerhaft  bei  Becker,  Catalogi  bibl.  antiqui  S.  149  n.  68  nach 
Docens  Abdruck  aus  der  Münchener  Hs.,  vgl.  Poet.  Carol.  III,  69  adn.  3 
u.  757.  Der  Katalog  stammt  nicht,  wie  Sackur  sagt,  aus  der  Zeit  des 
A.  Wide,  der  1048  starb,  sondern  ist  seinem  Inhalte  nach  zwischen  1051 
u.  1083  zur  Zeit  eines  späteren  Wido  abgefafst. 

^)  Vgl.  über  ihn  Hist.  lit.  d.  1.  France  VI,  168  —  172  und  Dümmler, 
NA.  IV,  554  f. 

■*)  Vita  S.  Lamberti  auctore  Stephano  episcopo  Leodiensi ,  Acta  SS. 
Sept.  V,  581 — 588;  wichtige  Nachweise  und  Vermutungen  über  die  von 
ihm  benutzten  metrischen  Biographien  des  Cassian,  Quintin  und  Lam- 
bert (vgl.  nächste  Anm.)  von  Winterfeld ,  Poet.  Car.  IV,  232 — 233  und 
bei  den  Ausgaben  der  betr.  Biographien  im  selben  Bande.  Ueber  die 
bisher  nicht  veröffentlichten  Lieder  vgl.  Dümmler,  NA.  IV.  555. 

5)  Vgl.  Poet.  Car.  IV,  157,  v.  543  ff.  und  oben  S.  336- 

«)  Mabillon  sah  die  Handschrift  in  Bobbio.  Mus.  Ital.  I,  216. 


424  Il^I-  Ottonen.     ^  S.    Lüttich. 

übersandte  ibm  907  zur  Prüfung  das  Leben  der  heiligen  Rictrudis 
(vgl.  oben  S.  336).  Nach  Vogels  Vermutung  war  Stephan  der 
Lehrer  des  Ratherius,  jenes  unstäten  Mönches  des  Klosters  Lobbes, 
der  ebenso  sehr  durch  seine  wechselnden  Schicksale,  wie  durch  seine 
umfassende  Gelehrsamkeit,  aber  auch  durch  seine  seltsam  gesuchte 
und  absichtlich  dunkle  tmd  verworrene  Schreibart  merkwürdig  ist. 
Sein  Ehrgeiz,  sein  unverträglicher  Charakter,  sein  beifsender  Witz, 
mit  dem  er  unbarmherzig  die  Fehler  seiner  Zeitgenossen  geil'selte, 
während  er  in  seinen  Bekenntnissen  ebenso  schonungslos  seine  eige- 
nen Sünden  beichtete,  liefsen  ihm  nirgends  Ruhe  und  machten  es 
ihm  unmöglich,  als  Bischof  von  Verona  und  von  Lüttich  den  Wider- 
stand seiner  vornehmeren  und  mächtigeren  Gegner  auszuhalten. 
Seine  Schriften,  so  lehrreich  sie  sind,  können  doch  nicht  als  Ge- 
schichtswerke betrachtet  werden,  und  auch  das  Leben  des  heiligen 
ürsmar  ist  nur  eine  stilistische  Ueberarbeiiung  der  älteren  Legende^). 
Die  grammatischen,  philosophischen  und  theologischen  Studien  waren 
lange  in  Lüttich  allein  vorherrschend,  und  erst  spät  begann  man 
auch  hier  sich  ernstlich  mit  der  Geschichte  zu  beschäftigen,  wenn 
man  es  auch  nicht  ganz  unterlassen  hatte,  kurze  Notizen  am  Rande 
von  Ostercyklen  einzutragen. 

So  wie  Rather  immer  von  neuem  in  die  politischen  Wirren  hinein- 
gezogen wurde,  so  liefsen  auch  in  Lüttich  die  lothringischen  Partei- 
kämpfe lange  keine  ruhige  Entwickelung  friedlicher  Studien  auf- 
kommen.  Von  945  bis  947  nahm  ein  gelehrter  Abt  von  St.  Maximin, 


^)  Ueber  Ptather  (f  974)  vgl.  Vogel ,  Eatherius  von  Verona  und  das 
zehnte  Jahrhundert,  Jena  1854,  2  Bände;  Ebert  III,  373 — 383;  Hauck 
III,  285—297;  Bezokl,  Zeitschr.  f.  Kulturgesch.  I  (1894)  S.  158  ff.  Opera 
edd.  Petrus  et  Hieronymus  fratres  Ballerini  presbyteri  Veronenses,  Ve- 
ronae  1765,  fol. ;  neuer  Abdruck  bei  Migne  CXXXVI;  die  von  Pertz,  MG. 
SS.  III,  451  u.  558  gegebenen  Stellen  sind  aus  der  Translatio  S.  Metronis ; 
die  vermifste  Laubacher  Hs.  der  Praeloquien  mit  Rathers  und  Folcwins 
Grabschriften  jetzt  in  Valenciennes  884  (025).  Nachtrag  zu  den  Werken: 
ein  merkwürdiges  Fragment  einer  an  Balderich  gerichteten  Schrift  Rathers 
über  seine  Verdrängung  NA.  IV,  177 — 180;  eine  ähnliche  fragmentarische 
Klageschrift  Rathers  in  dem  oben  (S.  416  Anm.  5)  erwähnten  Codex  des 
Egino  mit  Predigten  Rathers,  bei  Rose,  Latein.  Meerman-Hss.  S.  80;  ein 
drittes  Fragment  in  einer  Berliner  Hs. ,  nach  einer  Vermutung  Roses, 
ebd.  S.  31  u.  80;  Privileg  Rathers  für  S.  Peter  in  Verona  v.  Jahre  964, 
Spicilegio  Vaticano  I  (1890)  S.  9 — 10.  Eine  neue  Ausgabe  ist  wegen  des 
schlechten  Textes  der  Ballerini  dringend  notwendig.  Ueber  Rathers  aus- 
gebreitete Belesenheit  in  den  Alten  Hauck  III,  286;  über  Kenntnis  des 
CatuU  Hauijt  opusc.  I,  2;  vgl.  oben  S.  407  Anm.  7.  Ueber  den  Stadtplan 
von  Verona  in  einer  Laubacher  von  Rather  mitgebrachten  Hs.  vgl.  oben 
S.  286  Anm.  3  und  Cipolla,  Mem.  dell'  accad.  d.  Lincei,  Ser.  5  vol.  VIII 
(1901). 


Rathev.     Bischof  Notker.  425 

Hugo,  den  Bischofstubl  ein,  von  953  bis  055  Rathev;  aber  dieser 
konnte  nicht  zu  irgend  einer  festen  Wirksamkeit  gelangen,  und  unter 
Balderich,  der  ihn  verdrängte,  fand  die  Wissenschaft  keine  Stätte. 
Dann  aber  wurde  auch  hier  ein  Schüler  und  begeisterter  Verehrer 
Brunos  Bischof:  Ebrachar  (959 — 971),  ein  vornehmer  Sachse, 
bis  dahin  Dekan  zu  Bonn.  Ihn  nennt  als  seinen  Lehrer  ein  sächsi- 
scher Priester  B.  —  von  seinem  Namen  kennen  wir  nur  den  Anfangs- 
buchstaben — ,  der  sich  nach  Ebrachars  Tode  nach  Canterbury  zum 
Erzbischof  Dunstan  begab  und  nach  dessen  Tode  (988)  der  erste 
Biograph  dieses  hervorragenden  IMannes  wurde').  B.  sagt,  Ebrachar 
habe  nicht  ihm  allein,  sondern  mit  ihm  vielen  anderen  zur  Wissen- 
schaft verholfen,  und  in  der  Vita  Balderici  wii'd  Ebrachar  geradezu 
als  der  Begründer  der  Lütticher  Schule  gepriesen^). 

Auf  Ebrachar  folgte  972—1008  Notker,  bis  dahin  Probst  im 
Kloster  St.  Gallen,  ein  Mann,  der  in  jeder  Beziehung  höchst  aus- 
gezeichnet war^)  und  in  Lüttich  jenen  hohen  Glanz  der  Schulen 
begründete,  dessen  Ruf  sich  bald  durch  die  ganze  Christenheit  ver- 
breitete. Bald  strömten  lernbegierige  Jünglinge  von  allen  Seiten  her 
an  der  Maas  zusammen,  während  ebenso  bedeutende  Lehrer  von 
hier  ausgingen  und  den  Wirkungskreis  der  Lütticher  Schule  immer 
weiter  ausbreiteten ;  sogar  in  Paris  bei  St.  Genovefa  lehrte  der 
Lütticher  Hubald  mit  aufserordentlichem  Beifalle.  Aufser  diesem, 
den  Notkers  Nachfolger  Balderich  IL  auch  auf  einige  Zeit  nach 
Prag  sandte,  nennt  Anselni^)  als  Notkers  Schüler  Günther  von 
Salzburg  (1024 — 1025)''),  Ruthard  und  Erluin  von  Cambrai  (979  bis 
995  und  995  bis  1012),  Heimo  von  Verdun  (991-1024),  Hezelo 
von  Toul  (1018-1026),  Adalbold  von  Utrecht  (1010—1026).  Eine 
Vita  Notkeri  aus  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts,  in  welcher  auch 
Hexameter,  Reste  eines  gleichzeitigen  Lobgedichts ,  vorkamen ,  ist 
leider  nur  teilweise  durch  Aegidius  von  Orval  erhalten'''). 


^)  Nach  den  scharfsinnigen  Untersuchungen  von  W.  Stubbs,  Memorials 
of  St.  Dunstan,  Lond.  1874;  vgl.  R.  Pauli,  Hist.  Zeitschr.  XXXV,  199; 
Gott.  Nachr.  1879,  S.  322— .324. 

2)  Vgl.  über  ihn  Dümmler,  Otto  J.  S.  302  Anm.  1;  374  Anm.  1;  397 
Anm.  2 ;  545  Anm.  2. 

*)  Dafs  er  während  der  Minderjährigkeit  Ottos  III.  Italien  als  Regent 
verwaltet  habe,  bestreitet  Kehr,  HZ.  LXVI,  427  Anm.  2. 

*)  MG.  SS.  YII,  205,  c.  29. 

^)  Günther  ist  ein  Sohn  des  Markgr.  Ekkehard ,  kön.  Kanzler  seit 
1009,  vgl.  NA.  XXIT,  147. 

6)  Vgl.  L.  Weiland,  HZ.  XLVI,  496;  G.  Kurth,  Une  biogr.  de  feveque 
Notger  au  XII.  siecle.  Bullet,  de  la  Comm.  roy.  d'hist.  de  Belgique, 
4.  ser.,  t.  XVII  (1891)  n.  4.     Als  den  Verf.  dieser   Vita  Notkeri  vermutet 


426  IIT-  Ottonen.     §  8.   Lüttich. 

Im  Jahre  960  war  im  Kloster  Laub  ach  oder  Lobbes,  das 
bis  dahin  dem  Bischöfe  von  Lüttich  untergeben  war  und  durch 
die  Kämpfe  der  Parteien  und  die  rechtlosen  Zustände  viel  gelitten 
hatte,  das  regelmäfsige  Klostei'leben  unter  einem  eigenen  Abte 
wieder  hergestellt  worden,  und  bald  darauf  begann  man  auch  hier, 
wie  an  so  vielen  anderen  Orten,  Annalen  zusammenzustellen,  viel- 
leicht aber  auch  nur  eine  in  Lüttich  entstandene  und  fortgesetzte 
Kompilation  mit  einheimischen  Notizen  zu  vermehren^).  An  Beda 
und  andere  alte  Chronisten  reihen  sich  Auszüge  aus  der  S.  221 
erwähnten  Chronik  bis  805,  verbunden  mit  Stellen  aus  den  Lauriss. 
mai.  und  Laureshamenses ;  dann  ist  Thegan  benutzt  und  von  840 
an  selbständig  fortgearbeitet,  doch  von  874 — 900  sind  die  Ann. 
Vedastini  vollständig  aufgenommen.  Diese  ziemlich  dürftigen  An- 
nalen wurden  nicht  über  das  Jahr  982  fortgesetzt;  sie  dienten 
aber  in  Verbindung  mit  anderen  Aufzeichnungen  in  Lüttich  im 
Jahre  1000  zur  Abfassung  von  Annalen,  die  von  nun  an  fortgeführt 
wurden.  Sie  sind  verloren,  aber  wie  Waitz  nachgewiesen  hat"), 
bis  1086  in  den  Annales  S.  Jacobi  und  Fossenses,  bis  1056  auch 
in  den  Annales  Laubienses  kenntlich.  Auf  diese  werden  wir  später 
zurückkomm  en . 

Bedeutender  als  jene  Annalen  von  Lobbes  ist  die  Kloster- 
geschichte des  Abtes  Folcwin^,  die  bis  zum  Jahre  980  reicht. 
Ebrachar  hatte  ihn  965  zum  Abte  erhoben,  und  25  Jahre  lang 
verwaltete  er  sein  Amt  in  grofsem  Ansehen  bei  den  trefflichen 
Männern,  welche  um  diese  Zeit  die  verschiedenen  Bischofsitze  zierten. 
Dafs  er  nicht,  wie  31abillon  und  Guerard  meinten,  von  dem  Folcwin 
von  St.  Bertin  zu  unterscheiden  sei,  hat  Holder-Egger  voll- 
kommen überzeugend   nachgewiesen'').     Wir   wissen  daher,    dafs  er 


ü.  Berliere  den  bekannten  Liitticher  Canonicus  Alger,  der  in  Cluny 
Mönch  wurde,  Revue  benedict.  VIII  (1891),  309—312. 

')  Annales  Lohienses ,  her.  von  AVaitz ,  MG.  SS.  XIII,  224—235.  Die 
Sammlung  von  J.  Alexandre,  Chronica  Lobbiensia  etc.,  Lüttich  1878, 
enthält  nur  die  Texte  und  Vorreden  der  älteren  unvollständigen  nach 
Würdtwein  (Nova  Subsidia  dipl.  XIII,  151—214)  gemachten  Ausgaben 
der  Mon.  Germaniae,  SS.  II,  192—195  u.  209—211,  die  jetzt  durch  Waitzs 
Zurückgehen  auf  die  Bamberger  Hs.  des  10.  Jahrhunderts  antiquiert  sind, 
üeber  die  Quellenverhältnisse  in  dem  älteren  Teile  der  Annales  Lobienses 
Tgl.  Kurze,  NA.  XXII,  41  £F.;   v.  Simson,  NA.  XIV,  410  f.  u.  XXV,  179. 

2)  Gott.  Nachrichten  1870  S.  302—309. 

^)  Folcuini  Gesta  ahhatum  Lobiensium  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  52 — 74. 
Ueber  die  Hs.  des  dort  p.  54  mitgeteilten  Epitaphs  vgl.  oben  S.  424 
Anm.  1. 

")  Vgl.  NA.  VI,  415—427.  Ebert  III,  402—405,  stimmt  ihm  bei; 
einen  Zweifel  regt  Puckert  an,  Aniane  u.  Gellone  S.  273  Anm.  20. 


Folcwin  von  St.  Bertin  und  Lobbes.  427 

aus  Lothringen  gebürtig,  vornehmer  Abkunft,  selbst  den  Karo- 
lingern verwandt  war,  stolz  auf  den  Bischof  Folcwin  von  Therouanne 
(817 — 855),  dessen  feierliche  Erhebung  sein  Vater  und  Oheim  be- 
werkstelligt hatten,  und  dessen  Leben  er  beschrieb ')  und  dem  Abte 
Walter  von  St.  Bertin  (c.  970— 98-i)  widmete,  als  er  bereits  Abt 
von  Lobbes  war.  Damals,  als  er  die  darin  stark  benutzte  Vita 
Brunonis  schon  kannte,  hat  er  den  Entwurf  ausgearbeitet,  welchen 
er  viel  früher  in  St.  Bertin  gemacht  hatte,  wo  er  948  als  Knabe 
eingekleidet  wurde.  In  St.  Bertin  hatte  er  auch  bereits  961  die 
Urkunden  des  Stiftes  gesammelt  und  mit  Lebensnachrichten  der 
Aebte  versehen,  auch  nicht  unwichtige  geschichtliche  Nachrichten 
allgemeinerer  Art  eingeflochten  -) ,  sehr  mangelhaft  in  der  Form 
und  sogar  mit  groben  grammatischen  Fehlern.  Die  Quellen,  welche 
darin  benutzt  sind,  hat  Holder-Egger  genau  untersucht^) ;  am  Avich- 
tigsten  darunter  sind  die  Spuren  verlorener  Annalen  von  St.  Bertin, 
welche  auch  in  den  Ann.  Blandinienses  zu  erkennen  sind.  In 
ähnlicher  Weise,  aber  gi-ammatisch  jetzt  besser  ausgebildet,  machte 
er  sich  als  Abt  auch  an  die  Geschichte  von  Lobbes  und  legte  ihr 
die  Urkunden  seines  Klosters  nebst  den  ihm  zugänglichen  Werken 
Einhards,  Flodoards,  Ruotgers  und  anderer  zu  Grunde.  Ist  ihm 
nun  auch  die  Verarbeitung  dieses  Stoffes  wenig  gelungen ,  so  ist 
doch  schon  das  Streben  nach  einer  urkundlichen  Geschichtschi'ei- 
bung  bemerkenswert,  und  für  die  spätere  Zeit,  wo  er  die  eigenen 
Erlebnisse  zu  schildern  hat,  empfiehlt  er  sich  durch  Wahrheits- 
liebe und  Einfachheit,  wenn  auch  die  Kürze  der  Erzählung  unbe- 
friedigt läfst.  Die  Wundermären  der  Patrone  von  Lobbes,  L'i'smar 
und   Ermin,   welche   in    der   Klostergeschichte   enthalten   sind,    hat 


^)  Vita  S.  Folquini  episcopi  Jlorinensis  (Tarvatineniiis)  auct.  FoJquino 
abbate  Laubieusi,  bei  Mab.  Act.  IV.  1.  624 — 629;  bei  Holder-Egger,  MG. 
SS.  XV,  423—430,  vgl.  NA.  VI,  422. 

2)  Folcicini  Gesta  abbat  um  S.  BeHini  Sithiensium ,  herausgegeben 
von  Holder-Egger,  MG.  SS.  XIII,  600—673.  Hier  sind  die  Urkunden 
weggelassen.  Das  ganze  Werk  mitsamt  den  Urkunden,  aber  auch 
mit  späteren  Zusätzen  und  in  der  Ueberarbeitung  des  Alardus  Tassart 
(7  1532)  war  vorher  herausgegeben  von  Guerard ,  Cartulaire  de  l'ab- 
baye  de  Saint-Bertin.  Paris  1841;  dazu:  F.  Morand,  Appendice  au  car- 
tulaire etc.,  Paris  1861  (beide  Werke  aus  der  CoUection  des  documents 
inedits). 

^)  NA.  VI,  428 — 438.  Ueber  Folcwins  Fortsetzer  im  nächsten  Bande. 
Verse  einer  Brüsseler  Hs.  saec.  X  aus  St.  Bertin  zu  einer  Krönungsfeier 
hat  Dümmler  herausgegeben.  NA.  X.  341.  Ueber  ein  besonders  schönes, 
unter  Abt  Odbert  von  St.  Bertin  (989 — lOOS)  von  Heriveus  geschriebenes 
Psalterium  vgl.  Palaeogr.  Soc.  97:  Woltmann.  Gesch.  d.  Malerei  I,  270: 
Goldschmidt,  Albani-Psalter.  Berlin  1895,  S.  4  u.  17. 


428  III-  Ottonen.     §  8.    Lütticli. 

Folcwin  mit  einer  eigenen  Einleitung')  auch  abgesondert  heraus- 
gegeben-). 

Folcwins  Nachfolger  in  Lobbes  war  Heriger  (990 — 1007),  ein 
vertrauter  Freund  des  Bischofs  Notker,  den  er  im  Jahre  989 
nach  Italien  begleitete  und  für  den  er  mit  seiner  Feder  thätig  war, 
während  Notkers  Name  den  Schriften  gröfsere  Autorität  verlieh^). 
So  namentlich  980  dem  von  dem  Bavokloster  zu  Gent  erbetenen 
Werke  über  den  heiligen  Landoald,  auf  welches  wir  zurückkommen, 
und  ähnlich  auch  der  wohl  schon  früher  verfafsten  älteren  Geschichte 
des  Lütticher  Bistums'').  Er  gelangte  damit  aber  nicht  weiter  als 
bis  zum  Jahre  607 ,  so  dafs  das  Buch  als  Geschichtsquelle  kaum 
in  Betracht  kommt;  litterarisch  kann  man  es  leider  nur  als  ein 
ganz  verfehltes  Werk  betrachten  wegen  der  unverständigen  An- 
wendung der  Gelehrsamkeit,  Avelche  dem  Verfasser  allerdings  in 
reichem  Mafse  zu  Gebote  stand.  Aber  kaum  kann  man  einen  übleren 
Gebrauch  davon  machen ,  als  wenn  man  lange  Reden  aus  Stellen 
der  Klassiker  zusammensetzt'')  und  diese  dann  alten  Heiligen  der 
merowingischen  Zeiten  in  den  Mund  legt. 

Bedeutend  und  Lobbes  überragend  tritt  Kloster  Gembloux 
erst  im  nächsten  Zeitabschnitte  hervor.  Doch  mufs  es  eines  über- 
raschenden Fundes  wegen  schon  jetzt  genannt  werden.  Es  war  die 
Stiftung  des  Wiebert,  eines  Mannes  von  sehr  angesehener  Familie, 
der   die   Ritterwaffen   mit   dem  Mönchskleide   vertauschte   und   auf 


')  Ex  nriraculis  SS.  Ursmari  et  Er  mim ,  von  Holder-Egger  heraus- 
gegeben, MG.  SS.  XV,  2,  832. 

^)  Die  verbreitete  Ansicht,  dafs  Folcwin  auch  den  Katalog  der  Biblio- 
thek von  Lobbes  verfafst  habe,  hat  Gottlieb  zuerst  zurückgewiesen,  Lieber 
mittelaltei-l.  Bibliotheken  S.  280—283.  Er  gehört  vielmehr  ins  Jahr  1049 
und  wurde  jetzt  vollständig  herausgegeben  von  H.  Omont,  Revue  des 
biblioth.  I  (1891)  S.  4 — 14.  Nachrichten  über  das  Schicksal  der  Hss.  von 
Lobbes  gesammelt  von  Berliere,  Annales  du  cercle  archeolog.  de  Mons 
XXIII  (1892)  S.  172—176. 

")  Vgl.  über  ihn  Ebert  III,  405 — 409 ;  über  eine  ihm  bisher  fälschlich 
beigelegte  Schrift  JJc  corpore  et  smigiiine  Domini  vgl.  Hauck  III,  320 
Anm.  3  und  über  eine  Schrift  gleichen  Titels,  die  ihm  wahrscheinlich 
zuzusprechen  ist,  die  aber  fast  nichts  Eigenes  enthält,  Dümmler  im 
NA.  XXVI,  755—759  und  XXVII,  325.  Seine  Eegulae  de  numeror.  abaci 
rationibus  hat  Bubnov  herausgeg.,  Gerberti  opp.  mathemat.  p.  205 — 225. 

*)  Gesta  episcoporum  Leodiensium  ed.  Köpke,  MG.  SS.  VII,  134 — 194. 
Die  daraus  auch  abgesondert  herausgegebene  Vita  Remacli  kommt  als 
Notkers  Werk  mit  Widmung  an  Abt  Werinfrid  von  Stablo  vor,  ist  aber 
nach  Köjike  S.  140  von  Heriger. 

^)  Vgl.  Köpke  vor  der  Ausgabe  p.  144 ;  Waitz  noch  einmal  gegen  die 
Behauptung,  dal's  Heriger  Tacitus  Germania  kannte.  Forsch.  X  (1870) 
S.  602.  Das  erlesene  Citat  aus  TibuU  in  c.  55  (p.  189,  18)  steht  auch  im 
Freisinger  Florileg. 


Heriger  von  Lobbes.     Gembloux.  429 

seinem  Erbgute  das  Kloster  gründete,  welches  er  dem  Erluin 
übergab.  Er  selbst  zog  sich  zu  mönchischem  Leben  in  das  Kloster 
Gorze  zurück,  war  aber  auch  kühn  genug,  den  Ungern  auf  ihrem 
Raubzuge  durch  Lothringen  954  das  Evangelium  zu  predigen,  und 
soll  sogar  einige  von  ihnen  bekehrt  haben.  Verschiedene  Anfech- 
tungen bewogen  ihn ,  wohl  schon  im  Jahre  94G,  eine  Bestätigung 
seiner  Gründung  von  Otto  L  auszuwirken').  Doch  hörten  darum  die 
Angriffe  der  Verwandten  und  ihre  Plünderungen  in  Gembloux  jetzt 
und  besonders  nach  seinem  Tode  (23.  Mai  9G2)  nicht  auf.  Die 
Klageschriften,  die  man  deswegen  im  Kloster  nach  allen  Seiten  er- 
gehen liefs,  verhallten  wirkungslos.  Sigebert  fand  ihre  Kladden 
später  in  der  Bibliothek  zu  Gembloux  und  meinte,  man  hätte  damit 
ein  ganzes  Buch  füllen  können"'),  doch  gab  er  selbst  nichts  davon 
bekannt.  Den  Abt  Erluin  traf  inzwischen  eignes  schweres  Geschick. 
Als  er  von  seinem  Gönner,  dem  Grafen  Raginar  dem  Langhalse, 
dem  Kloster  Lobbes  als  Abt  aufgedrängt  wurde ,  verübten  dort 
einige  Mönche  vornehmen  Standes,  die  sich  vor  der  Einführung  der 
Klosterregel  fürchteten  (vgl.  oben  S.  426),  am  20.  Oktober  957  eine 
Grausamkeit  an  ihm,  die  Sigebert  mit  folgenden  Worten  beschreibt^): 
dormitoriuni  nocfu  aggrediuntur,  ipsiim  cxtrahimt  et  protractum 
extra  amhitum  claustri  inhumane  tractant,  oculis  prirant,  parteni 
etiam  linguae  amputant.  Nun  hat  Hampe"*)  in  dem  Deckel  einer 
Brüsseler,  vordem  in  Gembloux  liegenden  Handschrift  die  Bruch- 
stücke zweier  Briefe  gefunden ,  die  aus  Gembloux  gerichtet  sind, 
der  eine  an  einen  Kaiser  (Otto  I.  oder  II.),  der  andere  vielleicht  an 
einen  dem  Verfasser  befreundeten  Grofsen  am  Hofe.  Nach  dem  In- 
halte kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dal's  man  in  dem  ersten  dieser 
allzukurzen  Stücke  den  Ueberrest  einer  der  von  Sigebert  erwähnten 
reclamationes  zu  erblicken  hat.  Hampe  hat  aber  auch  gezeigt,  dals 
sie  nur  von  Erluin  herrühren  können ;  denn  der  Verfasser  bittet 
den  Kaiser  und  seinen  Hof,  den  Klagelaut  der  verstümmelten  Zunge 
nicht  zu  überhören  (neqae  lahia  truncatae  linguae  despiciant),  und 
damit  kann  nur  auf  das  Verbrechen  des  Jahres  957  angespielt 
werden.  Erluin  war  darnach  wie  ein  Märtyrer  nach  Kloster  Gem- 
bloux   zurückgekehrt    und    starb    dort   987.     Er   fand    schon    bald 

')  \g\.  im  allgemeinen  Sackur,  Cluniacenser  II,  170 — 172. 

2)  MG.  SS.  VIII,  533  c.  20. 

3)  Ebenda  p.  532  c.  15. 

")  Vgl.  NA.  XXIII,  384— S89.  Im  letzten  Satze  auf  S.  387  mufs  wohl 
gelesen  werden:  quis  namque  mnquam  referre  potest  omnia  mala,  quae 
facta  sunt  et  quae  lingua  tolerare  valeat  narrave  nulla;  S.  388  1.  Z.  de- 
lerarent  (d.  h.  delirarent)  statt  ^delerent". 


430  in.  Ottonen.     §  8.   Lüttich. 

nachher  einen  Biographen  an  Richarius,  einem  Mönche  von 
Gembloux,  der  seine  recht  fliefsenden  Verse  an  Bischof  Notker 
richtete,  also  zwischen  987  und  1008  geschrieben  haben  muls.  Sige- 
bert  hat  18  Distichen  daraus  in  seine  Klostergeschichte  von  Gem- 
bloux übernommen  und  ihn  auch  sonst  benutzt;  des  ganzen  Werkes 
konnte  schon  er  nicht  mehr  habhaft  werden^). 

Mancherlei  geschichtlicher  Stoif  findet  sich  noch  in  den  Legenden 
und  AVundergeschichten  dieser  Gegenden ;  vorzüglich  lernen  wir  daraus 
die  Grafen  von  Flandern  als  eifrige  Heiligenverehrer  kennen.  So 
wurde  der  Leib  des  heiligen  Win  noch  vor  den  Normannen  von 
Wormhoudt  nach  St.  Bertin  geflüchtet  und  900  durch  Balduin  den 
Kahlen  (879 — 918)  nach  dem  von  ihm  gestifteten  Kloster  Bergues- 
St.-Winoc  oder  Win  n  oxbergen  gebracht,  wo  ein  älteres  Leben 
des  Heiligen  gegen  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  überarbeitet  und 
die  Stiftungsgeschichte  hinzugefügt  wurde-).  Auch  für  diese  be- 
nutzte er  eine  ältere  Vorlage ,  Aufzeichnungen  über  Wunder  des 
heiligen  Winnoch,  die  sich  am  Schlüsse  einer  Handschrift  der  älteren 
Biographie  erhalten  haben,  aber  noch  nicht  gedruckt  sind^). 

Höchst  eigentümlich  haben  sich  die  Nachrichten  aus  den  beiden 
Gent  er  Klöstern  Saint-Bavon  und  Blandigny,  auf  einem 
Hügel  aufserhalb  der  Stadt,  dadurch  gestaltet,  dafs  jedes  von  ihnen 
höheres  Alter  in  Anspruch  nahm  und  ein  durch  Jahrhunderte  hin- 
durch mit  immer  wachsender  Erbitterung  geführter  Krieg  sich 
daraus  entspann.  Ihre  Waffen  waren  echte  und  falsche  Reliquien 
und  Legenden,  Urkundenfälschungen  und  Verfälschung  der  hand- 
schriftlichen Ueberlieferung,  wie  das  0.  Holder-Egger  in  ebenso 
ergötzlicher  wie  belehrender  Weise  dargestellt  hat^).  Beide  Klöster 
waren  vom  Grafen  Arnulf  L  im  Jahre  941  nach  tiefem  Verfalle  her- 
gestellt und  durch  den  Abt  Gerhard  von  Brogne  mit  Mönchen  neu 
besetzt^).  Das  veranlafste  in  Blandigny  schon  bald  nachher  eine 
Schrift  über  die  ältere  Geschichte  des  Klosters  bis  auf  den  berühmten 
Abt  Einhard"),  worin   schon  gefälschte  Urkunden  benutzt  sind  und 

^)  Vgl.  Sigebert.  gest.  abb.  Gemblac.  c.  1  u.  3,  MG.  SS.  VIII,  523  ff. 

2)  Vita  S.  Winnoci,  Mab.  III,  1,  302—314.  Auszug  MG.  SS.  XV,  2, 
775 — 778.  Eine  Fortsetzung  dazu,  die  Mönch  Drogo  nach  1078  hinzu- 
fügte, ist  später  zu  erwähnen. 

3)  Vgl.  B.  Krusch,  der  sie  auffand,  NA.  XVIII,  566—569. 

■*)  Historische  Aufsätze,  dem  Andenken  an  Waitz  gewidmet,  S.  622 — 665. 
Daselbst  S.  633,  Anm.  3,  wird  die  Translutio  S.  Amalherciae  im  Jahre  870 
(Acta  SS.  Jul.  III,  103)  für  ein  spätes,  unglaubwürdiges  Machwerk  erklärt. 

^)  Ueber  Graf  Arnulf  vgl.  Sackur,  Cluniac.  I,  S.  127  ff. 

^)  Fundatio  moxasierii  Blnndiniensis  ed.  0.  Holder-Egger,  MG.  SS. 
XV,  2,  621 — 624;    vgl.    p.  1317.     Ich    beschränke    mich    auf  Anführung 


Der  Streit  der  Klöster  zu  Gent.  431 

die  Gründung  durch  den  heiligen  Amandus  OlO  mit  keckem  Plagiate 
aus  der  Vita  Wandregisili  beschrieben  wird.  Im  Jahre  944  brachte 
Graf  Arnulf  hierher  aus  Boulogne,  wohin  sie  aus  St.  Wandrille  ge- 
flüchtet worden  waren,  die  heiligen  Wandregisil,  Ansbert  und  Wulf- 
ram; Wulframs  Besitz  stritten  aber  die  ]\Iönche  von  St.  Wandrille 
den  Blandiniensern  ab.  Darüber  gab  es  eine  Schrift,  von  der  wir  nur 
durch  eine  Predigt  Kunde  haben,  die  nicht  vor  dem  12.  Jahrhunderte 
verfafst  zu  sein  scheint  und  noch  von  Feindseligkeit  gegen  die 
Bavonianer  erfüllt  ist')-  Aul'ser  vielen  anderen  Reliquien  erhielt 
Blandigny  auch  um  945  aus  Haerlebeke,  der  Heimat  der  Grafen 
von  Flandern,  den  heiligen  Bertulf  von  Renty  bei  Saint-Omer,  wo 
er  in  merowingischer  Zeit  ein  Kloster  gegründet  hatte.  Sein  Leib 
wurde  1073  durch  den  Abt  Folcax'd  feierlich  erhoben,  und  nun  nach 
einer  älteren,  jetzt  verlorenen  Vita  das  wenige  berichtet,  was  man 
von  ihm  wufste,  mehr  über  die  Translationen  und  über  die  Grafen 
von  Flandern,  nicht  ohne  Fabeln^).  Und  dazu  wollen  wir  gleich 
noch  fügen,  dafs,  da  beide  Klöster  sich  den  ersten  Abt  Florbert  zu- 
eigneten und  beide  sein  Grab  und  seinen  Grabstein  zeigten,  deswegen 
im  Jahre  1079  von  Blandigny  gegen  die  Mönche  von  Saint-Bavon 
eine  Streitschrift  gerichtet  wurde  ^). 

In  Saint-Bavon  hatte  man  940  den  heiligen  Bavo  aus  Laon 
zurückerhalten  und  946  feierlich  bestattet.  Gegen  das  Ende  des 
10.  Jahrhunderts  schrieb  ein  Mönch,  schon  im  Gegensatze  gegen 
das  vom  Grafen  Arnulf  bevorzugte  Kloster  Blandigny,  und  gegen 
die  Zweifler,  welche  seinem  Kloster  sogar  den  Besitz  des  heiligen 
Bavo  bestritten,  in  drei  Büchern  eine  Geschichte  des  Klosters  nach 
schriftlichen  Quellen,  wozu  er  vorzüglich  auch  die  Annalen  von  St. 
Bertin  und  St.  Vaast  benutzte,  die  er  CJironica  post  Beäam  nannte; 
er  scheint  auch  Aufzeichnungen  aus  seinem  Kloster  herangezogen 
zu  haben'*).   Vielleicht  von  demselben  Verfasser  ist  auch  das  Carmen 

dieser  Ausgaben  von  Holder-Egger.  Die  von  ihm  vermifste  Hs.  Van  de 
Püttes  ist  im  Archive  zu  Brüssel  nachgewiesen  von  H.  Pirenne,  Note  sur 
un  ms.  de  l'abb.  de  Saint-Pierre  de  Gand,  Brux.  1895  (Bullet,  de  la 
Commiss.  roy.  d'hist.  5.  ser.  V,  2  p.  107 — 153),  woselbst  S.  135  Einhards 
Schenkung  abgedruckt  ist.  Ueber  ein  angebliches  Privileg  Papst  Nico- 
laus I.  für  Blandigny  NA.  VII,  177  u.  Schepfs,  Hsl.  Studien  zu  Boethius, 
Würzburger  Progr.  1881,  S.  6. 

^)  Ex  Sermotie  de  adrentu  SS.  Wandregisili,  Ansherti  et  Vulfranni  ed. 
Holder-Egger,  SS.  XV,  2,  624—631. 

2)  Ex  Vita  Bertulfi  Benticensis,  ib.  p.  681—641. 

*)  Lantberti  Über  de  loco  sepulturae  Florberti  abb.,  ib.  p.  641 — 644; 
aber  nach  S.  1.817  ist  der  Autorname  Lantbert  irrig.  S.  644  folgt  ein 
Catalogus  abbatum  JBlandiiiiensium  saec.  XII. 

•*)  Ex  miraculis  et  translationibus   S,  Bavonis,   SS.  XV,   2,  589 — 597; 


432  III.  Ottonen.     §  8.   Lüttich. 

de  S.  Bacone'^).  Der  Konkurrenz  der  Blandinienser  besser  begegnen 
zu  können,  holten  sie  980  aus  dem  kürzlich  erworbenen  Winters- 
hoven  den  heiligen  Landoald  mit  seinen  ebenso  unbekannten 
Genossen,  legten  dem  Bischöfe  Notker  von  Lüttich  den  Bericht  über 
die  Translation  und  die  unvermeidlichen  Wunder  vor,  und  zugleich 
was  der  Ortspfarrer  Sarabert  von  diesen  Heiligen  zu  berichten 
wufste.  Der  gelehrte  Heriger  erfuhr  zu  seinem  Erstaunen  von 
dem  ihm  bis  dabin  unbekannten  Bischöfe  Landoald  von  Lüttich, 
buchte  aber  alles  getreulich,  und  zwar  der  gröfseren  Autorität  wegen 
unter  dem  Namen  seines  Bischofs.  So  gewannen  diese  frechen  Lügen 
geschichtlichen  Anstrich  und  haben  viel  Verwirrung  angerichtet^). 
Die  Gegner  behaupteten  zwar,  es  seien  malorum  defunctorum  ossa, 
aber  die  Bavonianer  veranstalteten  982  eine  neue  feierliche  Er- 
hebung, und  es  gelang  ihnen,  die  Anerkennung  des  Erzbischofs  von 
Keims  dafür  zu  gewinnen^).  Der  Abt  Odwin  oder  Otwin  (982  bis 
998),  der  hier  seine  Energie  bewiesen  hatte,  erlangte  auch  aus 
Rom  durch  Vermittelung  der  frommen  Engländerin  Teta  Reliquien 
des  heiligen  Pancratius,  welche  985  nach  Gent  kamen '').  Bald 
darauf  stellte  er  nachdrücklich  den  Abt  Adalwin  von  Blandigny 
zur  Rede,  weil  er  fortfahre,  gegen  die  getroffene  Uebereinkunft  sein 
Kloster  als  in  Castro  Gandavo  gelegen  zu  bezeichnen^).  Ein  neuer 
Triumph  war  dann  1007  die  Uebertragung  der  heiligen  Livin  und 
Brictius  aus  Holthem  nach  Gent,  worauf  1010  unter  Erlembold 
der  heilige  Bavo  noch  einmal  feierlich  erhoben  wurde ;  der  Verfasser 
der  Beschreibung'')  scheint  derselbe  zu  sein,  welcher  auch  im  Jahre 
1014  über  den  heiligen  Macharius  berichtet  hat^,  einen  griechi- 
schen Mönch,  der  1011  in  St.  Bavon  Aufnahme  fand  und  nach 
vielen  Kasteiungen  schon  1012  starb.  Man  wufste  weiter  nichts 
von  ihm ,  verehrte  ihn  aber  als  heilig  und  berichtete  von  Wun- 
dern ,  die  er  gethan.     Doch  half  das  alles  nur  wenig,  und  als  der 

dazu  S.  598  ein  kurzer  Auszug  von  Wundern,  die  gegen  Ende  des  11.  Jahr- 
hunderts beschrieben  sind.  Wie  der  erste  Verf.  berichtet,  sagten  über  den 
Ursprung  von  Gent  einige,  dafs  Agrii)pa  es  gegründet,  „alii  Hermenricum 
regem  in  eo  arcem  iniperii  sibi  tradunt  instituisse" ;  ähnlich  auch  im 
gleich  anzuführenden  Carmen.  Vgl.  im  allgemeinen  Krusch  in  den  SS. 
Merov.  IV,   530  sqq. 

^)  NA.  X,  371  von  Holder-Egger  herausgegeben. 

^)   Translatio  S.  Landoaldi  sociornmque  eitis,  SS.  XV,  2,  599 — 607. 
}    Adventus  et  Elevatio  S.  Landoaldi  sociorumque  eius,  ib.  p.  607 — 611. 

•*)  Vgl.    den  Brief  des  Abtes   Andreas   von    St.  Paneraz    in   Rom    an 
Odwin.  NA.  VIII,  376. 

^)  Der  Brief  Odwins  ist  gedruckt  im  NA.  X,  374. 

")    Translatio  S.  Bavonis  prima,  SS.  XV,  2,  597. 

')    Vita  S.  Macharii  prior,  ib.  p.  615 — 616. 


Fortsetzung  des  Genter  Streites.     Leben  und  Verse  des  Livin.      433 

Abt  Othelbold  um  1020  der  Gräfin  Othgive,  Gemahlin  Balduins 
des  Bärtigen  von  Flandern,  auf  ihren  Wunsch  über  die  Reliquien 
des  Klosters  schrieb'),  hatte  er  zugleich  bitter  zu  klagen  über  den 
Verlust  des  einstigen  Reichtums  und  die  bedrängte  Lage,  seitdem 
Graf  Arnulf  zahlreiche  Besitzungen  des  Klosters  an  seine  Dienst- 
mannen vergabt  hatte.  Es  bedurfte  stärkerer  Heilmittel.  Zunächst 
fand  sich  Stepelin,  ein  aus  St.  Trond  entlaufener  Mönch,  bereit, 
im  Jahre  104!)  nicht  nur  einen  angeblich  alten  Grabstein  für  den 
Abt  Florbert  anzufertigen,  sondern  auch,  nach  Holdei'-Eggers  Ver- 
mutung, jene  Verse  zu  machen,  in  welchen  der  heilige  Livin  selbst 
an  Florbert  ein  Epitaph  des  heiligen  Bavo  schickt^).  Weiter  folgte 
1058  eine  neue  Ei-hebung  des  heiligen  Bavo,  1067  auch  eine  zweite 
des  heiligen  Macharius,  und  mit  kühnerem  Unterfangen  wurde  nun, 
während  man  früher  aufrichtig  bekannt  hatte,  über  sein  V^orleben 
nichts  zu  wissen,  die  vollste  Schale  abgeschmackter  Verherrlichung 
über  ihn  ergossen^);  zur  Schilderung  seiner  Tugenden  diente,  was 
im  Leben  des  Erzbischofs  Bruno  von  Köln  für  diesen  Zweck  brauch- 
bar erschien.  Nach  der  Annahme  von  Holder-Egger  war  es  der- 
selbe Verfasser,  welcher  schon  um  1050  mit  nicht  minder  frecher 
Lüge  das  Leben  des  bis  dahin  ganz  unbekannten  Livin  beschrieb 
(oben  S.  147).  Besonders  wichtig  aber  ist  der  Nachweis,  dafs  dieser 
Livin  in  Wii-klichkeit  kein  anderer  ist,  als  der  wohlbekannte,  in 
Deventer  bestattete  Liafwin  oder  Lebuin;  sein  Genosse  Brictius 
scheint  nur  der  Nachbarschaft  im  Kalender  seinen  Namen  zu  ver- 
danken :  Livin  wurde  in  St.  Bavo  am  12.  November  verehrt ,  der 
13.  aber  ist  seit  alter  Zeit  Brictius,  dem  Bischöfe  von  Tours,  dem 
Nachfolger  des  heiligen  Martin,  geweiht.  Nach  solcher  Verherr- 
lichung aber  war  es  nun  Zeit,  auch  diese  Heiligen  feierlich  zu  er- 
heben, was  1083  geschah;  aber  erst  um  1200  wurde  über  diese 
Vorgänge  eine  Schrift  verfafst^). 

1)  Der  Brief  Othelbolds  ist  gedruckt  im  NA.  VIII,  370-.S74. 

^)  Vgl.  oben  S.  147.  Da  man  fortfährt,  die  Verse  für  echt  und  alt 
zu  halten  (z.  B.  Gröbers  Grundrifs  der  roman.  Philologie  II,  1,  117),  so 
sei  noch  einmal  darauf  hingewiesen,  dafs  die  41  Distichen  ohne  Elision 
uud  Hiat  verlaufen,  wofür  zwar  ältere  Beispiele  voiiiegen  (vgl.  L.  Müller, 
De  re  metrica,  ed.  II  p.  837  sq.),  was  aber  vor  allem  trefflich  für  die  Zeit 
vom  10.  Jahrhundert  an  und  für  die  Genter  Gegend  pafst;  vgl.  über  die 
Gesta  ApoUoiiii,  welche  in  einem  Blandinianus  überliefert  sind  und  auch 
in  St.  Amand,  Lobbes  und  vielleicht  Saint- Omer  vorhanden  waren, 
Traube,  NA.  X,  ,382. 

3)  Ex  Vita  S.  Macharii  altera,  MG.  SS.  XV,  2,  616—621.  Einzelnes 
darin,  wie  die  Nachrichten  von  der  Pest  des  Jahres  1012,  ist  historisch 
brauchbar. 

*)  Ex  translatione  SS.  Livini  et  Brictii,   ib.  p.  611 — 614.  —   Das  "\'er- 

"Watteubacli,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  28 


434  III-  Ottonen.     §  8.   Lüttich. 

Diese  ganze  Litteratur  würde  nicht  so  viel  Aufmerksamkeit  ver- 
dienen, wenn  sie  nicht  teils  für  die  Zeit  bezeichnend  wäre,  teils 
durch  die  Chronisten  des  14.  Jahrhunderts,  Johann  von  Thielrode 
und  die  Genter  Annalen,  viele  hieraus  geschöpfte  Fabeln  in  die 
Geschichte  eingedrungen  wären ,  welche  noch  nicht  vollständig  be- 
seitigt sind. 

Eine  besonders  hervorragende  Stellung  als  Reformator  vieler 
Klöster  nahm  der  oben  erwähnte  Abt  Gerhard  ein,  der  Stifter 
des  Klosters  Brogne  im  Lütticher  Sprengel  zwischen  Maas  und 
Sambre.  Er  gehörte  zur  Sippschaft  des  Hagano  (Austrasioruni 
ducis),  jenes  bekannten  Günstlings  Karls  des  Einfältigen;  seine 
Mutter  Plictrudis  war  eine  Schwester  des  Bischofs  Stephan  von 
Lüttich.  Im  Lommatschgau,  wo  er  heimisch  war,  setzte  er  auf 
seinem  Erbgute  Brogne  (St.  Gerard)  zuerst  Kanoniker  ein ;  als  aber 
Graf  Berengar  von  Xamur,  dessen  violvermögender  Rat  er  war, 
ihn  zum  Grafen  Robert  nach  Paris  sandte,  machte  ein  Besuch  im 
Kloster  St.  Denis  solchen  Eindruck  auf  ihn,  daCs  er  seine  Ent- 
lassung erbat  und  zur  grofsen  Verwunderung  der  Mönche  von 
St.  Denis  bei  ihnen  Unterricht  nahm  und  919  Mönch  wurde.  Es 
war  ihnen  ganz  erstaunlich,  dafs  ein  bärtiger  Mann  noch  die  Buch- 
staben lernen  wollte,  wie  ein  fünfjähriger  Knabe')  —  eine  Stelle, 
die  uns  einmal  recht  deutlich  zeigt,  wie  unberührt  von  aller  litte- 
rarischen Bildung  die  Laien  waren,  und  wie  irrig  die  weitverbreitete 
Meinung  ist,  dass  die  scholae  exteriores  für  sie  bestimmt  gewesen 
seien.  Im  Jahre  927  zum  Priester  geweiht,  kehrte  Gerhard  zurück 
und  übergab  nun  die  Kirche  zu  Brogne  zwölf  Mönchen  aus  St.  Denis. 
Die  Leitung  des  Klosters  war  seinem  still  beschaulichen  Sinne  zu- 
wider, er  lebte  abgesondert  als  Klausner,  aber  Herzog  Giselbert  und 
Bischof  Fulbert  von  Cambrai  liefsen  ihm  keine  Ruhe.  In  St.  Ghislain 
lebten  nämlich  damals  Kleriker  von  gar  schlechtem  Wandel,  welche 
sich  mit  ihrem  Heiligen  singend  und  bettelnd  herumtrieben,  bis  end- 
lich dieser,  des  Treibens  müde,  zuliefs,  dafs  sein  Leib  gestohlen 
wurde.  Da  wurde  das  Kloster  Gerhard  zur  Reform  übergeben;  er 
fand  das  Heiligtum  in  Maubeuge,  der  Herzog  gab  die  Güter  zurück, 
und  trotz  des  Widerstandes  der  losen  Brüder  stellte  Gerhard  dieses 

zeiehnis  der  Abbates  S.  Bavonig,  MG,  SS.  XXV,  'uO,  ist  nur  ein  Auszug 
aus  den  Ann.  Gand.  und  daher  wertlos,  \^\.  Waitz- Aufsätze  S.  661. 

')  Vgl.  Vita  Gerardi  c.  9,  MG.  SS.  XV,  2,  659:  Jratribus  admodum 
admirantibus ,   quod  vir    iamdudum    barbatus    applicari   vellet   ulterius 

studiis  litterarum  puerilibus litteratim   prima    percurrit    elementa 

ceu  quinquennis  puerulus."   Ueber  die  chronologischen  Bedenken  in  diesen 
Angaben  vgl.  Sackur,  Cluniac.  I,  .867. 


Gerhard  von  Brogne.  435 

und  andere  Klöster  her')-  Auch  Arnulf  von  Flandern,  angeblich 
durch  Gerhard  von  einem  Steinleiden  wunderbar  geheilt"),  entäufserte 
sich  seiner  Abteien  Blandigny  (941)  ■')  und  St.  Bertin  (944),  wo  die 
regelmäfsige  Zucht  hergestellt  wurde,  und  übergab  Gerhard  alle 
Klöster  seines  Gebietes;  er  soll  deren  18  geleitet  haben,  darunter 
auch  Saint-Remi.  Durch  einen  Krieg  über  die  gefälirdete  Lage  seines 
eigenen  Klosters  belehrt,  kaufte  Gerhard  Brogne  los  von  der  Ab- 
hängigkeit von  St.  Denis  und  übergab  es  dem  Bischöfe  Farabert  von 
Lüttich  (947—953);  er  starb  in  hohen  Ehren  am  3.  Oktober  959. 
Sein  Leben  ist  nicht  lange  nach  seinem  Tode  ausführlich  beschrieben, 
aber  wir  besitzen  nur  eine  Ueberarbeitung  aus  dem  Anfange  des 
11.  Jahrhunderts,  für  den  Abt  Gonter  geschrieben,  geschmacklos  mit 
Versen  gemischt.  Dafs  Raginar  von  Hennegau  noch  in  der  Ver- 
bannung lebe,  dafs  Lietald,  Gerhards  Nachfolger  als  Vorstand  des 
Klosters  zu  Mouzon  (f  997),  die  "Wahrheit  der  Erzählung  bestätigen 
könne,  schrieb  der  Bearbeiter  der  älteren  Vita  gedankenlos  nach, 
so  wenig  es  auch  zu  seiner  Zeit  noch  pafste'*).    Andere  Stellen,  an 

M  Es  wurde  981  hergestelll  ,  verbrannte  938.  Nachrichten  über  die 
Geschichte  des  Klosters  in  der  zu  Gerhards  Zeit  aufgezeichneten  Inventio 
S.  Gideni,  ed.  Holder-Egger  SS.  XV,  2,  576—579,  mit  von  Augenzeugen 
aufgezeichneten  Wundern.  Danach  stand  Gerhard  schon  vorher  mehreren 
anderen  Klöstern  vor.  Die  Inventio  berichtet  auch  über  die  Auffindung 
des  Heiligen  in  Maubeuge  anders  als  die  oben  benutzte  Vita  Gerardi; 
\'gl.  Sackur,  Cluniac.  I,  126  Anm.  2. 

^)  Diese  merkwürdige  Geschichte  in  der  Vita  Gerardi,  c.  19  (MG.  SS. 
XV,  2,  669)  und  danach  bei  Joh.  Longus  c.  24  (SS.  XXV,  774)  und  von 
Tassart  zu  Folcwin  c.  107  (SS.  XIII,  628)  nachgetragen. 

^)  Vgl.  oben  S.  430.  Ein  Mönch  Adelard  von  Blandigny  schrieb  einen 
Brief  an  Erzb.  Elphegus  von  Canterbury  (1006—1012)  über  Dunstan,  der 
in  seiner  Verbannung  bei  Graf  Arnulf  Schutz  gefunden  hatte,  W.  Stubbs, 
Memorials  of  Saint  Dunstan,  p.  53  (Hist.  Zeitschr.  XXXV,  200).  —  Die 
Hhtoria  Relutiomf^  S.  Walurici,  ed.  Holder-Egger,  SS.  XV,  2,  698—696, 
im  11.  Jahrhunderte  geschrieben,  berichtet,  wie  der  Leib  des  h.  Walaricus 
952  durch  Arnulf  von  Flandern  nach  St.  Bertin  gebracht  war  und  981 
durch  Hugo  Capet  nach  St.  Valery-sur-Somme  zurückkam.  Zugleich  kam 
auch  S.  Richarius  von  da  nach  seinem  Kloster  zurück;  vgl.  oben  S.  193 
Anm.  1. 

*)  Vita  Gerardi  ahbatis  Bronietisis  ed.  L.  v.  Heinemann,  SS.  XV,  2, 
654—678.  In  Kapitel  14  sind  Stellen  aus  Liudprands  Antapodosis  auf- 
genommen. Aus  Italien  soll  er  ^lapides  porphyretici"  für  den  Hauptaltar 
mitgebracht  haben,  vgl.  ebd.  cap.  21.  Die  Geschichte  seiner  Reise  nach 
Rom  ist  aber  wegen  der  Nennung  eines  Papstes  Stephan,  der  damals 
nicht  regiert  hat,  und  der  Benutzung  einer  zweifellos  unechten  Bulle 
dieses  Papstes  (Jaffe  n.  3580)  ungemein  bedenklich.  Vgl.  im  allgemeinen 
Walther  Schnitze,  Gerhard  v.  Brogne  u.  die  Klosterreform  in  Nieder- 
lothringen u.  Flandern,  Forsch.  XXV,  221 — 271;  L.  v.  Heinemann,  Die 
älteren  Diplome  f.  d.  Kl.  Brogne  u.  die  Abfassungszeit  der  Vita  Gerardi, 
NA.  XV,  593—596;  Sackur,  Die  Cluniac.  I,  S.  121  ff.  365  ff.;  Berliere, 
Revue  bened.  1892  S.  157—172;  Sackur,  NA.  XVIII,  350.  —  Unbedeutende 


434  III.  Ottonen.     §  8.   Lütticli. 

Diese  ganze  Litteratur  würde  nicht  so  viel  Aufmerksamkeit  ver- 
dienen, wenn  sie  nicht  teils  für  die  Zeit  bezeichnend  wäre,  teils 
durch  die  Chronisten  des  14.  Jahrhunderts,  Johann  von  Thielrode 
und  die  Genter  Annalen,  viele  hieraus  geschöpfte  Fabeln  in  die 
Geschichte  eingedrungen  wären ,  welche  noch  nicht  vollständig  be- 
seitigt sind. 

Eine  besonders  hervorragende  Stellung  als  Reformator  vieler 
Klöster  nahm  der  oben  erwähnte  Abt  Gerhard  ein,  der  Stifter 
des  Klosters  Brogne  im  Lütticher  Sprengel  zwischen  Maas  und 
Sambre.  Er  gehörte  zur  Sippschaft  des  Hagano  (Aiistrasiorum 
ducis),  jenes  bekannten  Günstlings  Karls  des  Einfältigen;  seine 
Mutter  Plictrudis  war  eine  Schwester  des  Bischofs  Stephan  von 
Lüttich.  Im  Lommatsehgau,  wo  er  heimisch  war,  setzte  er  auf 
seinem  Erbgute  Brogne  (St.  Gerard)  zuerst  Kanoniker  ein ;  als  aber 
Graf  Berengar  von  Namur,  dessen  vielvermögender  Rat  er  vrar, 
ihn  zum  Grafen  Robert  nach  Paris  sandte,  machte  ein  Besuch  im 
Kloster  St.  Denis  solchen  Eindruck  auf  ihn,  dafs  er  seine  Ent- 
lassung erbat  und  zur  gi'ofsen  Verwunderung  der  Mönche  von 
St.  Denis  bei  ihnen  Unterricht  nahm  und  919  Mönch  wurde.  Es 
war  ihnen  ganz  erstaunlich,  dafs  ein  bärtiger  Mann  noch  die  Buch- 
staben lernen  wollte,  wie  ein  fünfjähriger  Knabe ^)  —  eine  Stelle, 
die  uns  einmal  recht  deutlich  zeigt,  wie  unberührt  von  aller  litte- 
rarischen Bildung  die  Laien  waren,  und  wie  irrig  die  weitverbreitete 
Meinung  ist,  dass  die  scliolae  exteriores  für  sie  bestimmt  gewesen 
seien.  Im  Jahre  927  zum  Priester  geweiht,  kehrte  Gerhard  zui*ück 
und  übergab  nun  die  Kirche  zu  Brogne  zwölf  Mönchen  aus  St.  Denis. 
Die  Leitung  des  Klosters  war  seinem  still  beschaulichen  Sinne  zu- 
wider, er  lebte  abgesondert  als  Klausner,  aber  Herzog  Giselbert  und 
Bischof  Fulbert  von  Cambrai  liefsen  ihm  keine  Ruhe.  In  St.  Ghislain 
lebten  nämlich  damals  Kleriker  von  gar  schlechtem  Wandel,  welche 
sich  mit  ihrem  Heiligen  singend  und  bettelnd  herumtrieben,  bis  end- 
lich dieser,  des  Treibens  müde,  zuliefs,  dafs  sein  Leib  gestohlen 
wurde.  Da  wurde  das  Kloster  Gerhard  zur  Reform  übergeben;  er 
fand  das  Heiligtum  in  Maubeuge,  der  Herzog  gab  die  Güter  zurück, 
und  trotz  des  Widerstandes  der  losen  Brüder  stellte  Gerhard  dieses 

zeicbnis  der  Abbates  S.  Bavonis,  MG.  SS.  XXV,  570,  ist  nur  ein  Auszug 
aus  den  Ann.  Gand.  und  daher  wertlos,  vgl.  Waitz-Aufsätze  S.  661. 

^j  Vgl.  Vita  Gerardi  c.  9,  MG.  SS.  XV,  2,  659:  „fratribus  admodum 
admirantibus ,    quod   vir    iamdudum    barbatus    applicari   vellet   ulterius 

studiis  litterarum  puerilibus litteratim    prima   percurrit    elementa 

ceu  quinquennis  puerulus."    Ueber  die  chronologischen  Bedenken  in  diesen 
Angaben  vgl.  Sackur,  Cluniac.  I,  .367. 


Gerhard  von  Brogne.  435 

und  andere  Klöster  her').  Auch  Arnulf  von  Flandern,  angeblich 
durch  Gerhard  von  einem  Steinleiden  wunderbar  geheilt"),  entäufserte 
sich  seiner  Abteien  Blandigny  (9-il)-')  und  St.  Bertin  (944),  v^-o  die 
regelmäfsige  Zucht  hergestellt  wurde,  und  übergab  Gerhard  alle 
Klöster  seines  Gebietes;  er  soll  deren  IS  geleitet  haben,  darunter 
auch  Saint-Remi.  Durch  einen  Krieg  über  die  gefährdete  Lage  seines 
eigenen  Klosters  belehrt,  kaufte  Gerhard  Brogne  los  von  der  Ab- 
hängigkeit von  St.  Denis  und  übergab  es  dem  Bischöfe  Farabert  von 
Lüttich  (947—953);  er  starb  in  hohen  Ehren  am  3.  Oktober  959. 
Sein  Leben  ist  nicht  lange  nach  seinem  Tode  ausführlich  beschrieben, 
aber  wir  besitzen  nur  eine  Ueberarbeitung  aus  dem  Anfange  des 
11.  Jahrhunderts,  für  den  Abt  Gonter  geschrieben,  geschmacklos  mit 
Versen  gemischt,  Dafs  Raginar  von  Hennegau  noch  in  der  Ver- 
bannung lebe,  dafs  Lietald,  Gerhards  Nachfolger  als  Vorstand  des 
Klosters  zu  Mouzon  (f  997),  die  Wahrheit  der  Erzählung  bestätigen 
könne,  schrieb  der  Bearbeiter  der  älteren  Vita  gedankenlos  nach, 
so  wenig  es  auch  zu  seiner  Zeit  noch  pafste'').    Andere  Stellen,  an 

')  Es  wurde  981  hergestelli  ,  verbrannte  938.  Nachrichten  über  die 
Geschichte  des  Klosters  in  der  zu  Gerhards  Zeit  aufgezeichneten  Inventio 
S.  Gideni,  ed.  Holder -Egger  SS.  XV,  2,  576—579,  mit  von  Augenzeugen 
aufgezeichneten  Wundern.  Danach  stand  Gerhard  schon  vorher  mehreren 
anderen  Klöstern  vor.  Die  Inventio  berichtet  auch  über  die  Auffindung 
des  Heiligen  in  Maubeuge  anders  als  die  oben  benutzte  Vita  Gerardi; 
vgl.  Sackur,  Cluniac.  I,  126  Anm.  2. 

^)  Diese  merkwürdige  Geschichte  in  der  Vita  Gerardi,  c.  19  (MG.  SS. 
XV,  2,  669)  und  danach  bei  Joh.  Longus  c.  24  (SS.  XXV,  774)  und  von 
Tassart  zu  Folcwin  c.  107  (SS.  XIII,  628)  nachgetragen. 

^)  Vgl.  oben  S.  430.  Ein  Mönch  Adelard  von  Blandigny  schrieb  einen 
Brief  an  Erzb.  Elphegus  von  Canterbury  (1006—1012)  über  Dunstan,  der 
in  seiner  Verbannung  bei  Graf  Arnulf  Schutz  gefunden  hatte,  W.  Stubbs, 
Memorials  öf  Saint  Dunstan,  p.  53  (Hist.  Zeitschr.  XXXV,  200).  —  Die 
Historia  Relatioms  S.  Walarici,  ed.  Holder-Egger,  SS.  XV,  2,  693—696, 
im  11  Jahrhunderte  geschrieben,  berichtet,  wie  der  Leib  des  h.  Walaricus 
952  durch  Arnulf  von  Flandern  nach  St.  Bertin  gebracht  war  und  981 
durch  Hugo  Capet  nach  St.  Valery-sur-Somme  zurückkam.  Zugleich  kam 
auch  S.  Richarius  von  da  nach  seinem  Kloster  zurück;  vgl.  oben  S.  193 
Anm.  1. 

■*)  Vita  Gerardi  abbatis  Broniensis  ed.  L.  v.  Heinemann,  SS.  XV,  2, 
654—673.  In  Kapitel  14  sind  Stellen  aus  Liudprands  Antapodosis  auf- 
genommen. Aus  Italien  soll  er  ^lapides  porphyretici"  für  den  Hauptaltar 
mitgebracht  haben,  vgl.  ebd.  cap.  21.  Die  Geschichte  seiner  Reise  nach 
Rom  ist  aber  wegen  der  Nennung  eines  Papstes  Stephan ,  der  damals 
nicht  regiert  hat ,  und  der  Benutzung  einer  zweifellos  unechten  Bulle 
dieses  Papstes  (Jafte  n.  3580)  ungemein  bedenklich.  Vgl.  im  allgemeinen 
Walther  Schnitze,  Gerhard  v.  Brogne  u.  die  Klosterreform  in  Nieder- 
lothringen u.  Flandern,  Forsch.  XXV.  221—271;  L.  v.  Heinemann,  Die 
älteren  Diplome  f.  d.  Kl.  Brogne  u.  die  Abfassungszeit  der  Vita  Gerardi, 
NA.  XV,  593—596;  Sackur,  Die  Cluniac.  I,  S.  121  ff.  365  ff.;  Berliere. 
Revue  bened.  1892  S.  157—172;  Sackur,  NA.  XVIII,  350.  —  Unbedeutende 


438  III.  Ottonen.     §  8.   Lüttich. 

Zu  Tiel  an  der  Waal  verwandelte  Adalbold  ein  verfallenes 
Kloster  an  der  Kirche  der  heiligen  Walburga  in  ein  Chorherren- 
stift, und  der  Kustos  dieses  Stifts  widmete  ihm  eine  Schilderung 
der  dort  vorgekommenen  Wunder,  welche  geschichtliche  Beachtung 
verdient.  Adalbold  preist  er  als  Erbauer  der  neuen  Martinskirche 
und  als  thätig  auch  in  castris  imperialibus.  Eine  Abschrift,  der  ein 
neues  Wunder  beigefügt  ist,  schickt  er  an  den  oben  S.  419  erwähnten 
Wormser  Diakonen  Immo^). 

Alpert  erwähnt,  dafs  Bischof  Adalbold  über  die  Thaten  Hein- 
richs IL  bis  zur  Einnahme  von  Metz  (1012)  ein  so  vortreffliches 
Werk  verfafst  habe,  dafs  er  selbst  von  diesen  Dingen  nicht  reden 
wolle ^).  Dieses  Werk  Adalbolds  ist  als  ganzes  leider  verloren.  Er- 
halten hat  sich  aber  der  Anfang  eines  Lebens  Kaiser  Hein- 
richs IL,  welches  nur  bis  1004  reicht  und  Adalbold  wohl  mit 
Recht  zugeschrieben  wird^).  Es  ist  gänzlich  auf  Thietmars  Chronik 
begründet  und  nur  mit  rhetorischem  Schmucke  überladen,  ein  Ver- 
fahren, welches  der  Utrechter  Schule  entspricht  und  bei  Adalbolds 
gelehrter  Bildung  nicht  befremden  darf,  während  dessen  eigene  Er- 
fahrung sich  erst  im  weiteren  Verlaufe  hätte  herausstellen  können. 
Doch  fehlt  es  auch  schon  in  dem,  was  erhalten  ist,  nicht  an  einigen 
Zusätzen,  besonders  über  italische  Verhältnisse.  Ich  sehe  deshalb 
weder  einen  genügenden  Grund,  das  Werk  mit  Moll  Adalbold  ab- 
zusprechen ,  noch  glaube  ich  annehmen  zu  müssen ,  dafs  es  immer 
nur  so  weit  gereicht  habe ,  als  wir  es  besitzen ,  wenn  auch  der 
sächsische  Annalist,  bei  dem  allein  eine  Spur  davon  sich  findet,  nach 
mehr  als  einem  Jahrhunderte  auch  schon  nicht  mehr  als  dieses 
Fragment  gehabt  haben  mag.  Dafs  auch  bedeutende  Werke  geringe 
Verbreitung  fanden  und  frühzeitig  verstümmelt  wurden,  ist  leider 
keine  vereinzelte  Erscheinung. 

Später  übernahm  man  in  dem  von  Heinrich  gestifteten  Bistume 

^)  Miracula  S.  Waldburgae  Tielensia  ed.  Holder-Egger,  MG.  SS.  XV,  2, 
764—766;  vollst,  von  G.  Henschen,  Acta  SS.  Feb.  Hl,  546-548. 

2)  De  div.  temporum  I,  5,  MG.  SS.  IV,  704:  „quia  domnus  Adel- 
boldus  Traiectensis  episcopus  haec  omnia  pleniter  in  uno  volumine  lucu- 
lento  sermone  coinprehendit,  a  nobis  pars,  quae  aliquando  nostris  scriptis 
necessario  occurrit,  praeteremida  visa  est,  ne  historia  tantis  et  tarn 
venustis  documentis  edita  a  nobis  tamquam  ab  insipientis  latratu  ob- 
fuscaretur".  Giesebrecht  II,  560  und  Hirsch,  Heinrich  II.  Bd.  I  S.  297 
nehmen  „comprehendit"  als  Praesens  und  „edita"  als  auf  die  Zeit  blickend, 
wo  Adalbolds  AVerk  vollendet  sein  wird;  mir  scheint  es  jedoch  kaum 
möglich,  anzunehmen,  dafs  Alpert  nicht  von  einem  ihm  schon  vorliegen- 
den Buche  reden  sollte. 

^)  Vita  Heinrici  II.  imperatoris  auct.  Adalboldo  ed.  G.  Waitz,  MG.  SS. 
IV,  679-695.     Hs.  in  Halle,  NA.  VIII,  382. 


Leben  Kaiser  Heinrichs  II.     Balderich  II.  von  Utrecht.  439 

Bamberg  die  Bewahrung  seines  Andenkens  und  machte  hier  aus 
dem  tüchtigen  und  umsichtigen  Kaiser,  dem  wackern  Kriegsmanne, 
der  nur  selten  aus  den  Waffen  kam,  einen  gewöhnlichen  Legenden- 
heiligen ;  es  bildete  sich  hier  ein  völlig  entstelltes  Bild  aus,  welches 
auf  die  richtige  Erkenntnis  und  Darstellung  der  Geschichte  einen 
sehr  nachteiligen  Einflufs  geübt  hat').  Denn  was  die  geistlichen 
Schriftsteller  des  Mittelalters  gelobt  hatten,  fanden  die  neueren 
Historiker  zu  tadeln ;  die  thatsüchliche  Grundlage  aber  wurde 
nirgends  genügend  untersucht,  bis  in  neuerer  Zeit  W.  v,  Giesebrecbt 
und  S.  Hirsch  mit  umfassender  und  eindringlicher  Benutzung  der 
echten  gleichzeitigen  Quellen  eine  besser  begründete  Schilderung 
jenes  Kaisers  in  die  Geschichte  einführten. 

Notkers  Nachfolger  in  Lüttich,  Balderich  IL  (1008—1018), 
früher  Vitztum  der  Regensburger  Kirche,  wird  als  ein  trefflicher 
Mann  gerühmt;  er  stiftete  das  Kloster  S.  Jakob  und  fand  hier  auch 
einen  Biographen,  der  jedoch  erst  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts 
schrieb  und  den  Bischof  nicht  mehr  persönlich  gekannt  hat"). 

§  9.     Alaman  nien. 

Stäliu  I,  605  ff.    W.  Meyer,   Fragmeuta  Buraua  S.  ITl  ff.    Ygl.  aucli  die  Litteratur 

oben  zu  II  §  15. 

Die  Schulen  von  St.  Gallen  und  Reich enau  bewahrten  auch 
in  dieser  Zeit  ihren  alten  Ruhm  und  erhoben  sich  zu  hoher  Blüte. 
Es  wurde  manches  hier  geschrieben;  aber  wie  Schwaben  damals  der 
Reichsgeschichte  ferner  stand,  wie  den  Alamannen  der  sächsische 
Kaiserhof  weit  fremder  war  als  der  karolingische,  so  nahm  auch 
das  ganze  Leben  einen  provinziellen  Charakter  an,  und  während 
wir  in  Sachsen  und  in  Lothringen  Geschichtswerke  von  allgemeinerem 
Gesichtspunkte  entstehen  sahen,  beschränkt  sich  hier  die  Litteratur 
auf  Schriften  von  engerem  Gesichtskreise.  Annalen  freilich  sind  auch 
hier  geschrieben  und  darin  wird  auch,  wie  überall,  von  Kaiser  und 
Reich  berichtet;  ihre  Notizen  sind  als  gleichzeitige  Aufzeichnungen 
wichtig,  aber  sie  zeigen  kein  Streben  nach  zusammenhängender  Dar- 
stellung, wie  die  gröfseren  sächsischen  Jahrbücher  und  der  Fortsetzer 
des  Regino.     So  wurden   in  St.  Gallen  die  alten  Alaman nischen 


^)  Vgl.  darüber  im  2.  Bande.  —  Eine  von  Giesebrecbt  entdeckte,  von 
Jaffe  herausgeg.  Nachricht  über  Dedicatio  ecdesiae  S.  Petri  Babenbei-gensis 
(1012)  MG.  SS.  XVII,  635;  Bibl.  V,  479. 

-)  Vita  Balderici  ep.  Leodiensis  auct.  monacho  S.  lacobi  Leodiensis, 
ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  724—738. 


440  HI-  Ottonen.     §  9.    Alamannien. 

Annalen  bis  926  fortgesetzt^);  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  ent- 
standen dann  die  gröfseren  Annalen  von  St.  Gallen,  bis  955 
von  einer  Hand  geschrieben  und  von  verschiedenen  Schreibern  bis 
1044  fortgeführt'-),  die  Sanktgaller  Gelehrsamkeit  durch  Anwendung 
von  Stellen  alter  Schriftsteller  bekundend^).  Bis  918  sind  sie  ein 
Auszug  der  Alamannici  mit  einigen  Zusätzen,  von  919  an  selbständig 
und  von  erheblichem  Werte.  Gleichzeitig  wurde  in  derselben  Hand- 
schrift, welche  verschiedene  Mönchsregeln  u.  a.  enthält,  auch  das 
Nekrologium  angelegt*).  Von  den  Ueben-esten  und  Spuren  der 
annalistischen  Thätigkeit  in  Kelchen  au  haben  wir  schon  (oben 
S.  285  f.  und  411  Anm.  4)  berichtet.  Dabei  war  die  Rede  (S.  286) 
von  dem  Exemplare  der  Reichenauer  Annalen ,  das  für  den  Erz- 
bischof Friedrich  von  Mainz  bald  nach  939  abgeschrieben  wurde 
und  durch  die  von  Ottos  des  Grofsen  Sohne  Wilhelm  eigen- 
händig am  Schlüsse  zugesetzten  Nachrichten  merkwürdig  ist'').  Es 
hat  aber  auch  noch  eine  weitere  Fortsetzung  Alamannischer  Annalen 
gegeben,  deren  Spuren  Giesebrecht  bis  985  in  den  Altahenses 
findet^)  und  die  vielleicht  auch  in  den  Kölner  Annalen  noch  kennt- 
lich ist. 

Auch  die  nach  dem  Fundoi'te  sogenannten  Wein  gart  n  er  An- 
nalen sind  bis  918  nichts  als  ein  Auszug  der  Alamannici;  sie  sind 
bis  936  fortgeführt").    In  Einsiedeln  aber  wurden  um  das  Jahr 


^)  Annales  Alamannici,  neue  Ausg.  nach  dem  Originale  in  Zürich  in 
den  Mitteil.  z.  vaterl.  Gesch.  XIX ,  224—265,  von  C.  Henking.  Nach  der 
ausführl.  Erörterung  S.  347—358  ist  das  Stück  800—876  von  einer  Hand 
geschrieben  und  Reichenauer  Ursprungs ;  877 — 881  ist  in  St.  Gallen  oder 
Reichenau,  882 — 926  in  St.  Gallen  geschrieben. 

2)  Annales  S.  Galli  maiores,  früher  Hepidanni  genannt,  ed.  Pertz, 
MG.  SS.  I,  73—85;  Henking  a.  a.  0.  S.  265—323,  vgl.  S.  358  ff.  Die 
Jahre  965  und  966  sind  von  Ekkehard  IV.  geschrieben  und  also  ohne 
Autorität;  vgl.  Henking  S.  292  und  Meyer  von  Knonau  zu  den  Casus 
S.  Galli  S.  338.  Ueber  die  Reichsannalen,  welche  dem  Stücke  von  1025 
bis  1040  zu  Grunde  liegen,  werden  wir  in  der  folgenden  Periode  zu 
reden  haben. 

^)  Strehlke,  De  Heinrici  III.  bellis  Ungaricis  p.  35. 

*)  St.  Galler  Totenbuch  u.  Verbrüderungen  {Historiae  de  frafribus 
conscriptis  a.  885 — 982),  herausgegeben  von  Dümmler  u.  Wartmann  in 
den  St.  Galler  Mitteilungen  XI,  1—124.  Das  Totenbuch  wiederholt  in 
MG.  Necrol.  I.  462—487;  die  Historiae  als  Confraternitatnm  syngraphae 
in  MG.  Libri  Confrat.  ed.  Piper  p.  136—143. 

^)  Vgl.  noch  J.  R.  Dieterich,  Geschichtsquellen  d.  Klosters  Reichenau, 
Giefsen  1897,  und  F.  Kurze,  NA.  XXIV,  427  ff. 

«)  MG.  SS.  XX,  776. 

')  Annales  Weingartenses ,  MG.  SS.  I,  65—67.  Vgl.  Henking  m  den 
Mitteil.  z.  vaterl.  Gesch.  XIX,  345,  und  die  eben  angeführten  Schriften 
von  Dieterich  u.  Kurze. 


St.  Gallen.     Reichenau.  441 

OGG    Annalen    zusammengestellt    und    bis    1057,   in    einer  anderen 
Handschrift  bis  1268  gleichzeitig  fortgeführt'). 

Bei  weitem  das  bedeutendste  Werk  für  die  Geschichte  dieser 
Zeit  ist  die  Fortsetzung  der  Klosterchronik  von  St.  Gallen,  deren 
wir  schon  (oben  S.  267  f.)  gedachten,  und  die  uns  das  anschaulichste 
und  lebendigste  Bild  gewährt  von  einem  schön  und  reich  ent- 
wickelten Klosterleben,  dessen  Mittelpunkt  die  Schule  ist.  Hart- 
mann, der  gelehrte  Nachfolger  (922 — 924)  des  Abtbischofs  Salomon, 
hatte  über  die  Geschichte  seiner  Zeit  ein  Buch  hinterlassen,  welches 
uns  leider  verloren  ist^).  Ein  Jahrhundert  lang  scheint  darauf  diese 
Aufgabe  lanberührt  geblieben  zu  sein,  bis  Ekkehard  (IV.)  die 
Arbeit  unternahm,  ein  Schüler  Notkers  des  Deutschen,  des  bedeutend- 
sten Sanktgaller  Lehrers 0,  an  dessen  Sterbebette  er  am  29.  Juni  1022 
stand;  dann  ging  er,  wohl  von  Aribo  berufen,  nach  Mainz,  wo  er 
die  Schule  leitete.  Auch  Trier  kannte  er  aus  eigener  Anschauung"). 
Nach  Aribos  Tode  (6.  April  1031)  scheint  er  heimgekehrt  zu  sein, 
und   unter   den  Glossen,    mit  welchen   er   viele   Handschriften   des 


')  A?in.  S.  Meginradi,  Amiales  Heremi  u.  Annales  Eitisidlenses  ed.  Pertz, 
MG.  SS.  III,  137—149.  Hinsichtlich  der  Annales  Heremi  wirft  Brefslau 
im  NA.  III.  .578  die  Frage  auf,  ob  sie  nicht  nur  ein  Auszug  der  Schwä- 
bischen Reicbsannalen  seien;  vgl.  Dieterich  a.  a.  0.  S.  224  ff.  G.  v.  Wyfs, 
Ueber  die  Antiquitates  monasterii  Einsidlensis  u.  d.  Liber  Heremi  des 
Aegidius  Tschudi  (Jahrb.  f.  Schweiz.  Gesch.  X,  1885,  253  ff.),  behandelt 
sehr  eingehend  diese  Hss.  und  erweist  ihren  Charakter  als  Arbeiten  von 
Tschudi.  Ihr  geschichtlicher  Wert  besteht  in  der  Benutzung  einer  beim 
Klosterbrande  1577  verlorenen  Annalenhs.  u.  des  alten  Liber  vitae  im 
ersten  Teile  des  Liber  Heremi,  eines  Namens,  der  eigentlich  nur  dem  von 
Tschudi  benutzten  Liber  vitae  zukommt.  Daraus  werden  als  Beilagen 
abgedr.  S.  87 — llU  kurze  Annalen  863 — 996  als  Annales  S.  Meginradi  IL, 
S.  88—110  Ex  libro  Vitae  Einsidl.  a.  883—1298,  Verz.  d.  Wohlthäter  mit 
Angabe  ihrer  Schenkungen,  Nekrolog  ohne  Tage,  u.  noch  einige  Notizen 
aus  dem  14.  Jahrhunderte.  Reliquien  u.  Altäre  von  Einsiedeln:  Anzeiger 
f.  Schweizer.  Gesch.  1898  S.  11  ff. 

^)  Ekkehardi  Gas.  S.  Galli  c.  47  (Ausgabe  von  Meyer  von  Knonau 
S.  165  ff.):  „de  quo  quoniam  pi-oprium  eins  sui  temporis  libellum  habe- 
mus,  plura  scribere  supersedemus''.  Vgl.  über  ihn  Dümmler,  St.  Gall. 
Denkmale  S.  256  und  NA.  IV,  556;  Ebert  III,  159  ff.  Seine  Gedichte 
hat  jetzt  P.  V.  Winterfeld  innerhalb  der  Sylloga  codicis  Sangallensis 
CCCLXXXI  herausg.,  Poet.  Gar.  IV,  315—349;  vgl.  oben  S.  272  Anm.  1. 

')  Vgl.  über  ihn  Baechtold,  Gesch.  d.  D.  Litteratur  i.  d.  Schweiz  S.  58 
bis  80;  Kelle,  Gesch.  d.  D.  Litteratur  I  S.  232—263  u.  SB.  d.  bayr.  Ak. 
1896  S.  349— 356;  Kögel,  Gesch.  d.  D.  Litteratur  I,  2,  598—626.  Ausg. 
der  lat.  und  deutschen  Werke :  Die  Schriften  Notkers  u.  seiner  Schule, 
her.  V.  Piper,  3  Bde.,  Freiburg  1882—1883;  mit  Nachträgen  in  der  Zs. 
f.  D.  Philologie  XXII,  277—286  und  Kürschners  D.  National-Litteratur 
Bd.  162   S.  311—318. 

**)  Dümmler,  NA.  XI,  405,  wo  er  weitere  Glossen  von  ihm  zu  Adonis 
Martyrologium  mitteilt. 


442  ITT.  Ottonen.     §  9.   Alamannien. 

Klosters  versah,  findet  sich  noch  der  Tod  des  Papstes  Viktor 
(28.  Juli  1057)  erwähnt,  den  nach  seiner  Meinung  ein  Abt  ver- 
giftet hatte.  Für  seinen  Lehrer  Notker  hat  Ekkehard  eine  grofse 
Menge  metrischer  Hebungen  (dictamina)  verfertigt,  die,  verkünstelt 
und  geschmacklos,  wie  sie  meistens  sind,  doch  von  diesem  als  der 
Aufbewahrung  wert  erachtet  Avurden ;  andere,  die  zum  Teile  an 
seinen  Bruder  Immo,  Abt  von  Münster  im  Gregorienthai,  gerichtet 
sind,  fügte  er  später  aus  eigenem  Antriebe  hinzu.  Die  in  der  Hand- 
schrift der  Stiftsbibliothek  393  im  Originale  erhaltene  Sammlung 
unter  dem  Titel  Liber  henedictionum  stellte  er  zusammen  auf  An- 
regung des  Stabloer  Mönchs  Johannes,  Neffen  des  Abtes  Poppo,  der 
in  St.  Maximin  und  Limburg  Abt  wurde  und  am  11.  Juli  103G  ge- 
storben ist').  Auf  den  Wunsch  des  Abtes  Purchard  IL  (1001—1022), 
der  ein  eifriger  Beförderer  der  lateinischen  Dichtkunst  war^),  machte 
er  Verse  zu  den  Bildern  aus  dem  Leben  des  heiligen  Gallus,  welche 
Abt  Immo  (975 — 984)  im  Kloster  hatte  malen  lassen.  Ebenso 
dichtete  er  in  Mainz  auf  Aribos  Wunsch  Unterschriften  zu  den  Ge- 
mälden des  Doms^)  und  überarbeitete  den  Wcdfharius  des  älteren 
Ekkehard  (L,  f  973),  den  dieser  für  seinen  Lehrer  Gerald  in  Verse 
gebracht,  Gerald  dem  Bischöfe  Erchenbald  von  Strafsburg  gewidmet 
hatte^). 

')  Vgl.  vorzüglich  E.  Dümmler,  Ekkehart  lY.  in  Zeitschr.  f.  D.  Altert. 
XIV,  1 — 73,  und  G.  Meyer  von  Knonau  in  der  Einleitung  zu  seiner  Aus- 
gabe der  Casus  S.  Galli.  Ausgaben  aus  dem  Liher  henedictionum:  Rythnii 
de  S.  Othmaro,  mit  Glossen,  worin  Ekkehard  dieselben  St.  Galler  Lehrer 
feiert  wie  in  der  Chronik',  MG.  SS.  II,  55 — 58  mit  Verbesserungen  von 
Dümmler  1.  c.  p.  13;  neue  Ausg.  vor  den  Gas.  S.  Galli  ed.  M.  v.  Knonau 
p.  LXXXV — LXXXIX. ;  Benedictiones  ad  mensas  ed.  F.  Keller,  Mitteil.  d. 
Antiqu.  Ges.  in  Zürich  III,  97 — 121;  Versus  ad  piduras  domiis  domini 
Moguntinae  ed.  J.  Kieffer  (vgl.  unten  Anm.  3);  J.  Egli,  Neue  Dichtungen 
aus  dem  lib.  bened.  Ekkeharts  IV.,  St.  Gallen  1898:  Vorläufer  einer 
neuen  umfassenden  Ausgabe. 

^)  An  diesen  Abt  ist,  als  er  sich  am  Hofe  befand,  ein  mex-kwürdiges 
Schreiben  über  einen  Kirchendiebstahl  und  dessen  Entdeckung  von  seinen 
Mönchen  gerichtet,  gedr.  in  Wartmanns  Urkundenbuch  III,  34  und  von 
Baechtold,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XXXI,  190. 

^)  Gedruckt  am  besten  von  Jos.  Kieffer  im  Progr.  des  Grofsh.  Gymn. 
in  Mainz  1881;  vgl.  NA.  VII,  419. 

*)  Ekkehardi  I.  Waltharius  ed.  Rud.  Peiper,  Berol.  1873.  Waltharius 
nach  der  handschriftl.  Ueberlieferung  berichtigt,  mit  deutscher  Ueber- 
tragung  und  Erläuterungen  von  J.  v.  Scheffel  u.  A.  Holder,  Stuttg.  1874. 
Waltharii  poesis  ed.  Althof  I,  Leipz.  1899.  Uebersetzt  von  P.  v.  Winter- 
feld (Ekkehards  I.  Gedicht  von  Walther  u.  Hildegund),  Innsbruck  1897; 
von  Althof  (Waltharilied),  mit  Erläuterungen,  Leipz.  1902.  Zur  Kritik 
und  Erläuterung :  W.  Meyer  aus  Speyer,  Philolog.  Bemerkungen,  Münch. 
SB.  1873  S.  361;  derselbe,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XLHC  113—146; 
P.  V.  Winterfeld,   NA.  XXII,   554—570;    derselbe   in  der  Zeitschr.  f.  D. 


Ekkehard  IV.     Casus  S.  Galli.  443 

In  St.  Gallen  war  inzwischen  eine  ijjrofse  Veränderung  eingetreten. 
Von  Stablo  kam  als  Abt  Norbert  (1034 — 1''72),  um  die  strengere 
französische  Zucht  des  Abtes  Poppe  einzuführen,  unter  lebhaftem 
Widerstreben  der  alten  Mönche.  Ekkehard  war,  trotz  seiner  Freund- 
schaft mit  Johannes,  ebenso  heftig  gegen  diese  Neuerer  erbittert, 
wie  jener  Priester  Egbert  (oben  S.  436) ,  und  die  Störung  der  Ver- 
hältnisse, die  Vei-nichtung  der  alten  Harmonie  und  wohl  auch  der 
alten  mehr  profanen  Studien ,  die  von  nun  an  in  St.  Gallen  ver- 
schwinden, mögen  ihn  vorzüglich  veranlafst  haben,  die  Kloster- 
chronik fortzusetzen  und  das  Andenken  der  guten  alten  Zeit  zu 
retten  \).  Mit  der  anziehendsten  Ausführlichkeit  erzählt  er  von  dieser, 
mit  einer  reichen  Fülle  von  einzelnen  Zügen,  die  uns  ganz  in  das 
Innerste  des  Klosters  einführen;  er  schildert  die  Schicksale  des- 
selben, die  Thätigkeit  der  verschiedenen  Lehrer  und  ihr  Leben  mit- 
einander; aber  freilich  hatte  er  dafür  keine  andere  Quelle  als  das 
Gedächtnis  an  eine  schon  sehr  fern  liegende  Vergangenheit,  an  Er- 
zählungen, die  er  in  seiner  Kindheit  gehört  hatte.  Es  ist  daher 
nicht  zu  verwundern,  dal's  sich  ihm  in  den  Einzelheiten  vielfache 
Irrtümer  und  Verwirrungen  nachweisen  lassen ;  die  kulturgeschicht- 
liche Bedeutung  der  Schilderung  wird  aber  dadurch  wenig  gemindert, 
Ton  und  Färbung  des  Bildes  werden  wir  als  wahrhaft  anerkennen 
können,  wenn  auch  die  Umrisse  einzelner  Gestalten  täuschen,  die 
gate  alte  Zeit  zu  sehr  verherrlicht  ist.  Leider  hat  Ekkehard  sein 
Werk  nur  bis  zum  Jahre  971  geführt,  und  weit  über  ein  Jahr- 
hundert verging  nach  ihm,  bevor  man  wieder  an  die  weitere  Fort- 
setzung dachte. 

Schätzbar  durch  Nachrichten  über  den  verheerenden  Einfall 
der  Ungern  im  Jahre  926  ist  die  sonst  nicht  bedeutende  Lebens- 
beschreibung der  Klausnerin  Wiborada,  von  dem  Sanktgaller 
Mönche  Hartmann  erst  gegen  das  Ende  des  Jahi'hunderts  verfal'st^). 

Das  Kloster  Reichenau  erhält  eine  besondere  Bedeutung 
dadurch,  dafs  es  an  der  HauptstraCse  nach  Italien  lag.  Bischöfe 
von  Verona   haben   hier   Kirchen   gestiftet;   griechische  und   italie- 


Altert.  XLV  Anz.  9— 30;  Sirecker,  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XLII,  339—365; 
ders.  im  Dortmunder  Gymn.-Programm  1899;  ders. ,  Neue  Jahrb.  f.  d. 
klass.  Altert.  TU,  573—594.  629—645;  Manitius,  Mitt.  d.  Inst.  XXIV,  111. 
Ferner:  Baechtold.  Gesch.  d.  D.  Litt.  i.  d.  Schweiz,  S.  43 — 58;  Kelle,  Gesch. 
d.  D.  Litt.  I,  218—226;  Kögel.  Gesch.  d.  D.  Litt.  I,  2,  275—342. 

1)  Vgl.  oben  S.  267  f.  u.  274. 

^)  Vita  S.  Wiboradae  auct.  Hartmauno  mon.  Sangallensi  ed.  Waitz, 
MG.  SS.  IV.  446.  452—457.  Vgl.  Stalin  l,  424  u.  Meyer  v.  Knonau  zu 
Ekkehards  Gas.  S.  Galli  S.  203. 


444  III-  Ottonen.     §  9-   Alamannien. 

nische  Pilger  und  Reisende  werden  erwähnt,  und  auch  Irländer 
und  Isländer  lassen  sich  hier  nachweisen.  Durch  Nachrichten 
dieser  Art  verdienen  die  Wunder  des  heiligen  Markus  Be- 
achtung, dessen  Reliquien  830  von  Venedig  nach  Reichenau  gebracht 
sein  sollten.  Die  vielfach  lautgewordenen  Zweifel  an  der  Echtheit 
der  Reliquien  veranlafsten  natürlich  eine  um  so  viel  gröl'sere  Zahl 
von  Wundern,  und  auch  die  Abfassung  eines  apologetischen  Berichtes 
darüber,  welcher  noch  unter  Heinrich  I.  oder  gleich  nach  seinem 
Tode  geschrieben  ist^).  Eine  andere  Reliquie,  die  als  eine  besondere 
Kostbarkeit  betrachtet  wurde,  war  ein  Kreuz  mit  dem  Blute 
Christi,  das  durch  einen  Araber  Hassan  an  Kax'l  gebracht  sein 
sollte  und  925  nach  Reichenau  geschenkt  wurde.  Neben  vielem 
Fabelhaften,  das  aber  für  die  Sagengeschichte  nicht  unwichtig  ist, 
enthält  die  darüber  verfafste  Schrift  doch  auch  einige  geschicht- 
liche Nachrichten-).  Aehnlicher  Art  sind  auch  die  im  Anfange  des 
1  I.Jahrhunderts  in  Zurzach  beschriebenen  Wu  n  der  der  heiligen 
Verena^).  Den  Abt  Liutharius,  sonst  Liuthard  genannt,  feiern 
einige  Verse  wegen  runder  Fenster,  durch  welche  er  Licht  in  ein 
dunkles  Gemach  gebracht  hatte^).  Ihm  schreibt  Stephan  BeifseP)  das 
reich  geschmückte  Evangeliar  zu,  welches  im  Dome  zu  Aachen  liegt, 
mit  der  Widmung: 

Hoc,  Auguste,  libro  tibi  cor  deus  induat,  Otto, 

quem  de  Liuthario  te  suseepisse  memento. 

Aber  wenn    diese  Handschrift  wohl   auch   in  Reichenau  entstanden 

ist  und  in  den  Anfang  der  glänzenden  Reihe   schöner  Prachtbände 

gehört*'),  die  beweisen,  dafs  in  Ottonischer  Zeit  Reichenau  etwa  eine 

^)  Vgl.  oben  S.  284.  Diese  Miracula  S.  Marci  sind  nach  Hauck  III, 
284  A.  3  um  934  verfal'st.  Reichenauer  Sequenz  aus  dieser  Zeit  De  S, 
Marco  bei  Blume  und  Dreves,  Analecta  hymn.  XXXIV,  225  n.  274. 

^)  Ex  translatione  Sanguinis  Doinitii,  gedr.  im  Auszuge  von  Waitz, 
MG.  SS.  IV,  445.  446*— 449;  vollständig  bei  Mone,  Quellens.  I,  671—676; 
übers,  von  Oehem  (Brandi,  Quellen  u.  Forsch,  z.  Gesch.  d.  Abtei  Reichenau 
Bd.  II)  S.  66 — 72.  Vgl.  dazu  Aronius  in  der  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Juden 
in  Deutschland  II,  76—81,  und  NA.  XXVI,  269  n.  42. 

3)  Miracula  S.  Verenae  ed.  Waitz,  MG.  SS.  IV,  457—460;  Varianten 
von  Baumann,  Anz.  f.  Schweiz.  Gesch.  N.  F.  II  (1877)  S.  288.  Vgl.  Stalin 
I.  423.  Die  verschiedenen  Vitae  der  Verena  sind  nur  Erweiterungen  aus 
Notkers  Martyrologium.  Eine  in  fliefsenden  Hexametern  aus  Tegernsee 
bei  Harster,  Vitae  Sanctorum  p.  15 — 19. 

^)  Dümmler,  NA.  V,  433,  vgl.  X,  610  und  Beifsel  an  der  gleich  an- 
zuführenden Stelle. 

^)  Die  Bilder  der  Hs.  des  Kaisers  Otto  im  Münster  zu  Aachen,  1886. 
S.  60. 

®)  Vgl.  oben  S.  403  Anm.  4  über  Reichenauer  Hss. ,  die  nach  Köln, 
S.  408  Anm.  4  u.  5  über  solche,  die  nach  Trier  geliefert  wurden. 


Reichenau.     Witigowo.  445 

Stelle  einnahm  wie  Tours  in  der  Karolingischen,  so  kann  doch  un- 
möglich Abt  Liuthard ,  den  BeiCsel  freilich  sein  Kloster  bis  949 
leiten  lälst,  der  aber  vielmehr  von  92G — 934  Abt  war,  der  Urheber 
oder  Geber  eines  für  Kaiser  Otto  bestimmten  Werkes  sein'). 

Von  mehr  geschichtlichem  Inhalte  ist  ein  nur  lückenhaft  er- 
haltenes Gedicht  —  es  fehlen  in  der  uns  erhaltenen  Niederschrift 
des  Verfassers  an  zwei  Stellen  je  zwei  Blätter  mit  etwa  100  Ver- 
sen —  zu  Ehren  des  Abtes  Witigowo  (985 — 997),  von  Purchard 
im  Jahre  994  nicht  ohne  Geschmack  und  Kunstfertigkeit  verfal'st. 
Er  läfst  darin  die  Augia  selbst  auftreten,  trostlos  über  die  häufige 
Abwesenheit  des  Abtes,  der  bald  am  kaiserlichen  Hofe  weilt,  bald 
die  Stiftsgüter  mit  Kirchen  schmückt;  ausführlich  beiüchtet  sie  von 
seinen  Verdiensten,  namentlich  dem  Xeubaue  des  Klosters.  Ein 
Nachtrag  vom  Jahre  996  berührt  die  Teilnahme  des  Abtes  an 
Ottos  III.  Kömerzuge-).  Er  brachte  Reliquien  und  Privilegien  mit; 
dann  aber  scheint  es  ihm  nicht  anders  ergangen  zu  sein  als  dem 
Abte  Ratgar  von  Fulda :  er  wurde  abgesetzt").  Nicht  unwahrschein- 
lich ist  es,  dals  dui-ch  die  Bauten  die  Zucht  gelockert  und  dadurch 
die  folgende  Katastrophe  herbeigeführt  wurde. 

Im  Jahre  1006  nötigte  nämlich  Heinrich  II.  den  Mönchen  wider 
ihren  Willen  den  Abt  Immo  auf,  welcher  schon  den  Klöstern  Gorze 
und  Prüm  vorstand,  und  die  strenge  lothringische  Zucht  mit  grofser 
Härte  den  Mönchen  aufzudrängen  versuchte,  was  viele  von  diesen 
zur  Flucht  vei'anlafste  und  dem  Kloster  grofsen  Schaden  that.  Davon 
hat  der  Mönch  Rudpert  in  Prosa  und  in  Versen  berichtet*),  sein 


')  Vgl.  Vöge,  Deutsche  Malerschule  S.  77. 

^)  Purchardi  carmen  de  Gestio  Witigowonii<  ed.  Pertz ,  MG.  SS.  IV, 
621 — 632,  der  die  Lücken  nicht  bemerkt  hatte;  Berichtigungen  aus  Gallus 
Oehem  versuchte  0.  Breitenbach,  NA.  II,  176 — 178,  doch  benutzte  Oehem 
die  auch  uns  erhaltene  unvollständige  Hs.  und  hat  keinen  selbständigen 
Wert.  Erst  Brandi  in  der  Ausg.  Oehems  (S.  25.  33.  73 — 75)  hat  dies 
aufgeklärt  und  die  Lücken  der  Hs.  angegeben.  Das  zur  Handschrift  ge- 
hörige Bild  bei  Mone  III,  Tafel  1;  vgl.  Sauerland  u.  Haseloif,  Psalter 
Egberts  S.  169.  Vgl.  über  das  Gedicht  Ebert  III,  339—342;  über  die  in 
ihm  geschilderte  grofsartige  Reichenauer  Kunstthätigkeit  und  die  erhal- 
tenen z.  T.  mit  Witigowo  in  Beziehung  stehenden  Denkmäler:  Wand- 
gemälde der  St.  Georgskirche  zu  Oberzell  auf  der  Pieichenau,  Elfenbein- 
plastik, Metallarbeit ,  Buchmalerei  (worüber  oben  S.  444  Anm.  6) ,  vgl. 
Neuwirth,  Wiener  SB.  CVI,  65  ff.;  F.  X.  Kraus,  Gesch.  d.  christl.  Kunst 
II,  54  ff.;  Haseloff  a.  a.  0.  S.  169  ff. 

ä)  Herim.  Aug.  Chron.  ad  a.  997,  MG.  SS.  V,  118:  .Witigowone 
abbate  privato  Alawicus  promotus".  Pertz  vermutet  sogar  „vita  pri- 
vate". 

*)  Herim.  Aug.  Chron.  ad  a.  1006,  ebenda.  Ueber  Immo  von  Gorze 
vgl.  oben  S.  381  Anm.  1  u.  S.  415  Anm.  3. 


446  III-  Ottonen.     §  9.   Alamannien. 

Werk  ist  aber  verloren.  Nach  zwei  Jahren  erlöste  der  König 
Reichenau  von  seinem  Zuchtmeister  und  machte  den  in  Fleury  aus- 
gebildeten Mönch  Bern  aus  dem  Kloster  Prüm  zum  Abte,  welcher 
den  früheren  blühenden  Zustand  wieder  herstellte^). 

Die  beiden  grofsen  Klöster  scheinen  alles  au  sich  gezogen  zu 
haben,  was  an  litterarischer  Thätigkeit  noch  vorhanden  war ;  K  o  n- 
stanz,  so  sehr  es  durch  bedeutende  Bischöfe  ausgezeichnet  war, 
tidtt  litterarisch  gar  nicht  hervor,  denn  Salomo  III.,  dessen  Gedichte 
ebenso  wie  die  auf  ihn  bezüglichen  Briefe  oben  (S.  273  f.)  erwähnt 
wurden,  gehöi't  ganz  dem  Kloster  St.  Gallen  an,  welchem  er  seine 
Bildung  verdankte  und  in  dem  sein  Andenken  immer  fortlebte.  Von 
dem  Bischöfe  Conrad  (934 — 976)  gibt  es  freilich  eine  Biographie^); 
sie  ist  aber  erst  150  Jahre  nach  seinem  Tode  geschrieben  und  von 
geringem  Werte.  Das  Leben  des  Bischofs  Gebehard  IL  (980  bis 
995)  ist  ebenfalls  erst  viel  später,  im  L2.  Jahrhunderte,  in  seiner 
Stiftung  Petershausen  verfafst;  es  enthält  einige  merkwürdige  Nach- 
richten über  den  Bau  des  Klosters^). 

Wir  haben  schon  gesehen,  wie  St.  Gallen  auch  in  die  Ferne 
wirkte  durch  seinen  Probst  Notker,  der  972  Bischof  von  Lüttich 
wurde.  Zwei  Ekkeharde  gingen  ferner  nach  Mainz.  Mit  Weifsen- 
burg  war  vielfacher  Verkehr  und  auch  mit  Strafsburg,  besonders 
unter  dem  Bischöfe  Erchenbald  (965 — 991).  Dieser,  der  durch 
den  zweiten  und  dritten  Otto  mannigfach  begünstigt  wurde,  war 
wissenschaftlich  gebildet,  machte  selbst  Verse  und  nahm  sich  eifrigst 
der  Bibliothek  an,  für  welche  er  Abschriften  machen  liefs.  Wimphe- 
ling  hat  noch  Aufzeichnungen  aus  seiner  Zeit  gehabt,  welche  später 
verloren  sind"*).   Er  ist  es  auch  ohne  Zweifel  gewesen,  dem  der  Wol- 

P  Vgl.  im  2.  Bande  IV,  §  5  (6.  Aufl.  S.  42). 

-)  Vita  Cuonradi  Constantiensis  episcopi  auctore  Oudascalcho  ed.  Pertz, 
MG.  SS.  IV,  429— 43G.  Seine  Verbrüderung  mit  St.  Gallen  bei  Dümmler 
u.  Wartmann  S.  17;  Piper,  MG.  Libri  Confrat.  p.  138.  Vgl.  über  ihn  die 
Zusätze  Hermanns  zum  Martyrolog.  Notkeri,  Forsch.  XXV,  211. 

^)  Vita  Gebehardi  episcopi  Constantiensis  ed.  Wattenbach,  MG.  SS.  X, 
582—594.  Vgl.  G.  Meyer  v.  Knonau,  Allgem.  D.  Biogr.  VIII,  453.  Auf 
ihn  bezieht  sich  die  von  Holder-Egger,  SS.  XV,  2,  1023  abgedruckte 
Dedicatio  capellae  Litbacensis  (Lipi^ach  im  Amte  Ueberlingen).  Sequenzen 
auf  ihn  bei  Kebrein  n.  584  und  (aus  Petershausen)  n.  585. 

*)  Catalogus  episcoporum  Argentinensiura,  1.  Ausg.  Strafsburg  1508 
(2.  durch  Moscherosch  ebd.  1651):  fol.  XXII  (S.  32  der  2.  Ausg.)  ein  Ge- 
bet (auch  bei  Migne  CXXXVII,  583);  fol.  XXIII  (S.  38—34)  ein  Verzeichnis 
von  17  Bischöfen,  bei  deren  Weihe  er  mitwirkte,  nebst  Angabe  des  Orts, 
wo  sie  geweiht  (abgedr.  MG.  SS.  XIII,  328) ;  fol.  XXIV  (S.  35)  Verse  aus 
Handschriften  und  von  ihm  geschenkte  Bücher,  die  damals  noch  vor- 
handen waren;  fol.  XXV  (S.  37)  eine  kurze  gleichzeitige  Notiz  über  die 
Sarazenenschlacht  von  982,  abgedr.  MG.  SS.  XIII,  43  Anm.  6.   Der  Schlufs 


Konstanz.     Strafsburg.  447 

tharius  überreicht  wurde  0»  Zur  Zeit  des  Abtes  Burchard  (958 — 971) 
berief  er,  wie  Ekkehard  erzcäblt,  den  Sanktgaller  Mönch  Victor,  einen 
fähigen  und  gelehrten,  aber  unruhigen  Mann  von  vornehmer  Abkunft 
nach  Stralsburg,  wo  er  mit  Erfolg  als  Lehrer  wirkte').  Nach  dem 
Tode  des  Bischofs  zog  der  in  früherer  Zeit  geblendete  Victor  sich 
als  Eremit  in  die  Einsamkeit  zurück.  Erchenbald  aber  hat  auch 
selbst  einige  Verse  über  seine  Vorfahren  im  Bistume  verfalst^). 
Andererseits  wirkte  auch  Frankreich  auf  Strafsburg  ein;  Constan- 
tius,  der  berühmte  Scholaster  von  Luxeuil,  hat  hier  gelehrt"*).  Das 
von  dem  Iren  Deicolus  gestiftete  Kloster  Lutra  (Lure,  Lüders) 
wurde  aus  gänzlichem  Verfalle  mit  Ottos  I.  Hilfe  durch  Baltram 
hergestellt,  dem  sein  Neflfe  Werdolf  folgte.  Dieser  veranlafste  nach 
Ottos  Tode  die  Aufzeichnung  der  Vita  S.  Deicoli'O,  in  w^elcher,  weil 
Lutra  an  Waldrada  gekommen  war,  sich  sagenhafte  Nachi-ichten 
über  Lothar  IL  finden. 

Aus  der  Klosterschule  von  St.  Gallen  ,  wo  ein  grofser  Teil  der 
jungen  vornehmen ,  zu  hohen  Kirchenäratern  bestimmten  Geistlich- 
keit erzogen  wurde,  ging  auch  der  ausgezeichnetste  Bischof  hervor, 
den  Alamannien  in  der  Ottoniscben  Zeit  besessen  hat,  üdalrich 
aus  dem  Hause  der  Grafen  von  Dillingen'''),  der  von  924 — 973  dem 


lautet  nicht  „devincente"',  sondern  „deo  vincente",  vgl.  Bibliotbeque  A.  Fir- 
min-Didot,  Catalogue  des  livres  rares  et  precieux,  Paris,  Juin  1882,  p.  11 
bis  13  in  d.  Beschreibung  der  aus  Stralsburg  stauimenden  Handschrift. 
Vgl.  über  Erchenbald :  Hauck  III ,  325  und  über  seine  Bücher  Stettiner, 
Prudentiushss.  S.  97—102.  Schon  B.  Werinhar  v.  Stralsburg  (1001—1028) 
vermehrte  eifrig  die  Bibliothek,  vgl.  VVimpheling  fol.  XX\II  (S.  39—40), 
Stettiner  S.  97,  oben  S.  355  Anm.  5. 

^)  Oben  S.  442.  Ueber  seine  Bezeichnung  als  „summus  pontifex* 
vgl.  Hirsch-BrelVlau ,  Heinrich  IL  Bd.  III  S.  230  Anm.  4.  Ebenso  wird 
z.  B.  auch  der  Bischof  von  Worms  genannt  in  dem  Briefe  bei  A.  Mai, 
Spicil.  Va,  147  und  Erchanbert  v.  Eichstätt  von  Wolfhard  bei  Pez,  Thes. 
VI,  1.  91.  Ueber  ganz  abweichende  Vermutungen  von  Grellet-Balguerie 
vgl.  NA.  XVI,  456  und  Krit.  Jahresbericht  d.  Roman.  Philologie  1  (1890) 
S.  95. 

-)  „Urbem  suam  doctrinis  eius  floridam  fecit."  MG.  SS.  II,  116;  vgl. 
Meyer  v.  Knonau  z.  Ekk.  S.  273 — 275. 

^)  Böhmers  Fontes  III  p.  XII  und  1 — 4.  Grandidier,  Nouv.  oeuvres 
ined.  I,  330  ff.  Vgl.  Rettberg  I,  214.  II,  60.  Friedrich,  Drei  uned.  Kon- 
zilien S.  54.     Meyer  v.  Knonau  a.  a.  0. 

■*)  In  der  schon  oben  S.  355  angeführten  Totenklage  um  Konstantins 
heilst  es,  dafs  Kaiser  Heinrich  und  König  Rotbert,  Frankreich,  Deutsch- 
land und  Langobardien  um  ihn  trauern.  Strafsburg  und  Lyon  werden 
besonders  genannt. 

*)  Vita  S.  Deicoli,  Acta  SS.  lan.  II,  199—210;  Mabillon  II,  102—116. 
Ein  Auszug  ed.  Waitz,  MG.  SS.  XV,  2,  674—682.  Vgl.  Dümmler,  Otto 
der  Gr.  S.  309  und  Ostfr.  II,  245. 

«)  Ueber  diese  vgl.  Steichele,  Das  Bisthum  Augsb.  ITI  (1872)  S.  31—55. 


448  III-  Ottonen.     §  9.   Alamannien. 

Sprengel  von  Augsburg  vorstand  und  ein  segensreiches  Andenken 
hinterlassen  hat\).  Ohne  Zweifel  würde  er  hier  eine  reiche  Ent- 
faltung geistiger  Thätigkeit  hervorgerufen  haben,  wenn  nicht  die 
schweren  Zeiten,  welche  Ludolfs  Aufstand  und  der  Ungernkrieg 
über  Stadt  und  Sprengel  brachten,  seine  Wirksamkeit  gehemmt 
hätten.  Die  Folgen  dieser  Ereignisse  sind  gewifs  noch  lange  fühlbar 
gewesen;  doch  finden  wir  zu  Bischof  Liutolds  Zeit  (989 — 996)  in 
den  Briefen  des  Wigo  von  Feuchtwangen  ^)  den  blühenden  Zustand 
der  Augsburger  Schule  gerühmt.  Zugleich  zeigen  uns  diese  zu- 
fällig erhaltenen  Briefe  ein  lebhaftes  litterarisches  Streben  in  dem 
Kloster  Feuchtwangen,  im  nördlichsten  Winkel  des  Augsburger 
Bistums.  Wir  dürfen  daraus  wohl  den  Schlufs  ziehen,  dafs  noch 
an  manchen  Orten  eifrig  gelehrt  und  gelernt  wurde,  ohne  dafs 
uns  eine  Nachricht  aufbewahrt  ist,  und  dafs  auch  vieles  geschrie- 
ben worden  ist,  was  später  unbeachtet  zu  Grunde  ging,  lieber 
S.  Ulrichs  segensreiche  Wirksamkeit  aber  ist  uns  glücklicherweise 
ein  reichhaltiger  und  vortrefflicher  Bericht  zugekommen,  dessen 
Verfasser,  der  Priester  Gerhard,  ein  jüngerer  Zeitgenosse  des 
Bischofs,  zugleich  durch  seine  gute  Darstellung  den  gesegneten 
Erfolg  von  Udalrichs  Bestrebungen  bezeugt.  Die  aufserordentlich 
angesehene  Stellung  dieses  Bischofs,  sein  Einflufs  bei  Hofe,  die 
mannhafte  Verteidigung  seiner  Stadt  und  seines  Sprengeis  gegen 
die  Aufrührer  und  gegen  die  Ungern  geben  seiner  Biographie 
besondere  Wichtigkeit  und  stellen  sie  dem  Leben  des  Erzbischofs 
Bi'uno  zur  Seite;  doch  ist  die  Sprache  sehr  gesucht  und  oft  ganz 
fehlerhaft,  griechische  und  deutsche  Worte  werden  eingemischt. 
Auch  die  Zeit  seines  Nachfolgers  Heinrich  (973 — 982)  zog  Ger- 
hard in   seine  Darstellung^).     Liutold  oder  Ludolf  bewirkte  993 


^)  Handschriften,  darunter  reich  verzierte,  mit  dem  Namen  eines 
Üdalricus  peccator  haben  mit  ihm  nichts  zu  tun,  vgl.  Wattenbach,  NA. 
X,  410  'Und  Swarzenski,  Regensburger  Buchmalerei  S.  117  Anm. 

^)  Wigonis  Decani  Phyuhtwangensis  monasterü  Epistolae,  ed.  B.  Pez, 
Thes.  VI,  1,  110 — 120;  wiederholt  nebst  einem  neuen  Briefe  nach  der  Hs. 
München  lat.  19412  (aus  Tegernsee)  von  Steichele  a.  a.  0.  S.  341—349 
mit  Nachrichten  über  das  Klostei',  welches  sich  nicht  halten  konnte  und 
Kollegiatstift  wurde.  Vgl.  Bessert  in  den  Württ.  Vierteljahrsheften  JV 
(1881),  67  ff.,  231  ff.,  387  ff.;  Seiler,  Zeitschr.  f.  D.  Philol.  XIV,  385  ff.: 
Schepfs,  ebd.  S.  419  ff.;  Hauck  III,  328;  hier  unten  S.  453  Anm.  1. 

^)  Gerhardi  Vita  S.  Oudalrici  episcopi,  ed.  Waitz,  MG.  SS.  IV,  377  bis 
428.  Migne  CXXXV  aus  Mabillon.  Üebers.  von  Grandaur,  Geschichtschr. 
31  (X,  4.  2)  1891  mit  Exkurs  über  die  Schlacht  auf  dem  Lechfelde ; 
vgl.  Gundiach,  Heldenlieder  I,  183—192.  Vgl.  Stalin  I,  424.  Gieseln-echt, 
Geschichte  d.  Kaiserzeit  1 ,  784.  Ruiand  in  Steicheles  Archiv  für  die 
Geschichte    des   Bistums  Augsburg  I,  7.     K.  Raffler,  Ueber  den  heiligen 


Vitii  Udalrici.     Regensburg.  449 

die  Canonisation  S.  Ulrichs,  das  erste  BeisjDiel  eines  solchen  Aktes, 
und  von  da  an  wurde  das  Leben  desselben  immer  von  neuem, 
später  auch  in  deutscher  Sprache  überarbeitet;  schon  Bischof  Ge b- 
hard  (996—999),  früher  Abt  von  Ellwangen,  dem  die  Zeitgenossen 
hohes  Lob  zollen,  machte  den  Anfang  damit'),  aber  geschichtlichen 
Wert  hat  nur  das  ursprüngliche  Werk.  Lehrreich  sind  diese  Be- 
arbeitungen nur,  insofern  man  recht  deutlich  sehen  kann,  wie  das 
geschichtliche  Element  sich  immer  mehr  verflüchtigt  und  dafür  der 
rhetorische  Schmuck,  die  herkömmlichen  Phrasen  überhand  nehmen, 
bis  nur  noch  eine  gewöhnliche  mit  Wundern  überladene  Legende 
übrig  bleibt^). 

§  10.     Bayern. 

Ein  Geschichtswerk  aus  Bayern  ist  uns  aus  diesem  Zeiträume 
nicht  aufbewahrt,  wohl  aber  mögen  Aufzeichnungen  vorhanden 
gewesen  sein,  welche  für  uns  verloren  sind,  wie  die  Salzburger 
Annalen  von  835  an,  und  Regensburger  Annalen,  von 
denen  Spuren  sich  in  späteren  Werken  nachweisen  lassen  ').  Doch 
hatte  auch  gerade  dieses  Land  besonders  schwer  durch  die  Ver- 
heerungen der  Ungern  gelitten;  manches  blühende  Kloster  war  zer- 
stört, andere  durch  Herzog  Arnulfs  Säkularisationen  kaum  minder 
hart  getroffen,  und  erst  allmählich  begann  eine  neue  Entwickelung 
und  wissenschaftliche  Thätigkeit. 

In  Regensburg  starb  am  23.  September  972  der  Bischof 
Michael,  der  in  seinem  Epitaphium*)  sehr  gepriesen  wird.  Als 
sein  Nachfolger  wirkte  bis  994  der  treffliche  Bischof  Wolf  gang, 


Ulrich.  Augsburg  1866.  Jul.  Koch,  Gesch.  u.  Cult  des  heiligen  Ulrich, 
Hall.  Diss.  1875.  Ebert  III,  459—463.  Hauck  III,  47—52.  Gegen  die 
Glaubwürdigkeit  von  Gerhards  Bericht  über  die  Schlacht  auf  dem  Lech- 
felde  Brückner,  Studien  z.  Gesch.  der  sächsischen  Kaiser,  S.  17 — 21.  — 
Ueber  Ulrich  handelt  aufser  Gerhard  auch  Ekkehard  in  einem  fabelreichen 
Exkurse,  MG.  SS.  II,  107—109;  bei  M.  v.  Knonau  mit  Komm.  S.  210 
bis  224.  Vgl.  ferner  über  Ulrich  den  Zusatz  zum  Martyrolog.  Notkeri, 
Forsch.  XXV,  209—211.  —  Augsburger  Bischofsverz.  MG.  SS.  XIII,  333, 
und  mit  den  Aebten  von  St.  Ulrich  u.  Afra  S.  278,  ein  anderes  SS. 
XV,  2.  1308. 

1)  Nur  der  Prolog  abgedr.  MG.  SS.  IV  381. 

2)  Eine  sehr  fabelhafte  Version  NA.  VII,  139. 

')  Vgl.  oben  S.  166.  Annales  S.  Emmerami  hrevissimi  792.  817.  930 
bis  1062  und  Annale-':!  S.  Emmerami  saeculi  XI  (1036  —  1046)  ed.  Jaffe, 
MG.  SS.  XVII,  571  sind  sehr  unbedeutend. 

■*)  Aus  einer  Erameramer  Hs.  bei  Dümmler,  Otto  I.  8.  594.  Einti-äge, 
die  sich  auf  ihn  beziehen,  in  einer  Oberaltaicher,  vordem  Regensburger 
Hs.  bei  Steinmeyer,  Ahd.  Gl.  IV,  531. 

Wattenbach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl.  29 


450  l'I-  Ottonen.     §  10.   Bayern. 

ein  Schwabe  von  Gebiirt,  der  zuerst  in  Reichenau  die  Schule  besucht 
hatte ,  wo  er  mit  Heinrich ,  des  Bischofs  Poppo  von  Würzburg 
Bruder,  Freundschaft  schlofs  und  ihn  nach  Würzburg  begleitete, 
um  die  Vorträge  des  italienischen  Grammatikers  Stephan  zu  hören. 
Als  956  Heinrich  Erzbischof  von  Trier  wurde,  mufste  Wolfgang 
ihm  auch  dahin  folgen,  und  teils  als  Lehrer,  teils  als  Dekan  für 
die  Herstellung  der  Zucht  thätig  sein.  Allein  nach  Heinrichs  frühem 
Tode  964  liefs  er  sich  durch  nichts,  auch  nicht  durch  die  Bemü- 
hungen des  Kölner  Erzbischofs  Bruno,  ihn  zu  gewinnen ,  abhalten, 
seinem  Herzenswunsche  zu  folgen  und  im  Kloster  Einsiedeln  Mönch 
zu  werden.  Dann  trieb  es  ihn,  den  Ungei'n  das  Evangelium  zu  pre- 
digen ;  hierbei  aber  trat  ihm  Bischof  Piligrim  von  Passau  entgegen 
und  bewirkte  seine  Erhebung  zum  Bischöfe  von  Regensburg,  wo  er 
nun  zu  thätigem  Wirken  in  der  Welt  gezwungen  war  und  sich 
auch  auf  diesem  Felde  ausgezeichnet  bewährte.  Er  hat  einen  Bio- 
graphen gefunden,  aber  nicht  in  Bayern,  sondern  in  Franken,  und 
auch  diese  Schrift  ist  uns  leider  verloren;  nur  in  der  späteren  Be- 
arbeitung von  Otloh  sind  Fragmente  davon  erhalten  *).  Wolfgang 
war  der  Erzieher  Kaiser  Heinrichs  IL  ^),  und  auch  Poppo,  Markgraf 
Liutpolds  Sohn ,  der  1016  Erzbischof  von  Trier  wurde ,  war  in 
Regensburg  erzogen  ^).  Auch  Tagino ,  1004 — 1012  Erzbischof  von 
Magdeburg,  war  vorher  Vitztum  der  Regensburger  Kirche,  ein 
Zögling  Wolfgangs  und  von  ihm  zu  seinem  Nachfolger  bestimmt, 
aber  damals  vom  Kaiser  nicht  bestätigt'').  Balderich,  nach  ihm 
Vitztum,  wurde  1008  Bischof  von  Lüttich. 

Vorzüglich  machte  Wolfgang  sich  verdient  durch  die  Herstellung 

1)  Othloni  Vita  S.  Wolfkangi  episcopi,  MG.  SS.  IV,  521— .542.  Acta 
SS.  Nov.  II,  1,  565  ff.  mit  Benutzung  der  Cheltenhamer  Hs.,  über  welche 
vgl.  NA.  XXII,  646.  688.  Vgl.  über  Wolfgang  im  allgemeinen  Hirsch, 
Heinrich  II.  Bd.  I  S.  112  f.;  Mehler,  Der  h.  Wolf  gang,  Regensburg  1894. 
Ein  unter  ihm  (993?)  hergestelltes  Sakramentar  mit  reichem  ornamen- 
talen Schmucke  kam  in  den  Besitz  des  B.  Otbert  v.  Verona  (992 — 1004), 
jetzt  in  der  dortigen  Capitolare  cod.  LXXXVII  (82) ,  vgl.  Swarzenski, 
Regensburger  Buchmalerei  S.  38 — 41. 

^)  Thietmar  in  den  Versen  vor  dem  5.  Buche. 

^)  Gesta  Trevirorum,  MG.  SS.  VIII,  175.  Notiz  über  eine  1017  von 
Erzb.  Poppo  in  Trier  vollzogene  Altarweihe  in  S.  Maria  ad  martyres  MG. 
SS.  XV,  2,  1125.  Ecclesiae  Trevir.  tiomine  scripti  ad  Popponem  archiep. 
versus  (Beginn:  Sponsits  sponso)  in  der  Cambridger  Liederhs.,  Zeitschr. 
f.  D.  Altert.  XIV,  464  und  Kürschners  D.  Nationallitteratur  CLXII,  224. 
Der  ihm  beigelegte  Brief  an  Benedict  IX.  und  dessen  Antwort  sind 
Fiktion;  vgl.  Brefslau,  Konr.  IT.  Bd.  II  S.  514-518,  und  Lesser,  Erzb. 
Poppo,  Leipz.  1888. 

")  Thietmar  V,  25  (42) ;  Vita  Wolf  k.  c.  36.  Vgl.  Hirsch,  I.  c.  I,  172. 
275;  Uhlirz,  Mitteil,  des  Inst.  XV,  121—128. 


Regensburg.     St.  Emmeram.     Nonnenklöster.  451 

des  altberühmten  Stiftes  zu  St.  Emmeram,  welches  bisher  ganz 
unter  der  Herrschaft  der  Bischöfe  gewesen  war ;  jetzt  zuerst  erhielt 
es  durch  ihn  einen  eigenen  Abt  an  R  a  m  w  o  1  d ,  den  er  aus  St.  Maximin 
berief,  und  der  mit  Eifer  die  klösterliche  Zucht  herstellte').  Ram- 
wold  brachte  Reliquien  mit"),  besorgte  für  seine  Mönche  eine  Ab- 
schrift oder  Bearbeitung  der  Homiliensamralung  des  Paulus  Dia- 
conus  ^),  und  legte  ein  Güterverzeichnis  an ,  wovon  sich  nur  die 
Vorrede  mit  frommen  Ermahnungen  erhalten  hat  ■*).  Doch  hatte 
auch  schon  961  Otto  I.  in  einer  Urkunde  die  Frömmigkeit  und  die 
Studien  der  Mönche  rühmen  können  '").  Ramwold  erlangte  ferner, 
nachdem  er  eine  neue  Kirche  erbaut  hatte,  vom  Abte  Winidhar  von 
Ellwangen  (978 — 987)  Reliquien  der  heiligen  Gemini").  Er  war  es 
auch,  der  durch  Aripo  und  Adalpert  den  herrlichen  870  für  Karl 
den  Kahlen  geschriebenen  Evangelienkodex  ausbessern  liefs'):  durcb 
König  Arnulf  war  diese  Handschrift  aus  St.  Denis  nach  St.  Emme- 
ram gekommen  und  hat  später  zu  der  romanhaften  Translatio  S. 
Dionysii  den  Anlafs  gegeben.  In  der  Emmeramer  Bibliothek  hat 
sich  ein  merkwürdiges  Bruchstück  über  den  Herzog  Arnulf  erhalten, 
merkwürdig  sowohl  als  vereinzelte  Spur  verlorener  geschichtlicher 
Aufzeichnungen,  als  auch  durch  den  heftigen  Widerwillen  gegen  den 
Sachsenkönig,  welcher  sich  darin  ausspricht ,  und  die  Verherrlichung 
des  tapferen  Herzogs,  auf  den  in  späterer  Zeit  die  Geistlichkeit  so 


')  Consiietudines  S.  Emwerammi,  aus  Einsiedeln  stammend  nach  0.  Ring- 
holz,  Stud.  u.  Mitteil.  a.  d.  Bened.-  u.  Cist.-Orden  1886  (NA.  XII,  450), 
sind  jünger,  vgl.  Hauck  III,  377 — 378. 

2)  MG.  SS.  XV,  2,  1094. 

3)  Zeumer,  NA.  X.  389;  der  Prolog  S.  390. 

-»)  Hokler-Egger,  NA.  XIII,  502—564.  vgl.  Hauck  III.  378. 

^)  Dümmler,  Jahrbücher  unter  Otto  I.  S.  320;  MG.  DD.  I,  301. 

ß)  NA.  VII,  620;  vgl.  VIII.  .369. 

")  Ueber  die  Hs.  "(jetzt  München  lat.  14000)  vgl.  Sanftl ,  Diss.  in 
aureum  codicem,  Regensburg  1786;  Riebl,  Zur  bayr.  Kunstgesch.  I  (1885), 
13  und  Vöge,  D.  Malerschule  S.  8  (über  die  im  Missale  Heinrichs  IL  — 
München  lat.  4456  —  vorliegende  Nachahmung );  Chroust.  Monum.  pa- 
laeogr.  II,  2 — 6;  besonders  Swarzenski,  Regensburger  Buchmalerei  S.  29 
bis  37  u.  ö.  Das  Blatt  mit  dem  Bilde  Ramwolds  aus  dieser  Hs.  bei 
Swarzenski,  Tafel  I.  1  und  L.  v.  Kobell.  Kunstvolle  Miniaturen,  Tafel  IV. 
—  Ueber  zwei  Kataloge  der  Hss.  von  St.  Emmeram  aus  der  Zeit  Ramwolds 
(der  erste  ist  gedruckt  MG.  SS.  XVII ,  567,  zum  zweiten  vom  Jahre  993 
gibt  Berichtigungen  Swarzenski  S.  25)  vgl.  Gottlieb,  Ueber  mittelalterl. 
Bibliotheken  S.  67.  —  Die  Hs.  des  Ambrosius  Bamberg  B.  II,  9  (vgl. 
Katalog  I,  1,  347  f.)  hat  in  Geheimschrift  die  Anrufung  ,Sancte  Ambrosi, 
pro  Ramvoldo  intercede".  die  wohl  auf  den  Emmeramer  geht.  —  Bild  aus 
Ramwolds  Traditionsbuch  (vgl.  oben  8.289  Anm.  1)  bei  Chroust  II,  7. 
Chroust  gibt  überhaupt  in  den  ersten  vier  Lieferungen  seiner  Monum. 
palaeogr.  eine  Reihe  von  Tafeln   zur  Gesch.  der  Regensb.  Schreibschule. 


452  ni.  Ottonen.     §  10.   Bayern. 

übel  zu  sprechen  wai\  Das  Fragment  ist  in  Regensburg  geschrieben 
und  zwar  noch  zu  Lebzeiten  des  Herzogs  (921 — 937)  oder  doch  sehr 
bald  nach  seinem  Tode').  Auch  in  den  Regensburger  Nonnen- 
klöstern, die  Wolfgang  teils  begründete,  teils  wieder  herstellte, 
herrschte  Sinn  für  den  Besitz  und  vielleicht  auch  für  die  eigen- 
händige Anfertigung  schöner  Bücher^). 

In  St.  Emmeram  war  Gozpert  Mönch  geworden,  nachdem  er 
in  der  Augsburger  Kirche  von  früher  Jugend  an  seine  Ausbildung 
erhalten  hatte;  982  wurde  er  nach  Hartwichs  Tode  (vgl.  oben  S.  406) 
Abt  von  Tegernsee^)  und  veranlafste  hier  zu  eifriger  Beschäfti- 
gung mit  dem  klassischen  Altertume.  Statius,  Persius,  Horaz,  Ciceros 
Briefe,  Boethius  wurden  gelesen  und  abgeschrieben  "*) ;  natürlich  auch 
Priscian,  aus  dem  man  hier  wie  überall  die  lateinische  Grammatik 
lernte^).  Boethius'  Schrift  vom  Tröste  der  Philosophie  schrieb  Frou- 
mund  in  Köln  ab  und  sandte  sie  nach  Tegernsee®),  Glossen  zum 
Priscian  in  Feuchtwangen  und  im  Pantaleonskloster ').  Dieser 
Froumund  war  Scholaster  in  Tegernsee  und  sammelte  in  einer 
noch  erhaltenen  Handschrift  eigene  und  fremde  Briefe  und  Gedichte; 
daraus   allein   ist   uns  dieses  eifrige  Studium  in  Tegernsee  und  die 


')  Fragmentum  de  Arnulfo  duce  Bavariae  ed.  Jaffe,  MG.  SS.  XVII, 
570,  cf.  568.  Vgl.  Giesebrecht  I,  807.  Die  entgegengesetzte  Auffassung 
Arnulfs  bei  Herrn,  von  Altaich  in  Böhmers  Fontes  III ,  563 ;  MG.  SS. 
XVII,  370. 

^)  Ueber  das  Regelbuch  von  Niedermünster  (Bamberg  Ed.  II,  11)  mit 
den  Bildern  Heinrichs  des  Zänkers  u.  der  ersten  Aebtissin  Uta  u.  Aversen 
über  die  Reform  des  Klosters  vgl.  Hirsch,  Heinrieh  II.  Bd.  I  S.  122  f. 
und  Swarzenski  S.  46 — 55;  über  das  von  derselben  Uta  gewidmete  Evan- 
geliar  (München  lat.  13601)  Swarzenski  S.  88 — 122.  Ueber  andere  Hss. 
der  Regensburger  Frauenklöster  derselbe  S.  88  Anm. ;  über  eine  Hs.  des 
Homerus  latinus  aus  Obermünster  vofl.  Stiglmayr  in  den  Prager  Studien 
a.  d.  Gebiete  d.  klass.  Altertumsw.  Heft  III. 

3)  Gozpert  f  21.  Jan.  1001,  vgl.  Hauck  III,  380  u.  448. 

"*)  Wie  in  den  erhaltenen  Tegernseer  Hss.  begegnen  in  dem  Tegernseer 
Briefwechsel  (Pez  VI,  1,  176)  ferner  „Invectivae  Ciceronis  in  Sallustium". 
Auch  Rather  und  Gerbert  kennen  diese  Schrift.  Ueber  Historia  tripertita 
unten  S.  455  Anm.  1. 

•'')  Gozperts  Briefwechsel  in  der  oben  S.  448  Anm.  2  erwähnten  Tegern- 
seer Hs.;  Druck  von  Pez  (vgl.  oben)  und  Migne  CXXXIX,  365  ff.  (hier 
nur  Gozperts  Briefe;  die  an  ihn  gerichteten  in  anderen  Bänden  unter 
den  Namen  der  Absender).  Brief  Gozperts  aa  Herzog  Heinr.  v.  Bayern 
(999),  Oberbayer.  Arch.  L,  Erghft.  277  (vgl.  Zeitschr.  f.  D.  Philol.  XIV, 
388).     Wegen  der  Litteratur  vgl.  unten  S.  453  Anm.  1. 

*)  Die  Handschrift  ist  jetzt  in  Maihingen,  und  zeigt  auch  Beziehung 
zum  Kl.  Blandigny  bei  Gent,  vgl.  Schepfs,  Handschriftl.  Studien  zu 
Boeth.  de  cons.  im  Progr.  d.  k.  Studienanst.  zu  Würzburg  1881 ,  S.  6 ; 
NA.  VII,  177;  NA.  IX,  173—194;  Steinmeyer,  Ahd.  Gl.  IV,  500. 

')  Hs.  jetzt  Wien  114,  vgl.  Steinmeyer,  Ahd.  Gl.  IV,  628. 


Tegernsee.     Wessobrunn.     Salzburg.  453 

lebhafte  Verbindung  mit  den  gleich  strebsamen  Mönchen  und  Klerikern 
in  St.  Emmeram,  Feuchtwangen  (vgl.  oben  S.  448),  Augsburg,  Würz- 
burg bekannt  geworden').  Der  gezierte  und  mit  Gelehrsamkeit  prun- 
kende Stil  der  Zeit,  auf  den  die  italienischen  Grammatiker  eingewirkt 
haben  mögen,  findet  sich  auch  hier  in  vollem  Mafse.  Als  feinge- 
bildeter Bibliothekar   in  St.  Emmeram    erscheint   hier  Reginbald '^). 

Schon  früher,  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  lehrte, 
vielleicht  in  Wessobrunn^),  ein  sehr  gelehrter  Mönch,  Meister 
Benedikt,  die  Grammatik;  ihm  übergab  S.  Ulrich  seinen  Neffen 
Adalbero  zur  Erziehung. 

In  Salzburg  unterrichtete  ein  hocbgefeierter  Mönch  aus  St. 
Gallen,  Chunibert;  ihn  hatte  sich  Herzog  Berthold  (938—947 
oder  948)  vom  Abte  Kralo  (942—948)  erbeten ;  doch  meldet  davon 
nur  der  Sanktgaller  Ekkehard,  welcher  irrig  den  Herzog  Heinrich 
nennt.  Als  Abt  von  Nieder- Altaich,  und  zwar  zu  Herzog  Bertholds 
Zeit,  kennt  ihn  aber  auch  Hermann  von  Altaich^).  Etwas  später, 
unter  Erzbischof  Friedrich  (954—990),  versammelte  in  Salzburg  ein 
gewisser  Liudfrit  zahlreiche  Schüler-^);  Erzbischof  Günther  (ord. 
1024    Jan.  26.,    f  1025   Nov.  1)   hatte   seine   gelehrte   Ausbildung 

1)  Codex  epistolaris  Fronmundi  (München  lat.  19412  aus  Tegernsee) 
von  983  bis  in  Heinrichs  II.  Zeit,  bis  p.  168  von  Froumunds  Hand.  Ein- 
zelnes herausg.  von  Mabillon,  Meichelbeck,  Steichele,  Seiler;  das  meiste 
von  Pez,  Thes.  VI,  1  und  im  Nachdrucke  von  Migne  CXLI,  1283  ff. 
(einiges  in  anderen  Bänden,  vgl.  oben  S.  448  Anm.  2  u.  S.  452  Anm.  5). 
Es  fehlt  eine  umfassende  Publikation.  Genaue  Inhaltsangabe  mit  Ver- 
öffentlichung einzelner  Stücke  sowie  der  Gedichte,  von  Seiler,  Zeitschr.  f. 
D.  Philol.  Xn^  (1882)  S.  385—442  (hier  auch  die  Apologia  pro  schola 
Herbipolensi,  vgl,  oben  S.  398  Anm.  3).  mit  Nachträgen  von  Schepfs,  ebd. 
XV  (1888)  S.  419—433.  Quellen  für  Froumund  sind  ferner  die  von  ihm 
geschriebenen  Codices:  Maihingen  I,  2  (vgl.  oben  S.  452  Anm.  6),  Wien 
114  (oben  S.  452  Anm.  7),  Boethius  de  arithm.  München  lat.  18764,  Remi- 
gius  in  Sedulium  München  lat.  19456  mit  der  Inschrift:  „Ego  Froumundus 
coepi  hunc  libellum  scribere,  sed  pueri  nostri  quos  docui  meo  iuvamine 
perscripserunt"  (vgl.  Huemer,  Wiener  SB.  XCVI.  509).  Ueber  Froumund 
im  allgemeinen  vgl.  Hirsch,  Heinrich  Tl.  Bd.  I  S.  126;  Bd.  II  S.  225—230. 
Kenipf,  Froumund  v.  Tegernsee,  Progr.  d.  Ludwigsgymn.,  München  1900. 
Nicht  von  Froumund  ist  der  ihm  von  Schmeller  zugeschriebene  „Ruod- 
Heb",  von  dem  sich  Fragmente  in  Tegernsee  erhalten  haben.  Er  kann 
aber  dort  bald  nach  1023  verfafst  sein.  Ueber  die  Ausgaben  u.  s.  w.  vgL 
oben  S.  362  Anm.  4  und  Kelle,  Gesch.  d.  D.  Litt.  I  S.  277—283. 

^)  Schepfs  in  d.  angef.  Programme  S.  12. 

^)  Nach  der  Vermutung  Leuttners,  Hist.  Wessofont.  I,  63. 

*)  Casus  S.  Galli  ed.  Meyer  v.  Knonau  S.  833  mit  dessen  Anmerkung. 
Giesebrecht,  Ann.  Altab.  S.  11.     Abweichend  Hirsch  I,  130. 

5)  Wolfheri  Vita  Godeh.  ant.  c.  6,  MG.  SS.  XI,  172;  vgl.  oben  S.  490. 
An  einer  später  geänderten  Stelle  (ebd.  Anm.  6)  spricht  Wolf  her  von 
einem  „eelebre  studium"  in  Passau,  aber  wohl  nur  durch  eine  Verwechse- 
lung; vgl.  Hirsch  I,  182. 


454  m«  Ottonen.     §  10.    Bayern. 

unter  Bischof  Notker  von  Lüttich  erhalten*).  Im  Jahre  987  ward 
auch  in  Salzburg  das  altehrwürdige  Stift  zu  St.  Peter  durch  Erz- 
bischof Friedrich  vom  Dome  getrennt,  und  als  selbständiges  Kloster^) 
erhielt  es  einen  Abt  Tito,  der  bis  dahin  Dompropst  gewesen  war.  Sein 
Name  findet  sich  im  Nekrologium  von  St.  Emmeram  als  der  dortigen 
Kongregation  angehörig ;  vielleicht  machte  er  da  sein  Noviziat  ^). 
Die  Verse  des  Abtes  Gerhard  von  Seeon  wurden  schon  (oben 
S.  401)  erwähnt.  In  Benediktbeuern  erhielt  im  Anfange  des 
11,  Jahrhunderts  der  Propst  Adalbero  wegen  seiner  eifrigen  Studien 
den  Beinamen  des  Bücherfasses  "*).  In  Freising  liefs  Bischof 
Abraham  (957 — 993)  fleil'sig  Bücher  abschreiben^),  auch  in  weiter 
Ferne,  Sein  Kaplan,  später  Erzkaplan,  Gotschalk  besorgte  ihm  Ab- 
schriften in  Metz  und  in  Toul*'),  dann  folgte  er  ihm  bis  6.  Mai  1005 
selbst  als  Bischof^),  und  nun  war  es  der  Schulmeister  und  Priester 
Antrieb,  welcher  mit  seinen  Schülern  für  Gotschalk  thätig  war^). 
Aus  Tegernsee   wandte  man   sich   an  Gotschalk,    um  ein  Exemplar 

*)  Guntharii  luvavensis  archiep.  sermo  in  purificatione ,  München 
lat.  18090  aus  Tegernsee  (Catal.  II,  3,  131). 

^)  Restauratin  Monasterii  S.  Petri  Salisburgensis ,  eine  gleichzeitige 
Nachricht  über  die  Herstellung  des  Klosters  St.  Peter  durch  Erzb.  Fried- 
rich, von  Holder-Egger  herausgeg.  SS.  XV,  2,  1055—1057.  Katalog  der 
Hss.  von  St.  Peter  erst  aus  späterer  Zeit;  dagegen  erhalten  ein  Verzeich- 
nis mit  folgender  Ueberschrift:  Ista  sunt  nomina  librorum,  qui  post  ohitum 
Pertharii  domino  Fridarico  archiep.  praesentabanfur  et  ille  iussit  servarc; 
vgl.  Gottlieb ,  Ueber  mittelalterl.  Bibliotheken  S.  70.  —  Traditionsbuch 
von  St.  Peter,  um  1014  geschrieben,  herausg.  von  W.  Hauthaler,  Salz- 
burger ÜB.  I  (1898),  vgl.  Chroust,  Mon.  palaeogr.  VIII,  2;  die  erzbischöf- 
lichen Traditionsbücher  aus  der  Zeit  Odalberts,  Friedrichs  und  Hartwichs 
in  der  gleichen  Ausgabe,  vgl.  Chroust  VII,  9—10;  VIII,  1. 

3)  Hirsch.  Heinrich  IL  Bd.  I  S.  129. 

4)  Vas  librorum,  MG.  SS.  IX,  219. 

^)  Er  soll  ein  Slave  gewesen  sein;  die  ihm  zugeschriebenen  Freisinger 
Slovenica  (München  lat.  6426)  sind  aber  älter,  nach  Miklosich,  Die  christl. 
Terminologie  der  slav.  Sprachen,  Wien  1875,  vgl.  Hauck  II  (2.  Aufl.),  468. 

®)  Unter  Abraham  wurden  folgende  Hss.  von  Gotschalk  und  seinen 
Schülern  abgeschrieben:  in  Metz  die  Freisinger  Hss.,  jetzt  München 
lat.  6266,  6285,  6311,  6313,  in  Toul  (vgl.  Aretins  Beiträge  VII,  533) 
München  lat.  6294.  Vgl.  über  München  lat.  6421  unten  S.  455  Anm.  3; 
über  München  lat.  6426  vgl.  oben  Anm.  5  und  Graf  Hundt  (unten  S,  455 
Anm,  3)  S.  49.  Von  damaligen  Freisinger  Hss.  weisen  auch  andere,  wie 
München  lat.  6388  (Liudprand,  vgl.  oben  S.  416),  auf  Metz  zurück,  und 
damals  kam  der  Plautus,  jetzt  Heidelberg  1613,  gewifs  aus  Frankreich 
nach  Freising  (vgl.  Traube,  NA.  XXVI,  296). 

')  Ueber  dies  Datum  vgl.  Brefslau  im  NA.  XX,  161. 

^)  Von  Antricus  oder  unter  seiner  Leitung  geschrieben  die  Frisingenses 
München  lat.  6256,  6303,  6372,  6403.  Vgl,  über  ihre  Inschrift  Watten- 
bach, Schriftwesen  (3.  Aufl.)  S.  441 ;  über  Antricus  selbst  Uhlirz  in  den 
Mitteil,  des  Inst.  XV,  121.  Die  in  der  1.  Aufl.  dieser  Geschichtsquellen 
nach  Günthner,  Gesch.  d,  litter,  Anstalten  I,  190,  hier  angeführte  ,Bene- 


Salzburg.     Freising.     Nieder-Altaich.     Passau.  455 

der  Historia  tripertita  zur  Abschrift  zu  erhalten').  Au  Abraham 
ist  das  Schreiben  eines  Freisinger  Schulmeisters  Rihkarius  gerichtet, 
der  sich  gegen  den  Vorwurf  ketzerischer  Lehren  verteidigt^).  Ge- 
schichtliche Aufzeichnungen  fehlen  aber  leider  gänzlich ;  nur  ein 
Martyrologium  mit  nekrologischen  Notizen  hat  sich  aus  Abrahams 
Zeit  erhalten^). 

Jener  Chunibert  aus  St.  Gallen  ist,  wie  erwähnt,  auch  in  Nie- 
der-Altaich Abt  gewesen,  aber  bald  wieder  fortgegangen ;  später 
hausten  hier  nach  dem  Verfalle  der  klösterlichen  Zucht  Kanoniker. 
Unter  ihnen  war  ein  alter  Priester,  Namens  Udalgis,  der  sich  als 
Lehrer  grofsen  Ruhm  erwarb.  Vornehme  Jünglinge  wurden  ihm 
gern  anvertraut,  um  sich  hier  in  freierer  Weise  ohne  die  strengere 
Ordensregel  in  den  Wissenschaften  auszubilden,  und  mehrere  Bischöfe 
sind  aus  seiner  Schule  hervorgegangen  ^).  Der  berühmteste  unter 
seinen  Schülern  aber  ist  Godehard  (geb.  961),  der  in  Salzburg 
seine  Studien  fortsetzte,  die  gesunkene  Klosterzucht  in  mehreren 
Klöstern  wieder  herstellte  und  auch  Altaich  zu  neuer  Blüte  erhob, 
nachdem  dort  im  Jahre  990  wieder  ein  Schwabe,  Erchembert,  nach 
Benedikts  Regel  zum  Abt  erwählt  war. 

Aus  der  Altaicher  Schule  kam  auch  Piligrim,  ein  Neffe  des 
Erzbischofs  Friedrich,  aus  vornehmer  Familie,  welcher  971  in 
Pas  sau  auf  Adalbert  folgte  und  dort  am  22.  Mai  991  gestorben  ist. 
Für  Passau  eröffneten  sich  nach  der  Ueberwältigung  der  heidnischen 
üngei-n  grofse  Aussichten ;  schon  Adalbert  hatte  sich  einen  Bischof 
von  Lorch  genannt,  wovon  man  in  der  Vita  Severini  las^),  Laurentius 
trat  als  Schutzpatron  dem  heiligen  Stephan  zur  Seite,  und  dem 
viel  jüngeren  Salzburg  gegenüber  glaubte  Piligrim,  der  sich  eben- 
falls Bischof  von  Lorch  nannte,  die  Errichtung,  oder  wie  er  es 
darstellte,  die  Wiederaufrichtung,  eines  Erzbistums  Lorch  erreichen 

dictio  in  scriptorio"  stammt  aus  dem  Gallikanischen  Sakramentare,  vgl. 
Traube,  Textgeseb.  d.  Regula  S.  Benedict!  S.  670. 

^)  Meichelbeck,  Hist.  Friaing.  Ib  p.  472;  ein  Brief  in  der  gleichen  An- 
gelegenheit aus  Tegernsee  an  Domnus  H.  bei  Pez,  Thes.  VI,  1  S.  127  n.  13. 
Bei  Meichelbeck  p.  471  —  473  Briefe  an  Gotschalk.  Mit  dem  Erzkaplane 
Zacharias  tauschte  er  Bücher,  ib.  p.  477. 

2)  Von  Dümmler  herausgeg.  NA.  XXVII,  503—508. 

^)  München  lat.  6421.  Vgl.  Dümmler,  Forschungen  XV,  162 — 166; 
Berichtigungen  von  Graf  Hundt,  Abh.  der  bayer.  Akad.  III.  Gl.  XIV,  2 
S.  47;  Leehner,  Kirchenfeste  in  Bayern,  Freiburg  1891.  S.  7—74. 

*)  Wolfheri  Vita  Godeh.  ant.  c.  2,  MG.  SS.  XI,  171.  In  der  zweiten 
Vita  Prol.  p.  197  wird  aber  Rumold  als  Godehards  erster  Lehrer  genannt. 

^)  Die  Vita  S.  Severini  wurde  erst  im  10.  Jahrh.  wieder  bekannt; 
903  kam  ein  Exemplar  nach  Passau.  Von  der  vierten  Klasse  ihrer  Hss. 
sagt  Mommsen  (p.  XXVII):  non  reperitur  nisi  in  partibus  Danuvianis. 


456         m.  Ottonen.     §  10.   Bayern.     §  11.   Frankreich.    Reims. 

zu  können.  Auch  Fälschungen  scheute  er  zu  diesem  Zwecke  nicht, 
doch  blieben  seine  Bestrebungen  erfolglos^).  Piligrims  Name  aber 
blieb  gefeiert  in  Passau  und  ist  sogar  in  die  Kibelungensage  ge- 
kommen, über  welche  er  zuerst  eine  lateinische  Aufzeichnung  durch 
seinen  „Schreiber"  Konrad  machen  liefs^). 

In  Eichstätt  liefs  Bischof  Star ch and  (933—966),  ein  Freund 
Ulrichs  von  Augsburg,  viele  Bücher  abschreiben  und  verfafste  selbst 
Gebete;  sein  Nachfolger  Reginold  (bis  989)  wird  wegen  seiner 
Beredsamkeit  Chrysostomus  genannt;  er  soll  Griechisch  und  Hebräisch 
verstanden  haben,  besonders  aber  war  er  ein  grofser  Musiker  und 
verfertigte  zur  Uebertragung  des  heiligen  Willibald  ein  gar  schönes 
Gedicht;  auch  Wunnibald  und  Blasius  hat  er  besungen^). 

Bei  einer  so  lebhaften  litterarischen  Thätigkeit  kann  es  auch  an 
geschichtlichen  Aufzeichnungen  in  Bayern  nicht  ganz  gefehlt  haben; 
viel  ist  jedoch  nicht  voi-handen  gewesen,  da  wir  sonst  doch  bei  den 
späteren  Schriftstellern  Spuren  davon  antreffen  müfsten,  und  gröfsere 
Geschichtswerke  scheinen  hier  nicht  entstanden  zu  sein.  Jene  gram- 
matisch-philosophische Bildung,  welche  vielfach  hochgeschätzt  und 
eifrig  erstrebt  wurde,  befördert  durch  Italiener  wie  Gunzo  und 
Stephan,  führte  zur  Geschichtschreibung  nur,  insofern  sie  zu  dem 
erforderlichen  Bildungsgrade  verhalf;  eine  unmittelbare  Beziehung 
zur  Geschichte  hatte  sie  nicht  und  leitete  eher  ab  von  der  Beschäf- 
tigung mit  der  eigenen  einheimischen  Vorzeit,  wie  wir  denn  auch 
gesehen  haben,  dafs  die  Hauptstätten  dieser  gelehrten  Studien,  wie 
Reichenau ,  St.  Gallen ,  Lüttich ,  keineswegs  auch  die  fruchtbarsten 
für  Geschichtswerke  waren. 

§  11.     Frankreich.     Reims. 

Vgl.  oben  S.  33-1.    PecheuarJ,  De  schola  Remeusi  decimo  saeculo,  Reims  1875. 

An  gelehrter  Thätigkeit  hat  es  in  dieser  Periode  in  Frankreich 
nicht  gefehlt;  ti'otz  aller  Verheerungen  und  Unglücksfälle  erhielt 
sich  ein  bedeutender  Grad  von  Bildung,  der  sich  durch  eine  grofse 
Anzahl  von  Lehrern,  Scholastern  fortpflanzte.    Diese  waren  in  Frank- 

')  Vgl.  oben  S.  56.  Uhlirz,  Otto  II.  S.  94— 100.  Kruscli,  NA.  XXVIII,  571. 

^)  Für  die  Glaubwürdigkeit  der  Nachricht  traten  zuletzt  ein :  Kögel, 
Gesch.  d.  D.  Litteratur  I,  2  S.  341 ;  John,  Lat.  Nibelungenlied,  Frogr.  d. 
Wertheimer  Gymn.  1899;  Burg  in  der  Zeitschr.  f.  D.  Altert.  XLV,  131 
bis  132.  Otto  V.  Lonsdorf,  B.  v.  Passau  (f  1265)  besafs  in  seiner  Biblio- 
thek .Attilam  versifice",  vgl.  Huemer,  Wiener  Studien  VII  (1885)  S.  335. 

^j  Anon.  Haser.  cc.  4,  11,  12,  MG.  SS.  VII,  255.  257.  Nach  Eichstätt 
gehören  auch  die  Epitaphien  einer  Emmeramer  Hs.,  NA.  V,  432. 


Eichstätt.     Floiloard  von  Reims.  457 

reich  wie  in  Deutschland  wohl  alle  von  geistlichem  Stande;  es 
scheint  jedoch,  dals  sie  dort  nicht  so  allgemein  wie  hier  bestimmten 
Stiftern  angehörten,  sondern  mehr  nach  italienischer  Weise  in  un- 
abhängiger Stellung  Schüler  um  sich  sammelten.  Ihre  ganze  Richtung 
ging  vorherrschend  auf  Grammatik,  Dialektik  und  Rhetorik,  und 
trug  daher  ebenso  wenig  Frucht  für  die  Geschichte ,  wie  die  ver- 
wandten Bestrebungen  in  deutschen  Klöstern. 

Reims  war  in  diesem  Jahrhunderte  der  Mittelpunkt  der  fran- 
zösischen Politik  und  namentlich  für  die  lothringischen  Händel  von 
der  gröfsten  Bedeutung.  Hier  konnte  man  unmöglich  ohne  ge- 
schichtliche Aufzeichnungen  auskommen;  hier  bedurfte  man  anderer 
Werke  als  rhetorisch  ausgeschmückter  Legenden,  und  Hinkmar  hatte 
dafür  das  beste  Beispiel  gegeben.  Er  fand  einen  Nachfolger  an 
Flodoard  (894 — 966),  der  als  Archivar  der  Kirche  sowohl,  wie 
durch  seine  sehr  angesehene  Stellung  ganz  besonders  zu  dieser  Auf- 
gabe befähigt  war').  Begonnen  hatte  auch  er  in  derselben  Weise 
wie  so  viele  seiner  Zeitgenossen.  Unter  Papst  Leo  VII.  (936 — 939) 
besuchte  er  Rom,  wo  er  vom  Papste  sehr  gut  aufgenommen  wurde. 
Als  Denkmal  seiner  Frömmigkeit,  seiner  umfassenden  Gelehrsamkeit 
und  seiner  Dankbarkeit  verfafste  er  in  leidlichen  Hexametern  ^),  von 
Prudentius  beeinflufst,  ein  gewaltiges  Werk,  dessen  erste  zwei  Teile 
die  Thaten  Chi-isti  und  der  ersten  Heiligen  in  Palästina  und  Antio- 
chien  feiern ,  während  der  dritte  in  14  Büchern  die  Geschichte  der 
römischen  Päpste  in  Verse  bringt,  verbunden  mit  zahlreichen  Legen- 
den der  Heiligen.  Noch  bei  Lebzeiten  seines  Gönners  Leo  VII.  hat 
er  die  Arbeit  vollendet,  welche  er  dem  Erzbischofe  Rotbert  von  Trier 
widmete^);    ihr   letzter  Teil  ist  nicht  ohne  geschichtlichen  Wert'*). 

')  Vgl.  über  Flodoard  Eist.  lit.  de  la  France  VI,  319—329.  Eberfc 
III,  409—414.  Lauer,  Le  regne  de  Louis  IV  d'Outre-Mer,  Paris  1900, 
p.  V — VIII.  Sammlung  seiner  Werke  mit  franz.  Uebersetzung  durch  die 
Akademie  von  Eeims.  ?>  Bde.  Reims  1854 — 1855;  vollständiger  (vgl.  unten 
Anm.  4)  von  Migne  CXXXV,  1—886. 

^)  Wo  er  andere  Metra  verwendet,  geschieht  es  immer  nur,  um  wider- 
spenstige Namen  in  den  Vers  bringen  zu  können. 

^)  Nach  Browers  Zeugnis  wäre  sie  freilich  Rotger  gewidmet,  vgl.  oben 
S.  407.  Es  mag  ursprünglich ,  wie  in  der  Widmung  der  Reimser  Ge- 
schichte, nur  der  Anfangsbuchstabe  gestanden  haben.  Die  Trierer  Hs., 
auf  die  sich  Brower  beruft,  scheint  verloren. 

■•)  Dieser  ist  gedruckt  bei  Mab.  III,  2,  569-608  u.  bei  Muratori  III,  2 
wiederholt.  Andere  Stücke  bei  Mab.  II,  30.  127.  1095—1100.  Vollständig 
jetzt  bei  Migne  CXXXV,  491—886;  Lauer  (p.  VII)  irrt  mit  der  Angabe, 
dafs  die  Hs.  Paris  Arsenal  932  (Cat.  II,  174  ff.)  noch  ungedruckte  Gedichte 
enthalte.  Vgl.  über  Entlehnungen  aus  den  Epitaphien  der  Päpste  Scheffer- 
Boichorst  in  den  Mitteil.  des  Inst.  VIII,  428—430  und  IX,  177  A.  3;  Du- 
chesne,  Liber  pontific.  II,  11.   Ueber  das  ganze  Werk  Ebert  III,  854 — 357. 


458  m^'  Ottonen.     §  11.    Frankreich.    Reims. 

Derselbe  Erzbischof  von  Trier  forderte  ihn  zur  Zeit  des  Kon- 
zils von  Ingelheim  dringend  auf,  die  Geschichte  der  Reimser 
Kirche')  zu  schreiben,  und  mit  dieser  Arbeit  sehen  wir  ihn  noch 
952  beschäftigt.  Schon  in  der  grofsen  Dichtung  hatte  Flodoard 
auch  urkundliche  Nachrichten  der  Reimser  Kirche  benutzt  und  ihre 
Beziehungen  zum  päpstlichen  Stuhle  sorgfältig  hervorgehoben.  Das 
sind  die  Anfänge  der  Studien,  aus  welchen  seine  bis  948^)  geführte 
Geschichte  der  Reimser  Kirche  hervorging,  ein  Werk,  in  welchem 
die  Rücksicht  auf  die  Form  ganz  zurücktritt  gegen  die  Vollständig- 
keit und  Zuverlässigkeit  des  Inhalts;  denn  es  ist  ein  urkundliches 
in  so  hohem  Grade,  dafs  es  für  die  Zeit  der  Erzbischöfe  Hinkmar 
und  Fulko  grofsenteils  geradezu  aus  Regesten  der  wichtigsten  Ur- 
kunden,  besonders  päpstlicher  Schreiben,  besteht^).  Auch  für  die 
frühere  Zeit  lag  ihm  noch  einiges  urkundliche  Material  vor;  vorzüg- 
lich war  er  hier  jedoch  auf  Hinkmars  Vita  Remigii  und  einige  andere 
Legenden  angewiesen ;  Wundergeschichten  erzählt  er  gerne  und  mit 
grofser  Gläubigkeit.  Die  Verarbeitung  des  Stoffes  mufs  man  als 
mangelhaft  bezeichnen;  oft  wird  sie  ganz  vermisst,  aber  der  mate- 
rielle Wert  des  Werkes  ist  dadurch  um  so  gröfser  für  uns.  Ein- 
schaltungen im  Reimser  Interesse,  an  denen  jedoch  Flodoard  un- 
schuldig ist,  und  Benutzung  gefälschter  Aktenstücke  hat  Krusch 
nachgewiesen  ^). 

Der  Teil  der  Reimser  Geschichte,  welcher  die  Zeit  des  Verfassers 
behandelt,  findet  sich  grofsenteils  wiederholt  in  seinem  zweiten 
Hauptwerke,  den  Annalen,  welche  von  919 — 966  reichen  ^).    Doch 

')  Flodoardi  Historia  Remensis  ecclesiae,  mit  Anhang  bis  auf  Adalbero, 
herausg.  v.  Sirmond,  Paris  1611;  von  Colvener,  Douai  1617;  Bibl.  Patrum 
Lugd.  XVII,  500;  bei  Bouquet  auf  Bd.  V-VIII  verteilt;  edd.  Heller  et 
Waitz,  MG.  SS.  XIII,  405—599  (ohne  den  Anhang)  u.  dazu  Kritik  von 
Longnon  im  Repert.  des  travaux  historiques  I,  292 — 300.  Vgl.  oben  S.  457 
Anm.  1.  Die  II,  19  aufgenommene  Visio  Raduini  (oben  S.  232  Anm.  8) 
kommt  abgesondert  vor  und  ist  NA.  XI,  262  gedruckt.  Der  Ausgabe  von 
Pithou  (1588)  sind  Visiones  Flothildae  von  QiO  angehängt,  jetzt  bei  Lauer 
p.  815—319.  —  Series  archiepp.  Rem.  (nur  Namen),  SS.  XIII,  381.  750. 
Annales  Remenses  830—999,  nicht  gleichzeitig,  ib.  81;  Ann.  S.  Dionysii 
Remenses  845—1190,  p.  82—84 ;  Ann.  S.  Nicasii  Rem.  1197—1309,  p.  84—87. 

^)  Die  Ingelheimer  S^Tiode  dieses  Jahres  in  den  MG.  Constitut.  imp. 
I,  8—16. 

2)  Vgl.  Schrörs,  Hinkmar  S.  512  ff. 

4j  j^^  ^^    ^59 5g^ 

s)  Flodoardi  Amiales  ed.  Pertz,  MG.  SS.  III,  363—408.  Vgl.  Giesebr. 
I,  779.  Einen  Stammbaum  der  Hss.,  zu  denen  drei  von  Pertz  nicht  be- 
nutzte hinzugekommen  sind,  sucht  Couderc  zu  geben,  Mel.  Jul.  Havet 
(1895)  p.  719—731;  vgl.  Lauer,  Mel.  d'archeol.  et  d'hist.  XVIII  (1898), 
S.  507. 


Flodoards  Reimser  Geschichte  und  seine  Annalen.  459 

hatte  er  diese,  wie  G.  Monod  nachgewiesen  hat'),  schon  früher  mit 
den  Ereignissen  gleichzeitig  begonnen  und  darin  Rücksichten  zu 
nehmen  gehabt,  welche  für  die  Historia  Remensis  nicht  mehr  not- 
wendig waren;  er  unterbrach  sie,  um  die  Historia  zu  schreiben, 
und  nur  der  Bericht  über  948  scheint  dann  umgekehrt  wieder  aus 
der  Historia  in  die  Annalen  herübergenommen  zu  sein.  Sonderbar 
ist,  daCs  Flodoard  mit  dem  Jahre  ÜIÜ  beginnt,  da  Hinkmars  Jahr- 
bücher doch  schon  882  schliefsen.  Man  hat  sich  gefragt,  ob  er  ein 
uns  unbekanntes  Werk  vorfand,  das  den  Zwischenraum  überbrückte, 
oder  ob  der  Anfang  seines  eigenen  Werkes  verloren  ist.  Nun  hat 
Lauer ^)  auf  die  üeberreste  einer  griechischen  Zählung  hingewiesen, 
die  in  der  Ueberlieferung  der  Annalen  bei  vielen  Jahren  am  Rande 
stehen ,  von  den  Früheren  aber  nicht  recht  beachtet  wurden.  Da 
z.  B.  das  Jahr  926  dabei  die  Nummer  33,  das  Jahr  966  die  Num- 
mer 73  erhält,  so  geht  diese  Zählung  oöenbar  von  894  aus,  und  ob- 
gleich dadurch  noch  nicht  alle  Schwierigkeiten  weggeräumt  werden, 
können  wir  wohl  nichts  anderes  annehmen,  als  dafs  Flodoard  ur- 
sprünglich mit  diesem  Jahre  eingesetzt  habe  und  der  Beginn  seiner 
Annalen  (894 — 918)  untergegangen  sei.  Richer  hat  diesen  Abschnitt 
wohl  noch  vor  sich  gehabt.  In  dem  uns  erhaltenen  Zeiträume 
(919 — 966)  berichtet  Flodoard  mit  der  gröfsten  Treue  Jahr  für  Jahr 
die  Ereignisse,  wie  er  sie  erfuhr,  grofse  und  kleine,  ohne  auf  ihren 
inneren  Zusammenhang  einzugehen ,  in  derselben  objektiven  Weise, 
die  wir  schon  bei  anderen  ähnlichen  Werken  bezeichneten,  in  einfacher 
ungesuchter  Sprache.  Was  ihn  aber  auszeichnet,  ist  die  Fülle  seiner 
Nachrichten,  nicht  über  Frankreich  allein,  sondern  auch  über  Loth- 
ringen und  das  ostfränkische  Reich,  mit  dem  er  manche  Berührung 
hatte,  und  ferner  seine  fleckenlose  Wahrheitsliebe  und  Zuverlässig- 
keit. Er  war  in  höherem  Alter  in  das  Kloster  St.  Basle  eingetreten, 
wo  952  wieder  Mönche  anstatt  der  Kanoniker  eingeführt  wurden, 
und  legte  963  die  Prälatur,  wie  er  sagt,  siebzigjährig  nieder.   Drei 

^)  Revue  critique  1873,  II,  263. 

2)  Vgl.  Biblioth.  de  l'Ec  des  eh.  LYIII,  241  ff.  (=  Le  regne  de 
Louis  IV  d'Outre-Mer  p.  257—266)  und  Mel.  d'archeol.  1.  c.  p.  491—523, 
wo  er  sich  gegen  Couderc  (Biblioth.  de  l'Ec.  des  eh.  LVIII,  615  ff.)  ver- 
teidigt. Lauer  nimmt  als  Ausgangspunkt  der  Zählung  und  Beginn  der 
Annalen  das  Jahr  893  an;  doch  beziehen  s^ch  die  griechischen  Zahlen 
immer  auf  den  folgenden  Abschnitt.  So  steht  ö7'  am  Pmde  des  Abschnittes, 
der  über  965  handelt .  dagegen^fehlt  ein  Zeichen  am  Ende  des  966  be- 
handelnden Abschnittes:  d.  h.  o7'  war  die  Ueberschrift  zum  Jahre  966. 
Dafs  die  griechischen  Zahlen  nur  in  diesem  Sinne  als  KapiteLnummem 
stehen  können  und  nicht  zur  Bezeichnung  irgend  eines  Synchronismus, 
erweist  alle  mittelalterliche  Analogfie. 


460  III-  Ottonen.     §  11.   Frankreich.    Reims. 

Jahre  später  ist  er  gestorben,  und  fast  bis  an  den  Tag  seines  Todes 
hat  er  das  Werk  fortgesetzt.  Nach  991  ist  noch  ein  Zusatz  über 
die  Jahre  von  976 — 978  nachgetragen  worden  ^) ;  sonst  aber  ver- 
ging lange  Zeit,  bevor  sich  ein  Nachfolger  fand.  In  den  politischen 
Wirren,  von  welchen  auch  die  Metropole,  lange  Zeit  ein  Zankapfel 
der  Parteien,  viel  zu  leiden  hatte,  gingen  Zucht  und  Lehre  fast  zu 
Grunde,  bis  der  Beginn  einer  besseren  Zeit  in  dem  nahen  Lothrin- 
gen auch  hierher  seine  Einwirkung  erstreckte.  Zwei  Metzer  Dom- 
herren, welche  nacheinander  auf  den  erzbischöflichen  Stuhl  erhoben 
wurden,  Odelrich,  961 — 969,  und  besonders  Adalbero  von  969 — 989, 
ein  Zögling  der  Klosterschule  zu  Gorze  ^) ,  stellten  die  Ordnung 
wieder  her,  und  bald  zog  der  neu  erwachte  Glanz  der  Reimser 
Schule  Scharen  lernbegieriger  Jünglinge  zu  der  alten  Kathedrale. 

Bald  nach  Flodoards  Tode,  um  das  Jahr  967,  hatte  ein  junger 
Mönch,  Gerbert,  das  Kloster  Aurillac  in  der  Auvergne  verlassen, 
um  in  der  spanischen  Mark  Lehrer  aufzusuchen,  welche  namentlich 
seiner  Liebe  zu  mathematischen  Studien  genügten.  Im  Jahre  970 
folgte  er  dem  Grafen  von  Bai'celona  und  dem  Bischöfe  Hatto  von 
"Vieh,  seinem  Lehrer,  nach  Eom  und  wurde  hier  bereits  als  ein 
ausgezeichnet  begabter  Jüngling  vom  Papste  dem  Kaiser  Otto  zu- 
gesandt. Noch  fehlte  es  ihm  aber  an  philosophischer  Ausbildung, 
und  deshalb  begleitete  er  den  Reimser  Archidiakonus  Garamnus  ^), 
einen  berühmten  Lehrer  der  Logik,  nach  Reims,  wo  er  einige  Zeit 
seine  Studien  fortsetzte,  bald  aber  selbst  als  Lehrer  einen  aufser- 
ordentlichen  Ruf  gewann  ^).  Ganz  Gallien,  sagt  Richer,  erglänzte 
von  ihm  durchleuchtet,  wie  von  einem  strahlenden  Lichte.  Nach- 
dem er  sich  später  einige  Zeit  bei  Otto  IL  aufgehalten  und  von 
ihm  wahrscheinlich  982  die  Abtei  Bobbio  erhalten  hatte,  die  er  nicht 
behaupten  konnte ,  kehrte  er  zurück '") ,  und  nahm  während  der 
Minderjährigkeit  Ottos  III.  in  Reims  eine  sehr  bedeutende  politische 
Stellung  ein.  Diese  Periode  ist  es  besonders,  über  welche  uns  seine 
Briefsammlung   die  wichtigsten  Aufschlüsse  gibt,   obgleich  viele 

')  Vgl.  Uhlirz,  Jahrb.  unter  Otto  IL  S.  74  Anm.  7. 

2)  Gesta  epp.  Camerac.  I,  102;  MG.  SS.  VII,  443. 

^)  Der  Name  ist  Hypothese,  Eicher  hat  nur  den  Anfangsbuchstaben. 

*)  Er  war  auch  Lehrer  des  Königs  Robert  nach  der  Satire  des  Bischofs 
Adalbero  von  Laon.  herausg.  von  Hückel,  Biblioth.  de  la  fac.  des  lettr. 
de  Paris  XI 11,  146,  v.  167,  wo  er  Neptanabus  genannt  ist,  was  auf  Ger- 
bert  gedeutet  wird;  vgl.  Schultefs,  Sagen  über  Silvester  S.  33  Anm.  3 
und  Buhnov,  Gerberti  opp.  mathem.  p.  381.  Hückel  bezieht  den  Vers 
auf  Odilo. 

*)  Vor  Ottos  IL  Tode,  nach  D.  J.  Witte,  Lothringen  in  der  zweiten 
Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  (Diss.  Gott.  1869)  S.  43. 


Gerberts  Schriften.  4GI 

der  darin  enthaltenen  Anspielungen  uns  jetzt  unverständlich  sind, 
und  durch  die  absichtliche  Dunkelheit  der  Schreibart  die  Benutzung 
sehr  erschwert  wird  ').  Als  er  später  (901)  Erzbischof  von  Reims 
wurde,  als  Nachfolger  des  abgesetzten  Arnulf,  zeichnete  er  selbst  die 

')  Gerberts  Werke:  gesammelt  von  OUeris.  Paris  1867.  —  Gerberts 
Briefe:  beste  Ausgabe  von  Jul.  Havet,  Paris  1889  (Besprechung  v.  Stein- 
dorff,  Götting.  Gel.  Anz.  1890,  S.  325— 3;3());  unter  Ottos  ill.  Namen  ge- 
schriebene Briefe  Gerberts  in  MG.  DD.  Otto  111.  n.  196,  212,  216,  228; 
Briefe  Ottos  III.  an  Gerbert,  ebd.  n.  241,  260;  Gerberts  Briefe  mathe- 
matischen Inhalts  vgl.  unten  unter  seinen  mathemat.  Schriften.  Unter- 
suchungen über  die  Briefe  u.  ihre  Hss. :  von  Bubnov,  Petersburg  1888 
(russisch,  vgl.  Kehr,  HZ.  LXXI,  87 — 90  u.  Wardrop,  Hist.  review  VIII, 
321-326);  Th.  v.  Sickel,  Mitt.  d.  Inst.  XII  (1891),  234—242  u.  41.3—431; 
J.  Harttung,  Zur  Vorgesch.  d.  ersten  Kreuzzuges,  Forsch.  XVII,  390 — 393 
(hält  ep.  28  für  untergeschoben),  dagegen  H.  v.  Sybel,  Gesch.  d.  er.sten 
Kreuzzuges  (1881)  S.  458;  Lux,  Einflufs  P.  Silvesters  auf  die  Politik 
Ottos  III.,  Breslau  1898  (S.  72-82  über  die  Chronologie  der  Briefe); 
Schlockwerder,  Unters,  zur  Chronologie  d.  Briefe  Gerberts,  Diss.  Hai.  1893; 
J.  Lair,  Etudes  critiques  I  (Paris  1899)  S.  89—475  nebst  2  Bildern  der 
Haupths.  Leiden  Voss.  lat.  Q.  54  aus  St.  Mesmin  de  Micy  (vgl.  Traube, 
Hieronymi  fragmenta  p.  XIV).  —  Ueber  Acta  concilii  Remensis  ad  S. 
Basolum  und  die  anderen  von  Gerbert  aufgezeichneten  Synodenverhand- 
lungen vgl.  unten  S.  462.  —  Zur  Diplomatik  Gerberts:  Ewald,  NA.  IX. 
323 — 357.  —  Ueber  die  in  den  Briefen  u.  Bullen  von  ihm  angewandte 
Tachygraphie  vgl.  (aufser  Ewald,  Bubnov  u.  Lair)  Havet,  Oeuvres  II,  469 
bis  503;  Cipolla,  Mel.  Havet  S.  87 — 96;  weitere  Litteratur  im  Arch,  f. 
Stenogr.  LIV  (1902),  324  u.  Studi  e  testi  VII  (19u2),  37.  —  Mathemat. 
Schriften  Gerberts:  Gerberti  opera  mathematica  ed.  Bubnov,  Berlin  1899 
(mit  vielen  wichtigen  Beigaben);  die  Litteratur  bei  Cantor,  Vorl.  über 
Gesch.  der  Mathem.  I  (2.  Aufl.),  797 — 824,  der  aber  fälschlieh  an  der 
Echtheit  der  Geometrie  des  Gerbert  und  des  Boethius  festhält;  Tannery 
in  den  Notices  et  extraits  XXXVI,  1,  500  —  506.  —  Ueber  Gerbcrts  an 
Otto  III.  gerichtete  Schrift  De  rationali  et  ratione  iiti  Prantl,  Gesch.  d. 
Logik  II  (2.  Aufl.),  53—58.  Questio  Gerberti  papae  philosoph.  Inhalts  in 
Paris  lat.  10444,  vgl.  NA.  II,  625.  —  Sernio  de  informatione  episcoporum 
nicht  von  Gerbert,  vgl.  J.  Harttung,  NA.  1,  587 — 593.  —  Gerberts  Verse 
aus  den  Brief  hss.  (=  epp.  75,  76,  77,  78,  90;  für  75  u.  78  Sonderüber- 
lieferung in  einer  Reimser  Hs.  Arch.  VIII,  393),  auf  ein  Bild  des  Boethius 
im  Palaste  Ottos  III.  (vgl.  Boeth.  ed.  Peiper  p.  XXXX)  und  das  Epitaph 
auf  Adalbero  E.  v.  Reims  (vgl.  Steiiimeyer,  Ähd.  Glossen  IV.  596) ,  ge- 
sammelt von  Olleris  p.  293 — 295 ;  die  Verse  auf  das  Bild  d.  Boeth.  auch 
bei  Bubnov,  Opp.  math.  p.  150;  Verse  an  Otto  in  einem  Bamberger 
Isidorus  de  nat.  rer.  (Katalog  I,  2,  408)  vielleicht  von  Gerbert;  dagegen 
die  Verse  in  der  Bamberger  (z.  T.  auch  in  einer  Casseler)  Hs.  der  Arithm. 
des  Boeth.  (jetzt  bei  Bubnov  p.  147 — 150)  sind  nicht  an  Otto  IIb,  sondern 
an  Karl  d.  Kahlen  gerichtet  (vgl.  oben  S.  354  Anm.  5).  —  Im  allgemeinen 
über  Gerbert  vgl.  Reuter,  Gesch.  d.  Aufklärung  I.  78 — 84;  Schultel's,  Papst 
Silvester  II.  als  Lehrer  u.  Staatsmann,  Hamburg  1891  (wo  S.  11  die  ältere 
Litteratur  angeführt  wird);  Allen,  Hist.  rev.  VII  (1892),  625  tf.;  Picavet. 
Gerbert  un  pape  philoso]ihe,  Paris  1897.  —  Ueber  Sagen,  die  sich  an 
Gerbert  knüpfen:  A.  Graf,  Miti,  leggende  e  superstizioni  del  medio  evo 
II  (Turin  1893).  3 — 75;  Schultel's,  Die  Sagen  über  Silvester  IL,  Hamburg 
1893.    Graf  druckt  auch  die  wichtio-sten  Fundstellen  über  Gerberts  Masrie 


462  ni.  Ottonen.     §  11.   Frankreich.    Reims. 

Verhandlungen  der  S3"noden  zu  St.  Basle,  Mouzon  und  Coucj  auf, 
welche  durch  diese  Verhältnisse  veranlal'st  wurden  \),  und  die  aul'ser- 
ordentliehe  Klarheit,  Schärfe  und  Gediegenheit  der  Darstellung,  so- 
wie die  Meisterschaft  im  Ausdrucke  lassen  uns  sehr  bedauern,  dafs 
er  uns  aufserdem  keine  Werke  geschichtlichen  Inhaltes  hinterlassen 
hat.  Besonders  merkwürdig  sind  die  Akten  der  Synode  von  St.  Basle 
durch  die  heftige  und  rücksichtslose  Opposition  gegen  den  römischen 
Stuhl;  sie  riefen  eine  nicht  minder  heftige  und  charakteristische 
Entgegnung  von  Seiten  des  römischen  Abtes  Leo  hervor-). 

Hat  aber  Gerbert  nicht  selbst  Geschichte  geschrieben ,  so  ver- 
anlafste  er  doch ,  dafs  nach  langer  Unterbrechung  in  Reims  diese 
Thätigkeit  wieder  aufgenommen  wurde.  Er  beauftragte  damit  einen 
seiner  Schüler^),  den  Rieh  er,  einen  Mönch  von  Saint-Remi*),  der 
sich  mit  nicht  gewöhnlichem  Eifer  dem  Studium  der  alten  Lateiner 
und   der  Philosophie,    der  Medizin'')   und   der   Mathematik   hingab. 

aus  Beno,  Sigebert,  Ordericus  Vitalis,  Wilhelm  v.  Malmesbmy,  Walther 
Map  und  die  Verse  (ine.  Ortus  Bemensis)  aus  der  Hs.  Heidelberg  Sal.  257 
saec.  XII — XIII  wieder  ab. 

1)  MG.  SS.  III,  658—693;  Olieris  p.  17.3—256. 

-)  MG.  SS.  III,  686—690;  Olieris  p.  287—243.  Vgl.  oben  S.  840.  Die 
Beschlüsse  der  Svuode  von  Pavia  997,  MG.  SS.  III,  694,  Jaffe  Bibl.  III, 
351  (Jaffe  Reg.  3876),  in  einer  Bamberger  Hs.  aus  Reims,  Bamb.  Katalog 
I,  1,  371.  In  der  Hs.  Rom  Reg.  lat.  1288  (Arch.  XII,  815)  folgen  auf 
einen  Bericht  über  Arnulfs  Absetzung  u.  Gerberts  Nachfolge  sehr  bittere 
Verse  (ine.  Tres  contra  Dominum),  in  denen  man  „Gilbertus"  als  «Gir- 
bertus"  verstand,  in  zwei  anderen  Hss.  aber  steht  „Wigbertus",  und  Wibert 
scheint  besser  zu  passen,  vgl.  die  Ausgabe  MG.  Lib.  de  lite  III,  703. 

^)  Ueber  Schüler  und  Freunde  Gerberts  sei  hier  folgendes  angemerkt. 
Ein  von  Aynardus  in  Reims  (vgl.  Gerbert  ep.  7)  geschriebener  Cicero  de 
oratore  mit  Widmung  an  Gerbert,  jetzt  in  Erlangen,  vgl.  Bubnov,  Ger- 
berti opp.  math.  S.  290.  Ein  Brief  B.  Arnulfs  v.  Orleans  (972—1008) 
über  eine  Stelle  im  Hiob,  herausg.  v.  Lauer,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XVIII, 
493—495;  vgl.  Sackur,  Cluniac.  I,  287.  Ueber  Adalbold  v.  Utrecht  vgl. 
oben  S.  436  Anm.  5;  über  Adso  S.  421  f. 

*)  Hier  war  945  die  Regel  durch  Erzbischof  Hugo  unter  Mitwirkung 
des  Abts  Erchambold  von  Fleury  hergestellt  und  Hinkmar  (f  967)  als 
erster  selbständiger  Abt  eingesetzt.  Gerhard  von  Brogne  (oben  S.  435) 
wird  dabei  von  Flodoard  auffallenderweise  gar  nicht  erwähnt.  Berner 
führte  schon  948  von  St.  Remi  Mönche  nach  Homblieres  ijn  Vermandois, 
da  die  dortigen  Nonnen  zu  liederlich  waren  und  es  trotz  aller  Mühe 
blieben,  vgl.  Inventio,  Tranftlatio  et  Miracula  S.  Hunegundis  a.  946  auct. 
Bernero,  Mab.  \,  214 — 221.  Andere  kamen  952  nach  St.  Basle  und 
durch  Erzbischof  Adalbero  971  unter  Lietald  nach  Mouzon,  972  nach 
St.  Thiern-;  vgl.  Sackur,  Cluniac.  I.  186  ff. 

'")  Er  ging  zu  diesem  Zwecke  nach  Chartres  (Richer  IV,  50),  wo  seit 
früher  Zeit,  wie  vor  allem  die  Hss.  der  medizinischen  Autoren  beweisen 
(jetzt  in  Chartres.  Paris,  Bern),  diese  Wissenschaft  eifrig  gepflegt  wurde. 
Ueber  die  von  ihm  erwähnte  „Concordia  Yppocratis,  Galieni  et  Surani" 
vgl.  Val.  Rose   im  Verzeichn.  der  lat.  Meermanhss.   (Berl.  1892)   S.  364. 


Gerbert.     Richers  Geschichte.  463 

Von  seinen  Vorgängern  wich  Richer  ab,  indem  er  die  schlichte 
anncalistische  Form  verliel's;  ihm  schwebte  das  höhere  Ziel  einer 
künstlerisch  durchgebildeten  und  das  innere  Wesen  der  Dinge  er- 
fassenden Geschichtschreibung  vor.  Nachdem  er  die  Widmung  an 
Gerbert  und  den  Anfang  seines  Werkes  (bis  II,  78)  geschrieben, 
scheint  eine  Unterbrechung  eingetreten  zu  sein,  worauf  er,  bevor 
noch  997  König  Robert  sich  von  Gerbert  abwandte,  diesen  Anfang 
noch  einmal  überarbeitete  und  bis  zum  Jahre  095  fortführte;  einige 
kurze  Notizen  über  die  folgenden  Jahre  auf  dem  letzten  Blatte 
seiner  Handschrift,  in  welchen  die  veränderte  Stimmung  gegen  den 
König  sich  offen  zeigt,  deuten  die  Absicht  einer  weiteren  Fort- 
setzung an,  zu  welcher  er  aber,  vielleicht  durch  Gerberts  Absetzung 
(998)  verhindert,  nicht  mehr  gekommen  ist.  Nach  Monods  Ver- 
mutung hat  er  ihn  zum  Kaiserhofe  begleitet '). 

Als  Ausgangspunkt  seines  Werkes  bezeichnet  Richer  in  einem 
Vorworte  das  Ende  von  Hinkmars  Werk  (882).  Dann  gedenkt  er 
als  seiner  Quelle  für  die  ältere  Zeit  mit  etwas  dunklen  Worten  des 
Flodoard :  si  ignotae  antiquitatis  ignorantiae  arguar,  ex  quodam 
FlodoarcU  presbitcri  Remensislihello  me  aliqua  sumpsisse  non  äbnuo; 
at  non  verbci  quidem  eadem,  sed  alia  pro  aliis  longe  diverso  orationis 
scemate  disposiiisse  res  ipsa  evidentissime  demonstrat.  Wenn  er 
nun  auch  im  Verlaufe  der  Erzählung  einmal  ausdrücklich  auf  die 
Historia  Remensis  verweist  (I,  19:  si  qiiis  ad  plenuni  dinoscere  cupit, 
legat  librum  Flodoardi  preshitcri,  quem  ah  urbe  condita  de  eiusdem 
urbis  episcojns  iiberrime  descripsif),  so  berührt  er  sich  mit  diesem 
Werke  doch  nur  gelegentlich  und  benutzt  vielmehr,  wo  wir  verglei- 
chen können  (d.  h.  vom  Jahre  919  an),  sehr  ausgiebig  die  Annalen 
Flodoards.  So  wird  er  denn  unter  dem  libelJus  auch  eher  die  Annalen 
verstanden  haben ,  und  in  seiner  vor  920  freilich  sehr  dürftigen 
Erzählung  benutzte  er  auch  wohl  deren  uns  verlorenen  Anfang  (vgl, 
oben  S.  459).  Sonst  kannte  er  nicht  einmal  die  Annalen  von  Saint- 
Vaast.  Dagegen  hatte  er,  vermutlich  in  Chartres,  wohin  ihn  das 
Studium  der  Medizin  führte,  sagenhafte  Nachrichten')  über  die  Her- 


Lauer  glaubt  den  Namen  Richer  in  einem  Briefe  Fulberts  v.  Chartres 
(Bouquet  X,  444)  auf  diesen  Aufenthalt  in  Chartres  beziehen  zu  sollen, 
Regne  de  Louis  IV  p.  XL 

')  Vgl.  G.  Monod,  Etudes  sur  l'hist.  de  Hugues  Capet.  Les  sources 
historiques.     Revue  bist.  XXVIII,  241 — 272. 

^)  Vgl.  C.  v.  Kalckstein,  Gesch.  d.  frz.  Königtums  unter  den  ersten 
Capetingern  I  (1877),  S.  476 — 482.  Favre,  Eudes,  roi  de  France  (Paris 
1893)  p.  230—233.  Ph.  Lauer  a.  a.  0.  p.  267—276  (=  Romania  XXVI, 
161—174). 


464  III.  Ottonen.     §  11.    Frankreich.    Reims. 

kunft  des  Grafenhauses  von  Blois  erfahren ,  und  sonst  noch  einige 
Notizen,  welche  er  mit  äalserster  chronologischer  Verwirrung  ganz 
willkürlich  in  Verbindung  brachte;  wie  sehr  ihm  jede  Entstellung 
zuzutrauen  ist,  zeigt  der  folgende  Abschnitt,  wo  Flodoards  Annalen 
vorliegen^).  Wo  sie  enden  (966),  erreicht  Richer  die  Zeit,  welche  er 
schon  selbst  mit  durchlebt  hatte,  und  je  mehr  er  sich  der  Gegen- 
wart näherte,  desto  mehr  hatte  er  Ereignisse  zu  berühren,  deren 
Mittelpunkt  grolsenteils  der  erzbischöfliche  Stuhl  von  Reims  gebildet 
hatte.  Hier  konnte  es  ihm,  der  im  Auftrage  Gerberts  seine  Geschichte 
schrieb,  an  zuverlässiger  Kunde  nicht  fehlen;  für  die  frühere  Zeit 
kam  es  ihm  auch  zu  statten,  dafs  sein  Vater  Rudolf  ein  Dienstmann 
König  Ludwigs  IV.  gewesen  war,  dessen  Gunst  er  sich  durch  seine 
Tapferkeit  und  Klugheit  erworben  hatte. 

Aeufserlich  war  also  Richer  vortrefflich  ausgerüstet,  um  ein 
Geschichtswerk  von  nicht  gewöhnlichem  Werte  zu  schreiben,  aber 
leider  fehlte  es  ihm  gänzlich  an  der  inneren  Befähigung.  Es  fehlte 
ihm  vor  allen  Dingen  ganz  an  geschichtlichem  Sinne.  Nicht  die 
Thatsachen,  nicht  die  Wahrheit  sind  ihm  das  Wesentliche,  son- 
dern mehr  noch  die  Form  der  Darstellung,  Das  Studium  der 
Alten ,  vorzüglich  des  sehr  stark  von  ihm  benutzten  Sallust  ^), 
führte  ihn,  wie  wir  das  im  Mittelalter  nur  zu  häufig  wahr- 
nehmen, blofs  zu  dem  Bestreben,  in  der  äufseren  Form  ihnen  nach- 
zueifern, namentlich  erdichtete  Reden  den  handelnden  Personen  in 
den  Mund  zu  legen  und  altertümliche  Benennungen  anzuwenden, 
wo  sie  nicht  an  ihrem  Orte  sind,  nämlich  für  die  eigentümlichen 
Zustände  und  Verhältnisse  der  Gegenwart.  Bei  Richer  aber  geht 
das  Streben  nach  rhetorischem  Schmucke  so  weit,  dafs  die  Darstel- 
lung der  Thatsachen  dadurch  wesentlich  beeinträchtigt  wird.  Schil- 
derungen von  Schlachten  und  Belagerungen,  sowie  besonders  auch 
von  Krankheiten,  bei  denen  er  seine  medizinische  Gelehrsamkeit  zur 
Schau  trägt,  wiederholen  sich  in  übertriebener  Weitschweifigkeit, 
und  bei  genauerer  Untersuchung  findet  man  bald,  dal's  der  Ver- 
fasser sich  hier  nicht  selten  ganz  seiner  Phantasie  überläist.  Dieses 
führt  uns  auf  den  zweiten  grolsen  Fehler  Richers,  nämlich  seinen 
Mangel  an  Wahrheitsliebe  und  Genauigkeit.  Eine  unbefangene 
Daz'stellung  darf  man  bei  seinem  Standpunkte  überhaupt  nicht  er- 
warten;  aber  auch  da,  wo  keine  Parteirücksichten  ihn  verleiteten, 

^)  Vgl.  die  Dissertation  von  Reimann  (miten  S.  466  Anm.  1),  worin 
Richers  Unzuverlässigkeit  im  einzelnen  nachgewiesen  ist,  namentlich  auch 
die  Unechtheit  seiner  Zusätze  zum  Ingelheimer  Konzile. 

^)  F.  Vogel  in  den  Acta  Sem.  Erlang.  II,  418—421. 


Richers  Geschichtswerk.  465 

begeht  er  die  grülsten  Fehler,  welche  besonders  deutlich  hervor- 
treten, wo  wir  seine  Quelle,  die  Annalen  Flodoards,  zur  Vergleichung 
bei  der  Hand  haben.  Flüchtig  und  ungenau  erscheint  er  da  im 
höchsten  Grade.  Tritt  nun  aber  gar  noch  ein  bestimmter  Beweggrund 
hinzu,  von  der  Wahrheit  abzuweichen,  so  sehen  wir  ihn  jedem  An- 
lasse dieser  Art  folgen;  er  übertreibt  und  vergröl'sert,  was  er  bei 
Flodoard  vorfindet,  aber  er  geht  auch  so  weit ,  sein  eigenes  Werk 
zu  verfälschen,  um  eine  krankhafte  nationale  Eitelkeit  zu  befriedigen. 
Ein  besonders  günstiges  Geschick  hat  uns  seine  eigene  Handschrift 
aufbewahrt  (Bamberg  E.  III,  3),  und  diese  zeigt  uns,  wie  er  im 
ersten  Buche  das,  was  er  früher  geschrieben  hatte,  veränderte, 
um  anstatt  Giselberts  und  der  Lothringer  den  König  Heinrich  und 
die  Deutschen  dem  westfränkischen  König  unterworfen  erscheinen  zu 
lassen.  Doch  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  er  sich  hier  nicht  durch  seine 
ganz  falsche  Auffassung  der  älteren  Geschichte  irre  leiten  liel's ;  ge- 
wonnen wird  aber  für  ihn  auch  dadurch  nicht  viel,  dafs  man  an- 
nimmt, er  habe  einer  oberflächlichen  Theorie  zuliebe  die  überkom- 
menen Thatsachen  willkürlich  verändert  •)• 

Als  Historiker  können  wir  demnach  Richer  unmöglich  hoch 
stellen ;  so  sehr  er  im  einzelnen  nach  rhetorischem  Schmucke  und  zu- 
sammenhängender Darstellung  strebt,  so  wenig  ist  er  doch  auf  ein 
richtiges  Verhältnis  der  Teile  bedacht  gewesen,  und  es  wird  durch 
ganz  zufällige  Umstände  bestimmt,  ob  er  auf  alle  Einzelheiten  mit 
grölster  Ausführlichkeit  eingeht,  oder  wiederum  wichtige  Ereignisse 
nur  leicht  berührt  oder  ganz  übergeht.  Dazu  ist  seine  Sprache  ge- 
sucht und  oft  durch  unpassende  Ausdrücke  kaum  verständlich,  so 
dal's  wir  sein  Werk  auch  nicht  in  Rücksicht  auf  die  Form  loben 
können,  wenn  wir  von  der  Wahrhaftigkeit  der  Darstellung  absehen 
wollten.  Demungeachtet  aber  hat  doch  Richers  Buch  für  uns  einen 
hohen  Wert;  er  ist  unser  einziger  Berichterstatter  über  jene  so  wich- 
tige Zeit,  in  der  die  Herrschaft  von  den  Karolingern  auf  die  Cape- 
tinger  überging.  Und  seine  ausführliche  Darstellung  gerade  dieser 
letzten  Jahre  enthält  eine  grofse  Fülle  wichtiger  Nachrichten,  die 
wir  ihm  allein  verdanken  und,  obgleich  sie  nur  mit  grofser  Be- 
hutsamkeit zu  gebrauchen  sind,  doch  als  eine  sehr  wesentliche 
Bereicherung  unserer  geschichtlichen  Kenntnis  betrachten  müssen*), 

')  Nach  Wittich  in  den  Forsch.  III,  105—141  hätte  Richer  I,  34—40 
eine  lothringische  Quelle  benutzt ,  und  weil  er  von  Giselberts  Erhebung 
erst  bei  dem  Eintritte  dieser  Quelle  berichtet,  die  Stellen,  wo  er  ihn  vor- 
her erwähnt  hatte,  verändert,  um  oberflächlich  die  Einheit  herzustellen. 
Vgl.  auch  Waitz,  Heinrich  I,  3.  Aufl.  S.  2(\  ff. 

^)   Für  die  Zeit  Ottos  II.  wird   seine  Glaubwürdigkeit  verteidigt  von 

Wattenbach ,  Geschichtsquellen.    I.    7.  .\urt.  30 


466  III-  Ottonen.     §  11.   Frankreich.    Reims. 

Denn  bis  auf  unsere  Tage  ist  Richers  Werk  fast  ganz  verborgen  ge- 
blieben; nur  in  grolsen  Zwischenräumen  haben  Frutolf,  Hugo  von 
Flavigny,  Trithemius  davon  Gebrauch  geniacht  und  dadurch  eine 
sehr  unbestimmte  Kunde  von  diesem  Schriftsteller  erhalten ;  sein 
Werk  aber  galt  für  verloren,  bis  Pertz  es  1833  in  Bamberg  von 
neuem  entdeckte  und  1839  zum  ersten  Male  bekannt  machte^). 

Schon  früher  als  Saint-Remi  war  das  Kloster  Fleury  oder 
Saint-Benoit-sur-Loire  durch  Odo  von  Cluny  der  strengeren 
Zucht  unterworfen  worden ;  von  hier  hatte  St.  Remi  seinen  ersten 
Abt  Hinkmar  erhalten.  In  Fleury  wurde  988  Abbo  Abt,  der,  in 
der  Klosterschule  avisgebildet,  schon  als  Lehrer  gewirkt  hatte,  als 
er  sich  noch  nach  Paris  und  Reims  zu  weitei'en  Studien  begab-).  In 
der  Astronomie  machte   er  Fortschritte ,    fand    aber   übrigens  seine 

Ad.  Matthaei,  Händel  Ottos  IL  mit  Lothar  v.  Frankr.,  Hall.  Diss.  1882; 
für  die  Erhebung  der  neuen  Könige  (IV,  12.  13)  von  Julien  Havet, 
Oeuvres  II,  68—76.  Vgl.  dagegen  Uhlirz,  Jahrb.  unter  Otto  IL  S.  15-3 
Anm.  9. 

1)  Richerl  Historiarum  Ubri  ZFed.  Pertz,  MG.  SS.  III,  561-657.  Be- 
sonderer Abdruck,  Han.  1839.  Neue  Ausg.  von  Waitz  1877  mit  genauerer 
Beachtung  der  in  der  Handschrift  vorgenommenen  Aenderungen.  Mit 
franz.  Uebersetzung  von  Guadet,  Paris  1845,  und  in  der  Ausgabe  der 
Academie  de  Reims  v.  Poinsignon,  1856.  Deutsche  Uebersetzung  v.  Freih. 
V.  d.  Osten-Sacken,  mit  Einleitung  von  Wattenbach,  Berlin  1854;  neue 
Ausg.  1891,  Geschichtschr.  37  (X,  10).  Schriftprobe  bei  Pertz  p.  566,  zwei 
andere  Seiten  in  W.  Arndts  Schrifttafeln,  3.  Aufl.  Tafel  53.  Während 
diese  Originalhs.  Richers  aus  der  Dombibliothek  stammt,  wird  über 
Richeri  ad  Gerhertiim  in  Ruotgers  Kataloge  der  Michelsberger  Bibliothek 
(NA.  XXI,  166,  vgl.  170)  erwähnt;  Frutolf  und  Trithemius  könnten  dieses 
zweite  Exemplar  benutzt  haben.  In  Bamberg  liegen  viele  Hss.  aus  Reims, 
sie  gehörten  dem  Bamberger  Dome ;  aber  der  Reimser  Vegetius ,  jetzt 
Dresden  DG.  182,  kam  vom  Michelsberge.  Es  bestand  offenbar  ein  leb- 
hafter Austausch.  Vgl.  über  Richer  im  allgemeinen  Reimann,  De  Richeri 
vita  et  scriptis,  Olsnae  1845.  Giesebrecht  I,  788.  Maurenbrecher  S.  69 
bis  74.     Lauer,  Regne  de  Louis  IV  p.  VIII — XL 

^)  lieber  Abbo  handelt  ausführlich  Cuissard,  L'ecole  de  Fleury-sur- 
Loire  ä  la  fin  du  10.  siecle,  Mem.  de  la  Soc.  arch.  de  l'Orleanais  XIV 
(1875),  551—717.  Ebert  III,  392—399.  Pfister,  Robert  le  Pieux  p.  9  ff. 
(über  die  erste  Romfahrt  p.  54).  Sackur,  Die  Cluniac.  I,  274  ff.  11,  345 
bis  349.  Ueber  Hss.,  die  in  seinem  Auftrag  entstanden,  vgl.  Sackur 
II,  345;  des  Josephus  Bell.  Jud.  liefs  er  durch  den  Laien  Rotbert  ab- 
schreiben, Hagen,  Catal.  Bern.  p.  240.  Ueber  Abbos  arithmetisch-chrono- 
logische Schriften  vgl.  Rose ,  Meerman-Hss.  S.  308  ff.  und  Schenkl,  Bibl. 
patr.  lat.  Brit.  n.  2363.  Ueber  sein  Excerptum  de  gestis  Romanorum 
jjontificum,  vgl.  Duchesne ,  Liber  Pontifical.  I.  CCIV  und  über  die  dort 
vermifsten  Hss.  Traube,  Hieronymi  fragmenta  p.  XIII.  Der  von  Aimoin 
angeführte  Brief  des  Abtes  Oylbold  an  Abbo  vollständiger  bei  Auvray, 
Deux  mss.  de  Fleury,  Orleans  1889,  p.  7  (a.  d.  Annales  de  la  Societe  bist, 
du  Gätinais).  Hier  überhaupt  über  Abbo;  die  von  Auvray  im  Vatikan 
vergeblich  gesuchte  Hs.  von  Abbos  Brief  an  Giraldns  und  Vitalis  jetzt  in 
Berlin  Phill.  1833.    In  einer  anderen  Hs.  dieses  Briefes  (Rom.  Reg.  lat.  1573 


Fleuiy.     Abbo.     Aimoin.  467 

Erwartungen  nicht  befriedigt.  In  Orleans  vervollkommnete  er  sich 
in  der  Musik,  und  übernahm  dann  eine  Mission  nach  England,  wo 
Erzbischof  Dunstan  die  klösterliche  Zucht  herstellte.  Heimgekehrt, 
gewann  er  als  Abt  eine  grol'se  Wirksamkeit,  und  übernahm  auch 
997  für  König  Robert  eine  Gesandtschaft  an  den  Papst.  Einer 
schon  im  Jahre  996  unternommenen  römischen  Reise  gedenkt  er  in 
einem  Briefe  an  den  Abt  Hatto  III.  von  Fulda  ') ;  mit  diesem 
war  er  in  Reims  bekannt  geworden ,  und  hatte  mit  ihm  einen 
Austausch  von  Reliquien  beredet.  Vor  dem  Tode  des  Königs 
Hugo  (996)  verfalste  er  für  diesen  und  seinen  Sohn  eine  Sammlung 
von  canonischen  und  anderen  Aussprüchen,  mit  besonderer  Beto- 
nung des  königlichen  Amtes  und  des  den  Mönchen  gebührenden 
Schutzes  ^).  Endlich  wurde  er  am  13.  November  1004  in  dem 
Priorate  La  Reole  an  der  Garonne  in  einem  Tumulte  der  Aquitanen 
erschlagen.  Sein  Leben  beschrieb  Aimoin''),  ein  Mönch  seines 
Klosters,  der  ihn  auf  seiner  letzten  Reise  begleitet  hatte,  mit  einem 
Briefe  an  Herveus,  Schatzmeister  von  St.  Martin  in  Tours,  der,  unter 
Abbo  in  Fleury  gebildet,  die  1001  verbrannte  Martinskirche  wieder 
herstellte.     Sie  wurde  1008  eingeweiht,  1012  starb  Herveus ''). 

Nach  Fleury  war  aus  Montecassino,  während  es  von  den  Lango- 
barden verwüstet  in  Trümmern  lag,  der  Leib  des  heiligen  Benedict 
entführt  worden,  eine  Thatsache,  welche  freilich  später  von  den 
Cassinesen  hartnäckig  geleugnet  wurde  (vgl.  oben  S.  340).  Die 
näheren  Umstände  der  Uebertragung,  die  einen  grolsen  Aufschwung 
des  Klosters  zur  Folge  hatte,  schilderte  schon  im  9.  Jahrhundert  ein 
Unbekannter,    vielleicht   Adalbert    (f   853)^),   und  Adrevald   fügte 

aus  Ferrieres)  ein  Verzeichnis  der  Aebte  von  Ferrieres,  vgl.  Auvray  p.  18 
und  Traube.  NA.  XVIII,  88. 

')  Baluzii  Miscell.  I,  409.     Schannat,  Hist.  Fuld.  I.  132. 

*)  Conrat  (Cohn),  Gesch.  d.  Quellen  u.  Litt.  d.  röm.  Rechts  (1889)  I, 
259—261.     Sackur,  Cluniac.  II,  487. 

')  Vita  Abbnnis  abb.  Floriacensis  atict.  Aimoino,  Mab.  VI,  1,  37 — 58.  — 
Vom  Jahre  626  an  bis  1060  war  auch  in  Fleury  eine  Ostertafel  mit 
Annalen  versehen,  gedruckt  als  Chron.  FJoriacense,  Duchesne  III,  355 
bis  357.  Pertz  läfst  das  aus  der  Hist.  miscella,  den  Ann.  S.  Amandi  und 
S.  Columbae  Entnommene  weg  und  gibt  den  Rest  MG.  SS.  II,  254  von 
853  an  als  Annales  Floriacenses.  Andere  Notizen,  gröfstenteils  überein- 
stimmend, bis  1044,  vom  Rande  einer  Ostertafel  in  Bern  als  Ami.  Flor, 
hreves,  MG.  SS.  XIII,  87.  Catalogus  abbatum  Floriacensium  bis  818,  MG. 
SS.  XV,  1,  500. 

*)  Hugonis  archidiaconi  'Turoy^ensis  dialogus  ad  Fulbertum  (ep.  Carnot.) 
de  quodam  miraculo,  quod  cotitigit  in  translatione  S.  Martini,  Mab.  Anall. 
ed.  II.  p.  213  seqq.,  ist  damals  entstanden;  vgl.  Clerval,  Les  ecoles  de 
Chai-tres,  Paris  1895,  S.  75  f. 

^)  Ex  Adventu  cot'jwris  S.  Benedicti  in  agruin  Flor.  ed.  Holder-Egger, 


468  m»  Ottonen.     §  11.   Frankreich.    Reims. 

bald  nacli  875  ein  Buch  über  die  Wunder  des  heiligen  Benedict 
hinzu'),  welches  ixm  880  von  Adelerius  fortgesetzt  wurde^).  Diesen 
schlofs  sich  nun  auch  Aimoin  an,  indem  er  im  Jahre  1005  ein 
zweites  und  drittes  Buch  der  Wunder  schrieb^).  Geschichtliche  Nach- 
richten über  die  Könige  von  Frankreich  kommen  gelegentlich  darin 
vor'*)  und  wurden,  obwohl  weder  genau  noch  ausführlich,  doch  bei 
dem  Mangel  an  anderen  Quellen,  besonders  da  auch  Richers  Werk 
nur  wenig  bekannt  geworden  war,  von  Spätei'en  häufig  benutzt. 

Ganz  ohne  geschichtlichen  Wert  ist  der  Bericht  über  die  Illatio 
S.  Benedict i,  d.h.  die  Ueberti'agung  in  die  Marienkirche,  und, 
nach  der  Flucht  vor  den  Normannen  883,  die  Rückbringung  aus 
Orleans  am  4.  Dezember  desselben  Jahi-es,  voll  von  Wunder- 
geschichten und  gröfster  historischer  Verwirrung,  von  dem  Hers- 
felder Mönche  Diederich  nach  längerem  Aufenthalte  in  Fleury 
verfafst  für  den  Abt  Richard  von  Amorbach,  der  von  1018 — 1039 
auch  Abt  von  Fulda  gewesen  ist'^). 

Die  Aufzeichnung  der  Wunder  des  heiligen  Benedict  hatte  Aimoin 
nach  dem  4.  Kap.  seines  dritten  Buches  abgebrochen,  um  auf  den 
Wunsch  seiner  Klosterbrüder  eine  Geschichte  der  Aebte  von  Fleury 
zu  schreiben,  wovon  uns  nur  das  Leben  Abbos  erhalten  ist.  Seine 
Arbeiten  nahm  etwas  später  Andreas  wieder  auf,  indem  er  1041 
den  Abt  Gauzlin  behandelte,  Hugo  Capets  Bastard,  welcher  auf 
Abbo  folgte  und  1030*^)  als  Erzbischof  von  Bourges  gestorben  ist^). 


MG.  SS.  XV,  1,  480—482,  574  b,  vgl.  Bibl.  bagiogr.  p.  167  n.  1117. 
Ueber  den  Verfasser  (den  einige,  wie  z.  B.  Certain  in  der  Ausgabe  für 
die  Soc.  de  l'hist.  de  France,  Les  Miracles  de  Saint  Benoit,  Paris  1855, 
nach  Sigeberts  Vorgange,  SS.  eccl.  c.  100  „Adrevaldus  qui  et  Adalbertus", 
von  Adrevald  nicht  unterscheiden)  vgl.  Holder-Egger  p.  475. 

1)  Ex  MiracuUs  S.  Bened.  Floriac.  SS.  XV,  1,  474—497.  Ueber  den 
Brief  des  Papstes  Zacharias  (p.  484)  vgl.  Hahn,  NA.  I,  580—583  und 
Loewenfeld,  NA.  IV,  173—175. 

2)  MG.  SS.  XV,  I,  498—500. 

')  Ex  Miraculis  S.  Benedicti  (=  Aimoinus  Floriac.  de  regibus  Fran- 
corum),  MG.  SS.  IX,  374—376. 

*)  Fragmentum  ex  antiqua  memhrana  Flor,  monasterii  ist  dazu  benutzt, 
vgl.  J.  Havet,  Oeuvres  II,  68—76. 

5)  Bei  Mab.  IV,  2,  350—355  unvollständig.  Vgl.  C.  v.  Kalckstein, 
Forsch.  XIV,  119  f.;  Dümmler,  Ueber  Leben  und  Schriften  des  Mönches 
Theoderich  (von  Amorbach)  in  den  Abhandl.  der  Berl.  Akad.  1894  S.  21. 

«)  Ueber  das  Todesjahr  NA.  III,  383  Anm.  6. 

')  Ausg.  von  L.  Delisle  in  den  Memoires  de  la  Societe  archeologique 
de  l'Orleanais,  T.  II,  1853.  Der  Anfang  NA.  II,  605—607  in  der  irrigen 
Meinung,  dafs  es  ungedruckt  sei.  Weil  die  mit  trefflichen  Noten  versehene 
Ausg.  Delisles  wenig  zugänglich  und  nach  einer  fehlerhaften  Abschrift 
gemacht  war,  ist  im  NA.  III,  349 — 383,  eine  vollständige  neue  Ausgabe 
von  P.  Ewald  gedruckt.   Ueber  die  I,  2  (Ewald  p.  352)  erwähnten  Mönche 


Miracula  S.  Benedicti.     Aimoin.  469 

Doch  behielt  Gauzlin  auch  als  Erzbischof  die  Abtei,  welche  102G  ab- 
brannte und  unter  seiner  Leitung  neu  gebaut  wurde.  Seine  Bio- 
graphie enthält  viele  für  Kunstgeschichte  und  Litteraturgeschichte 
wichtige  Nachrichten;  auch  von  dem  gefeierten  Scholasticus  Con- 
s tantin,  dem  Freunde  Gerberts,  erfahren  wir  hier,  dafs  er  von 
dem  Bischöfe  Arnulf  von  Orleans')  die  Abtei  St.  Mesmin  de  Micy 
erhalten  hat").  Die  Mirakel  aber  führte  Andreas,  häufig  sich  selbst 
wiederholend,  bis  1043;  von  anderer  Hand  sind  nach  1056  Zusätze 
dazu  gemacht^).  Endlich  hat  noch  Kadulfus  Tortarius,  geb. 
1063,  ein  fruchtbarer  Dichter^),  die  Mirakel  bis  1114  fortgeführt 
und  das  ganze  Werk  in  Verse  gebracht;  den  Schlufs  bilden  einige 
Aufzeichnungen  von  Hugo  von  Fleury'^). 

Doch  von  Aimoin  haben  wir  noch  ein  Werk  anzuführen. 
Noch  bei  Lebzeiten  Abbos  verfafst  und  diesem  gewidmet  ist 
eine  frühere  Scbrift  von  ihm,  eine  Geschichte  der  Fi'anken,  welche 
bis  zur  Thronbesteigung  Pippins  reichen  sollte,  aber  unvollendet 
blieb  und  nur  bis  in  die  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  geführt  isf). 
Selbständigen  Wert  hat  sie  deshalb  durchaus  nicht;  sie  gleicht  viel- 
mehr den  damals  so  häufigen  Ueberarbeitungen  alter  Legenden, 
und  ist  wie  diese  mehr  eine  sprachliche  und  formale  als  eine 
geschichtliche  Leistung.  Eine  später  im  Kloster  St.  Germain-des- 
Pres  hinzugefügte  Fortsetzung  bis  1040  ist  aus  bekannten  Quellen 


Isenbardus  und  Hisimbertus  v.  Fleury  vgl.  Auvray  (oben  S.  466  Anm.  2) 
S.  9.  Der  dem  Andreas  aus  Ramsey  geschickte  Episcopalis  benedictionis 
liber  (I,  43,  Ewald  p.  369)  wurde  in  Paris  lat.  987  wiedererkannt  von 
Delisle,  Sacram,  p.  216;  vgl.  auch  Delisle,  Journal  d,  savants  1903 
p.  435. 

')  Vgl.  oben  S.  462  Anm.  3. 

^)  Ein  Gedicht  an  ihn,  ein  zweites  an  einen  unbekannten  Bovo,  ed. 
Dümmler,  NA.  II,  222 — 228.  Beide  auch  bei  H.  Hagen,  Carmina  medü 
aevi  p.  130 — 136.  Verbesseiningen  zum  ersten  von  L.  Havet,  Romania 
VI  (1877),  S.  286.  Vielleicht  derselbe  Abt  Constantin  wird  als  Yeranlasser 
einer  wertvollen  Hs.  in  Versen  gefeiert,  NA,  XA^III,  585;  vgl.  oben  S.  417. 
Sammlung  der  Hss.  aus  Micy  bei  Traube,  Hieron.  fragm.  p.  XII — XVIII. 

^)  Dieser  Teil  ist  nur  in  der  Ausgabe  von  Certain  (vgl.  oben  S.  467 
Anm.  5)  gedruckt;  Berichtigungen  nach  der  Hs.  (Rom  Reg.  lat.  592)' 
NA.  III.  344—349,  von  P.  Ewald;  vgl.  Bibl.  bagiogr.  p..  169. 

*)  Eine  Abhandlung  über  ihn  von  Certain,  Bibl.  de  l'Ecole  des  chartes, 
4.  ser. ,  1 ,  489 — 521 ;  vgl.  K.  Hofmann  in  der  Ausg.  v.  Amis  et  Amiles 
(2.  Aufl.  Erlangen  1882)  S.  XXI— XXXII. 

^)  Radulfus  und  Hugo  bei  Certain  p.  277 — 371.  Ueber  Hugo  im 
2.  Bande. 

®)  Aimoini  Hist07-ia  Francorum  ed.  Breulius,  1602  (u.  1603)  und  in 
Frehers  Corpus  Franc.  Hist.  mit  den  Fortsetzungen.  Ohne  dieselben 
Duchesne  III,  1  —  120.  Bouquet  III,  21 — 139.  Ueber  die  Handschriften 
Waitz,  Archiv  XI,  314.     Vgl.  oben  S.  122. 


470  III-  Ottonen.     §  11.   Frankreich.    Reims. 

zusammengesetzt,  mit  einigen  Zusätzen  über  die  Geschichte  des 
Klosters;  eine  weitere  Fortsetzung  reicht  bis  1165'). 

Schon  frühzeitig,  seit  dem  Anfange  des  9.  Jahrhunderts,  wurden 
Annalen  im  Kloster  der  heiligen  Columb  a  zu  Sens  geschrieben^). 
Mit  ihrer  Hilfe,  wie  sie  in  einer  uns  nicht  erhaltenen  ausführ- 
licheren Gestalt  bis  956  vorlagen,  verfafste  ein  unbekannter  Geist- 
licher mit  besonderer  Beziehung  auf  das  Erzbistum  Sens  eine  etwas 
ausgiebigere,  aber  noch  immer  sehr  magei'e  Chronik  des  westfrän- 
kischen Reiches  von  der  Schlacht  bei  Tertry  bis  zum  Ende  des  Jahr- 
hunderts nach  mündlicher  Ueberlieferung  und  persönlicher  Erinne- 
rung fortschreitend;  wichtiger  ist  die  von  einem  Zeitgenossen  her- 
rührende Fortsetzung  von  1000 — 1015^).  Dieses  Werk  wurde  nicht 
nur  in  der  wenig  späteren  Chronik  des  Odorannus  von  Sens'*),  son- 
dern auch  von  Hugo  von  Fleury  und  anderen'*)  viel  benutzt  und 
von  Ordericus  Vitalis  vollständig  in  seia  Wei-k  aufgenommen. 

Von  gröfserem  Werte,  aber  der  deutschen  Geschichte  und  unserer 
Aufgabe  schon   sehr  fern  liegend,   ist   die  Chronik  der  Normannen 

')  Simeon  Luce,  La  contiimation  d'Aimoiii  et  le  ms.  lat.  12711  de 
la  Bibl.  nat.  (Not.  et  doc.  pour  la  Soc.  d'hist.  de  France) ,  Paris  1884, 
p.  57^ — 70  über  das  Exemplar  mit  Interpolationen  aus  St.  Germain-des- 
Pres,  woraus  die  ältesten  Ausgaben  genommen  sind ;  vgl.  B.  Krusch,  HZ. 
LVI,  367. 

2)  Ann.  S.  Columhae  Senonensis  708—1218  ed.  Pertz,  MG.  SS.  T,  102 
bis  109.  Bis  840  in  den  Ann.  S.  Maximini  ausgeschrieben,  oben  S.  406 
Anm.  1.  Nach  einem  vollständigeren  Exemplare  bis  922  sind  sie  von 
Albericus  benutzt,  vgl.  MG.  SS.  XXIII,  661.  Verwandte  Notizen  {Notac 
Senonenses)  aus  2  Martyrologien  bei  Delisle,  Notice  sur  plus,  manuscrits 
de  la  bibl.  d'Orleans,  Not.  et  extr.  XXXI,  1,  424—426  u.  Catalogue  Libri 
p.  46—47  (aus  Paris  nouv.  acq.  lat.  1604),  und  Delisle,  Sacram.  p.  164 
bis  165  (aus  Rom  Reg.  lat.  567).  Nomina  episcopor.  civ.  Senonunt  mit 
einzelnen  Notizen  aus  einem  Stockholmer  Sakramentar  im  Anz.  f.  Kunde 
der  D.  Vorzeit  XXII,  39  und  bei  Delisle,  Sacram.  p.  371.  Obedienz-Er- 
klärungen  für  die  Erzbischöfe  von  Sens  mit  einzelnen  Notizen  aus  zwei 
Petersburger  Hss.  NA.  III,  199—202;  V,  261;  601.  Obedienz-Erklärungen 
für  die  Erzbischöfe  von  Besan^on  NA.  III,  196 — 198. 

^)  Historia  Franco7-um  Senonensis  a.  688 — 1015  (1034)  ed.  Waitz,  MG. 
SS.  IX,  364—369.  Vgl.  Lot,  Les  derniers  Carolingiens,  Paris  1891,  p.  338 
bis  345. 

■*)  Odoranni  monachi  S.  Petri  Vivi  Senonensis  Chronicon  collectum 
a.  1045,  ed.  Duchesne  II,  636.  Mit  den  übrigen  Schriften  des  Odorannus 
bei  Duru,  Bibl.  bist,  de  I'Yonne  II,  187 — 446.  Daraus  auch  bei  Migne 
CXLII,  765—831. 

'")  Clarii  monachi  S.  Petri  Vivi  Senonensis  Chronicon  bis  1124,  Fort- 
setzung bis  1179,  weitere  Fortsetzung  bis  1267,  bei  Duru  II,  449—597. 
Excerpte  (unzureichend)  MG.  SS.  XXVI,  30—36.  Clarius  enthält  Reste 
karolingischer  Annalen  aus  Sens,  die  von  den  uns  bekannten  verschieden 
sind  und  Beachtung  verdienen ;  vgl.  Poet.  Car.  III,  68  adn.  5.  Chronique 
de  Vabbaye  de  St.  Pierre  le  Vif  de  Sens,  redigee  vers  la  fm  du  13.  si^cle, 
par  Geoffroi  de  Courlon,  texte  et  trad.  par  G.  Julliot,  Sens  1876. 


Dudo  von  St.  Quentin.     Warnerius.  471 

von  Rollo  bis  auf  den  Tod  Richards  I.  (!.'9tj),  von  Dudo,  Dekan 
zu  St.  Quentin,  am  Anfange  des  11.  Jahrhunderts  verfafst.  Er 
schrieb  nach  mündlicher  üeberlieferung,  hauptsächlich  nach  den 
Erzählungen  des  Grafen  Rudolf  von  Ivry,  des  Bruders  Herzog 
Richards  I.,  und  gibt  uns  eine  wahre  Volksgeschichte  in  reichhaltiger, 
lebendiger,  wenn  auch  mit  viel  Schönrednerei  ausgeschmückter  Er- 
zählung, mit  unbedingter  Verherrlichung  selbst  der  noch  heidnischen 
Normannen').  In  dieser  schwülstigen  Ueberladung  und  in  der  Ver- 
zierung mit  inhaltlosen  Versen  in  vielförmigen  Metren  nach  dem 
Vorbilde  des  Boethius,  zeigt  Dudo  ganz  den  Charakter  der  Schulen 
seiner  Zeit,  die  unter  Rollos  frommen  Nachfolgern  auch  in  der 
Normandie  wieder  auflebten.  Schon  die  Ermordung  des  Herzogs 
Wilhelm  Langschwert  (17.  Dezember  942)  veranlal'ste  ein  rhyth- 
misches Gedicht,  welches  dem  Dudo  bekannt  gewesen  sein  mag^). 
Bald  begegneten  sich  am  erzbischöflichen  und  herzoglichen  Hofe, 
wie  einst  bei  Karl  dem  Grofsen ,  Irländer  und  Franken  in  heftiger 
Feindschaft.  Moriuht  gewann  die  Gunst  des  sehr  weltlichen  und 
lebenslustigen  Erzbischofs  Hugo  von  Rouen  (942 — 989)  und  der 
Fürsten  durch  seine  Lobverse.  Warnerius  dagegen,  ein  Mönch 
von  St.  Ouen,  sehr  gelehrt  in  seiner  Weise,  widmete  sich  ganz 
dem  Dienste  des  Erzbischofs  Robert  (989 — 1037),  Herzog  Richards 
Sohn,  und  bekämpfte  mit  beifsenden  und  ganz  unflätigen  Versen 
den  Gegner,  dem  er  grobe  Unwissenheit  und  Unsittlichkeit  vor- 
warf. Sein  Gedicht  ist  an  den  Erzbischof  und  dessen  Mutter  ge- 
richtet ^). 


')  Dudmiis  libri  III  de  moribus  et  actis  jirimoriun  Xormanniae  ducum, 
Duchesne  SS.  Normannici,  Paris  1619  (=  Migne  CXLI,  605  —  758).  Ex- 
cerpt  bei  Bouquet  X,  141 ;  MG.  SS.  IV,  93—106.  Neue  Ausg.  in  4  Büchern 
von  Jules  Lair,  Caen  1865  (in  den  Mem.  de  la  Soc.  des  antiquaires  de 
Normandie  XXIII),  Migne  CXLT.  Die  einzige  vollständige  Hs.  aus  Fecamp 
jetzt  in  Berlin  Phillipp.  18-54  (Ciarom.  687),  vgl.  Rose ,  Verzeichnis  der 
Meermanhss.  S.  31-->.  Vgl.  unten  S.  472  Anm.  1.  Unbedeutend,  weil  ganz 
aus  den  Bertin.  u.  Vedast.  Annalen  genommen,  ist  das  Chronicon  de  Gestis 
Normannorum  in  Francia  820—897,  MG.   SS.  I,  532—536. 

*)  Complainte  sur  l'assassinat  de  Guillaume  Longue-Epee  (iuc.  Laxis 
fibris  resonante),  entdeckt  von  G.  Paris,  herausgegeben  von  Jules  Lair  in 
der  Bibl.  de  l'Ecole  des  chartes  XXXI,  389—406.  L.  Delisle,  Notice  sur 
des  niss.  du  fonds  Libri  cons.  ä  la  Laurent,  ä  Florence,  in  den  Not.  et 
extraits  XXXII ,  1  (1886)  p.  40  über  ein  älteres  u.  besseres  Exemplar, 
mit  Faksimile.  Lair,  Etüde  sur  la  vie  et  la  mort  de  Guillaume  Longue- 
Epee.  Paris  1893.  Ausgabe  u.  Bilder  aus  beiden  Hss.;  desgl.  neue  Ausg. 
von  Ph.  Lauer,  Regne  de  Louis  IV.  p  319—323;  vgl.  ebd.  p.  87  u.  276  ff. 

^)  Herausgegeben  von  H.  Omont,  Annuaire-Bulletin  de  la  Soc,  d'hist. 
de  France  t.  XXXI  (1894)  nach  sehr  schlechter  üeberlieferung;  ein  anderes 
Gedicht  von  Warnerius   an  Robert   in   derselben  Hs.  (Paris   lat.  8121 A) 


472  III-  Ottonen.     §  12.   Cluny. 

Aus  ähnlicher  Schule  war  .auch  Dudo  hervorgegangen.  Seine  Er- 
zählung, ganz  ohne  historiographische  Quellen,  ist  natürlich  in  den 
Anfängen  völlig  sagenhaft  und  auch  später  sehr  unzuverlässig,  dabei 
normannisch  ruhmredig  in  hohem  Grade;  den  Charakter  ihres  Ur- 
sprungs verleugnet  sie  nirgends.  Sehr  eingehend  ist  das  mit  scharfer 
und  besonnener  Kritik  von  E.  Dümmler  nachgewiesen');  der  gleich- 
zeitige Versuch  von  J.  Lair,  von  Dudos  Nachrichten  für  die  Ge- 
schichte etwas  mehr  zu  retten,  steht  dagegen  sehr  zurück. 

Gewidmet  hat  Dudo  sein  Werk  dem  Bischof  Adalbero  von 
Laon  (977 — 1030),  der  wegen  seines  politischen  Verhaltens  übel 
berüchtigt,  in  seinen  alten  Tagen  (etwa  um  das  Jahr  1017)  ein 
langes  Gedicht  in  der  Form  eines  Gesprächs  mit  König  Rotbert 
verfafste,  worin  er  seinem  ganzen  Grolle  gegen  Odilo  und  seine 
Cluniacenser,  ihre  Begünstigung  durch  den  König  und  die  Er- 
hebung mönchischer  und  niedrig  geborener  Bischöfe  Luft  gemacht 
hat.  Für  die  Kenntnis  der  Sitten  und  Zustände  ist  es  nicht  un- 
ergiebig"). 

§  12.     Cluny. 

Sackur,  Die  Cluniacenser  II,  328—345. 

Als  die  herrschende  Richtung  in  den  französischen  Schulen  im 
10.  Jahrhunderte  trat  uns  jene  rhetorisch -philosophische  Bildung 
entgegen,  welche  auf  den  Lehren  der  alten  Grammatiker  beruhte 
und  nicht  auf  kirchlichem  Grunde  erwachsen  war.  In  scharfem 
Gegen satze  zu  diesem  Treiben  entfaltete  sich   gleichzeitig  in  Cluny 

und  einer  anderen  (Paris  lat.  8319),  ungedruckt,  erwähnt  NA.  II,  601 
und  von  Omont. 

')  Forschungen  VI,  357 — 890.  IX,  651,  vgl.  die  frühere  Untersuchung 
von  Waitz,  Ueber  die  Quellen  zur  Geschichte  der  Begründung  der  nor- 
mannischen Herrschaft  in  Frankreich,  Gott.  Nachr.  1866,  N.  6.  G.  Körting, 
Wilhelms  von  Poitiers  Gesta  Guilelmi  ducis  Norm,  et  regis  Anglorum, 
Progr.  der  Dresd.  Kreuzschule  1875.  Mit  Dudo  beschäftigt  sich  auch 
Joh.  Steenstrup,  Normannerne,  Kop.  1876;  vgl.  die  Rec.  von  E.  Beauvois, 
Revue  hist.  IV,  426 — 430.  In  dem  an  dieses  Buch  anknüpfenden  Auf- 
satze von  Karl  von  Amira,  Die  Anfänge  des  normannischen  Rechts,  HZ. 
XXXIX,  241—268,  wird  S.  245  f.  die  Glaubwürdigkeit  des  Dudo  mit  Un- 
recht gegen  Dümmler  u.  Waitz  in  Schutz  genommen  und  die  vermeint- 
liche altnordische  Ueberlieferung  über  die  Herkunft  Rollos  zurückgewiesen. 
Vgl.  auch  HZ.  XLIV,  188.  Femer  F.  Lot,  Les  derniers  Carolingiens  p.  346 
bis  357;  Lauer,  Regne  de  Louis  IV.  p.  XI — XIII. 

^)  Bouquet  X,  64 — 67  mit  ausführlichem  Kommentare  v.  Hadr.  Vale- 
sius,  herausgeg.  und  erläutert  von  Hückel.  Biblioth.  de  la  fac.  des  lettr. 
de  Paris  XIII,  87-177;  vgl.  oben  S.  460  Anm.  4  u.  Sackur  II,  94.  Ein 
von  Adalbero  an  Bischof  Fulco  von  Amiens  gerichteter  dialektischer 
Traktat,  herausgeg.  von  Hückel  a.  a.  0.  S.  178—184;  vgl.  Prantl,  Gesch. 
d.  Logik  II,  58. 


Adalbero  von  Laon.     Die  Aebte  von  Cluny.  473 

eine  streng  mönchische  Askese,  v^relche  das  Studium  des  profanen 
Altertums  für  sündlich  erklärte,  ohne  seiner  doch  entraten  zu 
können  ;  sie  war  geistesverwandt  mit  der  auf  gleicher  Grundlage 
ruhenden  Klosterreform  in  Lothringen ,  mit  welcher  auch  häufige 
Beruhigungen  stattfanden').  Die  Geschichtschreibung  konnte  nicht 
gedeihen,  wo  man  alles  Irdische  verachtete  und  verwarf,  aber 
indem  man  die  Tugenden  der  gefeierten  Häupter  dieser  Richtung- 
anderen zum  Vorbilde  aufstellte,  entstanden  doch  Lebensbeschrei- 
bungen, welche  um  so  wichtiger  sind,  je  gröfser  auch  für  die  welt- 
lichen Angelegenheiten  damals  die  Bedeutung  jener  Männer  war. 
Aber  auch  die  Kenntnis  dieser  ganzen  Richtung  und  namentlich  die 
Entstehung  und  das  Wachstum  der  Cluniacenser  Kongregation,  welche 
bald  eine  so  aufserordentliche  politische  Bedeutung  gewann,  ist  von 
unmittelbarer  Wichtigkeit  für  den  Geschichtsforscher;  nur  ist  zu 
bedauern,  dafs  der  legendenartige,  auf  Erbauung  abzielende  Ton  der 
Biographien  uns  gerade  über  diejenigen  Umstände,  welche  geschicht- 
lich bedeutend  sind,  am  wenigsten  Aufklärung  finden  läfst.  lieber 
das  Leben  des  ersten  Abtes  Odo  (927 — 942^),  dem  wii-  neben  vielen 
anderen  Schriften  eine  aus  sieben  Büchern  bestehende,  kulturgeschicht- 
lich nicht  unwichtige  Dichtung  über  die  heilige  Geschichte  und  die 
Hauptlaster  verdanken^),  besitzen  wir  eine  Schrift  seines  Schülers 
Johannes'*).  Das  Leben  des  Abtes  Majolus  (949—994^)  beschrieb 
bald  nach  seinem  Tode,  nicht  ohne  gute  Nachrichten  von  ihm  nahe- 
stehenden Zeitgenossen  zu  erhalten,  in  blütenreicher  salbungsvoller 
Rede  der  Mönch  Syrus'^),  dessen  Schrift  aber  unvollendet  blieb') 
und  von  Adelbald  (von  Lerins)    aus  Heirichs  Leben  und  Wundern 

')  Es  fehlte  nicht  an  Sorge  für  Schule  und  Bibliothek.  lieber  einen 
für  Majolus  geschriebenen  Hraban  in  lerem,  (abgebildet  Pal.  See.  II,  109. 
110)  vgl.  oben  S.  259  Anm.  3.  Der  sehr  reiche  Katalog  (Delisle,  Fonds 
de  Cluni,  Paris  1SS4,  S.  337—373)  ist  erst  aus  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts, enthält  aber  viele  ältere,  auch  in  Clunj-  geschriebene  Hss.;  die 
in  Cluny  im  10.  .Jahrhunderte  gepflegte  Kalligraphie  zeigt  deutlich  den 
Zusammenhang  mit  den  älteren  Bildungsstätten  an  den  Ufern  der  Loire. 

^)  lieber  seine  Wirksamkeit  und  seine  Werke  Sackur,  Die  Cluniacenser 
I,  48  fi'.;  II,  331—837. 

^)  Odonis  ahh.  Cluniac.  occupatio,  prim.  ed.  Swoboda,  Leipzig  1900; 
vgl.  NA.  XXVI,  599  u.  Weyman,  Lit.  Centralbl.  1901  S.  1068  über  dieses 
gelehrte  und  an  Anspielungen  reiche  Gedicht. 

*)  Mab.  V,  150—186.  Kxc.  ed.  L.  v.  Heinemann,  MG.  SS.  XV,  2,  586 
bis  588.  Vgl.  Sackur  I,  363  f.;  II,  359  flF.  Ueber  die  jüngeren  Bearbei- 
tungen Sackur,  NA.  XV,  105—116. 

^)  Vgl.  Sackur,  Die  Cluniacenser  I,  209  S. 

«)  Mab.  V,  786—810.     Auszüge  MG.  SS.  IV,  649—655. 

"j  Vgl.  Traube,  NA.  XVII,  402—407  und  dagegen  Sackur,  Clunia- 
censer 11,  339  Anm.  2. 


174  III-   Otloiicii.     §    l:',.    liiiüeii.     Liiidinaiid. 

des  lifüli^on  Goniiiinus  interpoliert  ist.  Den  'Jext  d((S  Syrus  kannte 
Odilo.  der  in  seinem  Elof^iuni ')  die  falschen  Zutliuten  des  Aldebald 
unbeachtet  gelassen  zu  haben  scheint^). 

Sein  Nachfolger  0  d  i  1  o  (994 — 1049)  ■')  l'and  mehrere  Biographen 
in  iihnlichem  Stile ') ;  er  selbst  verfalste  jinlser  dem  Leben  des  Majolus 
auch  ein  sogenanntes  Epitaphium  der  Kaiserin  Adalheid').  Er  hat 
derselben  sehr  nahe  gestanden,  besonders  in  der  letzten  Zeit  ihres 
Lebens,  in  welcher  sie  sich  fast  ganz  frommen  IJebungen  und  Kloster- 
stiftungen hingab.  Hierüber  erithillt  sciineScliriil  vi((le  Lobpreisungen, 
über  ihr  Lrjben  in  der  Welt  ist  sie  sehr  kiiiv,  und  begnügt  sich  mit 
den  allgemeinsten  Umrissen;  nur  bei  den  Leiden  und  Gefahren 
ihrer  (Jelangenscliart  und  Flucht  v(irweilt  Odilo  etwas  länger.  Der 
geschichtliche  Gewinn  aus  dieser  Arbeit  ist  daher  nicht  bedeutend, 
und  nur  einige  wenige  brauclil)are  Nachrichten  lassen  sich  daraus 
entnehmen''). 

i;   13.      Italien.     Liudprajid. 

Liiiilin-.iiiili  ()|M'i;i  eil.  I'cil/,,  M(i.SS.  III,  2<M  :iii:i  u.  Iicsoiiilornr  Alidruck  in  Oktiiv. 
Neun  AiisK-  VOM  Dliiniiili'i'  1M77.  [Ji;hcr»ft'/A  iiUi'.  AiilnpoddHis  im  Aus/jiki')  von 
Froili.  V.  il.  O.stiii-SMcki'ii,  iriifc  lOinloiliint;  \()ii  \V.i-tt,i:iili.ii',li,  |{('iliii  \Ht>'-i;  '2.  Aull. 
1889,    (lüHchicIil.srJir.  l';i  (X,  2);    vgl.  Olllldlacli,   llililnilii'dci    !,  432-487.   .WO  ))is 

')  Acta  SS.   M;u.   li,  f)8:5. 

^)  lieber  die  {{iofrraphien  des  Mnjoliis,  ihre  (Jliiul)wiirdigl<eit  und  ihr 
VerliilliniH  zu  einander  vgl.  W.  Schidly.e,  ForHch.  X,\l\',  1.^)!^ — 172.  Saclcur 
NA.  XII,  rm~  r>h].  Knlge^nung  v.  Schwitze;  NA.  X 1 V,  545— 504.  Traube 
(vgl.  oben  S.  47:5  Aniii.  7).  Sackur,  Cliuiiac.  II,  ;«8.  Hibl.  hagiogr.  jj.  709. 
Molinier,  Source»  11,  'J3i>.  —   lipiMola  de  morte  Maioli  NA.  XVI,  ISO. 

^)  Vgl.  über  ihn  Sackur,  Cluniac.   I,  :')0Ü  ff. 

■•)  lotKciUli  de  vita  et  virtutihun  Odilonis  nhh.  lihri  III,  JViab.  VI,  1, 
679—710.  Auszug  MG.  SS.  XV,  812.  Mabillon«  Ausgabe  vervoll.ständigt 
von  Siickur,  NA.  XV,  117 — 126.  —  h'.pinlula  nionnchorwii  Silviniacen.wtin 
(Souvigny)  de  ohilu  et  miraculin  Odilonis ,  Mab.  p.  (i7o — 075.  —  Zusatz 
ül)cr  Odili»   im   Mjuiyiolo^r.  Noikcri,  Forsch.  XXV,  209. 

•■)  (hliloms  l':fii/a/,liiiaii  Adulheidae  ed.  Ww'i/. ,  W\.  SS,  IV,  633—645. 
UebcrHctzimg  von  llüil'er,  185(i;  2.  Auü.  1891,  (IcwhichtHchr.  ;{5  (X,  8). 
(jicHcbr.  I  ,  790.  Das  zweite  liuch  bilden  in  dem  von  ihr  geHtil'tcten 
Kloater  Seltz  im  ElnasHe  aufgezeichnete  Mirocula  Addlheidae,  MG.  SS.  JV, 
645-  -649.  VorauHgeHcliickl  ist  S.  (iJJO  ein  metriaches  /'j))itaplnum  Ottonis 
Mityni. 

")  Ucber  andere  Schriften  Odilos  vgl.  Sackur  W,  341.  Medicinu  spiri- 
luali»  contra  temptatinnem  concupisreniitie  carnulix  missit  d  donino  Odiloiw 
Clun.  (iIjIj.  nd  jt(i(ri(irrhni)i  Aqiiilei ,  cd.  Morin,  Ucvuc  Ix'ined.  XVI  (1899) 
S  477—478.  h'/iislola  Odilonis  «bli.  ('tun.  ad  lleinricum  III.  (;i.  1046), 
ed.  Sackur,  NA.  XXIV,  728 — 735.  Ucber  den  von  ihm  dem  Kniser  Jlein- 
rich  II.  iiberriiicliien  und  mit  Vcnscii  gcsi'luuücktcn  Konimcntiir  zu  den 
liriefcn  dcH  l'iiuluH  aus  Stellen  dcH  August, in,  die  aber  Odilo  kaum  Helbst 
auH^'eleHcn  liiit  (IJainbcrg  15.  I,  8),  v^rl.  J>eitschuli,  Katalog  I,  1,  106;  Hirsch, 
Heinrich  II.  Hd.  II  S.  110;  Hingholz,  Der  Ii.  Odilo ,' Ilegensburg  1885, 
«.  XLVI— XLVIII. 


Liudprands  IJildung.  475 

5-19.  572—624.  Koepke  ,  Dp  vita  et  scriptis  Liiiilpiainli,  Heiol.  1S12.  Waitz  in 
Schmidts  Zcitsclir.  II,  99.  \V.  (Hesebreclit ,  (lescliii.'lite  der  Kaiserzeit  I.  779. 
781.  Maurenbrecher  S.  -itJ— 55.  Liudprand  von  Creiuona  und  seine  Quellen,  von 
C.Dilndliker  und  .T.  .T.  Müller,  in  M.  HildinRers  UutersucliunK'Mi  zur  niittl.  (iesch. 
I  (L.  1871),  über  weh'h.-  ich  das  ablehnende  Urteil  E.  Künnnlers,  HZ.  XXVI,  273 
bis  281  teile.  Gesenbeniprkun},'en  von  liUdinRer  XXVIII,  2aa~-238.  J..  Ranke, 
Weltgeseh.  Vlll,  t;y4-(;55.  Ebert  III,  111-127.  Hantsch,  lieber  Liudprand,  Progr. 
d.  Gymn.  zu  Leoben,  1«hS.  Neuniann,  Weltstellunf:  d.  byzant.  Reiilies,  Leinz. 
1894,  S.  17  f.  Jiüdinger,  Universalhist.  im  MA.  (Denkschr."  der  iihil.-hist.  CI.  der 
Wiener  Akad.  XLVI,  II,  17— 2fi).  Novati,  L'intlusso  del  pensiero  latino  sopra  la 
civiltä  italiana  del  niedio  evo,  2.  Aufl.,  Mailand  1899.  Weiteres  bei  IJalzani 
p.  119—135. 

Auch  Italien  beginnt  in  dieser  Periode  sich  wieder  zu  schrift- 
stellerischen Leistungen  zu  erheben,  und  nach  langer  Unterbrechung 
erscheint  hier  ein  Geschichtschreiber,  welcher  den  bedeutendsten 
seiner  Zeitgenossen  zur  Seite  tritt.  Es  ist  Liudprand,  der  so  den 
italienischen  Namen  von  neuem  zu  Ehren  brachte.  Wie  Paulus, 
Warnefrids  Sohn,  stammte  auch  er  aus  vornehmem  langobardischen 
Geschlechte;  auf  die  Römer,  die  er  für  ganz  entartet  hält,  sieht  er 
mit  tiefer  Verachtung  herab.  Aber  ein  Italiener  ist  er  ganz  und 
gar,  und  vollständig  zeigt  sich  in  ihm  jener  Charakter  der  dort 
herrschenden  grammatischen  Ausbildung,  deren  wir  früher  (vgl.  oben 
S.  347  u.  351)  gedachten.  Auch  erhielt  er  wie  Paulus  seinen  Unter- 
richt nicht  in  einer  Klostei'schule,  sondern  am  Hofe  zu  Pavia,  wo 
er  früh  die  Aufmerksamkeit  des  Königs  Hugo  auf  sich  zog  und 
durch  seine  schöne  Stimme  dessen  Gunst  gewann. 

Obwohl  es  in  seinen  Schriften  nicht  an  Bibelstellen  fehlt  und 
er  den  Griechen  mit  orthodoxem  Eifer  entgegentritt,  so  hat  doch 
seine  Gelehrsamkeit,  die  er  nur  gar  zu  gern  zur  Schau  trägt,  einen 
überwiegend  weltlichen  Charakter,  und  Horaz,  Virgil,  Terenz,  Ovid, 
Juvenal,  Cicero  sind  die  Schriftsteller,  deren  Aussprüche  ihm  immer 
gegenwärtig  sind,  die  er  mit  Vorliebe  anführt').  Nach  dem  Muster 
des  Boethius  schmückt  er  seine  Schriften  gern  mit  Versen  in  mannig- 
fachen Metren,  und  er  zeigt  darin  eine  solche  Gewandtheit,  dafs  man 
an  jene  früher  erwähnte  Aeufserung  des  Panegjaüsten  Berengars  er- 
innert wird,  auf  Verse  lege  jetzt  niemand  Wert,  weil  jedermann 
dergleichen  zu  machen  verstehe. 

Schon  Liudprands  Vater  und  Stiefvater  waren   als  Gesandte   in 

')  Allgemeine  Nachweisungen  bei  Köpke  in  der  angef.  Abb.,  Köhler, 
NA.  VIII,  70  &.,  Büdinger,  Universalhist.  S.  20  ff. ;  sie  gehen  aber  öfters 
zu  weit.  Ueber  Nachahmung  des  Boethius  Peiper,  Forsch.  XII ,  443  f. : 
des  Juvenal  Maas,  Philologus  LVI,  525-534  und  dazu  NA.  XXIII,  583; 
des  Querolus  unten  S.  478  Anm.  4  und  dazu  Haupt,  Opusc.  III,  587  f.;  der 
Briefe  des  Cicero  Mendelssohn  in  seiner  Ausgabe  der  Epp.  Cic.  p.  VII; 
eines  nicht  ganz  selten  überlieferten  Gedichtes  mit  Schimpfwörtern  auf 
den  Pan  (Poet.  lat.  min.  ed.  Baehrens  III,  170)  Düinmler,  Zeitschr.  f.  D. 
Altert.  XII,  447;  der  Priapea  P.  v.  Winterfeld,  Schedae  critic. ,  Berlin 
1895,  p.  21  (allein  Liudprand  benutzt  vielmehr  Vulg.  2  Mac.  9,  9). 


476  III-  Ottonen.     §  13.    Italien.    Liudprand. 

Konstantinopel  gewesen  und  hatten  dort  mancherlei  Verbindungen 
angeknüpft,  welche  dann  Liudprand,  als  eine  Sendung  des  Königs 
Berengar,  dessen  Kanzler  (V,  30)  er  geworden  war,  ihn  949  nach 
Byzanz  führte^),  erneute  iind  benutzte,  um  sich  nicht  nur  mit  der 
griechischen  Sprache"),  sondern  auch  mit  der  Geschichte  und  den 
Einrichtungen  des  Reiches  bekannt  zu  machen.  Später  hat  er  sich 
mit  Berengar  und  mehr  noch  mit  der  Königin  Willa  erzürnt;  er 
suchte  und  fand  eine  Zuflucht  am  Hofe  des  Königs  Otto,  und  hier 
traf  er  im  Februar  956  zusammen  mit  dem  spanischen  Bischöfe 
Recemund  von  Elvira^),  der  ihn  aufforderte,  ein  Werk  über  die 
Geschichte  seiner  Zeit  zu  verfassen.  Zwei  Jahre  später,  958,  machte 
sich  Liudprand  wirklich  an  die  Arbeit  in  Frankfurt,  und  ungeachtet 
eines  vielbewegten  Lebens  und  mancher  Unterbrechungen  arbeitete 
er  daran  fort  bis  zum  Jahre  962,  auch  noch,  als  Otto  schon  zum 
Kaiser  gekrönt  war  und  ihn  zum  Bischöfe  von  Cremona  erhoben 
hatte.  Bald  darauf  aber,  so  scheint  es,  legte  er  dieses  Werk  bei- 
seite, welches  ohnehin  durch  den  grofsen  Umschwung  der  Dinge  in 
Italien  seinen  Zweck  grofsenteils  verloren  hatte.  Denn  dieser  hatte 
vorzüglich  darin  bestanden,  allen  denen,  welche  ihm  Gutes  oder  Böses 
erwiesen  hatten,  nach  Verdienst  zu  vergelten,  besonders  aber  seinem 
Hasse  gegen  Berengar  und  Willa  Luft  zu  machen ;  darum  nannte  er 
es  das  Buch  der  Vergeltung,  Antapodosis'').  Er  hat  darin  auch 
weidlich  auf  seine  Feinde  gescholten;  was  aber  eigentlich  Berengar 
und  Willa  ihm  angethan  hatten,   erfahren  wir  nicht,   da  er  in  den 


^)  Aus  seinen  damaligen  Mitteilungen  sind  nach  Dümmlers  Ver- 
mutung die  Nachrichten  des  Constantinus  Porphyrogenitus  de  admin. 
imp.  e.  26  über  König  Hugo  geschöpft.  Wiener  SB.  XX,  358;  vgl. 
Dändliker  S.  53. 

2)  In  den  Metzer  Auszügen  (vgl.  unten  S.  480  Anm.  1)  sind  die  grie- 
chischen Worte  nicht,  wie  sonst  die  Graeca  der  lat.  Hss.,  in  griechischer 
Unciale,  sondern  bemerkenswerterweise  in  griechischer  Minuskel  ge- 
schrieben. Dieser  Fall  ist  den  in  Poet.  Car.  III,  822  f.  aufgeführten  bei- 
zufügen. Die  Münchener  Hs.  Liudprands  wendet  die  herkömmliche  Un- 
ciale an.  Dafs  Liudprand  den  Gallus  des  Lukianos  zitiert  (Ant.  I,  12, 
vgl.  Köhler  S.  74),  verrät  den  Einflufs  des  Arethas  v.  Caesarea,  durch  den 
die  Beschäftigung  mit  dem  griechischen  Satiriker  in  der  2.  Hälfte  des 
9.  Jahrhunderts  wieder  aufgelebt  war.  üeber  die  Benutzung  griechischer 
historiographischer  Quellen  durch  Liudprand  vgl.  Köhler  a.  a.  0.  76  f., 
Büdinger  a.  a.  0.  21  f. 

^)  Vgl.  darüber  Dümmler,  Jahrbb.  unter  Otto  I.  S.  278. 

■•)  Er  sagt  es  selbst  (Ant.  III,  1);  doch  hebt  Ebert  (111,420)  mit  Hin- 
weis auf  Buch  I  und  II  hervor,  dafs  er  auch  vom  höheren  Standpunkte 
das  Walten  der  göttlichen  Vergeltung  in  der  Geschichte  zeigen  will.  Nach 
Gundlach  (Heldenl.  I,  46  f.)  hätte  Liudprand  ursprünglich  mit  dem 
3.  Buche  angefangen,  wofür  nicht  unerhebliche  Gründe  sprechen. 


Liudprands  Antapodosis.  477 

sechs  Büchern  seines  Werkes  nicht  weiter  gelangt  ist,  als  bis  zu  jener 
Gesandtschaftsreise  an  den  griechischen  Hof  im  Jahre  '.'4!'. 

Als  seine  Absicht  bezeichnet  Liudprand,  alles  zu  berichten,  was 
sich  seit  Kaiser  Karls  des  Dritten')  Zeit  begeben,  die  Thaten  der 
Kaiser  und  Könige  von  ganz  Europa,  wie  er  selbst  sagt.  Er  erzählt 
von  allem,  was  ihm  bekannt  geworden,  von  Deutschland,  mit 
besonderer  Vorliebe  vom  griechischen  Reiche,  am  meisten  und  ein- 
gehendsten aber  doch  natürlicherweise  von  Italien.  Eigentliche 
Ordnung  ist  bei  ihm  nicht  zu  finden,  und  auch  die  chronologische 
Folge  sehr  ungenau.  Ueberhaupt  darf  man  sich  nirgends  auf  ihn 
allein  verlassen;  wie  Widukind  schreibt  er  nur  nach  mündlicher 
Kunde  und  verfällt  besonders  über  fernerliegende  Vorfälle  in  grobe 
Irrtümer.  Aber  Widukind  ist  frei  von  der  Leidenschaft,  welche  den 
rachsüchtigen  Italiener  nur  zu  oft  hinreifst.  In  seinem  Ingrimme 
hält  er  sich  bei  den  einzelnen,  oft  unbedeutenden  Vorfällen  über- 
mäl'sig  auf;  er  gefällt  sich  in  der  Mitteilung  von  Anekdoten,  be- 
sonders wenn  sie  boshaft  und  anstöl'sig  sind,  in  der  rhetorischen 
Ausmalung  der  Begebenheiten,  in  gezierten,  den  Umständen  wenig 
angemessenen  Reden.  Im  einzelnen  ist  sein  Urteil  oft  richtig  und 
treffend,  seine  Ansicht  von  den  geschichtlichen  Verhältnissen  wohl 
begründet,  wie  er  denn  auch  in  Otto  dem  Groisen  sogleich  den 
Mann  erkannte,  von  dem  allein  Italien  Abhilfe  seiner  Leiden  und 
Gebrechen,  die  Herstellung  der  Zucht  und  Ordnung  erwarten  konnte, 
und  diesem  ohne  Wanken  treu  blieb.  Seine  Erwiderungen  auf  die 
leeren  Anmafsungen  der  Griechen  sind  ungemein  treffend.  Aber  von 
einer  höheren  Begabung  zum  Geschichtschreiber  gibt  doch  sein  Werk, 
als  Ganzes  betrachtet,  kein  günstiges  Zeugnis.  Dafür  gewährt  uns 
andererseits  gerade  seine  behagliche,  memoirenhafte  Art  zu  erzählen 
einen  Einblick  in  die  Sitten,  Zustände  und  Denkweise  der  Zeit,  der 
vom  höchsten  Werte  ist. 

Als  Otto  der  Grofse  sich  dauernd  und  ernstlich  mit  den  italienischen 
Verhältnissen  zu  befassen  begann,  fand  er  die  Hilfe  des  gelehrten 
und  in  den  politischen  Vei'hältnissen  des  Landes  erfahrenen  Mannes 
sehr  schätzbar;  er  verlieh  ihm  schon  961  das  Bistum  Cremona^) 
und  übertrug  ihm  963  eine  Gesandtschaft  an  den  Papst  Johann  XII.; 
bald  daraufwar  er  zugegen  in  der  Kirchen  Versammlung,  durchweiche 


')  Der  Beiname  des  Dicken  kommt  erst  im  12.  Jahrhunderte  vor,  und 
ist  deshalb  nach  Dümmler  (Ostfr.  III,  291)  nicht  mehr  erlaubt. 

-)  Hierhin  übertrug  Liudprand  den  auf  recht  niederträchtige  Weise 
gestohlenen  S.  Hymerius  aus  Ameria.  Die  später  geschriebene  kurze  Er- 
zählung ist  MG.  SS.  III,  266  aus  Ughelli  abgedruckt. 


478  ni.  Ottonen.     §  13.   Italien.    Liudprand. 

dieser  Papst  entsetzt  wurde,  und  über  diese  Vorgänge  (960 — 964) 
hat  er  eine  eigene  Schrift  verfalst').  Hier  versuchte  er  eine  würdigere 
Sprache  anzunehmen,  er  bringt  weder  griechische  Floskeln  noch  Verse 
an  und  mäfsigt  seine  Leidenschaftlichkeit;  doch  blickt  sein  eigen- 
tümlicher Stil  überall  dui'ch,  und  der  Anspielungen  auf  römische 
Dichter  hat  er  sich  auch  hier  nicht  enthalten.  Da  er  in  höherem 
Auftrage  oder  doch  für  das  Auge  des  Kaisers  schrieb,  so  ist  seine 
Darstellung  keineswegs  unbefangen;  er  verschweigt  manches,  und 
man  darf  nicht  vergessen,  dafs  diese  scheinbar  so  rein  objektive  und 
aktenmäfsige  Erzählung  doch  nur  eine  Parteischrift  ist,  dafs  er  es 
namentlich  vorzieht,  manche  Vorfälle  und  Umstände  nicht  zu  er- 
wähnen. Aber  im  wesentlichen  hat  sich  dennoch,  was  er  mitteilt, 
als  richtig  bewährt. 

Im  Sommer  968  ging  Liudprand  abermals  nach  Konstantinopel 
als  Brautwerber  für  Otto  IL,  und  über  diese  Sendung  stattete  er 
dem  Kaiser  einen  Bericht  ab,  der  ebenfalls  erhalten  ist,  aber  wie 
jene  beiden  anderen  Wex'ke,  am  Schlüsse  unvollständig^).  In  diesem 
Berichte  nu.n  hat  sich  Liudprand  wieder  ganz  der  üblen  Laune 
überlassen,  welche  durch  die  schlechte  Behandlung,  die  er  in  Kon- 
stantinopel erfuhr,  in  ihm  ei'regt  war,  und  er  strömt  über  von 
Spott  und  Hohn,  Der  üebermut  der  Griechen  hatte  ihn  aufs  tiefste 
gekränkt,  und  er  bietet  alle  seine  Beredsamkeit  auf,  um  die  Kaiser 
zu  ihrer  Züchtigung  zu  bewegen  und  diese  Aufgabe  als  leicht  und 
mühelos  darzustellen.  Uebertrieben  ist  daher  seine  Schilderung;  das 
Bild  namentlich,  welches  er  vom  Kaiser  Nikephoros  entwirft,  ist  nur 
in  Bezug  auf  seinen  Geiz  zutreffend,  seine  kriegerischen  Eigenschaften 
und  die  Wehrkraft  des  Reiches  unterschätzt  er  durchaus.  Aber  im 
übrigen  ist  seine  Schilderung  wahr  und  gewährt  uns  ein  so  eigen- 
tümliches und  lebendiges  Bild  des  griechischen  Reiches,  dafs  Giese- 
brecht  sie  mit  Recht  fast  vollständig  in  seine  Geschichte  der  Kaiser- 
zeit^)  aufgenommen  hat,  als  Seitenstück  zu  der  Gesandtschaft  des 
Abtes  Johannes  von  Gorze  an  den  Kalifen  von  Cürdova'*). 


')  Liudprandi  Historia  Ottonis;  abgedruckt  auch  bei  Watterich  I,  49 
bis  63.  Vgl.  auch  Giesebr.  I,  837  und  was  oben  S.  412  Anm.  2  über  die 
Quellen  von  Reginos  Fortsetzer  bemerkt  ist.  —  Auf  Leo  VIII.  bezogene 
Spottverse  NA.  VIII,  383. 

^)  Liudprandi  Belatio  de  legatione  Constantinopolitana ;  sie  ist  abge- 
druckt auch  in  den  Corpora  der  byzantinischen  Historiker,  vgl.  Krum- 
bacher, Byz.  Litteraturgesch.  2.  Aufl.  S.  268. 

3)  Bd.  I  S.  523—546;  vgl.  S.  843.     üeber  Gundlach  vgl.  oben  S,  474. 

*)  Ueber  A.  Zanelli,  Una  legazione  a  Costantinopoli  nel  secolo  X., 
Brescia  1883,   vgl.  Arch.  stör.  ital.  XIII   (18x4),   298  ff.     Erklärung  des 


Liudprands  Historia  und  Legatio.  479 

Liudprands  Bericht  endet  mit  seiner  Abreise  von  Korfu  am 
7.  Januar  969;  im  Sommer  desselben  Jahres  überbrachte  er  als 
des  Kaisers  »>(n(ii(.-<  Briefe  von  diesem  und  vom  Papste,  die  sich  auf 
eine  römische  Synode  vom  2ü.  Mai  969  beziehen,  an  eine  Synode 
zu  Mailand,  deren  Beschlüsse  Otto  am  9.  November  969  bestätigte'). 
Von  Konstantinopel  zurückgekehrt,  unterzeichnete  er  auch  nach- 
träglich den  Tauschvertrag  zwischen  Halberstadt  und  dem  neuge- 
schaffenen Erzbistume  Magdeburg-).  In  zwei  Tauschverträgen  aus 
dem  Frühjahre  070  wird  er  zuletzt  als  in  Cremona  anwesend  sicher 
erwähnt'^);  über  seine  weiteren  Schicksale  ist  nichts  bekannt.  Nur 
eine  Nachricht  von  sehr  zweifelhaftem  Werte'')  läfst  ihn  an  der 
glänzenden  Gesandtschaft  teilnehmen,  welche  endlich  971  die  kaiser- 
liche Braut  wirklich  in  Empfang  nahm,  und  auf  dieser  Reise  sterben. 

Im  Jahre  984  musterte  der  Bischof  Odelrich  von  Cremona  die 
Urkunden  und  Bücher  im  Schatzhause  seiner  Kirche:  viel  war 
mulorum  manihus  entfremdet,  und  geschichtliche  Werke  finden  sich 
nicht  im  Verzeichnisse,  auch  nichts  von  Liudprand ;  was  diesen  an- 
geht, hat  er  nur  zu  berichten:  turibuhim  quod  LuizonU  fnit,  de 
manu  raptoruin  liberarimus^).  Bekanntschaft  mit  seinen  Schriften 
ist  in  Italien  nur  bei  Gregor  von  Farfa  nachgewiesen. 

In  Deutschland  dagegen  verbreiteten  sich  Liudprands  Schriften 
frühzeitig  und  wurden  von  den  gelehrteren,  vielbelesenen  Schrift- 
stellern benutzt,  während  sie  der  gröfseren  Menge  unzugänglich 
blieben.  Wenn  es  auch ,  wie  P.  v.  Winterfeld  meint,  sehr  zweifel- 
haft ist,  dafs  schon  Hrotsvit  die  Antapodosis  gekannt  habe,  so 
haben  doch  sicher  der  Biograph  Gerhards  von  Brogne,  Frutolf  und 
Sigebert,  Ragewin^),  Magnus  von  Reichersberg,  Alberich  und  Hein- 
rich von  Herford,  Dietrich  von  Niem")  und  endlich  Trithemius  aus 
der  Antapodosis  und  der  Historia  Ottonis  geschöpft. 

Für  die  kritische  Bearbeitung  des  Textes  der  Legatio  kann  nur 

Wortes  „mandrogerontes"  c.  55  als  Gaukler,  aus  dem  Querolus  entnommen, 
nachgewiesen  von  L.  Havet,  Revue  crit.  1878,  I,  197  (NA.  IV,  210). 

*)  Mitgeteilt  von  C.  Cipolla,  Mem.  d.  accad.  di  Torino  2.  Ser.  XLII, 
33  fg.;  jetzt  MG.  DD.  II,  879-8S1. 

■^)  Vgl.  Leibniz,  Ann.  imp.  III,  243.  Ottenthai  in  Böhmei-s  Reg,  II, 
213  n.  474. 

^)  Hist.  patr.  Monum.  XXI.  34—36,  vom  März  und  vom  15.  Ainül  970. 

*)  Sie  findet  sich  in  dem  Bericht  über  die  Uebertragung  des  heiligen 
Hymerius  (vgl.  oben  S.  477  Anm.  2). 

'")  Hist.  patr.  Monum.  XIII,  Codex  diplomatic.  Langobardiae  p.  1442 
bis  1445.     Arch.  stör.  Lomb.  VIT  (1880),  p.  252—254. 

'^)  Die  von  Prutz,  Ueber  Radewin  S.  48,  vermifsten  Stellen  sind  An- 
tapod.  I,  37  u.  III,  14. 

')  Nach  Lindner.  Forsch.  XXI,  90.  91. 


480  ni.  Ottonen.     §  13.   Italien.    Liudprand. 

die  erste  Ausgabe  des  Canisius  vom  Jahre  IGOO,  die  auf  einer  Trierer 
Handschrift  beruht,  zu  Grunde  gelegt  werden,  da  diese  Handschrift 
selbst  seither  verschollen  ist.  Für  die  beiden  anderen  Werke  glaubte 
Pertz  eine  vollkommen  sichere  Grundlage  gefunden  zu  haben  in 
der  Freisinger  Handschrift,  welche  für  die  griechischen  Stellen  vom 
Schreiber  gelassene  Lücken  zeigt,  die  von  einer  anderen  Hand  aus- 
gefüllt sind.  Nach  der  Ansicht  von  Pertz  konnte  das  nur  die  Hand 
des  Autors  sein,  und  von  derselben  Hand  ist  die  Historia  Ottonis 
vollständig  geschrieben.  Diese  Meinung  war  allgemein  angenommen 
und  galt  für  unzweifelhaft,  bis  F.  Koehler^)  vollkommen  schlagend 
und  überzeugend  nachwies,  dafs  sie  durchaus  unhaltbar  sei.  Es 
kommen  Fehler  und  Versehen  vor,  welche  ganz  unmöglich  von  dem 
Verfasser  selbst  herrühren  können.  Da  nun  Koehler  in  Metz  Ex- 
cerpte  giüechischer  Stellen  aus  Liudprand  gefunden  hatte,  welche 
auf  ein  korrekteres  Exemplar  zurückgehen  und  eine  Beschäftigung 
mit  dieser  Schrift  im  10.  Jahrhunderte  beweisen,  so  hat  er  daran 
die  schon  (oben  S.  416)  angeführte  Vermutung  geknüpft,  dafs 
Bischof  Dietrich  den  Nachlafs  Liudprands  gerettet  und  die  Abschrift 
besorgt  haben  möge.  Nach  seiner  Meinung  wäre  auch  die  Umschrift 
der  griechischen  Worte  nach  der  Aussprache  mit  lateinischen  Buch- 
staben erst  hier  hinzugefügt,  allein  dieselbe  findet  sich  auch  in  der 
aus  andei'er  Quelle  stammenden  Berliner  Handschrift.  Die  Manu- 
skripte werden  schon  etwas  beschädigt  gewesen  sein,  und  dadurch 
erklärt  es  sich,  dafs  sowohl  der  Legatio  wie  der  Historia  Ottonis 
der  Schlufs  fehlt,  in  beiden  Fällen  aber  nur  ein  kleines  Stück. 
Eine  sehr  gute  Stütze  für  Koehlers  Annahme  vom  Metzer  Ursprünge 
der  üeberlieferung  des  Liudprand  ist  darin  zu  erblicken,  dafs  Bischof 
Abraham  von  Freising,  in  dessen  Zeit  man  die  Freisinger  Hand- 
schrift immer  mit  Recht  verlegt  hat,  nachweislich  gerade  in  Metz 
für  sich  hat  Texte  vervielfältigen  lassen  (vgl.  oben  S.  454  Anm.  6). 
Selbstverständlich  ist  nun  eine  neue  Ausgabe  ein  dringendes 
Bedürfnis  geworden.  Wenn  schon  früher  einzelne  Verbesserungen 
nicht  zu  umgehen  waren,  so  werden  jetzt  viel  öfter  die  besseren 
Lesarten  anderer  Handschriften-)  berücksichtigt  werden  müssen,  und 
der  Konjekturalkritik  eröfi'net  sich  ein  weiterer  Spielraum. 

')  NA.  VIII,  47—88;  Nachtrag  von  Dümmler  89. 

^)  Die  aus  der  Ashburnhamschen  Bibl.  nach  Florenz  gekommene  Hs. 
(jetzt  Laur.  Ashb.  15,  vgl.  Paoli,  Codici  Ashburnhamiani  I,  28)  ist  nach 
Holder-Egger,  NA.  XI,  260.  264,  eine  Abschrift  der  Freisinger;  doch  geht 
er  dabei  noch  von  der  Voraussetzung  aus,  dafs  diese  das  Original  ist, 
und  auch  sonst  bleiben  Zweifel.  Von  der  mit  der  Klasse  5  verwandten 
Berliner  Hs.  eine    Seite   in  Arndts  Schrifttafeln,   3.  Aufl.,  24.     Exceptinn 


Miracula  Columbani.     Fratrnient  aus  Iviea.     Leo  von  Veicelli.     481 

Für  die  Zeit  des  Königs  Hugo  nicht  ohne  Bedeutung  ist  das 
Buch  von  den  Wundern  des  heiligen  Coluinban'j.  Der 
König  Hugo  verlieh  nämlich  um  das  Jahr  930  die  Abtei  Bobbio 
seinem  Kanzler  Gerlannus,  aber  alle  Stiftsgüter  waren  von  räube- 
rischen Machthabern  in  Besitz  genommen.  Unfähig,  ihrer  Herr  zu 
werden,  rief  Gerlan  den  Heiligen  selbst  zu  Hilfe  und  brachte  ihn 
in  feierlichem  Aufzuge  nach  Pavia.  Dieser  liels  sein  Kloster  nicht  im 
Stich  und  tbat  die  gewünschten  Wunder.  Da  entfiel  den  Käubern 
der  Mut  und  sie  steckten  die  Stäbchen  (fustcs),  welche  symbolisch 
den  Verzicht  bedeuteten,  in  die  Pilgertasche  (pera)  des  Heiligen, 
der  nun  im  Triumphe  wieder  nach  seiner  Ruhestätte  gebracht 
wurde.  Von  Dauer  ist  freilich  auch  die  Wirkung  dieses  Auftrittes 
nicht  gewesen. 

Auf  ein  schon  von  Bethmann  mitgeteiltes,  aber  unbeachtet  ge- 
bliebenes Fragment  aus  Ivrea  hat  L.  Weiland  aufmerksam  ge- 
macht^); es  bezieht  sich  auf  die  Usurpation  des  Franco  (Boni- 
fatius  VII.)  und  dessen  Bekämpfung  durch  den  974  von  Otto  II. 
abgesandten  Grafen  Sicco,  sowie  die  Verdrängung  Benedicts  VIT. 
durch  ihn  im  Jahre  980. 

Die  eifrig  kaiserliche  Gesinnung  der  lombardischen  Bischöfe, 
welche  durch  die  kirchenfeindlichen  Angriffe  Arduins  von  Ivrea  zu 
gröfster  Lebhaftigkeit  angefacht  wurde,  spricht  sich  in  zwei  rhyth- 
mischen Gedichten  aus,  welche  von  dem  Bischöfe  Leo  von  Ver- 
celli  (999 — 1026)  stammen,  dem  Führer  der  kaisertreuen  Partei 
in  Italien,  eines  auf  Otto  III.  und  den  durch  ihn  erhobenen  Papst 
Gregor  V.,  das  andei-e  eine  Klage  um  Ottos  III.  frühen  Tod  nebst 
der  später  hinzugefügten  Verherrlichung  seines  Nachfolgers  Hein- 
richs IL,  von  dem  die  Niederwerfung  Arduins  erhofft  wird.  Auch 
auf  den  997  ermordeten  Bischof  Petrus  von  Vercelli  verfaCste  Leo 
eine  Grabschrift'). 

ex  qestis  regum  (=  Antapocl.  I.  20 — 36)  Passionale  saec.  XI  ex.  Trier  388 
(vgl.  Keuffers  Katalog  in  Heft  IV.  Liturg.  Hss  ,  Trier  1897.  auf  der  3. 
nicht  numerierten  Seite  der  Einleitung)  von  Brefslau  nachgewiesen. 

\)  Miracula  S.  Columbani,  Mab.  11,40 — 55;  Rossetti,  Bobbio  illustrato 
II,  149 — 181.  —  Verse  aus  Bobbio  aus  dem  Ende  des  10.  .Jahrh.  ohne 
geschichtl.  Inhalt  NA.  V,  622—624.  vgl.  Poet.  Car.  III,  688. 

*)  Bethmann,  .\rchiv  IX.  623;  Weiland  in  den  Göttinger  Nachrichten 
1885.  S.  69 — 72  (Ausg.  des  Fragmentes  nach  Bethmann  S.  70) ;  Watterich 
I,  86;  Duchesne,  Lib.  poutif.  II.  257  (ebd.  p.  258  das  schon  von  Watte- 
rich  herangezogene  Ei^itapli  Benedikts  VII). 

^)  Die  beiden  Rhythmen  Christe  preces  intellege  und  ^m»*  dabit  aquam 
herausgeg.  vonDümmler.  Anselm  der  Peripatetiker  S.  72 — 82:  von  Bloch 
NA.  XXII,  114—121.  136  (vgl.  auch  P.  v.  Winterfeld.  Stilfragen  aus  der 
latein.  Dichtung  des  Mittelalters  S.  25).     Ueber  die  Thätigkeit  Leos  vgl. 

Wattenbach,  Geschichtsquelleu.    I.    7.  Autl.  31 


482  If^-  Ottonen.     §  13.    Italien.     Luidprand. 

Wenig  erfreulich  ist  die  historische Thätigkeit  im  Kloster  Nonan- 
tula;  dem  Inhalte  nach  in  frühe  Zeit  hinaufreichend,  hat  sie  uns 
doch  wesentlich  nur  spätere  Aufzeichnungen  verwii*rter  und  fabel- 
reicher Tradition  hinterlassen.  Ein  Leben  des  ersten  Abtes  Anselm') 
(t  803),  mit  der  Gründungsgeschichte  aus  der  Zeit  des  Königs  Aistulf^ 
ist  erst  im  Anfange  des  11.  -Jahrhunderts  mit  viel  chronologischer 
Verwirrung  und  wenig  Inhalt  geschrieben ;  desgleichen  die  mit  der 
Gründung  des  Klosters  verbundenen  Translationsgeschichten  des  hei- 
ligen Silvester'-).  Das  Glück  des  Klosters  wollte  es,  dai's  der  Papst 
Hadrian  III.  885  in  der  Nähe  von  Nonantula  starb  und  dort  be- 
graben ward.  Bald  wurde  er  als  Heiliger  verehrt  und  that  Wunder; 
eine  üeberlieferung  davon  erhielt  sich  mündlich  oder  schriftlich, 
aber  weiter  wufste  man  nichts  von  ihm,  und  da  man  doch  eine  Le- 
gende von  ihm  haben  wollte,  ward  im  ausgehenden  11.  Jahrhunderte 
der  Zeitgenosse  Karls  des  Grolsen  Hadrian  I.  mit  ihm  zu  einer  Per- 
son verarbeitet.  Da  hatte  man  Stoff  genug  und  nahm  zu  Einhard 
u.  a.  noch  den  Liber  diurnus,  von  dem  vielleicht  bei  jener  Gelegen- 
heit ein  Exemplar  im  Kloster  geblieben  war;  so  kam  das  Monstrum 
zu  stände,  welches  noch  nie  vollständig  gedruckt,  aber  in  den  Aus- 
zügen Mabillons  zu  gläubig  angenommen  ist  und  Schaden  augerichtet 
hat').     Die   Ueberführung   der  heiligen  Senesius   und   Theo- 

S.  Löwenfeld,  Leo  von  Vercelli,  Gott.  Diss.  1877;  H.  Bloch,  Beiträge  zur 
Gesch.  des  Bischofs  Leo  v.  Vercelli  und  seiner  Zeit,  NA.  XXII,  11 — 136. 
Bloch  veröffentlicht  mit  den  schon  durch  Dümmler  (Forsch.  VIII,  387, 
XIII,  600-602,  vgl.  Schnürer,  Piligrim  v.  Cöln,  Diss.  Monast.  1888)  und 
Brefslau  (Heinrich  II.  Bd.  III  S.  144)  gedruckten  Schriftstücken  aus  Leos 
Feder  weitere  historisch  nicht  unwichtige  Briefe  des  Bischofs  an  Hein- 
rich II.  aus  dem  Jahre  1016  nach  Arduins  Tode  (S.  16—23).  die  Elegie 
auf  Bischof  Petrus  von  Vercelli  (S.  109  mit  dem  wichtigen  Nachtrag  im 
NA.  XXVII,  752—754  und  XXVIII,  788)  und  eine  Tierfabel,  die  zu  Leos 
Kämpfen  mit  Arduin  in  Beziehung  zu  stehen  scheint.  Hinzuweisen  ist 
auch  auf  Leos  Vorgänger  Atto  (924  bis  c.  960):  Opera  ed.  Burontius, 
Verc.  1768,  besonders  wichtig  De  pressuris  eccletiiasticis  II.  322 — 352. 
Gott.  Diss.  über  ihn  von  J.  Schultz  1886 ,  vgl.  NA.  XI,  641.  Die  von 
Schultz  u.  Goetz  (Berichte  d.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  1896  S.  75 
bis  78)  ihm  zugeschriebene  polemische  und  sehr  dunkle  Schrift  Polipticum 
wird  ihm  von  Ebert  III,  369  abgesprochen  und  ins  11.  Jahrh.  gesetzt. 
Hs.  anderer  Werke  Attos  Vercelli  40,  vgl.  Mon.  palaeogr.  siicra  tav.  17. 

^)  Vita  Anselmi,  MG.  SS.  Langob.  p.  566—570.  Mit  allen  übrigen 
Stücken  gedruckt  bei  Bortolotti,  Vita  di  S.  Anseimo  abb.  di  Nonantola, 
Modena  1892.  —  B.  Joh.  von  Arezzo  schenkte  an  Nonantula  um  876  ein 
prächtiges  Sakramentar,  Delisle,  Sacram.  p.  128;  Eimer,  Iter  Italic.  S.  382. 

-)  De  Fundatione  monasterti  Nonantulani ,  MG.  SS.  Langob.  p.  570: 
ed.  Bortolotti  p.  135  sq.  Benutzt  von  Sicard  v.  Creniona ,  vgl.  Holder- 
Egger,  NA.  XXYL  483. 

')  Vgl.  Th.  V.  Sickel,  Die  Vita  Hadriani  Nonantulana  und  die  Diurnus- 
Hb.  V.  im  NA.  XVIII,  107 — 133;   Giorgi,  Storia  esterna  del  codice  Vati- 


Noniintuhi.     l'uniia.     Rom.  483 

pompus,  welche  untei*  der  Königin  Adalheid  gegen  die  Pest  aus 
Treviso  nach  Pavia  gebi-acht  wurden,  ist  erst  unter  Abt  Rudolf 
(1002 — 1035)  geschrieben ').  Von  den  beiden  erhaltenen  Abtreiben 
geht  die  eine  bis  i''3;J  und  eine  zweite  mit  einigen  geschichtlichen 
Nachrichten  bis  auf  den  erwähnten  Rudolf'),  unter  dem  durch  Erz- 
bischof Aribert  die  Mönchsregel  wieder  hergestellt  wurde.  Damit 
beginnt  denn  auch  erst  die  Zeit,  aus  welcher  schriftliche  Aufzeich- 
nungen uns  erhalten  sind. 

Unbedeutend  und  fabelhaft  ist  das  Leben  des  Johannes,  ei^sten 
Abtes  des  von  Sigifrid  II.  gestifteten  Klosters  zu  Parma,  der  um 
i^^>90  starb;  es  ist  erst  gegen  1050  nach  mündlicher  Ueberlieferung 
verfafst^). 

üeber  die  Ottonischen  Einrichtungen  in  Rom  belehrt  uns  eine 
Schrift,  welche  unter  Otto  III.  entstanden  ist  und  mit  einer  Be- 
schreibung von  Rom  Nachrichten  über  die  damalige  Verfassung 
verbindet  ■■). 

?;  14.     Italien.     Chroniken, 

Während  es  in  Italien ,  wie  vor  allem  das  Beispiel  Liudprands 
zeigt,  nicht  an  Männern  fehlte,  welche  zu  schreiben  verstanden,  ver- 
fafste  um  das  Jahr  968  ein  Mönch  des  Klosters  Sant"  Andrea  am 
Berge   Soracte*),  Benedict,  eine   Chronik,   welche  an  Roheit  der 


cano  del  Diurnus.  Arch.  d.  Soc.  rom.  di  storia  patr.  XI  (1889)  p.  ö — 58. 
Bortolotti  p.  76—89  und  155—159. 

')  Ughelli.  Italia  sacra  V,  469—476,  ed.  Coleti  V.  491—495;  bei 
Boi-tolotti  p.  161—176. 

^)  Nomina  abbatnm  Nonantulensiuin ,  MG.  SS.  Langob.  p.  571 — 57o, 
?onst  Chronicon  No»antuIanu»t  genannt;  ed.  Bortolotti  p.  141 — 153.  — 
Isti  sunt  lihri,  qui  sunt  adquisiti  tempore  domni  Itodidfi  abb.  per  Petrum 
mon.  in  Nonantiilen.^i  coenohio,  ed.  Giorgi,  Rivista  d.  biblioteche  VI,  58 
bis  59.     Dazu  das  Bild  Aixh.  paleogr.  ital.  III,  24. 

^)   Vita  loliannis   ahb.   S.  lohnnnis  Parmensis ,    ed.  Mab.  V.  715 — 724. 

'•)  Graphia  atireae  urbis  liomae  bei  Ozanam,  Documents  inedits  p.  155 
bis  iSo  (vgl.  Codex  urbis  Roma«'  topogr. ,  ed.  Urlichs,  p.  97  u.  124). 
Gehört  auch  die  Beschreibung  in  der  vorliegenden  P^orm  dem  12.  Jahr- 
hundert an,  so  pafst  doch  der  zweite  Teil  nur  in  die  Zeit  Ottos  III.  nacli 
Giesebreoht  I,  879  ff.;  vgl.  Gregorovius,  Gesch.  d.  Stadt  Rom  IH  (4.  Aufl.). 
S.  504  ff.;  Graf,  Roma  nella  memoria  del  medio  evo  I.  59  ff.;  Bloch,  NA. 
XXII,  84.  —  Ueber  die  Fortsetzung  der  Papstgeschiehte  Gie<ebrecht  I. 
782.  Watterich  I  p.  XIV— XXIII.  Duchesne,  Liber  pontific.  II  p.  IX  sq. 
—  Wunderliches  Gedicht  aus  Rom  zu  Mariae  Himmelfahrt  vielleicht  999 
(ine.  Sancta  Maria  quid  est)  bei  Giesebreoht  I,  898  und  Novati  (vgl.  oben 
S.  475)  p.  169  sq.;  vgl.  Bloch,  NA.  XXII,  112  A.  3. 

^)  S.  Andreae  in  flumine,  in  der  Ebene  bei  Ponzano,  nach  Tomassetti, 
Arch.  d.  Soc.  rom.  di  storia  patr.  VII  (1884).  382. 


484  III.  Ottoiieii.     V?  14.    Italien.     Chroniken. 

Gedanken  wie  der  Sprache  unübertroffen  istO-  Wäre  die  Aiisfüh- 
Yung  nicht  gar  zu  ungeschickt,  so  könnte  man  in  dem  Versuche, 
eine  Weltgeschichte  seit  Christi  Geburt  zusammenzustellen,  einen 
Fortschritt  erkennen,  aber  es  ist  nur  eine  Kompilation  der  dürftig- 
sten Art.  Wie  wenig  geschichtlichen  Sinn  der  Verfasser  besals,  zeigt 
sich  auch  darin,  dal's  er  zuerst  die  Sage  von  Karls  Zuge  nach  dem 
Morgenlande  aufnahm");  mitten  zwischen  Stellen  aus  Einhards 
Werken  schiebt  er  sie  ein,  ohne  einen  Widerspruch  darin  zu  ge- 
wahren. Im  Mittelpunkt  aller  Dinge  und  Begebenheiten  steht  ihm 
einzig  sein  Kloster;  zu  allen  weifs  er  es  in  Beziehung  zu  bringen. 
Gegen  die  fremden  Heri'scher,  welche  nach  Italien  kommen,  ist  er 
sehr  aufgebracht,  worin  Maurenbrecher  seinen  Patriotismus  erkennt, 
während  J,  Jung  ^)  vielmehr  seinen  klerikalen  Standpunkt  darin 
findet :  er  begeistert  sich  für  den  Papstkönig,  und  ist  deshalb  auch 
gegen  Alberich  sehr  eingenommen.  Ueber  seine  eigene  Zeit,  über 
Alberich  und  die  Stadtgeschichte  von  Rom  gewährt  übrigens  Benedict 
bei  dem  Mangel  an  anderen  Quellen  wichtige  Aufschlüsse;  aber  man 
mufs  sie  aus  seiner  verworrenen  und  aller  Grammatik  hohnsprechen- 
den Schreibart  mit  Vorsicht  und  Mühe  entnehmen.  Einige  kleine  Er- 
gänzungen aus  unbekannter  Quelle'),  welche  sich  an  einen  Auszug 
aus  Benedict  anschliessen,  liefert  für  die  Jahre  966 — 998  eine  Chronik 
des  13.  Jahrhunderts  von  S.  Bartolomeo  in  Rom. 

Einen  eigentümlichen  inneren  Gegensatz  zeigt  uns  die  um  die- 
selbe Zeit  geschriebene  Chronik  eines  Salem  itaners  bis  zum 
Jahre  974'').  Der  Verfasser  hat  nämlich  seinen  grammatischen  Kursus 


')  Chron.  Benedicti  de  S.  Andrea,  von  Pertz  zuerst  gedruckt  MG.  SS. 
III,  695—722  mit  Weglassung  des  Anfanges.  Auszüge  daraus  übersetzt 
bei  0.  Abel,  Paulus  Diaconus  S.  203;  Wattenbach,  Der  Mönch  von 
St.  Gallen  S.  98.  Benedict  ist  benutzt  von  Martinus  Pol.  nach  Weiland, 
Arch.  XII,  33.  Die  Hs.,  welche  Pertz  fälschlich  für  sein  Autograph  hielt, 
ist  in  schöner  regelmäfsiger  Bücherschrift  geschrieben,  vgl.  das  Bild  zweier 
Seiten  bei  Ern.  Monaci,  Arch.  paleogr.  ital.  II,  tav.  3.  Vgl.  im  allgemeinen 
Archiv  V,  146;  X,  381;  Giesebrecht  I,  782;  Ebert  HI,  443;  Balzani  p.  136 
bis  138.  üeber  das  im  Chron.  S.  697  enthaltene  Epigramm  des  Papstes 
Damasus  vgl.  Damasi  epigr.  ed.  Ihm  p.  64.  Wegen  der  Verwandtschaft 
von  Benedicts  Bericht  über  Otto  I.  mit  dem  Liber  pontific.  vgl.  die  oben 
S.  412  Anm.  2  angeführten  Aufsätze  von  Ottenthai  und  Sackur. 

^)  Vgl.  G.  Paris ,  Histoire  poetique  de  Charlemagne  p.  55  u.  387 ; 
Rauschen,  Die  Legende  Karls  d.  Gr.  S.  142. 

')  Forsch.  XIV  (1874),  426  f. 

*)  Herausgeg.  von  Holder-Egger.  MG.  SS.  XXXI,  213—214. 

•>)  Chron.  Salernitanum  ed.  Pertz,  MG.  SS.  III,  467—571.  Die  Regenten- 
tafeln am  Anfang,  wiederholt  MG.  SS.  Langob.  p.  491.  Bruchstücke  über- 
setzt in  Abels  Paulus  Diaconus  S.  192—202.  Zu  vergleichen  ist:  Schipa, 
Storia  del  pvincii)iito  longob.  di  Salerno,  Nap.  1887:  einige  Einwendungen 


Benedict  von  St.   Aiulreu.     Chronicon  Saleinitunuiii.  485 

durchgemacht ,  er  ist  sehr  stolz  auf  seine  gelehrte  Bildung,  citiert 
Virgil,  Lucan  und  einzelne  Kirchenväter  und  gibt  zuweilen  wunderlich 
spitzfindige  sprachliche  Untersuchungen  zum  besten.  Auch  kann 
er  ziemlich  fehlerfrei  schreiben,  wenn  er  sich  Mühe  gibt;  dazwischen 
aber  kommen  wieder  Stellen,  wo  er  alle  seine  Gelehrsamkeit  ver- 
gifst  und  mit  allen  Flexionsformen  ein  leichtsinniges  Spiel  treibt. 
Zum  Geschichtschreiber  war  er  wohl  etwas  besser  befähigt  als 
Benedict,  aber  auf  besonderes  Lob  hat  auch  er  keinen  Anspruch. 
Er  knüpft  an  Paulus'  Geschichte  der  Langobarden  an  und  erzählt 
nun  weiter  von  den  langobardischen  Fürstentümern  in  Unteritalien, 
was  ihm  gerade  einfällt,  ohne  viel  Ordnung  und  ohne  alle  Kritik; 
Erchempert  hat  er  stark  benutzt  und  was  er  aus  eigener  Kunde 
hinzufügt,  hat  nur  beschränkten  Wert,  doch  hat  er  uns  eine  Anzahl 
beneventanischer  Grabschriften  erhalten.  Trauen  darf  man  ihm  nicht 
viel,  aber  seine  lebendig  vorgetragenen,  oft  ganz  novellenartigen 
Erzählungen  geben  doch  einen  erwünschten  Einblick  in  das  Leben 
und  Treiben  jener  Länder,  und  für  die  Geschichte  Unteritaliens  sind 
wir  oft  allein  auf  seine  Nachrichten  angewiesen. 

Ungleich  besser  als  diese  Schriften  ist  die  Chronik  Venedigs 
von  dem  Diaconus  Johannes,  dem  Kaplan  und  vielleicht  Ver- 
wandten des  Dogen  Peters  IL  Urseolus  (991  —  1009),  der  wiederholt 
als  Gesandter  an  Otto  IIL  und  Heinrich  II.  geschickt  wurde \).    Seine 


von  F.  Hirsch,  HZ.  LXI,  186—189.  Ebert  III,  445—446.  Das  zum  Chron. 
Salem.  MG.  SS.  III,  548  aus  Bamberg  E.  III,  14  fol.  350  subnotierte 
Stück  De  Martyrio  .^'.  Procopii  (vgl.  oben  S.  342)  ist  wiederholt  MG.  SS. 
Langob.  p.  457. 

')  Erste  Ausgabe:  Chronicon  Venetum  lohanni  Sagornino  vulyo  trihu- 
tum  ed.  Zanetti,  Venedig  1765.  Zweite:  lohannis  diaconi  Chron.  Venetum 
ed.  Pertz,  MG.  SS.  VII,  1—38.  Neueste  mit  umfassenden  Erläuterungen 
V.  Monticolo,  CronacheVeneziane  antichissime  I,  1890,  p.  59 — 171  (=  Fonti 
per  la  storia  d'Italia  IX).  —  Pertz  schrieb  dem  Johannes  wohl  irrig  auch 
das  in  den  Hss.  mit  dem  Chronicon  Venetum  verbundene  Chronicon  Gra- 
dense  zu:  MG.  SS.  VII,  39 — 45;  neue  Ausgabe  von  Monticolo  1.  c.  p.  19 
bis  51.  —  Quelle  für  das  Chronicon  Gradense  neben  dem  Chron.  Altinate 
(vgl.  unten  S.  486  Anm.  2):  Chronica  de  .snnguli.'<  patriarchis  Novae  Aqui- 
leiae  a.  1049;  ein  Auszug  daraus  MG.  SS.  VII,  45—47;  vollständig  (u.  d. 
T. :  Chronica  patriarcharum  Gradensium)  ed.  Waitz,  MG.  SS.  Langob. 
p.  392—397;  jetzt  bei  Monticolo  1.  c.  p.  5—16.  —  Vgl.  über  Johannes 
und  sein  Werk  Giesebrecht  1,  790.  Kohlschütter,  Venedig  unter  Peter  IL 
Orseolo,  Gott.  Diss.  1868,  bes.  S.  61— 65.  Simonsfeld,  Andreas  Dandolo, 
München  1876,  S.  56—79.  Derselbe,  Das  Chronicon  Altinate  (=  Venet. 
Studien  I),  München  1878,  bes.  S.  14  ff.  u.  74  ff.  Derselbe,  Rezension 
der  Ausgabe  von  Monticolo,  HZ.  LXVII,  360—365.  Waitz,  NA.  II,  375 
bis  381.  Monticolo,  La  Cronaca  del  diac.  Giovanni,  Pistoja  1882.  Der- 
selbe, I  manoscritti  e  le  fonti  della  Cronaca  del  diac.  Giovanni,  Bull, 
dell'  Istituto  stör,  italiano  IX   (Rom  1890)   p.  37—328.     Derselbe,  Nuovo 


48(5  Tll-  Ottoneii.     §  14.    Italien.     Chroniken. 

Sprache  ist  die  eines  Geschäftsmannes,  ungeschmückt,  auch  nicht 
frei  von  Verstölsen  gegen  die  Regeln  der  Grammatik,  aber  leicht 
verständlich  und  dem  Gegenstande  angemessen ;  seine  venetiani- 
schen  Provinzialismen  sind  unendlich  viel  angenehmer,  als  die 
ungeschickten  Phrasen  der  halbgelehrten  Mönche.  Im  Anfang  auf 
Paulus  Diaconus  und  Legenden  gestützt  und  begreiflicherweise 
mangelhaft,  führt  er  seine  Geschichte  fort  bis  1008;  sie  gewinnt 
an  Reichtum  des  Inhalts  mit  dem  Fortschritte  der  Erzählung  und 
wird  besonders  wichtig,  wo  er  von  den  Berührungen  mit  den 
Kaisei'n  berichtet,  bei  denen  er  selbst  beteiligt  war.  Die  treflPliche 
Regierung  des  Dogen  Peters  II.  bildet  den  Hauptgegenstand  seiner 
Darstellung.  Ueberhaupt  erkennt  man  hier  gleich,  dafs  der  Ver- 
fasser das  Leben  nicht  nur  aus  der  Ferne  ansah ,  sondern  selbst 
mitten  darin  stand. 

In  dem  älteren  Teile  dieser  Chronik  herrscht  eine  grofse  Ver- 
wirrung. Ueber  die  Vorgeschichte  von  Venedig  vor  der  Wahl  des 
ersten  Dogen  und  die  Chronologie  der  nächsten  zwei  Jahrhunderte 
hat  Andreas  Dandolo  in  seinen  Annalen  besondere  Nachrichten; 
es  scheint  ihm  ein  altes  Dogenverzeichnis  vorgelegen  zu  haben, 
mit  den  kurzen  Charakteristiken  der  ersten  Dogen ,  welche  bei 
Johannes  fehlen^). 

Sehr  alte  Elemente  sind  ferner  in  den  ersten  Büchern  des  sogen. 
Chronicon  Altinate^)  erhalten,  die  mit  ihrer  höchst  barbarischen 
Sprache  nach  Simonsfeld  schon  im  Anfange  des  10.  Jahrhunderts  zu- 
sammengestellt, später  mit  Zusätzen  vermengt  und  bis  ins  13.  Jahr- 
hundert fortgeführt  sind;  die  ursprüngliche  Form  bleibt  häufig 
zweifelhaft. 


archivio  Veneto  III,  365—386.  Balzani  p.  138—140.  W.  Meyer  aus 
Speyer,  Die  Spaltung  des  Patriarchats  Aquileja,  Berlin  1898  (Abhandl. 
der  Götting.  Ges.  d.  Wiss.  11,  6),  bes.  S.  10—26.  Uhlirz,  Otto  II.  S.  191 
Anm.  16;  S.  195  Anm.  27. 

*)  Ein  merkwürdiger  Brief  des  Dogen  Petrus  Candianus  an  Heinrich  I. 
ed.  Weiland,  MG.  Const.  imp.  I,  6 — 7;  vcrl.  Aronius,  Regesten  z.  Gesch. 
d.  Juden  S.  53  f. 

^)  Ausgabe  von  Rossi  im  Archivio  stör.  ital.  YIII  (1845)  p.  1 — 228  u. 
nach  der  besseren  Dresd.  Hs.  im  Appendice  ders.  Zeitschr.  V  (1847)  p.  1 
bis  128;  jetzt  als  Chron.  Venetum  vulgo  Altinate  v.  Simonsfeld,  MG  SS. 
XIV,  1 — 97 ,  nach  vier  sehr  voneinander  abweichenden  Handschriften. 
Eine  in  zwei  Hss.  damit  verbundene  sagenhafte  Darstellung  der  Troj. 
röm.  Gesch.  (=  Arch.  stör,  it.,  app.  V,  37—46)  hat  Simonsfeld  in  der  Aus- 
gabe weggelassen  und  besonders  herau«geg.,  NA.  XI,  239 — 251.  Vgl.  die 
oben  S.  485  Anm.  1  angeführten  Aufsätze  von  Simonsfeld  und  Waitz; 
femer  Simonsfeld,  Archivio  Veneto  XXIV  (1882),  111—131  u.  ebd.  XXXV 
(1888),  117—134. 


Venedi^if.     Gumpold  von  Mantuu.  487 


sj   15.      Italien.     P>  i  o  r,M-a  p  h  i  e  n. 

Gegen  das  P]nde  des  10.  .hihrbunderts  verschwindet  in  Italien 
lene  Barbarei,  welche  hier  weit  greller  als  in  den  anderen  Teilen 
■des  karolingisclien  Reiches  hervorgetreten  wur.  Die  bessere  Ordnung 
<3er  politischen  und  kirchlichen  Verhältnisse  macht  sich  auch  hier 
fühlbar.  Auf  Veranlassung  des  Kaisers  Otto  II.  schrieb  ein  Bischof 
Oumpold  von  Mantua,  von  dem  sonst  wenig  bekannt  ist,  ein 
Leben  des  böhmischen  Herzogs  und  Märtyrers  Wen cesl aus  (t  935). 
Er  stand  indessen  der  Zeit  wie  den  Ereignissen  zu  fern,  um  viel 
davon  zu  wissen,  und  suchte  die  Dürftigkeit  des  Inhalts  durch 
schwülstige  Phrasen  zu  verdecken.  Hochtrabende  sallustische  Aus- 
drücke paaren  sich  bei  ihm  in  widerlicher  Mischung  mit  der  kirch- 
lichen Phraseologie.  Im  Prologe  werden  auf  solche  Weise  die 
Bestrebungen  der  Menschen  geschildert  und  dabei  die  freien  Künste 
mit  Umschreibungen  bezeichnet,  welche  Büdinger  ohne  Grund  auf 
Oerberts  Disputation  mit  Otrich  bezogen  hat').  Es  ist  deshalb  auch 
nicht  nötig,  die  Entstehung  der  Schrift  nach  Errichtung  des  Prager 
Bistums  anzunehmen,  von  der  Gumpold  noch  nichts  weifs,  wäh- 
rend man  doch  kaum  annehmen  kann,  dals  er  sie,  wenn  er  später 
schrieb,  nicht  sollte  erfahren  oder  berücksichtigt  haben'-). 

Ein  zweites  Leben  desselben  31äi-tyrers  schrieb  später  im  11.. Jahr- 
hunderte, doch  unabhängig  von  Gumpold,  Lauren tius,  ein  Mönch 
von  Montecassino.  Dieser  beruft  sich  auf  die  Erzählungen  eines 
Landsmannes  des  Märtyrers  und  mag  durch  ihn  Kunde  erhalten 
haben  von  einer  schon  früher  in  Böhmen  und  vielleicht  in  slavischer 


*)  Diese  allein  richtige  Deutung  jener  Stelle  verdankte  Wattenbach 
der  Mitteilung  Jaffes.  Ueber  die  im  Prologe  zur  Schau  getragene  Ver- 
achtung der  klassischen  Studien  vgl.  Novati,  L'influsso  del  pensiero  lat., 
Mailand  1899  (2.  Aufl.),  p.  149. 

^)  Giimpoldi  Vita  Vencezlnvi  dacitt,  von  Pertz  entdeckt  und  heraus- 
gegeben MG.  SS.  IV,  211—223;  wiederholt  Migne  CXXXV.  923—942; 
Fontes  Rer.  Boh.  (Prag  1872)  I,  146—166.  Das  Widmungsbild  aus  der 
Wolfenbütteler  Hs.  in  0.  v.  Heinemanns  Kataloge  VII,  IS'"!;  es  scheint 
durchaus  möglich,  dafs  „Hemma  venerabilis  principissa".  welche  diese 
Prachths.  anfertigen  liels,  die  Gemahlin  Boleslavs  II.  (f  1006)  ist  und 
Schrift  und  Bilder  in  den  Anfang  des  11.  Jahrhunderts  gehören.  Vgl. 
im  allgemeinen  Büdinger,  Zur  Kritik  altböhmischer  Geschichte,  Zeitschr. 
f.  österr.  Gymnasien  VIII  (1857)  S.  501 — 525;  er  bat  Gumpolds  Existenz 
urkundlich  nachgewiesen.  Ueber  Wenzel  und  seine  Biographien  vgl. 
Wattenbach  im  2.  Bande  dieser  Geschichtsquellen:  Fiüedjung,  Kaiser 
Karl  IV.  und  sein  Anteil  am  geistigen  Leben  seiner  Zeit  (Wien  1876) 
S.  150-161:  Hauck  III,  186—196. 


488  III-  Ottonen.     j^  15.    Italien.     Biographien. 

Sprache  verfafsten  Legende,  auf  die  wir  später  noch  einmal  zurück- 
kommen werden'). 

Eine  bedeutende  Einwirkung  übte  auf  Italien  die  damals  auch 
hier  eindringende  streng  mönchische  Askese,  welche  teils  von  Cluny 
aus  über  die  Alpen  sich  verbreitete,  teils  unabhängig  davon  und 
in  anderer  Gestalt  in  Italien  selbst  aufkam.  Zu  den  Hauptträgern 
dieser  Richtung  gehört  der  griechische  Kalabrese  Ni los,  der  durch 
seine  aufs  äufserste  getriebene  Verachtung  alles  Irdischen  einen  so 
grofsen  Eindruck  auf  Otto  III.  machte.  Sein  Leben  ist  von  einem 
Landsmanne  in  griechischer  Sprache  geschrieben  und  enthält  einige 
wertvolle  Nachrichten,  vorzüglich  aber  viele  anziehende  Einzelheiten 
zur  Kulturgeschichte  Italiens'). 

Von  demselben  Geiste  erfüllt,  aber  ungleich  wichtiger  für  die 
deutsche  Geschichte,  ist  das  Leben  des  heiligen  Adalbert, 
des  Bischofs  von  Prag  und  Apostels  der  Preufsen  (f  997),  auf  den 
Wunsch  seines  schwärmerischen  Freundes,  des  Kaisers  Ottos  III., 
verfafst  von  Johannes  Canaparius,  dem  Abte  des  Alexius- 
klosters  in  Rom  (f  1004),  in  welchem  Adalbei"t  sich  eine  Zeitlaug 
aufgehalten   hatte").     Der   Verfasser  hat    Adalbert   selbst  nahe   ge- 


')  Passio  S.  Venzeslavi  edita  a  domno  Laurentio  monacho  S.  Benedicti, 
auszugsweise  mitgeteilt  von  Pertz,  Arch.  V,  137 — 143;  vollständig  von 
Dudik,  Iter  Romanum  1,  304  —  318,  Fontes  Boh.  167 — 182.  Eine  anonyme, 
von  Gumpold  abhängige  Legende  (ine.  Crescente  fide)  bei  Dudik,  S.  319 
bis  326,  Fontes  18;:j — 190.  üeber  die  wenig  glaubwürdigen  Legenden 
von  Wenzels  Mutter  Ludmila  vgl.  die  Vorrede  von  Holder-Egger  zu  der 
Ausgabe  der  ältesten,  die  jedoch  auch  erst  aus  dem  12.  Jahrhunderte 
stammt,  während  diejenige,  welche  bisher  für  die  älteste  galt,  nur  ein 
Teil  von  dem  betrüglichen  Werke  des  Pseudo-Christann  ist,  MG.  SS.  XV, 
1,  572. 

2)  Vita  S.  Nili,  Acta  SS.  Sept.  VII,  336;  Auszüge  MG.  SS.  IV,  616 
bis  618;  vgl.  Giesebrecht  I,  789.  Ehrbard  in  Krumbachers  Byz.  Litte- 
raturgesch.  2.  Aufl.)  S.  195  u.  198.  Ueber  Griechische  Briefe  eines  Leon, 
die  von  den  Schicksalen  des  Johannes  (Philagathos),  eines  Freundes  und 
Landsmannes  des  Nilos  handeln ,  Krumbacher  ebd.  S.  461 ;  vgl.  über 
Johannes  oben  S.  354  Anm.  5.  Ebenfalls  griechisch  geschrieben  ist  das 
Leben  des  heil.  Sabas  von  lerem.  Orestes  mit  interessanten  Nachrichten 
zur  Geschichte  Ottos  II. ,  herausgegeben  von  Cozza-Luzi  in  den  Studi  e 
documenti  di  storia  e  diritto  XII  (1891),  .33  ff.,  135  ff.,  312  ff.;  vgl.  Ehr- 
hard  a.  a.  0.;  Uhlirz,  Otto  II.  S.  172  Anm.  57. 

^)  lohannis  Canapnrii  Vita  S.  Adalberti  ed.  Pertz,  MG.  SS.  IV,  581  bis 
595.  Ausg.  von  AI.  Batowski  bei  Bielowski  (vgl.  oben  S.  388  Anm.  3) 
I,  157 — 183  mit  Varianten  einer  Handschrift  aus  Kielce.  Uebersetzt  von 
Hüffer  1857;  2.  A.  1891,  Geschichtschr.  34  (X,  7).  Ebert  III,  486—491. 
Hauck  in,  245—251.  Perlbach,  NA.  XXVII,  37—41,  handelt  über  Cana- 
parius und  widerlegt  die  von  Ketrzynski  gegen  seine  Urheberschaft  er- 
hobenen Zweifel,  ebenso  vorher  schon  Kaindl,  Mitteil.  f.  Gesch.  der  D.  in 
Böhmen  XXXII  (1894)  S.  338— 347  u.  Mitteil.  d.  Inst.  XX,  644—648.   üeber 


Vita  S.  Nili.     Johannes  Canapariu^.  489 

standen,  benutzte  auch  einen  Aufsatz  des  Domprobstes  Willico  von 
Prag,  und  schreibt  daher  aus  voller  Kenntnis  des  Gegenstandes  und 
mit  grofser  Wärme,  in  reiner,  von  biblischen  Phrasen  erfüllter 
Sprache;  über  die  politischen  Verhältnisse,  welche  der  Wirksamkeit 
Adalberts  in  Böhmen  im  Wege  standen,  darf  man  freilich  bei  ihm 
keine  Aufklärung  suchen.  Die  wenig  spätere  üeberarbeitung  dieses 
Lebens  von  Bruno  von  Querfurt  erwähnten  wir  schon  (oben  S.  388  f.). 
Bruno  gehört  zu  dem  Kreise  jener  Asketen,  welche  in  dem  Kloster 
Classe  bei  Ravenna  lebten ,  aus  deren  Mitte  der  Camaldulenser- 
orden  hervorging.  Das  Leben  des  Stifters  dieses  Ordens,  des  Abtes 
Romuald,  hat  um  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  Petrus 
Damiani,  der  Hauptvertreter  der  Richtung,  geschrieben;  aus  den 
salbungsvollen  Sentenzen  lassen  sich  einige  geschichtliche  Nachrichten 
auslesen '). 

den  böhmischen  Landtagsschlurs  von  992  in  Wattenbachs  Beiträgen  zur 
Gesch.  der  christl.  Kirche  in  Mähren  u.  liöhmen  S.  51  und  bei  Erben, 
Regesta  Bohemiae  p.  33;  ich  finde  ihn  nicht  berücksichtigt  in  dem  sonst 
sehr  hervorragenden  und  scharfsinnigen  Aufsatze  von  Loserth,  Der  Sturz 
des  Hauses  Slawnik,  Arch.  d.W.  A.  LXV,  19—54,  worin  Adalberts  Mifserfolg 
in  Prag  zurückgeführt  wird  auf  die  Rivalität  seines  Hauses,  eines  fürst- 
lichen chorwatischen,  das  mit  Polen  verbündet  war,  mit  den  Przemysliden. 
De  S.  Ädalherto  ep.  Pragensi ,  spätere  Legende ,  in  der  Bruno  und  Cana- 
parius  benutzt  sind;  neue  Ausgabe  von  Pei'lbach,  MG.  SS.  XV,  1177 
bis  1184.  Ueber  die  Uebertragung  von  Adalberts  Gebeinen  nach  Prag  im 
Jahre  1088  vgl.  den  Zusatz  zu  Notkers  Martyrolog. ,  Forsch.  XXV,  209. 
')  Ex  Vita  S.  liomtialdi  aticfore  I'etro  Damiani  ed.  Waitz,  MG.  SS.  IV. 
846 — 854;  vgl.  im  2.  Bande  dieser  Geschithtsquellen. 


Register. 


A. 

Aachen  278.  279. 
Aaron,  westfränk.  Mönch  253. 
Abbo,  Abt  V.  Fleury  121.  421.  466 
bis  467.  469. 

—  von  St.  Germain  329—330. 
Ablavius  74.  75.  77. 

Abraham  (957—994)  B.  v.  Freising 
454.  4.-)5.  480. 

—  Jacobsen  369. 

Acta  abb.  Fuld.  262;  epp.  Cenom, 
334;  Friderici  ep.  Trai.  437; 
ord.  S.  Benedicti  12;  primorum 
martyr.  sincera  12;  sanctorum 
11.  12. 

Adalbald  vgl.  Adalbold. 

Adalbevo  (887—910)  B.  v.  Augsb. 
286    Sl'' 

—  (977—1030)  B.  V.  Laon  460.  472. 

—  I  (929—962)  B.V.Metz  413.  415. 

—  II  (984  —  1005)    B.  V.  Metz   379. 

415.  417. 

—  III  (1047—1072)  B.  V.  Metz  423. 

—  (966—988)  Erzb.  v.  Reims   421. 

4.58.  460.  462. 

—  Propst  V.  St.  Paulin  410. 

—  vas  librorum  4.54. 

Adalbert  (968—981)  Erzb.  v.  Magd. 
385.  410.  411. 

—  ß.  V.  Passau  455. 

—  (982—997)  B.  v.  Prag  381.  387. 

488.  489. 

—  Abt  V.  Echtei-nach  409. 

—  Abt  V.  Ferrieres  187. 

—  Abt  V.  Hornbach  418. 

—  Diac.  V.  Bamberg  401. 

—  Mönch  V.  Flenry  467. 

—  Mönch  V.  St.  Erameram  451. 


Adalbert,  Graf  v.  Babenberg  368. 

—  Gründer  v.  Tegernsee  288. 

—  Notar  410. 

Adalbold  (1010—1026)  B.  v.Utrecht 
403.  425.  436—438. 

—  Kalligraph  in  Tours  187. 
Adalfrid,  Mönch  v.  Fulda  253. 
Adalgar,  Lehrer  294. 
Adalgis,  Priester  278. 
Adalhaid,  B.  v.  Verona  345. 

—  Abt  V.  Corbie  183.  300.  303. 

—  Abt  V.  St.  Martin  in  Tours  187. 

189. 

—  Mönch  V.  Blandigny  435. 
Adalheid,  Kaiserin  351.  356.  474. 

—  Aebtissin  v.  Quedlinburg  377. 
Adalher,  Mönch  v.  Lorsch  397. 
Adalram  (821—836)  Erzb.v.  Salzburg 

242.  292. 
Adalwald,  König  der  Langob.  93. 
Adalwin,  Abt  v.  Blandigny  432. 
Adam,  Abt  v.  Masmünster  169. 

—  V.  Bremen  25.  251.  297.  298.  305. 

321. 
Adelard  vgl.  Adalhard. 
Adelbald  vgl.  Aldebald. 
Adelbero  vgl.  Adalbero. 
Adelbold  vgl.  Adalbold. 
Adelchis  181. 
Adelerius  v.  Fleury  468. 
Adelheid  vgl.  Adalheid. 
Adelperga  57.  180.  184. 
Ademar  v.  Chabannes  170.  332.  334. 
Adhemar,  Aquit.  Mönch  230. 
Ado  (8.59—874)  Erzb.  v.  Vienne  143. 

240.  309.  317;  Martyrol.  67.  345. 

441. 

—  Priester  224. 
Adrevald  v.  Fleury  467. 


Register. 


491 


Adso,  Abt  V.  Montii-rentler  354.  356. 
405.  421.  422. 

—  Abt  V.  St.  Basle  422. 
Adventius  (858-875)  B.v.Metz  319. 

322. 
Adventus  S.  Benedicti  467. 

—  S.  Landoaldi  432. 

—  SS.Wandregisili,  Ansberti  et  Vul- 

franni  431. 
Aedde  Steplianus  148. 
Aegidius  v.  Orval  425. 
Aelbert  (Aetbelbert)  Erzb.  v.  York 

186.  294. 
Aeneas  Silvius  2.  7. 
Aethicus  76.  122. 
Aethilwald  151. 
Agius  304.  306.  373. 
AgneHus  62.  63.  343. 
Agnes.  Pfalzgr.  v.  Weimar  357.  375. 
Agobard,  Erzb.  v.  Lyon    172.  232. 

309. 
Aimoin  v.  Fleury  5.  121.  323.  330. 

466—470. 
Alagus,  Domherr  333. 
Alanus  v.  Farta  343. 
Alberich,  ß.  v.  Utrecht  294. 

—  Abt  V.  St.  Evre  421. 

—  V.  TroisFontaines  329.  470.  479. 
Albrich,  St.  Galler  Mönch  127.  237. 

286. 
Albert  v.  Stade  29. 
Albuinus  heremita  405. 
Albwin,  Abt  v.  Nienburg  304. 
Alcvin  165. 168  flP.  186—191. 193.  200. 

238.  243.  252.  253.  256.  257.  267. 

282. 292. 294. 297. 308;  V.Willibr. 

148;  Epp.  36.  169.  292. 
Aldebald  v.  Lerins  473.  474. 
Alderich,  B.  v.  Le  Mans  334. 

—  Erzb.  V.  Sens  187.  190.  227.  258. 

309. 
Aldhelm   151. 
Alemar,  secundarius  396. 
Alger,  canonic.  Leod.  425. 
Alpert  V.  Metz  362.  399.  418.  419. 

438. 
Altfrid,  B.  v.  Hildesheim  243. 

—  (839—849)  B.v.i\[ünster293.295. 

336. 
Altimannia  133. 
Altmann  36. 
Aluberht,  Bischof  294. 
Alvarus  Pelagius  6. 
Amalafrid  101. 
Amalarius  (809—814)  Erzb.  v.  Trier 

308.  309. 
Amalrich.  Erzb.  v.  Tours  187.  330. 


Amandas  (647—649)  B.  v.  Mastricht 

128. 
Ambrosius .  priniicerius  notariorum 

142. 
Amersfoort  419. 
Amico,  Abt  v.  Murbach   164. 
Amniian  76.  83. 
Analecta  BoUandiana  11. 
Anamodus  289. 

Anastasius  bibliothecarius   65    838. 
Andreas,  Abt  v.  Michelsberg  96. 

—  Abt  V.  St.  Pankraz  in  Rom  432. 

—  presb.  Hergom.  231.  343. 

—  Dandolo  486. 

—  von  Fleury  468.  469. 

—  V.  Marchiennes  328. 
Angelomus  227. 
Angelsachsen  145  ff.  252. 
Angilbert,  Abt  v.  Corbie    191.  237. 

—  Abt  V.  St.  Riquier  168.  169.  189. 

190.  191  —  198.  215.  219.  233. 
235.  237. 

—  Verf.  des  Rhythmus  235. 
Angildruth  254. 

Angilram  (769—791)  B.  v.  Metz  182. 

191.  215. 

—  Abt  V.  St.  Riquier  193. 
Aniane  225.  231. 

Annales  Alamannici  158.  164.  285. 
286.  405.  440;  Alcvini  165: 
Altah.  376.  377.  440;  Andegav. 
1 12  ;Angl.  244. 294. 405  ;Aquitan. 
225 :  Arelat.  63. 1 12. 1 13 ;  Augiens. 

165.  284.  286.  377.  395.  405.411: 
Aug.  breviss.  159. 165;  Ausc.  159. 

—  Barcinon.  329:    Bavarici  breves 

159.  166:  Bertiniani  227.  246. 
323—328.  431.471:  Blandiniens. 
246.  427;  Burgund.  112.  115. 

—  Cadom.  405;    chronographi  vet. 

146;  Colon.  286.  294.  403.  404. 
405. 440 ;  Colon,  breves  316. 404 ; 
Colon  breviss.  316;    Corb.  155. 

166.  305.  365.  377:  Cracov.  405. 

—  Einhardi  209.  216  ff.    222.   247. 

307.  377;  Einsidl.  440:  Elno- 
nens.  mai.  336;  Elvacens.  376; 
Engolism.  329. 

—  Flaviniac.    162.    221.   224;    Plo- 

doardi  458.  464;  Floriac.  240. 
329.467;  Fossenses  426;  Fuld. 
209.  244—251.  256.  257.  261. 
263.  265.  289.  305;  Fuld.  ant. 
166.  167.  202.  223.  224.  252. 
256;  Fuld.  necrol.  70.  202.  397; 
Gand.  434;  Guelferbvtani  158. 
164.  222. 


492 


Register 


Annales  Halb.  308.  380;  Heremi 
441;  Hersfeld.  244.  264.  376 
bis  378.  384.  397;  Hildesh.  376. 
384.  385. 

—  luvavens.  164.  166. 

—  Laubac.    158.   376;    Laureshani. 

158. 159.  162.  163.  215.  221.  224. 
225.  297.  337.  426;  Lauriss.  mai. 
163.  164.  211—223.  226.  230. 
308.  313.  337.  426;  Lauriss.  min. 
162.  222.  223.  245.  246.  247.  253. 
256.  263;  Lauson.  162;  Lemov. 
329;  Leod.426;  Lindisfarn.165; 
Lob.  222.  229.  263.  411.  426; 
Loisel.211;  Lugdun.  329;  Lund. 
405. 

—  Magdeb.  378.  386.  389;  Masciac 

329;  Maximiniani  163.  164.  221 
223.  224.  315;  Mett.  143.  144 
222.  229.  323.  328;  Monast.  305 
Monast.  Gregor.  376;  Mosellani 
158.  160—162.  163.  164.  221; 
Murbac.  158.  164.  165. 

—  Nazar.  158. 164. 165 ;  Nivern.  329 ; 

Normann.  405. 

—  Ottoburani  156.  375.  376. 

—  Petaviani    158.    160.    161.    163. 

247;  plebei  211;  Prüm.  311; 
Prüm,  necrol.  70. 

—  Quedlinb.  376—380.  392.  398. 

—  Ratisb.  449;  Ravennat.  62.  113; 

Rem.  458;  Rotom.  405. 

—  Salisb.  166.  449. 

—  SanctiAmandil58ff.467;  Bavon. 

203;  Benigni  Divion.  405;  Ber- 
tini 427;  Blasii  necrol.  70; 
Bonifatii  263.  376;  Columbae 
Senon.  329.  406.  467.  470;  Dio- 
nysii  165;  Dionysii  Rem.  458; 
Dysib.  75.  286;  Emm.  164.  166. 
449;  Emm.  breviss.  449;  Gall. 
158.  286.  411;  Gall.  brev.  285. 
440;  Gall.  breviss.  286;  Gall. 
mai.  405.  440:  Gall.  reg.  159: 
Germ.  min.  159.  165;  Germ. 
Paris.  165;  lacobi  426;  Maxi- 
mini 329.  406.  470;  Medardi  . 
Suess.  329 ;  Meginradi  441 : 
Nazarii  397;  Nicasii  Rem.  458; 
Petri  Col.  316;  Quintini  329; 
Victoris  Massil.  225.  329. 

—  Sith.  209.  223.  245—247;  Tiliani 

158;  Turon.  107. 

—  Vedastini  323.  327.  328.  426.431. 

463.  471;  Weingart.  440;  Weis- 
senburg.  162.  376;  Weltenb. 
necrol.  70;  Werthin.  305;  Xant. 


163.    314.    315.    316:     Yburg. 

247. 
Annalista  Saxo  301.  368.  380.  386. 

394.  438. 
Annalium  veterum  fragmenta   222. 
Annius  Viterbiensis  9. 
Anno  (884—916)  B.  v.  Freising  288. 

—  (950—978)  B.  v.  Worms  406. 

—  Schreiber  403. 

Anonymus  Cuspiniani  61 ;  de  situ 
orbis  324;  de  Suevorum  origine 
369;  Haser.  290;  Mellicensis  95; 
Moguntin.  397;  Ravennas  74; 
Vales.  55.  62. 

Anscher,  Biograph  Angilberts  193. 
194. 

Ansegis,  Abt  v.  St.  Wandrille  201. 
241.  264. 

Anselm  v.  Canterbury  361. 

—  v.  Lüttich  317.  425. 

Ansfrid   (995—1010)    B.  v.  Utrecht 

419.  436. 
Ansibert.  B.  v.  Ronen  127. 
Anskar  (831 — 865)  Erzb.  v.  Hamburg 

297—299.  301.  356. 

—  vgl.  Anscher. 

Anso,  Abt  v.  Lobbes  145. 
Antrieb,  Freisinger  Lehrer  454. 
ApoUinaris  Sidonius  97.  98.  102. 
Apologeticon  Ebbonis  326.1 
Apologia   pro    schola   Herbipolensi 

398.  400.  453. 
Aquileja  44.  236;   Evang.  71. 
Arator  253.  423. 
Arbert,  Abt  v.  St.  Arnulf  413. 
Arbogast  135. 
Archiv  d.Gesellsch.  f.  ältere  deutsche 

Geschichtskunde  19.  20.  26. 
Ardo  Smaragdus  231. 
Arethas  v.  Caesarea  476. 
Aribo  (764—783)  B.  v.  Freising  138. 

171. 

—  (1020—1081)  Erzb.  v.  Mainz  395. 

441.  442. 
Aripo,  Mönch  v.  St.  Emmeram  451. 
Arichis  180.  184.  341. 
Arles  63. 
Arn  (785—821)  Erzb.  v.  Salzb.  166. 

172.    175.    176.  187.   189.  215. 

292. 

—  (855—893)  ß.  V.  Würzburg  288. 

289 
Arndt,  E.  M.  19.  25. 

—  W.  25. 

Arnulf,  König  262.  451. 

—  Graf  v.  Flandern  430.  431.  433. 

435.  436. 


Register. 


49?> 


Arnulf  (99(_;— 1023)  H.  v.  Halb.  380. 

—  (t  641)  B.  V.  Metz  414. 

—  (972—1003)    B.  V.  Orleans   4ii2. 

469. 
Arx,  Ildefons  v.  24. 
Aspert  (89 1  —893)  B.  v.  Regensb.  289. 
Astronomus  230.  234.  246. 
Astuvii,  Römerstadt  51. 
Athanarit  74. 

Atto,  B.  V.  Vercelli  352.  482. 
Auctarium  Prosperi  63. 
Audoenus  119.  126. 
Audradus  Modicus  237. 
Aufgebot  des  Jahres  981  394. 
Augsburg  2.  4.  5.  8.  43.  47.  70.  286. 

448—449.  452.  458. 
Augustinus   54.  68.   87.  88.  89.  90. 

94.  237.  396. 

—  V.  Canterbur}-  147. 
Aurelius  Victor  83.  258. 
Aurillac  460. 
Ausonius  97.  100.  282. 
Auxerre  60.  333. 
Auxilius  339. 
Avenches  112.  115. 
Aventin  5.  6.  9. 

Avitus,  B.  V.  Clermont  104. 

—  ß.  V.  Vienne  98.  121. 
Aynard,    Lehrer   v.   St.  Evre    423. 

462. 
Azo,  B.  V.  Ivrea  .345. 


B. 

B.,  sächsischer  Priester  425. 
Baehr,  J.  C.  F.  38. 
Balderich  II.  (lOOS— 1018)  B.  v.  Lütt. 
425.  439.  450. 

—  (970—987)     B.    V.    Speier    357. 

399. 

—  (917— 976)  B.v.  Utrecht  336.  358. 

419.  420.  424. 
Baldo,  Salzburger  Lehrer  268.  292. 
Balthard.  Abt  v.  Hersfeld  264. 
Balther  135. 
Balthilde  131.  193. 
Baltrara,  Abt  v.  Lutra  447. 
Balzani,  Ugo  13.  40. 
Bamberg  355.  401. 
Bangor,  Abtei  131. 
Baronius  9.  12. 
Basel  6.  7. 
Baturich  (817—848)  B.  v.  Regensb. 

258.  288. 
Baudemund  128. 
Baudonivia  102. 


Baugulf,  Abt  V.  Fulda   199.  252.  256. 

257. 
Beatus  Rhenanus  3.  >!. 
Bebe,  Diaconus  401. 
Beda    62.  64.  65.  66.  88.  94.   144. 

145—146.   147.   149.   160.   185. 

189.  220.  221.  224.  240.  312.  315. 

320.  328.  333.  365.  377. 399. 426; 

Chron.  cont.  146;  de  rat.  temp 

64;  Martyrol.  66. 
Benedict  VIII..  Papst  401. 

—  IX.,  Papst  450. 

—  Abt  V.  Aniane   190.  225.  231. 

—  V.  Sant' Andrea  412.  483.  484. 

—  Grammatiker  453. 
Benedictus  levita  24.  264.  265. 
Benedictbeuern  454. 

Benzo  400. 

Beornrad,  Erzb.  v.  Sens  257. 
Berenger,  B.  v.  Cambrai  306. 
Bergues-SaintWinoc  430. 
Bern,  Abt  v.  Reichenau  446. 

—  Mönch  V.  Reichenau  X. 
Bernald  (821—840)  B.  v.  Strassb.  228. 

277. 
Berner  v.  St.  Remi  462. 
Bernhard,  K.  v.  Italien  230.  259. 

—  (924—968)  B.v.  Halberstadt  379. 
Berno  vgl.  Bern. 

Bernowin  191. 

Bernward  (992—1022)  B.  v.  Hildes- 
heim 354.  372.  382—384. 

Börosus  9 

Bertha,  Tochter  Karls  d.  Gr.  194  f. 

ßertharius  Virdun.  321.  357.  420. 

Bertulf,  Abt  v.  Bobbio  132. 

Bethmann,  C.  L.  25. 

Bibliotheca  hagiographica  X.  12. 

Bischofsheim  154.  254.  260. 

Biso  (886—908)  B,  v.  Paderborn  .304. 
308. 

Blandigny,  Saint- Pierre  au  mont 
Blandin  de  Gand  430—433. 
435.  452. 

Blidulf  334. 

Bluhme  24. 

Bobbio  130.  132.  236.  460.  481. 

Bobbo.  Abt  V.  Lorsch  396.  397. 

Bobolenus  130.  132.  134. 

Boeddeken  304. 

Boehmer  34.  35. 

Boethius  73  f.  147.  274.  278.  281. 
306.  312.  354.  855.  399.  423.  436. 
452.  453.  461.  471.  475. 

Boineburg  15. 

BoUand  11. 

Bollandisten  X.  11.  12. 


494 


Register. 


Bonifatius  3ö.  13S.  143. 147. 150—154. 

252.  260.  262.  265.  281.  293.  294. 

295.  321. 
Bonitho  v.  Sutri  36. 
Boretius.  Alfred  24.  27. 
Bouquet  13.  29.  80. 
Bovo  (t  947)  B.  V.  Chälons-sur-Mame 

306. 

—  Abt  V.  Corvey  305.  306.  365.  368. 

436. 

—  Abt  V.  St.  Bertin  187. 
Bremen  297.  298. 
Bresslau,  H.  26. 

Breves  notitiae  Salisb.  176.  290. 

Brogne  434-436. 

Brouwer  10. 

Branellus  6. 

Bruno  (940—962)  Erzb.  v.  Köln  357 

bis  360.  401—403.  408.  416.  419. 

420.  450. 

—  T.  Querfurt  388.  389.  489. 

—  Abt  V.  Montierender  422. 

—  Notar  436. 

Brunwart,  Abt  v.  Hersfeld  264. 
Bruun  Candidus  253 — 256. 
Büchler  20.  22. 

Bun,  Abt  V.  Hersfeld  258.  264. 
Burchard  ( 1000—1025)  B.  v.  Worms 
397.  399.  419. 

—  Abt  V.  St.  Gallen  357.  442. 

—  Propst  in  Mainz  396. 

—  V.  Reichenau  445. 


c. 

Caesar  419. 
Caesaria  v.  Arles  102. 
Calpurnius  174. 
Cambrai  322. 
Canisius,  Heini-ich  10. 
Carducci  13. 
Canon  7. 

Carmen  de  S.  Bavone  431. 
Carmina  Centulensia  332. 
CaroH  M.  Expeditio  hisp.  208. 
Carolas  Magnus    167  ff.    276.    277; 
et  Leo  ill.  196. 

—  II.  Calvus  67.  227.  324.  325.  330. 

335. 

—  III.  207.  2.50.  272. 

—  (856—863)   Erzb.  v.  Mainz   265. 
Cassian  68. 

Cassiodor  73 — 80;  Chron.  7.  53.  54. 
61.  62.  75.  82.  83.  84;  Getica 
75—78;  Instit.  79;  Variae  79. 
80.    Vgl.  Historia  tripartita. 


Castellum  LucuUanum  53. 

Casus    S.  Galli    29.   267—268.  44L 

443.  453. 
Catalogus   Brixiensis    344:     Conon. 
65;  Felicianus  65. 

—  eodicumhagiograph.il;  testium 

veritatis  9. 

—  provinciarum     1S5;     regum    et 

impp.   183. 

—  pontt.  Rom.  61.  65. 

—  archiepp.  Lugd.  329:  Rem.  4.58: 

Senon.  470;  Trev.  40S;  Vienn. 
240. 

—  epp.  Argent.   446;    Atreb.   328; 

August.  448;  Basil.  276:  Con- 
stant.  267 :  Rat.  289 ;  Virdun. 321. 

—  abb.Aug.267:Blandin.431;Corb. 

255.  306;  Ferrar.  467;  Floriac. 
467;  Fuld.  262;  Murbac.  287: 
Xonant.  483:  S.  Bavonis  434; 
S.  Emm.  289:  S.  Galli  267; 
SS.  Udalr.  et  Afrae  448;  S.  Ve- 
dasti  328;  Weissenb.  266;  Wer- 
thin. 295. 

Catonis  disticha  3-34. 

CatuU  424. 

Cellanus  v.  Peronne  100. 

Celtis  4.  5.  370. 

Cena  Cypriani  259.  338. 

Centuriatoren  8.  9.  256.  314. 

Chartres  462.  463. 

Chelles  127.  330. 

Chevalier,  ül.  18. 

Childebrand  141.   142. 

Childerich  99. 

Chilperich  100.  101.  105. 

Christian.  Abt  v.  St.  Pantaleon  404. 

—  V.  Stablo  320. 
Christophorus,  primieerius  387. 
Chrodegang  (742 — 766). B.  v.  Metz 

161.  211. 
Chrodobertus.  B.  v.  Tours  111.  126. 
Chronica  de  sex  aetatibus  mundi224. 

—  S.  Benedicti  347. 

Chronicon   ad  a.  334  60;    univ.  ad 
a.  741    144.  220.  221.  225;   ad 
a.  796  223.  246.  247 :  ad  a.  805 
215.  221  ff.  224.  225.  328.  426; 
Adonis  143;  Altinate  485.  486; 
Aquitan.  225.  329;  Augustanum 
90;  breveAlam.224;  Brix..344 
Caesaraug.  95 ;  Canisianum  90 
Corbeiense   298.  305;    Cu.spini 
ani    61 ;    de   gestis    Norm.  323 
471;    Floriac.    467;    Fontanell 
222.  241;  Gothanum  178;  Gra 
den.se485;  Halberst.  deperd.377; 


Register. 


495 


imperiale  62    'J(l.  112;  Laures- 

hani.  257;  Lauson.  Chartul.  159. 

163;  Magdeburg.  :]^6;  Moissiac. 

163.  221.  222.  224.  225. 229. 297; 

Nonant.  483;  Novaliciense  208; 

paschale  64;    patr.  Grad.  485; 

Pithoeanum  90;    Sagorn.  485; 

Saleni.  341.  484— 485;  S.  Petri 

vivi  470:    S.  Victoris  225;   Ul- 

ricianum  90:    Ur.sperg.  2;    Ve- 

dast.  222.  323.  328;    Venetum 

485;  Vulturn.  341. 
Chunibert,  Lehrer  in  Salzburg  453. 

455. 
Chur  70. 

Churrer,  Caspar  7. 
Cicero  302.  403.  452.  462.  475;  vgl. 

Invectivae. 
Civate  181. 
Cividale  408. 

Clarius,  Mönch  in  Sens  470. 
Classe,  Kloster  489. 
Claudius  v.  Turin  171.  172.  224.  227. 
Clausula  de  Pippino  142. 
Clemens  Scottus  172;  alius  227.  253. 

324. 
Cluny  472—474.  488. 
Codex  Carolinus  36.  210.  316;   Eg- 

berti  408:  Einsidl.  280;  Einsidl. 

Vitae  Carol.  226:   Udalrici  36; 

Urbinas  113. 
Codex  epistolaris  Fuld.  256.  266. 

—  —  Froumundi  453. 

—  —  Lauresham.  419. 

—  —  Moguntinus  265. 
Coleti  13. 

Columba,  Stifter  v.  Jona  107  f.  130. 
Columban,   Stifter    v.   Bobbio   130 

bis  133. 
Comagena  50. 
Compilatio  Fuldensis  262.  263.  376. 

412. 
Computus  Helperici  332.  333. 
Conquestio  dom.  Chludovici  232. 
Conrad  L,  König  272.  306. 

—  (934—976)    B.  v.  Konstanz  440. 

—  V.  Hirschau  96. 

—  V.  St.  Avold  417. 

—  B.  Pilgrims  Schreiber  456. 
Conring  15. 

Constantin,  Abt  v.  St.  Symphorian 

417.  419. 
Constantinus  Porphyrogenitus   476. 

—  scholasticus  469. 
Constantius,  B.  v.  Albi  122. 

—  Luxoviensis  355.  447. 
Constructio  Farfensis  343. 


Consuetudines  S.  Emiuerarami  451. 
Consularia  Constantinop.  64 ;  Italica 

61.  92. 
Continuator  Bedae  146. 
--  Prosperi  vgl.  Prosper. 

—  Reginonis  263.  286.  410—412. 
Contzen  38. 

Conversio  Carantanorum  291. 

Corbic  127.  131.  299—301. 

Cornelimünster  231. 

Cornelius  34. 

Corvey  166.  300-302.  305.  306.  355. 

363.  364.  368.  394. 
Cosmographia  anon.  Rav.  74. 
Cozroh  287. 
Crantz  166.  223. 
Cuculus,  Schüler  Alcvins  176. 
Cuono  V.  St.  Avold  418. 
Cuspinian  3.  5.  61. 
Custos  Tillensis  419. 
Cyrillus  v.  Alexandria  64. 
Cysoing  193. 

D. 

D'Achery  12. 

Dado  (880-923)  B.  v.  Verdun  274. 

322.  335. 
Dahlmann  24.  37. 
Dares  Phiygius  142. 
David,  Chorbischof  334. 
Dedicatio  ecclesiae  S.  Petri  Babens. 

439. 

—  capellae  Litbac.  446. 
Dedimia,  Aebtissin  102. 
Deicolus,  ir.  Mönch  447. 

De  imp.  pot.  in  Urbe  Roma  348. 

Desiderius  v.  Cahors  121. 

Deuil  436. 

Diarium  Nepesinum  117. 

Dicta  abb.  Priminii  154. 

Dicuil  171. 

Diekamp  84. 

Dietrich  v.  Amorbach  360.  4U0.  468. 

—  V.  Niem  367.  479. 

—  Mönch    des    Mathiasklosters   in 
Trier  409. 

—  Vgl.  Theodericus. 
Diomedes,  lat.  Grammatiker  169. 
Dionysius  Areopagita  226.  317. 

—  chronographus  143. 

—  Exiguus  64.  143. 
Diptycha  71. 

Diptychon  S.  Maximini  406. 
Dodanae  liber  manualis  231. 
Domus  Carol.  Genealogia  182.  229. 


496 


Reffister. 


Donat,  B.  v.  Fiesole  170.  215. 

—  lat.  Grammatiker  73. 
Dortmund  193. 

Droctoveus,    Abt   v.   St.  Germ.-des- 

Pres  123. 
Drogo,  B.  V.  Metz  266. 

—  von  Bergues-St.  Winoc  480. 
Druthmar,  Abt  v.  Corvey  302.  396. 

—  vgl.  Christian  v.  Stablo. 
Dubduin  270. 

Du  Chesne  13. 

Dudo  von  St.  Quentin  471.  472. 

Duemge  20.  21. 

Duemmler  26. 

Dunchad  Scottus  334. 

Dungal  170.  175.  268.  292.  322. 

Dunstan,    Erzb.   v.   Canterburv  47. 

425.  4.35.  467. 
Dysibod  45. 

E. 

Ebbe,  Erzb.  v.  Reims  229.  232.  276. 
277.  326. 

—  B.  V.  Worms  898. 

—  Kustos  898. 

Eberhard,  Markgr.  v.Friaul  193.819. 

—  elsäss.  Graf  154. 
Eberhart  v.  Gandersheim  373. 
Eberwin  410. 

Ebrachar  (959—971)  B.   v.  Lüttich 

425.  426. 
Eburnant  v.  Hornbach  418. 
Ecbasis  captivi  421. 
Echternach  148.  296.  336.  355. 
Eckhart  16.  17.  18. 
Egbert    (977—993)    Erzb.    v.    Trier 

408.  409. 

—  Erzb.  V.  York  186. 

—  Abt  V.  Hy  14S. 

—  Lütticher  Lehrer  436.  437. 
Eginhard  u.  Emma  194. 

Egino   (f    802)    B.    v.  Verona  182. 

416. 
Eginold,  Abt  v.  Gorze  413. 
Egmond  315.  409. 
Eichstätt  153.  290.  456. 
EigiL  Erzb.  v.  Sens  310.  311. 

—  Abt  von  Fulda  2.53.  254.  259. 
Eika  (Aldeneyk)  319. 

Einhard  6.  8.'  36.  69.  143.  173.  194. 
198—209.  220.  229.  241.  244. 
247.  249.  253.  258.  261.  279. 
280.  .309.  427.  430.  482.  484; 
Ann.  216—220.  307;  vgl.  Vita 
Caroli. 


Einsiedeln  280.  285.  450.  451. 
Eirard,  B.  v.  Lisieux  288. 
Ekkehard  v.  Aura  vgl.  Frutolf. 

—  d.  Rote,  Domscholaster  in  Magde- 

burg 386. 

—  I.  in  St.  Gallen  442. 

—  11.  palatinus  352.  353.  354.  357. 

386.  895. 

—  IV.  267.  270.  271.  274—275.  395. 

440.  441—443.  449. 
Eidrad,  Abt  v.  Novalese  345. 
Electus,  Presbyter  Scott.  318. 
Elevatio  S.  Bertini  187. 
Elias,  B.  von  Angouleme  332. 

—  Abt  v.  Gr.  St.  Martin  403. 
Elipand,  Irrlehrer  188. 

Eller  (Helera)    Kloster  135. 

Ellwangen  243.  281.  451. 

Elog'um  Liberii  r)apae  65;  Wille- 
gisi  396. 

Elphegus  (1006—1012)  Erzb.  von 
Canterbury  435. 

Embricho  (864—899)  B.  v.  Regens- 
burg 288.  386. 

Emnilde,  Nichte  d.  Königin  Mech- 
thild  391. 

Endlicher  34. 

Engelmod,  B.  v.  Soissons  .302. 

Engilmar,  Abt  290. 

Enhardus  247.  248.  249. 

Ennodius  .53.  .54.  80.  97.  102. 

Epinal,  Kloster  417. 

Epistola  Adalb.  Ultrai.  436:  Ade- 
lardi  Blandin.  435 ;  Adsonia  405 ; 
Andreae  abb.  S.  Pancr.  482: 
Hulderichi  Aug.  7;  Luciferi  6; 
de  morte  Maioli  474;  de  obitu 
Odilonis  474;  Othelboldi  abb. 
Gand.  433;  Petri  Candiani  486; 
Victurii  152. 

Epistolae  Alati  290. 

—  Austrasicae  121. 
Epitaphium    Adalberonis    IL    417; 

Adalheidis  imp.  474;  Adventii 
322;  Aggiardi  208;  Ambrosii 
142:  Ansäe  reg.  180:  Arichis 
184;  Arsenii  302;  Bavonis  147. 
433;  Balderici  420:  Bened.  VIL 
481;  Bernaldi  277;  Brun.  Col. 
401.  402;  Chrodegangi  415; 
Damasi  papae  170;  Deoderici 
416;  Ebracharii  111;  Einhardi 
202;  Ekkehardi  395:  Folcwini 
424;  Germani  100;  Gerold!  277; 
Gregorii  V.  398:  Hathuvigae 
402:  Heinrici  com.  818;  Helmen- 
galdi    170;      Hildeberti     816; 


Register. 


497 


Hildegardae  182;  Hucbaldi  et 
Milonis  336;  Leonis  353:  Lo- 
tharii  I.  237;  Lud.  II.  imp. 
236;  Ludw.  regis  242;  Lulli 
lf.3:  Mich.  Rat.  449;  Nithardi 
235;  Ott.  M.  386.  474;  Pucifici 
345:  Petri  ep.  Verc.  481;  Petii 
abb.  Mediol.  344:  Pirniinii  154; 
Ratheni424;  Ratleici  244:  Ka- 
toldi  301;  Ricfridi  420;  Rud. 
diac.404;  Rutlandi  208;  Sende- 
baldi  415;  Stephani  353:  Wa- 
lahfridi  280:  Waren trudis  243; 
Wolfradi  402. 

Erchanaold,  Erzb.  v.  Mainz  436. 

Erchanbald  (882—912)  B.  v.  Eich- 
stätt  290. 

—  (1014—1020)     Erzb.    v.     Mainz 

395. 

—  (965—991)  B.  V.  Strassburg  442. 

446.  447. 
Erchanbold,  Abt  v.  Fleury  462. 
Erchanbcrti  Breviarium  240;  Cont. 

272. 
Erchembert.  Abt  v.  Nieder-Altaich 

455. 
Erchempert   von  Montecassino    67. 

341.  342.  485. 
Erich.  Herzog  168.  236. 
Erlebold,    Abt  von  Reichenau  276. 

277.  278.  284.  285. 
Erluin    (995—1012)    B.  v.  Cambrai 

425. 

—  Abt   V.    Gembloux   und  Lobbes 

429. 
Ermenald,  Abt  v.  Aniane  228. 
Ermengarde  307. 
Ermenrich  v.  Ellwaugen    174.    243. 

258.   280—283.   289.  290.  360. 
Ermentarius,    Abt    v.    Noirmoutier 

331. 
Ermoldus  Nigellus  228. 
Eucherius,  B.  v.  Lyon  47. 
Eugenius,  Erzb.  v.  Toledo  93. 

—  Vulgarius  339. 
Eugippius  50—55.  109. 
Eusebius  58.  59.  88. 
Eustasius  132.  134.  135.  137. 
Eutrop  57.  75.  87.  180. 

Everger    (985—999)    Erzb.  v.  Köln 

404. 
Ewald,  Paul  27.  37. 
Exceptura  ex  gestis  regum  480  bis 

481. 
Excerptum  ex  Chron.  Orosii  63. 

—  de  Gestis  Rom.  pontiff.  466. 
Exordia  Scythica  78. 


F. 

FabriciuK,  .].  A.  18. 
Farabert    (947—953)    H.  v.  Lüttich 
435. 

—  Abt  V.  Prüm  311. 
Fardulf,  Abt  v.  St.  Denis  222. 
Farfa  343. 

Fasti  consulares,  Idatiani  64;  Rav. 

61—63.  75.   89.   90.   112.    343; 

Vindobon.  61. 
Faustinus  172. 
Faviana  51.  52.  53.  55. 
Fecunda  ratis  437. 
Festus,  röm.  Grammatiker  184. 
Feuchtwangen  44«.  452.  453. 
Ficker,  .Julius  34.  35. 
Fiducia  191. 
Fincke,  .1.  P.  18. 
Fingen,  Schottenabt  415. 
Flacius  lllyricus  6.  8. 
Flavianus  179. 
Flavigny  221.  811.  420. 
Fleury  446.  462.  466—469. 
Flodoard   214.  229.   326.  333.  407. 

427.  457—460.  463. 
Florbert,    Abt  v.    Gent     147.    431. 

433. 
Florentius,  B.  v.  Strassburg  135. 
Flores  temiiorum  2. 
Florian,  der  heil.  44.  47.  48. 
Florus,  diac.  Lugdun.   67.  232.  279. 

309.  345. 

—  röm.  Historiker  87.  239. 
Folcard,  Abt  v.  Blandigny  431. 
Folcmar    (965—969)    Erzb.  v.  Köln 

402.  404. 

—  B.  V.  Utrecht  382.  414. 

—  Abt  V.  Weissenburg  376. 
Folcwin  (817—855)  B.  v.  Therouanne 

427. 

—  Abt  V.  Lobbes  u.  St.  Bertin  240. 

424.  426.  427.  428. 
Folmar  vgl.  Folcmar. 
Fontes  rerum  Austriacarum  34. 
Formulae  121.    164.  173.  176.  187; 

Alsat.    273;    Aug.    274.     277; 

Salom.  273. 
Fortiinatus    vgl.    Venantius    Fortu- 

natus. 
Fragmentum  Chesnianum  159.  162. 

223. 

—  de  Arnulfo  duce  452:  de  Bonif. 

VII.  481;  de  Lud.  iun.  250;  de 
Pippino  duce  144. 

—  ex  libro  aureo  Eptern.  143;    ex 

membr.  Floriac.  468. 


Watt enbach,  Geschichtsquellen.    I.    7.  Aufl. 


32 


498 


Register. 


Franco  (854—901)  B.  v.  Lüttich  318. 

319. 
Francorum  regum  historia  240. 
Frankenchronik,  Lorscher  228.  245. 

263. 
Frauenbildung  356.  357. 
Frecht,  Martin  8. 
Frechulf,    B.   v.  Lisieux   238—240- 

258.  330. 
Freckenhorst,  Kloster  296. 
Fredegar  114-118.   119.   120.  122. 

132.    142.    143.    144.   182.  185. 

211.  221.  222.  291.  328:  Cont. 

122.   141—143.   144.  214.  215. 

220.   221.   222.   223.   241.  328. 
Fredigardus  v.  St.  Riquier  332. 
Freher  18. 

Freising  136.  138.  171.  287.  454. 
Fridugis  187. 
Friedrich  (937—954)  Erzb.  v.  Mainz 

286.  395.  440. 

—  (954—990)   Erzb.  v.  Salzb.  400. 

453.  454. 

—  (bis  838)  B.  v.  Utrecht  437. 
— ,  Johannes  46.  47. 
Fritzlar  154. 

Frodebert,  B.  v.  Tours  122. 
Frothar  (813—848)  B.  v.  Toul  322. 
Froumund  402.  452. 
Frutolf  121.  349.  367.  368.  380.  466. 

479. 
Fulbert.  B.  v.  Cambrai  434. 

—  V.  Chartres  193.  463. 
Fulco,  B.  V.  Amiens  472. 

—  (882—900)    Erzb.  v.  Reims  236. 

326.  334.  335.  458. 
Fulda  71.  166.  199.  202.  206.  238. 

244.  248.   251—266.   267.  269. 

397;  Necrol.  203. 
Fulrad,  Abt  276. 
Fundatio  Blandin.  430;   Corb.  301; 

Gladb.  405;  Heining  384;  No- 

nant.  482.  Werthin.  296. 


GalifiFe  38. 

Gallus,  der  heilige  133.  134. 

—  B.  V.  Clermont  104. 

Gallus  Oehem  154.  275.  445. 

Gandersheim  306.  369—373.  377. 

Garamnus,  Archidiak.  v.  Reims  460. 

Garemann,  Abt  v.  Hornbach  418. 

Gatterer  19. 

Gaudentius  388. 

Gauderich,  B.  v.  Velletri  338. 


Gauzlin,  Erzb.  v.  Bourges  468. 

—  B.  V.  Paris  330. 

—  (922—963)  B.  v.  Toul  421. 

—  Abt  V.  St.  Amand  335. 
Gebhard    (996—999)    B.   v.  Augsb. 

449. 

Gebehard  IL  (980—995)  B.  v.  Kon- 
stanz 446. 

Geddo,    Lehrer  in  Magdeburg  386. 

Gellius  104. 

Gellone  66.  231. 

Gembloux  428.  429. 

Genealogia  S.  Arnulfi  183;  Arnulfi 
com.  436;  Caroli  maioris  183; 
Carolorum  Mettensis  183;  du- 
cum  Brabantiae  183;  regum 
Francorum  183. 

Gennadius  89.  95. 

Gent  248.  430—433. 

Geographus  Bawarus  289. 

Gerald,  St.  Galler  Lehrer  442. 

Gerberga,  Königin  356.  422. 

—  Aebt.  V.  Gandersheim  357.  370. 
Gerbert,  Abt  v.  Corvev  306. 

—  (Silvester  IL)  340.  353.  354.  385. 

408.  416.  421.   422.  436.   437. 

452.  460—463.  469.  487. 
Gerbodo,  Abt  v.  Lorsch  397. 
Gerfrid  (809—839)     B.    v.  Münster 

295. 
Gerhard'  (963—994)  B.  v.  Toul  421. 

422. 
~  Abt  V.    Brogne   430.    434—436. 

462. 

—  Abt  V.  Seeon  401.  454. 

—  Augsburger    Priester    395.    448. 

449. 
Gerhous  403. 
Gerlannus,  Kanzler  481. 
Germain  12. 
Gero  (969—976)  Erzb.   v.  Köln  403. 

404. 
Gerold,  Graf  272.  276. 

—  Kaplan  220. 

Gesta  Aldrici  Cenom.  333;  Apollonii 
433;  Berengarii  346.  347;  Cae- 
sarum  218;  S.  dementia  338; 
Dagoberti  120.  121.  328;  Fran- 
corum 118—120.  121.  123.  125. 
142.  144.  221.  240.  312.  365. 
378;  Heinrici  IV.  5.  308;  Od- 
donis  L  370;  Remens.  328; 
Theoderici  80.  116;  Treviro- 
rum  409.  410.  450:  Witigowonis 
445. 

—  Pontt.  Rom.  65.   163.   337.  341. 

483. 


Register. 


499 


Gesta  archiepp.  Magd.  3ö7. 

—  epp.    Autisiod.     333;    Camerac. 

328;  Cenom.  334;  Halb.  380. 
392;  Leod.  428;  Mett.  182.  419; 
Neap.  341.    342;    Veidun.  321. 

—  abb.  Ö.  Bertini    187.   427;    Fon- 

tanell.  241;  Lob.  42(5. 
Giesebiecht  39. 
Gildas  146. 
Giraldus,  Freund  des  Abbo  v.  Fleury 

466. 
Girard  de  Rossillon  329. 
Gisiler  (981—1004)  Erzb.  v.  Magd. 

386.  391. 
Gladbach  404. 
Glaiifeuil  331. 
Glossao  Salomonis  274. 
Gnesen  387. 

Gobeliniis  Person  143.  251.  304. 
Godefrid   (9ö0— 961)    B.    v.   Speier 

399. 
Godehard  (1022—1038)    B.  v.  Hild. 

355.  385. 

—  Erzb.  V.  Salzburg  455. 
Goderamnus,  Abt  in  Hild.  383. 
Godesscalk  (994—1006)  B.  v.  Freis. 

454. 

—  can.  Leod.  317. 

—  Ketzer  236.  259.  278.  826. 

—  Kalligraph  169. 
Godobald,  Abt  v.  St.  Denis  317. 
Gogo  122. 

Goldmann,  A.  39. 
Gonter,  Abt  v.  Brogne  435. 
Gorze  161.  405.  413-415.  460. 
Gozbald  (841—855)   B.  v.  Würzburg 

243.  281.  282.  289. 
Gozbert,  Abt  v.  Hersfeld  376. 

—  Abt  V.  St.  Gallen  134.  268. 

—  dessen  Neffe  268.  269.  282. 
Gozpert,  Abt  v.  Tegernsee  452. 
Grand val,  Granfelden  134.  270.  333. 
Graphia  aureae  ux'bis  Romae  483. 
Grautotf  33. 

Gregorius  I.  papa  69.  147.  169.  183. 
185.  417. 

—  V.  398. 

—  Turon.  5.  63.  100-  103-114.  115. 

116.  118.  119.  120.  128.  138. 
142.  185.  328;    bist.  epit.  115. 

—  V.  Utrecht  293.  294. 

—  V.  Farfa  479. 
Gretser  10. 
Griechen  358. 
Grifo  143. 

Grimald,  Abt  v.  St.  Gallen  243.  266. 
267.  269.  275.  278. 279.  281.  282. 


j    Grimm,  Gebr.  19. 
I    Gruber  16. 
i    Gudinus  355. 

Guido  l'isanus  74. 

Guimann  von  St.  Vaast  328. 

Gumpold,    B.  V.  Mantua   354.    375. 
487. 

Gundeland,  Abt  v.  Lorsch  161. 

Gundlach  27.  39.  40. 

Gundohin  117. 

Gundram,  k.  Kaplan  281. 

Gunthar    (849—863)    Erzb.  v.  Köln 
262.  316. 

-  (1024—1025)  Erzb.  v.  Salzb.  425. 
453. 

Gunzo  V.  Novara  351.  352. 


H. 

Haeusser,  L.  38. 
Hahn,  S.  Fr.  16. 

Haimin  von  St.  Vaast  327—328. 
Haimo  (840—853)  B.  v.  Halberstadt 
258.  308.  379. 

—  (991—1024)    B.    V.  Verdun  420. 

425. 

—  von  Auxerre  332. 

Haistulf  (813—825)  Erzb.   v.  Mainz 

264. 
Haito  V.  Reichenau  222. 
Halberstadt  379.  380. 
Haldulf,  B.  V.  Cambrai  161. 
Hamberger  18. 
Hamburg  175.  297. 
Hardolf,  Abt  418. 
Hariulf  192.  193.  194.  281.  331.  332. 
Hartgar  (840—854)    B.    v.    Lüttich 

319. 
Hartmann,  Abt  v.  St.  Gallen  441. 

—  Mönch    in  St.  Gallen    269.   272. 

443. 

—  L.  27. 

,    —  Seh  edel  2. 

,    Hartmut,  Abt  v.  St.  Gallen  258.  267. 

I  270. 

Hartwich,  Abt  v.  Tegernsee  406. 

Haslach  135. 
I    Hathumod  306.  373. 
I    Hathuwig,  Herzogin  von  Schwaben 
356. 

—  Aebtissin  v.  Essen  (f  947)   402. 
Hatto    (891—913)    Erzb.    v.    Mainz 

266.  273.  312.  335.  368. 

—  L,  Abt  V.  Fulda   253.  257.  259. 

—  III.,  Abt  V.  Fulda  467. 

—  mjser  418. 


500 


Register. 


Hatto  \'.  Vieh  460. 

Hauto,  Abt  V.  Stablo  421. 
Hazecha  v.   Quedlinburg  357.  373. 

399. 
Heda,  Wilhelm  487. 
Hedwig  vgl.  Huthuwig. 
Heeren  22. 
Heerwagen  7. 
Hegel,  Karl  34. 
Hegilwich,  Aebtissin  330. 
Heidenheim  1.53.  154. 
Heinrich  iL,   Kaiser  355.  362.  389. 

401.  450.  451. 

—  Herzog  V.  Oesterreich  55. 

—  (973—982)  B.  v.  Augsburg  448. 

—  (956—964)    Erzl).   v.    Trier  408. 

450. 

—  (995—1018)  B.  V.  Würzburg  380. 

395.  400. 

—  V.  Gent  95. 

—  V.  Herford  303.   304.   373.  479. 
Heirich  v.  Auxerre  258.   308.    324. 

332—333.  334.  417.  473. 
Heito  (806—823)    B.   v.   Basel  275. 

276.  278. 
Helisachar  238. 
Helmold  7. 
Helpericus  332.  33:^. 
Hen sehen,  Gottfr.  11. 
Herford  303.  304.  373. 
Heribert  (999—1021)  Erzb.  v.  Köln 

362.  398.  404.  405. 
Heriger  (913—926)  B.  v.  Mainz  362. 

—  Abt  V.   Lobbes    428.    432.  436. 
Herivaeus,  Erzb.  v.  Reims  266.  427. 

—  Schatzmeister  v.  St.  Martin  467. 
Hermann  (890—927)  Erzb.  v.  Köln 

423. 

—  (1018—1026)    B.    V.   Toul    423. 

425. 

—  V.  Altaich  453. 

—  V.  Reichenau  7.  62.  75.  165.  276. 

286.  411;  Martyrol.  67. 

—  V.  Tournai  328. 

—  Wormser  Kler.  399. 
Hermold,  Abt  228. 

Hersfeld  165.  263.  264.  376.  397. 

Herveus  vgl.  Herivaeus. 

Herward,  Notar  396. 

Hethis  im  Solling  300. 

Hetti  (814—847)  Erzb.  v.  Trier  243. 

309. 
Hezelo  (1018—1026)  B.  v.  Toul  425. 
Hibernicus  exul  171. 
Hieronymi  Chron.  7.  5S.  59.  60.  62. 

75.  83.  87.  88.  89.  90.   91.  92. 


95.  115.  122.  142.  144.221.328; 

Martyrol.  6ß;    de   viris  ill.  95. 

132.  239. 
Hilariacum  (St.  Avold)  161. 
Hilarianus  de  cursu  temporum  142. 
Hilarius,  Papst  64. 
Hildebald.  Erzb.  v.  Köln  215.  315. 

321. 

—  B.  V.  Soissons  332. 
Hildebold,  Lehrer  334.  421. 
Hildebrandslied  261. 
Hildegar,  B.  v.  Meaux  12.". 
Hildegrim  (853—888)    B.   v.    Halb. 

296. 
Hildemar  v.  Civate  344. 
Hilderich,  Abt  v.  Prüm  407. 
Hildesheim  381—385. 
Hildeward  (968—996)    B.    v.  Halb. 

379. 
Hildoard  (um  800)  B.  v.  Cambrai  322. 
Hilduin  (842—849)  Erzb.  v.  Köln  316. 

—  Abt  V.  St.  Denis  143.  215.  226. 

278.  279.  301. 
Hildulf  135. 

Hilmerad,  B.  v.  Cambrai  300. 
Hincmar,  B.  v.  Laon  326. 

—  Erzb.    V.   Reims  108.    213.    214. 

227—228.  243.  256.  324.  325  bis 
326.  458.  459.  463;  de  ord.  pal. 
302:   de  villa  Novill.  214.  326. 

—  Abt  v.  St.  Remi  462.  466. 
Hinschius  24. 

Hippolytus  Portuensis  60.   114. 

Histoire  literaire  de  la  France  38. 

Historia  abb.  Agaun.  113;  Daretis 
Frigii  116.  122;  Francorum 
Aimoini  469 ;  Francorum  regum 
240;  Francorum  Senon.  470: 
Friderioi  L  2;  Langob.  cod. 
Goth.  17S;  Lombardica  68; 
miscella  180.  -355.  467;  rela- 
tionis  S.  Richarii  193;  Remensis 
458.  459.463;  Sanguinis  Domini 
444:  tripartita  78.  300.  338. 
4.52.  4.55;  S.  Walarici  4.35; 
Wambae  regis  92. 

Historiae  Francorum  Steinveld.  183. 

Hitto  (810—835)  B.  v.  Freising  287. 

Hofschule  173.  243.  258.  320.  323. 
324.  334.  358.  423. 

Höhlbaum  35. 

Holder-Egger  26.  31. 

Homerus  latinus  282.  346.  452. 

Homiliarium  Caroli  Magni  182. 

Honorii  Imago  mundi  2. 

Honorius  de  SS.  eccl.  95. 

Horaz  189.  304.  357.  423.  452.  475. 


Register. 


501 


Hornbach  154.  418. 

Hrabanus  Maurus  67.  201.  202.  232. 

238.  239.  243.  249.  253.  255.  256 

bis  261.  264.  265.  266.  267.  278. 

281.   288.    289.   308.   311.  403. 

437.  473. 
Hrotrohc  138. 

Hrotsvit  4.  360.  367.  369—372.  479. 
Hubakl,  vgl.  Hucbald. 
Huber,  Alfons  35. 
Hubert    (708—727)    B.    v.    Lüttich 

318. 

—  Priester  v.  St.  Vaast  328. 
Hucbald  v.  St.  Amand  149.  218.  296. 

324.  332.    335—336.   420.  423. 

—  Lütticher  Lehrer  425. 

Hugo  (945-947)  B.  v.  Lüttich  406. 
425. 

—  Erzb.  V.  Reims  462. 

—  (942—989)  Erzb.v.  Rouen  471. 

—  Abt  V.  Cluny  360. 

—  Abt  V.  Saint-Quentin  236. 

—  Archid.  v.  Tours  467. 

—  V.  Flavigny  357.  466. 

—  V.  Fleury  469.  470. 

—  V.  Trimberg  96. 

Humbert    (832—841)    B.    v.    Würz- 
burg 289. 
Hunibald  9. 

Huoggi,  Abt  V.  Fulda  262. 
Husward  vgl.  Usuardus. 
Hydatius  64.  91.  92.  115.  116. 


I. 


Ibrahim  ibn  Ja'qüb  369. 
Idatius  vgl.  Hydatius. 
Ido,  Trauslatio  S.  Liborii  XII. 
Ildefons  von  Toledo  95. 
lUatio  S.  Benedicti  468. 
Immo,  B.  V.  Arezzo  419.  438. 

—  Abt  V.  Gorze  u.  Prüm  380.  415. 

445. 

—  Abt  V.  Münster  442. 

—  Abt  V.  St.  Gallen  442. 

—  Abt  V.  Waulsort  415. 

—  imperator  bei  Widukind  366. 
Importunus,  B.  v.  Paris  122. 
Inden  vgl.  Cornelimünster. 
Indiculus  Arnonis  176. 
Ingramnus,  B.  v.  Laon  218. 
Institutio  de  diversitate  officiorum 

192. 
Invectiva  in  Romam  339. 
Invectivae  Ciceronis  in  Sallustium 

452. 


Inventio  S.  Gisleni  435;  Hunegundis 
462;  Maurini  404. 

Irland  145.  148;  vgl.  Schotten- 
mönche. 

Irmingard,  Kaiserin  259.  279. 

—  vgl.  Ermingarde. 
Irraintrud,    Gem.    Karls   d.  K.  279. 

324. 
Isidorus  Hispalensis  55.  92.  93 — 95. 
112.  113.    115.    120.   122.    123. 
178.  221.  328.  347;    cont.  113. 

—  Pacensis  92. 

Isker,  Abt  v.  Murbach  287. 
Iso  von  St.  Gallen  270.  274. 
Israel,  irl.  Bischof  358. 
Italia  Sacra  13. 

Iterius,  Abt  v.  St.  Martin   188. 
Ivrea  481. 


J. 


Jacobus  Januensis  68. 

Jaife  25.  36.  37. 

Janssen  34. 

.leremias  Orestes  488. 

Johannes,  Herzog  v.  Neapel  342. 

—  papa  VIII.  338. 
IX.  291. 

XVI.   vgl.   Joh.  Philagathos. 

—  B.  V.  Arezzo  482. 

—  Canaparius,  Abt  388.  488.  489. 

—  Abt  V.  Gorze  413—415.  421.  478. 

—  Abt  V.  Montecassino  340. 

—  Abt  V.  St.  Arnulf  413.  414. 

—  Abt  V.  St.  Maximin  442. 

—  diac.  Neap.  340.  341. 

—  diac.  Rom.  147.  338. 

—  diac.  Ven.  485. 

—  Biclariensis  91. 

—  Calaber  vgl.  Joh.  Philagathos. 

—  von  Cluny  473. 

—  Fuldensis  253.  360. 

—  Longus  435. 

—  Philagathos  354.  488. 

—  Scottus  323—324. 

—  v.  St.  Vincenz  341. 

—  V.  Thielrode  434. 

—  Trithemius  vgl.  Trithemius. 
Jonas,  B.  v.  Orleans  318.  324. 

—  V.  Susa  107.  108.  127.  130.  132. 

133.  179. 
Jordanis  2.  5.  7.  62.  72.  74.  75.  76. 

78.  80—87.  112.  118.  239.  328. 

365. 
Jordanus  177. 
Jornandes  vgl.  Jordanis. 


502 


Register. 


Joseph  Anglicus  171. 

—  Lehrer  Ludw.  d.  Stammlers  330. 

Josephus,  Bellum  Jud.  83.  466. 

Jotsaldus  von  Cluny  474. 

Joviacum  58. 

Judio,  Schüler  Hucbalds  420. 

Judith,  Kaiserin  227.  239.  324. 

Julian,  B.  v.  Toledo  92. 

Julius  Africanus  58. 

Jumieges  194.  252. 

Jung,  J.  H.   16. 

Justinus  78.  83.  88.  314. 

Justus,  Abt  172. 

Juvavum  43. 

Juvenal  347.  403.  475. 


K. 

Kaddroe,  Abt  415. 

Kaisers  werth  149. 

Kalender  60. 

Kaltenbrunner  37. 

Karl  vgl.  Carolus. 

Kehr,  P.  37. 

Knust  24. 

Koblenz,  Castorstift  71. 

Köln  6  f.  43  ff.  315.  401—405.  420. 

Köpke  25. 

Kommissionen,  historische  34. 

Koner  34. 

Konrad  vgl.  Conrad. 

Konstanz  70.  184.  268.  446. 

Kralo,  Abt  v.  St.  Gallen  453. 

Krause,  Jo.  Chr.  19. 

—  Viktor  27. 
Kremsmünster  171. 
Krusch  27. 
Kunigunde,  Kaiserin  357. 

L. 

Lambach  48. 

Lambert  (bis  708)   B.   v.  Mastricht 
316.  317. 

—  von     Blandigny  431. 

—  von  Hersfeld  3.  7.  19.  153.  165. 

263.  264.  376.  377. 
Lammspring  307. 
Lampert  vgl.  Lambert. 
Landelin  135. 

Landerich,  B.  v.  Meaux  121. 
Landulfus  Sagax  180.  355. 
Lang,  Paul  3. 

Langobarden  177  ff.;  Herkunft  178. 
Lantbert  vor].  Lambert. 


Lanto,  B.  v.  Augsburg  283. 

Laon  332. 

Lappenberg  25.  33. 

Laubach  vgl.  Lobbes. 

Laudes  S.  Bonifatii  320. 

Lauffen  am  Neckar  290. 

Laurentius  Casin.  487. 

Lausanne  112.  162. 

Laus  Hispaniae  95. 

Legenda  aiirea  68. 

Legenden  68. 

Leibniz  14 — 17. 

Leich   von    den  beiden   Heinrichen 

362;  vgl.  Ludwigsieich. 
Leidrad  (799—813)  B.  v.  Lyon  172. 
Le  Mans  333.  334. 
Leno,  Kloster  344. 
Leo  papa  VII.  457. 

VIIL  478. 

IX.  423. 

—  V.  Ostia  341.  365. 

—  B.  V.  Vercelli  395.  481.  482. 

—  Abt  u.  Legat  340.  462. 

—  Archipresbyter  342. 
Leobgyth  154.'  260. 
Leon  488. 

Lerins,  Kloster  90. 
Liafwin  149.  295.  433. 
Libellus  de  imp.  pot.  348. 

—  de  maior.  domus  143.  183. 

—  supplex  uion.  Fuld.  253. 
Liber  aureus  Prüm.  407 ;  diurnus  482 ; 

donationum  Bremensiseccl.  297 ; 
generationis  60-  115.  142;  He- 
remi 441;  bist.  Francorum  118 
bis  120;  manualisDodonae  231 ; 
pontificalis  H5.  163.  185.  221. 
228.  337.  341.  412.  483.  484; 
vitae  eccl.  Dunelm.  72;  vitae 
Einsidl.  441. 

Libri  Carolini  174.  188. 

Lieder  41. 

Lietald,  Abt  v.  Mouzon  435.  462. 

Ligiirinus  4.  5. 

Lindisfarne  139.  165. 

Lioba  vgl.  Leobgyth. 

Lippach  446. 

Liudfrit,  Lehrer  in  Salzburg  400. 
453. 

Liudger  (804—809)  B.  v.  Münster 
171.  293-295. 

Liudolf  vgl.  Ludolf". 

Liudprand  o.  8.  353.  358.  871.  412. 
416.  435.  454.  474—480. 

Liudulf  vgl.  Ludolf. 

Liuphram  (836—859)  Erzb.  v.  Salz- 
burg 292. 


Register. 


503 


Liutbeit  (863—889)  Erzb.  v.  Mainz 
244.  250.  26r).  2(J6.  274. 

—  (849—871)  B.  V.  Münster  295. 
Liutbirg,  Klausnerin  304.  356. 
Liutbar     von    Reichenau    (?)    355. 

444. 
Liuthard,  Abt  von  Reichenau  444. 
445. 

—  Probst  321. 

Liutokl  (989—996)  B.  v.  Augsburg 
448. 

Liutolf  vgl.  Ludolf. 

Liutward  v.  Vercelli  250.  273. 

Livinus  147.  433. 

Livius  88.  149.  219.  294.  365. 

Lobbes  (Laubach)  145.  320.  424. 
426.  433. 

Loewenfeld  37. 

Lorch  48.  53.  55.  56.  455. 

Lorenz,  Ottokar  39. 

Lorsch  161.  213.  223.  397;  Nekro- 
log 203.  .397;  vgl.  Franken- 
chronik. 

Lothar,  Kaiser  259.  262.  279. 

Lothringen  401  ff. 

Lucan  197.  403.  417.  485. 

Lucrez  278.  282.  287. 

Luder,  P.  2. 

Ludolf,  Graf  306. 

—  (994-1008)  B.  v.  Trier  418. 

—  Abt  V.  Corvey  303. 

—  Mainzer  Priester  265. 
— ,  Notar  Liutolf  A  410. 
— ,  Hiob  15.  16. 

Ludwig  der  Fromme  226-232.  278. 
324. 

—  der    Deutsclie    242—245.    292. 

Ludwigsieich  237.  335. 

Lüttich  145.  292.  311.  316—319.  420. 

423—428.  434.  450.  454. 
Lukianos  476. 
Lul,    Lullus    (754—786)    Erzb.    von 

Mainz  151—153.  252.  262.  263. 

265. 
Lupicinus  114. 
Lupoid  V.  Bebenburg  6. 
Lupus,  B.  V.  Chälons  259. 

—  B.  V.  Troyes  187. 

—  V.  Ferrieres  154.  202.    206.  227. 

244.  257—258.   264.   309.   310. 

324.  330.  332. 
Lutra,  Lure  134.  447. 
Luxemburg  408. 
Luxeuil  66.  116.  130—132.  134.  354. 

421. 
Lyon  6.  47.  172.  447. 


M. 

Maassen  26. 

Mal)illon  12.  28. 

Macrobius  73. 

Madalwin  55.  290. 

Mader  5. 

Magdeburg  6.  8.  367.  385—390. 

Magno,  Erzb.  v.  Sens  173. 

Magnus  v.  Reichersberg  479. 

Mago  (t  831)  Priester  260. 

Mahtbild,    Königin   35G.   373.   375. 

—  Aebt.  V.  Herford  373. 

—  Aebt.  V.  Quedlinb.  364.  375. 
Mailand  92.  179.  344. 

Mainz  6.   151  —  152.   248.   250.   264 

bis  266.  395.  441. 
Majolus,  Abt  v.  Cluny  259.  360.  473. 
Malmedy  317.  320.  321. 
Manlius  4. 

Manno,  Probst  320.  324.  423. 
Mansi  9.  13. 

Marcellinus   comes    62.   82.   83.  86. 
Marchelm  (Marcellinus)  149. 
Marcnlf  121. 

Marcus,  B.  v.  Soissons  333. 
Marcward,  Abt  v.   Prüm   309.    310. 
Marianus  Scottus  75.  244.  263.  286. 

356.  376. 
Marius  Aventicensis  62.  91.  92.  112 

bis  113.  119. 
Markomir  74. 
Marraoutier  330. 
Martianus  Capella  73.  104.  272.332. 

352. 
Martin  v.  Troppau  30.  484. 
Martinus  Bracarensis  92. 

—  Gallus  388. 

—  Turonensis  69.  102.   105.  107. 
Martyrium  S.  Proctipii  342.  485. 
Martyrologien  46.  48.  61.  66—69. 
Martyrologium  Augiense  67.  275. 

—  Frising.  455. 

—  Gellonense  66. 

—  Romanum  15. 
Masmünster,  Abtei  169. 
Massai  in  Berry  329. 
Matthaeus  Palmerius  90. 
Matthias  Palmerius  90. 
Mauriner  12.  13.  14.  18. 
Maximian  (546 — 556)  B.  v.  Ravenna 

62.  343. 
Maximilian,  Kaiser  3.  4. 
Maximus  von  Zaragoza  95. 
Mediolani  Descriptio  179. 
Megenfrid  v.  Fulda  9.  238. 
Megilo,  Abt  v.  Tegernsee  288. 


504 


Register. 


Megingaud,    Abt   v.  St.   Martin    in 

Trier  410. 
Megingoz  (791—794)  B.  v.  Würzb. 

151. 

—  Abt  V.  Hersfeld  377. 
Meginhard  von  Fulda  249.  250-  262. 

266.  316. 

Meginrat,  der  heilige  285. 

Meingold  193.  321. 

Mela,  Pomponius  83. 

Melanchthou  7. 

Melk  14. 

Mencke  18. 

Mensuratio  orbis  1G9.  171. 

Merkel,  Job.  24. 

Merseburg  390.  391. 

Meseritz  388.  389. 

Metz  116.  161.  182.  222.  322.  412 
bis  419.  4.54. 

Michael  (944—972)  B.  v.  Regens- 
burg 449. 

Michaelstein  304. 

Michelsberg  401.  466. 

Michelstadt  i.  Odenwald    201.  202. 

Mico  V.  St.  Riquier  196.  234.  235. 
331—332. 

Micy,  Kloster  469. 

Milo  (969—996)  B.  v.  Minden  380. 
381 

—  von   St.  Amand    128.   324.   327. 

335. 
Mirabilia  Romae  61. 
Miracula    sanctae   Adalheidis    474; 

Bertae   330;   Giodesindis    414; 

Verenae  444;  Waldburgae  Hei- 

denh.    154.    290;    Waldburgae 

Tiel.  438. 

—  sancti  Adalberti  389.489 ;  Adelphi 

286;  Agrippini  342;  Angilberti 
193;  Apri  422. 

—  Basoli  422;  Bavonis  431;  Bene- 

dicti  331.  468.  469;  Bercharii 
422;  Bernwardi  384;  Bertini 
331;  Columbani  481;  Ermini 
428;  Eugenii436;  Filiberti  331. 

—  Galli    267.    269:    Genesii    283; 

Germani  330.  333.  474;  Goaris 
310;  Gorgonii  414.  415. 

—  Mansueti   422;   Marei  284.  444; 

Martialis  331 ;  Mauri  331 ;  Maxi- 
mini 406;  Nazarii  397. 

—  Othmari   267.   270;   Pantaleonis 

404;Pirminii418;  Quintini  331; 
Remacli  .320;  Richarii  193; 
Ursmari  428. 

—  Vedasti  327. 

—  Waideberti    422;    Wandregisili 


241 ;  Wigberti  377.  397 ;  Wille- 

hadi  297. 
Miracula  Sanctorum  Fuld.  260. 
Modena  237. 
Modestus  253.  256.  279. 
Modoin,  B.  v.  Autun  174.  279. 
Modus  Ottinc  362. 
Moengal  (Marcellus)  270. 
Mohl  26. 
Molinier  X.  40. 
Mombritius  10. 
Momrasen  26. 

Mönch  v.  Kirschgarten  247. 
Monachus  Sangallensis  170.207.208. 

240.  272. 

—  Ultraiectinus  S.  Pauli  419. 
Mondsee  171. 

Mone  33. 

Monod,  G.  37. 

Montecassino  67.  171.  181.  182.  252. 

.300.  339.  340.  341.  467. 
Montglonne,  Kloster  236. 
Montierender  421. 
Monumenta  Germaniae  18 — 32. 
Moriuth  471. 
Mouzon  462. 
Moyenmoutier  388. 
Mühlbacher  26.  35. 
Mühlheim  a.  M.  (Seligenstadt)  202. 
Müller,  Joh.  19. 
Münster  im  Gregorientale  376. 

—  in  Westfalen  166.  295.  305. 
Muratori  13. 

Murbach  154.  164.  285.  286. 


Narratio  clericorum  Rem.  326. 

Naso  174.  200.  228.  282. 

^^eapel  339.  341. 

Nekrologien  XI.  69.  70. 

Nennius  146.  328. 

Neuweiler  bei  Zabern  286. 

Nibelung  142. 

Nibelungen,  lat.  456. 

Nicolaus  v.  Siegen  96. 

Nidbruck,  K.  v.  8. 

Nieder-Altaich    171.  243.   289.  458. 

455. 
Niedermünster,  Regensb.  452. 
Nienburg  387. 

Nithard  194.  230.  233—235. 
Nivelle  145. 
Noirraoutier  300. 
Nonius  Marcellus  423. 
Nonantula  482—483. 


Register. 


bOl 


Nonsberger  Märtyrer  48. 
Norbert,  Abt  v.  St.  Gallen  443. 
Nordhausen  378.  374. 
Nordhorn,  Kloster  298. 
Nota  de  unct.  Pippini  142. 
Notae    Bronienses   43G;    iuris    173; 

S.    Maximini    406;    Senonenses 

470;  S.  Vict.  Xant.  315. 
Notitia   de   servitio   nionasteriorum 

'225. 
Notker    (972-1008)   B.    v.    Lüttich 

420.  423.  425-428.  430.   432. 

436.  446.  454. 

—  Balbulus  54.   67.  207.  240.  269. 

270.   272—274.  322.   360.  376. 
444.  446.  449.  474. 

—  Labeo  oder  Teutonicus  441.  442. 

—  Pfefferkorn  354. 
Novalet^e  193.  345. 
Novara  71. 
Nuenar,  Graf  6.  9. 


0. 

Obermünster,  Regensb.  452. 

Ochsenhausen  3^8. 

Odbertt992— 1004)  B.  v.  Verona  450. 

—  Abt  V.  St.  ßertin  427. 

—  von  Lorsch  397. 

—  von  Utrecht  437- 
Odelrich,  B.  v.  Cremona  479. 

—  (961-969)   Krzb.  v.  Reims  460. 
Odilo,  Herzog  171. 

—  Abt  V.  Cluny  472.  474. 

—  von  St.  Medard  218.  336. 
Odo,  Abt  V.  Cluny   105.   334.   357. 

360.  421.  473. 

—  Abt  V.  Ferrieres  187.  258. 

—  Abt  V.  Glanfeuil  331. 

—  Abt  V.  Moutier-la-Celle  421. 

—  Architekt  201. 
Odorannus  von  Sens  470. 
Odulf,  Custos  V.  St.  Riquier  332. 
Oehem  vgl.  Gallus. 

Ohtrich,  Otricus,  Majid.  Lehrer  310. 

316.  SM.  385.  387.  487. 
Olbert,  Abt  v.  Gembloux  398. 
Ootbert  vgl.  Odbert. 
Ordericus  Vitalis  470. 
Origo  et  exordium  gentis  Francorum 

183. 

—  gentis  Langob.  178.   185. 

—  Suevorum  3G9. 
Orleans  468. 

Orosius   76.  78.  82.  83.   87—88.  89. 
94.  107.  144.  221.  328. 


Ortwinus  Gratius  7. 
Ostertafeln  64.  1-55. 
Ostgoten  72  ff. 
Otbert  vgl.  Odbert. 
Otfrid  242.  244.  258.  288. 
Otgar    (825-847)   Erzb.    v.    Mainz 
257.  259.  2ti4-265. 

—  Gründer  v.  Tegernsee  288. 
Otger,  Paladin  Karls  193. 
Othelbold,  Abt  433. 
Othgive  433. 

Othloh  153.  397.  450. 

Otricus  vgl.  Ohtrich. 

Ottenthai  35. 

Otto  l.  351— 3.'-)4;  H.  353.  3-54.  370. 

408.   411.   460;    III.   3.54.   370. 

382.  416.  460.  488. 

—  Frisingensis  2.  5.  8.  30.  55.  88. 

213. 

—  V.  Lonsdorf,  B.  v.  Passau  456. 
Otwin  (954—984)   B.   v.   Hild.  381. 

406. 

—  Abt  V.  Gent  432. 

Ovid    132.    197.  228.  361.  475;    de 

vetula  6. 
Oylbold,  Abt  466. 


P. 

Pabst,  H.  25. 

Pacificus,  aichidiaconus  345. 

Paderborn  304. 

Pagi  9. 

Palacky  34. 

Palatini  pueri  174. 

Palmerius  vgl.  Matthaeus  und  Mat- 
thias. 

Panegyricus  Berengarii  346. 

Papebroch  11. 

Paris  5.  6.  119.  329. 

Parma  483. 

Paschasius  Diac.  54. 

—  Radbertus  301—302.  324. 

Passau  48.  51.  55.  56.  290.  453.  455 

Passio  Adalberti  Prag.  194.  388.  392 
Afrae  47;    Bonifatü   153.   397 
Christophori  399;  Desiderii  125 
Dionysii  121.  143.  226;  Florian 
47.    48;    Friderici    Trai.    437 
Gorgünii380;  Trenaei  48;  Petr; 
et  Pauli  198;  Quatuor  Coronat 
48.;    Quirini  288;    Sigismundi 
114;  Thebaeorum  45.47;  Trud- 
perti  137;  ündecira  milium  virg. 
45.  47;    Victori-s    et  Ursi    114: 
Wenceslai  488. 


506 


Register. 


Patricius,  der  heilige  188. 
Paulinus  (787—802)  Patr.  v.  Aquil. 

168.  191.  230. 
Paullini  15. 

Paulus  (849—855)    Erzb.  v.    Rouen 
330. 

—  Diaconus   55.   57.    65.    91.    147. 

169.  177—186.  314.  341.  451; 
Coli,  horail.  182.  451;  Gesta 
epp.  Mett.  182:  Hist.  Lang.  5. 
184—186.  343.  344.  365.  485. 
486;  Cont.  Casin.  184.  341; 
Cont.  Rom.  184.  223.  337;  Epi- 
toraae  184;  Hist.  Rom.  57.  180. 

Pavia  92.  175. 
Pelagius  L.  Papst  85. 
Persius  403.  407.  423.  452. 
Pertz,  G.  H.  21—25.  29.  32.  34. 

—  K.  27. 
Petershausen  446. 
Petit,  G.  5. 
Petronius  332.  333. 

Petrus  Damiani  135.  208.  489. 

—  (t  997)  B.  V.  Vercelli  481. 

—  (858—899)   Abt  des  Ambrosius- 

klosters  in  Mailand  344. 

—  Archidiac.  v.  Cambrai  336. 

—  Diac.  V.  Montecassino  95. 

—  Subdiac.  v.  Neapel  341.  342. 

—  Pisanus  168.  169.  182.  191. 

—  de  Vinea  7. 
Peutinger  4.  5.  8. 
Pez,  B.  n.  H.  14. 

Pfävers,  Verbrüderungsbuch  71. 
Piligrira   (971—991)    ß.    v.    Passau 

56.  400.  450.  455.  456. 
Pippin  141  ff. 
Pirmin  154.  418. 
Pistorius  18. 
Planctus  Caroli  236. 
Plautus  454. 
Poeta  Saxo  219.  222.  226.  307  bis 

308. 
Poitiers  101.  136. 
Pontificale  Romanum  65. 
Poppo  (1016—1047)  Erzb.    v.  Trier 

450. 

—  (941—961)  B.  V.  Würzb.  352.  450. 

—  Abt  V.  Stablo  442.  443. 

—  Hof  kaplan  361. 
Porphyrius  49- 

Potthast  X.  11.  18.  32.  37. 

Poussay,  Abtei  408. 

Prag  487. 

Pragmatius,  Presb.  114. 

Pregitzer  15. 

Presbyter  Ultraiect.  153.  321. 


Priapea  475. 

Primordia  Gandeshem.  372. 

Priscian  73.  282.  403.  452. 

Priscus  74. 

Probus,  Ire  253. 

Prologus  legis  Salicae  100.  119. 122. 

Prosper  7.   10.  61.  62.  63.  75.  88  bis 

91.    92.    112.    143.    179.    189; 

Cont.  Havn.    62.   92.    179.  185. 
Prudentius,  christl.  Dichter  276.  277. 

328.  360.  371.  403.  417.  457. 
—  (t  861)    B.   V.   Troyes  213.    214. 

227.  235.   279.   298.   324—325. 

371. 
Prüm  309.  407.  446. 
Purchard  vgl.  Burchard. 


Quedlinburg  357.  375—380.  391. 
Quellen  zur  schweizerischen  Gesch. 

34. 
Querela  de  divisione  imp.  232. 
Querimonia  Romanorum  337. 
Querolus  475.  479. 


R. 

Radbertus  Paschasius  301—302. 324. 

—  vgl.  Ratpert. 
Radbod  vgl.  Ratbod. 
Radegunde  101. 
Radla  388. 

Rado  cancellarius  190. 
Radulfus,  Erzb.  v.  Reims  194. 

—  de  Diceto  96. 

—  Tortarius  469. 
Ragewin  479. 
Raginar,  Graf  429.  435. 
Raiiiogala,  Domherr  v.  Auxerre  333. 
Ramwold ,    Abt  von  St.  Emmeram 

406.  451. 
Ranke,  L.  32.  33. 
Ratbod  (883—915)    Erzb.    v.    Trier 

309.  812. 

—  (899-907)    B.   V.    Utrecht   316. 

.320.  821.  322. 
Ratgar,  Abt  v.  Fulda  253.  256.  258. 
Ratheiius,  B.  v.  Verona  u.  Lüttich 

236.   353.  358.   407.   416.    424 

bis  425.  452. 
Ratleik  202.  203.  244. 
Ratolf,  B.  V.  Verona  284. 
Ratpert,  Mönch  in  St.  Gallen  267. 

268.  271.  272.  273. 


Register. 


i07 


Ratram,  Abt  in  St.  Avold  417. 

—  Mönch  in  Corbie  301.  324. 
Raumer,  Fr.  von  32. 
Ravenna  61.  G2.  G3.  93.  342. 
Raynaldus  9. 

Reccheo  25(). 

Recemund,  B.  v.  Elvira  358.  476. 

Regensburg  95.   1:56.  288.  2S9.  449 

bis  453. 
Regimar,  Priester  242. 
Reginbald,  Bibl.   v.  St.  Emm.  453. 
Reginbert  (834-835)  B.  v.  Hildesh. 

308. 

—  Probst  V.  Werden  296. 

—  Bibl.  in  Reichenau  275.  283.  286. 
Regino  v.  Prüm   6.    142.    143.   222. 

226.  266.   286.   309.   311—314. 

315.  437;  Contin.  263.  286.  410 

bis  412. 
Reginold  (966—989)  B.  v.  Eichstätt 

456. 
Registrum  Farfense343;  Gregorii  I. 

408;   lohannis  VIII.  338. 
Regula  S.  Benedicti  173.  181. 

—  Canonicorum   161. 

Regum  Merov.  geneal.  et  cat.  183. 

Reichenau  71.  154.  164.  171.  182. 
222.  243.  267.  275—286.  352. 
403.  408.  439—446.  450;  Ver- 
brüderungsbuch 154. 

Reichsannalen  157—158.  210  ff. 
221  ff.  227  ff.  230.  245.  247. 
249.  312.  315.  440. 

Reims  227.  326.  336.  457—466.  467. 

Reinhard,  B.  v.  Halberstadt  380. 

Relatio  S.  Richarii  193. 

—  S.  Vedasti  327. 

—  S.  Walarici  435. 

Remigius  v.  Auxerre  332.  334.  335. 
421. 

—  V.  Reims  121. 
Remiremont  71.  134. 
Remling  46. 

Renatus  Profuturus  Frigeridus  106. 
Restauratio  mon.  S.  Petri  454. 
Rettberg  45—47.  48.  49.  56. 
Revelatio  Steph.  papae  142. 
Rheinau  285. 
Rhythmische  Gedichte   122  f.   236. 

237. 
Ricburg,  Aebtissin  373. 
Richard,  Abt  v.  Fulda  396.  468. 
Richarius  (922—945)    B.  v.  Lüttich 

311.  314. 

—  Mönch  V.  Gembloux  430. 
Richbod   (795—804)    £rzb.  v.  Trier 

308. 


Richbod,  Abt  v.  St.  Riquier  235. 
Richer  326.  327.  459.   460.   462  ff. 
Richthofen  24. 
Riculf  (786—81.3)  Erzb.v.  Mainz  191. 

215.  264. 
Rigoliot  12. 
Rihkarius  455. 
Rikkardis,  Aebtissin  v.  Gandersheim 

370. 
Rimbert  (865—888)  Erzb.  v.  Hamb. 

297.  298.  299.  305. 
Rinaudo,  C.  40. 
Robert  vgl.  Rodbert. 
Rochus  V.  Ilsenburg  379. 
Rodbert  (883—897)  B.  v.  Metz  322. 

423. 

—  (989—1037)  Erzbischof  V.  Rouen 

471. 

—  (930—956)    Erzb.    v.  Trier    407. 

457.  458. 

—  (1056—1063)  Abt  v.  Prüm  407. 

—  Mönch  V.  Mettlach  409. 

—  Mönch  V.  Reichenau  408.  445. 

—  Laie  466. 

—  Vgl.  Rupert. 
Rodenberg  27. 
Rodoin,  Probst  218. 
Rodrad,  Abt  in  Corbie  300. 
Rösler  19. 

Rom  280.  338.  483.  488. 
Romanus  114. 
Romarich  145. 
Rorico  121. 

Rosweyd,  Heribert  van  10. 
Rotbert  vgl.  Rodbert. 
Rotenhan,  Sebastian  von  6. 
Rotein  72. 
Roterius  114. 

Rotger  (917—930)  Erzb.  v.  Trier  407. 
457. 

—  V.  Köln  358.  401—402.403.  427. 

466. 

—  Lehrer  Salomos  III.  273. 
Rouen  119.  127. 

Rudhelm,  Abt  v.  Reichenau  275. 
Rudolf,  Abt  V.  St.  Bertin  335. 

—  Laienabt  v.  St.  Riquier  195. 

—  v.  Fulda  154.  248—251.  258.  260. 

261.  281. 
Rudpert  vgl.  Rodbert. 
Rüxner  9. 

Rufinus  58.  82.  90.  308. 
Ruinart  12. 
Rumold,  Lehrer  455. 
Ruodlieb  362.  453. 
Ruotger  vgl.  Rotger. 
Ruotpert  vgl.  Rodbert. 


508 


Register, 


Rupert  V.  Salzbursf  135.  136.  138. 
Ruthartl  (979-995)    B.  v.  Cambrai 
425. 


s. 


Saint-Amand  158.  159.172.  175.  835. 
83ö.  433. 

—  Avold  (Hilariacum)   161.  417. 

—  Basle  459.  462. 

—  Bavon  201.  430—433. 

—  Benoit-sur-Loire    165.  466—468. 

—  Bertin    187.  335.  402.  427.  435. 

—  Claude  114.  324. 

—  Cloud  201. 

—  Denis    118.    119.    121.   123.  142. 

222.  223.  330.  434.  435.  451. 

—  Evre  421—423. 

—  Faron  193. 

—  Florentde-Vieil  236- 

—  Germain-des-Pres    12.    121.    123. 

165.  330.  469—470. 

—  Ghislain  434.  435. 

—  Hubert  318. 

—  Julien  232. 

—  Marcel   115. 

—  Martial  331. 

—  Martin  de  Tours  161.  187  fF.  330. 

467. 

—  Maur-des-Fosses  331. 

—  Maurice  113.  142. 

—  Medard  209.  218.  232. 

—  Mesmin-de  Micy  469. 

—  Mihiel  227.  421. 

—  Omer  323.  433. 

—  Pierre  au  Mont  Blandin  201. 

—  Remi  435.  462.  466. 

—  Riquier  192.  238—236.  831. 

—  Servais  201. 

—  Thierry  462. 

—  Vaast  327. 

—  Vannes  420. 

—  Wandrille  201.  241. 

Sallust  104.  257.  865.  403.  464.  487. 
Salonio  1.  (839— 871)  B.  v.  Konst.  258. 

—  III.  (890—920)  B.  V.  Konst.  273. 

274.  441.  446. 
Salvianus  52. 
Salzburg   43.    55.  56.  70.  136.  166. 

175.   176.   290—293.  899.  400. 

453—455. 
Samo  116.  291. 
Samuel  (Beornrad)  Erzb.  v.  Sens  257. 

—  (841—856)  B.  V.  Worms  257. 
Sanct  Arnulf,  Metz   308.  413.  414. 

—  Blasien  70. 


Sanct  Corbinian  136. 

—  Emmeram  4.  47.  136.  288.  289. 

451—453.  454. 

—  Florian  44. 

—  Gallen   23.   24.   62.  63.  71.  138. 

134.  243.  267—274.  285.  352. 
354.  856.  399.  439—443.  446. 
453.   Necrol.  440. 

—  Jacob  in  Lüttich  439. 

—  Kilian  138—189. 

—  Martin  in   Köln    160.  193.  404; 

in  Trier  409.  410. 

—  Maximin  310.  311.  358.  385.  405. 

406.  410.  451. 

—  Michael,  Hild.  -383. 

—  Pantaleon  452. 

-  Paul  i.  ütrechter  Sprengel  419. 

—  Peter,  Salzburg  71.  135.  454. 

—  Symphorian,  Metz  417.  418. 

—  Victor  151. 

—  Vincenz,  Metz  415.  417. 
Sancta  Julia  in  Brescia  71. 
Sandrad,  Abt  v.  Gladbach  406. 
Sant'  Andrea  483—484. 
Sarabert,  Pfarrer  432. 
Schedel  vgl.  Hartmann. 
Scheffer-Boiehorst  25. 
Scheidt  16. 

Schienen,  Kloster  284. 
Schmauss  11. 
Schorkel,  Siegmund  7. 
Schottenmönche  128—135.139.  140. 

160.    170.   267.   270.  276.   285. 

292.   818  f.  322.  332.  334.  344. 

345.  358.  471. 
Schwalm  27. 
Scriptores  bist.  Aug.  319. 

—  rer.  Ital.  13. 

Pruss.  34. 

Seckingen   135. 

Secundus  v.  Trient  178.  186. 
Sedulius,  christl    Dichter    100.  281. 
334.  375.  453. 

—  Scottus  237.  240.  295.  316.  319. 

822.  344.  345. 
Seligenstadt  202.  248. 
Seltz  474. 
Semler  19. 

Sendebald,  Gr.  v.  Toul  415. 
Seneca  339.  414. 
Senlis  331. 
Sens  203.  329.  470. 
Sermo  de  vita  Amalabergae  320. 

—  de  S.  Ferrutio  262. 

—  de  inform.  epp.  461. 

—  de  tumulat.  S.  Quintini  331. 

—  de  S.  Servatio  320. 


Register. 


509 


Sermo  de  adventu  SS.  Wandregesili, 
Ansbert i  et  Vulfranni  431. 

Servatus  Lupus  vgl.  Lupu.s. 

Servius,  röm.  Grammatiker  347. 423. 

Seulf,  Erzb.  v.  Keim.s  334. 

Severin  48.  50—56.  84-J. 

Severus  Sulpicius  vgl.  Sulpicius. 

Sicardus  v.  Cremona  62.  482. 

Sichardus,  Job.  7. 

Sicfarius,   Propst  v.  St.  Remi   326. 

Sickel  26. 

Sidonius  vgl.  Apollinaris. 

Sigebert  V.  Gembloux  5.25.  29.  91. 
417.  429.  430.  479;  de  SS.  eccl. 
95.  209.  227.  31-5.  334.  437. 

Sigebard,  Möncb  v.  St.  Maximin  406. 

Sigeward  304. 

Sigismund,  B.  v.  Halberstadt  308. 

Sigloard  236.  326.  335. 

Sigulf,  Abt  v.  Ferneres  187.  190. 

Sindbert,  Abt  v.  Murbach  164. 

Sintleozesau  1.54. 

Sirmond  10. 

Sisebut,  K.  der  Westgoten  93. 

Smaragdus,  Abt  213.  227. 

—  vgl.  Ardo. 
Sobius.  Jacob  7. 
Soest  404. 
Solenbofen  281. 

Sophia,  Aebt.  v.  Gandersh.  372. 

Soupher,  Gervasius  5. 

Speier  399.  400. 

Staatskalender,  röm.  60  fF. 

Stabius  3.  5. 

Stablo  311.  318.  .820.  428.  443. 

Städtechroniken  34. 

Starehand  (933—966)  B.  v.  Eich-stätt 

456. 
Statius  346.  452. 
Statuta  Murbacensia  276. 
Stefanus,  Magister  179. 
Stein,  Freih.  vom  19—22.  31. 
Steindorft"  37. 
Steinhöwel  2. 
Stenzel  30.  32.  33. 
Stepelin  v.  St.  Trond  433. 
Stephan  (901-920)  B.  v.Lüttich  336. 

423.  424.  434. 

—  Abt  v.  Prüm  407. 

—  Mönch  v.  St.  Pantaleon  404. 

—  Magister  179. 

—  V.  Novara  352.  353.  400. 
Strassburg  5.  6.  228.  446.  447. 
Streonshalch  147. 

Struve,  B.  G.  18. 

Stumpf-Brentano  35. 

Sturm,  Abt  v.  Fulda  252.  293. 


Sualo  (Solus)  154.  281. 

Suestern  193. 

Sueton  69.  93.  204.  205. 

Suiacum  330. 

Suitbert  v.  Kaiserswurth    149.  160. 

Sulpicius,  Alexander  106. 

—  Severu.s    63.   68.    91.    102.    103. 

112.  373. 
Sunderold  (Sunzo,  f  891)    Erzb.  v. 

Mainz  266. 
Suntheim,  Ladislaus  3. 
Surius,  Laurentius.  10. 
Sylloga  cod.  Sangall.  441. 
Symeon,  Mönch  344. 
Symmachus  73.  83. 
Syrus  V.  Cluny  473. 


T. 

Tabula  Peutingeriana  4. 
Tacitus  41.  261.  365.  428. 
Tado.  Erzb.  v.  Mailand  344. 
Tagino  (1004— 1012)  Erzb.v.Magdeb. 

387.  4.50. 
Taio  343. 

Tassard,  Alardus  427.  435. 
Tassilo,  Herzog  171.  172.  215. 
Tatto,  Lehrer  in  Reichenau  275.  276. 

277.  278. 
Tegernsee   193.  288.  388.  452.  454. 
Tengnagel  10. 
Tentzel"l5. 

Terenz  360.  370.  374.  403.  475. 
Teuffei  38. 
Thangmar  382—384. 
Thegan   229  f.  276.   279.   309.  426. 

437. 
Theiner  9. 

Theodard  v.  Mastricht  316. 
Theodat,  Genosse  des  Florentius  135. 
Theoderich,  K.  d.  Ostgoten  65.  73  ff.: 

Gesta  80. 
Theodericus  I.  (965—984)  B.  v.  Metz 

413.  414.  415.  416.  417. 

—  II.  (1006—1047)  B.  v.  Metz  417. 

—  vgl.  Dietrich. 
Theodofrid,  Abt  v.  Corbie  123. 
Theodorus  283. 

Theodulf,  B.  v.  Orl.  170.  171.  172. 

191.  200.  228.  236.  282.  315.  324. 
Theofrid  v.  Echternach  127.  149. 
Theophanes  62.  338. 
Theophano,  Kaiserin  354.  356.  404. 
Theotmar, Erzb.  V.Salzburg  250.291. 
Theudemar.    Abt    v.    Montecassino 

181.  184. 


510 


Register. 


Theotroch,   Diac.  397. 
Thiadelm,  Lehrer  385. 
Thiatbrat,  Bischof  294. 
Thietgaud  (847—863)  Erzb.  v.  Trier 

248.  309. 
Thietmar  (1009-1018)  B.  v.  Merseb. 

25.    236.    301.    380.    386.    387. 

390—394.  438. 
Thiofrid  vgl.  Theofrid, 
Thomas,  Lehrer  227.  324. 
Thomaslegende  68. 
Tibull  428. 
Tiburnia  53. 
Tiel  an  der  Waal  438. 
Timo,  Pfalzgraf  288. 
Tito,  Abt  V.  St.  Peter  454. 
Toeppen  34. 
Toul  322.  421.  454. 
Tours  105.  187.  253.  257.  321. 
Traditiones  Corbeienses  302. 
Translatio  Adelphi  286;  Agapiti  et 

Fei.     289—290;     Albini    404; 

Alexandri  261.  266;  Alexandri 

Fris.    287;     Amalbergae     430; 

Athanasii  342. 

—  Baltechildis    330.   331:    ßavonis 

432.  433;  Benedieti  340;  Be- 
nigni  et  Agnetis  420;  Bertae 
330;  Callisti  Cisonium  193; 
Castoris  229;  Celsi  409;  Chri- 
santhi  et  Dariae  229.  310;  Cor- 
nelii  331;  Cypriani  331;  Dio- 
nysii  451;  Epiuhanii381 ;  Euge- 
nii  Tolet.  436';  Evergisli  404. 

—  Felicis  et  Regulae  271;  Firmini 

420;  Fortunatae  284;  Germani 
165.  330;  Habundii  344;  Her- 
metis  291;  Huberti  318;  Hy- 
merii  477. 

—  lanuarii  284;   lusti  321;  lustini 

301;  Landoaldi  428.  432;  Li- 
borii  XII.  304;  Livini  et  Brictii 
433. 

—  Magni  283;    Marcellini  et  Petri 

208.  209.  246;  Mauri  331; 
Maurini  404;  Mederici  330; 
Metronis  424. 

—  Patrocli404;  Pusinnae304;  Qui- 

rini  Malm.  321;  Radbodi  321; 
Ragnoberti  239.  330;  Reginae 
311;  Remigii  326. 

—  Sanguinis  Domini  X.  444 ;  Sebasti- 

ani  218.  232;  Senesii  et  Theo- 
pompi  482;  Severi  264;  Severini 
342;  Silvestri  482;  Sosii  342; 
Tiburtii,  Marc,  et  P.  201.  209; 
Viti  301.  365. 


Traube  26. 

Trier  42.  43.  52.  71.  308.  309.  405 

bis  410.  450. 
Trithemius   3.   9.  95.  96.  313.  320. 

466.  479. 
Trotmar  vgl.  Druthmar. 
Turpin  208. 
Tutilo  271. 
Tuto  (894-920)  B.  v.  Regensburg 

289. 


u. 

üdalgis,   Lehrer  in  N.-Altaich  455. 
üdalrich  (924—973)  B.  v.  Augsb.  7. 

447—449.  453.  456. 
Udalschalk  (Augsb.)  286. 
Uffing  303.  380. 
Ughelli  12. 

Ulmar  v.  St.  Vaast  327. 
Ulrich  V.  Hütten  6. 
—  vgl.  Üdalrich. 
Ursinus  126. 
Ursula  45.  47.  403. 
LTsuardus  67. 

Uta,  Aebtissin  v.  Niedermünster  452. 
Utho,  B.  V.  Strassburg  135. 
Utrecht  148.  149.  293—295.  320.  419 

bis  420.  436—438. 


y. 

Valerius  Maximus  332. 

Vegetius  239.  240.  319.  355.  466. 

Venantius  Fortunatus  47.  69.  100 
bis  102.  104.  108.  121.  122.  125. 
197.  208.  274.  307.  321.  421. 

Venedig  485.  486. 

Venerandus  Altarip.  122. 

Verbrüderungsbücher  71. 

Verdun  .321.  420. 

Verona  345-347.  424. 

Versus  aevi  Carol.  236;  de  Bobo- 
leno  130;  de  hirundine  320;  de 
imag.Tetrici278;  de  Leone  VIIL 
478 ;  marini  309 ;  de  epp.  Mett. 
182;  de  ord.  comprov.  293;  de 
Ott.  in.  481;  de  rota  mundi 
122;  de  Will.  Norm.  occ.  471. 

Victor  Cartenensis  91.  92. 

—  Sangallensis  447. 

■ —  Tunnunensis  91.  95. 

—  Vitensis  92. 
Victurius  63.  64. 
Vidrung  (Wintrung)  150. 


Register. 


511 


Vigilius,  Papst  85.  86.  106. 

Vildhaut  39. 

Virgil  104.  174.  190.  197.  228.  230. 

253.   304.   308.   346.   360.  403. 

423.  475.  485. 

—  (767—784)  B.  v.  Salzburg  136  bis 

138.  292. 

Virununi  43. 

Visio  domni  Caroli  207.  208.  259. 
266;  Caroli  III.  335;  Flotildae 
458;  paup.  mulierculae  231; 
de  poenis  Fulradi  276;  Haduini 
232.458;  Rotcharii  207:  Wet- 
tini 275.  276.  27.S. 

Vita  abb.  Agaun.  113;  Abbonis  Flor. 
467;  Adalberonis  Aug.  286: 
Adalberonis  II.  Mett.  417;  Adal- 
berti  diac.  409;  Adalberti  Prag. 
388.  392.  488.  489;  Adalhardi 
301.  302;  Adelphii  134;  Agili 
130;  Alcvini  190;  Amandi  128. 
327.  335;  Amati  134;  Angil- 
bertil93.  194;  Aniani  107;  An- 
selmi  Non.  4^2;  Ansfridi  419; 
Auiskarii  298 ;  Antonii  Lirinensis 
53;  Arbogastil35;  Arnoldi208; 
Arnulfi  Mett.  126.  144.  185.  318; 
Athanasii  342 ;  Attalae  130. 132 ; 
Audoeni  127. 

—  Baldericill.  Leod.  439;  Balthil- 

dis  127;  Basiiii  108;  Baugulfi 
254;  Bened.  Anian.  231:  Bern- 
wardi  384;  Bertulfi  Bob.  130. 
132;  Bertulfi  Rentic.431;  Boni- 
i'atii  150—152.  223.  293.  336; 
Brunoni.s  Colon.  358.  392.  402. 
427.  433;  Burchardi  Wirz.  150; 
Burchardi  Woim.  398;  Bur- 
gundofarae  130.  132. 

—  Cadroae  415;  Caroli  M.  202.  203 

bis  207.  219.  222.  229.  307.  365. 
378.482;  Cassiani423;  Chiliani 
138;  Chlodovaldi  125;  Chrode- 
gangi  414.415;  Chrothildis  125; 
Columbani  107.  116.  130—132. 
134.  283;  Corbiniani  136  bis 
138.  172;  Cuonradi  ep.  Const. 
446. 

—  Dagoberti  111.127;  Deicoli  134. 

447;  Deoderici  Mett.  417;  Desi- 
derii  Cadurc.  126;  Desiderii 
Vienn.  93;  Donati  171;  Droc- 
tovei  123. 

—  Eigilis  254;  Eldradi  vgl.  Heldra- 

di; Eligiil26. 317;  Emmerammi 
1.36—138.  172;  Epiphanii  80; 
Erluini    430;     Erminonis    145; 


Eugendi  114;  Eugenii  II.  papae 
337;  Eustasii  130.  132;  Ewal- 
dorum  149. 
Vita  Faronis  123:  Findani  285;  Flo 
rentii  135;  Florini  48;  Folquini 
Morin.  427;  Fridolini  135;  Fro 
doberti  422. 

—  Galli  133.  134.  267  ff.  276.  283 

Ganiulberti  171 ;  Gaugerici  126 
Gauzlini  Flor.  468;  Gebehard: 
ep.  Const.  446;  Gerardi  Bron 
434.  435.  479;  Gerardi  Tüll 
421;  Geretrudis  126.  145.374 
Gerfridi  295;  Germani  Grandi 
vall.  134;  Germani  Paris.  125 
Glodesindis  414;  Goaris  310 
Goerici  417;  Gregorii  I.  147 
183.  336.  338;  Greg.  Traiect 
293;  Greg.  Turonensis  105. 

—  Hadriani    1.    papae  337;   Hadri 

ani  III.  papae  (Nonant.)  482 
Hariolfi  281.282;  Harlindis319 
Hathumodae  307;  Heinrici  II 
438;  Heinrici  IV.  5.  8;  Heldrad: 
345;  Hemmoni.s  379;  Herasmi 
290:  Heriberti398.  405;  Hludo- 
wici  Pii  229—231:  Hostiani 
114;  Hrodberti  137.  291;  Hu- 
bert! 318:  HugonisGemmet.  194. 

—  Idae  .303.  380;    loh.  Gorz.  334. 

413—414;  loh.Parm.  483;  loh. 
Reomensis  133. 

—  Lamberti    316.    318;     Lamberti 

metr.  336.  423;  Lamberti  auct. 
Stephano  423;  Lebuini  149.296. 
336.  420;  Leobae  260;  Leode- 
garii  126;  Leonis  papae  111. 163. 
337;  Liudgeri  293.  295.  336; 
Liutbirgis  304;  Livini  147.433: 
Lullil53;  Ludmilae488;  Lupi- 
cini  114. 

—  Macharii    432.   433;     Magnerici 

311;  Magni  282—283;  Maho- 
meti  386;  Mahthildis  207.374. 
375;  Mainulfi304;  Maioli  473; 
Martini  69.  307;  Mauri  331: 
Maximiliani  56 ;  Maximini  258. 
310;  Meginrati  285;  Meingoldi 
193.  '621. 

—  Nicolai  I.  papae  338;  Nili  488; 

Notkeri  Leod.  425. 

—  Odiliae  127;  Odilonis  474;  Odo- 

nisCIun.473;  OduIfi437;  Oth- 
mari  267.  268. 

—  Paschasii  Radb.301 ;  Pauli  Virod. 

357;  Philippi  149;  Pirminii  154. 
418;  Praeiecti  127. 


512 


Reffister. 


Vita  Quinque  fratr.  Pol.  389;  Quin- 
tini 423;  Quirini  56. 

—  Rabani  260;  Radbodi  321.  420: 

Radegundis     102.     125.     374; 
Ragnoberti  330;    Reginswindis 
290;Reinilae319;  Reinoldi  193 
404;  Remacli  317.  428;  Remedii 
s.  Remigii   102.  107.  326.  458 
Reverentii    330;    Richarii   XII 
190.  193;    Rictrudis   336.  424 
Rigoberti  214;    Rimberti   299 
Romarici   134;    Romualdi  489; 
Ruperti  136—137.  291. 

—  Sabae     488;     Salabergae     130; 

Servatii  128;  Severi  Agath.  114; 
Severi  Rav.  265;  Severini  50 
bis  56.  455:  Simeonis  Acbivi 
284;  Soli  258.  282.  Stephani  IT. 
papae  337;  Stepbani  V.  papae 
337;  Stiu-mi  252.  254;  Sualonis 
258.  281:  Suitberti  149. 

—  Theodavdi  318;  Theoderici  vgl. 

Deoderici;  Thiadildis  296;  Tru- 
donis  215.  317;  Trudperti  135. 
137. 

—  üdalrici  392.  448:  Ursmari  424. 

—  Vedasti  107.  125.  132.  190. 

—  Walae    302:     Waldburgis    290; 

Waltgeri  303 ;  Wandregisili  118. 
241.  431;  Wenceslai  375.  487. 
488;  Wiboradae443:  Wigberti 
258.  264;  Wilfridi  148;  Wille- 
baldi  153;  Willehadi  296;  Wil- 
lelmi  Gellon.  231;  Willibrordi 
148.  190.  336:  Winnoci  430; 
"Wolfkangi  450;  Wynnebaldi 
153. 

Vitalis  466. 

Vitruv  173.  201.  383. 

Vivian,  Graf  187.  330. 

'Völkertafel,  fränkische  122. 

Volcold,  B.  V.  Meissen  353. 

Volkmar  vgl.  Folcmar. 

Vulfila  73. 

Vulgarius  339. 

Yussinus  258. 


w. 

Wachler  37. 

Wadilcoz,  Reichenauer  Mönch  275. 
Wagner,  Petrus  Gallus  96. 
Waitz  25.  26.  33.  37.  38.  39. 
Wala  300.  303. 

Walahfrid     199.     200.     202.    206. 
226.  227.   229.   239.   258.   267. 


269.   275.  276.  277—281.   324. 

325. 
Walbeck  391. 
Walcaud  vgl.  Waltcaud. 
Waldburga  154. 

Waidebert,    Abt    v.    Luxeuil    132. 
Waldo  (884—906)  B.  v;  Freising  274. 

275.  288. 

—  Abt  V.  Schwarzach  u.  St.  Maximin 

310. 

—  Abt   V.   St.   Gallen ,   Reichenau, 

St.  Denis  171.  268.  275.  292. 
Waldram,  Mönch  in  St.  Gallen  272. 

274. 
Walram  v.  Naumburg  6. 
Waltbraht,    Enkel  Widukinds    261. 
Waltcaud  (810-831)  B.  v.  Lüttich 

312.  318. 

—  in  Trier  312. 
Walthavius  193.  371.  442.  446. 
Walther,  Abt.  v.  St.  Bertin  427. 

—  V.  Speier  399. 

—  Ph.  A.  V.  34. 

Wandalbert  v.  Prüm  47. 67.  310. 316. 

Wandregisil  118. 

Wangia- Worms  398. 

Wanizo,  Schreiber  v.  St.  Gero  403. 

Warin.  Abt  v.  Corvey  301.  803. 

Warmann  (1026—1034)  B.  v.  Kon- 
stanz 418- 

Warnerius  v.  St.  Ouen  471. 

Wattenbach  25.  26.  32.  37.  39. 

Watterich  37. 

Wechel  8. 

Weihenstephan  287. 

Weiland,  L.  25.  27.  31. 

Weissenburg  243.  266.  876.  446. 

Wenilo,  Erzb.  v.  Sens  325. 

Werden  166.  221.  295-296.  303. 
305.  380. 

Werdolf,  Abt  v.  Lutra  447. 

Werinbert,  Mönch  v.  St.  Gallen  258. 
267.  272. 

Werinfrid,  Abt  v.  Stablo  428. 

Werinhar  (1001—1029)  B.  v.  Strass- 
burg  855.  447. 

Werrainghoff  26. 

Wessobrunn  453. 

Westgoten  93  ff. 

Wetti  134.  269.  276.  278. 

Wiebert,  Gründer  v.  Gembloux  428. 

—  Abt  V.  Fritzlar  154.  252.  264. 

—  Gefährte  Brunos  390. 
Wicfrid  (959—984),  B.  v.Verdun  420. 
Wicking,  Mönch  v.  Prüm  407. 
Wicterb,  Agilolfinger  172. 
Widerich,  Abt  v.  St.  Evre  421. 


lic'gister. 


il3 


Wido,  Abt  V.  St.  Evre  423. 

—  V.  Osnabrück  337. 
Widukindv.Corvey8.261.3G4-3GS. 

371.  372.  378.  392. 
Wigand,  Magdeb.  Centuriator  8. 

—  Plarrer  303. 
Wigbert,  vgl.  VVicbert. 
Wigo  V.  Fouchtwaiigen  448. 
Wiker,  Abt  v.  St.  Maxiinin  40<i. 
WiUleshausen  2()1. 

Wilfrid  (t   709)  Erzb.  v.  York    147. 

148. 
Wilhelm  (954—968)  Erzb.  v.  Mainz 

286.  366.  870.  395.  410.  411.  440. 

—  V.  Malmesbury  335.  437.  462. 

—  V.  Toulouse  231. 
Will,  Cornelius  35. 

Willegis  (975—1011)  Erzb.  v.  Mainz 
353.  372.  382.  395.  396.  398. 

Willehad  (787—789)  B.  v.  Bremen 
296. 

Willer,  Abt  v.  St.  Maximin  406. 

Willibald  (745—781)  B.  v.  Eichstätt 
153.  397. 

—  V.  St.  Victor  151. 

Willibert  (870—889)  Erzb.  v.  Köln 

816. 
Willibrord,  B.  v.  Utrecht  148.  186. 

294. 
Willico,  Domprobst  v.  Prag  388.  489. 
Wihnanns  25. 
Winidhar,  Abt  v.  P]llwangen  451. 

—  Schreiber  in  St.  Gallen  173. 
Winkelmann  35. 


Winnoxbergen   (Bergues  St.-Winoc) 

430. 
Winrich,  Abt  v.  St.  Maximin  406. 
Wipert  vgl.  Wiebert. 
Witgar  (887)  B.  v.  Augsburg  244. 
Witger,  Flandr.  Priester  436. 
Witigowo,  Abt  V.  Reichenaa  445. 
Wizo  176.  187.  188. 
Wolbodo,  B.  V.  Lüttich  420. 
Wollgang  (972—994)  B.  v.  Regensb. 

352.  354.  355.  449—452. 
Wolf  hard  v.  Herrieden  68.  154.  290. 
Worms  397.  398. 
Würzburg  139.  150.  243.  289.  290. 

400.  450.  453;  Necrol.  203. 
Wynnebald  153. 


Xanten  315. 


York  186.  189. 


X. 


Y. 


Z. 


Zacharias,  Papst  151.  468. 
—  Erzkaplan  455. 
Zeumer  26.  27.  31. 
Zürich  271. 
Zurzach  444. 
Zwentibold  193. 


Watteubacb,  Geschichtsquellen.    I.    7.  AuH. 


33 


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